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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-22
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990622021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-22
- Monat1899-06
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Baillaot zu den größten Wohltbätern der Menschheil rechnet, lriumphirt nicht ganz ohne Grund über die „furchtbare Machtentfaltuug de« Heerbanne« der Revolution" am Long- champS-Sonntage. Sowohl die Socialdemokratie, als der mit dieser Hand iu Hand gehende bürgerliche RadicaliSmu» ziehen au« den Ereignissen der letzten Wochen die „Lehre", daß die „Vertheibigung der Freiheit" heule nicht mehr außer halb der Arbeiterclasse gefübrt werden könne. Bon da bi« zu der Forderung, daß diese Bertheidigung durch und für dir Arbeiterclasse zu erfolgen habe, ist dann nur noch ein Schritt, den zu thun eigentlich blo« die Furcht vor der Armee hindert. Die offenen und geheimen Aufforderungen an das Militär, den Ojficieren den Gehorsam zu verweigern und mit dem „Volke von Par»«" gemeinsame Sache zu machen, lassen erkennen, aus welche Art man de« „Militarismus" Herr werden zu können hofft. Die „echten UitlanderS", d. h. die Hintermänner einer Hand voll englischer Sprcolanten und ein Theil der Londoner Presse Hetzen noch immer zum Krieg mit Transvaal und verbreiten Nachrichten, nach denen, wenn sie sich bewahr heiteten , die Katastrophe unmittelbar bevorstehen müßte. Danach soll das Londoner KriegSministerium alle Vorberei tungen für Verwendung von Cavallcrie und Artillerie in großen Massen in Südafrika und ebenso Vorkehrungen für eine um fassende Grenzvcrtheidigung in Natal treffen. Die Regimenter sollen sich bereit halten, auf kurzen Befehl Capstadt zu ver- lassen und ins Feld zu rücken, und General Butler in Cap stadt sei schon zum Oberbefehlshaber der britischen Truppen ernannt. Ja, Vie „St. James Gazette" kennt schon ganz genau bis in die kleinsten Details den Feldzugsplan der Boeren. Wir fürchten nicht, den Boeren großen Schaden zuzufügen, wenn wir ihn gleichfalls publik machen. Den Ausführungen der „St. James' Gazette" zufolge ist die militärische Stärke der Südafrikanischen Republik sehr bedeutend, obwohl ihr außer der Artillerie kein stehendes Heer zur Verfügung steht. Im Stabe des Oberstcommandirrnden, Generals Piet Joubert, befinden sich mehrere ehemalige deutsche und holländische Officiere. Die Kriegsstärke des Boeren- heereS fei 20000 Mann, die zumeist mit Mauscrgewchren bewaffnet seien, während ihre Artillerie 46 Schnellseuergeschütze allermodernsten Modells besitze und die Zahl der vollkommen ausgebildeten, bei der Truppe stehenden oder sofort einzube. rufenden Artilleristen mindestens lOOO betrage; fast sämmtliche hätten iu der deutschen oder holländischen Armee gedient. Mit dieser Streitkraft und der Aussicht auf die Unterstützung durch den Oranje-Freistaat glaubt Joubert ongriffsweisr Vorgehen zu können. Sofort nach der Kriegserklärung würde eine starke Abtheilung in den Oranje-Freistaat eindringen und unter größt möglicher Ausnutzung der Eisenbahn gegen Kimberley marschiren. Die Transvaaltruppen hätten bereit« die über den Vaal nach dem Oranje-Freistaat führenden Furten besetzt und auch die Eisenbahn stehe unter ihrer Controle. Kimberley liegt nahe an der Grenze des Freistaates und ist ohne weiteren Sckutz, als den die Diamond Fields Bolunteers, die Freiwilligen- Infanterie und -Cavallerie unter dem Commando des Obersten Harris, ihm zu gewähren vermögen. Nach der Einnahme von Kimberley ist es die Absicht der Boeren, die De BerrS- Diamantminen in die Loft zu sprengen. Gleichzeitig mit dem Handstreich gegen Kimberley soll die Cap —Buluwavo- Bahn an verschiedenen Punkten durch geheime Freund« und Agenten der Boeren in der Capcolonie und durch Bürger deS Oranje-Freistaates zerstört werden. Der Zweck sei, die Briten an der Entsendung von Untcrstützungstruppen für Kimberley oder zur Begegnung des vorrückenden Boerenhreres zu verhindern. AuS dem selben Grunde würde wahrscheinlich die Linie Port Eliza- beth-Pretoria, südlich von Bloemfontein, unterbrochen werden. Nach der Einnahme von Kimberley, der Sprengung der Minen und der Zerstörung der Eisenbahn würde das Boerenheer in südlicher Richtung durch die westlichen Provinzen, deren Bevölkerung über wiegend ans Holländern besteht, auf Capstadt marschiren. General Joubert rechnet darauf, vierzehn Tage nach der Kriegserklärung im Besitze von Capstadt zu sein, da er General Butler'S schwache Streitkräfte für unfähig hält, sein Bordringen aufzuhalten. Die Westgrenze von Transvaal würde gegen einen Einfall britischer Truppen gesichert werde», ebenso die Nordgrenze. Während die Hauptmacht der Boeren ihre» Marsch auf Capstadt fortsrtzen würde, würde eine starke, aus In fanterie und Artillerie bestehende Abtheilung zur Sicherung deS durch den DrakeoSberg nach Transvaal führenden Passe« auf der TranSvaalseite bei Volksrust ausgestellt werden. An der Grenze von Natal beabsichtigen die Boeren, sich strengstens aus die Ver- theidigung zu beschränken. Für die Bertheidigung ihrer Hauptstadt Pretoria verlassen sich die Boeren für den Fall, daß die Grenz pässe erstürmt werden sollten, auf die neuerbauten Forts zu Johannis burg. Diese FortS würden auch dazu dienen, die UitlanderS in Schach zu halten. Die ganze, auf freier Erfindung beruhende journalistische Leistung hat natürlich auch nur den einen Zweck, scharf gegen Transvaal zu mache» »nd die Kriegsgefahr zu st««gera. Zum Glück, scheint eS, obne Erfolg. Die Eiugaag« er wähnten aUarmirenden Gerüchte haben »ocb kein« Bestätigung gesunden und speciell erfährt „DpilhCbronicle", daß Buller, der jüngst erst nachdrücklichst zum Frieden rietst, nicht zum Oberbesthlshabrr ernannt worden sei, und selbst da« „Reuter'scke Bureau" muß au» Capstadt mittheile», obgleich die Capstädter Militärbehörden auf alle Möglichkeiten vor bereitet seien, würden doch die Gerüchte, daß der MobilisationSbefehl ergangen fei, auf Grund sicherer Erkundigungen in Abrede gestellt; man wisse, daß die Minister der Cap-Colonie und der Führer der Afri kander-Partei beim Präsidenten Krüger ihre» Einfluß behufs Erreichung einer friedlichen Lösung geltend machten, und daß sie noch voller Hoffnung seien. Immerhin hat die Londoner „Truth" Recht, wenn sie die Lage noch für gefahr voll hält, so lange Chamberlain Colonialminister und Milaer Gouverneur der Cap-Colouie sei. Deutsches Reich. Berlin, 21. Juni. (Das Jesuitengesetz und die Schutzgebiete.) Die heute im Reichstage vom Staats sekretär von Bülow abgegebene Erklärung, das Jesuiten gesetz gelte für die deutschen Schutzgebiete nicht, beruht auf der Tbatsache, daß die deutschen Schutzgebiete zwar völkerrechtlich einen Theil des deutschen Reiches bilden, nicht aber staatsrechtlich. Denn Artikel 1 der Reichsverfassung, der vom „Bundesgebiet" handelt, zählt eben nur die 25 deutschen Staaten auf, die das deutsche Reich bilden. Staatsrechtlich gehört außer ihnen noch Elsaß-Lothringen und Helgoland zum Bundes gebiete; die Reichslande wurden durch da« Reichsaesey vom 9. Juni 1871, Helgoland wurde durch da« Reichsgesetz vom 15. December 1890 mit dem deutschen Reiche ver einigt. Die Schutzgebiete aber gelten nur ausnahmsweise, soweit es durch Gesetz ausdrücklich bestimmt wird, als Bundesgebiet. In Bezug auf das Jesuitengesetz giebt e« keine solche ausdrückliche Bestimmung. Da nun das Jesuitenzesctz in seinem H 1 wörtlich lautet: „Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordenöäbnlichen Congregationen sind vom Gebiete deS dentscheu Reiches ausgeschlossen" — so gilt daS Jesuitenzesctz für die rcntjcken Schutzgebiete nicht. Man braucht also auch das Jesuitengesctz nicht aufzuheben, um den „frommen" Vätern auf den ncuerworbenen Inselgruppen die Freiheiten zu sichern, zu Venen man sich der spanischen Negierung gegenüber beim Abschlüsse des Vertrags ver pflichtete. Freilich wäre es auch s. Z. nicht nöthig gewesen, um der in unserem ostafrikanischen Schutzgebiete thätigen jesuitenähnlichen Orden willen das Jesuitengejetz abzubröckeln. * Berlin, 21. Juni. Der Arbeitgeberbund für da« Maurer- und Zimmerergewerbe von Berlin und den Vororten übermittelt uns eine Schilderung der Vorgänge deS seit dem 14. d. M. in Berlin und dessen Umgebung aus gebrochenen Ausstandes im Maurergewerbe und dessen wirklicher Beweggründe. E« heißt da u. A.: „Die Lohncominissionen der Maurer und Zimmerer hatten sich zu End« Februar d. I. an den Arbeitgederbund unter Aufstellen einzelner Forderungen mit dem Antrag« auf Vereinbarung gewandt. Infolge dessen wurde am 24. März seitens der in demselben ver einigten Inhaber von Baubetrieben ein Beschluß dahin gefaßt, daß die Arbeiigeberschast an der neunstündigen Arbeitszeit im Sommer sesthalten müsse, die Lohnhöhe sich nach der Leistungsfähigkeit der einzelnen Arbeitnehmer zu bestimmen hätte, deshalb einem Mindest lohnsätze, in Sonderheit auch dem nicht zugestimmt werden könne, daß kein Maurer und Zimmerer unter 60 pro Stunde entlohnt werden darf, endlich die begehrte Abschaffung der Accordarbeit für das Baugewerbe nicht angängig und deshalb auch nicht zuzugcstehen sei. Nunmehr faßten am 1. Juni d. I. die organisirten Maurer den Beschluß, auf den Bauten, wo Aussicht auf Erfolg vorhanden und eine Schädigung für die Allgemeinheit nicht zu gewärtige» sei, eine Lohnerhöhung auf 65 für die Stunde zu fordern, nachdem sie vorher bereits versucht hatten, vou einzelnen Arbeitgebern solche im Wege der Bausperre zu erlangen. Weil die derzeitige Lage im Baugewerbe einerseits, andererseits der Umstand, daß bei Ausstellen Le: Bauynschläge und Abschluß der Bauverträge der bisher ge bräuchliche Lohnsatz der Berechnung zu Grunde gelegt wurde, aber auch die Preise der Lebensmittel zur Zett eine Steigerung de« Arbeitsverdienstes nicht bedingen, ein Eingehen auf diese Forderung nicht gestatten, wurde seitens der Arbeitgeberschaft am 8. Juni ein stimmig beschlossen, am Dienstag, den 13. d. M., eine allgemeine Aussperrung der Maurer beschließen zu wollen, wenn nicht am Montag, den 12. d. M., alle Bauten wieder vollständig besetzt feien, und dieser Beschluß der Arbeitnehmerschaft mitgetheilt. Dem aus gesprochenen Wunsche wurde seitens derselben nicht gewillfahrt und deshalb am 43. d. M die Arbeiterausjperrung zum Beschlüsse er hoben, auch thatsächlich ausgesührt. Als Antwort hieraus beschloß die Arbeitnehmerschaft am 14. d. M., bei allen Arbeitgebern, welche 65 Stundenlohn nicht bezahlen, am 15. d. M. diese Fordern»« zu stelle», und iw Fall« der Nichtbewilligung die Arbeit joiort eiiizustellen auch bei allen Arbeitgebern, welche auf einzelne» Arbeitsstätte» die Mauer ausgesperrt haben, auf andere» Bauten jedoch weiter arbeiten taffen, die Arbeit am Donnerstag früh aufzu geben. Als Folge dessen befindet sich augenblicklich da» Maurer gewerbe iu Berlin und beste» Vororten i« Ausstande, ruht auf der Mehrzahl der Bauten die Arbeit uad sind heut» ca. 8000 beschäftigt gewesene Maurer »nd ca. 2500 Arbeiter arbeitslos geworden. Der Arbeiterausstand i« Maurergewerbe kann sich jedoch »icht auf di« darin beschäftigten Fachgeuosten beschränken. Er muß vielmehr rpeit-re Kreise ergreifen, indem nach der Natur de« vaugeschüstes später auch dir Zimmerer, Dachdecker, Töpfer» Maler rc. in Mitleidenschaft gezogen werden. Die wirthschastlichen Folgen des selben sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber drohen deshalb sehr umfangreiche und nachhaltige zu werden. Dieser Umstand läßt eS wünichenswerth erscheinen, sobald als möglich wieder geordnete Verhältnisse zu schaffen und eine Einigung über die schwebenden Streitpunkte herbeizusühren. Solche- ist aber nur aussichtsvoll, wen» di« außerhalb de« Baugefchäftr« stehenden Staatsbürger, über die Ursachen und Vorgänge der gegenwärtigen Streikbewegung unterrichtet, in eine ruhig«, unbefangene, vor- urtheilssreie Prüfung derselben rintrrten, dementsprechend Stellung nehmen und ihr« Hilfe leisten." — Die vereinigte» Ausschüsse des BundeSrath« für Handel und Verkehr und für Justizwesea hielten heute eine Sitzung. — Die zweite Lesung der CharfreitagSvorlage wird, wie verlautet, erst am Sonnabend stattsinden, weil ver Präsident de« Abgeordnetenhauses den Fraktionen Zeit lassen will, sich über eine Fassung zu verständigen, auf di« sich die große Mehrheit de« Hause« vereinigen könnte. — Zur lippischen Angelegenheit. Aus den Ver handlungen über den Proceß Berkemeier ist noch eine Zeugenaussage de« früheren lippischen Minister- v. Oertzen von Interesse. Er erklärte, daß zu seiner Amt-zeit Verhand lungen privater Natur zwischen dem verstorbenen Fürsten Waldemar von Lippe-Bückeburg und dem verstorbenen Fürsten Adolf von Schaumburg-Lippe gepflogen worden seien, welche die Regentschaft de« Prinzen Adolf von Schaumburg frstsctzten und diesen auch für den Fall zum Thronfolger bestimmten, daß Bückeburg im Erbstreite siegen sollte. Aller dings bat diese Verabredung zwischen den damaligen beiden Fürsten Waldemar und Adolf für die Entscheidung der recht lichen Lage des Thronfolgestreites keinerlei Bedeutung. Acten- mäßig sestgeslellt wird aber dadurch, daß Prinz Adolf, schon bevor an feine Verheirathung mit Prinzessin Viktoria von Preußen gedacht wurde, zum Regenten auSerseben war. Da ist zwar schon bekannt, die gegentbeilige Behauptung war aber bisher noch niemals bestimmt widerlegt worden. — Der „ReichSanzeiger" widmet dem in Dresden verstorbenen kaiserlichen Gesandten z. D. wirkl. LegationSrath Otto Preyer einen ehrenden Nachruf. — Zum Gedächtniß BiSmarck'S fand heute Abend im CircuS Renz ein Feste ommerS der Berliner Studentenschaft statt. Die Betbeiliguug war eine ge waltige, der Raum bis zum letzten Platz gefüllt. An den Ehrentafeln sah man zahlreiche Vertreter der Lehrkörper der Hochschulen mit Rector Waldes er und Rectoren anderer Hochschulen, viele höhere Osftciere, darunter die Generale v. Rauch und v. Strubberg. In den Rängen waren viele Damen anwesend. Der Ertrag de« CommerseS ist für die Berliner Bismarck-Säulen bestimmt. Der Leiter deS CommerseS brachte das Kaiserhoch aus und hielt eine Rede auf Bismarck. An den Kaiser wurde eine HuldigungSdcpefche gesandt, an den Fürsten Herbert Bismarck ein Telegramm. Im weiteren Ver laufe erwiderte auf die Begrüßung der Gäste der Rector der technischen Hochschule Professor Döring mit einer Biömar^ feiernden Rede, welche in einem Hoch auf die studentische Jugend auSklang. — Die Regelung des ApotbekenwesenS ist be kanntlich eine der Fragen, mit welchen sich die am 22. und 23. August zu Danzig stattfindeude Hauptversammlung dcSDeutschenApothcker Vereins beschäftigen wird. Die Kreisvereine deS letzteren haben die Angelegenheit schon vielfach vorberathen. In der Mehrzahl der dabei gefaßten Beschlüsse bat man grundsätzlich die freiverkäufliche und erwerblichcConcession als daS beste System bezeichnet und sich, tbeilweise in der energischsten Weise, gegen die Einführung der Personalconcession erklärt. Andererseits hat man jedoch vielfach zugegeben, daß die heutigen Zustände einer Verbesserung bedürftig sind, und hak eine Reibe Mittel zur Abhilfe, wie zehnjährige Unverkauslich- keit der Concessionen, Aufhebung des Verpachtungsverbots in Preußen rc. vorgeschlagen. Ein anderer Theil hat, wie die „Apotheker-Zeitung" fcststellt, ausdrücklich anerkannt, daß er einer Neuregelung der Gesetzgebung nickt principiell wider strebt, sondern bereit ist, Vorschläge für die Neuregelung, sowie sür die dann unumgängliche Ablösung der BetriebS- recklSwerthe, wenn solche von der Regierung vorgelcgt werden, entgegenzunehmen und zu prüfen, unter der Voraussetzung, daß dieselben der bis dahin auch in Preußen einzuführenden StandeSvertretung unterbreitet werden und die Adllffuug ohne Schädigung der jetzigen Besitzer durchgeführt werden kau«. — I» eine allgemeine Lohnbewegung eivzutretea beschlossen gestern die Töpfer Berlin« und Umgegend in einer sehr zahlreich besuchten Versammlung. Der im Jahre. 1886 erruugene Lohntarif soll beginnen, wenn die Maurer bewegung beendet sein wird. — Zu Ehren des in Berlin aowesenden persischen Minister- d«S Arnßerr», Machfinchan-Maschirad-Dowle fand gestern Abend bei dem persischen Generalcoosul Leon rin Festessen statt. Zu den Gästen zählten unter anderen der hiesige Gesandte, Divisioasgeneral und Genrraladjutaut Mirza Rheza Khan nebst Sohn, der persische Gesandte am österreichischen Saiserhose, Oberleutnant von Bartsch vom Elisabeth-Regiment, Führer der persischen Delegirteu beim Tuberculose-Congreß, LegationSsrkretär Mirza J-mall Khan, sowie mehrere Herren aus der Begleitung de« Minister«. * vrnnSbüttelkoog, 22. Juni. (Telegramm.) Der Kaiser traf gestern Abend 9>/, Uhr au Bord der „Hohen- zollern" vier ein und begab sich unmittelbar, nachdem die „Hohenzollern" an der Schleuse festaemacht war, an Land, um die im Binnenhafen liegenden Dachten zu besichtigen. Die Reise nach Kiel wurde kurz nach 10 Uhr fortgesetzt. * Posen, 21. Juni. Der 22. deutsche Fleischertag nahm zwei Resolutionen an, in welchen der Vorstand be auftragt wird, im Verein mit anderen Verbänden eine Be schränkung der Consumver eine und Beamten- waarenhäuser auf ihren ursprünglichen Zweck, weniger Bemittelten Vortheile zu gewähren, anzustrebea. Der nächste Fleischertag findet in Nürnberg statt. * M. - Gladbach, 21. Juni. Eine Versammlung der Stuckateure und Pliesterer beschloß Eintritt in die Lohnbewegung; sie forderu zehnstündige Arbeitszeit und Lohnerhöhung. V. Erfurt, 21. Juni. Die Delegirteu der Orts vereine preußischer Reichstelegraphen- und Eisen bahntelegraphenbeamten haben hier eine Conferenz abzehalten, um über die Bildung eines Verbände« zu be- rathen. Von einer solchen Gründung wurde indessen noch Abstand genommen und dafür vorläufig auf ein Jahr ein geschäftsführender Vorort gewählt, an den auch die Unter- stützungsangelegeuheiteu zu richten sind. Als Vorort wurde Düsseldorf gewählt. * Weimar, 21. Juni. Auf Grund de« Artikels S der Verfassung hat der Großherzog den Staatsminister Rothe zum Bevollmächtigten zum BundeSrath ernannt. * Mannheim, 21. Juni. Einen drastischen Beleg zu der CoalitionSfreiheit, wie die Socialdemokraten sie meinen, liefert folgender Vorgang: Von zwei streikenden Arbeitern überfallen wurde der hiesige Zimmermeister Fritz, über den seit längerer Zeit von den Socialdemokraten die Arbeitssperre verhängt worden ist. Als Fritz in einen Neubau eintreten wollte, traf er innerhalb desselben zwei Arbeiter, welche dort Posten standen. Als er sie fragte, was sie hier wollten, schlugen sie ihm statt jeder Antwort mit einer Klammer derart auf deu Kopf, daß Fritz blutüberströmt ärzt liche Hilfe ist Anspruch nehmen mußte. ^V. Stuttgart, 21. Juni. Heute Abend versammelt sich auf der Anhöhe Gähkopf die Studentenschaft der beiden Stuttgarter Hochschulen, um durch einen feierlichen Act den Platz zu weihen, den ihr der hiesige Gemeinderath für eine Bismarcksäule überlassen hat. Zum ersten Male lodert beute von der weit ins Land binemschauenden Höhe daS Flammeuzeichen empor zu BiSmarck'S Gedächtniß, um sich in Zukunft alljährlich zu erneuern, der Gruß von Deutschlands Jugend an den großen Tobten. * München, 21. Juui. Bei der Einweihung des Bis marck-Denkmals am Starnberger See am 1. Juli wird sich der Prinz-Regent durch den Ministerpräsidenten Frei herrn von Crailsheim vertreten lassen, vr. Franz v. Lenbach wird das Denkmal mit einer Ansprache an die Stadt über geben, der erste Bürgermeister v. Borscht die Uebernahme iu ihrem Namen vollziehen. Bankdirector Freiherr von Pech mann, der Cassirer de« BiSmarck-VereinS, wird die Festrede halten. Die Urkunde für die Uebergabe des Denkmals wird vom Maler Julius Diez gezeichnet. — Wie die „Augsburger Abendzeitung" hört, ist eü noch nicht ganz sicher, daß der hochverdiente vr. Freiherr von Stauffenberg dem Land tag, dem er mit geringer Unterbrechung seit Herbst 1866 an- , gehörte, definitiv Valet sagen wird. Es wäre im Juteresse I der liberalen Partei nur zu wünschen, wenn Freiherr v. Stauffen- I berg dem Landtage auch fernerhin erhalten bliebe. Frankreich. 8ur Lage. * Pari-, 21. Juni. Ueber die Ankunft des Hauptmanns Dreyfus in Brest herrscht noch keine Sicherheit. Es ge winnt mehr und mehr den Anschein, als ob die Ausschiffung an einem stillen Punct nahe Saint Malo erfolge. — Ueber Du Paty de Clan« macht der „Matin" eine Reihe von Mittheilungen. Du Paty erhalte täglich den Besuch seine« VertheidigerS sowie seiner Frau; die Speisen beziehe der Gefangene aus seiner Wohnung. Die Anklage erstrecke sich aus acht Puncte: falsches Telegramm „Speranza", falsches ein Alpdruck auf ihm. Draußen ließen sich bald verworrene Stimmen, Schritte, hastig hervorgestoßene Laute vernehmen. Dann wurde die Thür aufgerissen, die Magd stürzte in das Zimmer, laut weinend und sich anklagend, daß sie das Haus ver lassen habe, während Niemand zu seinem Schutze da war. Ihr auf dem Fuße folgten der Criminalcommissär Meyer und ein Schutzmann in Begleitung von Alfred Glaubitz. Noch immer saß Claasen, einem Betäubten gleich, im Sessel. Er war unfähig, aufzustehen, als die Beamten mit Glaubitz eintraten. Die flackernde Kerze war fast herabgebrannt und verbreitete ein unsicheres Licht. Nach einer kleinen Pause erschien auch der Arzt. „Bringen Sie eine Lampe", befahl der erste Beamte dem Dienstmädchen. Als dieses, zitternd am ganzen Körper, den Auftrag erfüllt hatte, betrachteten die Beamten genau die Lage der Leiche und untersuchten mit kundigem Auge die Wunde und die Blutspuren. Dabei unterließen sie nicht, den Maler scharf zu beobachten, dessen Verstörtheit ihnen zu denken gab. Wenigstens wechselten sie einen Blick des Einverständnisses miteinander, als Glaubitz ihnen die verhängnißvolle Waffe einhändigte. „Gehört Ihnen dieser Dolch?" fragte der Criminalcommissär. Richard nickte. Der Schutzmann suchte indessen nach Gegenständen, dic viel leicht die Sache noch klarer erhellen konnten. Anfangs fand er nichts; doch endlich bückte er sich nach einem Gegenstand, den der Schein der Lampe, die er in der Hand hielt, grell beleuchtete: eS war eine große, weiße Nelke. Der Mann , hob die Blume auf und betrachtete sie. Der Fund schien an sich nicht wichtig; nur weil Alles, was neben der Leiche auf dem Boden lag, vielleicht auf irgend eine Spur führen konnte, erhielt das Dienstmädchen den Auftrag, die Nelke in ein Wasserglas zu stellen. Der Arzt hatte inzwischen die Wund« untersucht; er konnte nichts thun, als den vor etwa dreiviertel Stunden eingetretenen Tod constatiren. Eben wollte der Criminalcommissär mit Claasen, an dessen Anzuge er die Blutspuren wahrgenommen hatte, ein Verhör beginnen; da traten Meta Henzen und deren Vater ink Zimmer. Der Buchhalter Henzen, ein hagerer Mann, dessen knochiger Ge sicht von einem langen, weißen Bart umrahmt war, gab sich stets das Ansehen großer Ehrwürdigkeit. Er hatte mitunter etwas Feierliche» iu seinem Wesen, namentlich bei außerordent lichen Vorfällen, wenn er zufällig deren Zeuge war. Er war viel in der Welt herumgekommrn, und man hielt ihn für einen absonderlichen Menschen. Ganz im Gegensatz zu seiner leicht erregbaren Tochter be wahrte er fast immer eine äußere Ruhe. Meta zog ihn zu der Leiche heran und rief außer sich: „Sich' hier, Vater, so lag sie, als ich eintrat, mit der blutigen Wunde in der Brust! Und Herr Claasen sah selbst aus, wie ver Tod! Haben Sie keinen Verdacht, wer es gethan haben könnte — keinen?" wandte sie sich an die Beamten, während ihr Blick auf den Maler gerichtet war, der noch immer in derselben Stellung verharrte. „Der Dolch dieses Herrn, der dort auf dem Boden gefunden wurde, und die Blutspuren an seinem Rock geben allerlei zu denken", berichtete Meyer. „Reden Sie doch, Herr Claasen", rief Meta leidenschaftlich, „sagen Sie doch, daß Sie unschuldig sind — wenn Sie eS können!" „Mäßige Dich, Mädchen", unterbrach sic Henzen mit seiner gemessenen Stimme. „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen. Der Herrgott da oben wird den Weg zeigen, der zu dem wahren Thäter führt." Kein Zucken in dem eisernen Gesicht des Mannes verrieth, daß ihn der Anblick der Ermordeten erschüttert hätte. Der Criminalcommissär nahm den Thatbestand auf, nachdem er ein kurzes Verhör mit Claasen beendet hatte. Dieser sagte dabei nichts anderes aus, als zuvor Meta und Glaubitz gegenüber. Aber di« Aerdachtsgründe waren so schwerwiegend, daß Meyer es für seine Pflicht hielt, ihn in Haft zu nehmen. „Morgen früh", sagte er, „wird die eingehende Untersuchung durch den Herrn Landgerichtsrath und den GerichtSarzt statt finden; wenn es Ihnen dann gelingt", wandte er sich an den Maler, „Ihre Unschuld zu beweisen und die vorliegenden Ver- dachtsgründf zu entkräften, dann wird man Sie wieder auf freien Fuß setzen; einstweilen sind Sie im Namen deS Gesetzes mein Gefangener." Richard Claasen widersetzte sich nicht, als die Beamten ihn in ihre Mitte nahmen und ihn abführten; unter trotzigem Stolz verbarg er aller, wa» er innerlich litt; er knirschte mit den Zähnen vor ohnmächtiger Wuth und hätte am liebsten wie ein Löwe um seine Ehre, seine Freiheit gekämpft. Nur die Einsicht, daß der Kampf vergebens sein würde, brach seinen Widerstand Meta Henzen ober sah mit tiefster Erschütterung den Aus druck von Qual und Leiden in Richard'» Zügen. Ihre Bitterkeit geaen ihn begann zu schwinden; doch al» sie ibn flehend ansah, wahrend er den schwersten Gong feine» Leben» antrot, blickte «r an ihr vorüber voll kalter Gleichgiltigkeit. Und glühend loderte ihr leidenschaftlicher Haß wieder empor. Mochte er -u Grunde gehen — mochte er seine Strafe erleiden für den Mord, den er begangen hatte! Zweites Capitel. Schwül und sonndurchglüht brach nach einer Gewitternacht der nächste Morgen an. Da» Hau», in dem der Mord geschehen war, stand im vollen Licht. Die Blumen des Vorgartens dufteten, und die Ulmen am Gitter bewegten spielend ihre Zweige. Niemand hätte ahnen können, daß dieses Hau» über Nacht in eine Stätte des Grauen» verwandelt worden war. Die Criminalbeamten freilich, die mit dem Landgerichtsrath Hagenberg und dem Gerichtsarzte prüfend da» Haus und seine Umgebung betrachteten, verriethen den Vorübergehenden, daß hier etwas Außergewöhnliche» vorging. Diese Herren sahen nicht au», als ob sie den Stand der Blumen begutachteten, oder sich an dem leuchtenden Grün der Bäume erfreuen wollten! Bevor Hagenberg das Haus selbst betrat, musterte er dessen äußere Situation genau. Es lag an einer der eleganten Straßen des modernen Berlin, die am Thiergarten entlang führen, zeigte Charakter und Stil einer nicht sehr umfangreichen Villa und war auf allen Seiten von einem dichtbegrünten Garten um geben. Vom Gitter des Vorgartens war es ungefähr zwanzig Schritte entfernt, hatte ein Hochparterre, zu dessen Thür vier Stufen emporführten, ein oberes Stockwerk mit fünf Fenstern Front und darüber ein steile», schieferbedeckter Dach mit drei Mansardenfenstern. Zwei Wege führten um da» Gebäude herum an den beiden Seitenfronten entlang, die, gleich der vorderen, je fünf Fenster, aber keine weitere Thllröffnizng aufwiesen. Da gegen befand sich an der Rückseite der Billa eine gleichfalls um vier Stufen über den Garten erhöhte Veranda, die sich, von der einen Ecke des Hauses beginnend, zwei Fenster weit an ihm hinzog und mit dem Innern durch eine Glasthür in Verbindung stand. Nach hinten und noch den Seiten dehnte der Garten sich so weit au», daß man von den Nachbargrundstllcken und -Ge bäuden jetzt zur Sommer-zeit kaum eine Spur -u erblicken vermochte. Da» Hau» langsam umschreitend, hatten die Herren des Gerichte? diese Thatsachen festgestellt, al- der Criminalcommissär Meyer an der Rückseite de» Hause» mit einem Rufe der Ueber-. raschung plötzlich stehen blieb. Er deutete lebhaft auf eine Stelle unter dem Fenster, da» al» dritte» von der Ecke de» Hause» neben der Veranda lag, und rief: „Sehen Si» hier — sehen Sie doch, Herr LandgerichlSrath, diese frische Abschürfung an der Mauer unter dem Fenster! Und gerade unter diesem Fenster, das direkt in da» Mardzimmer führt!" Hagenberg sah durch seine Brille bedächtig nach der be- zeichneten Stelle. „Hm, ja —" sagte er gedehnt, „danach scheint e» fast, als hätte der Spitzbube den Weg durch da» Fenster genommen. Uebrigens kann auch ich Ihnen etwas zeigen, was Sie bisher noch nicht gesehen haben. Bemerken Sie die Fußspuren hier in dem weichen Boden des Beetes unter dem Fenster?" „freilich! Wahrhaftig!" rief der Criminalcommissär und kniete im 'Eifer des Suchens auf der vom Gewitterregen noch suchten Erde des Weges nieder. „Das sind Fußspuren, unver kennbar, auch die Resedapflanze hier ist niedergetreten. Aber die Svuren sind durch den Regen in der Nacht verwischt worden; man kann nicht mehr erkennen, in welcher Richtung der Fuß sich eingedrückt hat." „Haben Sie gestern Abend nichts davon bemerkt?" Der Kommissar wurde roth vor Aerger. „Nein, Herr Land- gcrichtsrath, leider nein! Ich habe selbstverständlich genau untersucht, ob die Fenster und die Verandathür des fraglichen Zimmers verschlossen waren, aber da ich alles in Ordnung fand, so " „Dies Fenster war also verschlossen?" „Allerdings." „Wissen Sie das ganz genau?" „So wahr ich Sie hier vor mir sehe, Herr Landgerichtsrath, Nur die Verandathür war später geöffnet worden, weil Herr Rechtsanwalt Glaubitz, der beute als Zeuge erscheinen wird, durch sie eingetreten war." Hagenberg betrachtete noch einmal alles genau und schüttelte den Kopf. „Sonderbar", sagte er; „wenn der Mörder nach vollbrachter That durch das Fenster entwischt wäre, so könnte eZ nicht verschlossen gewesen sein. Wäre er aber von hier aus in das Haus gedrungen, so hätte man ihn entweder noch drinnen finden müssen —" „Vielleicht haben wir ihn ja schon gefunden." „Sie meinen Herrn Claasen? Hm — ja — nein — e» ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er durchs Fenster in seine eigene Wohnung eingestiegen sein soll. Unmöglich freilich ist nichts — die Erfahrung habe ich in meiner langen Praxis oft gemacht. Ist er aber nicht der Mörder, so müßte dieser nach vollbrachter That sich nach der Straße zu aus der Wohnung entfernt haben, wobei er sich der Gefahr ausgesetzt hätte, von Jemandem beob achtet zu werden. Die Straße ist freilich Abends sehr einsam und ein vis-L-vis de» Thiergarten» wegen unmöglich." „Allerdings. Aber immerhin —" - „Nun, wir werden sehen." (Fo-.tsetinn, folgt.)
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