02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-29
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960429028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896042902
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-29
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Di« Morgen-AuSgab, «ich,int um '/,? Uhr. di« Abend-Au«gabe Wochentag- um b Uhr. Filialen: Klemm's Sartim. (Alfred Hah«^ sinivrrsitätSsinißr 1. L-»iS Lösch«, Katbnrinenstr. 14, vart. und KönigSvlatz?. Re-actio« «nd Expedition r Johannes,ass« S. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend- ? Uhr. BezugS.PreiS in drr Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich >»4^0, hei zweimaliger täglicher Zustellung uc» Hau- SSO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich k.—. Direet« tägliche Übreuzbandiendung ins Ausland: monatlich ^tll 7.öl> Abend-Ausgabe. MMM.TagMM AnzeigeN'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) vO^, vor Len Farintiennachrichten l6gespalten) 40^. Größere Schritt«« laut unserem Prris- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsay nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Lcorgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Molizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Mittwoch den 29. April 1896. Armahmeschluk für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. P« d«n Filialen und Annahmrstrll«« j« «ine halbe Stunde früher. Anzeigen sind st«ts an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig so. Jahrgang. Die Krisengerüchte. * Die Krisengerüchte, die vor einigen Tagen schüchtern laut wurden, sind plötzlich zu einem wahren Sturme an- gesckwollen. „(Jestern noch unbestimmtes Gerücht" — beginnt beute die „Boss. Ztg." einen Leitartikel — „beute unleug bare Thatsack«; dir KristS ist nicht erst möglich, sie ist greifbare Wirklichkeit, obwohl noch nicht rin einziger Minister sein Entlassungsgesuck ringereicht hat. In den nächsten Tagen muß die Entscheidung fallen. Nickt um einen Minister handelt es sich, sondern um ein Mini sterium, und nicht um ein Dutzend Personen, sondern um ein System. Die Reaktion meldet sich; die un berufenen Ratbgeber des Hofes, die Kaiser Friedrick's Wort verwerfen: „Nicht Stillstand, sondern Fortschritt", versuchen eine Kraftprobe gegen die Regierung, den Reichs tag, die Bundesfürsten, die öffentliche Meinung." Thatsöchlich bandelt cS sick um Vorgänge, wie sie sich noch jedesmal abgespielt haben, wenn der Kaiser auf Reisen war und nicht in unmittelbarem Meinungsaustausch mit seinen verantwortlichen Rqthgcbern bleiben konnte. Zn solchen Zeiten machen sich ganz naturgemäß andere Einflüsse auf den Monarchen geltend, als die dieser Rathgebex, die dann nach der Rückkehr des Kaisers versuchen müssen, ihrer Meinung Geltung zu schaffen. Ob solche Zustände gesund find und wie sie sich vermeiden lassen, ist eine Frage, auf die wir jetzt nicht einzugehen brauchen. Genug, sie sind vyr- banden und haben zu schweren Folgen noch nicht geführt, weil der Kaiser sich nach eingehender Besprechung mit seinen verantwortlichen Räthen noch immer auf ihre Seite stellte. Voraussichtlich geschieht dies auch diesmal. Die Erregung ist aber deshalb eine so große, weil der Djfferenzpunct zwischen den streitenden Kräften ein besonders wichtiger ist. Als im Herbst vorigen Jahres Herr v. Köller aus dem Ministerium schied, war es nicht unbekannt geblieben, daß dieses Ereignis noch nicht alle Hindernisse, die sich der Reform derMilitair-Strafpro ceßord nu ng entgegen stellten, aus dem Wege geräumt batte. Dg aber offenkundig alle für die deutsche Politik und sämmtliche für die Heeres verwaltung der deutschen Contingente verantwortlichen Stellen entschlossen waren, der öffentlichen Meinung, wie dem militairischen Interesse durch eine zeitgemäße Umgestaltung des Strafverfahrens im Heere Rechnung zu tragen, schien die Erwartung vollauf gerechtfertigt, es werde alsbald ein Gesetzentwurf über den Gegenstand an den Reichstag gelangen. Nach dem, was jetzt bekannt wird, haben einflußreiche Personen in der Umgehung des Kaisers sich nicht ohne Erfolg bemüht, die Realisirung deS Planes vorläufig zu hintertreiben. Der „Köln. Ztg." zufolge war in dem im vorigen Jahre vom preußischen Staatsministerium gebilligten Entwürfe einer neuen Militair-Strafproceßordnung die Schaffung eines obersten ReickSmilitairgerichtS- bofes vorgesehen. Zn demselben sollte die Eommandogewalt in Verbindung mit der Reichsmilitairgerichtsbarkeit zum Ausdruck kommen. Der oberste Gerichtshof sollte aus einem General und drei juristischen Beiräthen,Senatoren, bestehen. Die Einzelstaaten, namentlich Sachsen, Bayern, Württemberg, waren damit einverstanden, obwohl dadurch ihreSouveränitätS- rechte eingeschränkt wurden. Als erster Vorsitzender dieses GerichtS- bofeS soll der jetzt verabschiedete General von Spitz auS- ersehen gewesen sein. Nunmehr soll der Kaiser, und zwar, wie daS genannte rheinische Blatt ausdrücklich betont, auf Befürwortung deS Generals von Hahnke, die Schaffung dieses obersten ReichSmilitairgerichtshofeS abgelehnt baden. DaS Blatt behauptet, General von Hahnke habe gegen die Schaffung jener obersten Instanz geltend gemacht, durch den obersten ReichSmilitairgerichtShof würde dem Kaiser die directe notbwendige Einwirkung aus die bewaffnete Macht verkümmert und entzogen und die Armee zu einer Bürgerwebr gemacht. Diese Auffassung habe bei dem Kaiser gesiegt. Der „Hamburgische Correspondent" bemerkt über dieselbe Angelegenheit unter Anderem: In den verantwortlichen Re gierungskreisen bestehe nicht die pessimistische Meinung be züglich der Aussichten einer neuen Militairstrafproceßordnung, die in der Tagespreise zum Ausdruck gelangt sei. Immerhin sei der Zeitpunkt der Reform in weitere Aerne gerückt. Das Hamburgische Blatt weiß über die Vorgänge in der StaatS- ministerialsihung vom vorigen Sommer, in welcher die An gelegenheit berathen wurde und welche den Rücktritt des Ministers v. Köller zur Folge hatte, Folgendes zu berichten: „Zu jenem Ministerratbe traten der Reichskanzler und der Kriegsminister warm für die modernen Grund sätze des StrafprocefseS ein, und das Ministerium einigte sich auch über die Oeffentlichkeit des Verfahrens dahin, sie von dem Charakter deS StrafdelictS ab hängig zu machen. Es wurde ausgesührt, bei nicktmilitairischen Verbrechen sei die Oeffentlichkeit nicht nur nicht schädlich, sondern nützlich. Ein Meinungsunterschied entstand erst in Bezug auf die militairischen Vergeben und Verbrechen. Eine ganze Anzahl derselben könne — so wurde ausgesührt — ebenfalls ohne Bedenken öffentlich verhandelt werden, so z. B. Fahnenflucht, einzelne Vergeben auf Wache und Posten, In subordination, Prügeleien, Veruntreuung staatlichen Eigen- tbums rc., und selbst bei etwaigen Mißhandlungen könne die Oeffentlichkeit in den meisten Fällen nur erwünscht sein. Damit jedoch keine Willkür bezüglich des Verfahrens eintrete, sollte ,n einem besonders zu schaffendenden ReichSmilitairgerichtshofe, welcher im Namen des Kaisers sungiren sollte, die Eommando- gesvalt mit der Gerichtsbarkeit vereinigt werden. Zn Bezug aus die Ausgestaltung des Gerichtshofes im Einzelnen habe namentlich der Reichskanzler den Gesichtspunkt vertreten, daß im Gerichtshöfe durch die Art der Zusammensetzung das militairische (Commando) und daS juristische Element (Gerichtsbarkeit) scharf zum Ausdruck gelangen müsse, damit keine einseitige Auffassung und Tdätigkeit in ihm Platz greife und die Reform ein wirklicher, kein scheinbarer Fortschritt werde. Für die Stelle der Commandogewalt sei General von Spitz auSersehen gewesen, und dieser Absicht sei es zuzuschreiben, daß der General, der eine Zukunft in der Armee wegen der inzwischen eingrtretenen Veränderungen nicht mehr haben konnte, im aktiven Dienste verblieb. Aus der Verabschiedung des Generals von Spitz dürfe nun allerdings nicht gefolgert werden, daß alle bisherigen Arbeiten vergeblich gewesen seien und daß nun von Neuem angefangen werden müsse." Zm Wesentlichen mögen die Angaben beider Blätter, soweit sie Ubereinslimmen und nicht auf die Entscheidung des Kaisers sich beziehen, richtig sein. Aber jedenfalls ist die Behauptung unzutreffend, daß eine solche Entscheidung während der Abwesenheit des Kaisers getroffen worden sei. So setzt sich Kaiser Wilhelm II. nicht über den Rath seiner verant wortlichen Rathgeber und obendrein über die berufenen Stimmen seiner Bundesgenossen hinweg. Die Entscheidung wird erst nach der Rückkehr des Kaisers und nach eingehender Berathung mit dem preußischen Ministerium sowohl, wie mit den Regierungen der Bundesstaaten fallen. Diese sowohl, wie der Reichskanzler und die übrigen preußischen Minister werden sich der Einsicht nicht verschließen, daß etwa neu aufgcstiegene technische Bedenken militairischer Autoritäten ernste Prüfung verlangen und eventuell berück- sichtiat werden muffen. Diese Autoritäten aber werden auch ihrerseits nicht außer Augen lassen, daß technische Bedenken zurücktreten müssen gegen hochpolitische Gründe, deren Gewicht nur dir Bundesregierungen zu ermessen vermögen. ES wäre allerdings rill nicht unbedeutender und aus »inen noch größeren Sieg vorbereitender Erfolg der Gegner drr Reform, wenn General v. Spitz, der erst gegen den Brauch in Aktivität gelassen worden War, um Vorsitzender deS obersten Reichs- mil'tqirgerichtSbofeß zu werden, verabschiedet worden wäre, weil wenigstens zunächst keine derartige Verwendung möglich sei. Aber eS ist doch fraglich, ob die Verabschiedung deS Generals mit der Frage der Reform der Militairstrafproceß- ordnung im Zusammenhang steht. Wie srüber bereits, so wird auch jetzt noch in vsficiösen Blättern wenigstens in Bezug auf die Generale v. Blume und v. Schlichtina bestritten, daß deren Rücktritt irgend etwas mit jener Reform zu schaffen habe. Daß rin grundsätzlicher Wechsel in der Stellung zu der Frage der Militairstrafproceßreform auch ernstliche politische Eonsequenzen nach sich ziehen müßte, bedarf nicht erst der Betonung nach der Art, wie der jetzige preußische Kriegsminister sich für das Zustandekommen der Reform verpflichtet hat, und nach der einmülhigen Haltung, welche das gesammte jetzige preußische Ministerium eingenommen hatte, als im vorigen Zahre in die Vorgänge, die den Rück tritt des früheren Ministers deS Innern, Herrn v. Köller, zur Folge batten, auch die Frage der Militairstrafproceßordnung mit bineinspielte. Hatte sich damals das gesammte Ministerium für solidarisch in dieser Frage erklärt, so ist inzwischen kein Umstand eingetreten, der den Fürsten Hohenlohe und seine Eollegen zu einem grundsätzlichen Meinungswechsel veranlassen könnte. Wer ihn dennoch für nothwendig hielte, drr müßte sich gewärtig kalten, daß er neben dem Rücktritt des Ministeriums doch noch Verwickelungen anderer Art nach sich ziehen würde, die nicht leicht zu nehmen wären. Nahezu einmijtbig hat sich der Reichstag für eine Aenderung der Militairstrafproceßordnung ausgesprochen. Die Mehrheit für einen dahingehenden Antrag, drr in den 70«r Jahren bereit- von dem nationalliberalen Abgeordneten v. Bernutb gestillt worden war, ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Mit dieser Thatsache würde jeder neue Reichskanzler und Ministerpräsident rechnen müssen, und sie fällt um so mehr ins Gewicht, als eine große Zahl, vielleicht die Mehrzahl, der Bundesregierungen in dieser Frage auf der Seite des Reichstags steht. Ze klarer diese Tbatsackr hervorgehoben wird, um so eher ist zu erwarten, daß sie in ihrer Bedeutung auch richtig an den entscheidenden Stellen gewürdigt wird, und um so eher ist zu erwarten, daß es gelingt, der Schwierigkeiten ohne ernstere Verwicklungen Herr zu werden. Eine Lehre aus Lachsen. -?- Hamburg, 29. April. (Privattelearamm.) Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht Las Organ des Fürsten Bismarck, die „Hamb. Nachr.", folgenden Leitartikel: Vergleicht man die parlamentarischen Verhandlungen der letzten Monate mit denen im vorigen Zahre, so sollte man fast meinen, daß den parlamentarischen Faktoren das Bewußt sein der Gefahr entschwunden sei, die unsere Staats- und Gesellschaftsordnung von svcialrevolutivnairer Seite bedroht. Man discutirt im Reichstage mit den socialdemokratischen Red nern über mehr oder weniger untergeordnete Einzelfragen, von den principiellen Bestrebungen der Partei aber ist kaum noch die Rede. Ab und zu nimmt Wohl ein tapferer und einsichtiger Mann, wie der Abg. Frhr. v. Stumm, An laß, das Gewissen des Hauses auszurütteln und auch der neuliche Hinweis deS Abg. v. Bennigsen auf das Verhältniß der deutschen Socialdemokratie zur Pariser Commune warf wieder einmal ein grelles Streiflicht ans das eigentliche Wesen der internationalen Revolutionspartei; aber das sind Episoden, die ohne weitere Nachwirkung bleiben. Zm Allgemeinen kann man sagen, daß Regierung und Parlament eine Haltung beobachten, als wären die Socialdemokratie und die Gesäbr- lichkeit ihrer Bestrebungen gar nicht vorhanden. Einen beachtenswerthen Gegensatz hierzu bilden Regierung und Landtag in Sachsen. Dort hat man kein Hehl daraus gemacht, daß man daS Fortschreiten der internationalen social- demokratiscken Bewegung als das betrachtet, was es ist: als die bedrohlichste Erscheinung des modernen staatlichen Lebens. Und man hat dieser Erkenntniß entsprechend gehandelt. Wir haben daS neu« sächsische Wahlgesetz in seinen Einzelheiten hier nicht zu vertreten, aber daß Re gierung und Volksvertretung in Sachsen es in einmütbiger Entschlossenheit unternommen haben, durch eine wirkliche That, nicht blos durch den Anschein einer solchen, der social- revylutionairen Hochfluth einen wirksamen Damm entgegen zu setzen, ist immerhin ein Ereigniß, das, gerade weil es von der anderwärts bestehenden Unthätigkeit so drastisch absticht, Beachtung verdient und den schwindenden Glauben an di» endliche Ermannung des deutschen Reiches zur energischen und nachdrücklichen Bekämpfung der Social demokratie neu beleben kann. Die sächsische Maßregel ist aber auch insofern lehrreich, als sie zeigt, auf welche Weise gesetzgeberische Schritte gegen die social-revolutionaire Propa ganda zu erreichen sind. Das sächsische Vorgehen ist in der Hauptsache ein Ergebniß des festen Zusammen siebens aller staatSerhaltenden Elemente. Es Kat auch in Sachsen nicht an den verschiedensten Versuchen gefehlt, das Zusammenhalten der staatserhaltenden Parteien zu lockern. Nicht nur die Einsckiickterungsmanöver, welche die Social demokralen in vieltausendköpfigen „Entrüsiungsversammluugen" unternommen haben, sondern auch Doktrinarismus und Zag haftigkeit in den bürgerlichen Kreisen schienen die Gesabr einer Verwirrung der Meinungen und einer Lähmung der Energie heraufzubeschwören. Dem gegenüber kann die Un erschütterlichkeit nicht genug anerkannt werden, welche Regierung und Kammer allen derartigen Einwirkungen ent gegengesetzt haben. Sie konnte nur aus der festen Ueberzeugung von der unausweichlichen Nothwendigkeit des Kampfes gegen die Socialdemokratie resultiren. Dieser Ueberzeugung haben die Ordnungsparteien beim Schluffe des sächsischen Land tages einen beachtenswerthen Ausdruck gegeben, indem sie er klärten, daß sie das bewährte Zusammengehen der staats erhaltenden Elemente auch außerhalb de« Landtages geboten erachteten und gewillt seien, hierfür und für ein gemein sames Eintreten bei öffentlichen Wahlen zu wirten. Zu den Parteien, welche in Sackse» auf diese Weise Zusammengehen wollen, gehören neben den Conservativen nicht nur die Nationalliberalen, sondern auch die alte sächsische Fortschrittspartei. Ist dies „Eartell" in Sachsen möglich, so muß man doch fragen, warum «S nicht anderwärts ebenso gut herzustellen sein sollte. Die Erklärung dafür, daß cs seit der Auf lösung des alten Eartells zu einem Wiederzusammenschluß der staatserhaltenden Kräfte im Reiche trotz aller Er mahnungen nicht gekommen ist, kann doch nur in einer mangelhaften Kenntniß der Gefahr, um deren Bekämpfung rS sich handelt, gesucht werden. Man meint freilich auch, daß für den Kampf gegen dir Revolution sich die staats- Der Roman einer Schwiegermutter. Fräulein I. de Satnt-Aignan nacherzählt von H. Semmig. H Nachdruck derbotm „Dann muß sie aber in einer tödtlichen Angst sein, allein, verlassen, ohne Beschützer und Freunde. Augenblicks eile ich zu ihr, liebe Tante, ich werde ihr meine Dienste anbieten. Besitze ich auch keinen Einfluß und keine Macht, so habe ich doch ein Herz, das ganz ihr gehört, daS nichts ihr rauben kann." „Geb', mein Sohn, Du thust recht", sagte die Marquise mit gerührter Miene, ich erwartete daS von Dir. Ich meiner seits werde zu erfahren suchen, was diese unglaubliche Ver folgung veranlaßt hat, und Antoninen im Laufe deS TageS besuchen, bitte sie um die Freundlichkeit, mich vorzulassen." Wi« im Fluge durcheilte Maxence die weite Strecke, die da» Hotel seiner Tante von dem der Baronin Martial trennt«; er fand dasselbe in vollständiger Verwirrung, die Aufregung, die di» Entführung der Madame de Lubersac hervorgrrufen batte, der Mangel ihrer strengen Autorität, die beunruhigenden Umstände, dir ihre Abreise begleitet hatten und deren G«- heimniß sehr schlecht bewahrt worden war, Alles dies hatte die ganz« Bevölkerung der Lakaien und Kammermädchen aus Rand und Band gebracht. Alle gewohnte Tagesarbeit hatte aufgehört; bewegte Gruppen hatten sich in den Vorzimmern gebildet und besprachen lebhaft da» Ereigniß pe» Tage»; ver schiedene wichtige Beamte, Küchenjungen oder Groom», die sich schon durch ihren Aufenthalt in einem für verdächtig er klärten Hause compromittirt glaubten, schickten sich an, e» zu verlassen und glaubten sich schon von jedem Di«nstr, fast von allem Respekte entbunden. Kaum sand Maxence Einen, von dem er erfahren konnte, ob die Frau Baronin Martial zu Hause sei. Der Bediente, der ihm zu antworten geruht«, erachtete es nicht für nothwendig, ihn zu begleiten, so daß Maxence allein und unangemeldet in daß kleine Boudolr ge langt«, wohin die arme Antonine sick geflüchtet hatte. Noch unter dem Eindruck de« Schreckens und Schmerze», den ihr di, plötzliche Trennung von ihrer Stiefmutter ver ursacht hatte, den Schwierigkeiten, vielleicht den Gefahren gegenüber, di« ihrer Seele dunkel vorsckwrbten, allrin gelassen, wußte die jung« Frau nicht, wa» si« thun, wozu sie sich ent schließen sollte; schon la» sie auf den Gesichtern der Mirtklinge, die sie umgaben, selbstsüchtige Furcht und das geringschätzige Mitleid; so war sie seit dem Morgen in die tiefste Betäubung versunken, aus welcher ihr nur ein Gedanke klar emporstieg, die schmerzliche Ueberzeugung, daß sie allein in der Welt stand, ohne Stütze, ohne Beschützer, daß keine menschliche Creatur an ihrem Schicksal Antheil nähme. Zuweilen allerdings trat daS Bild des jungen Maxence einen Augenblick tröstend vor ihre verzweifelnde Seele und eine geheime Stimme sagte ihr, daß er wenigstens sie nicht verlassen würde; dann aber erinnerte sie sich, daß sie selbst seine Zärtlichkeit zurückgewiesen, seinen Schutz abgelehnt hatte und ihre Thränen stossen um so reichlicher. Zn dieser Stimmung fand sie Maxence. Zitternd wie ein erschrockenes Reh fuhr sie schauernd zusammen, als sie die Thür ausgehen hörte, aber der Freudenschrei, der ihren Lippen entfuhr, verrieth ihre geheimen Empfindungen. „AH, Sie sind es," sprach sie, „Sie kommen, um mich zu schützen, mich zu retten; o, nun habe ich keine Angst mehr." „Sie schützen, theure Antoninel Ach, sagen Sie vielmehr, Ihnen mein Leben weihen, alle Kräfte meines Herzens und meiner Seele Zhnen widmen. Erwarteten Sie mich denn nicht?" „Acht" antwortete sie naiv, „nach dem, was ich Ihrer Tante geschrieben batte, fürchtete ich . . ." „O," jagte Maxence, indem er sich neben sie setzte, „ich bin nicht gekommen, Ihnen ein« Liebe wieder anzutragen, die Sie verschmäht haben, wohl aber eine Ergebenheit Ihnen zu bringen, die wenigstens Sir nicht zurückweisrn werden." Die junge Frau schlug die Augen nieder und lispelte leise : „O, ick danke, danke Ihnen, Sie haben ein edles Herz." Sie mußte jetzt eine Anstrengung mache», um wieder an Madame de Lubersac zu denken, dir sie, offen gestanden, über ihren persönlichen Angelegenheiten »inen Augenblick vergeffrn hatte, und fügte hinzu: „Und wer hat Ihnen gesagt, wa» vorgefallen ist? Spricht man schon von diesem grausamen Act der Gewalt und Willkür? Weiß man vielleicht, wa» meiner Mutter droht?" „Nein, nicht», denke ich", antwortete Maxence; „Niemand weiß etwa» von der unerhörten, gehässigen Verfolgung, dir Sie trifft. Ich habe si« heute Morgen von meiner Tante erfahren, die immer seltsam unterrichtet ist; si« hat mir ver sprochen, nackzufvrschen, wo Madam» de Lubersac sich befindet und wa» wir für sie zu befürchten haben; meine Tante wirb sich beute bei Ihnen anmelden lassen. Werden Sie sie empfangen wollen?" „Jawohl, o gewiß! sie möge nur kommen und mir sagen, was ich thun soll, wie ich meiner armen Mutter nützlich sein kann, ihre Befreiung erwirken kann!" Maxence fühlte sein junge- Blut bei dem Gedanken an den gehässigen Mißbrauch der Gewalt, dessen Opfer Madame de Lubersac war, in Wallung gerathen. Er empfand daS heftigste Verlangen, sie ihren Verfolgern zu ent reißen. Die schönen Thränen Antoninen'S flößten ihm einen unwiderstehlichen Feuereifer rin. Er erbot sich, auf der Stelle Erkundigungen einzuziehe», seine Freunde in Anspruch zu nehmen, Alles aufzubieten, den unseligen Irrthum zu ent decken, drr ohne Zweifel an all' d«m Unglück Schuld war. Antonine wollte durchaus diese muthigr Aufopferung nicht annebmen, sie fürchtete, daß Maxence sich compromittirte und die harten Maßregeln, über dir er so heftig erbittert war, sich selbst zuzöge. Mit Mühe besiegte da» drängende Bitten des jungen Mannes ihren Widerstand, er verließ sie und versprach nur, bald zurückzukommen. Als die Marquise ankam, war sie von dem aroßmüthigen Eifer ihre» Neffen weit mehr überrascht al» erbaut. „Drr Narr!" sagte sie und zuckt« mit den Achseln, „er wird sich recht unnützer Weise compromittiren," fügte sie, zu Antoninen gewandt, mit besorgter Miene hinzu: „Nehmen Sie sich in Acht, alle Beide; ein Wort, ein unbesonnener Schritt könnte die schrecklichsten Folgen für uns Alle, besonders für Madame de Lubersac haben." Die tödtlicke Bläffe, die sick über Antoninen'S Gesicht verbreitete, flößte Madame de Ehalantzay einigen Schrecken rin; sie wollte eben versuchen, ibre geängstigte Gesellschafterin zu beruhigen, al« glücklicherweise für Beide die Thllr auf ging und Maxence eintrat. Schnell kam die Röth» auf die Wangen der jungen Frau und da» Lächeln auf die Lippen der Marquise zurück. Er batte jedoch nicht« Freudiges er fahren und eine finster« Wolke de» Unwillen» verdüsterte seine Stirn. Madame de Lubersac war wirklich verhaftet und im strengsten Gewahrsam, zwar nicht in einem der Pariser Ge fängnisse, sondern in einem Hause eine» drr Faubonrg«, dessen genaue Angabe Maxence aber nicht batte erfahren können. „Ich wußte e« wohl", sagte hieraus Madame de Ehalancay, „Ihr jungen Tollköpfe hättet besser gethan. meine Er kundigungen abzuwarten, die ich — seid versichert! an guter Quellt geschöpft habe, anstatt Spione und Kerkermeister auszufragen, die Euch nicht die Wahrheit sagen werden. Um des Himmels willen, bleibt ruhig und zieht Euch nicht noch neues Unglück zu. Die Sache ist ernst, sehr ernst. Ich bin überzeugt, daß Madame vr Lubersac das Opfer eines Irrthum» ist, den man bald einseben wird; aber ihre Ver haftung hängt mit so wichtigen Interessen, mit einem so schweren geplanten Verbrechen zusammen . . ." „Einem Verbrechen?" fuhr Antonine erschrocken auf. „Still! Nickt so laut, mein Kind", sagte ernstlich be unruhigt die Marquise und legte ihre Hand auf den Mund der jungen Frau. „Ich habe Unrecht gehabt, so viel zu plaudern; eS wäre mein Unglück, wenn Sie es weiter sagten. Glaubt mir, lieben Freunde, das Beste, wa« Ihr zn thun habt, ist, Euch ruhig zu verhalten und alle compromittirenden Schritte einzustellen. Wenn Ihr selbst die Lage nicht ver schlimmert, so wird Euch Madame de Lubersac in ein paar Lagen, spätesten« in ein paar Wocken zurückgegebcn sein " „Aber, liebe Tante", rief Maxence heftig ans, „ist es erlaubt, eine solche Ungerechtigkeit ruhig zu enragen?" „Ick denke", antwortete die Marquise, „daß Ihr cs der Vorsehung nickt zu schwer machen solltet, Euch gegen Eure eigenen Thorheiten zu beschützen." Aber die Marquise predigte in der Wüste. Sie batte es, wie sie sagte, mit jungen Köpfen zu thun, und, noch mehr, mit zungen Herzen, die zu zärtlich und zu edelinüthig waren, um sich mit denl ruhigen, von ihr so warm empfoblenen Egoismus zu begnügen. Vielleicht vermuthete die alte Dame selbst, daß ihre Ratbschläge nur kalb befolgt werden würden. In der That nahm gleich Tag« darauf Maxence mit neuem Eifer seine Schritte wieder auf, die diesmal minder ver geblich waren; e» gelang ihm zu erfahren, wo Madame d« Lubersac gefangen gehalten wurde, und mit einem ihrer Wächter zu sprechen. Dieser willigte auch gegen ein gute« Trinkgeld ein, Uber seine Gefangene so viel Auskunft zu geben, als man verlangte; aber er wollte sich schlechterdings nicht mit einem Billet, nicht einmal mit einer mündlichen Botschaft an sie befassen. Nichtsdestoweniger hatte Antonine die Freude, zu erfahren, daß Vie Gesundheit ihrer Stiefmutter nicht unter dem Schrecken und Zorn ge litten hatte, von dem dieselbe bei ihrer plötzlichen Verhaftung befallen worden war, und daß sie, über ihr künftiges Schicksal jetzt ein wenig beruhigt, ihre Gefangenschaft wo nicht mit Geduld, so doch mit Würde ertrug. In dieser ruhigeren Stimmung konnte sick jetzt die junge Baronin, ohne sich bittere Vorwürfe zu machen, andern Ge-
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