02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-23
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971123023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112302
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-23
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Freilich ist es bisher mehr ein politisches Bonmot geblieben, als daß cs — von Sachsen und vereinzelten Reichstags wahlbezirken in anderen Staaten abgesehen — Anlaß zu ernstlichen Versuchen zur Verwirklichung gegeben hätte. Und doch werden solche Versuche von Tag zu Tag zu einer dringlicheren Nothwendigkcit, wenn die nächsten Wahlen nicht einen Reichstag wie den jetzigen oder wohl gar einen noch unbrauchbareren bringen sollen. Nach innen gilt es die Zurückvrängung der deutschfeindlichen Ele mente, nach außen die Sicherung einer der Entwickelung unserer Marine freundlichen Mehrheit und also den Zu sammenschluß derjenige» Parteien, die dieser Entwickelung günstig gesinnt sind. Nun seben wir aber, daß nach beiden Richtungen hin die Gegner einer nationalen Politik mit ihrem Zusammenschlüsse weiter gediehen sind, als die Freunde. Zn der Ostmark scheint das Bündniß zwischen Polen, Centrum und Fortschrittlern perfect zu sein, während einem Zusammengehen aller deutschgesiunten Parteien wohl das Wort geredet, aber keine Grundlage durch irgend eine That geschaffen wird. Ueber die Marincfrage werden wohl hier und da von den Anhängern vcrschiedenerParteien Vorträge veranstaltet und gemeinsame Resolutionen beschlossen, aber im Großen und Ganzen herrscht bei den Gegnern einer zweckentsprechenden Floltcnverstärkung ein besseres Einver nehmen als bei den Anhängern. Mit noch so eindringlichen Mahnungen zur Sammlung ist eben nichts oder nur sehr wenig gethan, so lange die Sammlung nicht von einer ge eigneten Stelle kräftig in die Hand genommen wird. Von den Parteien oder von einzelnen der in Frage kommenden Parteien ist kaum zu erwarten, daß sie die Initiative ergreifen, weil jede von ihnen befürchten muß, daß ihr eine solche Initiative als Folge des Bewußtseins der eigenen Schwäche und eines Anlelmungsbedürsnisses ansgelegt wird, das die stärksten Zuniuthungen über sich ergehen lassen muß. Es ist daher Sacke des Reichskanzlers, eine Annäherung zwischen den Parteien herbeizuführen, auf die er sich stützen will und muß. F ü r st Bismarck verstand cs meisterlich, einen Zusammenschluß der Parteien, die er für seine jeweiligen Zwecke bedurfte, iu die Wege zu leiten, und vor jeder Wahl, die von besonderer Wichtigkeit war, machte er von seinem einigenden Einflüsse Gebrauch. Kaum je aber hat er vor Neichstagswahlen gestanden, die von so großer nationaler Bedeutung waren, wie die bevorstehenden sein werden. Er würde jetzt gewiß nicht zögern, mit den Führern aller Fractionen, die einer nationalen Majorikätsgrnppirung sich einfügen lassen, in Verbindung zu treten. Freilich würde er dabei von der Voraussetzung ausgehen dürfen, Laß in keinem Einzelstaate, am allerwenigsten in Preußen, irgend eine Stelle sei, die anderer Meinung als er selbst über die Aufgaben einer solchen Majoritälsgruppirung und also auch über die Zusammensetzung derselben sein werde. Sollte Fürst Hohenlohe von einer sojchen Voraussetzung noch nicht ausgeben können, so wäre es höchste Zeit, einen energischen Versuch zur Sammlung in den leiten den Kreisen zu machen, um dann, bevor noch die Heißsporne der Fractionen bei den Reichstagsdebatlen die gegenseitige Entfremdung ver tieft haben, an die Sammlung der nationalen Parteien gehen zu können. Die „Allg. Ztg." „hofft", der preußische Justiz min ist er Scköiistedt werde mit seiner Verfügung über die strafrechtliche Behandlung der Zweikämpfe nnd Be leidigungen Erfolg haben. Daö klingt wie ein Zweifel an dem Effecte der Verfügung, und in der Tbat ist ein solcher nicht unberechtigt. Herr Schönstedt hat es, obwohl er zur Kundgebung allgemeiner Rechtsauffassuugen dem preußischen Richterstaudc gegenüber vollauf befugt ist, vorgezogcu, sich an die Staatsanwälte zu wenden. Die Adresse des Nichterstandes ist aber deutlich genug zwischen den Zeilen zu lesen. Die StaaiSanwälte an sich sind ja einer Gerichts praxis gegenüber ohnmächtig, auch wenn sie energisch für ein hohes Strafmaß cintreten. Nun ist cs freilich bei aller Unab hängigkeit des Nichterstandes natürlich, daß eine von der öffentlichen Meinung beifällig aufgenommene und zweifellos von dem gesammten preußischen Ministerium gebilligte Dar legung und Mahnung des Justizmiuisters nicht ganz ohne Wirkung aus die Rechtsprechung bleibt. Aber andererseits ist es bei der Entwickelung der Dinge in Preußen auch nicht zu verwundern, daß ein Richter, der „nach oben" blickt, über den Cbef der Justizverwaltung hinaus nach einer höheren Stelle sieht, von der es abhängt, ob nicht in nächster Zukunft ein anderer Ches dieser Verwaltung andere Verfügungen erläßt. Und wie die Anschauung an dieser höheren Stelle ist, wird sich dem Richter, wie wir schon früher betont haben, an der Ausübung des Be gnadigungsrechtes zeigen. Die Thatsache, daß der Justiz minister regelmäßig mit der Behandlung der Begnadigungs gesuche befaßt ist, hat in Preußen nur noch eine formale Be deutung. Wird aber der Erlaß des Herrn Schönstedt doch einige Wirkung hinsichtlich der Bestrafung des Zwe i ka mpfe s üben, so wird sich eine solche Wirkung bei der Behandlung der Beleidigungen wahrscheinlick noch lange nur wenig bemerk lich macken. Die Auffassung,daß der Duellant die Schärfe derGe- sctze zu fühlen habe, steht demDenten und Empfinden der heutigen Gerichte nicht fremd gegenüber. Aber eS giebt auch richterliche Kreise in Preußen, bei denen der Mensch erst beim ehe maligen CorpSstudenteu und Reservelieutcnant anfängt, und diese gesellschaftliche Schicht ist von der Vorstellung be herrscht, daß eine Ehre, die Heilung einer Verletzung beim ordentlichen Gerichte sucht, überhaupt keine des Schutzes werthe Ehre sei. Nur aus dieser Anschauung heraus lassen sich die Aergerniß erregenden Bagatellstrafen erklären, die man für schwerste Beleidigungen so oft hat verfügen sehen. Es ist eine sociale Wunde, an die der preußische Justizminister rührt; indessen die Gesundung kann nur sehr langsam von statten gehen durch eine Aenderung der SinncSrichtunz beim Nachwuchs. Vielleicht tragen die angesichts dcS Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Reich erlassenen Studicnordnungen, die die Rechlsbesiisseneu dem Leben etwas näher führen, als der bisherige Studiengang es gethan, etwas dazu bei, daß ein auögeartctcS StandeSbewußtsein der Rechts pflege nicht allzu deutliche Spuren aufdrückt, „widerwärtige" meint die schon citirte „Allg. Ztg." Der chinesische Gesandte Schu-King-Chen in Berlin hat gegenüber dem Berichterstatter des Bureau Reuter in Bezug auf die Besetzung der Kiao Tschau- Bucht durch deutsche Marinetruppen Folgendes erklärt: „Die deutsche Negierung kann nicht die Absicht haben und hat sie that- sächlich nicht, die zeitweilige Besetzung der Kiao Tschau-Bucht in eine beständige Occupation zu verwandeln. Ein diplo matischer Bruch ist daher nicht zu erwarten. Verhandlungen wegen Bestrafung der Schuldigen und Zahlung einer Ent schädigung werden in Peking stattsinden." Das Letztere ist richtig, aber eben deshalb dürfte es zweifelhaft sein, ob der Gesandte über jede Phase der Verhandlungen auf dem Laufenden ist. Voraussichtlich werten dieselbe» — man müßte cö nicht mit chinesischen Diplomaten zu thun haben — sich nicht so rasch abwickeln und der Haupttheil unserer asiatischen Seemacht auf der Rhede von Kiao Tschau zu überwintern geuöthigt sein. Schon aus diesem Grunde muß für eine wohl auch sicher in Aussicht genommene Vermehrung unserer Kreuzer in den japanisch-chinesischen Gewässern gesorgt werden, weil der Kreuzcrdienst auf dieser augenblicklich wichtigsten aller überseeischen Stationen im Interesse der bedeutenden deutschen Handelsbeziehungen für die nächste Zeit schlechterdings keine Unterbrechung erfahren darf. In London und Paris wird man zwar wenig erfreut darüber sein und seine Warnung vor näheren Rechten Rußlands, die man be kanntlich schon ausgespielt hat, mit größerem Nachdruck wiederholen. Ob mit größerem Eindruck, möchten wir nicht glauben, da wir mit einem Tbeil der deutschen Presse an nehmen, daß das Auswärtige Amt schwerlich so energisch an der chinesischen Küste vorgegangen sein würde, ohne sich vorher des Einverständnisses mit Rußland versichert zu haben. Im Allgemeinen ist die Aufgabe französischer Minister nicht sehr dankenswerth. Sie muffen jederzeit auf ihren Sturz gefaßt sein und so lange sie amtiren, wird ihnen das Leben sauer genug gemacht. Eine Ausnahme bilden der Kriegsminister und der Marineminister, die von ihren deutschen Collegen wohl beneidet werden können. Der Marineminister Ivar vor einiger Zeit in der Lage, mehr bewilligtzu erhalten, als er ge fordert hatte, der K r i e g s m i n i st e r ist es jetzt. Es han delt sich diesmal freilich vorläufig um keine sehr große Mehr bewilligung. Der Kriegsminister hatte für Verbesserung und Er weiterung der Militairschießplätze 1 Million 300 Tausend Frcs. verlangt, die in Heeresangclegenheiten aber immer sehr generöse Kammer erhöhte die Summe auf 2 Millionen 300 Tausend Frcs., also beinahe auf das Doppelte. Damit ist jedoch das „Journal des Debets" noch lange mcht einverstanden, und es spricht die Hoffnung aus, daß im nächsten Jahre die neue Kammer noch viel höhere Summen für diesen Zweck bewilligen werde. Das Blatt weist dabei auf die viel höheren Ausgaben Deutschlands für diese Zwecke hin; es bedenkt aber nicht, daß Alles in Allem Frankreich mehr für sein Heer ausgiebt, als das in der Bevölkerungszahl doch ein Viertel größere Deutschland. Dieser Bewilligungseifer der französischen Deputaten ohne Unterschied der Partei enthält aber auch eine Mahnung für Deutschland. Denn diese Bc- willigungslust zeigt, daß bei allen Parteien der Gedanke an die Revanche noch immer lebendig ist. Wiewohl die Finanzen des Landes seit Jahr und Tag nicht die glücklichsten sind, wiewohl man über den Rückgang des Handels klagt, spart man doch in allem Anderen eher, als in den Ausgaben für Heer und Marine. Kann man das eifrige Bemühen, die Flotte hochzu bringen, auch zwanglos mit dem Wunsche erklären, dem englischen Rivalen in Afrika und Südasien gewachsen zu sein, so richten doch die Ausgaben für die Heereszwecke ihre Spitze lediglich gegen Deutschland. Und wenn die Abgeordneten gerade jetzt kurz vor den Neuwahlen besonders bewilligungseifrig sind, so be weist dies, daß sie damit der Stimmung und den Wünschen ihrer Wählerschaft entgegenzukommen glauben. Ueber den Mörder dcS Bankiers Hätzner wird uns aus Madrid geschrieben: Der Raubmörder PerezGal- lego, welcher in Cadix wegen Ermordung des Bankiers Häßner zum Tode verurtheilt wurde, gehört einer besonderen Gattung von Verbrechern an, dessen Vorhandensein recht bemerkenswert^ Rückschlüsse auf die gegenwärtigen Zustände in Marokko zuläßt. Gallego war nämlich ein bevorzugter Schützling dc. Äscher iss von Wasan, in dessen Gefolge er etwa den Ranz eines „geheimen Kammerdieners" einnahm. Auch sein beiden bereits in Tanger abgeurtheilten Mitschuldigen an der Mordthat, die Mauren Ben Sazat und Ben Hardi, gehörten zu der „Dienerschaft" des genannten Scherifs, nur nahmen sie kein: so bedeutende Vertrauensstellung wie Gallego ein. Derartige Diener hatte der Scherif in seiner nahe bei Tanger gelegenen „Villa" etwa zwanzig, die in Wahrheit nicht Anderes als eine organisirte Räuber- und Mörderbande waren und die Villa ihres Herrn, der nur selten nach Tanger kam, als Diebsherberge be nutzten. Dem Scherif muß ja auch seine Villa „etwas ein bringen", und so besteht die Aufgabe seiner Diener lediglich darin, ihrem Herrn den fälligen Tribut d. h. einen Antheil an ihre: Beute pünctlich und reichlich zu übersenden. Gallego war also gewissermaßen der Obmann dieser Bande, die sich bei allen ihren Raubthaten und Brandschatzungen bei den marokkanischen Be Hörden vollster Straffreiheit erfreute; hält sich doch jeder andere Polizei- oder Verwaltungsbeamte des Sultans in Tanger eben falls einen Stab ähnlicher „Diener", ohne deren Mithilfe er sich wohl niemals sein „Einkommen" sichern würde. Gallego hatte seine Thätigkeit für jenen Vertrauensposten auch schon reichlich nachgewiesen; denn er war bisher nicht weniger als 17 Mal wegen Raubes und Mordes, darunter dreimal zum Tode, verurtheil! worden, hatte sich aber stets Gönner zu verschaffen gewußt, die ihn rechtzeitig aus dem Gefängniß befreiten. An jenem Abend, an welchem er mit den beiden genannten Genossen den deutschen Bankier ermordete, hatte er eine halbe Stunde vorher einen Juden überfallen und unter schweren Mißhandlungen beraubt. Offen bar aber wäre er auch diesmal seinem Schicksal entgangen, wenn nicht der deutsche Gesandte seine Ueberführung nach Spanien durchgesetzt hätte. Man wird nun Wohl aus diesem Vorgänge ersehen, daß eine Besserung der Verwaltungszustände in Marokko unter einer derartigen Beamtenschaft völlig unmöglich ist. Deutsches Reich. Berlin, 22. November. Um den zweiten Vorsitzenden des Bundes der Landwirthe, den Herrn vr. Rösicke-Gers- dorf, von dem Vorwurf zu entlasten, daß er durch Hint ansetzung der nationalen Ausgaben zu Gunsten seines Agrar- Programms in Posen die Sacke deS DeutschthumS geschädigt, verweist die „Deutsche Tagcsztg." auf den ausführlichen Ab druck seiner Rede. Da ist inveß wörtlich zu lesen: „Tie Frage, welcher Partei der Candidat sonst angehöre, gebe die Landwirthichaft nichts an, ausschlaggebend allein müsse die Frage bleiben, wie dieser Mann sich zu Len Interessen der Land- wtrthschast stelle. Diesen Grundsatz werde man auch in Posen als den richtigen anerkennen und darnach verfahren müssen. Redner glaubt, es werde sich kein deutscher Mann finden, der sich dessen nicht bewußt sei, daß man nicht deutschnational sein kann, wenn man zugebe, daß die deutsche Landwirthschast zerstört werde". vr. Rösicke verstaub nach dieser Rede unter den Interesse» der Landwirthschast alle die bekannten extremen Forderungen einschließlich der Getreidegrcnzsperre. Dies beiläufig. Im Osten ist die Forderung, die daS Deutschthum zuerst zu stellen hat, ein klares nationales Bekcnntniß. Danach bat der westpreußische Bundesvorsitzende gehandelt, Herr Rösicke nicht. Und das ist das Entscheidende. Feirilleton. Der Page. 22j Roman von A. Heyl. Nachdruck verbat«». „Ich habe mich sehr nach Ihrem Besuch gesehnt", sagte Clotilde; „ich möchte dem Freund meinen Entschluß unver- weilt mittheilen." Er sah sie verblüfft an. „Und er wäre —" Sie holte tief Athem, ehe sie Antwort gab: „Es wird mir schwer, ihn auszusprechen, wie schwer wird es mir werden, ihn auszuführen. Doctor, ich muß dies trauliche Heim verlassen und mein Bod unter fremden Leuten suchen —" „Das kann, das darf nicht sein —" fiel ihr der Doctor bestürzt in die Rede. „Es muß sein", entgegnete sie. „Die jahrelange Krank heit der Mutter hat unsere Mittel erschöpft. Das kleine Anwesen ist mit Hypotheken belastet, ich habe außerdem noch Rückstände zu ordnen und es fragt sich, ob der Erlöß für unsere Habseligkeiten ausreicht, alle Gläubiger zu be friedigen." Der Zuhörer schien seltsam ergriffen. „Das habe ich nicht geahnt", sagte er, vor sich hinblickend. „Ich muß Geld verdienen und zwar so bald wie mög lich", fuhr Clotilde fort. „Man hat mir heute eine ein trägliche Stelle im Schlosse bei Monhardt's angeboten. Die Gräfin Rivero wünscht die oberste Leitung des Haus wesens bewährten Händen anzuvertrauen. Sie war selbst hier, um mir die Stelle anzubieten; die Bedingungen sind überaus günstig, ich habe angenommen." Doctor Franz machte ein bitterböses Gesicht: „Der Kuckuck solls holen", rief er zornig aus. „Warum müssen gerade Sie zu dieser verdächtigen Bande — zu diesem Seelenverkäufer Ich könnte Ihnen Geschichten er ¬ zählen", fuhr der Doctor fort, als Clotilde ihn fragend an blickte — „hab ich mich doch eine Zeitlang in dem Orte auf gehalten, wo Monhardt seine Lagerplätze hatte. Mir ist er immer schon aus dem Wege gegangen — er und sein sauberer Herr Tockmann, den Gott strafen möge, wo er geht und steht." „Dieser freundliche Wunsch scheint sich bereits erfüllt zu haben", sagte Clotilde. „Lockmann soll spurlos ver schwunden sein." „Spurlos verschwunden", wiederholte der Doctor ge dankenvoll. „Hm, hm, habe auch so etwas munkeln hören, meine aber, daß man ihn hat verschwinden lassen, denn er wußte viel von dem verbrecherischen Treiben Monhardt's. Und in diese Gesellschaft wollen Sie gehen?" wandte er sich an Clotilde. Als diese erwiderte, sie könne an der Sache nichts mehr ändern, faßte Doctor Franz Clotilden's Hand und drückte sie innig. „Also sei es denn. Hoffentlich müssen Sie nur kurze Zeit dort bleiben. Was kann ich thun, um Ihre Angelegenheiten ordnen zu helfen? Sagen Sie ohne Umschweife, wie ich Ihnen dienen kann?" „Wenn ich nur einen Käufer fände für mein kleines Anwesen!" seufzte Clotilde. „Die Hypothekengläubiger drängen, weil die letzten Zinsen noch nicht gezahlt sind. Wenn ich nicht bald Rath schaffe, wird mir Alles gerichtlich versteigert." Zu dieser traurigen Mittheilung machte der Doctor merkwürdiger Weise ein vergnügtes Gesicht. Er rieb sich die Hände: „Wenn die Sache nicht schlimmer steht, dann machen Sie sich keine überflüssigen Sorgen. Schreiben Sie mir die Adresse der Hypothekengläubiger auf, damit ich mit ihnen unterhandeln kann. Wegen des Mobiliars über eilen Sie nichts, vielleicht ist es einem Käufer angenehm, es zu übernehmen. Es wäre das Einfachste. Ich werde mal nach Adlershof kommen und Ihnen Bericht er statten —" „Sie, Doctor, Sie wollten nach Adlershof kommen?" fragte Clotilde mit ungläubiger Miene. „Würde Ihnen das nicht furchtbar schwer werden, es ist das Erbe Ihrer Väter —" Der Doctor fuhr mit der Hand über die Stirn und zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann erwiderte er in etwas unsicherem Tone: „Ja, Clotilde, es ist das Erbe meiner Väter und es könnte auch mein Erbe sein, wenn jene vernünftiger gewirthschaftet hätten. Ihr Wahlspruch war „sprös naus Iv ckslugo'-, Ueber meine arme Mutter ist schließlich die Fluth des Elends hereingebrochen. Sie wissen es ja, daß sie mit ihrem Knaben von Haus und Hof getrieben wurde und bis an ihr Ende mit Kümmernissen und Entbehrungen kämpfen mußte. Leider Gottes hab auch ich ihr Sorgen genug gemacht. Ich war ein widerspenstiger Geselle, der sich nicht beugen, sich nicht fügen wollte. Zer fallen mit der Welt, kehrte ich dem Vaterlande den Rücken und zog in die Fremde. Nach einem Leben voll Gefahren und Abenteuern trieb mich die Sehnsucht zur heimathlichen Scholle zurück — gereift — geläutert, versöhnt mit dem Ge schick, mit gesunden Ansichten und redlichem Streben, meinen Platz in der Welt nützlich auszufüllen und auf diese Weise zu sühnen, was meine Vorfahren gesündigt hatten. Was mich an die glänzende Vergangenheit meines Geschlechtes er innern konnte, hatte ich abgelegt, oder es war mir genommen worden; so kam ich denn nicht als der Sprosse eines alt adeligen Geschlechts, sondern als der einfache Doctor Franz, der vor keinem Menschen etwas voraus haben will. Meine Mutter war todt, ich stand allein in der Welt, durch unüber windliche Neigung an dieses Fleckchen Erde gefesselt. Das Erbe meiner Väter war in den Besitz eines Mannes llberge- gangen, den ich verabscheute. Er war Anfangs entgegen kommend, wünschte auf freundschaftlichem Fuße mit mir zu stehen, ich wies aber jede Annäherung schroff zurück. Man schalt mich einem Sonderling, einen Menschenfeind, doch das war mir gleichgültig, ich ging meinen eigenen Weg und be fand mich leidlich wohl dabei. — Es schien mir undenkbar, daß ich noch einmal meinen Fuß über Monhardt's Schwelle setzen würde und nun muß ich es, wahrhaftig nur Ihnen zu Liebe, doch noch einmal thun." Es entstand eine Verlegenheitspause. Doctor Franz sah auf die Uhr: „So spät schon! Da darf ich nicht länger säumen, ich werde in der Mühle erwartet." „Ist dort Jemand krank?" fragte Clotilde besorgt. Der Befragte zuckte die Achsel: „Krank? Hm, eigent lich nicht — und doch — die Braut schwindet mit jedem Tag mehr dahin. Der Alte macht sich Sorgen; ich soll helfen. Wenn ich das könnte. Gegen Seelenleiden hilft keine Arznei." So sprechend, erhob er sich, griff nach Hut und Stock, hüllte sich fest in seinen Mantel und ging in die kalte Nacht hinaus. Clotilde saß noch lange auf dem traulichen Platze, den Kopf in die Hände gestützt, den Blick zu Boden gesenkt, ihre Gedanken folgten dem Manne, der sie liebte. Die kommenden Tage stellten große Anforderungen an ihre Körper- und Seelenstärke; sie mußte ihr Haus bestellen, ehe sie es verlassen sollte, um das Joch der Dienstbarkeit zu tragen. Frau von Monhardt empfing sie mit einer Jereminade: „O du meine Güte, Fräulein Heldenberg, machen Sie sich auf eine Menge Schwierigkeiten gefaßt. Sie werden eine unangenehme Stellung haben. Die Dienerschaft ist wider spenstig. Heutzutage will Niemand mehr gehorchen." Die Gräfin Rivero kam aus dem Nebenzimmer und fiel ihrer Mutter in die Rede. „Lassen Sie sich nicht bange machen, Fräulein", wandte sie sich herablassend an Clotilde. „Hier übergebe ich Ihnen die Schlüssel, das Wirtschafts buch und eine Summe Geldes. Der Jnspector wird Sie in Ihre neue Stellung einweihen. Sollten Sie Anstände haben, so wenden Sie sich nur an mich, ich komme alle paar Tage nach Adlershof, so lange Papas Zustand besorgnißer- regend ist." „Ich hoffe, Frau Gräfin werden mit meinen Leistungen zufrieden sein", sagte Clotilde. „Bin es im Voraus überzeugt, es geht Ihnen ein vor züglicher Ruf voraus", antwortete Melanie mit verbind lichem Lächeln. Clotilde fand sich rasch mit ihren Pflichten zurecht; ihre Stellung war weniger schwer, als sie es befürchtet hatte. Es vergingen der neuen Verwalterin die ersten Wochen auf Schloß Adlershof, ohne daß sie einen besonderen Grund zur Klage gehabt hätte. Eines Abends schritt sie durch die weiten, hallenden Gänge, um in den Zimmern der Gräfin nachzu sehen und die ordnende Hand noch einmal anzulegen, ehe die hohe Dame wieder zu Besuch eintraf. Mit ihr zugleich be trat der Gärtner, welcher erst kurz im Dienste war, das Boudoir. Der Mann ordnete mit Geschmack die den Treib häusern entnommenen Blumen auf dem Marmortisch vor dem großen Wandspiegel nnd legte zwischen Veilchen und Camelien ein zierliches Briefchen nieder. Clotilde fragte er staunt, was es damit für eine Bewandtniß habe; er be hauptete, das Billet von einem unbekannten feinen Herrn er halten zu haben, mit dem Ersuchen, es der gnädigen Frau zwischen Blumen in ihr Zimmer zu legen. „Da ich daS
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