02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990107022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010702
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-07
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Srößere Schriften laut »isereur Preis« vrrzeichnch. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Ultra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunz 60.—, mrt Postbefördecung ./l 70.—. Auoahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: BonnitkagZ 10 Uhr. Msrgeu-AuSgab«: NachnaittagS 4 Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde frischer. Anzeigen sind stet» an die Srpeditia» zu richten. Druck und Verlag von E. Lol^ in Leipzig 12. Sonnabend den 7. Januar 1899. S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Januar. Da» Verdienst, die Brsmarckliteratur um eine» neuen „Schatz" zu bereichern, will sich ein Leipziger Verlag erwerben: der Verlag von Fr. Wilh. Grünow, der Moritz Busch's infolge ihrer Veröffentlichung in englischer Ueber- setzung bereits vielfach besprochenen Tagebuchblälter nach dem Originalmanuscript demnächst dem deutschen Volke zugänglich machen wird und diese Absicht in seinen „Grenzboten" folgender maßen begründet: „Ich habe das deutsche Originalmanuscript der Tagebuchblätter Busch's von dem englischen Verleger gekauft, um es in der Form zu veröffentlichen, in der es geboten werden kann, weil ich dem deutschen Volke damit einen Schatz zugänglich mache, der durch nichts Anderes ersetzt werden kann, auch nicht durch die eigenen Memoiren des Fürsten selbst. Tenn es ist klar, daß dieser anders zeichnet und Anderes, als Jemand, der ihn zeichnet. Ter Fürst tritt uns aus Busch's Aufzeichnungen nicht in der Philistergestalt mit Schlafrock und langer Pfeife (!) entgegen, als die ihn der Philister zu betrachten liebt; als den soll ihn die Nachwelt nicht betrachten lernen, sie soll ihn sehen mit seinen Ecken nnd Kanten, sie soll ihn sehen bei seiner Gedankenarbeit und soll daraus ver stehen lernen, was er gewollt und wofür er gekämpft und gelitten hat mit seinem Haß und seiner Liebe; sie soll ihn sehen als den Mann, der von sich gesagt hat: Kil buiuaui u ruo alienum xuto. Nichts Anderes hat Busch zeigen wollen und er ist der Einzige, der es gezeigt hat, trotz der Memoiren, deren unschätzbare Ergänzung jein Buch ist." Die Anmerkungen, mit denen mehrere Berliner Blätter diese Ankündigungen begleiten, sind sehr bitter und jedenfalls treffen sie insofern den Nagel auf den Kopf, als sie hervor heben, durch die „Gedanken nnd Erinnerungen" sei bereits jede Gefahr beseitigt, daß Bismarck als „Philister" auf die Nachwelt kommen werde. Andererseits gehl der Vorwurf, die Aufzeichnungen Busch's hätten überhaupt nickt in Deutschland veröffentlicht werden dürfen, zu weit. Für den Historker hat das Buch insofern eine Bedeutung, als cS manche vor seinem Erscheinen noch nicht bekannt geworbene Actcnstücke enthält, die durch die Übersetzung ins Englische einen Theil ihres Werthes für den Historiker verlieren. Dieser wird also eine nach dem deutschen Originalmanuscript ver anstaltete Ausgabe begrüßen dürfen. Für das Volk freilich wird eine solche Ausgabe, wenn es nicht lernen soll, seinen Bismarck mit Busch's Augen zu sehen, nur dann eine Be- lehrungsquelle sein, wenn sie eine kritische ist, d. h. über den Verfasser, seine Art zu sammeln, seine Befähigung zum Sammler und Beurtheiler, sein Ansehen beim Fürsten und die Fülle der ihm bereits nachzewiesenen groben Jrrthümer eingehend Aufschluß giebt. Ohne solche Aufschlüsse ist das Buch nicht ein „Schatz", sondern Gift für das deutsche Volk. Man muß abwarten, wie weit der Verlag für einen kritischen Cvmmentar sorgt. Ausbleiben wird ein solcher jedenfalls nickt. Sorgt Herr Grünow nicht dafür, so werden Andere dafür sorgen, daß Herr Moritz Busch und sein Werk mit aller Gründlichkeit und Schärfe beleuchtet werden. Professor Hans Delbrück bat bekanntlich behauptet, die Ausweisungen aus NordschlcSwig überträfen Alles, was einst die dänische Regierung der deutschen Bevölkerung der Herzogthümer Schleswig und Holstein angethan habe und worüber man sich in Deutschland damals empört habe. Herr Delbrück beweist damit, wie schon mehrfach betont worden ist, eine bei einem Historiker doppelt befremdliche Gedäcktniß- sckwache; denn bekanntlich war cs in Kiel unter der Dänen- berrschaft schon strafbar, wenn ein deutscher Kaufmann oder Wirlh auf seinem Schilde sich der deutschen Sprache bediente. Was die dänische Negierung im Vertrauen auf Deutschlands Schwäche ihren deutschen llntertbanen zu bieten wagte, wird auch durch einen Brief Tb. Storm'S vom 25. Juli 1853 veranschaulicht, den Tb. Fontane in seiner Selbstbiograpbie „Von zwanzig bis dreißig" (1898) miltheilt. Da heißt eS auf S. 310: „Es ist heute der Jahrestag der Idstedter Schlacht, der auch diesmal von Militair und Polizei wegen feierlich begangen wird; die dänische Regimentsmusik mit dem „tappern Landsoldatcn" zieht durch die Gassen, Jungens und Gesindel hinterdrein; allen Gast- wirthen ist bei Strafe, daß sonst nicht länger als 6 Uhr geschenkt werden dürfe, geboten, Tanz zu halten. Viele finden sich dazu freilich nicht ein; aber man weiß, wie es geht; der Eine fürchtet, die Kundschaft der flott lebenden dänischen Beamtenschaft zu ver lieren, der^Andcre hat die Furcht im Allgemeinen, der Tritte will den befreundeten Wirth nicht stecken lassen. Und zuletzt ist zuzu gestehen, keine Bevölkerung hat im Großen und Ganzen aus die Tauer Lust, für ihre Ucberzeugung zum Märtyrer zu werden. So machen sie denn ihren Bückling und knirschen heimlich mit den Zähnen. So dankbar man im Grunde der dänischen Negierung sein sollte, daß sic Lurch diese Brutalität das Gedächtniß unserer historischen Unglückstage so unauslöschlich den Herzen der besseren deutschen Bevölkerung einätzt, so ist es doch ein Gefühl zum Ersticken, ohiimächtig und stumm dies gegen die Bevölkerung angewandte Demoralisationssystem mit ansehen zu müssen." Dazu bemerken Li- „Hamburger Nachrichten": „Davon hat man doch noch nichts gehört, daß die preußische Polizei dänische Wirthe gezwungen habe, zur Feier des Düppeler Sieges Tanzmusik zu halten! Ihr Zwangssystem, sofern von einem solchen gesprochen werden kann, hat nicht den Zweck, die dänisch redende Bevölkerung Norblchleswigs zu „demorali- siren", d. h. sie ihrer nationalen Selbstachtung zu berauben, wie es nach unserer Erinnerung und nach Storm's Zeugniß die dänische Regierung mit der deutschen Bevölkerung versuchte, sondern es hat lediglich den Zweck, die Dänen von der Fortsetzung ihrer An griffe auf den Bestand der preußischen Herrschaft und der deut schen Nationalität in ihrem Bezirke abzuschrecken. Die preußische Regierung erfüllt damit eine unabweisliche Pflicht der politischen und nationalen Selbstachtung, und sie wird sich hoffentlich auch in Zukunft nicht irre machen lassen. Immerhin ist es für uns Deutsche beschämend, daß wir uns sagen müssen, daß so würdelose Kund gebungen, wie die der Blell und Jacobi, bei keinem anderen Volke Europas denkbar wären." Die zuletzt genannten beiden Herren erfahren jetzt übrigens aus dänischem Munde, wie man in Dänemark von ihnen und Ihresgleichen denkt. Die Kopenhagener „Nationaltidende" berichtet nämlich, daß ein Hamburger HauS (?) das Herz eines Kunden in Dänemark vergebens durch Zusendung einer Neujahrskarte mit dänischem Glückwunsch und dänischer Fahne zu rühren versucht habe. Dieser Notiz giebt das Kopenhagener Blatt als fettgedruckte Überschrift die in Dänemark gebräuchliche, von Verachtung erfüllte Redens art: „WaS thut der Deutsche nicht für Geld?!" Der Botschafterwechsel, den Frankreich beim Vatikan bat eintreten lassen, erregt in hohem Maße die Aufmerksam keit der deutschen klerikalen Presse. Aus der „Köln. Volksztg." geht hervor, daß die Ersetzung deS bisherigen Botschafters Poubelle durch Herrn von Nisard von dem führenden EentrumSblatte sehr ungern gesehen wird, und zwar im Hinblick auf die ProtectoratSfrage. Die „Köln. VolkSztg." drückt sich zwar sehr diplomatisch auS, wenn sie sagt, sie glaube nicht, daß der Botschafterwechsel in der genannten Angelegenheit einen Erfolg für Frankreich mit sich führen werde, jedenfalls liege für den h. Vater für Zugeständnisse nicht die mindeste Ver anlassung vor; eine gewisse Befürchtung, daß dies doch der Fall sein könne, klingt immerhin aus den Worten der „Köl nischen Volkszeitung" heraus. Deutlicher drückt sich die „Germania" aus, indem sie schreibt: „Nach unserer Auffassung war die Ernennung Nisard's . . zweifellos ein geichickter Schachzug Frankreichs, der mittelbar auch den Interessen der deutschen Katholiken abträglich werden könnte. Die Form losigkeiten Poubclles haben hin und wieder ein unerwünschtes Entgegenkommen des h. Stuhles nach der französischen Seite hin erschwert. Der feine Herr Nisard wirb diplomatischer und wahrscheinlich erfolgreicher zu Werke geben. Wir können nur wünschen, daß er seine Künste nickt auf Kosten unserer Interessen auSübt, und daß die Freunde der deutschen Katholiken bei der Curie die Äugen offen hatten." — Diese Auslassung der „Germania" wirst auf die Liebe, Vie der Papst den deutschen Katholiken gönnt, ein sehr eigen tbümlicheS Licht. Jene Liebe hält allenfalls vor, so lange der klobige ehemalige Polizei- präfcct Poubelle den heiligen Vater verstimmt; sobald aber der seine ehemalige Director im Auswärtigen Amt von Nisard daS Wohlgefallen des heiligen Vaters erregt, schwindet jene Liebe, und die deutschen Katholiken müssen — wohlverstanden nach der Ansicht der „Germania!" — eine Benacktheiligung ihrer Interessen zu Gunsten der dollo b'ranco besorgen. Wir danken der „Germania", daß sic uns „dieses Wort gelehrt!" In der portugiesische» Thronrede war bekanntlich gesagt worden, daß der C o l o n i a l b e s i tz Portugals in vollständiger Unversehrtheit als geheiligtes Erbe der Nation erhallen bleiben werte, derselbe müsse aber nutzbringend ver waltet und als solider Grundbau für die wirthschaftlicke Wiederausrichtung Portugals ausgebildet werden. Damit soll den Behauptungen englischer Blätter entgegengetreten werden, nach denen eine im deutsch-englischen Vertrag zum Ausdruck kommende förmliche Vertbeilung des portugiesischen Colonial besitzes in Afrika vorgesehen sei. Jetzt theilt der halbamt liche „Commercio" noch Folgendes mit: „Wir können versichern, daß die erfolgten Abmachungen keinerlei tbatsächliche Gebietsabtretungen oder die Berzichtlcistung auf die portugiesische Staatssouveränität in sich schließen. Es handelt sich lediglich um die wirthschastliche Erschließung unserer Colouie mit Hilfe ausländischer Eapitalistengruppen. Um hierbei einer für die ruhige Entwickelung der Colonie schädlichen Concurrenz verschiedener Nationa- litäten vorzubeugen, ist eine Abgrenzung des Geschäfts und Unternehinungskreijes derjenigen Nationalitäten vorgesehen, welche wegen ihrer örtlichen Nachbarschaft zumeist ge- neigt sein würden, an der commerziellen Bearbeitung deS Colonie- gebietes Theil zu nehmen. Ganz besonders aber ist es eine Fabel, wenn behauptet wird, Portugal habe sich sogar verpflichtet, der britischen Flotte jederzeit Zutritt zu seinen europäischen Häfen zu gewähren. Die Möglichkeit eines Zusammengehens Portugals mit England im Kriegsfälle ist in dem Vertrage auch nicht mit ein::» Worte angedeutet." Wenn nun trotzdem der Pariser „Azence HavaS" zufolge der portugiesische Ministerpräsident in einer Ansprache er klärt hat, Portugal würde, wenn eS gewissen internationalen Fragen gegenüber Stellung zu nehmen hatte, nicht allein stehen, so gebt daraus hervor, daß trotz der Ableugnung t:s „Commercio" Abmachungen mit irgend einer Macht getroffen worden sind, vielleicht mit Frankreich, vielleicht gerade mit England. — Das Ergebniß der nunmehr beendeten Arbeiten der nordamerikauischen Kriegs-PrüfungScommission, die zur Untersuchung aller während de» Krieges vorgekommenen Unregelmäßigkeiten eingesetzt war, wird, so schreibt man uns au» New Hork, selbst in den dem Präsidenten zunächst stehenden Kreisen als ein geradezu vernichtende- bezeichnet. Die wockeu- langen Zeugenvernehmungen haben tatsächlich nicht« Anderes zu Tage gefördert, als Belege für die vollständige Uneinigkeit und beispiellose Gehässigkeit, mit der sämmtliche leitende Personen während des Krieges sich gegenüberstanden. Am schärfsten war der Gegensatz zwischen dem KriegSsecretair Alger und dem Obercommandirenden General MileS. Aber auch zwischen Letzterem und General Shafter bestand grimme Eifersucht, und ebenso sebr befehdeten sich Landheer uuv Flotte. Admiral Samp'vn soll seine anfangs kaum verständlichen Flottenbewegungen absichtlich so eingerichtet haben, um dadurch venGeneralMileS zu ärgern und dessen FeldzugSpläne zu durch kreuzen. Und schließlich suchte wieder Commodore Schien seinem Vorgesetzten Sampsou bei jeder möglichen Gelegen heit einen Streich zu spielen, um diese» nickt die SiegcSpalme erringen zu lassen. Alle diese Machenschaften, die gegenüber einem nur einigermaßen ebenbürtigen Gegner zu deu schtversten Niederlagen der Nordamerikauer hätte führen müssen, wurden in den Zeugenvernehmungen eingehend geschildert, und es wurde dabei festgestellt, daß die erbärmliche» Zustände in der HeereSverpslegung und die fast unglaublichen Be trügereien bei den Lieferungen der Leben-- und Arzneimittel, der BekleidungSgegenstande und Transportmittel gerade durch diese Nebenbuhlerschaft der Heeres- und Flotteufübrer ermög licht wurden. — Die Corruption war also in beiden krieg führenden Staaten gleich groß, nur daß Spanien ein armes, die Union ein reiches Land ist; diese tonnte eS auSbalte», Spanien ging darüber zu Grunde. Jetzt werben die Ameri kaner voraussichtlich noch einmal Gelegenheit haben, zu zeigen, was sie sind und waS sie können, denn die Eingeborenen der Philippinen sind zum Kampf um ihre Unabhängigkeit bis aufs Messer entschlossen. Deutsches Reich. Berlin, 6. Januar. (Der Kaiser nnd Präsident Faure.) Die Meldung deS HofberichtS, daß der Botschafter der französischen Republik im Auftrage des Präsidenten Faure sich nach Potsdam begeben habe, um sich nach dem Befinden deS Kaisers zu erkundigen, erregt insofern mit Recht einiges Aussehen, al- die Gesundheit deS Kaisers von vornherein zu Besorgnissen keinen Anlaß gab und in stetiger Besserung begriffen ist. Wird man dem Schritte deS Präsi denten Faure, wenigstens in Ansehung der deutschen Politik, keine politische Bedeutung beimessen dürfen, so berührt es doch angenehm, zu sehen, daß auch der Präsident der fran zösischen Republik einmal die Initiative zu eiuem Acte der Ccurtoisie ergreift, die Kaiser Wilhelm II. dem Präsidenten FenNleton. 51 Onkel Wilhelm's Gäste. Roman von A. v o n d e r E lb e. Nachdruck verboten. Ge^n hätte ich ihn einmal zu uns eingcladen, aber mein liebes Männechen sagte, das sei unmöglich. Es sind nun einige zwanzig Jahre her, daß unser liebes Wilhelmchen so ganz einsam wohnt. Er war ja immer herzensgut, konnte keiner Seele etwas zu Leide thun, aber schrullig mag er nun^erst recht geworden sein. Jawohl, das sind solche alte Junggesellen immer." Nella fragte noch viel über den armen Onkel, der ihr sehr leid that, aber Frau von Selbach wußte nichts weiter, sie corre- spondirte nicht mit dem Bruder und hatte ihn in aller der Zeit, seit er auf dem Rusteberge wohnte, nicht gesehen, er reise ja nie und lebe vermuthlich in sehr beschränkter Lage. ' „Etwas Pension hat er ja", fügte die Tante hinzu, „weiter böscht er aber auch nichts, als was er selber baut und erntet und das wird nicht viel sein." Nella sollte am ersten Juli nach Schloß Wendelstein zurück kehren, doch bevor dieser Zeitpunct da war, kam Kurt aufgeregt zur Schwester und brachte einen Bries an ihn vom Vater, in dem dieser schrieb, Kurt solle unverzüglich mit Nella nach Hause kommen. „Wenn man Dir Schwierigkeiten wegen des Urlaubes macht", hieß es, „so gehe mit diesem Briefe zu Deinem Kommandeur, meinem alten verehrten Freunde, und sage ihm von mir, Deine sofortige Abreise hierher sei unumgänglich nöthig." Die Geschwister sahen sich erschrocken an. Die Handschrift des Vaters schien eine andere als sonst, nichts von den früheren großen freien Zügen, die Buchstaben rankten wie unter Zittern ineinander, die Linien senkten sich tief hinab. „Der liebe Papa muß krank sein", sagte Nella mit thränen- umfkorter Stimme. „Ich habe ihn schon bei meinem letzten Urlaub verändert gefunden", meinte Kurt sinnend. „So zerstreut, so ruhelos, und immer kramte er in Großvaters Zimmer umher." Es wurde ausgemacht, daß Kurt nach seiner Rücksprache mit dem Regiments - Commandcur telegraphiren solle, sie würden morgen Nachmittag vier Uhr auf der ein« halbe Stunde Weges vom Gut entfernten Station ankommen. Dort fanden sie dann den Wagen und waren bald daheim. Frau von Selbach war fast noch unruhiger als die besonnene Nella. Die Tante wollte beim Einpacken helfen, verschleppte aber, was zur Hand lag und klagte unaufhörlich. Valeska saß im Schlafzimmer auf dem Bettrande, sah müßig zu, wie Nella kramte und versicherte, der Schreck über diese plötz liche Abreise der Cousine lähme sie derart, daß sie nichts thun könne. Die Schwälbchen, die nicht wußten, welche Miene sich für sie bei der allgemeinen Aufregung paffe, steckten im Eßzimmer die Köpfe zusammen und kamen schließlich überein, daß es doch eigentlich sehr interessant sei, wenn etwas Besonderes vorfalle, wie diese plötzliche Abreise. Mitten in die allgemeine Unruhe hinein meldete die lachende Minna den Besuch des Herrn Referendar von Wendelstein. Man hatte zu laut gesprochen, nm sich verleugnen lassen zu können. Auch ging es Tante Selbach gegen di« Natur, eine an genehme gesellige Berührung zu verschmähen. Sie ließ also den Besucher in den Salon führen, zupfte rasch vor dem Spiegel an ihren Löckchen und forderte di« Mädchen auf, mitzukommen. Für Valeska war es immer eine Freude, Wendelin zu sehen und auch Nella empfand es angenehm, dem Vetter noch Lebewohl sagen zu können. Nachdem Wendelstein flüchtig der Frau vom Hause die Hand geküßt hatte, trat er gehobenen Hauptes auf Nella zu. Er zwirbelte sein rothes Schnurrbärtchen und seine sonst matten Augen funkelten. Das jünge Mädchen sah ihn erstaunt an: „Sind Sie ge wachsen?" „Bedauere unendlich, mein gnädiges Fräulein", sagte er, in alter Weise die Hacken zusammenschlagend, „daß — wie ich eben von Ihrem Herrn Bruder hört« — Ihre Abreise so bald bevor steht. Jndeß — hoffe sehr — Hoss« thatsächlich sehr — Sie in nicht allzu ferner Zett wieder begrüßen zu dürfln." „Aber wie?" — „Mein Geheimniß", er lächelte überlegen. Nun hatte Frau von Selbach lange genug geschwiegen, eifrig nahm sie die Unterhaltung an sich. Es fiel Nella auf, daß der Vetter heute viel zuversichtlicher und selbstbewußter auftrat als sonst; dies Wesen stand ihm besser als die frühere Geziertheit, wenn es auch ebenso weit von schlichter Natürlichkeit entfernt sein mochte. Als der Referendar gegangen war, sagte Valeska empfindlich: „Ein reiches Mädchen, wie Du, findet immer Bewerber. Es ist klar, Wendelstein will Euch besuchen, und Du kannst Dich auf einen Heirathsantrag gefaßt machen." „Welch' ein Einfall, Valeska!" „Glaub' mir's, er kommt; sprach er doch ganz bestimmt von Eurem Wiedersehen." „Und wenn auch", mischte sich die Mutter ein. „Warum sollte er nicht die lieben Verwandten aufsuchen? Man braucht bei einem freundlichen kleinen Besuch nicht gleich an ernste Absichten zu denken." Die Trennung von der Tante und den drei jungen Mädchen, mit denen Nella fast ein Jahr lang traulich zusammengelebt hatte, that ihr, als am anderen Tage die Scheidestunde schlug, herzlich leid, doch Ivar eine unruhige Sehnsucht nach dem Vater erwacht, der sie gern, je eher, je lieber, folgte. Fünftes Capitel. Nun fuhr Nella mit dem Bruder der Heimath entgegen und ihr Herz klopfte freudig. „Wenn nur die Sorge um Papa nicht wäre", sagte sie wiederholt, „wie wollte ich glücklich sein." „Bin auch gespannt, was vorliegt", meinte Kurt. „Ob die Brüder recht gewachsen sind?" „Das sollen sie ja. Und mit dem neuen Hauslehrer scheint Papa ganz zufrieden." „Fräulein Weiermann schrieb mir auch, er wäre, wenn auch etwas steif, doch ein verständiger und bescheidener Mensch." Die Geschwister hatten gehofft, der Vater werde sie von der Station abholen, er schickte ihnen aber nur die zweisitzige Kalesche mit dem alten Kutscher und Diener. Als Nella die heimische blaue Livrüe und die bekannten Gesichter sah, hätte sie laut jauchzen mögen. Kurt fragte, während er den kastanienbraunen Pferden, die auf dem Gute gezogen waren, die schlanken Hälse klopfte, wie es dem gnädigen Herrn geh«. Der alte Jahns, der neben ihm stand, erwiderte, der Doctor ist noch nicht geholt. Er sah dabei so sorgenvoll aus, daß Kurt erschrak. „Also krank ist mein Vater doch?" „Ich weiß es nicht, Herr Lieutenant. Sie werden ja selber sehen. Es wird dem gnädigen Herrn doch wohl was fehlen." Mit der quälenden Empfindung, daß im Vaterhause irgend ein unbekanntes Schreckniß ihrer warte, fuhren die Geschwister durch die lachende Gegend. Auf einer Anhöhe, das Thal beherrschend, lagen die Reste des alten Wendelsteins, ein Thurmstumpf und etwas Gemäuer, mit leeren Fensterhöhlen, von Baum und Buschwerk umgriirtt, sahen malerisch herunter. Die Burgherren hatten ihren Besitz schon in der letzten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts ver lassen, um sich in der Ebene einen behaglicheren Wohnsitz zu er bauen. Das Gutshaus, breit und stattlich zu Ende einer Lindenallee gelegen, mit einem ausgedehnten Park zur «inen und landwirth- schaftlichen Gebäuden zur anderen Seite, mochte, seitdem cs erbaut war, schon manche Wandlung erfahren haben. Es sah alt, sehr geräumig und herrschaftlich aus. „O wie schön ist's doch zu Hause!" rief Nella, als sie die Allee hinauf fuhren. „Ja", erwiderte Kurt gepreßt, „ivenn nur Alles in Ordnung wäre. Scheußlich, welch' ein Alp auf einem liegt!" Durch eine mit alten Waffen, Rüstungen und Wappen aus gestattete weite Halle führte Jahns die Ankommenden in den Eßsaal, durch den es auf eine Gartenterrasse ging. Der Raum hatte gemalte Fenster, Rarckengewächse um wucherten die offene Terrassenthür, so herrschte für die aus dem Hellen Lichte des Sommernachmittages Eintretenden ein ver wirrendes Halbdunkel. Eine hagere, gebeugte Gestalt trat ihnen hier entgegen. War es möglich, daß ein einziges Jahr einen Mann so verändern konnte — war dies wirklich ihr stolzer, schöner Vater? „Papa — o lieber Papa!" rief Nella und warf sich auf schluchzend an seine Brust. „Mein liebes, kleines Mädchen", wie hohl und fremd die Stimme klang. Offenbar schwer krank, dachte Kurt und zog des Vaters ab gemagerte Rechte bewegt an seine Lippen. „Laß gut sein, Nella", Rusteberg schob sein Kind von sich, man hörte, daß er selbst mit Rührung kämpfte. „Geh hinaus auf die Terrasse. Die Weiermann hat da einen Kaffee, erhole Dich von der Fahrt. Und Du, Kurt, willst Du auch etwas genießen, oder willst Du gleich mit mir in mein Zimmer kommen?" „Ich stehe ganz zu Deiner Verfügung, lieber Vater." „Gut — gut — so laß uns gehen." Während Nella schweren Herzens auf die Terrasse trat, um ihre alte Hausdame zu begrüßen, die, vom Wunsch des gnädigen Herrn hier zurückgehalten, an einem lelegant her gerichteten Kaffeetische saß, verließen Vater und Sohn den Eßsaal und gingen durch ein Billard- nnd Bibliothekzimmer in die Wohnstube des Hausherrn. Es war, wie alle Räume des Hauses, ein großes und hohes Gemach, behaglich und gediegen mit einem reichen Mobiliar ausgestattet. „Setze Dich", sagte Rusteberg zerstreuten Tones, warf sich
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