01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-29
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971029015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-29
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-aclion und Expedition: Äohanne««afle 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ttto klemm'« Sortim. (Alfred Hahn), Univerjitätsskraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, katbarinenstr. 14, Part, und Königsplatz?. Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt, brzirt und den Bororlen errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteftäyrlich^i4.üO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljäbrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MpMtr TaMatt Anzeiger. Amtsötait des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes und No lizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich i4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Zisscrnjap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./t 60.—, mit Postbesörderung .M 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 552. Freitag dcn 29. October 1897. 91. Jahrgang. Ein demokratisches Zeugniß wider den Ntramontanismus. L2 Ein römisches Telegramm des „Berliner Tageblattes" besagt: „Der „Corriere de la Sera" beschäftigt sich mit der gleichzeitig emporwuchernden polnischen und süddeutsch.particulari- stischcn Agitation gegen das deutsche Reich, mit welcher gewiß nicht aus bloßem Zufall das Erwachen der klerikalen Propaganda in Italien Hand in Hand gehe. Dieses Manöver sei lediglich auf die vatikanische Diplomatie znrückzusühren, welche zunl Dank für ihre Verdienste um die Herstellung der franko- russischen Allianz einen Freibrief zur Völkervrrhetzung erhalten habe. Was indessen die italienischen Patrioten ermuthigen müsse, das sei die Thatiache, daß Deutschland diesen Vorgängen keineswegs gleichgiltig zuschaue, sondern daß die ganze öffentliche Meinung für die Erhaltung der Reichseinheit in die Schranken trete. Selbst die ultra montane Partei beeile sich, gegen die un kluge Jntriguenpolitik des Vatikans zu protestiren." Bon Protesten letztgenannter Art hat man bisher nichts gemerkt, und wenn sie erfolgen sollten, so würde man wissen, daß sie nur gegen gesprochene oder geschriebene „Unklug- heiten", nicht aber gegen die reichsfeindliche vatikanische Agitation gerichtet seien. Auch sonst sagt das italienische Blatt, wenigstens nach dem telegraphischen ÄuSzuge zu schließen, Manches, was nicht ganz zutreffend sein dürste. Aber so viel ist gewiß, daß die klerikale Propaganda in Italien und die Unterwüblungsversuche in Deutschland auf einen Ursprung und e i » Ziel verweisen. Merkwürdigerweise hat im Wesentlichen das gleiche Thema und wenigstens in erkennbar entgegen gesetztem Sinne die „Frankfurter Zeitung" behandelt. Es geschah das schon vor — nach journalistischen Begriffen — ge- raumer Zeitlöhne daß die Presse der Erscheinung größere Aufmerksamkeit geschenkt bätte, wahrscheinlich weil sie nicht zu sehen vermochte, was hinter der Darlegung des demokratischen Blattes zu suchen sei. Wir befanden und be finden unS in derselben Lage, halten es aber für angezeigt, die Auslassungen der „Frankfurter Zeitung" denen des „Corriere te la Sera" folgen zu lassen. Sie rühren von dem Berliner Correspcndeuten des Blattes her und lauten wie folgt: „Tie offen zur Schau getragene Genugthuung und der Urheberstolz, den man im Vatikan über das rufsisch-französifcheBündniß empfindet, ist an hiesigen politischen Stellen natürlich nicht unbemerkt geblieben und, wie wir glauben, mehr beachtet worden, als die Be- Handlung in der Presse erkennen läßt. In einer Zeit, in der es gleich nach dem Rücktritt Caprivi's einer eifrigen Agitation mittclpartei- licher Elemente gelungen ist, die Regierung von der Existenz einer polnischen Gefahr zu überzeugen und zu einer Aenderung ihrer Polenpolitik zu bewegen, wird begreiflicher Weise auch der Weltpolitik des Papstthums besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Nicht nur in dem Neste der culturkämpferischen Parteien, der seinen Eifer in den Cultusdebatten des preußischen Abgeordneten hauses bethätigt, sondern auch in anderen einflußreicheren Kreisen bei gewissen konservativen Politikern und bei Persönlichkeiten, die in der kirchlichen Bewegung stehen, herrscht andauernd und neuerdings verstärkt aufmerksames Mißtrauen gegen die ultramontane Gefahr. Es geschieht nie ohne be stimmten Zweck, wenn immer wieder der gegenwärtige Reichs tag als beherrscht vom reichsseindlichen Centrum hingestellt wird und eS ist nicht nur Lust an boshaften Scherzen, wenn man von Zeit zu Zeit die Herren vr. Lieber, Schädler und Bachem als „Reichsregenten" bezeichnet. Es ging vor Kurzem ein Artikel der „Daily News" durch die Blätter (auch die „Franks. Ztg." hat ihn erwähnt Nr. 283 H.), in welchem ein „hervorragendefr französischer Katholik" sich über die päpstliche Politik aus- ließ. Er schildert darin, wie der Papst sich der religionslosen Republik und dem schismatischen Rußland genähert, mit Beiden seinen Frieden gemacht und Beide zusammengebracht habe. Ueber den Erfolg seiner Diplomatie sei der Papst sehr erfreut. „Das russisch-französische Bündniß sichere in Deutschland die Freiheit der katholischen Partei: Es erhebe Bayern aus der Stellung eines Vasallenstaates. Süddeutschland sei nicht länger dem Willen des jungen Kaisers ausgesetzt, der Ouirinal gebe zu Klagen gegenwärtig keinen Anlaß, unv wer könne wissen, ob nicht der König von Hannover in Braunschweig wieder zu seinem Eigenthum käme?" — Das sind phantastische Betrachtungen, und der „hervorragende französische Katholik" ist jedenfalls sehr Franzose und sehr Katholik. Er hat recht unklare Vorstellungen von der Stellung Bayerns und Süddeutschlands im Reich. Auch ist nicht klar, was er unter der „Freiheit der katholischen Partei" versieht. Die Tendenz des Ganzen aber ist klar und wir glauben, daß diese Auslassungen an manchen Stellen sehr bemerkt und recht ernst genommen worden sind. Man hat vielleicht er wartet, Laß die Presse der katholischen Partei Widerspruch gegen die Anschauungen erheben werde, daß die Resultate einer päpst lichen Politik, die zum französisch-russischen Bündniß geführt haben, der Partei erwünscht und eine Basis- für ihre Stellung im politischen Leben und zu den politischen Aufgaben des Vaterlandes sein könne. Das Centrum wird mit Recht erwidern können, daß eS nicht nöthig habe, sich gegen phantastische politische Be trachtungen in auswärtigen Blättern zu verwahren. Es wird aber trotzdem an manchen Stellen das Centruin und sein nächstes Ver halten mit einem gewissen Mißtrauen beobachtet werden, und wir müßten uns sehr täuschen, wenn diese Angelegenheit nicht in die parlamentarischen Debatten der nächsten Session bineinspielen sollte. Wenn die Nationalliberalen die Aushebung der preußischen Gesandt schaft beim Vatikan beantragen, wird wohl auch die Welt des Papst- thums u.id ihr Einfluß auf die deutsche Centrumspartei behandelt werden." Wie der Berliner Correspondent der „Frankfurter Ztg." gerade über die vatikanische Diplomatie und das Centruin renkt, wissen wir so wenig, als uns bekannt ist, ob das Blüm lein Mißtrauen gegen daS Centrum in absehbarer Zeil in daS Berliner Erdreich wieder eingesetzt werden und gar dort Wurzel schlagen kann. Die „Franks. Zeitung" selbst, die Ende der siebziger Jahre alles, was an ibr lag, geiban, um Leo XIII. und den deutschen Bischöfen die Anbahnung eines friedlicheren Verhältnisses zu Preußen und damit zum Reiche zu erschweren, bat ihrerseits den Anspruch auf daS stärkste Mißtrauen in solchen Dingen und es kann deshalb nicht als ausgeschlossen gelten, daß die Berliner Eorresponden; Auf nahme gefunden, um den Vatikan in seinem Interesse vor Ueberhebung zu warnen oder um das Centrum auf zureizen und es insbesondere in seinem Widerstande gegen die angekündigte Marinevorlage zu stärken. Aber es bleibt doch die Tbatsache bestehen, daß die ultra montane Gefahr als Gefahr für Deutschland — wohlgemerkt, für andere Staaten bat sie das Blatt immer anerkannt — zum ersten Male ohne Anführungszeichen in seinen Spalten aufgetaucht ist. Die „Frankfurter Zeitung" hat gute Fühlung in den europäischen Hauptstädten, und ihr gegen den Ultra- montanismus abgelegtes Zeugniß wird seinen Werth behalten, auch wenn sie, wie vorauszusehen, in der Unterstützung der Centruinspolitik fortsahren sollte. Cumberland'sche Advocate«. Unter dieser Ueberschrift schreiben die „Hamb. Nachr.": „Die „Braunsch. Landes-Ztg." vertritt den Standpunkt, daß, wenn der Herzog von Cumberland oder sein Sohn die Reichsverfassung und den preußischen Besitzstand anerkenne, ein weiterer Grund zur Ausschließung von der Erbfolge in Braunschweig nicht mehr vorhanden sei. Das Blatt beruft sich dafür auf den Bundesratbsbeschluß vom 2. Juli 1885. Aus diesem ist aber die Ausfassung des braunschweigischen Blattes in keiner Weise zu begründen. Der betreffende Be schluß gebt vielmehr dahin, „daß die Regierung des Herzogs von Cumberland in Braunschweig, da derselbe sich in einem dem verfassungsmäßig gewährleisteten Frieden unter den Bundesgliedern widerstreitenden Verhältnisse zu dem Bundesstaat Preußen befinde und im Hinblick auf die von ihm gellend gemachten Ansprüche auf Ge bietsbeile dieses Bundesstaates, mit den Grund- principien der BundeS-Verträge und der Reichsverfassung nicht vereinbar sei." Daran, daß die Ansschließungsgründe nach einem formalen Verzichte des Herzogs als beseitigt gelten sollen, so daß der Herzog dadurch die Thronfolge in Braunschweig erlangt, steht in dem Bundesratbsbeschluß nicht-. Uebrigens hat der Herzog von Cumberland bisher nicht verzichtet, resp. den preußischen Besitzstand in Hannover anerkannt unv wird es auch wohl kaum thnn. Wenn er eS aber thäte, so würde die Auf richtigkeit ,einer Erklärung keinen Glauben finden und der braunschweiger Hof würde allen gegebenen Versicherungen zum Trotz doch ein welfisckes BerschwörungSnest werden, von dem man sich.der schlimmsten Intriguen gegen Preußen und das Reick versehen könnte. Wir glauben, daß diese Auffassung in allen national denkenden und fühlenden Kreisen des deutschen Volkes getbeilt wird.' Wenn die „Braunschw. Laudes-Zlg." eS trotzdem als ibre Aufgabe betrachtet, den Herzog von Cumberland und seine Ansprüche in Schutz zu nehmen, so darf sie sich nicht wundern, wenn sie damit den Eindruck der Zweideutigkeit erweckt. Die Berufung auf GerechtizkeitSmotive wirkt in diesem Falle nicht überzeugend, schon weil es bis jetzt dem Herzog von Cumberland noch gar nicht eingefallen ist, seine Ansprüche aufzugeben und den preußischen Besitzstand anzuerkennen, vielmehr aus seinen jüngsten Gmundener Privatbriefen deutlich hervorgeht, daß er an dem Standpunkt festhält, den er in seinem Protestsckreiben vom 22. September 1885, resp. in dem an die deutschen Fürsten und freien Städte gerichteten Schreiben declarirt hat. In dem letzteren Schreiben wird ausdrücklich bekundet, daß er seinen Rechtsanspruch auf Hannover nicht aufgegeben hat. Dies kann in Verbindung mit dem jüngsten Gmundener Schreiben nur den Sinn haben, daß der Herzog von Cumberland, wenn er in dem vorerwähnten Protestschreiben seine gereckte Sache dem allmächtigen Gott empfiehlt, mit der Möglichkeit einer welfischen Restauration auf dem Wege einer gewaltsamen Zerstörung des Königreichs Preußen rechnet und sich darauf einrichtet. Oder glaubt die „Braunschw. Landes-Ztg.", daß Preußen die Provinz Hannover dem Herzoge von Cumberland gutwillig ausliesert? Unter diesen Umständen sind wir der Ansicht, daß sich ein Blatt, welches die Ansprüche des Herzogs von Cumberland vertritt, der Begünstigung landeSverrätberischer Umtriebe gegen Preußen schuldig macht und die verfassungsmäßig im deutschen Reiche bestehenden Zustände gefährdet. Wenn die „Braunschw. Landes-Ztg." schließlich erklärt, daß man an der bona tick68 des Herzogs von Cumberland ebensowenig zweifeln dürfe wie an der des BiSmarck'schen RückversickerungSvertrages mit Rußland Oesterreich gegen über, so liegt darin — ganz abgesehen von ter Unschicklich keit dieser Parallele überhaupt — ein neuer Beweis dafür, daß wir in der „Braunschw. Landes-Ztg." wirklich eine Ver treterin der Ansprüche des Herzogs von Cumberland vor uns haben, und zwar eine solche, der jedes Mittel, auch daS ge- schmack- und taktloseste, reckt ist, wenn es ihr nur geeignet erscheint, das angebliche Recht dieses preußenfeindlichen Prä tendenten auf den braunschweigischen Thron zu wahren." Deutsches Reich. SL Berlin, 28. Oktober. In der zweiten November woche werden in Berlin Erneuerungswahlen zur Stadtverordneten - Versammlung stattsinden. Die Wahlagitation bat bereits begonnen und verspricht schon deshalb sehr lebhaft zu werden, weil sich unter dem ausscheidenden Drittel des im Ganzen 120 Mit glieder zählenden StadtparlamrntS fünf hauSbesitzendc Socialdemokraten befinden. Nach der Städteorknung muß die Hälfte oer Bürgervertreter aus Hausbesitzern bestehen, eine Qualität, die man allerdings heutzutage mit sehr wenig Geld erwerben kann. Womit aber nickt gesagt sein soll, daß unter den fünf der Stadtverordnetenversammlung angehörigen socialdemokratischen — in der Sprache der Claffenbewußten gesprochen — „Wobnungswucherern" keine reichen Leute sich befänden; gehört doch Herr Singer zu ihnen. Es werden die größten Anstrengungen gemacht, die Wiederwahl der „Genossen" - Hausbesitzer durchzusetzen, und wie eS scheint, winkt SuccurS aus dem Lager der extrem-radicalen Freisinnigen, deren Brevier die „Volksztg." ist, die aber recht schwach sein dürften. Diese Wahlen werden voraussichtlich de» Interessanten genug bieten, um eine spätere Erörterung zu rechtfertigen. Heule verlohnt es, einen Blick auf die Berliner Kirchenwahlen zu werfen, die am Sonntag für die meisten hauptstädtischen Kirchengcmeindeu (im Ganzen 45 an der Zahl) abgeschlossen worden sind. Einige Gemeinden wählten diesmal nicht, in zweien steht dieWahl noch aus. An den 35 Wahlen, die stallgefunden haben, ist es be- mcrkenSwertb, daß die Liberalen in sechs Gemeinden über die bisher in der Mehrheit befindlichen Positiven den Sieg davongetragen und nur in einer Gemeinde ihre gegen wärtige Majorität an die Positiven abgetreten haben. Diese Verschiebung nach links ist den Orthodoxen und Antisemiten offenbar außerordentlich unangenehm. Tie Wahlergebnisse ändern nichts an der Zusammensetzung der Berliner Synoden, aber sie weisen vielfach auch in Gemeinden, wo die Orthodoxen siegreich geblieben sind, auf eine gesteigerte Regsamkeit der Liberalen bin, die deren Gegner mit großer Besorgniß für die Zukunft zu erfüllen scheint; die Nichtorlbotoxen haben in einigen Gemeinden, wie selbst die „Kreuzzeitung" zugiebt, mit „überraschend" großen Mehrheiten gesiegt. Für Ferrrllstsn. Dichterstimmen aus dem Volke. Nachdruck verboten. II. Neulich war es ein Vertreter von HanS Sachsens Zunft, ein veritablcr Schuster, den wir der langen Reihe in diesen Blättern schon gewürdigter Volksdichter folgen lassen durften, heute ist eS ein echter Bauer, mit dem weitere Kreise be kannt zu machen, wir für unsere Pflicht halten. ES ist der fränkische Bauer Edmund Stubenrauch, dessen letzte Liedersammlung „Pflug uud Laute" (Großen hain und Leipzig, Verlag von Baumert L Rouge) uns vor liegt. Stubenranck ist am 31. September 1859 als der Sobn eines Landwirthes in Hellingen in der coburgischen Enklave inmitten des bayerischen Kreises Untcrfrankcn, zwischen Sckweinfurt und dem an Naturschönheiten reichen, vom Dichter vielfach besungenen Haßgau geboren, nicht weit von dem Städtchen Königsberg, das als Geburtsort deS großen Mathe matikers Regiomontanus (Meister Johannes Künigsperger) berühmt geworden ist. Jene Gegend zeichnet sich — und das mag alte Tradition sein — überhaupt durch die geistige Regsamkeit der meist bäuerlichen Bewohner aus und so verfügte auch Stubenrauch'S Vater über eine für seine Verhältnisse bedeutende allgemeine Bildung, war nicht blos in den Klassikern, in Vilmar'S Literaturgeschichte und der Gartenlaube belesen, sondern war selbst dichterisch und auch musikalisch veranlagt. Von ihm bat Edmund Stubenrauch denn auch den „Trieb zum Fabuliren" und sein schönes poetisches Talent geerbt. In einem wehmüthigen Rückblick auf die letzten, durch Krankheit deS Vater« und hundert andere schwere Sorgen getrübten Iugendjahre sagt er selbst.: Trotz Leid und Leiden hat noch au-geschmückt Sein Leben reich der Vater mit Gelang, Doch bald auch diese Lust unS war entrückt, Es schwieg im Hause Lied und Saitenklang — Da trat ich seine Erbschaft an, den Pflug. Da sang ich weiter, als er schwieg, sein Lied. Ungleich frend^ller als diese den Jüngling rasch, vielleicht zu rasch zum Ma^ie reisende Periode seine» Lehens waren die Tage seiner Kindheit, wo die Welt vor ihm lag „wie eitel Sonnengold", wo er, „das junge Herz so rein, so weit", sich als „wilder, blonder Junge" im Dorf und auf den Fluren tummelte, um nachher auf dem Coburger Gymnasium Casimirianum zwei Jahre hindurch die Rudimente gelehrter Vorbildung recht geschmacklos zu finden. Nach der üblicken Version soll Stubcnrauch auf den Wunsch seiner Mutter, der er zur Hand gehen mußte, die hohe Schule so bald wieder verlassen haben, aber nach seinen eigenen Bekennt nissen war es der unbezwingliche Trieb zu Natur und zur Freiheit und der früh mächtig sich regende Hang zu Romantik und Poesie, waS ihm den Schulzwang verleidete. Später bat er an das Lehrerkollegium des Casimirianum eine humorvolle Epistel gerichtet, in der es n. A. heißt: Gruß zuvor Euch, weise Herren, die Ihr gern mich unterwiesen, Als ich wollte mir vor Zeiten höheren Beruf erkiesenI — Daß daraus ist nichts geworden, und ich wieder bin gegangen, Daran trugen Schuld die Vöglein, die den Frühling schön besangen; Trug die Schuld der Himmelsbogen, der so berrlich lieblich blaute, Während in dem altersgrauen Schulhaus ich Gespenster schaute. Bei dem Dichten hab' vergessen, — o verzeihet! — Eure Normen, Und ich sang in tollen Weisen, sang in ungefügen Formen, Jagte nach den Schmetterlingen, sucht' im Wolde mein Vergnügen, Ließ — Ihr wißt es nun, worüber! — das Vokabularium liegen. In der Matrikel hieß eS dann: „Ist zur Landwirtbschaft gegangen". Ihr ist er denn auch treu geblieben mit Aus nahme einer kleinen Episode, während der wir ibn in Berlin als — Redakteur thätig sehen. Dorthin war er gezogen, al« ihn vorübergehend die engen Verhältnisse seiner Heimath allzu drückend geworden und der Mangel an Verständniß, den man seinen Idealen entgegenbrachte, ihn mit Bitterkeit erfüllte. Lange aber hielt er es nicht im lauten Getriebe der Groß stadt aus, er der schlichte Sohn der fränkischen Scholle: Betrogen hab' ich um des Lenzes Schöne Mich in der ries'gen Wellstadt buntem Treiben; Kalte Paläste, kalte Fensterscheiben Und in den Straßen endloses Gedröhne! Und, just damit mein sehnend Herz es höhne Schwebt selbst in den Alleen von Linden, Eiben Staub, Qualm und Rauch! — wer mag da Lieder schreiben? — Hört' ich doch einmal wieder Lerchentöne! l So kehrte er zurück in die Heimath, an welcher er mit I allen Fasern seine« Wesen« hängt. Wir bei all' den Dichtern und Dichterinnen aus dem Volke, die in unserem Cyklus zum Worte kamen, ist auch bei Stubenrauch das Heimatbsgesühl aufs Stärkste ausgeprägt. Kein Wunder daher, daß diesem nicht wenige seiner schönsten Lieder entsprungen sind. So singt er u. A.: Wie herrlich seid ihr, meiner Heimath Gauen, Wie schön im goldnen Märchenglanz der Sonne, Wie ist es eine Freude, eine Wonne, Ein Wandrer zu durchstreifen eure Auen! — Kein andres Land kann unserm Erdenleben So wie die Heimath wahre Wonne geben — Stets wird das Ziel sie holder Sehnsucht bleiben, Und blutge Thronen weinen all' die Armen Tie Noth und bange Sorge ohn' Erbarmen Aus dem geliebten Paradiese treiben. „Wie gottgesegnet", ruft er anderwärts begeistert aus, „ist mein schönes Franken!" und mit Stolz bekennt er in immer wiederkehrendem Refrain: „Ick bin ein Franke!" Aber nicht minder ausgeprägt wie die Liebe zur Scholle ist bei Stubenrauck die Liebe zur größeren Heimath, zum deutschen Vaterland, auf daS er stolz ist, wie Einer. In seinem Gebet empfiehlt er es Gott, dessen sichtbare Führung ihm aus seinen Geschicken spricht. Ihm bangt, daß das Geschlecht einer im Fortschritt sich überhastenden Zeit, das nur im Verneinen groß ist, den sieghaften Glauben an den Gott der Väter verlieren könne und darum apostrophirt er sein Vaterland: Bei Deinen hohen Zielen, Sag' nicht Dich von ihm los, Mein Deutichland Du, vor vielen. Vor allen Völkern groß! — Dich hat der Weltenlenker Beschirmt zu jeder Frist, — Zeig', daß Du, Volk der Denker, Werth seiner Gnade bist. Echt patriotisches Empfinden spricht auch anS seinem Sonett „Der Napoleonstein bei Leipzig", der ihm der wabre Grundstein der Größe Deutschlands ist. Rings um den rothen Würfel mit Hut und Degen sieht er die Ebene bedeckt mit der Frucht deutscher Arbeit: Schwer nickt das Korn, wohin der Blick auch gleitet — Dir Waffe aber dort läßt uns ermessen, Beim Sichelklang die Wehr nicht zu vergessen Sonst aber sind ihm Sichel und Rechen, Svaten und Wurfschaufel, Egge und Pflug, die Waffen deS Friedens, die liebsten unzertrennlichen Begleiter Jahr auf, Jahr ab und in der Landwirtbschaft erblickt er einen hoben heiligen Beruf, auf den er stolz ist bis zur Eitelkeit. Hinter dem Pflug einherschreitend in harter TageSarbeit bat er seine Lieder er dacht und die besten und vollendetsten preisen denn auch Pflug und Ackerbau. „Ich und mein Pflug, wir beide" das kernige Bauerulied, singt schleicht ihm Keiner nach: Mein Pflug, der ist ein wackrer Gesell, Wer weiß mir blankere Waffen? Seht, wie er funkelt und glänzt so hell, So funkelt er nur vom Schaffen. Wir sind für einander, gehören uns an In Freude, sowie im Leide, So lang ich die Hände noch rühren kann, Ich und mein Pflug, wir Beide. Kaum zu übertreff« ist sein munteres „Schnittcrlied" mit dem jauchzenden Schluß: Nun quillt mir aufs Neue deS Segen» Born, Die Erde lacht fern und nah, Es bräunt sich mein Weizen, es reift mir mein Korn, — Juchheissal — die Ernte ist da! Wie hoch ihm der Beruf des Landbebauers steht, davon legt sein herrliche« „Psluglied" Zeugniß ab: Erhabner Pflug, des Sängers Lied Dir lohne, Wie Du ist edler, heil'ger kein Geräth; Im Range stehst Du nach deS Kaisers Krone, Du nährst den Bettler wie die Majestät. Heiliger Pflug, den uns der Herr gegeben, Das Brod uns zu erkämpfen in die Hand, Was wäre ohne dich de« Menschen Leben, Was ohne Dich daS theure Vaterland? — O Heil dem Volk, da« klug und fromm genug, Als höchste« Gut zu schützen seinen Pflug! Bei solchen Anschauungen ist e« selbstverständlich, daß stolzes StandeSbewußtsein de« Sänger« Brust erfüllt. Er weist, daß der Bauer „deSVolkesKern" „des Volks treu ragende Mauer" unv daß die Freiheit sein Element ist: Ich hab' keinen Herrn — da» vertrage ich schlecht — Bin mein eigener Herr und mein eigener Knecht, Dem Freund bin ich Freund nnd Vertrauter, Die Meinen ernähr' ich mit eigener Hand Und hab' noch wa» übrig für s Vaterland: Ich bin »in fränkischer Bauer.
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