02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-04
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990204028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-04
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GGMvktzWMusgar« erscheint «» '/,? Uhr. hi» Aiend-UuAgab« Wochentag» n» S Uhr. Filiale«: Vit» Me»«'r Gortim. (Alfred Hahn), UnivttsitStSstraß« 3 (Paulimmc). L-nt« Lösche, Kothar<ne»tzr. 14. »art. «ed KönigSplatz 7. «edartts, ««- Erpedttio«: Astzemnesgasse 8. Di« LxpHitioer ist Wochentag« uunuterbroch« Wöfftwt von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. «d den vorohtrn «richteten Au«. «4.50, >g in« . MW« für G^.»schi«id nnd Oesterreich: viertellährlich D»—. Direct» täglich« Kreu-baudieudung Abend-Ausgabe. WpzMr.TMblaü Anzeiger. Ämtskkatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes -er Stadt Leipzig. ArrzeigeN'Prel- die S gespaltene Petitzeile 20 Pf-. Neclamen unter dem RedactionSstrich (4>e- spalten) üO^j, vor den Famili«nachrtchte» (6 gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgen-Auögabe, ohne Postbeförderun^ 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: vonnittag« IS Uhr. Werg«a-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Lnzeiaen sind stet« an die Erpeditiao zu richten. Druck und Verlag von L. Pol» t» Leipzig 64. Tonnabend den 4. Februar 1899. 83. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Februar. Wer nicht parirt, fliegt bekanntlich bei den Social demokraten hinaus. Und daran, daß auch in dem den „Genoffen" nur im trübsten Dämmerlichte vorschwebenden socialdemokratischen Zukunft« st aate, wenn er sich ver wirklichen ließe, mit den Bockbeinigen kein Federlesen gemacht würde, daran wäre auch dann nicht zu zweifeln, wenn nicht da« „Centralorgan" offen eingestanden hätte, daß dieser Staat den Antisocialdemokraten Gelegenheit geben werde, außerhalb seiner Grenzen sich zu „bessern". Und wenn nun gar in diesem Zukunftsstaate eine Post- und Telegraphen verwaltung eingesetzt würde, in welch strammer Hucht würde diese ihre Beamten halten und halten muffen, wenn sie nicht selbst von der schlecht bedienten Menge zum Staatstempel hinausgejagt werden wollte! Aber daß die „Genoffen" da« einsehen und darau« den Schluß ziehen würden, auch bei der jetzigen Staat«- und Gesellschafts ordnung sei e« Pflicht der Post- und Telegraphenverwaltung, ihre Autorität den Beamten gegenüber zu wahren, Stören sriede eru zu halten und auf peinliche Pflichterfüllung zu seh«, — da« glaubt wenigsten« Herr Singer nicht; dazu hält er seine Gefolgschaft für zu dumm, für dumm genug, ihm zu helfen, die festgefügte Organisation unsere« Reichs- postwesen« durch Aufreizungen und Aufhetzungen zu »er- stören, um Raum für die Aufrichtung de« Zukunft«- staate« zu schaffen, in dem e« — „Genoffen" sind, welche di« Zügel der Verwaltung eben so stramm führen und von denen eme Rüge, eine Strafe, eine Entlastung noch viel mehr schmerzt, al« von „bureaukratischea" Beamten. So tobte er denn gestern im Reichstage bei der zweiten Lesung de« Postetat« ärger al« je gegen die Leitung der Postverwaltung, ließ kein gute« Haar an ,hr und bauschte jede im Intereffe de« geregelten Dienstganges verfügte Diöciplinarmaßregel zu einem Raub an den geheiligtsten Menschenrechten auf. Aber er entging auch der rechten Antwort nicht. Au« der Ent gegnung de« Staatssekretär« v. PodbielSki heben wir au« dem un« heute vorliegenden ausführlichen Berichte folgende Stelle hervor: „Ich kann von meiner früheren Erklärung nicht zurück, daß ein Man» von socialdemokratischer Gesinnung eia kaiserlich deutscher ReichSbeomter und insbesondere eia Postbeamter nicht sein kauu. (Stürmischer Beifall.) Empfindet e« ein solcher Beamter nicht selbst, daß er sich in Widerspruch setzt mit dem von ihm geleisteten Diensteid, daß er sich in einem Toaflict der Pflicht befindet, so erachte ich e« al« meine vornehmste, unbedingteste Pflicht, ihn au« der Verwaltung zu entfernen. (Lebhafter Beifall.) Nur da« möchte ich Ihnen »och sag«»: glauben Sie doch wahrhaftig nicht, daß e« so leicht ist, einen Beamten, der länger« Zeit im Dienst« steht, au« seiner Stellung zu eutferuen. Ich glaube, ein Jeder, der eiu BiScheu menfchliche« Gefühl hat, wird da» sehr ernst prüfen, di« Berant- wortwrg ist wahrhaftig eine sehr schwere. (Lebhafter Beifall.) Ent scheid« ich mich aber dafür, daun decke ich e«, und da« thue ich, vielleicht zum Uutrrschied gegen frühere Zeiten, lieber mit meiner Person, al« daß ich Nachgeordneten Behörden, die auch berechtigt find, dem Manne zu kündige», die Verantwortung dafür über- lasse. (Lebhafter Beifall.) Nur so kann sich, meine Herren, in der Beamtenschaft da« Gefühl des Vertrauen« eutwickeln; sie muß sagen, der Mann trägt die Verantwortung, er ist, wenn er auch vielleicht mal strenge ist, gerecht (Beifall), und nur bei dieser Gesinnung kann ich «ine so große Beamtenschaft leiten. ES sind ja nicht tausend, nicht zrhrttausend, wie Sie selbst wisse«, sind e» bald an die 200000 Beamte. Stellen Sie sich einmal einen so großen Beamtrnkörper vor. Der muß mit sehr großer Sorgfalt, aber auch mir einer unbedingt festen Hand geleitet werden. (Lebhafter Beifall.) Sie, meine Herren Socialdemokraten, Sie befolgen ja da« gleiche System. Je größer die Masse wird, die Ihren Lockungen folgt, um so fester schließen Sie Ihre Organisation. (Stürmische Heiterkeit.) Ich muß für Di-ciplin sorgen. Sie selber würden mich ja arg bekritteln und bewerfen, wenn ich hierher kommen und Ihnen sagen müßte, der Brief, verkehr ist auf einige Tage eingestellt. (Große Heiterkeit.) Ich habe die Verantwortlichkeit und ich kann doch nicht die Briefe alle allein auStragen (stürmische Heiterkeit). Den Dienst thun die Beamten doch nicht mir zu Gefallen, sondern r« sind Beamte der Postverwaltung und Allgemeinheit. Sie thun ihren Dienst ganz ebensogut im Interesse de« Herrn Singer. Daran muß ich entschieden festhalten, Klarheit muß sein, wer ist der Herr? (Stürmischer Beifall, sehr richtig! bei den Socialdemokratrn.) Sie rufen sehr richtig! Da kommen wir ja auf einem Boden zusammen. Ich geb« ja vollkommen zu, daß zur Zeit in der Reichspostverwaltung von Socialdemokraten keine Rede ist. (Lachen bei den Socialdemokraten. Singer ruft: Aber Sie haben Furcht!) Bon Fuckht ist nicht die Rede. Aber ich will ruhige Beamte haben. Außer im Hamburger Fall habe ich mit Socialdemokratrn noch nichts zu thun gedabt. Aber da- ist doch zweifellos: eine Untergrabung der Autori- tat darf ich nicht dulden. Wo jeder Einzelne ein Rädchen ist, das sich mit drehen muß, wie die andern sich drehen, kann ich keinen Beamten dulden, der vielleicht denkt, ich kann heute 10 Minuten nach 8 Uhr kommen. Sie Alle würden sich beschweren, wenn Sie Ihre Briefe eine Viertelstunde zu spät bekämen, und Ihre» Zukunftsstaat möchte ich sehen!" Damit war Herr Singer glänzend abgefertigt, und wenn seine „Genossen" wesentlich verständiger wären, al« er glaubt, so würden sie ibn, wenn er wieder einmal in Volks versammlungen über die „Tyrannei" in der Reichspost verwaltung donnert, um seine Hörer für das Ideal des Zukunftsstaates zu begeistern, auSpfeifen. — Daß in einer so großen Verwaltung einzelne Mißgriffe nicht auSbleiben können, ist selbstverständlich. Aber au« den citirten Worten de« Herrn v. Podbiel-ki geht hervor, daß er überall Wandel schaffen will, wo es möglich ist, und daß er für Hinweisungen auf thatsächlich vorhandene Mißstände dankbar ist. Auf solche in der rechten Weise aufmerksam zu machen, wird bei der Weiterführung der Berathung die Aufgabe der kürzer- lichen Parteien sein. Der zwischen Herrn Singer und dem Staatssekretär auSgefochtene Redekampf hat den Boden geebnet, auf dem eine sachliche Verhandlung zum Vortheile aller Post» und Telegraphenbeamten, die sich benachtheiligt glauben, sich zu bewegen hat. Die socialdemokratische „Sächs. Arbeiterztg." ist höchlich entrüstet über die Budgetcommission des Reichs- tage«, die aufGrund vertraulicher Mittheilungen der Regierung 50 Millionen Mark für Aestungsbautcn bewilligt habe. Da« genannte socialdemokratische Blatt giebt au« diesem Anlaß nicht nur militär-technische Weisheit zum Besten, um die Ueberflüssigkeit der Ausgaben für Festungen als für ein „veraltete« Vertheidigungsmittel" darzuthuu, sondern stellt auch die Frage: „An welcher Grenze sollen die 50Million en Mark verschaufelt werden?" Nun ist e« klar, daß auf keinem Gebiete der öffentlichen An gelegenbeiten Verschwiegenheit, unbedingte Verschwiegenbeit, so »othwendig ist, wie auf dem Gebiete der LandeSvertbeidigung. Wenn trotzdem die „Sächs. Arbeiterztg." Aufklärung über die Verwendung der Festungsbaugelder verlangt und gleich zeitig die Befürchtung äußert, daß die socialdemokratischen Mitglieder der Budgetcommission „abermals prüfungSloS in die DiScretionSfalle hineingegangen wären", so sieht man auf da« Unzweideutigste, wie wenig das Organ der zielbewußten „Genoffen" die Wahrung der elementarsten vaterländischen Interessen sich angelegen sein läßt. — Daß die Socialdemokratie, die „Sächs. Arbeiterztg." mit ein geschlossen, des Werthe« der DiScretion sich wohl bewußt ist, bat erst in der allerjüngsten Vergangenheit der Fall Lütgen au erwiesen. Lütgenau ist bekanntlich von Partei wegen aus der Redaction der „Rhein. - Westfäl. Arbeiter zeitung" entlassen worden; die Gründe seiner Entlassung hierfür öffentlich darzulegen, lehnte der Parteivorstand im Parteiinteresse ab. Und als socialdemokratische Blätter die Veröffentlichung de« Materials verlangten, erklärte der „Vorwärts" am 24. November 1898: „Der Vorstand darf von den Genoffen wohl das Vertrauen erwarten, daß es zwingende Gründe sind, die ihn veranlassen, von der sonst geübten Praxis unbeschränktester (?) Oeffentlichkeit in diesem Falle abzusehen." — Wenn e« da« Parteiinteresse fordert, dann ist eben für den „Genoffen" DiScretion Ehrensache; verlangt aber da« vaterländische Intereffe Verschwiegen heit, dann bezeichnet der „Genosse" die DiScretion al« „Falle". Da« ist die Ethik de« Zukunftsstaates! Hoffentlich klärt sick nun endlich das Verhältniß Deutsch lands zu den Bereinigten Staaten, das, wenn man den systematischen Hetzereien der amerikanischen und der englischen Presse Glauben wollte, ein äußerst gespannte« sein müßte. WaS die Philippinenfrage anlangt, so hat der deutsche Botschafter in Washington, v. Holleben, die Veröffent lichung folgender, schon kurz erwähnter, für Amerika außer ordentlich freundlicher Unterredung gestattet: Ueber die Erpansionsfrage, die so weittragend geworden ist, kann ich nur sagen, daß Deutschland jedenfalls nicht in Angelegenheiten sich mischt, die ausschließlich Amerika angehen; hat dieses doch keinen Widerspruch gegen unsere Besetzung von Kiautschau erhoben; warum sollten wir der amerikanischen Besetzung der Philippinen widersprechen? Wir haben in den Philippinen keinerlei größeres Intereffe, als Amerika in China hat. Seitdem Amerika, ob- wohl man es hierzu zu drängen suchte, nicht gegen unseren Eintritt in seinen Handelsbereich in China protestirtr, können wir nur seinem Beispiel folgen und unS einer Kritik seiner Acte in den asiatischen Gewässern enthalten. Mit Amerikas Er- scheinen al« souveräner Macht in dem Philippinenarchipel schwanden alle unsere Befürchtungen. Wir haben dort nur kommerzielle Interessen und sind vollständig befriedigt, wenn Amerika alle unsere Rechte in dieser Hinsicht garan- Liren will. Deutschland hatte auch nicht einen Augen- blick die Absicht, von Territorien auf den Philippinen Besitz zu ergreifen. Mr haben nie der Inseln bedurft und sicher niemals versucht, sie zu nehmen. Ich habe dies dem Präsidenten und dem Staatssekretär verschiedentlich gesagt und bin überzeugt, daß sie mir glauben. Ich bin sicher, daß das ameri- kanische Volk, nachdem es gesehen hat, wie schwierig eS ist, die Philippinen zu nehmen, überzeugt ist, daß Deutschland nicht daran denkt, sich diese Last auszuerlegrn. Auch nach einer anderen Richtung hin scheint sich jetzt ein Umschwung vorzubereiten; auch in amerikanischen Blättern dringt die Ansicht durch, daß die deutschen Beamten aus Samoa durchaus nicht die Ursache der dort ausgebrochenen Wirren gewesen sind, daß vielmehr die Umtriebe im englisch amerikanischen Lager ihren Ursprung gehabt haben. Ic ergiebiger die Nachrichten werden, um so klarer stellt sich heraus, daß der Oberrichter CbamberS sich so zahlreiche Uebergriffe hat ;n Schulden kommen lassen, daß er al« die Seele der feindseligen Treibereien betrachtet werden darf, die auf den Inseln die Unruhen hervorgerufen haben, welche nach den neuesten Meldungen noch fortdauern. E« ist bereits bekannt geworden, daß da« Verhältniß zwischen CbamberS und dem Vorsitzenden deS Gemeinde raths, Or. Raffel, kein fehr gutes gewesen ist; obwohl die ausführlichen Berichte noch nicht vorliegen, läßt sich doch jetzt schon erkennen, wo die Schuld an den Neiberen zu suchen ist. Chambers hat sich unzweifelhaft große Eigen mächtigkeiten erlaubt und wiederholte Verstoße gegen die Samoa-Acte begangen, wie auch der soeben bekannt ge wordene neueste Zwischenfall beweist. Die drei Regierungen haben sich dahin verständigt, die Wirren durch freundschaft liche Verhandlungen zu beseitigen und die Verstöße ihrer Beamten zu sühnen. Wir erwarten, daß vor Allem die ameri kanische Negierung die Folgen daraus für den Oberlichter Chambers ziehen wird. In Ungarn schleppen sich die Verständigungsversuche zwischen der liberalen Negierung und der Opposition mit wechselndem Erfolge hin. Die liberale Partei hält am nächsten Dienstag eine Conferenz ab, in welcher der Ministerpräsident über den Verlauf der Compromiß- verhandlungen, die zur Sanirung der parlamentarischen Lage gepflogen wurden, berichten wird. Die Aussichten für den Compromiß haben sich mittlerweile ungünstiger gestaltet, da die Opposition derzeit auf dem Standpunct verharrt, daß dem Cabinette Bansfy Indemnität nicht bewilligt werden könne. Die Opposition wolle sich vielmehr gegen über dem eventuellen Nachfolger des Baron Banffy volle Actionsfreiheit Vorbehalten, so daß der nächste CabinetS- chef, falls er nicht eine der Opposition genehme Persönlichkeit sei, ebenfalls der Gefahr der Obstruktion ausgesetzt wäre und Indemnität nicht erhalten würde. Der den Frieden vermittelnde Abgeordnete Koloman Szell hofft jedoch, die Minorität von diesem Standpuncte abbringen zu können. Die von der Opposition fcrmulirten und zwar, wie verlautet, weitgehenden Forderungen sollten dem Ministerpräsidenten gestern zur Kenntniß gebracht werden, doch verzögerte sick die Mittheilung. Sie soll heute erfolgen. Die Replik der Regierung, die natürlich auf ein Ansinnen, dessen Durchführung die Capitulation der großen liberalen Regierungspartei vor der klerikal-reactionairen, anti-centralistischen Minderheit bedeuten würde, schwerlich anders als ablehnend lauten kann, wird für Sonntag erwartet. Die angeblich gesteigerten Aussichten für das Zustande kommen der australische» Föderation dürften in, Zusammen hang mit der allgemeinen politischen Lage Englands und seiner Colonien stehen. Schon bei der Einigung im Vor- jabre, welche nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen den ersten praktischen Versuch zum Zustandekommen des Bundes darstellte, bat ein solches Motiv mitgewirkt: daS Zusammen sein aller colonialen Premierminister in England bei dem Re gierungsjubiläum der Königin im Sommer 1897 und der dabei von Chamberlain so eifrig geförderte Plan einer engeren Zu- Fettillaton. 4) Sterbendes Licht. Novelle von Robert Kohlrausch. Nachdruck verboten. Ein unsägliches Mitleid zog bei ihrem Anblick und ihren Reden in mein Herz. Zugleich aber auch eine leise Hoffnung, daß eine krankhaft gesteigerte Empfindung sie Vas, was sie Furchtbares erlebt hatte, in falschem Lichte, in verzerrter Gestalt erblicken lass«. Und mit dieser Hoffnung zugleich erwachte der glückliche Traum, daß es mir vergönnt sein möge, sie dem Leben, dem Frieden, der Hoffnung zurückzugeben. Frau von Jttinghofen athmete tief und begann darauf ein wenig ruhiger zu sprechen. „Ich muß Ihnen die Geschichte meiner Ehe erzählen, wenn Sie das Alles verstehen sollen. Und dabei müssen Sie im Auge behalten, daß ich von Hau» eine sehr stolze Natur bin. Dieser Stolz hat die hauptsächlichste Schuld an meinet» Elend getragen. Jttinghofen ist mein Mädchenname; auch dazu hat mich der Stolz, obwohl er schon so tief gebeugt «ar, veranlaßt, diesen Namen wieder anzunehmen. Ich that e», nachdem mein Mann gestorben war, mit dem ich eine un säglich ungwckliche Ehe geführt habe. In un» waren zwei Men schen Zusammen gekommen, bei denen der Begriff von Würde und Moral vollständig verschieden waren. Ich war in einer frommen mkd reinen Luft aufgewachsen, in der ich zum Guten, aber auch zu einer gewissen Selbstherrlichkeit war erzogen worden. Mein Mann, den ich auf Grund von Familienbeziehungen ge- heirathet hatte, ohne ihn eigentlich zu kennen, war ein Lebemann leichtfertigster Art. Ich höbe allmählich erfahren, daß er viele sei«» Gleichen hat, und daß er in den Kreisen seiner Stande»- ganoffen trotz alledem al» anständiger Mensch gelten konnte. Mein Verstand sagt mir zuweilen sogar, daß ich ihm in gewisser Weise Unrecht gethan und ihn zu schroff behandelt habe. Mein innerste» Gefühl gegen ihn ist aber heute doch noch dasselbe wie damal», und wenn ich daran denke, daß er mich betrogen und hintergangen hat, daß die Heiligkeit von Ehe und Treue ihm nicht» bedeutete, als «in leere» Wort, dann kocht mir da» Blut auch jetzt wieder, mkd ich sage heute wie damal»: er war ein verworfener!" Der Zorn hatte ihr bleiche» Gesicht ein wenig geröthet, und au» den Augen blitzte «im edle Entrüstung, die mir den Au»druck ihrer Lüge doppelt bedeutend erscheinen ließ. Wie «ine Priesterin HaiG sie vor mir, wie eine Vestalin, die Reinheit und Sitte ver- theidigt. Allmählich aber verlosch das Feuer in ihren Blicken, und die müde Traurigkeit, die ich schon so wohl an ihr kannte, legte sich wieder, einem Schleier gleich, über das von Neuem erbleichende Antlitz. „Daß man es immer noch nicht verlernt hat, sich zu ereifern", sagte sie und strich mit der Hand über die linke Schläfe. „Man meint so oft, man sei zur Ruhe gekommen, und das Alles sei aus gebrannt, aber in Wahrheit findet man die Ruhe doch erst, wenn das Leben zu End« ist. Freilich ist jetzt nur noch ein Schatten von der früheren Leidenschaftlichkeit in mir, die namentlich dann erwachte, wenn mein Stolz beleidigt wurde. Und das geschah durch meinen Mann seit dem ersten Tage unserer Ehe. Zuerst waren es Gerüchte, die zu mir drangen, und an die ich nicht glkuibte. Wie die meisten jungen Mädchen in Deutschland, war ich über den hergebrachten Lebenswandel der Männer im Unklaren gehalten worden; jetzt mußte ich erfahren, daß e» Dinge und Verhältnisse gab, die schlimmer waren, als ick sie je geträumt hatte. Was zuerst nur Gerüchte gewesen waren, das wurde zu Thatsachen, und hundert Mal hätte ich auf die Trennung von diesem unwürdigen Menschen gedrungen, wenn nicht ein Band gewesen wäre, das mich immer wieder hielt. Wir hatten einen Buben, eine» entzückenden, klugen und heiteren kleinen Burschen, den ich geliebt habe, wie nichts Andere» in der Welt." Sie brach ab und versank in Gedanken; wieder schien e», als sehe sie Gestalten und höre Töne, die für sie allein fichtba»und vernehmlich waren. Ich wagt« nicht zu reden; ich wollte ihr Sinnen nicht stören, auch hatte sich eine unbestimmte Angst mir auf die Seele gelegt, wofür ich noch keinen Namen fand. So entstand eine lautlose Stille in dem Erkergemach, dessen Gestalten gleich bleichen Gespenstern auf unS niederblickten. Kaum verständlich Hub Frau von Jttinghofen endlich von Neuem an: „Die» Kind habe ich durch mein« Schuld verloren. Durch meine Schuld hat e» vor der Zeit au» der Welt hinau»- gehen müssen, in der e» nur Glück hätte verbreiten können. Ich habe e» ohne die schützende Hand der Mutter gelassen, und darum hat e» der Tod getroffen. Da» kann ich nirmal» ver- geffen, und darum habe ich -auch kein Anrecht mehr auf ein neue» Glück." Thränen waren während de» Sprechen» in ihr empor gequollen und zwangen sie jetzt, sich abzuwenden und die Augen zu trocknen. Auch al» fie wekttr sprach, blieb fie abgewandt, seit- wart» von mir stehen und schaute zu einem der Fenster hinau» auf die Frühlinstswelt da draußen, die so voll von Freude verheißender Schönheit war. „Mt meinem Mann und dem Buben zusammen war ich an »den Starnberger See "hinausgefahren, um dort entfernte Ver wandte für ein paar schöne Herbsttag« zu besuchen. Auf der friedlichen Besitzung, wo ich meinen Mann vor Versuchungen und Leichtfertigkeiten geschützt glaubte, kam zum ersten Male nach langer Zeit auch über mich «in Gefühl des Friedens. Aber ein ab scheuliches Erwachen folgt« auf den schönen Traum von Glück. Eines Abends, als der Mondschein mich noch in den Park hinaus gelockt hatte, traf ich meinen Mann im teto L tvte mit einer Bauerndirne. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß er sich so weit vergessen könnte, wohl aber wußte ich, daß ich ihm «ine solche Demüthigung niemals verzeihen würde. Am nächsten Tage — er hatte mich am Abend nicht bemerkt — sagte ich ihm, daß ich entschlossen sei, von ihm zu aehen und mit dem Kinde bei meiner Mutter Zuflucht zu suchen, die sich damals auf einer Reise in Italien befand. Er mochte wohl sehen, daß Alles verloren war, und gab mit höflicher Kälte seine Zustimmung zu meinem Plan, soweit er mein« Person betraf. Das Kind aber — der Bube war damals zehn Jahre alt — nahm er für sich in Anspruch und verweigerte mir auf das Bestimmteste die Einwilligung, ihn mich begleiten zu lassen. Er drohte, ihn durch die Polizei zurückzuholen, wenn ich den Versuch machte, mit ihm zu entfliehen, und behauptete, daß bis zur Entscheidung durch die Gerichte seine Daterrechte -unan tastbar seien. Ich weiß nicht, ob er dazu berechtiat war, oder ob er mich nur schrecken wollte, — ich war so verstört, daß ich nicht prüfen und überlegen konnte. Mein Stolz war so tödtlich ge troffen, ddß ich meinte, sterben zu müssen, wenn ich noch «ine einzige Nacht mit diesem verworfenen Menschen unter einem Dache bliebe. So habe ich denn gethan, wai ich niemals hätte thun dürfen. Ich bin davon gefahren noch am Abend desselben Tage», habe mein Kind bei diesem Vater zurückgelassen, der ihm kein Hüter und Erzieher werden konnte, habe ihm die Mutter genommen, die e» hätte bewahren und schützen müssen. Wehrlos habe ich e» der Gefahr prei»gegeb«n, die ihm schon nahe war, und die einer treuen Mutter Hand von ihm würde abgewehrt haben." Jahre lang unterdrückte Qualen brachen gleich wilden Strömen au» ihrer Brust hervor. Und in den Ton leidenschaftlicher Klänge mischte sich der wüthende Zorn über sich selbst, ein kalte», richter liche» Drohen, da» von Sekbstvernichtung sprach. Ich hatte ihr gern ein paar Worte de» Tröste» gesagt; ich konnte ihr damalige» Thun so wohl verstehen und mußte sie in meinem Innern frei sprechen von der grausamen Anklage, die sie gegen sich erhob. Aber ich war wie gelähmt; ein finstere» Ahnen, daß sie mit ihrer Er zählung auch mir da» Urtheil sprechen würde, hatte mich er griffen. Es war mir, als schwebe ein Richtbeil über mir, das niederfallend, mein Leben zerstören mußte. So stand ich regungs los und schweigend und wartete mit zusammengeschnürter Kehle auf ihr nächstes Wort. „Erst «ine Woche bin ich fort gewesen, da ist es geschehen. Man hat mir hinterher erzählt, daß mein Bube nicht mehr gelacht hat, seit ich gegangen war. Er hat sich in Sehnsucht nach mir verzehrt und ist oft Stunden läng in Wald und Feld umher gestreift, um die pflichtvergessene Mutter zu suchen. Mein Mann hat sich wenig um ihn gekümmert, und auch die Verwandten haben in bequemer Selbstsucht ihn allein seines Weges gehen lassen. An einem Morgen im October ist es denn geschehen. Er ist schon vor dem Frühstück fortgelaufen, ist wahrscheinlich weit umher - geschweift, ist müde gewordert und hat sich unter einem Gesträuch zum Schlafen niedergelegt. So wenigstens hat man sich's er klärt. Es war die Heit der beginnenden Jagd, und ein paar Herren aus München sind dazu von der Stadt herübergekommen. Die ersten Schüsse haben das Kind geweckt, und wie es empor springt und sich den Schlaf aus den Augen reibt, da trifft ihn —" Ich weiß nicht, ob die gewaltige Erregung ihr die Stimme lähmte, oder ob ein Laut des Entsetzens von mir sie verstummen ließ. Auch ich kämpfte vergeblich mit Worten; ein grauer Nebel breitet« sich um mich aus, und an den Griff des Fensters ge klammert, hielt ich mich mühsam aufrecht. Endlich brachte ich ein« Frage hervor: „Wissen Sie auch, wie der Mann hieß, der da» Kind erschossen hat?" Das Beil, das über mir geschwebt hatte, fiel nieder und traf mich ins Mark; der graue Nebel brektete sich aus und umhüllte die Zukunft für immer. Es mußte wohl etwas im Tone meiner Frage sein, das sie erschreckte; denn sie wandte sich zu mir, und al» sie nun mein Gesicht erblickte, hob sie abwehrend die Hände, al» müsse sie «in« Wahngestalt verscheuchen. Doch hörte ich noch keinen Verdacht in ihren Worten, als sie Auskunftz.gab. „Ich habe sein Schicksal, so Schweres er mir auch zugefügt hat, tief genug beklagt, um seinen Namen nicht vergessen zu haben. Es war ein Officier aus München, ein Freiherr von Wengern." „Sie haben ihn damals nickt gesehen?" Ich wußte nicht, ob ich e» selbst war, der so fragte; die Stimme schien mir aus weiter Ferne herzuklingen, au» einer der alten Mauern hervor, und sie war so fremd, al» hätte ich sie nie vorher gehört. AuchihreStimme zitterte nun vor unbestimmter Angst. „Nein, ich habe ihn nicht gesehen, ^ch reiste mit meiner Mutter in Italien umher, und die Nachricht lam um Tage verspätet zu un». Mein Kind lag schon in seinem Grabe, al« ich endlich zu
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