02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981007026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-07
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Die Morgen-AuSgabe erschallt um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nk-aclion und Erpeditiou: AohanneSgafse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt» Slcmm'S Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinuuc), Lo»i» Lösche, Kathorinenstr. 14, pari, und KöuigSplatz 7. Bezugspreis kn der Hauptexpedition oder den im Stadt- bttirk und den Bororten errichteten AuS- oavrstellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel>ährlich ^l ü.—. Directe tägliche Krruzbandiendung i»S Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. KiWM TagMM Anzeiger. Ämtsvtatt des Kömglichest Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 5lv. Freitag den 7. October 1898. Anzeigenpreis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4»e» spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Posthefördcrunx 60.—, mit Postbeförderuog X 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig, 92. Jahrgang. Die Deutsche Colonial-Gesellschaft und das deutsch-englische Abkommen. Die Eingabe, welche die Deutsche Colonial-Gesellschaft in folge einstimmigen Beschlusses an den Reichskanzler in Sachen des neuen deutsch-englischen Vertrages gerichtet hat, hat folgenden Wortlaut: „Durchlauchtigster Fürst! Eine tiefgehende Beunruhigung ist in den colonialen Kreisen und darüber hinaus aus Anlaß eines Vertrages entstanden, welcher Zeitungsnachrichten zufolge kürzlich zwischen Deutschland und England verabredet oder geschlossen sein soll. Nach den Mittheilungen eng lischer Zeitungen soll Deutschland in diesem Vertrage unter Anderem von vornherein seine Einwilligung erklärt haben für den Fall, daß England von dem durch den englisch-portugiesischen Vertrag vom Jahre 1891 erworbenen Vorkaufsrechte auf die Delagoabai dem nächst thatsächlich Gebrauch macht. Es heißt auch, England habe dieses Zugeständniß mit Gebietsabtretungen, Zollvergünstigungen und dergleichen erkauft. Noch vor wenigen Jahren ist der Stand- punct der Reichsregierung zur Delagoabaifrage sowie das Berhältniß Deutschlands zur südafrikanischen Republik von berufener Stelle folgendermaßen gekennzeichnet worden: „Unsere Politik gehe — heißt es in einem Erlasse des früheren Staatssecretairs von Marschall an den kaiserlichen Botschafter Grafen von Hatzfeld in London vom 1. Februar 1895 — einfach dahin, diejenigen materiellen Interessen gegen jeden Eingriff zu schützen, welche sich Deutschland durch Erbauung von Bahnen und die Anknüpfung von Handelsbeziehungen mit Transvaal geschaffen habe. Diese Interessen geböten die Aufrechterhaltung Transvaals als selbstständigen Staates nach Maßgabe des Vertrages von 1884 und die Sicherung des Status guo bezüglich der Bahnen und des Hafens in der Delagoabai. Damit sei der Ausgangspunct und der Endpunct unserer Politik in jenen Gegenden gekennzeichnet." Auch die deutsche Colonial-Gesellschaft ist stets der Ansicht ge- »eßen, daß es im deutschen Interesse liegt, die südafrikanischen Boerenstaaten in ihrem Kampfe gegen englische Uebergriffe jo viel wie möglich zu stützen und insonderheit den Verkehr zwischen der Delagoabai und Transvaal von allen Beschränkungen freizuhalten. Dieser Standpunct ist von der Colonial-Gesellschaft in ihrem Organ vielfach 'vertreten worden und zuletzt in den Eingaben der Gesell- schäft vom 21. Juni 1895 und 6. Januar 1896 mit aller Ent- fchiedenheit zum Ausdruck gekommen. Auch sind wir überzeugt, daß unsere Gesellschaft sich dabei in Uebereinstimmung mit der weit überwiegenden Mehrzahl aller nationalgesinnten Deutschen befand und noch befindet. Nun ist zwar über den Inhalt deS eingangs erwähnten Ab kommens Zuverlässiges nicht bekannt geworden; indessen scheint so Viel sicher zu sein, daß in der That Verhandlungen zwischen der deutschen und der englischen Regierung stattgesunden und unter Anderem die Delagoabai zum Gegenstände gehabt haben. Wir wissen noch nicht, ob diese Verhandlungen bereits zu einem for mellen Abschlüsse geführt haben oder nicht, aber die colonialen Kreise, welche in Folge des oben Largelegten Standpunctes der ReichSregieruug zur Transvaal- und Delagoabaifrage bisher mit einem gewisseu Gefühl der Sicherheit die Entwickelung der Dinge in Südostafrika verfolgten, sind jetzt durch die begründeten oder unbegrün- deten Andeutungen, hauptsächlich der fremdländischen Presse, deshalb stark beunruhigt, weil es danach den Anschein gewinnt, als habe die Regierung den früher festgehaltenen Standpunct der Aufrecht erhaltung des Status guo in den englischen Beziehungen zur süd afrikanischen Republik neuerdings verlassen, und möglicher Weise unter Bedingungen verlassen, durch welche die deutschen Interessen nicht ausreichend geschützt werden. Wir brauchen diese deutschen Interessen, die in den letzten Wochen von der gejammten deutschen Presse eingehend erörtert worden sind, hier nur anzudeuten. Ein be trächtlicher Theil deS deutschen Handels mit Südafrika hat sein Eingangsthor in der Delagoabai. Viele Millionen deutschen Capitols sind in der von der Bai nach Pretoria führenden Bahn angelegt und zwar hauptsächlich im Vertrauen auf die bisherige Haltung der Regierung. Sie wären gefährdet, wenn die wirthschaftliche und Politische Machtstellung Englands eine erhebliche, für die deutschen Interessen in Südafrika nachtheilige Stärkung erführe. Zu diesen materiellen Interessen treten außerdem ideale. Das deutsche Volk kann nicht die Hand dazu bieten, daß eine stammverwandte Nation, welche deutliche Kundgebungen der Sympathie auch von Seiten der deutschen Regierung empfangen, die aber seit Jahrzehnten sich der englischen Angriffe und Uebergriffe zu erwehren hat, nunmehr unter deutscher Zustimmung oder gar Mitwirkung von England wirthschaftlich erstickt und damit politisch vernichtet wird. Die Delagoabai ist der einzige nicht englische Hafen, durch den» die Republik mit dem Welthandel in Be ziehungen steht. Angesichts dieser Lage der Dinge hegt die Deutsche Colonial- Gesellschaft zwar das feste Vertrauen, daß die kaiserliche Regierung bei den neuerdings gepflogenen Verhandlungen den bisher von ihr eingenommenen Standpunct nachdrücklich vertreten und nach Mög lichkeit zur Geltung gebracht hat, daß also nichts versäumt worden ist, um die Gefährdung der Boerenrepublik durch eine Abtretung der Delagoabai zu verhindern und insonderheit die wohlerworbenen Rechte Deutscher an der Delagoabai sicher zu stellen. Die Hohe Wichtigkeit der auf dem Spiele stehenden Interessen legt uns aber zugleich die unabweisbare Pflicht auf, auch trotz dieses Vertrauens und trotz unserer Unkenntniß von der Tragweite der gepflogenen Verhandlungen unsere Stimme zu erheben, um der hohen Reichs- regierung von den Anschauungen der durch unsere Gesellschaft ver tretenen Kreise Kenntniß zu geben. Sofern es zu bindenden Vereinbarungen noch nicht gekommen ist» sprechen wir hiermit ehrerbietigst die dringende Bitte auS: Die kaiserliche Regierung wolle bemüht sein, das Programm von 1895 durchzusetzen und den oben entwickelten Gesichtspuncten in vollem Umfange Rechnung zu tragen. Sollte aber der Vertrag bereits eine vollzogene Thatsache sein, so müßte sich unser nicht minder dringendes Ersuchen daraus richten, denselben so schnell wie möglich in vollem Umfange oder mindestens in seinen wichtigen Grundzügen bekannt zu geben und dazu erforderlichen Falles nachträglich die Ge- nehmigung der englischen Regierung einzuholen, damit verhütet werde, daß die Beunruhigung und daS Mißbehagen in breiten Schichten des Volkes noch festere Wurzeln schlage, als es leider schon geschehen ist. Eine längere Geheimhaltung würde voraussichtlich dahin führen, daß ein abgeschlossener Vertrag, selbst wenn er günstiger, als jetzt angenommen wird, für Deutschland ausgefallen wäre, bei der spä- teren Veröffentlichung eine Versöhnung der Gemüther nicht mehr erreichen könnte. Es wäre in hohem Grade beklagenswerth, wenn dadurch in jenen nationalen Kreisen und besonders auch in der Deutschen Colonial-Gesellschaft mit ihren mehr als 26 0l)0 Mitgliedern, die bisher mit freudiger Hingebung für die deutschen überseeischen Interessen eingetreten sind, eine dauernde Verbitterung erzeugt und damit eine Abwendung von fernerer opferwilliger Mitwirkung her- vorgerusen würde. Wir dürfen indessen nicht verschweigen, daß nach den uns zugegangenen Kundgebungen eine solche Gefahr thatsächlich vorliegt." Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. October. Gut Ding will Weile haben. Das zeigt sich auch bei der von der italienischen Regierung angeregten Idee des Zusammentritts einer internationalen Konferenz zur Ne- kliittpfung -es Anarchismus. Nachdem sich die italienische Regierung durch vertrauliche Umfrage überzeugt batte, daß die Mächte nicht abgeneigt seien, eine solche Conferenz zum Zwecke eines vorläufigen Meinungsaustausches über die Frage internationaler Abmachungen zu beschicken, hat sie jetzt endlich die formelle Einladung zu der Conferenz ergehen lassen. Der italienische Minister des Auswärtigen Canevaro hat nämlich an die diplomatischen Vertreter Italiens bei den Mächten folgende Note gerichtet: Die Regierungen finden sich seit mehreren Jahren bei der Ausführung der ihnen obliegenden Aufgabe, für die Sicherheit des Staates und der Bürger zu sorgen, einer Thatsache gegenüber, deren Ernst ein ganz besonderer ist und die ihre Aufmerksamkeit und Sorge in höchstem Grade in Anspruch nimmt. In allen Ländern machen die Behörden aufmerksam auf das Vorhandensein einer mehr oder weniger zahlreichen Classe von Menschen mit entarteten Grundsätzen, deren Bestrebungen und deren Verbrechen, wie offen zugegeben wird, nur das Ziel haben, die Grundlagen, auf denen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung ruht, zu unter- graben und diese Ordnung vollständig umzu stürzen. Diese über spannten Menschen, die vor keinem Attentat, und sei eS noch so scheußlich und wahnwitzig, zurückschrecken, sprechen öffentlich Principien aus, die sie selbst anarchistische Principien nennen und die sie auf ihren Wanderungen durch ganz Europa verbreiten. Sie werden bei dieser Propaganda von einer geheimen Presse unter stützt, die unaufhörlich zu jeder Gewaltthat aussordert, und die die abscheulichsten Verbrechen rühmt und preist als die wirksamsten Mittel, den der ganzen Gesellschaft erklärten Krieg bis zum Aeußersten fortzuführen. Die Regierungen haben sich bisher bemüht, durch genaue Anwendung der bestehenden Gesetze und in einigen Fällen durch Ausnahmemaßregeln der Ver breitung dieser verbrecherischen Theorien soviel als möglich Einhalt zu thun. Es hat sich indessen gezeigt, daß diese Bemühungen, da sie nur vereinzelt geblieben sind, nicht wirksam genug gewesen sind, das Uebel zu bezwingen und Herr der Schliche zu werden, mit denen die Anarchisten aller Länder sich zu verständigen, sich beizustehen und sich zu organisiren suchen, was ihnen zuweilen auch gelingt. Es scheint sich demnach für die Regierungen, welche sich Angesichts der gemeinsamen Gefahr solidarisch fühlen, die Nothwendigkeit zu ergeben, sich gegenseitig ständige Unterstützung zu gewähren, auf der Grundlage eines Systems der gemeinsamen Vertheidigung, welches tu allen seinen Einzelheiten genau erwogen ist. Die Rtgierung Seiner Majestät hat sich ihrerseits schon lange mit solchen Gedanken getragen und sich darin mehr und mehr bestärkt gesehen. Angesichts der langen Reihe von anarchistischen Verbrechen, die, wie namentlich die Ermordung des Präsidenten Carnot und der zwei- malige Mordversuch gegen unfern König, das Entsetzen der ganzen Welt erregt haben, angesichts der schrecklichen Frevclthat, die jetzt in Genf begangen wurde und die einen Maßstab dafür bietet, wessen diese Elenden ohne Glauben und ohne Vaterland allein fähig sind, hat die königliche Regierung beschlossen, die Initiative für einen vorläufigen Meinungsaustausch zu ergreifen, welcher auf den Abschluß internationaler Abmachungen in dem von mir angegebenen Sinne hinauslanfen soll. Die Aus nahme, welche dieser Schritt bisher gefunden hat, ist eine Be- stätigung dafür, daß die Anschauung der königlichen Regierung im Princip getheilt wird und daß als das am meisten angezeigte Mittel zur Erreichung dieses Zweckes der baldige Zusammen- tritt einer internationalen Conferenz erscheint, auf welcher die europäischen Mächte nicht nur durch diplomatische Vertreter, sondern auch durch technische Delegirte der betreffenden Verwal tungen der Justiz und des Innern vertreten sein würden, ein mockus prooockenäi, welcher durchaus den Llnsichten der Regierung des Königs entsprechen würde. Ich bitte Sie, das Vorstehende zur Kenntniß deS Ministers des Aeußeren derjenigen Regierung zu bringen, bei der Sie accreditirt sind, und ihm eine Abschrift dieser Depesche zu geben, indem Sie ihm zugleich formell den Vorschlag unterbreiten, daß die betreffende Regierung ihre Zustimmung zu dem Zusammentritt einer internationalen Conferenz ertheile, welche im Interesse jder socialen Vertheidigung die Herbeiführung einer wirksamen dauernden Entente zwischen den europäischen Mächten bezwecken soll, welche dazu bestimmt ist, die Vereinigungen der Anarchisten und ihrer Anhänger erfolgreich zu bekämpfen. Ich bitte Sie, mir so bald als möglich die Entscheidung mitzu- theilen, welche hinsichtlich unseres Vorschlages getroffen werden wird. — gez. Canevaro. , Wie die „Agenzia Stefan!" meldet, hat sich der öster reichisch-ungarische Minister des Aeußeren, Graf Golu- chowski, bereits beeilt, dem italienischen Botschafter in Wien durch eine Note mitzutheilen, daß Oesterreich-Ungarn die Initiative Italiens begrüße und sich auf der Conferenz ver treten lassen werde. Nach derselben Quelle hat sich auch der französische Ministerrath für die Thcilnabme Frankreichs ausgesprochen. Die übrigen Regierungen werben folgen, und so wird man sich zunächst darüber zu einigen haben, wo die Conferenz stattfinden soll. Wahrscheinlich wird Rom gewählt, wo vielleicht noch in diesem Jahre die Conferenz Zusammen tritt, um ein Programm zu vereinbaren. Da wird man dann vor Allem mit Bedenklichkeiten Englands und der Schweiz zu schaffen haben, worüber Ostern herankommcn kann. Bis dahin haben die Herren Anarchisten noch Schon zeit. Gnt Ding will eben Weile haben. Allgemein hatte man erwartet, baß die Frage der Betherligung oder Nichtb Stheiligung an den preußischen Lan dtagswahlea auf dem socialdemo- kratischen Parteitage ein erneute» hitziges Redegefecht, wie auf dem Hamburger Parteitage» Hervorrufen würde, daß man diese Frage nur zu streisea brauche, um sogleich die I Gründe für und wider in lebhaftem Gedankenaustausch I auf einander schlagen zu sehen. Und zwar war eS durchaus I nicht bloS die gegnerische Presse, die diese Erwartung hegte: Fettilletsn. Die kleine Lulu. bs Seeroman von Clark Russell. Nachdruck vkrboten. Das Vordercastell der „Little Loo" lag mit seinem Fuß boden ziemlich seicht unter Deck. Man hatte durch diese An lage eine Menge Platz im Kiel- und Bugraum zur Waaren- verstauung gewonnen. Eine Lampe, welche von einem ganz schwarz geräucherten Balken hing, brannte Tag und Nacht, und bei ihrem düsteren Schein bemerkte ich vier oder fünf Leute, die sich putzten, um noch ein paar Stunden die Freiheit am Lande zu genießen. Andere lagen rauchend auf ihren Pritschen und sahen der Beschäftigung ihrer Maats zu. Glücklicherweise hingen keine Hängematten von der Decke, wir konnten uns daher ungehindert bewegen. Pritschen dagegen waren mehr als genug vorhanden, da der Zimmermann und Segelmacher zugleich, wie ich später entdeckte, zweiter Maat und Hochbootsmann, ein „nautischer Hans in allen Gaffen", mit zwei Schiffsjungen und dem Koch in einem Raum hinter der Küche logirt«. Ich packte mein Vettzeug auf eine leere Pritsche, legte mich darauf und blickte im ganzen Raum umher. So interessant und angenehm mir dies auch sonst gewesen wäre, so hatte ich augenblicklich doch mehr Sehnsucht nach dem Fächeln eines Wind- segelS zur Einführung frischer Luft, denn bei dem rauchigen, matten Licht der Lampe vermochte ich weder die Leute noch sonst etwas im Raum recht zu erkennen. Wenn ich die Ausdünstung der sich waschenden Leute, den Geruch des brennenden Oeles, den Gestank von Theerdecken, altem, schmutzigem Bettzeug, modrigem Fleisch und faulendem Salzwaffer als die Hauptbestandtheile der hier unten waltenden Luft nenne, so wird man die Lieblichkeit derselben ungefähr zu ahnen vermögen. Auf mein Wort, es war mehr, als selbst ein eingefleischter, ausgewitterter Seebär schön finden konnte. Die Leut« scherzten miteinander und ihre Zungen klapperten in den sonderbarsten Dialekten. Einige Spitznamen, bei denen sie sich nannten und welche sicherlich zum Theil auch der Muster rolle beigefügt waren, klangen sehr merkwürdig. Wie viele von ihnen mochten schreiben können? Ihre Unterschrift bestand daher in einem Kreuz. Einer wurde „Glücklicher Billy" genannt, «in Anderer „Kleiner Welchy", wahrscheinlich weil er ein Walliser war; dann hörte ich noch: „Liverpool Sam", „Schnarch-Jimmy" und „Schöner Blunt". Daß diese Namen von ihren Müttern und Vätern herrührten, war kaum anzunehmen. Die Sache ist die, daß Seeleute sich oft bei ihrer ersten Fahrt unter angenommenem Namen einschiffen. Den Grund davon habe ich nie erfahren. Geistige oder physische Eigenthllmlich- keiten verschaffen ihnen später Spitznamen unter ihren Schiffs maaten, und diese kleben ihnen dann für ihr ganzes weiteres Seemannsleben an, während ihre Geburtsnamen vergessen werden. Ich entfloh der Luft meiner Behausung, stieg auf Deck und sah zu, wie die Leute an Land gingen. Es war der letzte Abend auf lange Zeit hinaus, den sie so verbringen konnten, und in Rücksicht dessen war er kurz genug, denn um halb elf mußte Alles wieder an Bord sein. Drei wollten ins Theater gehen und zu dem Zweck hatten sie sich besonders schön gemacht. Ihre Ge sichter glänzten von Seife, ihr Haar von Oel, die Hände aber hatten aller Müh« und Anwendung des Fetttopfes gespottet, sie ganz von Theer zu befreien. Die reinen Hemden und schottischen Mützen ließen das aber übersehen. Jedenfalls gaben sie eine prächtige Gattung von See-Dandies ab. Allmählich war die ganze Mannschaft fortgcgangen, aus genommen ich, der Koch und ein Schiffsjunge. Was mich be trifft, so bot mir Bayport keine Versuchung, das Schiff zu ver lassen. Außerdem konnte ich in Abwesenheit der Leute am besten meine Sachen in Ordnung bringen, meine Lagerstätte Herrichten und mich orientiren, in welche Art von Geschäft mich der Zufall geführt hatte. Als ich es mir den Umständen nach gemächlich gemacht hatte, begab ich mich wieder auf Deck. Hier schloß sich mir der Koch an — ein fetter, blasser Londoner —, der mir jetzt und später nur unter dem Namen Scum bekannt geworden ist. Ich ver suchte, ihn über den Capitain und den Maat auszuholen, ent weder aber hatte er keine entschiedene Meinung über sie oder er war nicht im Stande, dieser Ausdruck zu geben. Er erzählte mir, daß die Brigg gut segele, kein Mann zu viel an Bord sei und Jeder rechtschaffen zu thun haben würde; denn Alles wäre neu und das laufend« Tauwerk arbeite schwer. Der Capitain, meinte er, sei der richtige Neuengland-Mann, was das Antreiben beträfe, womit er sagen wollte, daß derselbe mit Vorliebe mög lichst viel Segel setze. Außerdem erfuhr ich noch, daß die Ladung der Brigg aus Stückgütern bestehe, aber auch einigen Kisten Gewehren und Patronen für den australischen Markt. Es war «in schöner Abend; der Mond stand im Süden und der Himmel war sternbesät. Als das Zwielicht verschwand, wurden die Maste und das Takelwerk undeutlich, die Raaen aber hoben sich in scharfen, dunklen Linien gegen die Sterne ab. Die Lichter der Stadt glitzerten in dem stillen Wasser des Hafens und die Häuser lagen wie eine dunkle Masse darüber. Die Stimmen der Verkäufer, welche ihre Maaren in den Straßen ausriefen, das Rasseln der am Hafen vorüberrollenden Wagen und die Klänge einer aus der Ferne herllberdringenden Musikcapelle unterbrachen die Stille des Abends in einer eigenen, aber ganz angenehmen Weise. Ich blieb bis um halb Zehn auf Deck, dann überlegte ich mir jedoch, daß ich wohl gut thun würde, schlafen zu gehen, da wir morgen früh schon um vier Uhr den Hafen verlassen sollten. Ich war im Begriff, meine Absicht auszuführen und nach der Luke zu schlendern, als ich auf einen Mann aufmerksam wurde, der den Hafendamm entlang taumelte und so betrunken war, daß ich jeden Augenblick erwartete, ihn kopfüber ins Wasser stürzen zu sehen. Wenn der Mann zur Brigg gehörte, war es kaum anders denkbar, daß er von der steilen Leiter, die den Hafendamm mit dem Stege verband, welcher zum Schiffe führte, herunterfallen mußt«. Das Wasser stand allerdings niedrig — wir lagen etwa zwölf oder dreizehn Fuß unter dem Hafendamm —, aber trotz dem konnte der Mensch doch ertrinken. Ich blixb deshalb stehen, um ihn zu beobachten und ihm, falls nöthig, Hilfe zu leisten, — und das war gut. Als er stark schlingernd so daherkam, sprach er mit heiserer, lallender Stimme fortwährend mit sich selbst. Dicht an der Leiter hielt er an und neigte sich, wie scharf spähend, zur Seite. Offenbar war er in Zweifel, ob die Brigg sein Schiff sei. Vielleicht sah er zwei Briggs und wußte die rechte nicht heraus zufinden. Ich rief ihm zu, er solle sich nicht allein auf die Leiter wagen, ich würde herüberkommen, ihm zu helfen, und ging, indem ich dies sagte, nach der Fallreeptreppe. Da knurrte er mich an: „Wer bist Du? Komm' mir nicht nahe, Du Lump!" In demselben Moment setzte er auch schon schnell den einen Fuß über die Seite, verfehlte die Leiter und stürzte hinab in die Tiefe. Ich hörte das starke Platschen, als sein Körper auf das Wasser schlug, und dann war Alles still. Im Nu warf ich meine Jacke ab, rief dem Koch zu: „Mann über Bord", ergriff «ine Taurolle, schleuderte das ein» Ende derselben über die Schiffs seite, befestigte das andere und glitt am Tau hinab ins Wasser. Die Brigg lag kaum sechs Fuß vom Hafendamm entfernt. Ich fürchtete, der Mann würde beim Hinabfallen mit dem Kopfe aufgeschlagen sein; als ich aber ins Wasser tauchte, stieß er im Aufsteigen gegen meine Füße. Ich packte ihn am Kragen, zog ihn hinauf und hielt seinen Kopf über der Oberfläche. Er war besinnungslos und rührte sich nicht, ein Todter hätte nicht stiller sein können. Ich schrie dem Koch zu, mir eine Leine herunterzuwerfen. Als dies geschehen war, machte ich eine Schlinge und legte sie dem Kerl unter die Arme. Hiernach wurde er vom Koch so weit hcraufgezogen als möglich und dann fest gehalten. Eigentlich wäre ihm ganz recht geschehen, wenn wir ihn so eine Stund« hätten baumeln lassen; als ich aber wieder auf Deck war, hißten wir ihn mit vereinten Kräften doch herauf. Wir rollten ihn nach vorn und ließen ihn dort triefend liegen. Der Koch beugte sich über ihn und sagte: „Dat is de nige Matros', de descn Morn heuert würd; hei het naug Water sluckt, üm den Rum, den hei inladen het, tau verdünn'." — Darauf ging er schlafen. Auf See wird eben nicht viel Federlesens gemacht und kein Mitleid verschwendet. Ich legte mich auf meine Pritsche und schlief viel schneller ein, als ich es bei der sehr schwülen Luft für möglich gehalten hätte. Um welche Zeit und in welchem Zustande die Leute an Bord kamen, habe ich nicht erfahren. Daß sie sehr pünctlich gewesen sein sollten, möchte ich bezweifeln, jedenfalls aber ünd sie sehr geräuschlos heimgekehrt. Diesen Punct betreffend, ist ein Vorder castell sehr gut geschult. Nie wird absichtlich ein Maat die be rechtigte Ruhe des Anderen stören. Es gilt dies gewissermaßen als ein stillschweigend angenommenes Gesetz unter der Mann schaft. In einer Versammlung, sei es in der Kirche oder an einem anderen Orte, wo Stillschweigen zur Sache gehört, kann dieses nicht strenger beobachtet werden wie hier. Die Freiwache oder die Leute, welche an der Reihe sind, zu schlafen, werden von ihren Maats eifersüchtig vor jeder Störung gehütet. Dies ist sehr vernünftig und zum allgemeinen Besten, denn auf See kann Niemand wissen, wie lange er seinen, der Wache halber immer nur auf vier Stunden bemessenen Schlaf ungestört genießen kann, und wie viel Tage und Nächte vergehen können, ehe ihm wieder Ruhe vergönnt ist. Als ich aufwachte, hörte ich die Hafenuhr Zwei schlagen und auf einigen großen Schiffen vier Glasen. Das Vordercastell hallte wider von dem Chor der tief Athmenden und Schnarchenden. Bei dem flackernden Licht der Lampe konnte ich Halbweg die Leute auf ihren Pritschen liegen sehen, — Einige mit über die Seiten herabhängenden Beinen, Andere mit den Füßen höher als der Kopf. Einen Mann bemerkte ich in tiefem Schlaf auf dem Boden sitzend, den Rücken gegen eine Kiste ge-
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