01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960707012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896070701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896070701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-07
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B. die Frage aufgeworfen werden sollte, ob denn durch das neue Gesetz der Kaufmann, der Handwerker oder der Fabrikant im geschäftlichen Verkehre unbedingt zur Wahrheit verpflichtet werde, wenn er sich nicht der Gefahr einer Schadenersatzklage oder gar einer Bestrafung aussetzen wolle, so würde man sofort erkennen, wie wenig geklärt noch die Auffassung veS Gesetzes in den betheiligten Kreisen ist. Zwar ist nicht Zeder solcher Gefahr ausgesetzt, denn: „Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt." Und hierzu zählt ohne Frage die große Mehrzahl unserer Geschäftswelt. Gerade zu ihrem Schutze gegen unlautere Kniffe und Lügen ist das Gesetz erlassen. Bekanntlich verbietet dasselbe hauptsächlich dreierlei: 1) Die unwahre Reclame, 2) Schlechtmachen deS Concurrenten, 3) den Verrath von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, außerdem Quantitäts-Verschleierungen und täuschende Benutzung eines fremden Namens. Mit der sprichwörtlichen deutschen Gründ lichkeit und mit deutschem Fleiß hat man versucht, in Worten genau zu beschreiben, was unlautere, was Schmutz-Concurrenz sei, damit der Geschäftsmann deutlich die Grenzlinie kenne, bis zu der er gehen könne, und der Richter eine klare Richt schnur für sein Urtheil habe. Ein unmögliches Beginnen, wie sich bald Herausstellen wird; aber auch ein ganz unnöthiges Bemühen, wie die französische Praxis zeigt, die auf Grund des auch bei uns bestehenden allgemeinen Verbots der un erlaubten Schädigung eines Anderen zu einem weitgehenden Schutze gegen die unanständige Concurrenz gekommen ist. Doch bevor ich mich den Einzelheiten zuwende, seien einige allgemeine Bemerkungen vorangeschickt. DaS neue Gesetz verbietet nicht jede unlautere Concurrenz, sondern greift nur eine Anzahl von Fällen heraus, die sich besonders häufig bemerkbar gemacht und das solide Geschäft gestört habe«. Andere als die einzeln aufgezählten Fälle de« un lauteren Wettbewerbs sind erlaubt. Der unlautere Wettbewerb oll in leichteren Fällen durch Befehl der Unterlassung und durch Schadenersatzpflicht, in schwereren Fällen zugleich durch Geldstrafen, an deren Stelle nöthigenfalls Freiheitsstrafen treten, bekämpft werden. Der Zweck dieser Bekämpfung ist keineswegs der Schutz des Käufers eines Gegenstandes, oder de« Bestellers einer Arbeit, vielmehr bleibt es bezüglich der Rechte der Käufer und Besteller ganz bei dem bisherigen Reckte, d. h. dieselben können wegen unwahrer Angaben bei einer Reclame und bei allen übrigen durch das Gesetz be kämpften schwindelhaften Gebühren des Verkäufers oder Lieferanten nur dann einen Anspruch erhebe», wenn sie wirklich betrogen, d. h. geschädigt sind. DaS Gesetz bat, wie schon angedeutet, nur den Zweck, unsere soliden Gewerbe treibenden gegen eine schmutzige Concurrenz ihrer eigenen BerufSgenossen zu schützen. Mittelbar wird das Gesetz ja auch dem großen Publicum zu gute kommen, insofern eS Treu und Glauben im Geschäftsverkehr mehr befestigen wird. In Uebereinstimmung mit dem Zwecke des Gesetzes ist in Fällen des unlauteren Wettbewerbes auch nicht Zedermann ein Recht der Klage gegeben, sondern nur der geschädigte Gewerbetreibende oder in den Fällen der unwahren Reclame jeder Gewerbetreibende, der Waaren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art berstellt oder verkauft, kann auf Schadenersatz oder aus Unterlassung der unrichtigen Angaben klagen. Auch in den schwereren Fällen, in denen eine Geld-, eventuell Haststrafe eintritt, kümmern sich Polizei und Staats anwalt nur höchst ausnahmsweise um die Verfolgung der unlauteren Concurrenz, nämlich dann, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt. Nur in dem einen Falle, wenn es sich um Verschleierungen der Zahl, der Länge, des Gewichtes oder Maßes von Waaren handelt, tritt Verfolgung von Amts wegen ein. Der Handels-und Gewerbestand ist also auf Selbsthilfe angewiesen. Man muß, wenn man Unterlassung der unwahren Angaben oder Schadenersatz erlangen will, beim Amts gerichte, oder wenn man den Werth der Sache auf höher als 300 -4k schätzt, durch einen Rechtsanwalt beim Landgerichte, und zwar, wenn man will, vor der Kammer für Handels sachen, klagen. Zuständig sollen jedoch im Falle der unwahren Reclame nickt die Gerichte an allen Orten sein, an denen dieselbe veröffentlicht ist, sondern nur das Gericht, in dessen Bezirke der Beklagte seine gewerbliche Niederlassung hat. Um eine Bestrafung des unlauteren Concurrenten zu erreichen, muß der Geschädigte sich mit seiner Privatklage an da« Schöffengericht wenden, von welchem neben der Strafe auf Antrag des Verletzten zugleich auf eine an den selben zu zahlende Buße bis zum Betrage von 10 000 erkannt werden kann. Eine erkannte Buße, wenn sie auch noch so niedrig festgesetzt ist, schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus. Schließlich sei erwähnt, daß in den meisten Fällen der Verurtheilung das Gericht, und zwar sowohl daß Civil- wie daS Strafgericht, die Bekanntmachung der Verurtheilung anordnen kann. Zn Rücksicht auf die Weiterungen, welche mit der Er hebung und Verfolgung der Klagen dem verletzten Gewerbe treibenden entstehen, dürfte eS, wie hier beiläufig bemerkt sein mag, sehr zu empfehlen sein, ein bestehendes oder neu zu bildendes Organ (Verband, Verein, Innung) mit der Ver folgung des unlauteren Wettbewerbs auf Wunsch des klagen den Mitglieds in allen Fällen zu betrauen. Betrachten wir nach dieser Charakterisirung nunmehr im Einzelnen, was das Gesetz als unlauteren Wettbewerb ver bietet. Die wichtigste Gruppe ist die unwahre Reclame. Unwahre Angaben, die der Kaufmann mündlich oder schriftlich einem einzelnen Käufer, oder die ein Handwerker oder Fabrikant einem einzelnen Besteller macht, fallen nicht unter dieses Gesetz. Dasselbe wendet sich nur gegen solche thatsächlich unrichtige Angaben, welche „in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mittheilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind", gemacht werden und geeignet sind, „den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen", also hauptsächlich gegen falsche Angaben in Annoncen, in Preislisten, Circularen, Placaten, aber auch gegen mündliche öffentliche Mittheilungen, z. B bei Auktionen oder durch Ausrufer. Irgendwelche Täuschungs- ab sicht braucht nicht nachgewiesen zu werden, wenn nur dir gemachte thalsächliche Angabe unrichtig und geeignet war, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervor zurufen. DaS Gesetz führt acht Hauptpunkte an, Uber dir keine thatsächlich unrichtigen Angaben gemacht werden sollen, nämlich nicht 1) über die Beschaffenheit der Waare oder gewerb lichen Leistung; z. B. Zemand kündigt an, er verkaufe da- Pfd. echte Stearinkerzen zu 50 Z (Einkaufspreis ist 60 für den Centn»), während er Compositionskerzen au« Stearin und Paraffin verkauft. Die Angabe: „ausgezeich nete Qualität" ist keine thatsächliche, sondern eine Beur- theilung, ebenso wie: „billigste Preise", „größte Auswahl" und deshalb nicht verboten. Ob auch die unwahre Angabe: „Beste Oualitäl" oder „Prima Qualität", „I. Qualität" als eine bloße Meinung, eine Empfehlung, oder als eine that- sächliche Behauptung des Verkäufers oder Lieferanten auf- zusassen ist, kommt auf die Art der Waare und des Ge schäfts an; 2) über die Herstellungsart; z. B. Jemand offerirt: mit der Hand hergestellte Teppiche, Stiefel, Spitzen rc. und liefert Fabrikwaare. Mit dem Betrugsparagraphen läßt sich in diesem Falle nicht- au-richtrn, wenn der Käufer oder Besteller nicht geschädigt ist, sondern die Waare zu einem angemessenen Preise erhalten hat; 3) über die Preisbemessung von Waaren oder ge werblichen Leistungen, z. B. unterm oder zum Einkaufspreis, unter oder zu den Selbstkosten, zu Fabrikpreisen; 4) über die Art des Bezuges, z. B. direkt ohne Zwischenhändler, in der Originalpackung des ErzeugungSorteS; 5) über die Bezugsquelle, z. B. Domainenbutter, Möbel, Uhren u. s. w. auS dem Nachlasse deS Fürsten N. N. au- einer Concursmasse; 6) über den Besitz von Auszeichnungen. Wahre An gaben über völlig werthlvse Auszeichnungen gehen frei aus; 7) über den Anlaß deS Verkaufs, z. B. Mobiliar verkauf wegen Abreise einer Künstlerin, wegen Abbruch- de« Hause«, ForlzugS halber, während man gar nicht an einen Fortzug denkt; 8) über den Zweck deS Verkaufs, z. B. Ausverkauf wegen Aufgabe des Geschäfts, während daS Waarenlager stet« ergänzt wird. Deutsche- Reich. 6. H. Berlin, 6. Juli. In Handwerkerkreisen ist man von dem Wechsel im Handelsministerium nicht sehr erbaut; man glaubt, daß Herr Brefeld bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt habe, sich mit den Fragen, welche die Handwerkerkreise berühren, eingehend zu beschäftigen, und daher in der ersten Zeit Wohl gezwungen sei, sich auf die Gutachten der Decernenten zu verlassen. Zn Handwerker- Versammlungen ist schon früher betont werden, daß es für das Handwerk am ersprießlichsten wäre, wenn es einen eigenen Handwerksminister hätte. Dieser Gedanke soll nunmehr in weiteren Versammlungen schärfer zum Ausdruck gebracht werden. Ferner soll in diesen Versammlungen durch Resolutionen die Erwartung ausgesprochen werden, daß die Errichtung von Handwerker-Creditcassen mit allen Mitteln werde gefördert werden. Größere Bedeutung al lste kleinen Versammlungen hat wohl die Versammlung des Bayerischen Handwerkerbundes, die vom 5. bis 7. September in Aibling abgehalten werden soll. Man erwartet angesichts der schwebenden Fragen eine große Betheiliguna. Zn den ZnnungSverbänden hat man sich in der letzten Zeit recht lebhaft mit der Frage beschäftigt, wie man am besten gegen die ungerechtfertigten und frivolen Streiks, die sich in diesem Jahre so ungemein gehäuft haben, vorgeben könne; man will allen Ansprüchen auf Lohn erhöhung, soweit sie gerechtfertigt sind, entgegenkommcn, glaubt jevock, daß irgend ein Mittel gefunden werden müsse, um gegen die Hetzer zum Streik und die streikwüthigen Element energischervorgeben zu können, vielleicht auf strafrechtlickemWege. Es sprechen also alle Anzeichen dafür, daß die Handwerker bewegung demnächst eine sehr lebhafte werden wird. Vom 14. bis 18. August wird hier eine Art deutsch-öster reichische Handwerkerverbrüderung stattsinden; der Verband österreichisch-schltsiscker gewerblicher Genossenschaften zu Troppau wird eine Anzahl Handwerker nach Berlin entsenden, um Werkstätten und maschinelle Betriebe hervorragender Meister des Kleingewerbes zu besichtigen. ES soll ihnen ein glänzender Empfang bereitet werden. Berlin, 6. Juli. Ende vorigen MonatS hat das Comit« für die deutsch-ostafrikanische Centralbahn nach Abschluß der ausgedehnten Vorarbeiten dem Reichs kanzler Bericht erstattet über die Bedingungen und Aus sichten des geplanten Unternehmens. Die Mittheilungen, welche über den Znbalt des Berichts in die Presse gelangten, ließen erkennen, daß das Comitö die Sachlage ohne jeden Chauvinismus beurtheilt. Das bat aber die „Freisinnige Zei tung" nicht abgehalten, von phantastischen Projecten zu sprechen. Eine treffliche Beleuchtung dieser Art von Kritik birgt ver schon erwähnte Beschluß in fick, den das englische Unter baus am 2. Zuli gefaßt hat, indem es die Regierung zur Aufnahme einer durch jährlicke Rückzahlungen zu tilgenden Anleihe im Betrage von 60 Millionen Mark für den Bau einer Eisenbahn von Mombassa nach Uganda, d. h. von der britisck-ostafrikanischcn Küste nach dem centralafrikanischen Seegebiete, ermäcktigte. Damit tritt der Plan eines englischen Concurrenzunternehmens zur deutsch-ostafrikanischen Central bahn in ein neues Stadium. Es kann kaum noch einem Zweifel unterliegen, daß die 60 Millionen Mark in England längst bewilligt sein werden, wenn bei unS noch der Streit über die Forderung einer Zinsgarantie deS Reiches für den auf den Bau der ersten Tkeilstrecke der projectirten deutschen Bahnlinie zu verwendenden Betrag von 12 Millionen Mark in vollem Gange ist. Mit Befriedigung ist aber zu constatiren, daß die Reihen der unbedingten Opposition gegen eine kraft volle Förderung der Entwickelung unserer ostafrikanischen Colonie sich bereits zu lickten beginnen. Vor einem Jahre noch erklärte die „Vossiscke Zeitung", die Zustimmung des Reichstages zu einer Unterstützung des deutschen Bahnprozectes durch das Reick, sei es durch direkte Zuwendungen, sei eS turck Uebernabme einer Zinsgarantie, für unter allen Umständen ausgeschlossen. Heuie erscheint der „Vosstschen Zeitung" die Zu stimmung des Reichstages nur noch als „vorderhand sehrzweifcl- haft." Durchaus vernünftig bemerkt das freisinnige Blatt: „Da das deutsche Reich einmal Deutsch Ostafrika besitzt, muß es sich auch dessen wirtbschafiliche Erschließung angelegen sein lassen, und ein Mittel zu diesem Zweck wäre gewiß der ge plante Bahnbau." Hoffen wir, daß diese Erkenntuiß sich bis zu der für die nächste Reickstagslagung bevorstehenden Ent scheidung über die Unterstützungsfrage auch in den Kreisen der „Vosstschen Zeitung" weiter Bahn bricht. Feuilleton. Das Goethe-Zchiller-Ärchiv. Die vergangene Woche hat dem deutschen Volke einen doppelten idealen Gewinn ringebrachl: die Rechtseinbeit durch die Annahme des Bürgerlichen Gesetzbuches im Reichstag und die Einweihung des Hauses, in dem fortan die Schätze des Goethe- und Schiller-Archivs für immer geborgen sind. Zu den zwei Häusern des deutschen Volkes, dem ReichStagSpalast in Berlin und dem Gebäude des Reichsgerichts in Leipzig, hat sich als ein Nationalheiligthum das Archivbaus auf dem hohen Zlmufer gegenüber dem Schlosse in Weimar gesellt. Wie im Alterthum die gemeinsamen Tempel und Heilig- tbümer der Hellenen in Olympia und Delphi, reden sie eine stumme und doch verständliche Sprache zu dem gesammten Volke ohne Unterschied. Niemand kann an ihnen vorüber geben, obne einen leisen Hauch der Zusammengehörigkeit mit seinem Volke, mit dem Vaterlande zu empfinden. Die höhere oder die geringere Bildung spricht hier nicht mit, das Gefühl entscheidet Alles, das Jeden bei dem Anblick dieser Häuser ergreift und in ihm die Ahnung eines idealen, ewigen Gutes erweckt. Neben der natürlichen StammeSverwandtschaft ist die auS der gemeinsamen Sprache hervoraegangene Literatur die stärkste Wurzel unserer Einheit. Nicht nur die materiellen Interessen der Stämme, auch ihre Geschichte und Cultur sind schon im Ausgang des Mittelalters weit auSeinander- gcgangen. Als die Reformation das die Nation viel stärker als die Reichsgewalt zusammenhaltende Band der Kirche zerschnitt, war eS die Literatur allein, welche die völlige Trennung des Nordens und des Südens verhinderte. Zn ihr fanden die mannigfachen Dialecte ihre höhere Einheit, in ihr drückten sich alle gemeinsamen Gedanken, Wünsche und Empfindungen aus, in ihr spiegelte sich daS äußere wie das innere Leben unsere« Volke- wider. Für die politische Einheit und Zusammenfassung Deutschland- gab cS seit dem westfälischen Frieden trotz deS Regensburger Reichstags kein Organ mehr, aber die Deutschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, verschmerzten es allmählich in dem Besitz ihrer Dichtkunst und ihrer Musik. In ihnen führte die Nation ein ideale- Leben und fühlte sich al« eine engverbundene, geschlossene Einheit. Dichternamen und Dickterwerke, Melodien und Harmonien überschritten zuerst die Grenzpfähle und Zollschranken zwischen den Landschaften Deutschland«. Bei Klopstock und Lessing, bei Schiller und Goethe, bei Bach und Mozart fragte man nicht mehr, woher sie kämen, welchem Bekenntnisse sie angehörten. Sie waren Deutsche, alle Stämme nahmen sie als gemeinsames Besitz- thum in Anspruch. Wenn man uns das Volk der Dichter und Denker nannte, so hatte diese Bezeichnung, als sie zuerst ausgesprochen wurde, keineswegs den mitleidigen Beigeschmack, der ihr später anhaftete. Wir waren nicht nur den That- sachen und dem geltenden Recht nach, nicht nur dem Ausland gegenüber, sondern in unserem eigenen Gefühl und Bewußt sein einzig in unseren großen Dichtern, Denkern und Musikern ein einiges Volk. Wir hielten unsere Literatur und unsere Musik für eine bessere und stärkere Waffe als unser Schwert, und der erste Napoleon hatte eine feine Witterung für dies Gefühl, als er in Erfurt und Weimar 1808 Goethe und Wieland mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte. Andere Zeiten sind gekommen, in nationalem Sinne glück lichere, da kein Volk auf die Tauer von idealen Gütern allein zehren und allein in der Kunst sich ausleben kann, wenn es nicht wie die Griechen nach Alexander's Zügen und die Ita liener im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf jede politische Betätigung verzichten und sich zum Bildungs- und Erziehungselement für kräftigere Nationen hcrgeben will. Wir haben von Neuem kriegerischen Ruhm erworben und unser Reich auf neuer, festerer Grundlage als daS alte wieder hergestellt. Uns selber unerwartet, hat Deutschland den größten Fürsten, den größten Staatsmann und den größten Feldherrn nach Napoleon in diesem Jahrhundert hervor gebracht. Ein unermeßliches Gefolge von Kriegern, Politikern, Rednern und Publicisten hat sich ihnen angeschlossen. Darüber ist die Literatur begreiflicher Weise in die zweite Linie ge- rathen, die Politik ist die Führerin des Volke« geworden, Bismarck hat Goethe abgelöst. DaS neidische und angstvolle Ausland, dessen Interessen, Habsucht und Ehrgeiz durch die Erstarkung des politischen Sinne« in Deutschland geschädigt wurden, bat darin einen Abfall von unserer eigensten Natur sehen wollen. Wir wurden ihm zu Barbaren, weil wir un sterbliche Siege erfochten, wie wir vorher unvergängliche Dichtungen geschaffen hatten. Die Weihe des Goethe-Schiller-ArchivS in Weimar hat nun auch wieder die literarische Saite in der Seele unseres Volkes erklingen lassen. Hier ist eine Schöpfung entstanden, die sich mit der Gründung de« Museum- in Alexandria in der hellenistischen Epoche vergleichen läßt. Die handschriftlichen Schätze unserer Dichter und Schriftsteller sollen hier nach Mög lichkeit vereinigt werden. Schon ist bekanntlich der ursprüng liche Hort Le« Goetbe'schen und des Schiller'schen Nachlasse« in mannigfachster Weise, durch Spenden aus der Mitte der Nation heraus, vergrößert und erweitert worden. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird das Haus mehr zu einem Asyl des deutschen Geistes werden. Es steht unter dem Zeichen der beiden Dichter, die jedem Deutschen von seinem Leben unzertrennlich erscheinen. Bei keinem anderen Volke ist die Per sönlichkeit und das Werk eines Poeten so sehr in das Allgemein bewußtsein übergegangen, wie bei dem deutschen die Schiller'- und Goethe'ö. Besitzt der Eine das größere Genie und die breitere und vollere Lebensführung, so hat der Ändere dafür die stärkere Wirkung auf das Volksgemüth und den Abglanz eines fast tragischen Geschickes. Ob die Zukunft eine leb haftere Neigung und Vorliebe für daS literarische Schaffen haben wird, als die Gegenwart, steht dabin. Nur dies ist gewiß, daß mit der Fähigkeit deS Lesens und Schreibens, die letzt kein Privilegium der Wohlhabenheit mehr ist, sondern ein allgemeines Gur, auch der Drang nach Bildung in Millionen sich ungestüm geltend macht. Wie die Politik mit dem allgemeinen Wahlrecht, wird alle kommende Kunst und Wissenschaft mit diesem Millionen - Publicum rechnen müssen. Goethe und Schiller haben das deutsche Bürgerthum nach ihrem Geiste und in ihrem Gefühl erzogen, künftig werden sie ihre bildende, erbebende und reinigende Kraft in der Erziehung der Massen erproben. Durch die politischen Verhältnisse und die socialen Reformen sind die oberen Schichten des Volkes in eine immer engere Berührung mit den unteren gerathen und haben dadurch nicht ohne Besorgniß die Tiefe der Kluft ermessen lernen, welche sie von einander trennt. Noch mehr in den Anschauungen und Empfindungen, als in dem Besitz und der Lebensweise. In der geringen Bildung des Mittel alter- und selbst noch des 16. Jahrhundert- fesselte alle Stände, trotz der Vorrechte der Geburt und der fast kasten artigen Abgeschlossenheit der Stände, dieselbe Dumpfheit und derselbe Aberglaube. Wieder wie damal- Hoch und Niedrig in gemeinsamen Vorstellungen und Gefühlen zu verbinden, aus dem politisch geeinigten Volke auch ein in der Bildung an nähernd gleichartiges zu machen, das ist eine der Hauptauf gaben der Zukunst. Wenn ihre glückliche Lösung gelänge, würde die Socialreform besser al- durch alle Gesetze vor jeder gewaltlhätigen Umwälzung gesichert sein. Diese ideale Gleichheit, welche die beiden christlichen Kirchen, so lange sie sich der modernen Weltanschauung verschließen, nicht mehr durchzuführen vermögen, kann nur die literarische Erziehung anbahnen. Lessing, Schiller, Goethe hofften e« schon. Aber sie trauten der Schönheit, der Kunst und der Wissenschaft eine überwältigende Kraft zu, die sie in Wirklichkeit dem „Widerstand der stumpfen Welt" gegenüber nicht besaß. Die einseitige Pflege des ästhetischen Triebe« brachte un« vollend- um Li« nationale Freiheit und Selbstständigkeit. Erst unter dem französischen Joche, durch die barte Noth der Be freiungskriege, in der bitteren Prüfungszeit der Karlsbader Beschlüsse und der Demagogenverfolgung, der äußeren Ohn macht und der inneren kleinlicken Zwietracht erfuhren wir zu unserem Leid und Schaden, daß die Bildung und die noch so eifrige und erfolgreiche Kunstübung einem Volke weder die Freiheit und die Weltstellung, noch die Aus gleichung der Standes- und VermöaenSunterschiede verbürgen. Jetzt im neuen Reiche, zu dessen Fundamenten die politische Gleichstellung Aller durch das allgemeine Wahlrecht gehört, soll diese Ausgleichung auch durch die ästhetische Erziehung versucht werden. Die Theater, die Museen, die Volks- Bibliotbeken und Lesesäle dienen diesem Bedürfniß und fördern in dem gleichen Verlangen nach geistiger Unterhaltung und Belehrung die Annäherung aller Classen. In diesem Sinne wird auch das neue Haus in Weimar erzieherisch wirken. Wohl dient eS zuerst und zuletzt dem wissenschaftlichen Studium. An sich sagen diese aufgespeicherten Briefe und Handschriften der Masse nichts, nur dem Wissenden verrathen sie ibr eigenstes Geheimniß. Aber daS HauS trägt seine Bedeutung in sich und in seinem Namen. An seiner hochragenden Stelle ist es ein Wahrzeichen Weimar-, daS den Kranz idealischer Erinnerungen, die das Leben dieser Stadl ausmachen, vollendet und zugleich eine Mahnung für daS ganze Deutschland. Eine hochherzige, allverehrte Fürstin und Frau hat es errichtet und in einer Weise, wie sie schöner und gemütbvoller nicht gedacht werden konnte, eiugeweiht. Jeden, der es betritt, der es aus der Ferne erblickt, mahnt eS an die unvergeßliche Vergangenheit und daS reiche Erbe, daS sie auch ihm hinterlassen hat, mahnt ihn, dies Erbe neu zu erwerben, um es in Wahrheit zu besitzen, die Schätze nicht nur zu hüten, sondern anSzutheilen und nach seiner Fähigkeit an der Erziehung der Nation zu arbeite». In der Hrimath Schiller'« und Goethe'« kann die politische Sorge und Tages arbeit wohl eine Weile die literarischen Studien, Bestrebungen und Schöpfungen in den Hintergrund treten lassen, aber der Trieb unv Drang danach wird trotz de« lärmvollen Forums und des feilschenden Markte« in der Stille weiter wachsen und blühen. Weil Deutschland eine politische Großmacht geworden ist, hat eS nicht aufgehört, da« Land der Denker und der Dichter zu sei». (Nat.-Ztg.)
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