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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189810167
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18981016
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18981016
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-16
- Monat1898-10
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1898
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Die Morgeu-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr,- Nedaction und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: Ltt» Klemm's Tortim. (Alfred Hahn), UniversitätZstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Aatharinenstr. IS, part. und Königsplatz 7. BezugSPreis Dd Her Hemptexpedition oder de» im Gtadt- deeirk «ub dm Vororten errichtete» Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich^!4.bO, vei gwetmaliaer täglicher Zustellung ins Hau» KLO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung io» Ausland: monatlich 7.S0. MpMer TaMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nalizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 528. Sonntag den 16. October 1898. ArizeigeN'Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g»> spalten) üO-H, vor den Familimnachrichtrn (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjap nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./t 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Aus der Woche. Der in der englischen Presse veröffentlichte Brief des deutschen Kaisers an die Königin Victoria — worin er den lebhaften persönlichen Wunsch ausdrückt, die Völker beider Länder durch die Bande enger Freundschaft mit einander verknüpft zu sehen, und dinzufügt, er beabsichtige, Alles, waS in seiner Macht stehe,zur Erreichung diesesZiveckeS zu thun — ist ohne Zweifel echt. Die „Kreuzztg." giebt seinen Inhalt an wenig hervorragender Stelle und ohne Bemerkung wieder, ein un trügliches Zeichen' für die Aüthenticität des Schriftstückes und dafür, daß das trotz Allem gut preußische Blatt kein Wohl gefallen daran findet. Schon vorher sprach für die Echt heit der Umstand, daß eine seit dem Tode des Fürsten Bismarck höfisch gewordene Berliner Zeitung offen barte, erstens: der Kaiser habe vor Antritt seiner Reise natürlich an seine Großmutter schreiben müssen, und zweitens: da die kaiserliche Großmutter die Königin von England und Kaiserin von Indien sei, so habe der Brief unmöglich anders abgefaßt werden können, als er lautete. Wer das nicht ein sieht, versteht nichts von der — Byzantinerei, in der wir, Gott sei's geklagt, bis über die Ohren stecken. AuS dieser edlen „Gesinnung" heraus sinv auch die Leviten zu verstehen, die den Leuten gelesen werden, welche für die morgenländische Reise des Kaisers noch etwas Anderes als überschäumenden Enthusiasmus hatten und haben. Die Kühlen, zu denen wir uns leider auch rechnen müssen, wären nun freilich beinahe tief beschämt worden. Der „vati- canische Zwischenfall", aus der Orientreise entstanden, sollte mit dem Besuche des Cardinals Nampolla auf der preußischen Gesandtschaft zu Rom geendet und so zu einem diplomatischen Erfolge ersten Ranges sich gestaltet haben. Die Nachricht hat sich aber als eine jener Enten heraus gestellt, die liebedienerische Leute so gern anffliegen lassen, wenn die Regierung in ihrer Erwartung, Friedenstauben aussenden zu können, sich getäuscht sieht. Es ist ja aller dings wahrscheinlich, daß der Vatikan einlenken wird, aber mit dem Erfolge, der darin für Preußen und Deutschland liegt, wird eS sich wahrscheinlich verhalten, wie gemeiniglich mit den Geburtstagsgeschenken, die den Gatten und Vätern von ihren Lieben gemacht werden: Die Beschenkten haben die Kosten zu tragen. Wer die Politik für eine spaßhafte Sache ansieht, mag darüber Freude empfinden, daß die Franzosen sich ein wenig zu ärgern haben. Sonstiger Vortkeile wird sich das deutsche Reich von dem Einlcnken des Zweibund- StifterS auf dem päpstlichen Throne nicht versehen dürfen. Die politische Unbedeutendheit deS kleinasiatischen Pro- tectoratShandelS ist eS wohl auch, was die viel belobte nationale Haltung der Centrumspresse erklärt. So etwas ziert den Mann und kostet gar nichts. Nebenbei mag auf vieser Seite eine, wenn auch nicht nationale, so doch ehr lich gemeinte Stellungnahme gegen die Curie Platz gegriffen haben. Manches klerikale Blatt hat sich geärgert, daß der Papst ohne kirchliche Noth und vielleicht gegen daS kirchliche Interesse Partei für Frankreich nimmt, nachdem kurz vorher die deutschen Katholiken unter Hinweis auf die Zugeknöpftheit der Franzosen zu vermehrten Opfern für den PeterS- pfennig aufgefordert worden waren. Der Zusammenhang der Ansprache an die französischen Rompilger mit dem Peterspfennig ist sofort in klerikalen Zeitungen betont worden. ...... Wer ein vorsichtiges Einlenken des Vatikans als ein An zeichen der „Mauserung" des unbedingt und aus nahmslos deutschfeindlichen Vaticanismus anzusehen vermöchte, begäbe sich auf die Höhe der Weisheit Derjenigen, die in den auf dem Parteitag zu Stuttgart gehaltenen Reden Sckippel'S und Vollmar'S eine Wandlung der Social demokratie angezeigt finden. Der Vaticanismus ist nur eine andere Bezeichnung für IesuitismuS, und daß Papst Leo XIII. für seine Person keine Ausnahmestellung gegen über der in Rom herrschenden Richtung einnimmt, bezeugt soeben wieder ein Geistlicher, der lüo. tdool. Leopold Karl Goetz in Passau. Er schreibt in der Beilage zur „Allgem. Zeitung", nachdem er die Anfänge des Bildungsganges deS jetzigen Papstes geschildert: „Die Jesuiten waren also die ersten Lehrer des Nino Pecci, sie blieben es, so lange er die Schule und Universität besuchte, sie blieben es im gewissen Sinne auch später immer, denn sie haben seiner Person und seinem Charakter vollkommen die Signatur ihres Geistes ausgedrückt." WaS den Geist Leo'S XIV. anlangt, so wird dieses Urtheil bestätigt durch seine eifrige Bemühung, den von einem Schwindlerpaare erfundenen Teufel Bitru in die religiöse Vorstellungswelt der katholischen Christenheit einzufübren. Wie erfolgreich diese und ähnliche Bestrebungen, zum Theil Dank einem jesuitisch erzogenen und gebildeten Klerus, leider auch in Deutschland, sind, das hat der von uns wicdergegebene Bericht über den in Kempten durchgeführten BelrugS- proceß in erschreckender Weise gezeigt. Obwohl es sich hierbei um ungebildete Laien bandelt, gehört dieser Proceß doch in daS Capitel des von Professor Schell in Würzburg und einigen anderen freieren Geistern im Klerus aufgenommenen und leider wahrscheinlich aussichtslosen Kampfes für eine wissenschaftliche Ausbildung der katholischen Geistlichen. Der Mann, der die Geschichte des ausgehenden 19.Iahrbunderts mit derWemdinger Teufelsaustreibunz geziert hat, ist ja auck ein Geistlicher ge wesen. Gegen solche Erscheinungen und ihre Ursachen verhält sich der sogenannte entschiedene Liberalismus bei uns vollständig gleichgiltig. Eines seiner Organe, die „Voss. Zkg.", die sich einmal als Vertreterin der Ideen deS Protestantenvereins vorgestellt hat, meint sogar in einem der Abkanzlung deS Evangelischen Bundes gewidmeten Artikel, die CanisiuS- Encyklika lasse sich nicht zu einem politischen Ereigniß beraufschrauben. „Der Papst", so heißt eS weiter, „hat sein Rundschreiben an die Katholiken gerichtet und kaum den Wunsch gehegt, daß die Protestanten eS lesen. (!) Wir haben kein Recht, ihm da hinein zu reden." Die Vertheidigung der Gcistesfreiheit gegen den Ultra- montanismuS gestattet sich der Freisinn nicht mehr. Um so mehr liegt ihm die Unterstützung der freiheitlichen Ten denzen der Socialdemokratie am Herzen. Das zeigt sich wieder in der Angelegenheit des Herrn Singer, dem bekanntlich die Bestätigung als Mitglied der Berliner Schuldeputation versagt worden ist. In der letzten Sitzung der dortigen Stadtverordnetenversammlung war eine große Action Lerobalben anberaumt, die Sache scheint aber, von den Socialdemokraten abgesehen, überwiegend als eine konfessionelle betrachtet worden zu sein. Das jedoch kennzeichnet den Berliner, d. h. den führenden Freisinn. Recht hübsch war es, von Herrn Singer zu hören, daß der Magistrat die vom Minister formell ordnungsgemäß und materiell pflichtgemäß geforderte Nicht bestätigung hätte unterlassen und den Gewählten in die Deputation einberufen sollen. Wenn dann, so meinte Herr Singer weiter, die Regierung seine Mitarbeit nicht würde geduldet haben, dann bätte man der Gewalt weichen können. Mit anderen Worten: Herr Singer hätte zur An regung seiner Nerven ein bischen Märtyrertbum gehabt. Herr Stöcker hat soeben die Nationalliberalen wieder einmal für alle Uebel in der inneren Politik verantwortlich gemacht. DaS ist ein Rückschritt, denn vor einigen Jahren hat der gewissenhafte VolkSausklärer der liberalen Mittel partei sogar die auch damals besonders schlechte auswärtige Politik in die Schuhe geschoben. In conservativen Kreisen dürfte man die Nationalliberalen um die gegen sie von dieser Seite geschleuderten Anschuldigungen aufrichtig beneiden. Nachträgliches vom Philippinenkrieg. Ein französischer Schiffslirutenant, der an Bord deS Kreuzers „Brüix" gleich vom 5. Mai an Augenzeuge des Krieges vor Manila war, veröffentlicht in der „Revue de Paris" seine Beobachtungen, und es wird die Leser gewiß interessiren, Einiges davon zu vernehmen. Der Lieutenant, der sich T. unterzeichnet, hält mit der Abneigung nicht zurück, welche die Franzosen gegen die Amerikaner hegten; er weiß wohl, daß der spanische uno der französische Nationalcharakter einander sehr entgegengesetzt sind, was sich in den Jahren 1808—14 sehr deutlich zeigte; aber er weiß auch, <daß die Amerikaner durch ihren Sieg sehr auf gebläht worden sind und nun unangenehm zu werden beginnen. Vorher waren sie auf ihren Reichthum stolz; sie klopften sich auf die Brust und sagten: „Wir haben die Dollars!" Jetzt werfen sie sich noch mehr in Positur und sagen: „Wir haben auch die Kanonen!" Das kann noch recht fatal für die anderen Mächte werden, die bisher im äußersten Osten sozusagen unter sich waren. Dann aber, und das ist dem Franzosen natürlich besonders unangenehm, stehen hinter den Amerikanern die Engländer; es ist offenes Geheimniß, daß Dewey in Hongkong seine Mann schaften mit sogenannten englischen „Ausreißern" ergänzte, denen er, da sie geübte Kanoniere waren, für die ganze Kriegs dauer 500 Dollars monatlich versprach — eine wahre Admirals besoldung, "wenn das so fortginge! Die „Ausreißer" waren aber in Wahrheit von den englischen Behörden ohne viele Um stände laufen gelassen worden — „Engländer und Amerikaner sind wie Preußen und Bayern; sie haben sich nicht sehr gern, aber gegen jeden Dritten sind sie doch ihrer Familienzusammen gehörigkeit sich bewußt und halten sofort zusammen". Die Spanier sind Prahlhänse, welche selbst auf ihre Nieder lage stolz sind; gerade wie wenn der Krieg nicht die Wissenschaft zu siegen wäre, sondern die, zu sterben. Daß jede Niederlage eine Verantwortung in sich schließt und eine Rechtfertigung ver langt, davon wissen sie nichts. Noch nach der Seeschlacht von Cavite, in der nach einer Viertelstunde ihre sämmtlichen Schiffe an allen Ecken und Enden brannten, erhoben sie sich über die Amerikaner: „Wir sind die Söhne des Cid, sie sind nichts als Schweinehändler!" Sie wandten sich an den französischen Consul und verlangten, er solle dagegen protestiren, daß die Amerikaner Petroleumbomben gebrauchten — als ob es einen Sinn hätte, zu sagen, man dürfe den Feind zwar mit Melenii verbrennen, aber mit Petroleum sei es nicht statthaft! Die Spanier sind den Eingeborenen der Inseln auf den Tod verhaßt, und die einzig wirtlich gründliche Lösung der Phi lippinenfrage besteht darin, daß man alle Spanier auf Schiffe packt und fortschafft. Dieselben Spanier übrigens, welche sich über die explosiven Geschosse der Amerikaner beklagten, trugen kein Bedenken, die Aufrührer fammt ihren Weibern und Kindern in Massen niederzustoßen: das ganze Land hatte von jeher auf das Grausamste unter ihrer Herrschaft zu leiden. Die Inseln sind ungeheuer reich an Zucker, Reis, Tabak, Kaffee, an Metallen, an Hanf, an kostbaren Hölzern; aber die Spanier haben sie nicht auszunutzen verstanden. Sie sind heute noch Menschen von 1550, höchstens 1610; sie roden immer von Karl V., von Cortez; aber sie wissen nichts von Maschinen, von Elektricitäl und solchen Dingen, die seit 1610 erfunden worden sind. So sind sie außer Stande, sich gegen die Amerikaner zu behaupten, welche über alle diese Dinge verfügen; sie werden dreimal auf die Aufforderung, sich zu ergeben, mit einem stolzen Nein! ant worten, und schließlich werden sie es doch thun müssen. Nicht einmal Nahrungsmittel für die Freiwilligen sind beschaff! worden, so daß es in den Easernrn zur Meuterei kam. Im Gegensatz zu diesem verlotterten Regiment fühlt dec Franzvse an Bord seines stattlichen, ganz modernen Schiffes sich mit Stolz als Angehörigen einer mächtigen Nation; aber er gedenkt auch mit unverkennbarem Respect der Deutschen, die überall im äußersten Osten Böden gewinnen. Man möge wissen, sagt der Lieutenant, daß man in diese Länder nu- Schiffe entsenden darf, die Gefechtswerth haben und sich wirksam wehren können; diese Asiaten beurtheilen die europäischen Mächte nach ihren Schiffen, und wer mit Panzerkreuzern von ge höriger Schnelligkeit und einer furchtbaren Artillerie auftritr, der macht eine gute Politik und spart in Wahrheit sein Geld. Die Nutzanwendungen, bemerkt hierzu der „Schw. Merc.", für uns Deutsche liegt auf der Hand und ist glücklicherweise schon gemacht. Deutsches Reich. tt Berlin, 15. October. (Das Reich als Arbeit geber.) Das Reich kommt für dieArbeiterversicherung nicht bloS insofern in Betracht, als eS für verschiedene Ber- sicherungszweige in einem seiner Aemter die höchste Instanz ist und für die Invaliditäts- und Altersversicherung einen jährlichen Zuschuß leistet, der sich jetzt bereits auf die Höhe einer Biertelhundertmillion gehoben hat, es bat auch als Arbeitgeber für die Deckung der Kosten für die Versicherung der in seinen Verwaltungen be schäftigten versicherungspflichtigen Personen recht be trächtliche Posten unmittelbar jährlich zu zahlen. Auch diese Summen haben sich von Jahr zu Jahr gesteigert, und es ist, schon weil die Zahl der auf den Werften beschäftigten Personen sich sicherlich gehoben bat, als gewiß anzusehen, daß auch der NeichShauShaltSrtat für 1899 Erhöhungen der be treffenden Positionen aufweisen wird. Dabei kommen alle drei Arten der Arbeitcrversicherung, Kranken-, Unfall-, sowie Invaliditäts- und Altersversicherung in Betracht. Um welche Summen es sich handelt, geht daraus hervor, daß allein die Militairverwaltung für die preußischen und die angezliederten Contingente nahezu eine Million und die Marineverwaltung nahezu eine halbe Million jährlich verausgabt. Nimmt man die Kosten der übrigen kleineren Verwaltungen hinzu, sowie die für das nächste Jahr zu erwartende Steige rung, so kann man es als ganz gewiß bezeichnen, daß das Reich im nächsten Jahre als Arbeitgeber unmittelbar für die Versicherung der in seinen Verwaltungen beschäftigten versicherungspflichtigen Personen mehr als 14/r Millionen Mark wird ausgeben müssen. 0. II. Berlin, 15. October. (Generalstreik der Bergleute?) Die Führer des socialdemokratischen Bcrgarbeiterverbandes nehmen angesichts der gut besuchten Versammlungen in Oberhausen, Essen und Bochum, in denen eine zehnprocentige Lohnerhöhung gefordert wurde, den Mund sehr voll, aber es bangt ihnen doch sehr uni die Zukunft und vor einem Generalstreik sind sie in ernster Sorge. In einem soeben an die Kameraden im Ruhrgebiet erlassenen Manifest erklärt der Vorstand des Verbandes: „Einen schwerwiegenden Beschluß haben die Kameraden ge faßt. Der Vorstand deS Verbandes hat die volle Verant wortlichkeit für die kommende Lohnbewegung übernommen und wird sie nicht von sich weisen. Aber wir sind ver loren, wenn unsere organisirten Freunde, die alte Garde, uns nicht stützen. Wie sollen wir bei kommen den Massenbewegungen die Masse im Feuer standhaft, be sonnen, nüchtern und durchaus rubig halten, wenn uns unsere organisirte Kerntruppe nicht zur Seite steht?" Nach Sieges- Die Priester in Tibet.*) Ehe ich das Kloster verließ, richteten die Lamas, die jetzt ziemlich vertraut geworden waren, viele Fragen an mich, Indien und die medicinische Wissenschaft betreffend. Beide schienen Gegenstände großen Interesses für sie zu sein. Sie fragten mich auch, ob ich vielleicht gehört habe, daß ein junger Sahib mit einem großen Heere über die Grenze gekommen sei und daß der Jong Pen von Taklakot dasselbe geschlagen und >den Sahib mit den vornehmsten Mitgliedern ider Expedition enthauptet hätte. Ich gab vor, von diesen Thatsachen nichts zu wissen, was auch wahr war, obgleich mich natürlich die Art und Weise sehr ergötzte, in «der der Jong Pen von Taklakot über das Bärenfell verfügte, ehe er den Bären gefangen hatte. Die Lamas hielten mich für einen Hindu-Doctor, Dank der Farbe meines ^Gesichts, das von der Sonne verbrannt und lang« nicht gewaschen war, und glaubten, daß ich auf einer Pilgerfahrt zur Umwanderung 'des Mansarowar-Sees begriffen sei. Sie schienen begierig, zu er fahren, ob in Indien die Krankheiten durch Geheimwiffenschaften *) Wir bringen hier einen Abschnitt aus dem spannenden Werke Sandor'»: „Auf verbotenen Wegen-, das soeben im Verlage von F. A. Brockhau» erscheint. Auf verbotenen Wegen ist Vandor, ein junger Mater und Ingenieur, im Sommer vorigen Jahres in das geheimnisvolle Tibet eingedrungen. Es sind Aben teuer aller Art, die der kiihne Verfasser zu bestehen hat. Unter schweren Kämpfen ist es ihm gelungen, mit einem Gefolge von 00 Mann die Bergkette des Himalaja trotz Eis und Schnee zu übersteigen. In Tibet drohte ihm und seinen Leuten der Hunger tod, und seine verzweifelten Begleiter wollten ihn ermorden. Trotz alledem dringt er weiter vor, um die Geheimnisse de» Priester staates zu enthüllen. Er berichtet über da» Leben und Treiben des merkwürdigen Volke» und seiner habgierigen grausamen Be herrscher. Von Priestern und Soldaten überlistet, fällt der Ver fasser mit »en letzten zwei Dienern in die Hände der Priester und muß Vie grausamsten Marterqualen erdulden. Schließlich wird er aus einem Auge geblendet und soll enthauptet werden, und nur einem glücklichen Zufall dankt er e», baß er mit dem Leben davon kommt und die Heimath Wiedersehen kann. Das Werk sgeb. 10 -F) ist mit nicht weniger al» 200 Abbildungen nach Zeichnungen und Photographien be» Verfasser» au»geftattet und enthält außerdem 8 ktlnmlerisch« Chromotafeln nach Aquarellen Sandor'», sowie eine khm ausgenommen« Karte. oder nur mit Arzneien geheilt würden. Ich, der ich im Gegen- theil mehr Interesse daran hatte, Mittheilungen zu erhalten als solche zu machen, lenkt« die Unterhaltung auf die Lamas selber. Natürlich wußte ich, daß «s Secten von rothen und gilben Lamas giebt, von denen die rothen die älteren, jetzt aber an Zahl geringeren sind. Die herrschend« religiöse Secte sind die gelben Lamas, die Gelukpa, die auch in politischer Beziehung die mäch tigsten sind. Außerdem giebt es im Land« noch spärliche Reste des ursprünglichen Glaubens, der schamanistischen Bon-Religion, die auch als di« schwarze Religion bezeichnet wird. Die Lama- srreren sind gewöhnlich sehr reich, denn die Tibetaner sind ein sehr frommes Volk, und die Lamas stehen nicht zurück in der Kunst, unter allen möglichen Vorwänden 'Geld von den un wissenden Gläubigen zu erpressen. Neben der Besorgung ihrer religiösen Functionen bethätigrn sich die Lamas auch als Händler im Großen, indem sie ein schlaues Geldvrrleihgeschäft betreiben und sehr höhe Zinsen verlangen, di« jeden Monat fällig sind. Wenn diese unbezahlt bleiben, wird der ganze Besitz des Schuldners confiscirt, und wenn dieser sich als nicht genügend erweist, das Darlehen zu ersetzen, wird der Schuldner Sclave des Klosters. Wenn man die wohlgenährten Gesichter der Lamas betrachtet, ist es auf den ersten Blick zu erkennen, daß sie sich trotz ihrer gelegentlichen körperlichen Entbehrungen in keiner Weise etwas abgehen lassen, und es kann kein Zweifel darüber be stehen, daß sie ein ruhiges und behagliches Dasein in verhältniß- mäßigem Luxus führen, der häufig in Laster und Verderbtheit ausartet. Die größeren Lamasereien erhalten von der Regierung einen jährlichen Zuschuß, und durch die Opfergaben der Gläubigen werden beträchtliche Summen angesammelt, während andere Gelder durch Mittel und Wege erlangt werden, die in jedem anderen Land« als Tibet kaum als ehrenhaft und oft sogar als verbrecherisch betrachtet werden würden. Bon den größeren Städten abgesehen, lebt fast das ganze tibetanische Volk mit Ausnahme der Briganten und der Lamas in großer Armuth, während die Mönche selbst und ihre Agenten von dem Fette deS Landes leben und gedeihen. Da» Volk wird in vollkommener Unwissenheit erhalten, und selten findet man «inen Laien, der schreiben oder wenigstens lesen kann. So muß Alles durch die Hände der Lamas gehen. Dir Lamasereien und die LamaS, sowie das Land und Eigen- thum, da» ihnen gehört, sind von allen Steuern und Abgaben frei, und jeder Mönch wird durch ein« bestimmte Lieferung von Tsamba, Ziegelthee und Salz unterhalten. Sie recrutiren sich aus allen Classen, und gleichviel, ob sie ehrliche Leute oder Dieb« und Schwindler sind, werden sie Alle bereitwilligst angenommen, um in die Bruderschaft einzutreten. Ein oder zwei männliche Mitglieder jeder tibetanischen Familie treten in die Mönchsorden rin. Auf diese Weise erlangen die Mönche «ine große Macht über jed«s Haus und Zeltlager. Es ist kaum eine Uebertreibung, wenn man sagt, daß die Hälfte der männlichen Bevölkerung in Tibet aus Lamas besteht. In jedem Kloster findet man neben den Lamas, d. h. den eigentlichen, fertigen Mönchen, dir alle Weihen empfangen haben, noch zwei Classen von Mönchen, die zwar auch glattrasirte Köpfe und zum Theil dieselbe Tracht wie ihre Odern haben, aber niederen Grades sind und natürlich auch keinen thätigen An theil an der Politik der Lama- Regierung nehmen: die Schabi und die Getsui. Die Schabi sind di« Novizen. Sie treten sehr jung — im 7. oder 9. Lebensjahr — in die Lamasrrri ein und bleiben mehrere Jahre hindurch Schüler. In dieser Zeit, während der sie auch die harte Arbeit des Klosters verrichten müssen, sind sie beständig in der Lehre und unter der Aufsicht des Lamas, dem sie zur Erziehung übergeben worden sind. Nach vollendetem 15. Lebensjahr er halten sie die zweite Weihe und treten damit in die Classe der Getsul über, einer Art Unterpriester, die noch nicht alle Rechte, dafür aber auch nicht all« Pflichten der eigentlichen Mönche haben. Nach fünf weiteren Jahren und nach Empfang der dritten Weihe werden sie endlich wirkliche Lamas, welches Wort „Oberer" bedeutet. Di« Schabi und Getsul übernehmen untergeordnete Rollen in den seltsamen religiösen Ceremonien, bei denen die Lamas, in Felle und gräßlich« Masken .verkleidet, singen und mit außer ordentlichen Verrenkungen tanzen, begleitet von einer unheim lichen Musil von Glocken, Hörnern, Flöten, Cymbeln und Trommeln. Jedes große Kloster hat an seiner Spitze einen „Groß-Lama". Dieser gehört zwar zur höheren Geistlichkeit, aber nickt immer zu deren höchster Stufe, den „wiedergeborenen Heiligen . Wäh rend jene sozusagen den Derdienstadel d«S hierarchischen Systems darstellt, bilden diese, die Wiedergeborenen, seinen GeburtSadel; denn nach dem lamaitischen Dogma leben in ihnen Vie Seelen der alten Heiligen, die sich ihren Leib zum Wohnsitz auserwählt haben; si« sind also incarnirte Götter. Durch eine solch: un unterbrochene Jncarnation pflanzt sich namentlich der Papst von Tibet, der Dalai Lama zu Lhassa, fort. Mit Ausnahme d«S Groß-LamaS, der ein Zimmer für sich allein hat, essen, trinken und schlafen die Lamas in dem Kloster zusammen. Immer zwei Monate des Jahres, 15 Tage in jedem Vierteljahr, halten sie sich in strenger Abgeschlossenheit, die sie dem Gebete widmen und während welcher Zeit sie nickt sprechen dürfen. Sie fasten 24 Stunden hintereinander bei Wasser und Butterthee; sie essen an jedem Fasttag nur so viel gerade als nöthig ist, um am Leben zu bleiben, und entsagen allem Anderen, sogar dem Schnupftabak und dem Ausspucken, den beiden am meisten verbreiteten Gewohnheiten der tibctaniscken Männer. Die Lamas machen große Ansprüche auf Unfehlbarkeit, uno auf Grund dieser erlangen sie di« Verehrung des Volkes, von dem sie erhalten, genährt und gekleidet werden. Ich fand sie in der Regel sehr intelligent, aber unmenschlich, grausam und ehrlos. Ich sage dies nicht allein aus eigener Erfahrung, ich hörte dasselbe auch von den unterdrückten Eingeborenen, die sich nichts Besseres wünschen als eine Möglichkeit, ihr Joch abzuschütteln. Die gänzliche Unwissenheit benutzend, in der sie das Volk mit Erfolg erhalten, üben die Lamas in großem Umfang« geheime Künste aus, durch welche sie vorgeben, Krankheiten zu heilen, Morde und Diebstähle zu entdecken, Ströme am Fließen zu ver hindern und in einem Augenblick Stürme zu erregen. Gewisse Beschwörungen orrtreiben, wie sie sagen, die bösen Geister, welche Krankheit verursachen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Lamas in hypnotischen Experimenten bewandert sind, vermittelst deren sie es fertig bringen, die unter ihrem Einfluss« stehenden Individuen viele Dinge und Gegenstände sehen zu lassen, di« in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Dieser Macht sind die häufigen Berichte über Erscheinungen Buddha's zuzuschreiben, die ge wöhnlich von einzelnen Individuen gesehen werden, und auch die Visionen von Dämonen, deren Schilderungen allein schon die ein fältigen Leute erschrecken und sir veranlassen, alle ihre Spar pfennige als Opfergaben für da» Kloster herzugeben. Auch der Mesmerismus oder thierische Magn«tismus spielt eine wichtige Rolle in ihren Zaubertänzan, bei denen sie außer ordentliche Verrenkungen ausführen und seltsame Stellungen annehmrn und wobei der Körper des Tänzers schließlich in einen Zustand der Starrsucht gebracht wird, in dem er lange Zeit verbleibt. Die Mönche legen bei ihrem Eintritt in di« Lamaserei das Gelübde der Ehelosigkeit ab; sie halten aber diesen Eid nicht immer.
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