01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990105019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899010501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-05
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Srößere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zifiernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgrn-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördernng 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgrn-Ausgabe: Nachmittags 4UHL. Bei den Filialen und Annahmestellen je eiue halb« Stund« früher. Anzeigen sind stet« an d-e Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 8. Donnerstag den 5. Januar 1899. 93. Jahrgang. Schuh -er Arbeitswilligen. Dr. L. Das Coalitions r e ch t, welches den Arbeitern im beschränkten Maße verliehen ist, nämlich für bestimmte ArbeitS- verhältnifse an einem bestimmten Orte, ist zugleich eine EoalitionL f r e i h e i t und wird oft so genannt. Es ist dies nichts Besonderes, denn jedwedeS Recht gewährt die Befugniß zu einem bestimmten Thun oder Unterlasten und erweitert in sofern den Bereich der Freiheit. Die allgemeinen Vorschriften, welche die Bürger in der freien Bethätrgung sowohl ihrer politischen Freiheiten als auch ihrer privatrechtlichrn Befugnisse schützen, finden deshalb auch auf das Coalitionsrecht Anwendung. Wie bei jedem anderen Rechte, so wird auch bei dem Coalitions- recht jedem Einzelnen die freie Entschließung belassen, ob er in einem vorliegenden Falle von seinem Rechte Gebrauch machen will oder nicht. Auch wenn neunundneunzig beschließen, zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen die Arbeit einzustellen, ist und bleibt der Hundertste befugt, seinerseits unter den alten Bedingungen fortzuarbeiten oder selber dem Arbeitgeber Bedingungen zu stellen. Diese Freiheit des Handelns wird geschützt durch das allgemeine Strafgesetzbuch, welches die „Nöthigung" verbietet. Wegen Nöthigung wird bestraft, „wer einen Anderen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Ver gehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nöthigt". Die Bestrafung der Nöthigung ist hiernach an enge Voraus setzungen gebunden. Als Mittel muß, wenn nicht Gewalt, so Bedrohung „mit einem Verbrechen oder Vergehen" angewendet sein. Daß die Bedrohung nicht ernstlich gemeint war, ist gleich- giltig, sobald sie nur auf den Bedrohten den Eindruck einer ernstlich gemeinten machen konnte und der Drohende sich dessen bewußt war. Auch erfordert der Begriff „Röthigen", daß der Wille ein unfreier geworden ist. Kommt bei einer Nöthigung hinzu, daß der Nöthigende sich und einem Anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorthei l verschaffen will, so liegt das schwerere Vergehen der Erpressung vor. Dies ist vom Reichsgericht als vorliegmd angenommen in einem Falle, wo die Arbeiter eines Unternehmers, der vier Arbeiter wegen unbotmäßigen Benehmens entlassen hatte, diesem androhten, sie würden sämmtlich die Arbeit einstellen, wenn der Unternehmer nicht die vier Arbeiter wieder annähme, auch ver spräche, dieselben am nächsten Sonnabend nicht zu entlassen und ihnen für den Tag, welchen sie infolge der Entlassung nicht gearbeitet hatten, den vollen Tagelohn zu zahlen. Hierdurch sollte nach Ansicht des Reichsgerichts den vier Arbeitern ein rechtswidriger Vermögensvortheil verschafft werden, da sie weder auf den Arbeitslohn für den einen Tag, noch darauf, daß der Unternehmer sein Kündigungsrecht nicht gebrauche, einen An spruch hatten. Auch liege eine Drohung vor, allerdings nicht mit einem Verbrechen oder Vergehen — für die Strafbarkeit der Erpressung genügt jegliche Drohung — denn es sei die Arbeitseinstellung und dir damit verbundene Platzsprrre für den Unternehmer «in Uebel gewesen, welches ihn genöthigt habe, auf die rechtswidrigen Bedingungen einzugehen. Diese Vorschriften des Strafgesetzbuches bestanden schon, wenn auch nicht im gegenwärtigen geltenden Wortlaute, so doch dem Sinne nach, als in der Gewerbeordnung von 1869 die Koalitionsfreiheit gewährt wurde. Der sich aus den bestehenden Strafgesetzen ergebende Schutz, daß Niemand genöthigt werde, an Coalitionen theilzunehmen, erschien damals jedoch nicht als ausreichend, und es wurde ein besonderer und weiter gehender Schutz für die Freiheit der Entschließung bei Coalitionen für nothwendig erachtet. Ihn soll der 8 163 der Gewerbeordnung schaffen, welcher lautet: „Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder Lurch Berrusserllävung be stimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (8 152) theilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleicht Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Äesängnist bis zu drei Monaren bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine höhere Straf« eintritt." Die Erweiterung gegenüber dem Begriff der Nöthigung liegt darin, daß überhaupt nicht erfordert wird, daß der Andere genöthigt ist, sondern es schon genügt, daß er „bestimmt" oder zu „bestimmen" versucht ist. Haben unsere Gerichte nun schon bei dem Begriff Nöthigung angenommen, daß die Gewalt oder Drohung für sich allein, also mit Ausschluß aller anderen mit wirkenden Beweggründe, die Handlung, Duldung oder Unter lassung nicht verursacht zu haben brauche, so wird dies im erweiterten Maße bei dem Begriff „bestimmen" angenommen. Als ein Streikender einen Streikbrecher wiederholt öffentlich anspie, ist hierin eine Uebertretung des § 153 der Gewerbe ordnung gefunden und auf Strafe erkannt worden. Ohne den §153 der Gewerbeordnung wäre die Handlung nur als eine Beleidigung im Wege der Privatklage strafbar, nicht auch als Nöthigung, denn es liegt weder Gewalt noch Bedrohung vor, wohl aber der Versuch, durch „Ehrverletzung" den Andern zur -heilnahme am Streik zu bestimmen. Der gleiche Gesichtspunkt wird maß gebend gewesen sein, wenn Zeitungsnachrichten zufolge kürzlich in Berlin ein Drechsler zu einer Woche Gefängniß verurtheilt ist, weil er im „Vorwärts" die Namen von fünf Arbeitern seiner Fabrik als frühere Streikbrecher veröffentlicht hat. Unter dem Gesichtspunkt der „Drohung" ist vielfach auf Strafen auf Grund des 8 153 der Gewerbeordnung erkannt. In einem vom Reichsgerichte entschiedenen Falle waren die un- verheiratheten Personen, welche während eines Streiks Reise gelder empfangen hatten, um den Ort des Streiks zu verlassen, aufgefordert worden, einen Revers des Inhalts zu unterschreiben: Wenn ich nach dem Orte zurückkehre oder wenn ich die Arbeit wieder aufnehme, so räume ich der Lohncommission das Recht ein, mich wegen Betruges bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. In dem Schlußsatz wizrde eine Bedrohung mit einer Strafanzeige und darum eine unzulässige Einwirkung auf die Freiheit der Willensentschließung gefunden. Von einem Betrüge konnte überdies nur die Rede sein, wenn ein Arbeiter das Reisegeld von vornherein in der Absicht annahm, nicht wegzureisen oder auswärts keine Arbeit anzunehmen. — Auf den Gesichtspunkt der Drohung werden auch die Urthrile zurückzuführen sein, welche Zeitungsnachrichten zufolge auf Strafe erkannt haben gegen Personen, welche als Streikposten standen oder eine An zeige veröffentlichten: „Vor Zuzug wird gewarnt". Unter dem Gesichtspunkte der „Ehrverletzung" ist auf Strafe gegen einen Arbeiter erkannt, welcher zu einigen Arbeitswilligen die Aeußerung that: „Seht Euch die College» an!" Eine un zulässige Drohung ist in der Aeußerung einer Lohncommission erblickt: „Es wird unsere Sorge sein, daß es den Unternehmern in Zukunft nicht gelingt, auswärtige Arbeitskräfte heran- zuziehen." Dasselbe gilt von der Verhängung der Platzsperre über einen Betrieb, des Boycotts, weil darin die Drohung ent halten ist, daß in Zukunft nicht bei Jemand gearbeitet, nichts von Jemand gekauft werden dürfte, und der Betreffende dadurch geschäftlich geschädigt werden soll. Man übt natürlich nur sein gutes Recht aus, wenn man in einem betreffenden Geschäfte nicht kauft, in einem Betriebe nicht arbeitet, es wird hier also ein erlaubtes Mittel angewendet. Die Strafbarkeit ist damit begründet, daß eine widerrechtliche Einwirkung auf die Willens entschließung eines Anderen bezweckt werde. Das letzte im 8 153 erwähnte Mittel, Andere zur Teil nahme an einem Streik zu bestimmen, ist die „Verrufserklärung". Hierunter fällt besonders die Erklärung, daß Jemand als un würdig vom Verkehr in Zukunft ausgeschlossen sein solle. Zu beachten ist, daß die Bestimmungen des 8 153 der Ge werbeordnung eine Verschärfung der allgemeinen Vorschriften nur nach einer Richtung hin enthalten, nämlich zu Ungunsten der Coalitionen. Nur wer einen Änderen zur Th«ilnahme an der Coalition bestimmt oder wer ihn am Rücktritt verhindern will, unterlieg» den Strafen des 8 153, nicht auch Derjenige, welcher durch die gleichen Mittel Jemand hindern will, an der Coalition theilzunehmen, und ebensowenig Der jenige, welcher ihn zum Rücktritt bestimmen will. Nach diesen letzteren beiden Richtungen hat sich ein Bedllrfniß zu Straf androhungen nicht herausgestellt, denn von einem Terrorismus der Arbeitswilligen hat man noch nicht gehört. Die Strafe ist übrigens erheblich niedriger, nämlich Gefängniß bis zu drei Monaten, als diejenige der Nöthigung, Gefängniß bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 600 Wenn in social demokratischen Blättern von grausamen Strafen gegen streikende Arbeiter berichtet wird — z. B. sollen in Lübeck Arbeiter der Kersten'schen Fabrik zu drei Jahren Gefängniß verurtheilt sein, weil sie sich „zu einigen Thätlichkeiten" gegen andere Arbeiter hinreißen ließen, oder daß ein Arbeiter, weil er einem „polnischen Streikbrecher" die Mütze oom Kopf schlug, sieben Monate Gefängniß bekommen habe, —, so kann ein Jurist diese Mit- theilungen nur mit großem Mißtrauen aufnehmen, denn auf so schwere Strafen erkennen unsere Gerichte nur, wenn grobe oder gefährliche Körperverletzungen vorliegen. Man ist mit Recht allgemein gespannt darauf, in welcher Weise in dem angekündigten Gesetzentwürfe ein weiterer Schutz des Selbstbestimmungsrechtes der Arbeitswilligen gegenüber einem Terrorismus der Streikenden erfolgen soll. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. Januar. Herr Professor vr. Bücher ersucht uns um Aufnahme der folgenden Erklärung: Soweit die im heutigen Abendblatte des „Leipziger Tage blattes" veröffentlichten Aeußerungen des Herrn Or. Kuntze nicht direct seinen eigenen früheren Aus sagen und dem von ihm unterzeichneten Acten st ücke widersprechen, beruhen sie auf Silben stecherei. Sie gehen, wie bereits die geehrte Redaction im Abendblatte bemerkt hat, auf die Hauptpunkte meiner ausführlichen Darstellung vom 30. December nicht ein, um sich über Nebenpuncte zu verbreiten, die zum Theil sogar nicht mich, sondern die Redactionen der Leipziger Blätter angehen. Meine Darstellung bleibt somit in allen Hauptpunkten unangefochten. Herr Kuntze erkennt jetzt auch öffentlich durch sein Stillschweigen an, daß er am 11. December aus eigener freier Ent schließung seine Stelle gekündigt hat; er nennt auch jetzt noch die „zwei hochgestellten Persönlich keiten" nicht, welche seine „Maßregelung" verlangt haben sollen; er beschränkt diese angebliche Maßregelung jetzt auch seinerseits auf angeblich mehrdeutige Ausdrücke, die ihn einige Stunden hätten glauben lassen, ihm sei zum 31. December gekündigt. Damit fällt m. E. jedes öffentliche Interesse für den „Fall Kuntze" hinweg, und ich darf mich Ihren Lesern gegenüber darauf beschränken, hier zu wieder holen, daß, als Herr Kuntze meine später im „Berliner Tage blatte" veröffentlichte Berichtigung unterzeichnete, ihm nicht weiter versprochen worden ist, als daß seine Unterschrift dort nicht mit veröffentlicht werden sollte, waS auch n i ch t g e s ch e h e n i st. Wenn er glauben konnte, daß man ein solches Aktenstück unterzeichnen lasse, ohne im Nothfalle auch öffentlich davon Gebrauch zu machen, so ist das fast ebenso naiv, wie die Auffassung, daß man im „Berliner Tageblatt" fortgesetzt unter seiner stillschweigenden Zu stimmung in Abrede stellen könne, was er angeblich nur zum Gebrauche gegenüber dem Ministerium als richtig bestätigt Fririlletsir. Neue Dramen. (Schluß.) Von den vorliegenden historischen Dramen erwähnen wir zunächst die Tragödie: „Der Herr der Welt" von Elisar von Kupffer (Berlin 1899, Verlag des Dramaturgischen Instituts). Sie spielt in Rom im elften Jahrhundert, welches in der Geschichte des Papstthums eine bedenkliche Etappe bezeichnet. Zn dies Jahrhundert fällt die sagenhafte Päpstin Johanna, an die man ja lange genug geglaubt hat, bi« dir historische Kritik ihr den LebenSodem auSgrblasen; in diese Zeit fällt auch die Geschichte de« Papstes Benedict IX., die allerdings jener Kritik Stand hält, obschon eia Knabe als Träger der Tiara, welche sonst nur ehrwür digen Greisen zu Theil wird, eine Curiosität ist, die bei den Geschichtsunkundigen Befremden erregt. Diese» Papst Benedict IX. hat Elisar von Kupffer zum Helden seines Drama« gemacht. Es ist Theophylact, ein Sobn de« Grafen Alberich von Tu-culum. Rach der Geschickte war er noch ein Knabe. Der Dichter hat ihn zum Zlingling gemacht, zu einem rauflustigen Jüngling, der seinen Gegner, den Sohn de« Grafen Saxo, niedersticht — dem Anschein nach keine Empfehlung für dir höchste geistliche Würde. Doch die wichtige Partei der TuSculaner hebt ihn auf den päpst lichen Stuhl. Er sträubt sich anfangs; er liebt Agnes, die Tochter de« Grafen von Saxo, und wird von ihr wieder geliebt. Ihn genirt anfangs da« päpstliche Gewand; e« ent» stellt seine jugendliche schöne Gestalt; e« macht ihn zum Spott für seinen Diener, doch entscheidet er sick, die Krone anzu nehmen, die ihm Macht und Ansehen und höchste Gewalt giebt: Was frage Ich nach Gesetzen, mein ist eine Kronei Die Liebe de- Papstes zu Agne«, die nach der lyrischen Begegnung im Klostergarten zur Leidenschaft heran wächst, bildet nun dir Achse, um welche sich die dramatische Handlung bewegt. Graf Saxo will ihm die Tochter geben, wenn er der päpstlichen Herrlichkeit entsagt — immerhin ein sckwerbegreislichrr Entschluß de« eigensinnigen Alten, da er ja den Mörder seine« Sohne« zu seinem Schwiegersöhne machen will. Doch Agne« folgt vlindlingS dem Zug ihrer Leidenschaft und aiedt sich ganz dem jungen Papste hin, mag er auch die Tiara auf seinem Kopfe behalten. Man hat freilich nun da« Gefühl, daß hier «in vom Dichter gänzlich «»«gelöschter Eonflict vorlieat; denn ein Mädchen kann doch nur dem Mörder de« Bruder« nach schwere», HerzenSkampf die Hand reichen. Davon ist aber in dem Stück gar nicht die Rede. Eine Entscheidung, die der Papst den böhmischen Abgesandte» gegenüber zu Gunsten de« König« fällt, der sein ehelich Weib verstoßen und in sündiger Buhlschaft lebt und den der Erzbischof nicht in den Bann thu», weil er selbst mit Lust nach einem Weibe au«- schaut, ruft allgemeine Empörung hervor. Graf Saxo ver langt sein Kind zurück und tödtet, rin zweiter Virginiu«, seine Tochter. Am Schluß sehen wir die römischen Rebellen siegreich und der „Herr der Welt" bricht an Agnes' Leiche zusammen. Einzelne Hauptscenen sind nicht obne Sinn für Theatereffect gestaltet, in andern läßt die Bühnentechnik wieder den Autor im Stich; die Scenen des dritten ActeS im Klostergarten sind ein schwach motivirte« Hinundber. De« DichlerS Vorbild ist Shakespeare; auf ihn weist der knappe gedrungene Ausdruck bin, auch die Bildlichkeit der Sprache, die sich nickt immer frei von Katachresen dielt. Auch an Sylbensteckerrien fehlt eS gelegentlich nicht. DaS Ganz? bat einen markigen Ton und zeugt für da» Talent des Ver fasser«, große dramatische Conflicte energisch darzustellen. Doch sowohl der Held wie die Heldin sind zu gewissenlos, um unsere Tbeilnabme zu fesseln. Das unterscheidet den Dichter von seinem großen Vorbild. „Das Gewissen" ist bei Shakespeare eine Großmacht, vor der sich seiue dramatischen Helden beugen. Einer der Veteranen deutscher Dichtkunst, Heinrich Kruse, welcher jetzt bereits das 83. Lebensjahr erreicht hat, veröffentlicht ein Trauerspiel: König Heinrich der Siebente. (Leipzig, Verlag von S. Hirzel 1898), dem er Vas folgende Vorwort vorausschickt: „Manche werden sagen, daß man im dreiundachtzigsten Jahre keine Dramen mehr schreiben soll; doch allgemeine Regeln paffen-nicht auf alle Fälle. Man sagt auch, im hohen Alter solle man nickt mehr in der See baden; da mir aber das Seebad großes Vergnügen macht und mir vorzüglich bekommt, bade ick ruhig weiter." In der Tbat unterscheidet sich Kruse'S neues Drama nicht von seinen Schöpfungen in den letzten Jahrzehnten; eS trägt alle Eigenarten derselben zur Schau und leidet durchaus nicht an marasmus 8<mlli8. WaS wir in unserer Nationalliteratur über Kruse'S frühere Dramen sagten, können wir mit Bezug auf sein neuestes Werk nur wiederholen; „er folgt auch hierin dem Zuge seines Talentes, der ihn auf da« einfach Naive binweist, welche« gelegent lich da« Gepräge stiller Größe gewinnen kann, während e« auch ebenso oft unterschiedlo« mit der geschichtlichen Chronikverschmilzt. Seine Dramen lassen als Hanptvorzug die klare Auffassung der Charaktere erkennen, deren Eigenart besonder- im naiven Genre oft überraschend wirkt, sowie den edeln dichterischen Stil, in dessen schlichte Gewandung oft originelle Bilder gewebt sind, während die Führung der Handlung selbst meisten« wenig spannend ist." König Heinrich VII. fehlt bekanntlich in dem Sbakespeare'schen Historiencyklu« zwischen Richard HI. und Heinrich VIII - er tritt nur in den Schlußscenen de« ersteren Drama« als Graf Richmond auf. Für seine Beweisführung, daß Bacon der Verfasser der Shakespearedramen sei, hat Edwin Bormann ein Argument au« dieser Lücke derselben und der sie ausfüllenden Schrift Bacon'« über Heinrich VII. bergeleitet. DaS wichtigste und am meisten dramatische Ereigniß dieser Regierung ist die Empörung de« Prätendenten Perkin Warbeck gegen den legitimen Herrscher — und auch in dem Schauspiel Kruse'S bilden diese Vorgänge den Mittelpunkt der Handlung. Schiller wollte Warbeck zum Helden eine« DramaS machen; Kruse legt den dramatischen Schwerpunkt in den Charakter de« König«, der anfangs die wärmste Sympathie für den ritter lichen Prätendenten empfindet, ihn in milden Gewahrsam im Tower nimmt, aber al« ihm von einer Verschwörung, einem Fluchtversuch berichtet wird, ihn ohne Weitere» hinrichten läßt. Die Helden Kruse'S machen nicht viel Aufhebens von solchen Regierungsmaßregeln. Warbeck wird von dem Könige sehr rasch, gleichsam im Handumdrehen an den Galgen befördert. Hinterdrein stellen sich freilich bei ihm Gewissensbisse ein, als er erfährt, daß jene Kunde eine irrtbümlichc war — und diese Scenen vor dem Tode des Königs, Scenen, in denen der Erzbischof von Canterbury und LaSkariS, der Weise au« dem Morgenlande, auch Warbeck'S Gattin, die schöne Lady Katharina Gordon, auf treten, die, nut wenigen Strichen gezeichnet, durch ihre An- muth und Energie sehr sympathisch wirkt, sind diejenigen, die von dem Dichter, gegenüber vielen, mehr skizzirten Auf tritten, am eingehendsten und liebevollsten behandelt sind. König Heinrich bofft von LaSkaris ein Lebenselixir zu erkalten, er scheut den Tod und ist keineswegs so gefaßt, wie die Herzogin von Burgund, die in einer früheren Scene sagt, sie hoffe so ruhig Aus dieser Welt in jene einzugehen, Wie aus dein einen Zimmer in das andere. Auch diese Herzogin ist ein gntgezeichneteS Charakterbild, ebenso Perkin Warbeck selbst und die beide» schurkischen Kronanwälte Dudley und Empson. Ein kulturgeschichtliches Drama mit mythologischer Ver brämung, ost in eine PhantaSmagorie sich auflösend, ist da« sünfactige dramatische Gedicht: „Das Zeitalter der Cyklopen" von Adolf Sckafheitlin (Berlin 1899, Verlag von Rosenbaum L Hari). Diese Dichtung läßt sich nicht mit dem Maßstab des dramatischen Kanons messen — sie gehört zu den unmeß- baren Erzeugnissen, auf welcke Goethe den Ausdruck „Trage- lapb" angewendet hat. DaS „Zeitalter der Cyklopen" ist die Zeit, in welcher daS Cbristcnthum beginnt, die Herzen und die Welt zu erobern — man muß sich freilich wundern, in den unterirdischen Mächten, welcke am Feuer daS Eisen schmieden, diejenigen Gewalten zu sehen, welche der ganzen Zeil den Namen gaben. Während salbungsvolle Friedens- predigten von den Lippen der neuen Christen und Christinnen triefen, sind die Cyklopen am Werke, des Feuer- Gewalt, daS sie in begeisterten Hymnen Preisen, zur Geltung zu bringen. Freilich, in den Familienscenen, in denen sich die dramatische Handlung, soweit von ihr die Rede sein kann, concentrirt, spielt das Schwert eine Rolle. Der Präfect von Syrakus, Antiphon, hängt an den alten Göttern, ebenso fein Sohn, Chärephon, und Aglaja, seine Tochter, welche letztere durch die Liebe bekehrt wird, bi» die Gewalt- tbak, der ihr Bruder zum Opfer fällt, sie am Schluß zum Glauben an die Erinnyen zurückfübrt. Sie liebt ihren Vetter Kriton, der in den römischen Legionen dient und au« einem siegreichen Feldzug zurückkehrt, aber al» gläubiger Christ; ebenso ist seine Schwester Klytia eine Christin und sein Vater, Kleon, der Bruder Antiphon'«, schwankt zwischen dem alten und dem neuen Glauben. Die Debatte darüber geht in den versckicdrnsten Tonarten hin und her, bi- der fromme, aber rauflustige Kriton zum Eisen der Cyklopen greift und seinen Gegner Cbärephon beweiskräftig aus dem Wege räumt. An der Leiche diese» seine« Sohne« verkündet Antiphon den Sieg de» Wahn», der schon sein Hau» verödet hat, der Alle» mit Blindheit schlagen, bethöreu und tödten wird. Eine lange Gcdankensynipbonie führt zu diesem Schluß- accord, der dramatisch voll auslönt. Viel Geschichtöpbilosophie, mancker sinnige poetische Zug verbirgt sich in der weiten Gewandung dieser dialoziscken Debatte: auch ist viel binein- gebeimnißt und waS der MeergreiS und die Cyklopen, die Najaden und Oreaden sagen und singen, bedarf eine« Com- mentarS, der den tieferen Zusammenhang klarlegt. Kühner Odenstil und Hymnenschwung fehlt diesen Gesängen nicht. Was aber den dramatischen Aufbau betrifft, so mag der Hinweis genügen, daß der ganze zweite Act aus Genre bildern besteht, auö Volks- und Soldatenscenen, die auf dem Markte in Syrakus spielen; die Christen weigern sich, vor der Cäsarbüste zu opfern, auch die Soldaten, die theils zum Tode geführt, theils zum Opfer gezwungen werden. Der vierte Act aber spielt ganz in der Cyklopenschmicde — und zwei Prometbcus-Visionen nnterbrecken die Gespräche der unterirdischen Feuermänner. Am Schluß unsere« Berich!« wollen wir noch ein drei- actigeS Lustspiel: „Die vier Gewinner" von Philipp Langmann (Stuttgart, Verlag der Z. G. Cotta'scken Buch handlung Nachfolger) besprechen, welches in Prolctarierkreisen spielt und der jüngsten Sckule angebört, dock frei von tendenziösem Beigeschmack Bilder ans dem Leben giebt; es ist schon an einigen Bühnen gegeben, an anderen zur Auf führung angenommen worden. E« bedarf keiner tieferen Literaturkenntniß, um durch dieselbe an „LumpacivagabunduS" erinnert zu werten; denn e« bandelt sich wie in der Nestroy'schen Posse um einen Lotteriegewinn, der an arme Leute fallt; freilich ist der Ge winn nur bescheiden und von einer so gänzlichen Umwandlung ter Existenzen wie bei Nestroy kann nicht die Rete sein. Zwei Handweber, ein Schlichter und ein junges Mädchen Rosa «heilen sich in den Gewinn und haben nichts Bessere« zu thun, al- auö der Arbeit fortzulaufen und in einer Vorortschenke der Großstadt, einer echten Gaunerkneipe, ihr Geld anzubringen. Der Schlichter Garde verliert's im Kartenspiel, der Handweber Markowitsch betrinkt sich, tractirt alle Welt, kauft tas unbrauchbarste Zeug zusammen, der andere, Hofmann, ein älterer Herr, kaust für tbeures Geld eine unechte goldene Uhr und Rose lägt sich von einem Schwindler den Hof machen, der ihr mit ihrem Sparcassenbuch durchgeht. Im dritten Act finden sich alle die Geprellten zusammen und haben Mühe, wieder in der Webwaarenfabrik an zukommen. Rosa hat dort einen Verebrcr, den sie aber, nachdem sie im Lotto gewonnen, schlecht behandelt, weil „sich die Verhältnisse geändert batten", und den sie in der Schluß- scene kaum zu besänftigen vermag. DaS ist ein dramatischer Faden in dem lockeren Gewebe dieser Bilbrrfolge, wäbrend die Ueberraschung des Markowitsch, der in dem Knaben eine« Akrobaten seinen eigenen Sohn entdeckt, etwas Romanhafte» bat. Die Charakterzeicknung in diesen Polksbildern ist zu loben. Das milieu aber, besonder- da« der Gannerkneipr, ist wenig anziehend für Alle, die nicht zu der Fahne dr» jüngstdeutschen Proletarierdrama» geschworen haben. Rudolf von Gottschall.
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