02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990210022
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
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Daß man sich solcher Versuche von den moralischen Urhebern solcher Excesse und den unter ihrem Banne stehenden Gehilfen wohl ;u versehen hat, ergiebl sich daraus, daß der „Vorwärts" unter der Ueberschrifl „Die Geschworenen des Zucht- Ha uScurses" die Namen der Geschworenen veröffentlicht, die in dem Processe das „Schuldig" sprachen. Daß diese Veröffentlichung keinen anderen Zweck haben kann, als den, bei den „Genossen" und den Mitläufern den Eindruck zu erwecken, daß daS Urtheil durch Classenvorurtheile be einflußt worden sei, und nicht nur den betreffenden Ge- tchworenen, sondern auch allen anderen, die in ähnlichen Processen einen Wahrspruch abzugeben haben, Furcht vor rächenden Fäusten einzuflößen, liegt auf der Hand. Aber der „Vorwärts" würde seine Proscriptiousliste sicherlich auch dann veröffentlicht haben, wenn die Verhandlung in voller Oeffentlichkeit vor sich gegangen wären, und gegen Ein- fchüchteruugSversuche während der Zeugenvernehmung würde man sich wohl durch äußere Veranstaltungen zu schützen vermocht haben. Der Ausschluß der Oeffentlichkeit wird also durch die Veröffentlichung des „Vorwärts" nicht gerecht fertigt. Eine andere Frage ist vie, ob solche Veröffent lichungen nicht da» Einschreiten der Justiz verlangen und ob die bestehenden Gesetze ein wirksames Einschreiten ge statten. Die „Berl. N. N." äußern sich darüber folgender maßen : „Angesichts solcher Vorgänge darf man sich wirklich fragen, ob wir noch in einem Ordnungsstaate leben Zur Zeit der ersten französischen Revolution, in den Tagen der Herrschaft der Commune über Paris, die ja nach socialdemokratischcr Auffassung die edelste Blüthezeit politischer Zustände darstelleu, haben solche Listen eine große Rolle gespielt; aber daß im deutschen Reiche eine Partei den Versuch macht, Männer, die nur nach Ehre und Gewissen die ihnen vom Gesetz und Recht auserlegten Pflichten erfüllt haben, öffentlich bei den socialdeniokratijchen Lesern zu denunciren, ist ein schlagender Beweis dafür, wie weit die Politik des laissor kaire gegenüber diesem unserem schlimmsten Feind un» gebracht hat. Was bezweckt denn diese Namensnennung unter der Ueberschrist: „Die Geschworenen LeS ZuchthauScurses" Andere», al» die Genannten zum Ziele der Schmähungen und womöglich thätlicher Angriffe jettens gesinnungstreuer „Genossen" zu machen? Unserer Ansicht nach würde schon die heutige Gesetzgebung genügen, um diese schlimmsten Auswüchse zu verhindern. DaS ganze zügellose, sich über alles bestehende Recht hinwegietzende Gebühren der social- demokratischen Parteiführer, dir von ihnen fortgesetzte Erregung der schlimmsten Jnstincte und Leidenschaften der Massen beweist aber, daß die für Ordnungsporteien geschaffenen Gesetzt auf sie nicht mehr passen." Die letzten Sätze enthalten nach unsrer Ansicht einen Widerspruch. Wenn man die heutige Gesetzgebung für ge nügend hält, die schlimmsten Auswüchse zu verhindern, oder wenigstens zu beschneiden, so setzt man sich in Gegensatz zu sich selbst, wenn man bestreitet, daß diese Gesetzgebung noch auf die Socialdemokratie passe. Uebrigens hat gerade das Votum de» Dresdener Schwurgerichts bewiesen, daß die bestehenden Gesetze eine sehr scharfe und schneidende Waffe sind. Jeden falls wird dieses Votum im Reichstage bei der Berathung der noch immer nicht an daS Licht deS Tages gekommenen Vorlage, betreffend den besseren Schutz der Arbeitswilligen, eine sehr bedeutende Rolle spielen. Im Londoner „Globe" schlldert ein englischer Beobachter des organisatorischen Schaffens der deutschen Ver waltung in Kiautschau sehr eingehend die Eindrücke, welche er von dem bisherigen EntwickelungSgange dieser jüngsten colonialen Erwerbung Deutschlands empfangen hat. Wenn gleich deutsche Leser aus dieser Darstellung nichts eigentlich Neues erfahren, so ist eS doch für sie keineswegs ohne Interesse, zu gewahre», wie anderwärts und besonders n den an colonialpolitischer Erfahrung uns naturgemäß noch weit überlegenen englischen Kreisen über unsere bisherigen Leistungen in Kiautschau geurtheilt wird. Da werden sie denn auS der vom „Globe" veröffentlichten Zuschrift mit Genugthuunz entnehmen, daß durch die ge flissentlich kühl und stellenweise selbst skeptisch gehaltene Kritik deS Engländers doch überall lebhaft die Ueberzeugung, um nicht zu sagen, Besorzniß, hindurchklingt, Kiautschau werde unter deutschem Regime in nicht allzuferner Frist einen jetzt noch gar nicht zu ahnenden Aufschwung nehmen. Die bis jetzt geschaffenen und mehr noch die projectirten Hafen- und Stadtanlagen muß der Gewährsmann deS „Globe" in der Hauptsache als praktisch und die obwaltenden Verhältnisse in glücklichster Weise verwerthend anerkennen, desgleichen die Regelung der persönlichen Beziehungen zwischen dem europäischen und dem eingeborenen Bevölkernngselement. Die Einbeziehung deS chinesischen Zollamts in den Rahmen der deutschen Colonie wird als ein Act großer politischer Voraussicht bezeichnet, der auch für die einschlägigen Ver- bältnisse der britischen Colonie von Hongkong nicht ohne Belang sein werde, da die Erlegung eines einmaligen Ein gangszolles die über die deutsche Colonie in daS Innere Chinas eingehenden Waaren von all he» zahllosen Auflagen und Scherereien entlaste, in deren Erfindung und Hand habung die Chinesen so groß feien. In dem Kohlen- und Erzreichthum der die deutsche Interessensphäre bildenden Provinz Schantung erblickt der Engländer den Schlüssel der ganzen Handels-und wirthschaftSpolitischen ZukunftKiautschauS und berichtet, daß bereits ganze Schaaren einheimischer .,pro8peetoi8" die Straßen Tsintau'S mit ihren mitgebrachten Kohlen- und Erzproben anfüllen und mit größter Bestimmt heit daS schleunige Verschwinden der gewaltigen Vorräthc japanischer Kohlen verkündigen, die jetzt am Strande berghoch aufgcstapelt lieaen. So ist jedes Wort deS englischen Augen zeugen eine Anerkennung des hohen Werthes der von Deutschland gemachten colonialen Erwerbung im fernen Osten. Nach den letzten Mittbeilungen, die der ungarische Ministerpräsident Banffy der liberalen Partei gemacht hat, ist derselbe bereit, znrückzutreten und damit den dringendsten Wunsch der Opposition zu erfüllen, wenn die letztere vor her der Vornahme der Präsidentenwahl kein Hinderniß mehr in den Weg legt und dem gegenwärtigen Ministerium daS Budget - Provisorium, das Ausgleichs - Provisorium mit Oesterreich und mit Kroatien und die Recruten-Vorlage noch vor dem Rücktritt des Freiherrn von Banffy bewilligt. Außerdem soll die Opposition sich verpflichten, es nicht zu verhindern, daß das definitive Budget bis zum 1. Mai, die auf den österreichisch-ungarischen Ausgleich bezüglichen Gesetze bis zum 1. Juli, die Gesetze über die Verzehrungssteuern bis zum t. August bewilligt werden und daß die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses in der Weise abgeändert werde,daß dasPräsidium in derLage ist, eincWieder- bolung der bisher prakticirlenObstruction zu verhindern. Dagegen ist die Regierung bereit, daS von der Opposition verlangte Gesetz über die Wahlgerichtsbarkeit der Curie neuerdings ein zubringen und i» dasselbe einige Bestimmungen über die Aenderunz des Wahlverfahrens aufzunehme». Daß daS Compromiß unter diesen Bedingungen bisher nicht zu Stande gekommen ist, hat nach der Darstellung Banffy's hauptsächlich zwei Gründe. Der eine ist, daß die Opposition sich noch immer weigert, dem Mini sterium Banffy das Budget-Provisorium zu bewilligen; der andere Grund aber besteht darin, daß die Opposition schon in dem gegenwärtigen Stadium und vor dem Abschlüsse der Compromiß-Verhand- lungeu die Person des künftigen Minister-Präsi denten zu kennen verlangt, um von dieser bindende Zu sicherungen zu erhalten, welche ihr die Einhaltung des Com- promisseS verbürgen. Das aber ist nach der Darstellung des Freiherrn v. Banffy so lange unmöglich, als er nicht selbst seine Entlassung erhalten hat. Wenn daher gleich wohl die aus Pest vorliegenden Nachrichten überein stimmend dahin lauten, daß im Verlaufe einer sehr kurzen Frist die Beendigung der Compromiß - Ver handlungen zu erwarten sei, so muß daraus geschlossen werden, daß der Ministerwcchsel in Ungarn nahe bevorsteht und daß der Opposition auch daS Zugcständniß gemacht wird, daß sie über die noch schwebenden Puncte bereits mit der neuen Regierung fick wird zu verständigen haben. DaS scheint ras Ergebniß der letzten Audienz zu sein, zu welcher Freiherr v. Fejervary nach Wien berufen wurde, und eS geschieht deswegen nicht ohne Berechtigung, wenn neuerdings der Name des LandesvertheidigungS-Ministers vielfach als derjenige deS künftigen Minister-Präsidenten ge nannt wird. In Bern herrscht wegen der Einstellung der Bauthätigteit Arbeitslosigkeit in erheblichem Umfange. Zogen doch jüngst 500 Arbeitslose nach dem Rathhause, um Arbeit zu ver langen. Eine HilfSaction wurde daraufhin eingeleitet: eine Commission ist eingesetzt zur Sammlung von Beiträgen, ein Aufruf ist ergangen, und der Stadtrath hat die Vornahme von Bau- und Straßenarbeiten angeordnet. Die in Bern bestehende ArbeitSlosen-Versicherung kann nur wenig helfen; aber nicht genug damit, die ArbeitSlosen-Ver sicherung hat sogar zur Verschlechterung der Lage der Arbeiter beigetragen. Das wird heute unter Anderem auch in der „Socialen Praxis" betont, die eine Zuschrift aus der Schweiz enthält, in welcher von der ArbeitSlosen-Versicherung in Bern gesagt wird: „sie habe insofern eher nachtheilia gewirkt, als sie subsistenzlose Personen nach der Bundesstadt zog." Die Beiträge der Arbeiter zu dieser vor einigen Jahren eingerichteten freien ArbeitSlosen-Versicherung sind so gering, daß sie jährlich nur etwa 14 Proc. der Ausgaben der VersicherungScasse auSmachen; das Uebrige leisten die Arbeitgeber und wohlmeinende Bürger,vor Allem aber die Gemeindecasse. Die „Württemb. BoikSzg.", der wir die vorstehende Angabe entnehmen, fragt nicht mit Unrecht: „Ist eS da zu verwundern, wenn eine solche Einrichtung die Arbeiter nach der Stadt zieht und den Arbeitseifer lähmt, wenn, kurz gesagt, die in der besten Absicht gegründete Ver sicherung die Arbeitslosigkeit nährt und ermuthigt, anstatt sie zu vermindern ?" DaS genannte württemberzische Blatt macht dann noch auf die Wirkung aufmerksam, welch: die Berner ArbeitSlosen-Versicherung auf die Landarbeiter geübt hat: „Die Leute finden es beauemer, im Sommer als Handlanger bei Bauten und öffentlichen Arbeiten ihr Brod zu verdienen und im Winter gegen eine jährliche Prämie von wenigen Franken mit Kind und Kegel sich aus Kosten der Gemeinde nähren zu lassen." Die „Sociale Praxis" erhofft von den jetzigen Erfahrungen, daß die ArbeitSlosen-Ver sicherung in Bern reorganisirt und zugleich die Arbeit-- Vermittelung organisirt werde. Der Socialpolitiker hat jeden falls von den in der Schweiz bezüglich der ArbeitSlosen-Ver sicherung ja schon öfter gemachten Erfahrungen Notiz zu nehmen. Die agrar-sociali,tische vanerubewegung in Aumätticu ist durch die militärische Maßregel der Regierung nieder geworfen worden. Im Olter District wurden mehrere Popen als Rädelsführer verhaftet. Die Bauerndeputationen, die mit Petitionen nach Bukarest kamen, wurden verhaftet, die Petitionen ihnen weggenommen und sie sodann wieder in Freiheit gesetzt. Sämmtliche Socialisten- clubs in Bukarest und in der Provinz wurden gesperrt. Diese von Socialdcmokraten gegründeten und geleiteten Clubs sind die festen Stützpuncte für die in Rumänien erfahrungsgemäß immer im Frühjahre aus brechenden Baucrnrevolten. Letztere sind allerdings zumeist localer Natur und kehren sich gegen die OrtSobrigkeit, beziehungsweise gegen den Primär, welche man eine» die materiellen Interessen der Ortsinsassen schädigenden Ein vernehmens mit dem Gutsbesitzer beschuldigt, oder gegen die angeblichen oder wirklichen Uebervortheilungen, welche sich GutSberr oder Pächter aus dem Wege der landwirth- schaftlichcu Verträge den Bauern gegenüber zu Schulden kommen lassen. Bedenklicher als diese localen Revolten sind jene Unrnhen, bei welchen die Forderung von Ackerland als Parole ausgegeben wird. Denn diese» Unruhen liegt in der That ein sociales Bedürfniß zu Grunde, welchem durch den parcellenweisen Verkauf der StaatSdomainen an die Bauern auf Basis der Carp'schen Agrargesetze nur allmählich und auch da nicht vollständig abgeholfen werden kann. Es ist daher auch kein Zufall, daß die gegenwärtigen Bauernrevolten besonders in der kleinen Walachei, dann in den Districten Teleorman und Blaschka ausgebrochen sind, wo der im bäuerlichen Besitze befindliche Ackcrgrund ein im Verhältnisse zur bäuerlichen Arbeitskraft sehr kleiner ist. Muß mau es daher auch billigen, daß die Bukarester Regierung gegen die Bewegung, soweit sie in den Händen socialistischcr Umsturzapostel liegt, mit aller Strenge vorgehl, so bedarf eS doch, um Bauernrevolten für die Zukunft zu verhüten, einer raschen und gerechte» Durchführung der Carp'schen Agrargesetze und einer aufopfernden Fürsorge de» Staates für die geistige und materielle Hebung deS Bauern standes. Tenn letzterer hat an den gewaltigen Fortschritten, welche der rumänische Staat und einzelne Schichten der rumänischen Gesellschaft im Laufe der letzten Jahrzehnte gemacht haben, nur einen geringen Antheil genommen, und es ist daher Pflicht des Staates, dem Bauernstände durch vernünftige volkSwirthschaftliche Reformen helfend unter die Arme zu greifen. Die südafrikanische „Volksstem" tritt der Ansicht entgegen, daß der Streit zwischen den Briten unddenBoeren seinen Grund in dem Rassengegensatz der beiden Völker habe. In einer früheren Periode der südafrikanischen Geschichte sei FeitrHeton. Gräfin Marie. Sj Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verbot'». „Ihr Lohn?" wiederholte sie überrascht, fast erschrocken. „Ja, er hat soeben sein Staatsexamen abgelegt. — Na, ich sage Ihnen, gnädige Frau, seien Sie froh, Laß Sie eine Frau find, die so etwas nicht nöthig hat. Eine verfluchte Rackerei, so ein Examen. Er sieht auch darnach aus, und das ist kein Wunder. Seit sechs Monaten ist er im Geschirr. Hat sich aber gut ge halten. Soll aber nun jetzt auch einmal auf sechs Wochen aus spannen. Er will auch nach Italien. Na, es kostet mich natürlich einen hübschen Pfennig, aber Gesundheit ist Gesundheit. Da soll man nicht knausern. Darf ich ihn Ihnen vorstellen?" Der junge Mann hatte außerordentlich kräftige, entschiedene Augen, fein Blick war scharf und klug, die Farbe seiner Augen war ein sattes, wunderbar volles Tiefblau. Das war's, was die Aufmerksamkeit der Justizräthin, ohne daß sie es selbst wußte, fesselte. Jetzt sah er freilich etwas abgespannt, müde aus und fein« Bewegungen waren nachlässig, linkisch, verlegen. Ein Welt mann war er offenbar nicht. Aber die Energie der Augen sprach klar und deutlich von einer festen, derben Innerlichkeit. „Sie wollen nach Italien, Herr Doctor?" fragte ihn die Justizräthin. »Ja, gnädige Frau, allerdings nur auf sechs Wochen, aber ich denke auch in dieser Zeit mir alles Sehenswerthe ansehen zu können." „Vortrefflich. Sie werden sich natürlich in Neapel längere Zeit aufholten?" „Das glaube ich nun bei der kurzen Zeit, die mir bleibt, nicht." „Schade. Neapel ist so schön. Ich habe mit meinem Mann einmal drei Monate dort gewohnt. Ach, ich vergesse nie, wie schön das war, und wenn es mir hier recht schlecht und unglücklich geht, dann denke ich an Neapel." „Aber warum gehen Sie denn nicht wieder hin für den Rest des Winters, gnädige Frau?" „Was denken Sie, Herr Doctor, eine Frau allein. — Ja, mit meinem Mann war das etwas Anderes." „Aber mein Gott, wissen Sie denn nicht, daß jederzeit Tausende und Hunderttausende von alleinstehenden Damen überall herumreisen?" fragte Doctor Zander 8erüar. Natürlich wußte sie das. Sie wollte nur hören, was man dagegen sagen würde, wenn sie es thäte. „Mein Mann sprach sehr gut Italienisch", fuhr sie, ohne auf den Einwurf des alten Arztes zu achten, immer zu seinem Sohne gewendet, fort, „und er hielt sehr darauf, daß ich vor und während unslerer Reisen mich selbst in dieser Sprache verständlich machen lernte. Ich konnte zuletzt mit jedem Facchino und mit jeder Marktfrau reden. Das will was heißen." „Wer weiß, Herr Doctor", sagte sie mit einer gewissen Leb haftigkeit, die ihr die Wangen dunkler röthete, „ob wir uns in Neapel oder Rom nicht treffen. Ich will nichts fagen, aber möglich ist Alles. Wenn ich daran denke, wie das Alles dort fo schön und wie Alles hier so häßlich ist, fo möchte ich gleich auf der Stelle auf und davon." Sie war merkwürdig lebhaft und gesprächig. Sie wunderte sich über sich selbst. War das schon die Reisestimmung oder war das die neue Bekanntschaft?- Sie wußte es nicht. Immer stand sic am Wagenschlag und wollte einsteigcn, und immer wußte sie etwas Anderes, immer fiel ihr noch etwas ein, was sie dem jungen Doctor Zander für die Reise zu sagen hatte. Wo er wohnen sollte, wie viel er bezahlen, wie er die Zeit eintheilen, was er nicht versäumen sollte, anzufehen, und hundert praktische Winke für die Reise theilte sie ihm mit, die alle bewiesen, daß sie sehr aufmerksam gereist und sehr praktisch unterwegs ge worden war. Auch als sie dann endlich wieder im Wagen saß und davon fuhr, kam «ine gewisse trotzige Munterkeit über sie, wie sie sie seit ihres Mannes Tode noch nicht wieder in sich gefühlt hatte. Eine frische, resolute Natürlichkeit kam über sie, in der sie sich immer und immer wieder fragt«: Warum denn nicht? Wen geht es etwas an, was ich thue und was ich lasse? Wer ha! mir etwas zu befehlen oder zu verbieten? — WaS brauchte sie sich um die Welt zu kümmern? Kümmerte sich Jemand um sie? Warum sollte sie sich mit Menschen herumärgrrn, die theilS in ihrer ver schrobenen Tugendbolvigkeit sie beschimpften, in hochnäsiger Prü derie etwas Bessere- wie sie zu sein glaubten, theils in gemiith- und herzloser Habgier täglich und stündlich die rabiatesten Attacken auf ihr Portemonnaie machten? Die hübsche junge Wittwe hatte daS Alles herzlich satt, und ohne daß sie es fühlte und wußte, kam eine gewisse Tugendmüdigkeit über sie. Was hatte ihr denn all ihre Tugend genützt, wenn eine — noch vazu erst gewordene Gräfin, ihre Schwägerin, ihr ins Gesicht sagen lassen durfte, daß sie sich zu gut fühlte, mit ihr zu verkehren? Die Schule der Welt machte sich leise und unmerklich, aber doch gründlich und energisch an der kleinen hübschen Frau geltend. War sie nicht auch ein Berliner Kind? fragte sie sich mit stolzem Localpatriotismus. Durfte man ihr so begegnen? Hatte sie nicht auch Augen und Ohren? Urtheil und Vernunft? Sie brauchte sich nichts mehr sagen zu lassen. In der Friedrichstraße fuhr sie an einem Laden vorbei, in dem prächtige Reisetoffer ausgestellt waren. Sic ließ den Wagen halten unv rrat in den Laden. Der Mann schwatzte ihr zwei riesige Ungethüme von Koffern auf und überzeugte sie schlau, wie vortheilhaft 'sic kaufe. Die beiden Koffer machten die Idee an eine Weltreise lebendig, als ob Vie Justizräthin entschlossen wäre, gar nicht wieder nach Hause zu kommen. Dann kaufte sie ein Kursbuch und rechnete im Stillen aus, wann sie in Neapel sein müsse, um Doctor Zander junior dort zu trefft». m. Die Bia Sant' Anna vei Lombardi in Neapel ist eine Straße, die Halbwegs im spitzen Winkel vom Toledo abzweigt und ziem lich steil und abschüssig an der Hauptpost vorbei nach der Piazza Medina und dem Hafen hmuniirführt. Sie wirv vielleicht noch einmal berühmt werden, wenn ein Statistiker sich daran macht, auszurechnen, wie viel Pferde dort gestürzt, wie viel Menschen dort die Beine gebrochen, wie viel Löcher im Pflaster und wie viel Steine und Kehrichthaufen auf demselben sind. Wenn der Abend über das holde Neapel herabsinkt, so hüllt er Viesen Wust von Unrath, Unsauberkeit und Liederlichkeit in ein wohlthuendes Dunkel, denn die Straßenbeleuchtung wird nur schwach ange- Veutet durch trübe Funzeln, die in respektvoller Entfernung von einander angebracht sind. Dazu ein echt neapolitanischer Verkehr. Sselkarrrn, Droschken, Omnibusse, wandelnde Garküchen, Leier kästen, schreiende Obsthändler, Melkzitgen, Briefträger und andere Passanten in dichten Schaaren, Jeder mit dem Bewußtsein, daß so viel Geschrei und Gekreisch wie möglich gemacht werden müsse, wenn die Welt überhaupt weiter gehen soll. In dieser Straße, di« Hausnummer thut nichrs zur Lache — befindet sich eine kleine Weinkneipe, die den ganzen Tag von früh bis Abend und einen großen Theil der Nacht gestopft voll sitzt von zechenden Leuten, denn der Mann, der sie betreibt, ist ein solider Weinhändler und verkauft einen ausgezeichneten, sicilianer Wein für acht bis zwölf Soldi den Liter. Der Wein ist aber leider auch der einzige Anziehungspunct, den das Local hat, Venn sowohl dasPüblicum/wrlcheS hier verkehrt, als auch die Localität selbst ist fürchterlich. Ersteres besteht meist aus Facchini, kleinen Angestellten, Hansirern, Bettlern und Musikanten, die auf den kleinen, schmutzigen Holztischchen ihre paar Scheibchen Salami und ihr Stückchen Brod oder ihr gepökeltes Thunfisch-Fleisch aus packen uns als Abendbrcv mit einem Glas Wein für zwei Soldi verzehren. Andere sitzen in ruhiger Beschaulichkeit — soweit diese bei einem Neapolitaner möglich — und rauchen unglaublich starke und stänkerige Cigarren, wobei sie unaufhörlich auf den Boden spucken. Ein großer Hanvelsartikel in Don Gaetano's Schenke — Don Gaetano heiß: ver Wirth — sind die heißen Kastanien. Ein ruppiger, pockennarbiger Kerl steht mit einem kleinen Röst ofen und einem ganzen Sack dieser Delikatesse vor dem Local auf der Straße — drinnen ist natürlich kein Platz für ihn — und ruft von Zeit zu Zeit in das -Local hinein: „sono bollonti" *) oder „(?ustanik> eüvere cävei-e" **), um das verehrte Publicum auf seine Herrlichkeiten aufmerksam zu machen. Er macht gute Geschäfte. Die Schalen werden ohne Weiteres auf den Boden geworfen, und die Leute amiisiren sich damit, sie langsam und nachdrücklich zu zertreten. Das Local besteht aus zwei Stuben, vie sich aber etwa dadurch von einander unterscheiden, daß die Hintere noch mehr verräuchert ist als die vordere. Manchmal sieht Mtzn auch recht gut, sogar nobel gekleidete Leute bei Don Gaetano, denn der gute Wein nrvellirt in Neapel alle Gesellschaftsklassen. Bei einem Glase guten Weines kennen die Neapolitaner unter einander keinerlei Abstufungen und ihr Verkehr ist echt patriarchalisch. Es war gegen neun Uhr Abends und das Geschäft Don Gaetano's im vollen Gange. Das Publicum saß dicht gedrängt auf den wackeligen Strohstühlen um vie schwarzen Holztischchen herum, auf denen kleine Weinpfützen, Speisereste, Brodkrumen ein hübsches Stillleben boten, Kastanienschalen lagen auf dem un sauberen Boden neben Finocchi-Resten***) unv noch Ueblerem, «in Leierkasten spielte das Miserere aus dem Troubadour, dos Einzelne quietschen» mitsangen. In der Luft lag ein dicker Tabakdampf — eine Hölle für alle Staatsmonopolifien — und der kleine buckelige Kellner mit dem verschmitzten Gesicht hatte alle 'Hände voll zu thun. Da trat «in Herr in das Local, der durch seine Eleganz, durch seine noble, distingnirte Erscheinung wohl geeignet war, die Aufmerksamkeit der Gäste Don Gaetano's für einige Augen blicke zu fesseln. Hoher Borlegekragen i la Prinz von Wales, weitz« Eravatle, schwarzer Gehrock mit seidenen Aufschläge^ Helle *) Sie sind lochend. ") Warme Kastanien (cöverc, Dialekt-tlnrdcuck für calcke, warm. FenchelknoUen, di« im Polte iehr l'eliebt nn-a statt der Friichtr oder der Malaie gegessen werden.
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