Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189904305
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990430
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990430
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-30
- Monat1899-04
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1899
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Nittisölall des Känigkichen Land- rmd ANtiSgörichieS Leipzig, -es Mathes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich («ge spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (0gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis > verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsa- nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen- Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeiger» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonntag den 30. April 1899. 93. Jahrgang, in Rcmftsche Gaffe 3 Herr Rrleär. Rlselier, Colonialwaarenhandlung, Ranstädter Steinweg 1 Herr 0. LnKelmami, Colonialwaarenhandlung, Schützenstraffe 5 Herr Zekümrolion, Colonialwaarenhandlung, Westplatz 32 Herr L. VLttrlok, Cigarrenhandlung, Aorkstraffe 32 (Ecke Berliner Straße) Herr L. Llotr. Colonialwaarenhandlung, Zeitzer Straffe 35 Herr V. Likter, Cigarrenhandlung, Plagwitz Herr 6. OriltLMLMi, Zschochersche Straße 7 a, Reudnitz Herr LüNmamr, Marschallstraße I, ' - Herr 0. Seliwiüt, Kohlgartenstraße 67, ' " .1 Herr Leink. Reeder, Mützengeschäft, Leipziger Straße l'., Thonberg Herr L. ÜLnIselr, Reitzenhainer Straße 58, Volkmarsdorf Herr Veorx ^lomnnii, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Für und ^dnnl kann dar Leipziger Tageblatt durch alle Postanstalten des deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns zum Preise von s bezogen werden. In Leipzig abonnirt man für 3 mit Bringerlohn 3 75 und nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure, die Hauptexpeditio«: Johanmsgafse 8, „ die FUialen: Katharineristratze 14, Königsplatz V und Urriversrtatsstraße 8, sowie Nachfolgende Ausgabestellen: Arndtstraffe 35 Herr L. 0. Rlttol, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstraffe 1 Herr ^kooä. Leier, Colonialwaarenhandlung, Brühl 53 0. L. Zvdudvrt's Xaekkolxer, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Straffe (Thomasiusstraßen-Ecke) Herr Otto Colonialwaarenhandlung, Löhrstraffe 15 Herr Läuarä Letter, Colonialwaarenhandlung, Naschmarkt 3 Herr L. 6. 8e1iu1/.e, Nürnberger Straffe 45 Herr Ll. L. Aldreedl, Colonialwaarenhandlung, in Anger-Crottendorf Herr Lodert 6rein er, Zweinaundorfer Straße 18, - Connewitz Frau Rl8okvr, Hermannstraße 23, - Eutritzsch Herr Lodert ALner, Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, - Gohlis Herr Rodert Altner, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, - Linoenau Herr Albert lAuäner, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, - Neustadt Herr Raul LueL, Annoneen-Lxpedilion, Eisenbabnstraße 3, Aus der Woche. Bei den „Angelsachsen" macht sich neuerdings eia eigen artiger Ehrgeiz bemerkbar. Die erbrachten Beweise gewalt- thätlgen SiuneS und schlechter Erziehung genügen ihren« Drange nach Selbstberühmung nicht mehr, sie schreiben sich auch erfundene Brutalitäten und Ungezogenheiten zu. In diese letztere Kategorie gehört ohne Zweifel eia großer Theil der Erzählung de« Reuter'schea BureauS über die Nebenumstände neuer Gefechte in Samoa. Sie fällt außer durch ihre offenkundige Wahrheitswidrigkeit durch eine Wirrheit auf, die es gestartet, bei ihren Autoren für die Zeit der Abfassung den Zustand vorauS- zusetzen, in dem Herr Coghlan seine Beiträge zur Welt geschichte geliefert haben soll. Wie viel oder wie wenig that- sächliche Unterlage der jüngste samoanische Bericht aber auch haben mag, jedenfalls zeigt er, daß man sich in England von den Eindrücken, die die Samoa-Interpellation im deutschen Reichstage dort bervorgebracht, wieder vollständig erholt hat und zu neuen Thaten, deren politische Spitzen gegen Deutschland gerichtet sind, sich ermuthigt fühlt. Ob an dem Wiedererwachen der britischen Actionslust die in Shanghai gehaltene anglopbile Rede des Prinzen Heinrich betheiligt ist, muß dahingestellt bleiben. Möglich ist eS schon, daß die englische Regierung in dieser Kundgebung einen neuen Beweis von Anschlußbedürftigkeit erblicken zu dürfen meint, und ausgeschlossen ist eS auch nicht, daß andere neue, der Mißverständlichkeit zugängliche Thatsachen von Berlin auS geschaffen worden sind. Ter Glaube, daß das Reichsschiff den Augenblick erwarte, wo es inS britische Fahrwasser einlausen darf, ist trotz Samoa auch in Deutschland noch weit verbreitet, und wenn die „Post", die die Erfahrungen von Apia als den geeigneten AusgangSpunct einer Action zur Beschleunigung der Bewilligung deutscher Kriegsschiffe bezeichnet hatte, nunmehr resignirt bemerkt, der richtige Augen blick sei verpaßt, so urtheilt daö Blatt vielleicht an der Erkenntniß heraus, daß daS Walten einer Politik, wie der, die von Zanzibar nach Helgoland geführt bat, wenig dazu angethan ist, die maritime Begeisterung und Opferwillrgkeit im deutschen Volke zu stimuliren. Bei größerem Vertrauen zu Berlin wäre die Bereitwilligkeit zu einer rascheren Fertigstellung der Flotte und zu mehr sicherlich hier vorhanden und dort zu erwecken. Die vorgestern angeführte marinegegnerische Auslassung der „Frankfurter Zeitung kann un« in dieser Annahme nicht beirren. E- wurde bei der Gelegenheit darauf hingewiesen, daß daS demokratische Blatt in demselben Augenblick, in dem es die Rüstungen zur See bei anderen Ländern als etwas Selbstverständliches hm- nimmt, die Ausgestaltung der Seewehr de» eigenen Lande verdammt. DaS „ist aber noch gar nicht-- bei der „Franks. Zeitung-. Diese- patriotische Organ — eS ist an der Zeit, wieder einmal daran zu erinnern — hat ganz andere Leistungen aufzuweisea. Als in den achtziger Jahren in Frankreich die dort weder vorher noch nachher beobachtete Erscheinung auftrat, daß eine ausschlaggebende Partei mit der Bewilligung einer HeereSverstärkung zu zögern schien, da bot die „Frankfurter Zeitung- ihre ganze UeberredungSgabe auf, um jene — dem in Deutschland er scheinenden Blatte befreundete — französische Partei zu überzeugen, daß sie die militärischen Neuforderungen bewilligen müsse. Diese Bemühungen, Frankreich zu einer Erhöhung seiner Angriffskraft zu verhelfen, wechselten in anmutbiger Folge ab mit den schlüssigsten Nachweisen der Ueberflüssigkeit und, natürlich, Volk-feiudlichkrit von Borkebrungen zur Aufrecht erhaltung der deutschen Bertheidigung-fähigkeit. Heute würde man vielleicht die von der „Frankfurter Zeitung" vertretene Sprcir- der deutschen Demokraten, wenn eS sich um Frankreich handelte, nicht auf diesem Wege ertappen. Aber daran wäre nur die „Affäre" schuld. Dem gewaltig rüstenden England gegenüber bleibt sich jedoch, wie man gesehen, die BaterlandS- lieve der „Frankfurter Zeitung- aetreu. Der Reichstag hat zwei beschlußfähifle Tage gehabt und da» Bankgesetz erledigt, vielleicht da- einzige Werk, da von seiner nachösterlichen Thätigkeit zeugen wirv. Hoffentlich verstummen nach diesem Kraftbeweise die Untersuchungen über die Ursache der gewöhnlichen Beschlußunfähigkeit und über die Mittel zur Abhilfe. Denn „e» kommt dabei nicht- heraus-. Auch die, wie unsere Leser wissen, vom ,Schwäbischen Merkur erörterte Misöre der in ihrem ursprünglichen Wesen ge fälschten Commission-Verhandlungen wird dieser Reich«tag und ein denkbarer unmittelbarer Nachfolger desselben nicht zu be heben die moralische Stärke haben. Denn e- handelt sich hier, wie da- Stuttgarter Blatt ganz zutreffend auseinander- setzte, um geschäftsmäßige Ausnutzung der Parlaments zugehörigkeit. Nur ist die Behauptung, daß socialdemo kratische Abgeordnete die Väter dieser schlechten Sitte seien, zu berichtigen. Damit haben Andere angefangen. Auch abgesehen vom Bankgesetze, war die Woche sür den Reichstag keine verlorene. Man mag über die social politischen Anträge der Herren Hitze und v. Hehl wie immer urtheilen, jedenfalls ist es ein Gewinn, daß der ganz unfruchtbare TerroriSmuS, der neuerdings gegen jeden der socialpolitisch anders als die Herren v. Stumm und Burck Denkenden geübt wird, eine Niederlage erleiden mußte. Die Presse dieser Richtung — wozu aber, waS nicht ver schwiegen werden soll, da» vom Freiherrn v. Stumm un- mittelbar inspirirte Blatt nicht gehört — ist geradezu bis zur Unanständigkeit herabgesunken und die Schärfe, mit der sie vom Abg. Frhrn. v. Heyl verurtheilt wird — und die vor einem halben Jahre noch entschiedenen Widerspruch hätte Hervorrufen können, muß nunmehr durchaus angemessen er scheinen und wird durch das von der Mittwochssitzung geweckte Echo nachträglich aufs Neue gerechtfertigt. Man geht schon so weit, dem der Großindustrie angehörigen Reichstagsabgeordneten für WormS die Zuständigkeit, über solche Dmge zu reden, aus dem Grunde abzusprechen, weil er — Hesse ist. In Berlin schreit sich die freisinnige Partei heiser, Weil in einem von Nonnen geleiteten Waisenbause ein Zögling, notorisch nicht unverdienter Weise, einer scharfen körperlichen Züchtigung unterworfen worden ist. Im badischen Landtage hat dieselbe freisinnige Partei soeben für einen Centrumsantrag auf Zulassung von Männer- Klöstern gestimmt. Das macht, in Berlin daben die Ultramontanen keine Mandate zu vergeben, während in Baden für die „Volkspartei", wenn sie sehr gehorsam und demüthig ist, etwas abfallen kann. Im Uebrigen muß sie sich auch von dieser Seite die wohlverdiente Be handlung gefallen lassen. So führt ein westfälische- CentrumSblatt, ohne daß die Richter'sche Presse davon Notiz nimmt, aus Anlaß der Berliner communalen Vorgänge au-, daß der Freisinn der Verachtung anheim gefallen sei und daß man im anderen Falle beispielsweise nicht gewagt hätte, mit einer Stadt wie Berlin so zu verfahren, wie es in der Angelegenheit der Bestätigung des Ober bürgermeisters Kirschner geschieht. Diese Angelegenheit, so heißt eS, wird erledigt werden, sobald der Magistrat die Sache des Friedhofes für die am 18. März 1848 Gefallenen im Sinne der Regierung zu Ende geführt hat. Die extrem-freisinnigen Ge meindepolitiker wären mit einem solchen AuSgange nicht zufrieden und man sagt, eine von ihnen soeben beschlossene Vorstellung wegen der Oberbürgermeister- Frage verfolge den Zweck, die bestehenden Gegensätze zu verschärfen. Herr Eugen Richter steht natürlich auf dieser Seite und eS macht sich sehr hübsch, wenn er von einem der Befürworter einer endlichen Erledigung der Friedhofsangelegenheit schreibt: „Stadtrath Meubrink ist bekannt al» ein ebenso liebenswürdiger wie hochconservativer Herr; derselbe bewirbt sich auch schon jetzt eifrigst um die durch die Bestätigung Kirschner'S vacant werdende Stelle des zweiten Bürgermeisters." Ohne die Unterschiebung niedriger Beweggründe geht eS nun einmal bei dem Erfinder der Bezeichnung „Schweinepolitiker- für den Fürsten Bismarck nicht ab. Voruntersuchung und Hauptverfahren. Aus juristischen Kreisen schreibt man unS: Immer wieder hört man darüber klagen, daß das Verhältnis der Frei sprechungen in Strafsachen zu den Derurtheilungen ein un günstiges sei, und wenn in 20 Proc., also in einem Fünftel aller Fäll«, die Angeklagten in der Hauptverhandlung frei gesprochen werden, so ist es in der That höchst bedauerlich, daß so unendlich häufig unschuldigen Menschen die Marter der Hauptverhandlung nicht erspart werden kann. In einer viel er örterten Schrift von JustuS Clemens geht der Verfasser freilich leicht über dies« Thatsache hinweg. Er sagt: „Eine durch öffentliche Verhandlung stattgehabte Freisprechung, be sonder» wenn dem Fiscu» die Erstattung der Auslagen auf erlegt ist, kann allein dem Angeklagten di« Genugthuung in der Oeffentlichkeit verschaffen, welche ein anderer Abschluß de» Ver fahrens ihm niemals bringen kann." Dagegen ist doch sehr viel einzuwenden. Erstens werden dem Fiscus die Kosten nur im Falle des eclatanten Beweises der Unschuld oes Angeklagten auferlrgt, also in den seltensten Fällen, denn der Angeklagte kann sehr wohl unschuldig sein, ohne daß sich der strikte Beweis der Unschuld erbringen läßt. In allen diesen Fällen aber ist er erst durch die Hauptverhandlung in die Oeffent lichkeit gezerrt worden, während von dem Vorverfahren in den allermeisten Fällen nur eine sehr beschränkte Zahl von Menschen Kenntniß besitzt. Und wenn es dem Angeklagten nicht glückt, in der Haupiverhandlung den strikten Beweis der Unschuld zu liefern, so kann er es also nicht verhindern, daß ihn seine Mit menschen auch nach erfolgter Freisprechung mit mißtrauischen Augen betrachten. „Man hat ihm nichts beweisen können", sagen die Leute achselzuckend. So sagen wir also im Gegensätze zu Justus Clemens, daß in den meisten Fällen die Haupiverhandlung nicht eine Ehrenrettung, sondern eine Ehrenminderung auch des unschuldigen Angeklagten ist. <Und darum ist die große Zahl der Freisprechungen bedauerlich, weil sie beweist, daß in vielen Fällen die Hauptverhandlung unnöthig stattgefunden hat. Natürlich nur in vielen, nicht etwa in allen Fällen der Freisprechung, denn in einer ganzen Reihe von Fällen kann man erst aus der Hauptverhandlung einen Schluß auf die Schulv oder Unschuld des Angeklagten ziehen. In einer großen Anzahl von Fällen aber würde man dem Angeklagten die Tortur des Hauptoerfahrens ersparen, wenn das Vorverfahren sorgfältiger gestaltet würde, insbesondere wenn häufiger eine Voruntersuchung stattfände. Nach der gegenwärtigen Strafproceßordnung ist die Vor untersuchung noth wendig nur in Schwurgerichtssachen, während sie in Strafkammersachen nur zulässig ist. Sie findet in Strafkammersachen in der Regel auf Antrag der Staatsanwaltschaft statt, während sie auf Antrag des Angeklagten nur dann stattfindet, wenn der An geschuldigte erhebliche Gründe dafür beibringen kann, daß die Voruntersuchung zur Vorbereitung seiner Vertheidigung er forderlich -fei. Natürlich kann in jedem Falle darüber, ob die Gründe erheblich sind, eine sehr verschiedene Auffassung ob walten. Tatsächlich ist in Strafkammersachen die Vor untersuchung nur die Ausnahme, während sie die Regel bilden sollte. Wird eine Voruntersuchung gründlich geführt, so wird, insbesondere wenn «ine scharfe Bestrafung bewußt unwahrer un eidlicher Zeugenaussagen eingeführt wird, sich in vielen Fällen die Eröffnung des Hauptoerfahrens erübrigen. Gewiß wird dann die Thätigkeit des Untersuchungsrichters eine viel um fassendere fein als heut«, aber einmal wird dadurch unschuldigen Menschen unsägliche Aufregung erspart, und zweitens wird auch di« Thätigkeit der Strafkammern dadurch verringert, daß die Zahl der ihnen zur Aburtheilung unterbreiteten Fälle sich ver mindert. Die sorgfältigere 'Gestaltung deS Verfahrens vor der HauptverhanLkung — darin wird auch «in Freund der Wieder einführung der Berufung den Gegnern der Berufung zustimmen können — ist wichtiger für die Strafrechtsprechung und für das Publicum, als die Einführung der Berufung. Deutsches Reich. Berit», 29. April. (Liebknecht eootraLiebknecht.) ES gehörte keine Sehergabe dazu, die Vermuthung au-zu- sprechen, daß die Verzweiflungßtvat de- Handelsmann- Hister- mann von der socialvemokratischen Presse zu übertriebenen Anklagen gegen die capitalistische Gesellschaft werde verwertbet werden. Wenn aber dasjenige socialdemokratische Blatt, dessen Chefredakteur soeben die VerelendungStheorie zum alten Eisen geworfen hat, im Anschluß an die That Histermann'S die VerelendungStheorie in krassester Form zur Anwendung bringt, dann muß man Socialdemokrat sein, um durch diese- ruchlose Doppelspiel nicht angewidert zu werden. Gestern erst hat der „Vorwärts" über jene Rede seines ChefredacteurS Liebknecht berichtet, in welcher Lieb- knecht sagt: „Gewiß ist r» richtig, daß sich di« Leben-lage der Arbeiter gegen früher gehoben hat. Aber dr-halb bleibt der Arbeiter doch Prole tarier. Unter dieser Bezeichnung ist nicht ein Mann zu ver stehen, der im Elend lebt, sondern ein solcher, dem die Möglichkeit verschlossen ist, wtrthschafiltch selbstständig zu werden." So berichtete gestern der „Vorwärts". Heute läßt der selbe Liebknecht, der daS Vorstehende gesagt hat, sein Organ folgendermaßen schreiben: . „verzwriflungSthaten, wie die deS HandelSmanueS, sind ja, wie Jedem bewußt sein wird (I), nicht- Neue». Sie sind in der unheimlichen Regelmäßigkeit, mit der sie neuer- ding« begangen werden, ober «in Gradmesser der «er- rlendung und Masseuproletarifirung. Charakteristisch ist, daß diese Familiendramen meisten« vollführt werden nicht von Proletariern, di» von Kindesbeinen an im «lend Hausen und stumpfsinnig ihr Schicksal ertragen, sondern von An gehörigen deS uniergehrnden Mittelstandes, die sich mit der Angst eines Ertrinkenden vor der immer gewisser drohenden Proletartsirung zu wehren suchen und schließlich ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vorziehen. Hier, wie in dem Falle de- Malermeister», der 1695 mit seiner Familie freiwillig in den Tod ging, zeigt sich wie vom Blitz erleuchtet der Untergang einer Welt, die bald schneller, bald langsamer vor sich gehende Ausrottung einer Gesell- schaftsclasse, welche ehedem al- stärkster Pfeiler der Gesellschaft be zeichnet werden mochte, dir aber heute schwach, zum Sterben schwach geworden ist." Zur Kennzeichnung der Behauptung, VerzwriflungSthaten wie vie Histermann'S vollzögen sich „neuerdmgS" mit „un heimlicher Regelmäßigkeit", genügt der Hinweis auf den Um stand, daß der „Vorwärts" bis zum Jahre 1895 zurückgehen muß, um einen analogen Berliner Fall zu finden. Doch das nebenbei. Noch charakteristischer für die Gewissenlosigkeit der socialvemokratischen Agitation ist die Verwerthung der Ver- elendungStbeorie durch denselben „Vorwärts", dessen Chef- redactcur sie soeben preisgegeben hat. Die neue Definition deS Begriffs „Proletarier", die Liebknecht in dem an gezogenen Citate giebt, wird übrigens in sehr passender Weise durch die „Genossin" Clara Zetkin beleuchtet. Letztere hat, wie wir dem anarchistischen „Neuen Leben" entnehmen, in einer Berliner Versammlung am 24. d. M. erklärt: Ein Proletarier ist ein Manu, der ein Jahres einkommen von 3000 bezieht! Da- Anarchistenblatt bemerkt dazu, mit solchen Meinungen lasse sich die Statistik leicht auf den Kopf stellen. Zn der That, wer wollte leugnen, daß die Theorie von der „wachsenden" Verelendung und der „Maffenproletarisirung" eine kräftige Stütze fände, wenn die Einkommen bis 3000 als proletarisch angesehen würden?! „Genossin" Zetkin und „Genosse" Liebknecht wetteifern offen bar mit einander in dem Bestreben, die Bezeichnung „Prole tarier" zum Scherzwort zu machen. * Berlin, 29. April. Hinsichtlich der Behandlung der Reklamation«-und Entlassungsgesuche für Militär pflichtige ist, wie die „Südd. ReichScorr." erfährt, neuer dings Folgendes bestimmt worden: a) Ueber Rrclamation-gesuche für Militärpflichtige, welche noch nicht in den aktiven Dienst eingestellt sind, entscheidet — sofern eS sich nicht blos um von der Ersatzcommission zu verfügende Zurückstellungen handelt — die Oberersatzcommission de« Aus- hebung-bezirk- (Reichsmilitärgesetz g 80, vrrgl. 3 53). Ihr sink bis zu diesem Zeitpuncte alle Reclamation-gesuche zur Ent scheidung vorzulegen, mögen sie vor oder nach Lein Musterungs oder Aushebungstermin eingehen, mögen sie formell oder materiell begründet oder unbegründet, insbesondere verspätet er scheinen. Ueber Berufungen gegen Entscheidungen, durch welche Reclamationsgesuche au- irgend einem Grunde von der Oberersatzcommission nicht voll berücksichtigt sind, * entfchridet dir örtlich vorgesetzte Ersatzbehörde HI. Instanz, ohne Rücksicht darauf, ob der Militärpflichtige inzwischen eingestellt ist oder nicht (W. O. 8 83, 3); hierbei ist jedoch, wie au« dem Wortlaute dieser Bestimmung („Findet die genannte Ersatzbehörde die Berufung be gründet") und der unter ck) erwähnten Borschrift de» 8 83, 7 zu folgern ist, die Ueberweisung eines bereit- eingestellten Militär pflichtigen zur Ersatzreserve au« villigkeit-rücksichten gemäß 8 40, 4 au-geschlossen, d) Ueber «ntlassung-gesnchr, dir sich nicht al- Berufungen darstellen, sogenannte neue Anträge, trifft die Wehr ordnung in ß 83 unter 4 Bestimmung, c) Zu den nach den letztgenannten Vorschriften zu behandelnden Gesuchen gehören auch solche Reclamation-gesuche, di« zwar vor der Einstellung des Reclamirtra eingegangra, aber au- irgend einem Grande nicht zur Entscheidung durch die Oberersatzcommtfsion gelangt sind, ck) Die Vorschriften der Wehrordnung in 8 83 unter 5, 6, 7 beziehen sich auf Reklamation-- und auf Entlassung-gesiiche (neue Anträge). * Berlin, 29. April. Betreffs der Denkschrift über die Waarenhau-frage, die dieser Tage dem Finanz minister v. Miquel von dem Vorstande deS CentrelvrrbandeS der Vereine selbstständiger Gewerbtrribender über reicht wurde, wird der „Voss. Ztg ", die übrigen- selbst an der correclen Wiedergabe des Inhalt- zweifelt, mitgetpeilt: DieDenkschrist versuchtzunächst die Ursachen de- Niedergangs der gewerblichen Mittelschichten festjustellen. Der Einzug de- Großkapital- in den Detailhandel sei für de» Kleinhandel von vrrhängnißvollen Folgen gewesen. Consumvereine, Berfandtgrschäste, Straßen- und Hausirhandel, Beamten- rc. Berein« und Filialgeschäft»
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