02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971030029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897103002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897103002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-30
- Monat1897-10
- Jahr1897
-
-
-
7968
-
7969
-
7970
-
7971
-
7972
-
7973
-
7974
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
wir ohne Umschweife zur Sache, mein Herr. Morgen soll die Hochzeit meiner Tochter mit dem Grafen Rivero gefeiert werden. Ihnen steht als Jnspector und Verwalter die An ordnung und Vertheilung der Arbeiten zu. Es ist so gut wie nichts geschehen." „Nichts geschehen?" wiederholte Tockmann, große Ver wunderung heuchelnd. „Haben die Leute ihre Pflicht ver nachlässigt?" „Die Leute behaupten, Sie hätten die Arbeit nicht als durchaus dringend bezeichnet, da die Hochzeit meiner Tochter noch ein unsichere Sache sei. Haben Sie sich eine derart unverschämte Aeußerung erlaubt, Herr Jnspector?" platzte Monhardt los. Tockmann that, als ob er sich besinne: „Möglich, daß ich etwas Aehnliches gesagt habe, aber jeden falls mit anderen Worten, als man Ihnen hinterbrachte, Herr von Monhardt. Das gehört übrigens nicht hierher. Wollen Sie mich gefälligst wissen lassen, warum Sie mich eigentlich rufen ließen?" Die unerschütterliche Ruhe des Untergebenen brachte den Schloßherrn außer Fassung. Er beherrschte sich kaum noch. „Um Ihnen zu sagen, mein Herr", stieß er mit zorn bebenden Lippen hervor, „daß sie in Zukunft frei Uber Ihre Zeit verfügen können." „Wie habe ich das zu verstehen, mein Herr?" fragte der Jnspector. „Auf die einfachste Weise, Herr Tockmann, Sie sind von mir entlassen." Nachdem Monhardt diese Entscheidung gefällt, ließ er den zornfunkelnden Blick über die Gesichter der Umstehenden schweifen, um den Eindruck wahrzunehmen, den sein strenger Urtheilsspruch hervorbrachte. Bei Vielen grinste die un verkennbare Schadenfreude entgegen, da prägte sich Schrecken, dort Staunen und Mißbehagen aus. Der Einzige, dessen Züge keine Spur von Erregung zeigten, war Tock mann selbst. Er wandte sich mit ironischem Lächeln an den, der soeben sein Urtheil gesprochen hatte. „Sie können unmöglich überlegt haben, was Sie im Augenblick sagten, Herr von Monhardt. Ich bin kein Mann, Ken man vom Platze jagt, wie einen unnützen Sclaven. Laut Vertrag haben wir halbjährige Kündigung. Sie können das nicht willkürlich abändern. Ihr Machtspruch hat vor Gericht keine Geltung. Wir leben nicht unter Wilden, son ¬ dern in einem civilisirten Staate, wo Gesetz und Recht sirenge gehandhabt werden. Bedenken Sie das, ehe Sie handeln!" Durch die Ruhe des Gegners, durch die selbstbewußte Art, mit der man ihm entgegentrat, aufs Höchste gereizt, vermochte Monhardt seinen Zornesausbruch nicht länger zu rückzuhalten. Er trat dem Jnspector einen Schritt näher, den Stock drohend erhoben, und brüllte ihn an: „Sie erdreisten sich, mir Verhatlungsmaßregeln zu geben, und bedenken nicht, daß ich Sie, kraft meines Hausrechtes, jede Stunde zum Teufel jagen kann, wenn ich Ihnen die entsprechende Entschädigungssumme nachwerfe. Sie lassen sich als Schloß- und Gutsverwalter bezahlen und kümmern sich um nichts, als um den vollen Maßkrug. Die lüderliche Wirtschaft muß ein Ende nehmen. Ein Mensch, der meinem Willen entgegenarbeitet und unsere Pläne zu durch kreuzen sucht, kann in meinem Dienste nicht länger bleiben. Sie gehen noch in dieser Stunde. Folgen Sie mir in mein Arbeitszimmer, wo ich Ihnen Ihr Salair und Entschädi gungssumme sofort ausbezahlen werde." „Ganz wohl", antwortete Tockmann mit eisiger Ruhe. „Hier in Gegenwart der Dienstboten ist keinesfalls der ge eignete Ort, um die Gründe in Erwägung zu ziehen, die ich für mein ferneres Verbleiben auf diesem Posten vorzu bringen habe. Gehen wir in Ihr Arbeitszimmer, wo uns Niemand hört." Das grimmige Blitzen seiner Augen strafte die zur Schau getragene Ruhe Lügen. Monhardt wurde stutzig, er senkte den Stock und verharrte noch einen Moment un schlüssig, ob er weitere Auseinandersetzungen nicht zurück weisen und seinem Ausspruch entgegen allein das Schloß zurückkehren sollte. Die Befürchtung, eine Schwäche zu ver- rathen, ließ ihn bei seiner ersten Anordnung beharren. „Kommen Sie mit", befahl er vorausschreitend. Tockmann folgte ihm in geringer Entfernung. Ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, nickte er den Leuten im Vorübergehen zu und trat mit unbesorgter Miene elasti schen Schrittes in das Schloß ein, das er laut allerhöchstem Befehl noch in dieser Stunde verlassen sollte. Die Verhandlungen zwischen Herrn und Jespector währten lange. Der Jagdwagen war angespannt, Braun wartete ungeduldig auf Monhardt's Schreiben. Die feurigen Rappen scharrten mit den Hufen oder stampften das Pflaster, daß die Funken stoben. Der Knecht ließ sie ein paarmal um den Schloßhof traben und spähte nach dem Portale, ob nicht endlich ein Bote den verheißenen Brief bringen würde, da mit er abfahren könne. Nach Verlauf einer Stunde erschien der Jnspector mit der siegesgewissen Miene eines Feldherrn, der eine entscheidende Schlacht gewonnen hat. Er war im eleganten Reitanzug und schritt, mit lauter Stimme rechts und links Befehle austheilend, auf den Jagd wagen zu, schwang sich behend auf den Sitz und machte Braun ein Zeichen, abzufahren, doch dieser hielt die Zügel kurz und sah den Eindringling verwundert an. „Fahren Sie mich, so schnell die Pferde laufen können, nach der Stadt, Baumstraße 7, zum !>>'. Eschenborn", be fahl Tockmann. Braun widersprach dem Befehle. „Ich habe Auftrag von unserem Herrn, nach dem Gasthof zur „Krone" zu fahren, dort einen Brief abzugeben und —" „Thun Sie sofort, was ich Ihnen sage", unterbrach der Jnspector den Einwand des Knechtes in herrischem Tone: „Monhardt schreibt heute keinen Brief, er ist plötzlich er krankt und braucht den Arzt. Die Hochzeit des Fräuleins wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Vorwärts!" Zweites Capitel. Vor dem Hofthor der Capellenmllhle, auf dem Weg, der zur Landstraße führte, stand der Müller Jakob Sturm, beschattete die Augen mit der Hand und hielt Ausschau, ob sein Sohn, der mit einer Fuhre Mehl nach der Stadt ge- sahren war, noch nicht zurllckkäme. Die äußere Erscheinung des Müllers ließ Niemand ahnen, daß dieser einer der be gütertsten und angesehensten Grundbesitzer in dieser Gegend war, zugleich eine Persönlichkeit, die durch Intelligenz und Charakterfestigkeit in ländlichen Kreisen eine gewisse Be rühmtheit erlangt hatte, bei allen gemeinnützigen Unter nehmungen an der Spitze stand, zu den einflußreichsten Ehrenstellen gewählt wurde und ihren Sitz im Landtag ein- nahm. Jakob Sturm war mittelgroß, breitschulterig, mit Knochen und kräftigen Sehnen ausgestattet. Auf dem kurzen Halse saß ein großer Kopf, dessen graues Haar tief in die Stirne fiel. Das glattrasirte Gesicht zeigte zwar grobe, un schöne Züge, wirkte aber doch vertrauenerweckend durch den Abend-Ausgabe eiMM JaMM Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Jahrgang. Sonnabend den 30. October 1897. Frrrrlletsn. k»r t>er »k» e«r Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Nhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag- um b Uhr. 3, — 4. — >210 »ne rksll Ixvr vr»» aoss voo 020 800 025 325 soo 050 82S S7S soo SOO 875 200 SSO 270 ooo soo den von die so :Usa >,so, 2 6 1^ 1>>- 41- 3S^ 240 275 »00 >50 ,«o ä»; s 2'« 1'!, 5-« 8^ 51, 3'^ v. —> 1-1, S «.so «50 >3.30 >0.40 >2.80 7.50 4.25 >5,60 >7,20 Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuni 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Borgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. >2.— >0,50 >r Arrzetgen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pf^> Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 g— spalten) LO^j, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnjas nach höherem Taris. Ne-action und ErveLitiou: AohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen Geöffnet von früh 8 bis Abends ? Uhr. Filialen: Dtta Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinrnstr. 14, patt, und KömgSplech 7. cin für der da den irr. on 10, il- al- Macht ab. Und wenn eS eine Wirkung des Scheiterns der Obstructionötaktik sein sollte, daß die Agitation unter den Wählerschaften der katholischen Volkspartei und der Cbristlick Socialen mit verdoppelter Kraft ausgenommen wird, s könnte die verlorene Schlacht vielleicht zum Segen dcc DeutschthumeS auSschlagen. 3,40 8,70 >3,75 >8,75 «.10 1-!» 7.75 8^10 >4,50 «50 2.50 4.50 «.50 9.75 1.50 0,50 4,10 oder ater 1520. 8.50 >0,85 >3,25 X),— >9,— 3,80 >6,75 6.25 >1.9Y >2,50 >6,— 8,— >1.80 >5,25 >1,50 >5,50 >5,75 >3.50 1.25 4.50 >4,— >8.80 >2,60 1,25 .5,— 'S,— >9.10 6,20 3 45 6,20 nahezu fertig sein. Tbatsächlich ist es ihnen gelungen, für alle 397 Wahlkreise Candidaten ausfindig zu machen, während bei den vorigen Wahlen immerhin noch etwa 25 Kreise mit socialdemokratischcn Candidaten nicht „beglückt" werden konnten. Etwa 25 Candidaten dürften Polen sei», von denen aber schwerlich ein einziger Aussicht hat, in Reichstag zu gelangen. DaS Gleiche gilt wohl einem Dutzend von Aerzten und Rechtsanwälten, bisher in der socialdemokratischen Parteibewegung gut wie gar nicht hervorgetrcten sind und deren Auf stellung lediglich beweist, daß das akademische Element in der Socialdemokratie immer mehr an Boden gewinnt. Beachtenöwerth ist freilich auch das, denn auS der wachsenden Zahl akademisch gebildeter Neichstagscandidaten läßt sich schließen, daß auch die Zahl der akademisch gebildeten Wähler, die für socialdemokratische Candidaten stimmen, im Wachsen begriffen sei. Besondere Wirkung verspricht sich die social demokratische Parteileitung augenscheinlich davon, daß sie das Gespenst eines Staatsstreiches heraufbeschwört und den Massen einzuredeu sucht, nur eine starke social demokratische NeichStagsfraction könne eine solche Gefahr abwenden. Nun liegt es freilich auf der Hand, daß Staatsstreichsideen, wenn sie wirklich irgendwo vor handen wären, gerade durch ein bedrohliches Anwachsen der socialdemokratischen ReichstagSfraclion Nahrung er halten müßten. Aber die socialdemokratischen Führer rechnen eben mit Wählern, bei denen — die akademisch gebildeten nicht ausgeschlossen — die politische Logik weniger Einfluß auf das Handeln hat, als die Leidenschaft. Und daß sie diese zu erregen verstehen, haben die socialdemokratischcn Agitatoren soeben erst in Baden bewiesen, wo doch sicher lich StaatSstreichSgelüste nirgends bestehen. DaS bedeutende Anschwellen der socialdemokratischcn Stimmen in Baden ist daher eine eindringliche Mahnung an alle Gegner der Umsturzbestrebungen im ganzen Reiche. Was bei Len Landtagswahlen in Baden hervorgetrcten ist, kann überall im Reiche bei den NcichStagswahlen sich zeigen, wenn die bürgerlichen Parteien ihrer berechtigten Verstimmung nicht Herr werden und die Wahlagitation nicht bald energisch in die Hand nehmen. Die socialdemokratischen Agitatoren haben in Volksversammlungen erklärt, 2 500 000 Stimmen und 72 Mandate seien das Ziel, das die Partei sich gesetzt habe. Die Herren pflegen ja bekanntlich den Mund lehr voll zu nehmen und sich mit Hoffnungen zu brüsten, die sie selbst nicht hegen. ES kommt aber auch nur darauf an, die Hoff nungen der Massen und damit ihre Tbalkrafl zu beflügeln, und zu diesem Zwecke ist die Vorspiegelung größter Hoff nungsfreudigkeit der Führer ein sehr geeignetes Mittel. Jedenfalls wird auch die Unterstützung, welche die Social demokratie in Baden von ultramontaner und demo kratischer Seile erhalten hat, die Zuversicht der „Genossen" im ganzen Reiche um so mehr erhöhen, je weniger bis jetzt Aus sicht dazu vorhanden ist, daß die Relchsregierung Las Centrum als einen zu bekämpfenden Feind bezeichnet. Wird cs bei den nächsten Reichstagswahlen gehätschelt wie bisher, so kommt das inbirect auch den Socialdemokraten zu Gute. Der Page. 3j Roman von A. Hehl. Nachdruck verboten. „Sie fahren nach der Stadt, so schnell die Pferde laufen können, halten am Hotel zur „Krone", geben dem Gasthalter einen Brief, den ich Ihnen alsbald einhändigen werde. Was man Ihnen dann an Körben und Kasten auf den Wagen lädt, das bringen Sie hierher. Wenn einer oder zwei von dem Personal, das ich bestelle, noch Platz haben, dann machen Sie keine Umstände und schaffen Sie mir auch diese noch zur Stelle. Gehen Sie jetzt schleunigst an Ihre Ge schäfte." Mit diesen Worten war Fritz Braun entlassen und Monhardt machte nun die Runde im Kreise, sagte jedem Einzelnen ein paar beißende Worte, mußte sich aber von Jedem die Antwort gefallen lassen, sein Jnspector trage die Schuld an den mangelhaften Vorbereitungen zum Hoch zeitsfeste. „Die Abwesenden haben immer Unrecht", meinte Mon hardt achselzuckend. „Wir werden zunächst hören, was Herr Jnspector Tockmann spricht; dort kommt er!" Der Jnspector kam gemessenen Schrittes, ohne eine Spur von Aufregung daher. Den Kopf stolz gehoben, trug er eine Sicherheit, ein Selbstbewußtsein zur Schau, das nicht nur den Untergebenen, das sogar den Herrn in Staunen versetzte. Die hohe imposante Männergestalt hatte etwas Achtunggebietendes, die Gesichtszüge ließen auf scharfen Verstand und unbeugsame Willenskraft schließen. Der Blick der stahlgrauen Augen war leidenschaftlich, bis weilen blitzartig, oft herausfordernd, niemals angenehm. Der Jnspector verbeugte sich vor Herrn von Monhardt und begann, ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen, in höflichen, wohlgesetzten Worten sein Bedauern darüber aus zusprechen, daß er nicht sofort zur Stelle gewesen, als der Herr nach ihm verlangt habe. „Ich konnte zu so ungewöhnlicher Stunde diese Ehre nicht mehr erwarten, sonst hätte ich mich nicht vom Hause entfernt." , Monhardt> fiel ihm zürnend in die Rede: „Kommen Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nottzei-Amtes der Stadt Leipzig. Noch ist die Discussion über die Robilaut'schen „Enk Hüllungen" nicht geschlossen, da meldet sich Francesco Crisp, zum Wort und liest den Treibundgegneru gründlich Leu Ter> Das Charakteristische an den gestern von uns mitgetheilte: Aeußerungen des stets treuen Freundes Deutschlands, der übrigens in freiheitsschwärmerischer Jugend auch Bündniß zwischen Italien, Frankreich und England „natürlich" gehalten, davon aber durch die Macht realen Thatsachcn abgekommen ist, liegt darin, Crispi den Zweibund als eine imminente Gefahr für europäischen Frieden ansiebt und der Ueberzeugung ist, das der Zar Frankreich die Wiedererlangung Elsaß-Lothringenü garantirt habe. In Deutschland faßt man die Sache be kanntlich nicht so pessimistisch auf. Wenn man auch stets auf der Hut ist, um vor Ueberraschungen gesichert zu sein, so glaubt man doch nach den wiederbolten Erklärungen des Zaren, den Aeußerungen derjrussischen Presse und vor Allem auf Grund einer sachlichen Beurtbeilung der internationalen Machkverhältnif'. sich der Ueberzeugung hingeben zu dürfen, daß die Spitze des Zweibundes nicht gegen Deutschland, sondern gegen England gerichtet ist, und daß die Verbindung mit Rußland eher mäßigend und zurückhaltend als stimn- lirend auf Frankreich wirkt. Aber wie dem auch sei, jedenfalls wird die Ueberzeugung CriSpi's die Freunde des Dreibundes in Italien nur in ihrem Festhalten an diesem Bollwerk des Friedens bestärken, Len» mit dem protestantischen Deutschland ist zugleich die staatliche Selbst ständigkeit Italiens bedroht, an deren Unlerwüblung der Vatikan jetzt eifriger denn je arbeitet. Bei diesem Zerstörungs werke aber ist es gerade Frankreich, welches er durch die Unler- stützung der inneren Politik der jetzigen französischen Machthaber als Slurmbock gegen Italien zu gewinnen hofft, dasselbe Franl reich, das ein Theil der italienischen Diplomaten, und darunter bekanntlich auch Herr Rutini, glaubt umschmeicheln zu müssen. Die Mehrheit des italienischen Volkes aber sieht den nu- geheuren Vorthcil Wohl ein, den das Land aus seinem Drei bundverhältnisse zieht, und deshalb haben die Nobilant'sckeu „Enthüllungen" in Italien so gut wie gar keinen Eindruck ge macht. Viel ernster wurden sie im Auslande genommen. Dieser letzteren Auffassung treten beute die „Hamb. Nachr." entgegen, indem sic in Uebercinstimmung mit unserer Auffassung ausführen, daß der vor elf Jahren geschriebene Brief eines damaligen Ministers für die gegenwärtige politische Situation nichts bedeute, daß Graf Robilant seine Auffassung selbst geändert habe, indem er den Dreibund doch erneuerte, und daß dies alle folgenden italienischen Minister für unerläßlich gehalten haben. Wenn außerdem der Robilant'sche Gedanke, Laß der natürliche Ver bündete Italiens England sei, von Neuem wie das Programm der italienischen auswärtigen Politik der Zukunft behandelt wird, so ist dem gegenüber mit den „Hamb. Nach richten" zu erwähnen, einmal, daß der Dreibund eine die italie nischenMittelmeerinteressenberücksichtigendeAllianzmilEuglaud mögen aber wohl manchmal augenblickliche Erfolge hervor-1 nicht ausschließt, sodann aber, daß die in den letzten Jahren zubringen, dauernde Erfolge aber hängen von ter realen > gemachten Erfahrungen in Italien schwerlich allgemein die sind nicht davor zurückgescheut, die Geschäftsordnung zu brechen, indem sie beschlossen, die Verhandlung über die Ministeranklage zu unterbrechen und statt dessen das Ausgleichsprovisorium aus die Tagesordnung zu setzen. Einem solchen Verfahren gegenüber kann man cS den Deutschen nicht verdenken, wenn sie zu den äußersten Mitteln greifen, uni sich ihrer Haut zu wehren. Nach dem an genommenen Antrag JaworSki sollen in den TageS- sitzungcn die Ministeranklagen, in den Abendsitznngen die Ausgleichsfragen beratben werden. Um nun zu verhin dern, daß die Verhandlungen über Letztere zu einem Abschluß gelangen, schickt die Linke Dauerredner, wie den Abgeordneten Lecker, ins Feld, der durch seine zwölf Stunden währende Rede die Mebrheitsparteien und das Präsidium zu ermüden und zur Aufhebung der Sitzung zu bewegen hoffte. Daß es nebenher an dem üblichen Spectakel, an Unterbrechungen, Doppelreden u. dgl. nicht fehlte, hat man ja aus den Sitzungsberichten ersehen. Zum Ziele freilich werden die Deutschen auf ^iese Weise nicht gelangen. Die RegierungScoalition hat Stand gehalten und sich durch eine 27stündige Sitzung nicht mürbe machen lassen. Sie wird aller Voraussicht nach auch weiter derartige Ver suche paralysiren, und nachdem sie einmal gegen Verfassung und Geschäftsordnung gesündigt bat, indem sie die erste Lesung des Ausgleichsprovisoriums willkürlich decretirte, ebenso dessen Annahme durchsetzen. Damit aber, daß ein Mittel der Deutschen, ihre Sache zu vcrtheidigen, fehlgeschlagen ist, ist glücklicherweise noch nicht gesagt, daß die Sache selbst verloren ist. Eine verlorene Schlacht bedeutet noch nicht einen verlorenen Krieg. Wenn auch die österreichische Regie rung durch die Annahme des Provisoriums einer augenblick lichen Zwangslage überhoben sein wird, so wird sie sich darauf gefaßt machen müssen, daß nach dem 1. Januar die Forderung der Aufhebung der Sprachenverordnungen mit doppelter Kraft auftauchcn wird. Eine österreichische Negierung kann wohl gegen einzelne deutsche Parteien regieren, aber nicht gegen den deutschen Volksstamm. Deshalb gilt es, sobald der Obstructionskampf verloren sein wird, den Kampf aus dem Parlament in das Volt zu übertragen. Vor allen Dingen müssen die Wählerschaften der katholischen Volkspartei und der Christlich-socialen mobilisirt werden. Die Ersteren gehören noch immer der Rechten an, und der Antrag Dipauli's, sowie der Rücktritt Kathreiu's sind nur Scheinmanöver, um das Volk über die verräterische Haltung ihrer parlamentarischen Vertreter hinwegzutäuschen. Die Letzteren, die erst nach langem Zögern der deutschen Opposition beitraten, haben bei dem Anträge Jaworski eine mehr als zweideutige Rolle gespielt, denn vr. Lueger wurde offen vorgeworfen, mit dem Grafen Badeni verhandelt zu haben. Es muß auf die Wählerschaften dieser beiden Parteien eingewirkl werden, daß sie von ihren Abgeordneten ver langen, ohne Vorbehalt auf die Seite der deutschen Opposition zu treten. Erst wenn das Deutschthum einig ist, kann ge hofft werden, daß die Regierung nachgiebt. So lange aber deutsche Abgeordnete an der Seite der Gegner des Deutschthums fechten, kann man es der Regierung kaum verübeln, wenn sie die Forderungen der Deutschen nicht respectirt. Deshalb ist unserer Meinung nach die Agitation im Volke wichtiger noch, als die parlamentarische Obstruction. In dem einen Falle handelt es sich um ein praktisches und reales, in dem andern um ein nur taktisches Mittel. Taktische Mittel ver- VezugS-Prei- der Hauptexpedition oder den <m Stadt» duirk und dea Bororten errichteten AuS- aabestellrn ab geholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hou- ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^i 6.—. Direcie täglich« Kreuzbandienduug tuS Ausland: monatlich 7.50. rlek >625 >675 >250 >725. >475 >175 «00 >675 600 >650 >250 250 720 Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. October. Die zweifellos officiöseMeldungdesWolff'schenTelegraphen bureaus, daß der Entwurf der Militairstrafproccstordnuna im Bundesrathe demnächst zur Berathung und Beschluß fassung gelangen werde und daß damit die Einbringung des Entwurfs im Reichstage gesichert sei, enthält zwar nichts über die Form, in der der viel umstrittene und fast schon sagenhaft gewordene Entwurf vom Bundesrathe an den Reichstag ge langen und von der es bekanntlich abhängen wird, ob Fürst Hohenlohe sein Versprechen als erfüllt ansehen und mithin noch länger Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident bleiben kann; aus der weiteren Meldung aber, daß der Kaiser vor seiner Abreise nach Liebenwerda dem Reichskanzler einen längeren Besuch abgestattet habe, läßt sich wohl mit Recht schließen, daß die Entscheidung über den Entwurf so gefallen ist, wie der Kanzler es wünschen mußte. Da nickt bekannt geworden ist, daß die betreffenden Ausschüsse Les Bundesraths neuerdings mit der Vorlage sich beschäftigt haben, so muß man annehmen, daß sie ihre Arbeit schon vor einiger Zeit beendet hatten, daß «her der Kaiser als König von Preußen sich bisher nicht hatte ent schließen können, seine Zustimmung zu der Jnstruirunz der preußischen Stimmen im Bundesrathe im Sinne der Äusschußbescklüsse zu geben. Diese Entschließung muß plötzlich gefaßt worden sein und ist augenscheinlich so aus gefallen, daß Fürst Hohenlohe mit seinem Versprechen nicht in Widerspruch kommt. Denn er wäre genöthigt gewesen, seine Demission zu geben, wenn ihm zugemuthet worden wäre, die preußischen Stimmen im Bundesrathe in einem diesem Versprechen zuwiderlaufenden Sinne zu instruiren. Man darf also erwarten, daß der Ent wurf den „modernen Rechtsanschauunben" ent sprechen werde, wie Fürst Hohenlohe es im Früb)ahre 1896 verhieß. Wie in ihm die Frage dcS vermeintlichen baye rischen Reservatrechts auf einen obersten Militair- gerichtShof gelöst sein wird, kann erst die Zeit lehren. ES ist aber schwerlich anzunehmen, daß der bayerische Anspruch in den Ausschüssen dcS BundeSraths niedergestimmt worden sei und auch im Plenum niedergestimmt werden solle. Hat Bayern nicht im letzten Augenblicke nachgegeben — was im Hinblicke auf die Stimmung in Bayern nicht wahrschein lich ist —, so liegt die Annahme nahe, daß durch Ein willigung deS Kaisers in kaö wenigstens vorläufige Fortbestehen des obersten bayerischen MilitairgcrichtS- hofeS dieser böse Stein deS Anstoßes aus dem Wege geräumt worden sei. In Bayern würde eine derartige Ent scheidung die dem Reiche so wenig günstige Stimmung wesentlich verbessern und in den übrigen Staaten die Freude über die Verwirklichung der schon so lange ersehnten Reform nicht vermindern. Ob man jemals Genaueres über die Ursache des plötzlichen kaiserlichen Entschlusses erfahren wird, muß dahingestellt bleiben. Auf alle Fälle hat Fürst Hohenlohe cö an eindringlichen Vorstellungen nicht fehlen lassen; ob diese aber die erwünschte Wirkung gehabt haben würden, wenn nicht der Ausfall der badischen Wahlen dem Kaiser den Wunsch nahe gelegt hätte, einen der wesentlichsten Gründe der weit verbreiteten Mißstimmung zu beseitigen, wer könnte das entscheiden? Mit ihren Wahlvorbereitungen für die nächsten I heitsparteien, welche in ihrem Kampfe gegen die deutsche Ob- Reichstagswahlen solle» I' "" Im österreichischen Abgeordnetenhause spielt die deutsche Opposition eine Rolle, die nichts weniger als schön ist, aber sie sieht sich dazu gezwungen und trägt keine Schuld an dem schlimmen Spiel. Liese fällt allein auf die Mehr- die Tocialdemokratcn > struction bis zur offenen Vergewaltigung gegangen sind. Sie
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- No fulltext in gridpage mode.
- Show single page
- Rotate Left Rotate Right Reset Rotation
- Zoom In Zoom Out Fullscreen Mode