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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-04
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990404020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899040402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899040402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-04
- Monat1899-04
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Bezugs-Preis tn der Hauptexpedition odrr den i» Stadt« Bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: viertrtjädrlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung int Hau» .M ü.öÖ. Durch die Post bezogen für Trutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte täglich« Krruzbands»ndn.".g in« Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/«? Uhr, ^ie Abend'AuSgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ve-action «nd Erpe-itton: I»hanni«gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend« 7 Uhr. Filiale«: Ltto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn), Universität-straße 3 (Paulinum). Louis Lösche. Kotharineustr. 14. Part, und KönigSplatz 7. Abend-Ausgabe. KWigcr TUtblall Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzcigen-Prcis die 6gespaltene Petitzeile KO Pfg. Neclamen unter dem Redactionssirich l4ge- spalten) äO/H, vor den Aamilienuachrichlen (Lgespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsay nach höherem Tarif. <-rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunz 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 168 Dienötag den 4. April 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Letpzi«, 4. April. DaS militärische Vorgehen in Schantnng, zu welchem sich Deutschland soeben genöthigt gesehen hat, erstreckt sich auf zwei Punkte. Ueber den Anlaß zu der ersten Expedition meldete ein am 29. März au« Tsintau in Berlin eingegangene» Telegramm, daß der Provicar Fr ein ad emetz in der Nähe von Tsimo gefangen genommen und geschlagen, die deutsche Abtheilung in Lizun zu seiner Befreiung ausgesandt sei. Wie ein am 3l. März eingegangcneS Telegramm berichtete, ist die Befreiung de» ProvicarS, der leicht verletzt ist, gelungen, die Bestrafung der Schuldigen eingeleitet. Tsimo liegt nordöstlich von Kiautschau kaum 15 km von der Grenze unseres PachtgebictS innerhalb der äußern, dem deutschen Schutz unterstellten Zone. Die zweite Expedition geht nach dem Südwesten Schau- tungS in den Bezirk Itschau, wo seit Monaten die einheimischen Christen, die Missionare, Kaufleute und Ingenieure belästigt und verfolgt worden sind. Ueber einen neuen Ueberfall Deutscher in dieser Gegend berichtete, wie wir recapituliren, ein Neuter'scheS Telegramm aus Tsintau vom 29. März Folgendes: „Der deutsche Officier Hannemann, der Dragoman Mootz und der Ingenieur Vorschulte wurden auf dem Wege nach Jtscbau unweit dieser Stadt von der eingeborenen Be völkerung angegriffen. Es folgte ein Kampf, in dem mehrere Chinesen getödtet und verwundet wurden. Hannemann und seine Begleiter sind sämmtlich wohlbehalten in Tsintau wieder ringetroffen." Daraufhin hat sich dann daS Gouvernement in Tsintau im Einverständniß mit der NeichSregierung zum Einschreiten veranlaßt gesehen und an Bord der „Gefion" am 29. März eine militärische Expedition in die Aufruhrgegend entsandt. Hierüber liegen heute folgende Meldungen vor: * Peking, 2. April. Aus Jtschau sind noch keine Nachrichten ringetroffen, da nach dorthin keine telegraphische Verbindung ist. Die „Gefion" ist bei Antung-wei, welches eine gut« Rhede hat, stationirt. Die chinesisch« Regierung hat Truppen in die Nähe von Kiautschau beordert zum Zwecke de- Schutze« drr Ausländer. Tas Vorgehen der deutschen Regierung wird hier all gemein gebilligt, al» einzige Methode, Len Chinesen die Noth- wendigkeit des Schutzes de- Leben» und Eigenthums der Ausländer einzuprügen; im Uebrigen wird dem Vorfälle geringe politische Be deutung beigelegt. * London, 3. April. Den „Time»" wird au- Peking ge- meldet: Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der deutschen Gesandtschaft und dem Tsung li Namen bestehen fort, trotz der Thatsache, daß ein bewaffnetes deutsches Detachement auf dem Marsche durch chinesisches Gebiet ist, um Jtschau zu besetzen. Noch weiß man nicht, ob da» Detachement dort be- reits eingetroffen ist. Bon chinesischer Seite verlautet, man werde keinen Widerstand leisten. Die deutschen Truppen sind also offenbar bei Antung-wei gelandet und jetzt Wohl schou in Jtschau eingetroffen. Jeden falls sind diese nicht auf neuen Landerwerb ausgehenden Expeditionen mit großer Genugthuung zu begrüßen, denn sie be weisen den Chinesen auf» Neue, daß Deutschland seineReickSange- hörigen nickt ungestraft überfallen und belästigen läßt, und solcher greifbaren Beweise bedarf e» in China von Zeit zu Zeit, um die Chinesen, die im Angesicht vonKanoaen undBajonetlen ganz ver ständige Leute sind, zur Vernunft zu bringen. Eine kurzer Hand unternommene vorbildliche Bestrafung hält in ihrem Eindruck ziemlich lange vor und wirkt für da» Ansehen der eiuschreitenden Macht hundertfach bester als die endlosen Ver handlungen mit dem selbst beim besten Willen machtlosen Tsung liIamen. In Berlin hatte man schon seit geraumer Zeit Kenntniß von der an vielen Orten SchantungS herrschenden Gährung. Infolge verschiedener Vorkommnisse hatte die deutsche Regierung am 27. Februar d. I. den deutschen Gesandten in Peking angewiesen, drr chinesischen Regierung keinen Zweifel darüber zu lassen, daß, falls derartige Vorkommnisse nicht strenge geahndet werden oder gar sich wiederholen sollten, dies für China ernste Folgen nach sich ziehen würde. Staatssekretär v. Bülow erklärte am 28. Februar in der Budgetcommission des Reichstages, nachdem er von diesem Schritte der Regierung Mittheilung gemacht batte, Folgendes: „Wir haben weder eine Veranlassung noch die Absicht, unS in die inneren chinesischen Verhältnisse einzumischen. Aber wir haben die Pflicht, darüber zu Wachen, daß Leben und Eigenthum unserer Neichsangehörigen, unsere Missionare und ihre Anstalten, unsere Kaufleute und ibre Handelsunter nehmungen, kurz, unsere ethischen und materiellen Interessen durch die inneren chinesischen Wirren nicht berührt werden. Wir werden die Pflicht vor Augen behalten und die ge wichtigen Interessen, welche wir in China besitzen, mit Nach druck schützen." Die Entsendung einer militärischen Expedition war schon vor den letzten Ereignissen in Aussicht genommen, jedoch vorläufig aus Nücksickt auf die Missionare unterblieben, weil diese die Befürchtung aussprachen, daß ihre Thätigkeit dadurch gestört werden könnte. Nachdem der Vorschlag der deutschen Regierung zum Zwecke der Sanirung der Verhältnisse ans Samoa die Ver treter sämmtlicher drei Mächte abzuberufen und durch neue bei den letzten Wirren nicht betheiligte, also völlig unpar- teische Beamte zu ersetzen den Beifall Englands und der Vereinigten Staaten nicht gesunden, bat unser Auswärtiges Amt den Cabineten in London und Washington deS Weiteren die Entsendung einer gemeinsamen Specialcom mission nach Samoa angeratheu und zwar hauptsächlich deshalb, weil die Berichte der Consuln einander sy erheblich widersprechen, daß die Regierungen nicht in der Lage sind, sich ein objectiveS Bild von den Vorkommnissen in Apia und ihren Ur sachen zu bilden. Der Vorschlag zeigt von ruhiger Besonnenheit und Loyalität und ist auch rnsofern als der beste Versuch einer Lösung zu begrüßen, als er die Regelung der heiklen Angelegenheit den bisherigen Funk tionären auf Apia, sowie den Schiffscommandanten aus der Hand nimmt und sie wieder der ruhigeren, vorsich tigeren und sachkundigeren Behandlung der Diplomatie zusührt. In Washington, das verzeichnen wir mit An erkennung und Befriedigung, zeigte man dem deutschen Vor schlag gegenüber unter dem Ausdruck deS größten Bedauerns über die neueste Entwickelung der Dinge auf Samoa sofort bedingungsloses Entgegenkommen und die dortigen amerika nischen Vertreter wurden unverzüglich telegraphisch angewiesen, darauf Bedacht zu nehmen, daß der Status guo ohne jeden weiteren Conflict eingehalten werde. Wir erhalten zur Be stätigung noch folgende Meldung: * Washington, 3. April. Ter deutsche Vorschlag, der sich sür eine gemeinsame Obercommission ausspricht, ist der einzige, der jetzt zur Erwägung steht. — Der Besuch des amerikanischen Bot» sckafters White im Berliner Auswärtigen Amt hatte zweifellos den Zweck, die günstige Beurtheilung der vorgeschlagenen Erledigung durch die Vereinigten Staaten zu betonen. Die Zustimmung Groß britannien- ist noch nicht «ingegangen, gilt aber als sicher. Wie verlautet, haben die Vereinigten Staaten ihre formelle Zustimmung bereit» gegeben und wie wir weiter erfahren, bat auch England endlich Ja gesagt und nach Samoa die Weisung gegeben, weitere Conflicte zu vermeiden. Wir gehen wohl mit der Vermuthung nickt fehl, daß es den ernsten und energischen Vorstellungen des Staatssekretärs v. Bülow, der, wie gemeldet, nach Berlin zurückgekehrt ist und eine längere Unterredung mit dem englischen Botschafter gehabt hat, ge lungen ist, England zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. DaS Ver halten Englands uns gegenüber in der Samoafrage haben wir als in direktestem Widerspruch mit seinen sonstigen FreunvschaftSversicherungen stehend schon zur Genüge charak- terisirt. Mittlerweile treibt der politische JesuitiSmus in der englischen Presse noch widerlichere Blüthen. In den Herrn Chamberlain nahestehenden Blättern spricht man gegenwärtig von einem AnlehnungSbedürfniß Deutschlands an England. Diese Unterstellung kann nicht energisch genug zurückgewiesen werden. Herr Chamberlain sprach am 10. Juni vorigen Jahres im Unterhaus« offen auS, daß er bessere Beziehungen zu Deutschland wünsche und andere einflußreiche Politiker äußerten sich in ähnlichem Sinne. Daraufhin ließ Deutschland Wohl sein Mißtrauen fallen und stellte sich zu der englischen Politik freundlicher. In Deutsch land ist man sich gegenwärtig sehr Wohl bewußt, daß die deutschfeindlichen Tendenzen auf Samoa lediglich auf eng lische Jntriguen zurückzuführen sind, und wenn Deutschland dennoch zur Lösung der Samoafrage jenen fried liebenden Vorschlag machte, anstatt ernste Saiten aufzuzieben, so ist dies nur im Interesse des Weltfriedens geschehen. Zur Zeit ist es aber an der äußersten Grenze eines solchen Bestrebens angelangt. Der deutsche Consul in Apia ist nicht abgesetzt worden, sondern hat sehr genaue Instructionen bis zum Eintreffen der Specialbevollmächtigten erhalten und wir werden ja Wohl in der Lage sein, mit Eintreffen des zweiten deutschen Kriegsschiffs in Apia diesen In structionen den nöthigen Nachdruck zu geben. Und diese Instructionen rrstrecken sich auf die Schadlos Haltung der deutschen Ansiedler, denen durch die letzte große Schießerei Verluste an ihrem Eigenthum zugefügt wurden. — Eine Dar stellung der letzten Geschehnisse auf Samoa von deutscher Seite geben wir an anderer Stelle. Die meisten reichsländischen Zeitungen widmeten dem Reichskanzler anläßlich seines 80. Geburtstags sympathische Worte und hoben namentlich dessen Verdienste »m das RcichSland als Statthalter in den Jahren 1885—94 hervor. Ter „Schw. Merc." läßt sich darüber aus Elsaß-Lotbringen schreiben: Sein Vorgänger Manteuffel glaubte bekanntlich durch persönliches Eingreifen und durch Zugeständnisse aller Art den Verdeutschungsvroceß, der naturgemäß sich auf mehrere Generationen verthcilen muß, künstlich beschleunigen zu können, erzielte aber damit nur Scheinerfolge. DaS von ihm eingeführte System der „Versöhnung" erwies sich in der Folge als ein System der „Verwöhnung" und bewirkte gerade das Gegentheil des gewollten Zweckes, insofern nur die Begehrlichkeit gewisserKreise,nainentlich derNotablen,vermehrt wurde, ohne daß daS Deulschthum dadurch etwas gewonnen hätte. Fürst Hohenlohe machte der nervös erregten, Alles über hastenden Politik Manteuffel's ein Ende. Er erkannte, daß der Schwerpunkt seiner Thätigkeit in erster Linie in einer alle Be dürfnisse des Landes berücksichtigenden Verwaltung und in der Hebung der wirthschaftlichenLage unterVermeidung alles sprung haften Vorgehens zu suchen sei. Diesem Programm ist er treu geblieben; es hat ihm zu weitgehenden Erfolgen verhalfen und ihm das Vertraue» der einheimischen, wie der ein gewanderten Bevölkerung erworben, wozu noch die wobl- thuende Einfachheit und Schlichtheit seines Auftretens kam. Daraus erklärt es sich, daß der Reichskanzler sich auch heute noch großer Sympathien im Reichslande erfreut, dem er neuerdings durch die Berufung seines Sohnes, deS Prinzen Alexander, auf den Posten des Bezirkspräsidenten in Kvlmar auch persönlich wieder näher getreten ist. Ein internationaler Anarchistcncongretz, etwas verschleiert „international-revolutionärerArbeiterconareß' genannt, soll anläßlich der Weltausstellung 1900 in Paris stattfinden; die Einladungen, welche „au die Arbeiterorgani sationen, Fachvereine, Arbeiterbildungsvereine, au die revolu tionären Communisten aller Länder" ergangen, sind unter zeichnet von den bekannten Holländern F. Domela, Nieuwen- huis, F. Pelloutier und E. Pouget. In der Einladung wird betont, daß die Einberufer sich bereits mit den Communisten mehrerer Länder Europas und Amerikas in Verbin dung gesetzt haben und man einen größeren Zufluß von Telegirten in Paris erwartet. Die letzten internationalen Congresse Paris 1889, Brüssel 1891, Zürich 1896 und be sonders die Ereignisse auf dem 1896 in London zusammen getretenen internationalen Arbeitercongreß haben, so heißt es an anderer Stelle in der Einladung, in den socialistischen Kreisen verschiedener Länder einen gewissen Unwillen bervorgeruscn. Die Socialdemokratie hat den revolutionären Geist der alten „Internationale" verleugnet, auf die sie nicht weiter das Recht hak, sich zu berufen. Ihrem Einflüsse ist es zu danken, daß die oben erwähnten Congresse sich mehr mit der Discussion der Gesetzgebung, als mit der socialistischen Propaganda beschäftigt haben. Die Intoleranz gewisser Parteien hat in Zürich, sowie in London den Zutritt zum Congresse für ganze Fractionen des internationalen SocialiSmus unmöglich gemacht und hat selbst erwirkt, daß für den nächsten inter nationalen Congreß sämmtliche Fachvereine ausgeschlossen sind, „die nicht die Nvlhwendigkeit politischer Thätigkeit anerkennen". Der internationale Anarchisten-Congreß soll den Kampf gegen die ökonomische und politische Unterdrückung der heurigen Gesellschaft und die Revolutionirung des kapitalistischen Wirth- schaftSsystemS berathen. Deutsches Reich. 2. Leipzig, 4. April. Auf die Dankes- und Zustimmungs adresse, welche der Bezirksvorstand der Leipziger Militärvereine an den Staatssekretär Grafen Posa- dowsky richtete, anläßlich der Abwehr der Angriffe des Abg. vr. Müller-Sagan auf die Kriezervereine durch den Staatssekretär, ist an den Vorsteher des Bezirks, den Archi tekten Hülßner, folgendes Antwortsschreiben gelangt: Berlin, 3. April 1899. Dem Bezirksvorstände der Königlich Sächsischen Mililärvereine des Leipziger Bundesbezirks spreche ich sür die freundliche Zu- stimmung meinen ergebensten Tank aus. Mr wollen gemeinsam vrrtheidigen, worauf das deutsche Volk Grund hat, stolz zu sein. Posadowsky. FrniHeton. i4j Senzi. Roman von M. Immisch. Nachdruck verbottn. Auch Bertha und der Hofrath hatten sich erhoben und schauten doll Interesse und Bewunderung hinaus. Dann entschwand die Landschaft für einige Zeit, während der Zug an Borstaidthäusern und einzelnen Fabriken oder Niederlagen vorbei in den Bahnhof einfuhr. Ein Strom von Reisenden ergoß sich alsdann über den Perron und drängte wach dem Ausgang. Packträger schleppten das Handgepäck, die Portier-priesen den Fremden ihre Hotel» an, Omnibusse und Droschken füllten den Platz vor dem Bahnhof, um die Fremden dann über die staubigen, steil ansteigenden Straßen ins Innere der Stadt zu fahren. Drr Hofrath winkte eine der originellen, mit einem zelt artigen, gestreiften Leinendach zum Schuh der Sonnenstrahlen bedeckten Droschken her und dann fuhren sie die ziemlich stark abfallende Straße nach Ouchh hinab, wo der Hofrath in dem schloßartigen Hotel de Beau Rirag« Wohnung bestellt hatte. Gegen Abend gingen Bertha und Senzi Arm in Arm in den Promenaden und schön gepflegten Anlagen des Hafenplatzes auf und ab. Die sonst so stille Bertha plauderte viel und aufgeregt und ihre schönen Augen hatten einen ungewohnt freudigen Glanz. Sie hatte bei ihrer Ankunft Brief und Depesche vorgefunden, infolge deren sie eine geheimnisvolle Unterredung mit ihrem Gatten hatte und bei deren Schluß sie ihm in jubelnder Dank barkeit um den Hal- fiel. Senzi konnte sich nicht satt sehen an al? dem Neuen und Schönrn ring- umher und ihr Herz pochte höher und kräftiger in dem Gefühl« neu erwachter Jugendkraft. Der Genfer Ser! Für sie lag «in besonderer Klang in diesem Namen, wehte «in eigener, nur ihr empfindbarer Zauber über seine weit« Fläch« her. Ihr schien, al« wäre sie nicht nur räum- lich, sondern «ich seelisch dem Manne näher gerückt, dem ihre erste und einzige Liebe gehört und der sich an den Ufern diese« See» in bitterem Trotze eine neue Heimath geschaffen. Sie wehrte drr heißen Sehnsucht, die in ihr aufstieg, nicht mehr. Hatte sie nicht fetzt wenigsten» da» Recht, seiner zu gedenken, für den sie doch daS größt« und schwerste Opfer ihre» Lebens ge bracht. E» war nicht ihr« Schuld, daß er in letzter Zeit Nacht für Nacht in ihren Träumen vor ihr stand und daß auch am Tage noch der Nachklang dieser Träume zurückblieb. Nur ein einzige» Mal hätte sie ihn noch sehen mögen, heimlich, unerkannt, nur von ferne. Mit heißen Augen sah sie dem Dampfer nach, der, von einer Schaar Möven verfolgt, in der Richtung nach Genf davonfuhr, während Bertha sie mit heimlichem, iriumphirendem Lächeln ver stohlen betrachtete. „Ob ich wohl an Bernhard schreibe, daß wir hier sind", sagte Bertha plötzlich unvermittelt, „vielleicht würde er uns dann be suchen. Würdest Du Dich freuen, ihn wirderzusehen?" „Ich weiß es nicht", sagte <Änzi leise, wie athemlos vor jähem Schreck und die Gluth, die ihr Antlitz dabei überflog, wich rasch einer tiefen Blässe. „'Komm, laß uns «in wenig niedersitzen", fuhr Bertha fort, auf «ine am Ufer stehende Bank zugrhend und die Freundin neben sich niederziehend. „Ich weiß nicht, wie es kommt, daß mir heute fortwährend ein paar Worte im Sinn« liegen, die ich einmal vor langer, langer Zeit gehört und die sich mir tief in die Seele prägten, obschon ich mich damals gegen ihre Bedeutung noch trotzig auf lehnte. Sie hießen: Hat daS Schicksal Dich getroffen. Schlief Dein Glück auf ewig ein. Such' in Anderer Glück Dein Hoffen Und Du wirst getröstet sein. Ich möchte die» einmal erproben, ich möchte Jemand, Dich zum Beispiel, so recht glücklich machen; ich möchte Dich wieder so froh und heiter sehen wie damals als Mädchen, und ich glaube, ein großes Glück müßte auch im Stande sein, ein solches Wunder zu bewirken." Senzi erwiderte nichts darauf. Ihr Herz pochte heftig und mechanisch lauschte sie dem Plätschern der Wellen, die in ein förmigem Rhythmus an die Ufermauer schlugen. „Ich glaube, Bernhard hat Dich sehr geliebt", fuhr Bertha mit seltsam abwesenden Blicken fort — eS war das erste Mal, daß sie Derartige» erwähnte — „ich erinnere mich noch seiner Verzweiflung, als Du auf einmal bei seiner Rückkehr ver schwunden warst. E» muß süß sein, so geliebt zu werden, und die» Bewußtsein allein vermag selbst über die Entsagung hinweg zu helfen. Was hätte ich darum gegeben, eine solche Erinnerung zu haben! Was nutzte eS mir, schön zu sein, wenn gerade die einzigen Augen, für die ich e» sein wollte, nichts davon bemerkten, das einzige Herz, das ich für mich begehrte, kalt dabei blieb. Ach, Senzi, ich glaube, ich war doch viel, viel elender als Du!" Fast schmerzhaft preßte sie Senzi'S Hand. Der rosige Schimmer auf ihren Wangen und das freudige Leuchten der Augen waren erloschen, und erschreckt sah Senzi die Wandlung in ihrem Wesen. Dieser jähe Umschwung ihrer Stimmung kam seit Kurzem öfters vor, und gerade dies erregte hauptsächlich die Besorgniß des Hofrathes. Senzi gab sich Mühe, von dem gefährlichen Thema ab- zulenkcn. Wieder schritten sie auf und ab; dann kam auch der Hofrath vom Hotel her. Gespannt sah Bertha zu ihm hinüber und bei seiner frohen Miene heiterte sich auch ihr Blick wieder auf. Sie ging ihm entgegen und er flüsterte ihr ein paar Worte zu, die wie mit Zauberklang ihre Niedergeschlagenheit ver scheuchten und ganz der frohen Erregung von zuvor Platz machten. „Ich denke, wir speisen jetzt", sagte der Hofrath. „Ich habe das Diner auf sieben Uhr bestellt und nachher hören wir das Concert." „Geh' nur einstweilen, ich komme gleich nach", sagte Bertha zu Senzi, als sie vor der Thür des Speisesaales angekommen waren, „in fünf Minuten bin ich zurück." Es verging aber wohl eine Viertelstunde, «he sie endlich mit rosigen Wangen und glänzenden Augen in den Saal kam. „Ich hatte gleich noch etwas nachzusehen", entschuldigt« sie lächelnd, „aber nun wird es um so besser schmecken; ich bin wirklich furcht bar hungrig und durstig." Sie that dem vorzüglichen Diner und dem feinen Burgunder alle Ehre an. Dabei plauderte sie lebhaft, so daß Senzi sie ganz verwundert betrachtete, so ungewohnt war ihr dies. „Und nun gehen wir auf die Terrasse", sagte Bertha beim Dessert, „soeben beginnt das Concert. Ach, nun habe ich mein Tuch vergessen! Bitte, Senzi, würdest Du es holen? Ich hab« es vorhin im Salon liegen lassen." Der kleine, aber elegant möblirt« Salon gehörte zu den Zimmern, die drr Hofrath für feinen Aufenthalt in Ouchy be stellt hatte. Er lag im ersten Stock mit der Aussicht auf den See. Es war schon ziemlich dämmerig, als Senzi ihn betrat. Hastig schritt sie hinein, blieb aber plötzlich erschrocken stehen, als sich aus einem Lehnstuhl ein Mann erhob, der mit rin paar Schritten auf sie zukam. Sie glaubte, daß sie daS Zimmer ver wechselt und wollte sich mit einer Entschuldigung zurückziehen, als eine Stimme an ihr Ohr klang, die sie plötzlich lähmte und ihren Herzschlag vor Schreck stocken ließ. „Senzi", sagte die Stimme, die sie vor allen anderen heraus gefunden hätte, „Senzi, kennst Du mich nicht mehr?" Sie rührte sich nicht. 2odt«nblaß, wie erstarrt stand sie da und ihre Hand umklammerte die Kante des Tisches, als bedürfe sie einer Stütze, um nicht umzusinken. „Senzi", sagte Bernhard — denn er war es — wieder, und es war, als presse ihm Jemand die Kehle zu, so erstickt rangen sich die Worte von seinen Lippen, „liebst Du mich noch? Sag' «in Wort, soll ich gehen oder bleiben?" Aber sie tonnte nichts erwidern; die Erregung war zu groß für sie; ihr schwindelte und mit einem dumpfen Laut sank sic zu Boden. Es war die erste Ohnmacht ihres Lebens. Kummer und Schmerz hatte sie heldenhaft ertragen, aber das plötzliche Glück überwältigte sie. Aber nur ein paar Minuten Lauerte die Be- täubung. Seine Küsse, seine Thränen — ja, er weinte in der hohen Erschütterung seines tiefsten Wesens — riefen sic schnell zur Wirklichkeit zurück, und in Lust und Weh, in unfaßbarer, fast schmerzvoller Glückseligkeit lag sie an seinem Herzen und weinte süße Wonnethräncn. Sie könnte es nicht fassen, nicht glauben; es erschien ihr wie ein Himmelstraum. „Mein armes, süßes Lieb", sagte er, während er ihren Mund und das zarte, blasse Antlitz immer wieder innig küßte, „was mußt Du gelitten haben! und ich kleingläubiger Thor habe jahre lang beinah' mit Haß an Dich gedacht. Aber nun bist Du mein und nichts soll uns mehr trennen als der Tod." Sie merkten es nicht, wie die Zeit verstrich; sie achleten-nicht der Klänge der Musik, die draußen ertönten; sie waren ebenso abgeschlossen von allen Außendingen, als befänden sie sich auf einer einsamen Insel im endlosen Ocean, nur umrauscht von den Fittigen ewiger, mächtiger Liebe. Dann kam Bertha und Senzi flog ihr mit einem Jubelruf, in den sich aber auch etwas von Angst und Schulvgefühl mischte, um den Hals. Sie hatte ihr versprochen, sich nie von ihr zu trennen, und nun? Jetzt gab es für sie nur noch einen Willen, den Bernhard's. Gegen die Macht der Liebe muhte die Freund schaft unterliegen. Bertha ahnte, was in ihr vorging, unv zärt lich beruhigend, wie eine liebevolle Schwester, streichelte sie ihre heiße Stirn und küßte sie auf die glühenden Wangen. Eie hatte cs ja selbst berbeigeführt, nur aus Egoismus versicherte sie, um in ihrem Glücke selbst glücklich zu sein. Später kam auch der Hofrath, und die weltvergessene Ver sunkenheit hatte zum Theil ein Ende, aber nur zum Theil, denn Senzi war es den ganzen Abend, al» wanvele sie inmitten eine« Märchen». Sowohl Bertha als der Hofrath waren rücksichtsvoll genug, die Beiden hauptsächlich sich selbst zu überlassen, w.e feem»
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