02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960430022
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-30
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Dtts Klemm's Sortim. (Alfred Hahn», Universitätsstraße I, LoniS Lösche, Kcitbarinenstr. 14, Part, und KönkgSplah 7. NeLaction im- Lrve-itio«: » JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis tu der Hauptrxpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich.4l 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung iuS Haus 5.50. Durch die Post bezöge» sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direct« tägliche Kreuzbandsenoung tnS Ausland: monatlich 7.50- Abend-Ausgabe. MMer TaMalt Anzeiger. Amts blatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nattzes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. 218. Donnerstag den ^0. April 1896. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzcile 20 Pfg. Reckamen unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) 50vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rkne halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig SO. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. April. Der plötzlich durch die „Köln. Ztg." entfesselte Sturm von Kriscngeriichten, der noch gestern fast die ganze deutsche Presse erschütterte, hat sich heute bereits zu einem leisen Säuseln abgemildert. Man bezweifelt allerdings auch heute noch nicht, daß zwischen dem Reichskanzler und seinen preußischen Ministercollegen einerseits und einflußreiche» militairischen Autoritäten andererseits erhebliche MeinungS- differenzen bezüglich der Militairstrafproceßreform herrschen, aber man ist, wie wir von vorn herein, zu der Neberzeugung gekommen, daß der Kaiser eine Entscheidung noch nicht getroffen haben kann und daß diese, wepn sie erfolgt, nicht zu einer großen Ministerkrisis sübren wird, die schon aus Rücksicht auf die gesammte politische Lage vermieden werden muß. „ES wird nicht zu einer Krisis kommen"; — wird der Münchener „Allgem. Ztg." aus Berlin telegraphirt — „der Artikel der „Köln. Ztg." ist auf den Uebereifer gewisser Freunde des Kriegsministers zurück zuführen." Und die „Köln. Ztg." selbst, die schon während der Caprivi-KrisiS erfahren hat, was solcher Uebereifer an richten kann, beeilt sich, zu versichern, daß ihr Artikel keines wegs officiösen Ursprungs sei. Ofsiciösen Ursprungs scheint dagegen ein Artikel der „Berl. Polit. Nachr." zu sein, in dem mehrere Angaben des rheinischen Blattes bestritten werden und dessen Hintermänner eine nicht unverdiente Zurechtweisung erfahren. Der Artikel lautet: „Mit Rücksicht auf die Preßerörterungen der letzten Tage wird es von Interesse sein, daß der General der Infanterie v. Spitz sein seit längerer Zeit beabsichtigtes A bschieds gejuch aus eigner Initiative direkt an Allerhöchster Stelle schon eingereicht hatte, als er bei den Reichstagsvcrhandlungen Len Angriff des Bolks- parteilers Haußmann aus die Verabschiedungen im Ossiciercorps mit Nachdruck zurückwics, nnd daß ihm der erbetene Abschied in einer sehr gnädigen Cabinetsordre bewilligt morden ist. General von Spitz hatte an einer schweren Herzasfection gelitten, welche ihn durch mehrere Monate dienstunfähig machte; auch nach der Herstellung sind noch einige Rückwirkungen der Krankheit zurückgeblieben, welche, wenn sie ihn auch an der Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht hinderten, doch nach mancher Richtung große Vorsicht erheischen. Ebenso wird uns von zuverlässigster Seite be stätigt, daß bei der Wahl Les Nachfolgers des Generals v. Svitz der Gesichtspunkt einer abweichenden Auffassung in der ver meintlichen Streitfrage nicht in Frage gekommen fei, indem General von Viebahn, der langjährige Mitarbeiter seines Amtsvor gängers, in den wichtigsten Fragen des Ressorts auch dessen Standpunkt theile. Liegen die Dinge, wie wir anzunehmen Ursache haben, aber thatsächlich so, dann erscheint es um so befremdlicher, wenn Blatter, welche notorisch oster zu osficiöfen Mittheilungcn benutzt werden, sich jetzt zu Angriffen gegen die Ausübung des Ernennungs- und Verabschiedungsrechts in der Armee hergeben, die äußerlich sich gegen die Person des Chefs des Militaircabinets richten, in Wirklichkeit aber die Person des obersten Kriegsherrn selbst aufs Korn nehmen. Denn darüber besteht doch in den weitesten Kreisen kein Zweifel, Laß der Kaiser, wie er namentlich auch in seiner Eigenschaft als oberster Kriegsherr niemals Deckung hinter der Person eines Berathers sucht, auch Niemandem einen entscheidenden Einfluß aufseineEnt- fchließungen einräumt; dem Chef des Militaircabinets so wenig wie Anderen. Die Erfahrung hat doch in mehr als einem Falle gezeigt, daß auch in den schwierigsten, verantwortungsvollsten Lagen die Entschließung an entscheidender Stelle aus eigener, ganz unbeeinflußter Initiative hervorgegangen ist und daß, wenn die Lösung eines Knotens manchmal unerwarteter Weise erfolgte, sie die Prüfung durch die Praxis regelmäßig glänzend bestanden hat. Ob die bezeichneten Angriffe mit dem monarchischen Princip ver einbar sind, erscheint hiernach nach verschiedenen Seiten hin mindestens zweifelhaft, wie es denn auch als ein neuer Vorgang von nicht weniger zweifelhaftem Charakter erscheint, solche Angriffe durch Mittheilung angeblicher Details über die Beschlüsse des Staatsministeriums, über die Stellungnahme der einzelnen Mitglieder desselben und anderer Bundessürsten und Bundesregierungen zu stützen. Daß unter diesen Um ständen jene Aeußernnge» von denjenigen Dienststellen, von denen die belheiligten Blätter sonst wohl Informationen erhalten, eifrig als rein redaktionelle Privatleistungen erklärt werden, ist nur erfreulich." In den ersten Unterredungen, die der Kaiser nach seiner Rückkehr nach Berlin mit seinen Natbgebern gehabt hat, sind zweifellos auch die Vorgänge in Teutsch-Lnvwcstafrika und die Kämpfe der dortigen Schutztruppe mit den ausständigen Kbauas-Hottentotten zur Sprache gekommen. Diese Vorgänge und die Thatsache, daß wir über derartige Ereig nisse so lange im Dunkeln bleiben und oft Wochen, ja Monate lang auf Nachrichten von dort warten müssen, machen es in recht empfindlicher Weise fühlbar» wie mangelhaft unsere Ver bindungen mit jenem Schutzgebiet trotz 12jährigem Besitze geblieben sind. Die Nothwendigkeit einer Aendcrung dieser Ver hältnisse ist schon seit Jahren nach allen Seiten hin empfunden worden, und im Frühjahr 1894 wurde vom Colonial- rathe ein eigener Ausschuß eingesetzt, um Vorschläge über die Verbindungen SüdwestafrikaS mit dem Mutterlande durch Dampfer wie durch Telegrapkenlinien zu machen. Der Ausschuß tagte unter Vorsitz des StaatSmiuisterS v. Hofmann am 9. Juli 1894. Darin wurde folgender Beschluß gefaßt: „Hinsichtlich der dringend wünschens- werthen telegraphischen Verbindung SüdwestafrikaS mit Deutschland wurde Herstellung einer Landtelegraphenlinie vom Norden der Capcolonie nach den wichtigsten Sta tionen Südiveslasrikas und der Swakopmüntung als dem Bedürfnisse genügend bezeichnet. Ein Anschluß an die sub marinen Kabel würde sich zu theucr stellen." Derselbe Grundsatz wurde in der Session des Colonialratkes im Herbst 1894 wiederholt. In den beiden Sessionen 1895 ist jedoch auffallenderweise von dem Telegraphen gar nickt wieder die Rede gewesen und in der Sache ist seit zwei Jahren nichts geschehen. Die Errichtung eines solchen Telegraphen ist Wohl eine der dringlichsten Aufgaben; durch sein Fehlen können uns viele Versäumnisse passiren, die viel theurcr zu stehen kommen, als die Herstellung Les Telegraphen. Das Centrum hat gestern in der Commission für das Bürgerliche (Gesetzbuch durch den Polen v. DziembowSki einen Antrag einbringen lassen, der mehr noch als die ur sprünglichen Centrumsanträge zeigt, was der Ultramon- tanismus dem deutschen Staate zuzumnthcn wagt. Der An trag lautete: „Die in den tztz 1550 bis 1552 angeführten Ebescheidungögründe können nicht geltend gemacht werden von Personen, welche die Ehe auch in den Formen der Religionsgesellschaft, welcher sie angehören, geschlossen haben." Also: die kirchliche Trauung, die eine Ehe schließung nach dem bestehenden Gesetze und dem Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuches gar nicht ist, soll eine besondere Art von Ebe begründen. Und worin besteht diese „ausgezeichnete" Ehe? Die angeführten Para graphen lassen die Scheidung zu, wenn ein Ehegatte den andern böslich verlassen, also die Ehe thatsächlich auf gehoben hat, ferner wenn ein Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses und unsittliches Ver halten eine tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, endlich wenn durch unheilbare Geisteskrank heit die Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist. Auch unter Lieser Voraussetzung soll der unschuldige oder gesunde Gatte gekettet bleiben, wenn das Ehepaar, meist Wohl in Unkenntniß der Verpflichtung, die es mit diesem Schritt eingebt, sich vom Standesamte zur Kirche bezieht. Der evangelische Pastor Js kraut erklärte, mit dem Antrag DziembowSki zu sympatbisiren; vielleicht hat er seine Trag weite nicht zu ermessen vermocht. Die Berliner Blätter, die gepredigt hatten, wegen der Eröffnung der G ewerbe-Ausstellung dürfe und müsse das Gebot der internationalen Socialdemokratie, am ersten Mat zu feiern, von dem Bürgerthum der Neicksbauprstadt respectirt werden, sind nunmehr ihrer Tborheit überführt. Die Ber liner „ Gewerkschastscom Mission" stellt einen aus gedehnteren Maistreik, als in den früheren Jahren durchgefübrt werden konnte, in Aussicht, fordert die noch Unentschlossenen zur Theilnabme auf — und bezeichnet cs als selbstverständlich, daß die Feiernden der Gewerbe-Ausstellung am 1. Mai fernbleiben. Nun auf einmal „erwarten" die gekennzeichneten Berliner Zeitungen, daß tie am „Weltfeiertag" der Arbeit Fernbleibenden entlassen werden. Es fragt sich aber sehr, ob die Repression noch in dem Umfange eintreten kann, den sie angenommen haben würde, wenn man, statt den Arbeitgebern sophistisch die Zu lässigkeit des Nachgebens zu deduciren, ihnen, wie die Presse außerhalb Berlins es getban, gesagt hätte, daß die Social demokraten in derReichSbauptstadl diese Maifeier wie jede andere als eine machtpolitische Veranstaltung betrachten und deshalb so wenig wie früher in ihrem Vorhaben unterstützt werden dürfen. Thatsächlich haben zahlreiche Berliner Arbeitgeber sich über zeugen lassen, daß sie diesmal feiern lassen können, ohne ihre und ihrer Slandcsgenossen Interessen zu schädigen. Uuv dies wurde „gemacht", um in der Welt die Vorstellung zu erwecken, daß das Dorf Treptow bei Berlin am 1. Mai den Mittel punkt des Universums bilden werde! Das neue französische Ministerium unter Möline ist thatsächlich fertig und wird sich heute der Kammer vorstellen. Auf Wunsch Faure's hatte Meline noch in letzter Stunde Versuche gemacht, zwei oder drei Radicale zum Eintritt in sein Cabinet zu bewegen, allein ohne Erfolg, da kein radikaler Politiker fick als Dekorationsstück hergeben wollte. So ist denn das vorläufige Ende der Krise ein homogenes gemäßigtes Ministerium, das sich aus der Gruppe der Opportunisten und des linken Centrums zusammcnsetzt. An diesem seinem Grund- ckarakter ändert auch der Eintritt des der Senatsminderheit entnommenen Geschichtsprofefsors Alfred Rambaud, der stets für Bourgeois gestimmt hat, in das Unterrichtsministerium, sowie die Uebernahme des Justizporteseuilles durch den gemäßigt progressistischen Vicepräsidcnten der Jsambert - Gruppe Darlan nichts, jener ist bei seiner Bourgois freundlichen Haltung noch lange kein Radikaler nnd hat ohnedies politisch noch keine Rolle gespielt, dieser hat nur einen ganz leisen progressistischen Anflug und ist ein intimer Freund Möline's. Diese geringen Schattirungen waren nöthig, da das neue Cabinet sich nur in energischen Gegensatz zu den Socialisten setzen, den Radikalen aber eine entgegenkommende Haltung zeigen soll. Vielleicht stärkt es dadurch seine Position in etwas, da seit dem Abgang Bourgeois' zwischen den Radikalen und den Socialisten Heller Zwiespalt entstanden ist, der sich in heftigem Geschimpfe der rotben Presse über die unmännliche Halbheit und verbrecherische Fahnen flucht des radikalen Führers zu erkennen giebt, dem so lange die Stange gehalten zu haben, man aus der äußersten Linken jetzt aufrichtig bereut. Ein weiteres günstiges Zeichen für das Cabinet Möline ist die Erklärung der progressistischen Gruppe, demselben vorläufig keine Schwierigkeiten zu bereiten, um die sehr nothwendige Einigkeit unter den Republikanern nicht zu gefährden. Jetzt wird Alles darauf ankommen, wie sich das neue Cabinet zu den Klerikal-Conservativen stellt. Sie haben unter dem radikalen Cabinet ihre Rechnung nicht gefunden; sinken sie dieselbe auch unter dem gemäßigten nicht, so werden sie keinen Augenblick zögern, sich zur Opposition zu schlagen. Hier wird also einige Rücksicht auf die Forde rungen namentlich der Curie unumgänglich sein. Was die sehr zahlreichen unsicheren Cantonisten der Republikaner be trifft, so gehen Viele von ihnen erfahrungsgemäß in der ersten Zeit stets mit der neuen Regierung. Es kann daher kaum zweifel haft sein, daß Möline beute mit einer nicht gar zu knappen Mehr heit debutirt, zumal da angesichts der neuerlichen Regungen des Anarchismus und der Vorbereitungen, welche die Radikalen und Socialisten für den ersten Mai treffen, es kaum ein Abgeordneter außerhalb der äußersten Linken über sich ge winnen wird, auf Len sofortigen Sturz des Ministeriums hinzuarbeiten, um an diesem kritischen Tage erster Ordnung das Staatsschiff steuerlos zu lassen. Nach Allem ist es immer möglich, daß sich die gemäßigte Regierung eine Weile hält. Schwer genug wird es ihr freilich werden, denn an gefährlichen Inter pellationen wird es die Opposition nicht fehlen lassen, da sie sich nicht ohne Grund darauf stützen kann, daß das Ministerium Meline nicht verfassungsmäßig, wenigstens nicht usancemäßig zu Stande gekommen ist. Die gemäßigten Republikaner sind in der entscheidenden Kammersitzung unterlegen und so hätte ein radikales, mindestens ein gemischtes Cabinet der Lage entsprochen. Statt dessen ist ein Cabinet aus dem Cbaos hervorgegangen, das eine Stütze des Senats bilden wird, dem die Kammer ihr Mißtrauen votirt hat; nickt die Kammer also, sondern der Senat ist Sieger geblieben. Das wird zweifellos noch zu ernsten Conflicten in der Kammer sübren und wird vornehmlich dem Präsidenten der Republik noch schwere Stunden, ja vielleicht seine Stellung kosten. Ueber das Programm des neuen Ministeriums liegt uns beute folgende andeutende Meldung vor: * Paris, 29. April. Tas neue Ministerium wird in seiner Programmrede erklären, daß es in seiner Politik nur das un mittelbar Ausführbare verfolgen werde. Sein Ziel sei, die Vereinigung der republikanischen Parteigruppen wieder herzustellen, und um dies zu erreichen, werde es Alles beseitigen, was Anlaß zu einer Trennung bieten könnte. Das Cabinet wird die Beamten zur Treue und Hingebung ermahnen und wird die Durchführung der Arbeitergesetzgebung mit Eis« betreiben. Es wird mit aller Kraft bemüht sein, die Reform des Erb rechts, sowie diejenige der Getränkesteuer zum Abschluß zu bringen. Unter den Entwürfen, deren Prüfung es sich be sonders eingehend widmen wird, werden die Reform der direkten Steuern und die Reform der C o l o n i a l a rm e e ge nannt. Das Ministerium wird erklären, daß es dine Ein kommensteuer für wünschenswerth halte, uw was die Colonialarmee betrifft, so wird es die Cavaignac'sye Vorlage znrückweisen und beantragen, die Colonialtruppen dem Marine ministerium zu unterstellen. Die Programmerklärung wird keine Anspielung auf eine Berfassungsrevision enthalten; sollte die Regierung jedoch über diesen Punkt interpellirt werden,'o wird sie erklären, daß sie eine Bersassungsdurchficht ablhne. Die FeirNletsn. Der Roman einer Schwiegermutter. Fräulein I. de Saint-Aignan nacherzählt von H. Semmig. H Nachdruck verboten „Madame, ich möchte diese Hoffnung gern bestätigen. Leider ist meine Sendung nicht so freundlich. Ich habe Len Auftrag, Sie zu bitten, die Vorbereitungen zu Ihrer Abreise zu treffen. In einer Stunde wird Sie eine Postchaise ab holen . . ." „Und wo will man mich binführen? Großer Gott!" rief die Marquise mit Schrecken aus. „Was bat man mit mir vor?" „Es ist mir unmöglich, auf Ihre Frage zu antworten", erwiderte der junge Mann, der über der Heftigkeit seiner Gefangenen beinahe die Fassung verlor. „Indessen darf ich, so hoffe ich, Sie bis zu einem gewissen Punkte beruhigen, indem ich Ihnen sage, daß ich die Ehre haben werde, Sie zu geleiten, und daß alle Rücksichten, die man einer Frau ... einer hübschen Frau schuldig ist, Ihnen in vollem Maße zu Theil werden sollen." „Das ist ohne Zweifel ein Trost für mich, mein Herr", versetzte Cöcile, indem sie einen ziemlich günstigen Blick auf ihren Begleiter warf, „mein Schicksal den Händen eines wackeren Mannes anvertraut zu sehen, denn Sie werden Mitleid mit mir haben, mein Herr", fügte sie hinzu, indem sie ihre schönen Hände faltete und ihre großen blauen Augen mit dem ängstlichen feuchten Blicke zu dem jungen Manne aufscklug. „Nicht wahr? Sie werden die Leiden einer ge fühlvollen Frau lindern, die plötzlich Allem entrissen wird, waS ihr tbener ist?" „Ich schwöre es Ihnen zu, Madame", siel der junge Mann dienstfertig ein; „sehen Sie in mir, ich bitte innig darum, durchaus nicht einen strengen Kerkermeister, sondern den ergebensten Ihrer Diener. Ich möchte nur Eins wünschen: daß diese Reise für Sie soviel Reiz haben möge, als sie für mich haben wird." Mit diesen Worten zog er sich zurück, Cöcile ehrfurchts voll grüßend, um sie sich zur Reise rüsten zu lasten. „Na! daS fängt vortrefflich an und ich habe mich ziemlich aut benommen", sagte er bei sich, indem er die Thür zu schloß. »Die Dam« ist recht anmuthig und meine Sendung hat nichts Widerwärtiges. Es will doch etwas heißen, am rechten Orte protegirt zu sein." Jules de Blanquerie war ein junger Mann von trefflichen Eigenschaften, nur ging bei ihm offenbar der Verstand mit dem Harzen durch. Seine Familie, die in einer recht guten Stellung war, hatte ibn die diplomatische Carriöre einschlagen lassen wollen, aber seiner Offenherzigkeit wegen, die an Naivetät grenzte, wurde er von allen Gönnern, an die man ihn empfohlen hatte, eher gefürchtet als gesucht: So wartete er denn immer auf eine Anstellung, sich in aller Ruhe auf die Bemühungen seiner Familie und auf sein unbestreitbares Talent verlassend, als Fouchö, der seinen Mann kannte und der wie jeder Andere dringend angegangen worden war, ihn eines schonen Morgens zu sich rufen ließ. „Herr de Blanquerie", hatte der Minister mit ernster Miene zu ihm gesagt, „ich bedarf zu einer Mission, die eine große Gewandtheit, viel Vorsichtigkeit, Menschenkenntniß und Festigkeit verlangt, einen Mann, auf den ich zählen kann. Ich habe an Sie gedacht. Sind Sie dazu aufgelegt, in diesem Augenblick eine mehr oder minder lange Reise mS Ausland zu machen?" Herr de Blanquerie, höchst erfreut, auf diese Weise in die diplomatische Carriöre einzutreten, erklärte sich bereit, sofort abzureisen. „Sehr Wohl, mein Herr", fuhr der Minister fort. „Hören Sie, was Sie zu thun haben. In einem Hause, das Ihnen angegeben werden wird, befindet sich eine Dame, die Sie in einer Postchaise abholen werden. Sie werden sie nur eine Stunde vorher von der Abreise benachrichtigen; aber Sie werden vorher dafür gesorgt haben, daß es an nichts mangelt, um der Dame die Reise nickt zu beschwerlich zu machen. Sie werden sich nach einer Kammerfrau umsrhen, die während der Reise die Dame zu bedienen hat; aber diese Frau darf die Stellung und den Namen ihrer Herrin nicht eher erfahren, als bis dieselbe in den Wagen steigt. Im Uebrigen verlasse ich mich, was die weiteren Einzelheiten betrifft, auf die Schärfe Ihres Geistes; eS genüge Ihnen nur noch zu wissen, daß diese Dame all Ihre Achtung und Rücksicht verdient und daß ich eS Ihnen großen Dank wissen würde, wenn Sie ihr die Reise, die sie unternehmen soll, angenehm machen würden. Dieses versiegelte Couvert enthält Ihre Instructionen; Sic werden sie auf der ersten Station auf der Straße nach Straßburg lesen und genau befolgen. Gehen Sie jetzt, mein Herr; eS freut mich, Ihnen diesen Beweis meines Zutrauens zu geben." JnlcS de Blanquerie batte sich, ganz entzückt von seiner geheimnißvollen Mission, verabschiedet, geschäftiger als der Ceremonienmeister Ludwig's XIV., als derselbe den Empfang des Dogen von Venedig zu regeln hatte. Den Rest Les Tages war er herumgelaufen, seine Vorbereitungen zu treffen; kaum antwortete er mit halben Worten voller Gebeimniß seinen Freunden, die seine ungewohnte Tbätigkeit in Erstaunen setzte. Am andern Morgen hatte er sich, wie wir gesehen haben, der schönen Gefangenen, die er begleiten sollte, vorgestellt. Mit vollem Rechte wünschte er sich Glück, gleich im An fang das Vertrauen des Ministers gerechtfertigt zu haben. Gewiß ist, Laß Cöcile sich viel leichter in eine Reise fügte, die sie in Gesellschaft eines jungen Diplomaten von an genehmem Aeußeren macken sollte, als in die langwierige Einsamkeit, die ihr zur Marter ward. Als eine Stunde später, nachdem er sich in elegante Reise kleider geworfen hatte, Jules de Blanquerie seine Reise gefährtin abholte, sand er dieselbe in einer reizenden Toilette, auf ihrem von leichter Trauer überflogenen Gesichte lag ein Ausdruck sanfter Ergebung, der nickt ohne Reiz war. Jules bot ihr die Hand zum Wagen, ließ sie einsteigen, setzte sich neben sie und gab das Zeichen zur Abreise. Der Postillon knallte mit der Peitsche, die Pferde zogen an und entführten, als wäre sie federleicht, diePostchaise, die Cöcile de Lubersac und ihr Glück trug. Eine Stunde nachher stiegen Maxence und Antonine, die sich Tags vorher vermählt hatten und von der Marquise gut unterrichtet Worten waren, ebenfalls in eine Postchaise, um Madame de Lubersac auf dem Wege ins Exil zu folgen, bis zu dem Augenblick, wo sie ihr, an dem Reiseziel, das ihr bestimmt war, angelanat, mit ihrer kindlichen Zärtlichkeit das Glück der Heimath zurückbringen würden. Von der Schwelle ihres kleinen Hotels aus winkte die Marquise de Chalantzay den jungen Neuvermählten ihre innigsten Ab- schiedsgrüße nach und ging dann, nachdem sie ihren Wagen um die Ecke batte verschwinden sehen, gelassen zu ihrem großen Lehnstuhl, ihrer dicken Angorakatze und ihrem Strick zeug zurück. Unterdessen rollten die beiden Postckaisen mit gleicher Schnelligkeit auf derselben Straße nnd wirbelten Wolken von Staub auf, durch welche die Bewohner der Häuser an dem Chausseerande nur wie im Nebel die beiden Paare gewahren konnten, die von dem rasenden Galopp einen unbekannten Ziele zi^esübrt wurden. Auf der ersten Station hatte Herr de Blanquerie seine geheimen Instructionen geöffnet. Die Ueberraschung, die sein offenherziges Antlitz nicht hatte verbergen können, machte Cöcile so verlegen wie neugierig. „Sie kennen jetzt das Schicksal, daS mir vorbehlten ist?" sprach sie, indem sie mit anmuthiger Vertraulhkeit ihre schöne Hand auf das noch geöffnete Schriftstück legt. „Bitte, verhehlen Sie mir nichts; ich habe Muth, Stäke; sagen Sie mir, was ich zu fürchten habe. Es ist schreöich, nickt wahr?" „Wenn meine Gegenwart", antwortete JuleS „Ihnen nicht zu sehr mißfiele, und wenn diese Reise, di Sie von Allem, was Ihnen lieb ist, weit wegführt, nicht z peinlich für Sie wäre, so würde ich sagen: Nein . . ." „Ach", seufzte Cöcile, „wenn ich weiter nichts a dies zu fürchten hätte!" . . . „Forschen Sie mich nicht aus, ich bin durch nen Eid gebunden", erwiderte Jules mit ernster Miene, „sclnen Sie mich, schöne Dame; Sie wissen ohne Zweifel besser s irgend wer, wie schwer es ist, Ihnen zu widerstehen". Cöcile lächelte, richtete auf ihren jungen Bcgle r einen süßen Blick und der Wagen rollte auf's Neue w»er mit rasender Schnelligkeit auf der staubigen Straße we r. Antonine aber ibrerseits sagte zu Maxence: „Sbst Tu dort den Wagen meiner Mutter, mein Geliebter?" Mit einem aufopfernden Gehorsam, der ihm hr ver dienstlich vorkam, unterbrach der junge Mann, dein eine entzückte Betrachtung seines reizenden Weibchens rsnnkcn war, seine beglückende Andacht und neigte sich zui Schlag hinaus, um am Horizont die Postchaise zu erkennet der sie nachjagten. „In der That, ich weiß nicht, ob sie es ist, w: ich da sehe", antwortete er; „aber wir halten eben an dervtatiou und können uns gleich erkundigen. Heda, Herr Poneister, hat hier ein Wagen Pferde gewechselt, worin eine Die, ihre Kanimerfrau und ein junger Mann saßen?" Der gefragte dicke Mann legte zur Begrüßung sie Hand an seine Zipfelmütze. „Es ist ungefähr eine halbe Stunde her", anstrtete er; „die Reisenden fahren rafch zu, denn sie scheuenas Geld nickt, und Sie werden Mühe haben, sie einzubole wiewohl ich Jbnen die besten Pferde im ganzen Departeml gegeben habe", fügte er hinzu, indem er einen väterlich,'chunzelnden Blick auf die armen Mähren warf, die manchen vor gespannt hatte. „Und haben Sie die Dame gesehen, die in m Wagen saß?" fragte Antonine mit ihrer sanften Stimn indem sie sich zum Schlage hinauswandte, „fah sie trauri bekümmert auS?" „Sie hat nicht so frisch« Miene wie Sir, X macht das
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