01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971214013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897121401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897121401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-14
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Gröbere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit dec Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfördernng 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde fruher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig. 638. DieuStag den 14. Deccmber 1897. 81. Jahrgang. Die Flottenfrage, -ie Socialdemokratie und die Arbeiter. In dem Streit wegen der Vermehrung unserer Flotte, wie er in der Press« und im Reichstage geführt wird, ist ein Factor, der mit am lautesten und stärksten für diese Ver mehrung spricht, bisher, wie mir scheint, noch bei Weitem nicht entschieden genug in den Vordergrund gestellt worden. Ich meine das Wohl und Wehe unseres Arbeiter standes. So lange wir noch nicht in dem paradiesischen Zu kunftsstaate der Herren Liebknecht und Bebel, sondern in unserem heutigen Wirtschaftsleben uns befinden, so lange wird daS ausschlaggebende Moment für die Ver besserung oder Verschlechterung der ökonomischen Lage des Arbeiters immer der Aufschwung oder Niedergang der Industrie sein. Nun beruht aber der Aufschwung unserer deutschen Industrie, wie wir noch unlängst in der Leipziger Ver sammlung vom 7. December von einem sachkundigen Redner gehört haben, zu "/z auf unserer Ausfuhr in fremde, und davon wiederum zu einem großen Tbeil in überseeische Länder. Zwar hat Herr Schönlank im Reichstag behauptet, unser Ausfuhrhandel babe sich auch ohne Flotte gedeihlich entwickelt. Allein von derselben sachkundigen Seite ist uns gesagt worden, der Handel Deutschlands habe sich seit der Begründung des Reiches, also seit der Zeit, wo wir auch anfingen, uns webr- baft zur See zu machen, verdreifacht. Kann nun auch dieser Aufschwung nicht ausschließlich, ja vielleicht nicht einmal vor zugsweise auf Rechnung des Schutzes gesetzt werden, den die Kriegsflotte dem Handel bot (weil in diesen Zeitraum die Periode fällt, wo leider unsere Flotte im Rückgänge und darum nicht immer in der Lage war, einen solchen Schutz in ausreichendem Maße zu gewähren), so ist andererseits soviel unbestritten, daß der so bedeutend gesteigerte Handel nach überseeischen Ländern einen erhöhten Schutz durch eine stets dazu bereite Flotte erheischt. Denn, so wahr das englische Sprüchwort ist: tracke Lilows tlagx, „der Handel folgt der Flagge", d. h. der Welthandel entwickelt sich im Verhältniß zu der Ermuthigung, die er durch den ihm gesicherten Schutz einer Kriegs flotte erfährt, ebenso wahr ist das Umgekehrte, daß die Wehr haftigkeit zur See dem Handel in seinem Aufschwünge folgen, d. h. ihm denjenigen Schutz überall und zu allen Zeiten sichern muß, dessen er bedarf, wenn er nicht Schaden leiden, dadurch aber zurückgehen, wohl gar verkümmern soll. In ganz be sonderem Maße ist die« dann der Fall, wie ganz richtig bemerkt worden ist, -wenn unser Handel durch die ganze Natur der allgemeinen Verhältnisse je mehr und mehr darauf angewiesen ist, die allerentferntesten Absatzgebiete auf zusuchen, und darunter auch solche, wo der friedliche Verkehr nicht durch Gesetze oder Sitten vor Gcwaltthätigkeiten ge sichert ist, sondern nur durch die vernehmliche Sprache der Kanonen. Ist dem nun aber so, dann ist die Schlußfolgerung leicht, daß unsere so massenhaft gerade in der AnSfubrindustrie und rcm Ausfuhrhandel beschäftigte Arbeiterbevölkerung sich nur insoweit Wohlbefinden und in ihrer ökonomischen Lage vor wärts kommen kann, als diese beiden gewaltigen Hebel deS Nationalwohlstandes gut functioniren, daß sie aber in ihrem Wohlbefinden zurückgehen und schließlich Noth leiden muß, wrnn dies nicht der Fall ist. Abgesehen von den Tausenden von Händen, die im Schiffsbau und in der An- wnigung der Maschinen und der sonstigen Hilfsmittel, die dazu nothwcndig sind, beschäftigt sind, steht und fällt, steigt oder sinkt der Arbeitsverdienst der vielen, nicht b-oS nach Tausenden, sondern nach Millionen zählenden Gruppen von Arbeitern, die in der Eisen-, der Textil- und allen den anderen wesentlich auf den Export angewiesenen Industrien ihren Erwerb finden, mit dem Blühen oder Kranken eben diese« Exportes. Daß die Wortführer der Socialdemokratie dies nicht ein sehen, oder, obwohl sie es einsehen muffen (denn so blind können sie nicht sein, um es nicht einzuscben), gleichwohl so handeln, als gehe sie dieses so handgreifliche Wohl oder Wehe unserer industriellen Bevölkerung nichts au, das ist nur ein neuer und schlagender Beleg dafür, wie wenig es ihnen trotz all ihrer angeblichen Arbeiterfreundlichkeit um das wahre Interesse der Arbeiter zu thun ist. Um so freudiger ist eS zu begrüßen, wenn aus der Mitte der Arbeiterschaft heraus sich Stimmen vernehmen lassen, welche bezeugen, daß wenigstens ein Theil derselben sich dieser Einsicht nicht verschließt. Eine solche Stimme, und zwar eine sehr kräftige, ertönt aus dem Organ eines der wenigen Arbeitervereine, welche sich von der Verblendung durch die Socialdemokratie frei erhalten haben. In dem „Evange lischen Arbeiterboten, Organ des Gesammtverbandes der Evangelischen Arbeitervereine Deutschlands" (Nr. 99 von 1897) ist Folgendes (speciell in Anknüpfung an die Rede des Herrn Schönlank gegen die Marinevorlage) zu lesen: „Man muß sich nur Wundern, daß die Arbeiter es so ruhig hinnebmen, wenn von diesen Herren, welche sich als die geborenen Vertreter der Ardeiterinteressen aufspielen, den letzteren mit Fäusten inS Gesicht geschlagen wird. Denn es ist doch keine Frage, daß der Äau von so großen Schiffen auf sieben Iabre hinaus vielen Tausenden von Schiffsbauern und anderen Arbeitern dauernde Arbeit und Verdienst giebt. Und daß die Unterstützung und der Schutz des Handels durch die Flotte der deutschen Industrie und durch sie auch den Industriearbeitern zu Gute kommt, liegt auf der Hand. ES ist also ein Faustschlag ins Gesicht der Arbeiterinteressen, wenn die Socialdemokraten die Vorlage ablehnen. Und doch wählen und unterhalten die Arbeiter mit ihren Groschen diese Vertreter im Reichstage! Wenn sie die Herrschaft hätten, könnten wir unS in Deutschland in Erdlöcher verkriechen und Kraul und Wurzeln verzehren, denn ohne Handel giebt es keine Industrie, und ohne Industrie keine Arbeit und keinen Verdienst für die Arbeiter. Daß aber das Gedeihen des Handels von dem Bestehen einer Flotte abhängt, beweist die Thatsache, daß nur die Völker bedeutenden Handel haben, welche Kriegsschiffe zu seinem Schutze aussenden können, und daß auch der deutsche Handel erst gewachsen ist, seit deutsche Kriegsschiffe im fernen Auslande die Flagge des deutschen Reiches zeigen, ist unbestreitbar. Aber die Arbeiter sind wie mit Blindheit geschlagen: die Regierung und die anderen Parteien haben die Entwickelung des Reiches gefördert, so daß Industrie, Gewerbe und Handel blühen und die Arbeiter Verdienst haben, sie haben den Arbeitern Versicherungs- und Schutzgesetze gemacht, um ihre Lage zu verbessern — die Socialdemokraten haben gegen das Alles opponirt —, aber die Arbeiter halten es trotzdem mit den Socialdemokraten, unterstützen sie mit ihrem Gelde. Wir wollen nicht hoffen, daß einmal eine Zeit kommen wird, wo die Arbeiter Anlaß haben werden, für diese Hal tung ihrer Vertreter büßen zu müssen! Wenn die Arbeiter ihre Interessen wirklich verständen, so müßten sie Mann für Mann für die Flotten-Vorlage eintreten. Die sachlichen Gründe für letztere sind aber so mächtig, daß zu hoffen steht, die in ihr liegende Vernunft werde sich doch noch zur Geltung bringen." Es wäre zu wünschen, daß recht viele Arbeiter diese Stimme aus den Kreisen ihrer Arbeitsgenossen vernähmen und beachteten! Karl Biedermann. Deutsches Reich. * Leipzig, 13. December. Aus Greiz schreibt uns unser bewährter Berichterstatter: Die Notiz eines süddeutschen Blattes, es habe schon seit Iabren keine Eonsiscation des „Kladderadatsch" stattgefunden, ist unrichtig. Es sind im Auftrage der fürstlichen Staatsanwaltschaft wiederholt Nummern des „Kladderadatsch" beschlagnahmt worden, welche auf den Fürsten Reuß ä. L. bezügliche Artikel enthielten. — Dresden, 13. December. Anknüpfend an die Ver sammlung des Nationalliberalen Reichsvereins und an das in ihr gegebene Referat deS Herrn Reichsgerichts raths Or. Stenglein über den Entwurf des Militair- strafprocesseS glaubt die „Leipz. Volkszeitung" sich sich darüber aufhallen zu sollen, daß eine vom Vorsitzenden Herrn vr. Vogel (nicht Fabrikant Eollenbart, wie die „Volks zeitung" meldet) in Vorschlag gebrachte Resolution nicht angenommen, sondern auf Intervention deS Herrn Rechts anwalts Pfeilschmidt mit Majorität abgelehnt sei. Die Meldung ist ungenau, da die Resolution selbst gar nicht zur Abstimmung gebracht, sondern durch die Vorfrage erledigt wurde, daß eine Resolution überhaupt nicht gefaßt werden solle. Diese Ablehnung erfolgte nicht aus dem Grunde, den die „Volkszeitung" der Versammlung zu unter stellen sich beeilt, sondern lediglich in Rücksicht darauf, daß Officiere und MilitairgerichtSbeamte dem Vor trage angewobnt hatten und füglich nicht in die Verlegenheit gesetzt werden konnten, entweder sofort den Saal zu verlassen oder der Abstimmung über eine Resolution an- zuwoknen, die sich als eine politische, eine Regierungsvorlage abfällig beurtheilende charakterisirte. Daß für diesen Act höflicher Rücksichtnahme die „Leipz. Volkszeitung" kein Ver- ständniß hat, ist nicht verwunderlich; immerhin wäre es Wünschenswerth gewesen, wenn Herr Rechtsanwalt Pfeilschmidt sich etwas klarer ausgedrückt hätte, als eS der Fall gewesen ist. 0. H. Berit», 13. December. Einstimmig hat die ge mischte Deputation für die Errichtung eines Denkmals für die Märzgefallenen beschlossen, zur Feier der fünfzigsten Wiederkehr deS 18. März den in der Tbat verwahrlosten Kirchhof in besseren Stand zu setzen, die Errichtung eines Denksteins aber wurde, wie schon berichtet, abgelehnt. Eigentlich waren es acht von vierzehn anwesenden Deputationsmitgliedern, die einen Denkstein gesetzt wissen wollten; da aber bei der Abstimmung darüber, ob auf dem Steine die Inschrift „gewidmet von der Stadt Berlin" angebracht werden sollte, sich Stimmengleich heit herausstellte und der Vorsitzende den AuSscklag gegen die Anbringung der Inschrift gab, so wurde die Errichtung des Denkmals abgelehnt, weil Herr vr. LangerhanS und zwei seiner radicalen Freunde auf ein Denkmal ohne die erwäbnte Inschrift keinen Werth legten. Im Plenum der Stadtver- ordneten-Versammlung wird sicherlich das Denkmal mit In schrift angenommen werden, weil die Socialdemokraten, die neue Fraction Ladewig und Genossen und die Linke (vr. Langerbans, Hermes) weitaus die Majorität haben, und dann ist derConflict fertig. Herr Oberbürgermeister Zelle hätte sich dagegen sträuben müssen, daß überhaupt eine ge mischte Deputation eingesetzt wurde; er hat eS nickt nur nicht gethan, sondern sogar den Vorsitz in der Commission übernommen, um es mit den Herren LangerhanS, Ladewig und Genossen nicht zu verderben. Nun muß er es erst rechl mit ihnen verderben. Mit vollem Recht ist in der Deputation angeführt worden, daß in Regierungskreisen die Errichtung eines Denkmals für die Märzgefallenen als Demonstration aufgefaßt werden würde und müßte. Um daS zu verhüten, wird der Oberbürgermeister sich gegen die Aufwendung tädtischer Mittel zur Verherrlichung der Revolution stemmen müssen. Es konnte ja nicht ausbleiben und nicht verhütet werden, daß zur Enthüllung die „Genossen" in Schaaren mit Kränzen und rothen Sckleifen herbeiströmten und daß dadurch die ganze Feier den Anstrich einer Verherrlichung der Revolution erhielte. Und dazu Geld aus städtischen Mitteln herzugeben, kann der Oberbürgermeister nicht befürworten, ohne den Einspruch der Regierung zu provociren. Berlin, 13. December. Bei der Bedeutung, die der Marineetat in der laufenden Session Hai, sind die Etats-Ausweise der Marineverwaltung von besonderem Interesse. Im Ordinarium beliefen fick die Etatsüberschreitungeu bei fortdauernden Ausgaben ini Gesammtbetrage von 56,5 Mill. Mark auf 0,7 Mill. Mark; bei den einmaligen Ausgaben in Höhe von 29,9 Mill. Mark auf 0,21 Mill. Mark; im außerordentlichen Etat ist bei einer Ausgabe von 5,8 Mill. Mark keine EtatSübersckreitung vorgekommen. Die Ueberschreituuzen ini ordentlichen Etat waren durch Vermehrung der Unterbeamten, Fach-, Dienstalters-, Reservisten- und Commandozulagen bc dingt, durch Landzulagen bei vorübergehender Ausschiffung ini Ausland, für Betriebs-, NeinigungS- und Beleuchtungsanlagen, Lootsen- und Hafengelder, Havariekosten. Durch VersetzungS- und Informationsreisen wurden 45 000 durch Ablösung von Schiffbesatzungen 252 756 ^ über den Etat erforderlich. An sächlichen Ausgaben erforderte die Instandhaltung der Schiffe 87 506 mehr, für Vermessungsausgaben 15 570 an Zuschüssen zur Krankenversicherung 30 000 Bei den einmaligen Ausgaben stellte sich heraus eine EtatSüber sckreitung von 109 954 beim Bau deS Panzerschiffes „Ersatz Friedrich der Große" und 82 000 beim Bau des Kreuzers zweiter Classe X; dann wurden noch etwa 17 000 aufgewandt zur Verbesserung der Außenjade und für'Zulagen an den Commandanten und die Marinevfsicicre auf Helgoland; schließlich wnrden noch 28 500 für die Herstellung der durch Feuer zerstörten Sckicßstandsbrücke in Friedricksort notkwendig. Vergleicht man hiermit die vorangegangenen Jahresabrechnungen, so tritt deutlich hervor, zunäckst wie gewissenhaft die Marineverwaltung — was von radicaler Seite so ost angezwcifelt wird — sich an die Grenzen im Etat hält, ferner aber, daß auf dem Gebiete der Kriegs? schisssbauer in der Thal für die Technik eine Zeit der Rübe gekommen zn sein scheint, die weitsichtigere Pläne in Angriff zu nehmen gestattet. V. Berlin, 13. December. (Telegramm.) Der Kaiser begab sich gestern in Begleitung des Prinzen Adalbert in die Garnisonkirche zu Potsdam und besuchte nach dem Gottes? dienst das Regimentsbaus des 1. Garde-Regiments z. F. Während der Frübstückstasel, an welcher auch der ehemalige Botschafter Graf Schweinitz theilnabm, empfing der Kaiser den Generaloberst von Lov, den mit der Führung deS Garde corps beauftragten General von Bock und Polack und den Admiral Köster. Am Nachmittag unternahm der Kaiser einen Spaziergang und arbeitete darauf allein. Zur Abendtascl waren keine Einladungen ergangen. Heute Morgen Hörle Heinrich Heine nn- die Gegenwart. (IS. December 18-7.) Hundert Jahre sind verflossen, seitdem Heinrich Heine in Düsseldorf das Licht der Welt erblickt hat*) — und so wenig ist er jetzt am Ende des Jahrhunderts eine verschollene «öröße, so wenig bloS eine einbalsamirte Mumie der Literatur geschichte, daß sein Einfluß in den Strömungen der Gegen wart allenthalben nachweisbar ist und sein Name im Munde rer jüngsten Geschlechter lebt, ganz so wie er im Munde seiner Zeitgenossen lebte, wenngleich seine Gegnerschaft jetzt noch ebenso groß ist, wie sie damals war und auch jetzt noch eine beträchtliche Zahl sich ablehnend gegen die Selbst einschätzung des Dichters verhält: Und nennt man die besten Namen, So wird auch der meine genannt! Doch Wenn man auch zugeben würde, daß Heinrich Heine lein großer Dichter war, keiner der Koryphäen der Welt literatur, die ihren Namen durch ihre dichterischen Schöpfungen einer bewundernden Nachwelt vererben — so war er doch eine literarische Potenz ersten Ranges, mit welcher Jeder rechnen muß, der die Entwickelung unserer Literatur in kiefern Jahrhundert verfolgt und am Schluß desselben ihre Bilanz zieht. Heinrich Heine war nichts weniger als ein productiver Dichter, der große Werke von künstlerischem Werth geschaffen. Wenn man die« auch im Allgemeinen als Kriterium des dichterischen GenieS betrachten muß, so darf damit doch nicht die Vielschreiberei verwechselt werden, die ein Drama nach dem anderen auS ihrem Tintenfaß derauSschöpft oder eine langathmige poetische Erzäblung, einen bändereichen Roman nach dem anderen au» sich herauSspinnt; denn auf viele dieser unermüdlichen Producenten kann man Wohl die Worte auS Platen'S Parabasen anwcnden: Er schmierte, wie man Stiefel schmiert, vergebt mir diese Trope, Und war ein Held an Fruchtbarkeit wie Eatderon und Lope. Keiner dieser Poeten und Romandichter mit bändereichen GesammtauSgaben hat daS Recht, sich einem Heine gegen *) Neuerdings wird vielfach da» Jahr 17SS al» da» Geburts jahr de» Dichter» bezeichnet. über auf das hohe Pferd zu setzen. Wohl sind große Genies wie die von Platen erwähnten auch fruchtbar gewesen; doch die Fruchtbarkeit allein ist kein Kennzeichen des Genies und reiche Erfindungsgabe nur eine Mitgift desselben, die es mit manchen untergeordneten Talenten theilt. Wenn Heinrich Heine kein productiver Dichter auf dem Gebiete des Dramas und des Romans war, so würde das seinen Ruhm wenig beeinträchtigen. Ein einziges Werk kann einem Dichter dauernden Nachruhm schaffen; man kennt ja die Fabel vom Löwenwurf: unum, »eck loonom. Un günstiger aber ist es für des Dichters Conto und ergiebt einen offenbaren Fehlbetrag, daß er sich in Drama und Novelle versucht, aber nur theils Wertbloses und Erfolg lose«, tbeils Unvollendetes zu Tage gefördert hat. Seine Dramen Ratcliff und Almansor, wenngleich das erstere neuerdings auch einem Librettisten die Grundlage gegeben, sind doch schablonenhafte dramatische Erzeugnisse, matte, lebensunfähige Ausläufer der romantischen Schule. Man darf deshalb den Stab nicht über dem Dichter Heine brecken, denn wo blieben sonst Uhland und Rückert? Die Schauspiele des Ersteren sind zwar öfters auf der Bühne erschienen, aber eS fehlt ihnen doch dramatisches Leben und dramatischer Pulsschlag und e« war meistens ein Act der Pietät gegen den gefeierten Lyriker, wenn man auch seine Dramen zur Aufführung brachte. WaS aber die Stücke Rückert s betrifft, so sind sie eine« begabten Dichters geradezu unwürdig, ohne alle dramatischen Gelenke und in ihrer breiten Redseligkeit voll kommen ungenießbar. Merkwürdigerweise sind sie auch ziem lich geistlos, WaS bei einem der geistvollsten deutschen Spruch- und Sentenzendichter in höchstem Maße auffallen müßte, wenn nicht gerade die Verirrung auf rin ganz fremde« Gebiet den Fernblick und Scharfblick, die Svrungkraft und Schwungkraft eines Dichters gänzlich lähmte. Den Anlauf zu einer größeren Erzählung hat Heine in seinem „Rabbi von Bacherach" genommen. Sie blieb ein Torso; auch hier erlahmte de» Dichter- Ausdauer, WaS bei diesem Stoff und bei diesem Anfang sehr zu beklagen war. Ein neuer Dramatiker, Carl Winser, bat die abaerissenen Fäden der Novelle in seiner krastgenialen Dichtung „Rabbi David" zu einem dramatischen Gewebe zu verknüpfen gesucht. Doch wenn Heine als Dramatiker und Romandichter kein organisches Kunstwerk von bleibendem Werth geschaffen, so ist er dock Meister in einer poetischen Gattung, die ibr gute» Recht hat, in der satyrischen Dichtung, und hier rückt er nicht blos mit Plänklern und Tirailleurs ins Gefecht, sondern in geordneter Scblacktreihe; seine Dichtungen: „Ein Wintermärchen" und „Atta Troll" sind als satyriscbe Epen zu betrachten und haben so vielen organischen Zusammen hang, wie man von der Satyrc und dem freizügigen Humor nur erwarten kann; es sind geniale, vorzügliche Culturbilder, prickelnd und ätzend, scharf und ins Fleisch schneidend, Kinder jener Epoche, deren Eigenart sie an sich tragen und deshalb nur wenig nachgeahmt. Unsere späteren humoristischen Epen schlossen sich mehr an das Vorbild von Byron's „Don Juan" an. Damals mischte Heinrich Heine in das Sturmglockcnläuten der politischen Lyrik die gellenden Pfiffe seiner Satyre und warf auch den politischen Sturm glöcknern in seinem „Atta Troll" den Knüppel zwischen die Beine, wenn sie über dem Tageslärm, den sie selber machten, taub und blind wurden gegen andere Aufgaben der Poesie und gegen die Talente, die ihren eigenen Weg gingen. Was aber eine schlaghafte und zündende Satyre in Versen betrifft, so nimmt Heine einen hervorragenden Rang in der deutschen Literatur ein, und es ist ihm kaum ein Anderer gleichgekommen. Der Lyriker und Liederdichter Heine gehört aber, WaS auch die literahistorischen Atta Troll's sagen mögen, ent schieden zu den Zierden des deutschen Parnasses, und viele seiner Lieder sind Nationaleigentbum geworden. Sie werben seit mehr als einem halben Jahrhundert in allen deutschen SalonS gesungen, nachdem die begabtesten Com- ponisten sie durch ihre musikalischen Inspirationen dort eingebürgert, sie sind in allen Volkskreisen verbreitet, von den höchsten bis zu den niedrigsten. Oesterreichs Kaiserin Elisabeth bat in ihrer Villa auf Corsu dem Dichter Heine ein Denkmal errichten lassen und das Lied von der Loreley und viele andere sind bis in die untersten Volksschichten ge drungen. Einzelne dieser zart dusligen Lieder gehören zu den schönsten Blüthen unserer Lyrik und noch bis kurz vor seinem Tode bat Heine herrliche Gedichte geschaffen, wie das Lied von der Tydtenblumc mit seinem berückenden dämonischen Zauber. Mari irrt sich iudeß, wenn man glaubt, daß Heine'S „Buch der Lieder" gleich anfangs im Buchhandel einen jener durchschlagenden Erfolge davongetragen, wie sie einem Victor Scheffel und Andern beschieden waren; eS dauerte zehn Jahre, ehe daS „Buch der Lieder" eine zweite Auflage erlebte; desto nachhaltiger war sein späterer buchbändlerischrr Siegeslauf. Neben den zarten Liedern, in denen eine lyrische Stim mung festgehalten war, gab es aber eine überwiegend große Anzahl von Gedichten, in denen dieselbe mit heraus fordernder Absichtlichkeit zerstört, in denen das Gefübl in eine ironische Beleuchtung gerückt und der innige Ton der Liederdichtung mit einer grausamen Schlußpointe verfälscht wurde. Diese Heine'schen Pointen, so charak teristisck für die Eigenart des DickterS, der die von Brentano und andern überkommene Romantik durck eine aus der Schule Byron's stammende moderne Verhöhnung corrigirtc, sind nun leider! ein Vermäcktniß unserer Lyrik geworden, das bis in die neueste Zeit treulich gepflegt wurde. Siebt man näher bin, so merkt man diese Heine'sche Pointe sckon bei Dichtern wie Lenau und Karl Beck, bei Herwegb und Dingelstedt und selbst bei Scheffel und seiner Schule, wenn sie auch dort die Form eines vergröberten Humors an genommen, wird man sie bier und dort entdecken. Bei hundert Dichtern, die zu den ckii» minorum goutium gehören, wirkte sie aber wie Scheidewasser, welches ibr bischen Poesie gänzlich auflöste. Und jetzt gegen das Ende deS Jahr hunderts ist ihr eine neue Blütkezeit beschieden, da die jüngstdeutsche Lbrik mit Vorliebe von ihnen Gebrauch macht und in ihren äußersten Ausläufern sogar an ihre Stelle cynische Flegeleien zu setzen beliebt. Viele dieser Dichter glauben Heine'S Genialität zu vermehren, wenn sie recht viele solcue lyrische Kleckse am Schluß ihrer Gedichte an bringen; ja mancher derselben glaubt als Heine rockivivn» die Unsterblichkeit des Pariser Aristophanes theilen zu könne». Hierin hat derselbe entschieden verderblich auf unsere Poesie gewirkt; aber cs ist damit auch bewiesen, wie bewältigend noch immer sein Einfluß ist. Mag Heine'S Eigenart, vom ästhetischen Standpuncte angesehen, eine Unart ge wesen sein, vom literarhistorischen auS war sie ent schuldbar; denn sie vertrat die Auflösung der Romantik durck das moderne Element. Jetzt aber kann sie nur als die poetische Versteinerung einer vorsündfluthlichen Bildunzs epoche betrachtet werden, und wenn die Modernsten wieder mit diesem Pfluge ackern, so vergessen sie ganz, daß dies ein halb verrostetes Geräthe ist, und man müßte ihnen Ben Akiba auf den Hals schicken, der mit seinem „Alles da- gewesen" ihre Einsicht verbessern könnte. Zum großen Theil au» den „Reisebildern" batte Heine sein „Buck der Lieder" zusammengestellt. Diese Reisebilker, denen nachher Reisenovellen von Heinrich Laube, Reise schriften von Theodor Mundt und dem Grasen Purckler und eine zahlreiche plauderhafte Reiseliteratur folgte?
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