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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.12.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-19
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991219021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899121902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899121902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-12
- Tag1899-12-19
- Monat1899-12
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Und Herr Bebel beruft sich in der Alottensachc auf die Bedeutung de» WeihnachtSfesteS. „In den nächsten Tagen", so predigte er in der Etatsdebatte dem ReickStag, „tönt eS wieder von Millionen Glocken: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Und in denselben Tagen, wo sich die gläubige Christenheit auf dieses Fest vorbereitet, da sitzen Sie und berathen über eine neue Flottenvorlaze, über neue Zerstörungsmittel, Vernichtungsmittel für die Menschheit. Da» ist Ihr Christenthum." Sehr schön. Nur daß derselbe Herr Bebel in denselben Tagen seinen Namen unter das Schriftstück gesetzt hat, mit dem der deutsche social demokratische Parteivorstand die französischen Socialistcn zu der Commune mit Worten beglückwünscht hat, die darauf hinauslaufen: das im Frühjahr 1871 in der französischen Hauptstadt, die auch den deutschen So cialdemokraten als das „Herz der Welt" gilt, vergossene Blut „schmeckt nach mehr". Der Bergleichungspunct ist natürlich nur Herr Bebel, die deutschen Schutzbcstrebungen und jene Schlächterei haben nichts gemein. Deutschland will sich eine Flotte geben, um, so weit ihm möglich, Unfried- sertigen die Störung des Friedens zu verleiden. Daß sich das berühmte römische Wort nicht immer bewahr heitet, daß die Vorbereitung des Kriegs nicht absolut vor dem Kriege bewahrt, wissen wir. Aber wen» eine deutsche Flotte einmal nicht mehr durch ihr bloßes Dasein ihren Zweck erfüllen kann, daun werden deutsche Seekrieger gegen Krieger kämpfen, Wehrfähige gegen Wehrfähige, Bewaffnete gegen Bewaffnete in angesagter Fehde. Im Coininune- aufstande aber sind die ahnungslosen Opfer der Helden Bebel'S aus den Betten geholt worden, die Kugeln aus den Flinten der Föderirten haben waffenlose alte Officiere und greise Priester durchbohrt. Solche Schändung deS MenschlichkeitsgefühlS verherrlicht Herr Bebel in der Weihnachtszeit. DaS ist sein Christenthum. DaS Ideal der Kampfunfähigkeit, der „christliche" Abscheu gegen die Errichtung von Schutzwehren, ist aber nur ein deutsches socialistisches Ideal; — doch nein, das ist nicht richtig: das Ideal der deutschen Socialvemokraten ist nur die Entblößung Deutschlands von Waffen. Die französischen Socialisten drängen nicht selten zu Rüstungen Frankreichs und ihre deutschen Gesinnungsgenoffen schweigen dann immer wohlgefällig dazu. Selbstverständlich, weil die Sache Frankreichs die Sache der Civilisation ist. Herr Bebel mag auf seiner prächtigen, in einem für neutral erklärten Lande gelegenen Besitzung und Herr Singer mag im Bewußtsein seiner ererbten und mit bekannt ge wordener Energie gesteigerten Fähigkeit, sich Kriegsschrecken ohne Verzicht auf den gewohnten Comfort zu entziehen, wirklich so denken; ein etwaiger Irrthum wäre ja mit teinem persönlichen Risico für sie verbunden. Den an der Scholle haftenden deutschen Menschenkindern muß aber die Einbildung erlaubt bleiben, daß eS kein Sieg der Civilisation gewesen wäre, wenn im August 1870 TurkoS, Zuaven und vor Allem Nationalfranzosen hie Drohung des französischen Gesandten in Karlsruhe hätten wahr machen können und, was „Rückständige" müssen be streiten dürfen, daß eS „christlich" gewesen wäre, wenn die deutschen Staaten vor jenem Jahre nickt dafür gesorgt hätten, daß der beabsichtigte französische Spaziergang nach Berlin nickt von Statten gehen konnte. Herrn Aebel's im Reichstag bekanntes Christcnthum besteht eben einzig und allein in der Leugnung deü Rechtes Deutschlands, sich fremder Angriffe zu erwehren. Daß diese socialdemokralische Lehre auch ihre militärische Apologetik bat, ist bekannt. Soeben sucht sie im „Vorwärts" mit der Formel zu verblüffen: „Was nützt den Engländern (in Südafrika) ihre kolossale Flotte?" In derTbat niederschmetternd! Daß die angegriffenen Bocrenstaaten nicht eine Elle Seeküste besitzen und daß man mit Kriegsschiffen nicht landeinwärts manövriren kann, braucht ja der bebel- gläubige „Cbrist" so wenig zu wissen, wie der central afrikanische Neger vom Bonzen zu erfahren bekommt, daß sein Fetisch auS einer von einem galizischen Inden im Osten Londons betriebenen Fabrik stammt. Wenn auswärtige -Blätter die Auslassungen der Organe der Leiter deS Bundes der Landwirthc verfolgten, so müßten sie glauben, diese Herren hätten cü bereits Schwarz auf Weiß, daß ihnen nächstens nicht nur der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident, sondern auch noch einige Staatssekretäre und Minister geopfert werben würden. So ziemlich alle Chefs der NcichSämtcr und alle preußischen Minister sind in Ungnade bei Len Inspiratoren der „Deutschen Tagesztg." gefallen und werden giftig vou ihr angefallen. Zuletzt hat der preußische Minister für öffent liche Arbeiten Thielen bei ihnen angestoßen, indem er cS am Donnerstag im Reichstage gewagt bat, u. A. zu sagen: „Meine Herren, ich werde immer bestrebt sein und halte das für eine Pflicht der preußischen Verkehrspolitik, der Landwirts). schäft in ihren schweren Zeiten beizustehen, soweit es irgend möglich ist; aber ich kann nur wiederholen, sie möge nicht vergessen, daß sie aus diesem Erdenrund nicht allein steht, sondern Laß auch andere berechtigte wirthschaftliche Interessen dabei berücksichtigt werden müssen." Unseres Wissens stehAr auf dem Staudpuncte, den Herr Thielen mit diesen Worten bezeichnet hat, alle deutschen Regierungen und jedenfalls würde kein Industrieller, kein Kaufmann, kein Arzt, kein Jurist etwas dagegen einzuwenden haben, wenn ihm als Antwort auf eine sehr hochgespannte Forderung der Rath ertheilt würde, seine Interessen nicht für die allein berechtigten zu halten. Herr Thielen aber muß sich wegen dieser Worte von der „Deutschen Tagesztg." folgendermaßen anhauchen lassen: „Wir haben ja in den letzten Jahren manches seltsame Wort vom Minislertische hören müssen; daß aber ein königl. preußischer Minister den Landwirthen in Bausch und Bogen Len gröblichsten EgoiSmus.diehäßlichsteSelbstsucht vorwirft, das ist ganz un erhört. Die Landwirthe, die jetzt wieder unter dem Preisdruck empfindlich leiden, deren Klagen meist uu gehört verhallen, sollen nach des Herrn Ministers Meinung glauben, allein in der Welt zu sein! Und waS hat Len Herrn Minister zu diesem Bor wurfe veranlaßt? Nichts anderes als der Wunsch der Landwirthe, daß der deutsche Zucker auf preußischen Bahnen ebenso billig ge- fahren werde wie der russische. Dieser Wunsch, den ein naiver Mensch für selbstverständlich erachten könnte, hat einen preußischen Minister so in Harnisch gebracht, daß er die Landwirthe der gröb- lichsten Selbstsucht bezichtigen zu dürfen glaubt. Selbstverständ lich wird man mit dem Minister Thielen im Abgeord« netenhause noch ein kräftiges Wörtlein reden müssen." Dieses Auftreten bat aber nicht nur eine ernste, sondern auch eine heitere Seite. Die „Deutsche Tagesztg." führt nämlich eine selche Sprache nicht, weil sie bereits Herrn Tdielen als reif zur Ersetzung durch einen Bündler der schärfsten Tonart ansieht, sondern weil sie glaubt, durch diese Sprache eine ihr genehme Persönlichkeit an die Spitze deö preußischen Arbeitsministeriums bringen zu können. Als ob jemals ein preußischer König daran denken könnte, an die Spitze dieses Ministeriums einen Mann zu stellen, von dem auzuuehmen wäre, daß er den landwirthschaftlicken Interessen alle anderen opfern würde! Wir hoffen daher, baß, wenn demnächst im preußischen Abgeordnetenhaus« Herr Di. Habn oder einer der Mitregenten deS Bundes ein „kräftiges Wörtlein" zu Herrn Thielen spricht, eine kräftige Antwort von der Stelle nicht auöbleibt, deren Aufgabe eS ist, die Gerechtigkeitsliebe der preußischen Staatsregierung vor Zweifeln zu schützen. Aus Mexico, 25. November, schreibt man unS: Sowohl in Len Vereinigten Staaten wie in Mexico dauern die Er wägungen und Studien über den zu erbauenden tntcr- ozräntschcn Eontinent-Cnnal fort, waS zum Mindesten be weist, daß bis heute noch kein Projekt für spruchreif erklärt wurde; alle in dieser Beziehung gemeldeten Berichte über definitiv gefaßte Beschlüsse sind verfrüht. Vom 13. No vember wird auS Kingston (Jamaica) depesckirt, daß dort das uordamerikanische Kanonenboot „Scorpion" mit einer Commission eintraf, die den Auftrag hat, neuerdings die Canalroute zwischen der Caledonia Bay und dem Golfs vou San Miguel zu studiren. Dieselbe ist im Gebiete der Republik Columbien gelegen, und Manchem mag erinnerlich sein, Laß sie ursprünglich zur Anlage des Canals auSerschcn war, bis auf Lcssepü' Vorschlag jener Plan aufgegcben wurde nnd der Bau deS Panama- Canals an seiner heutigen Stelle begonnen wurde. Vor einiger Zeit wurde durch den mericanischen Civil- ingenieur Sarto folgendes neue Canalproject in Vor schlag gebracht. Sarto will unter Benutzung deS am Fuße der Halbinsel Yucatan bei Frontera in den Golf vou Mexico mündenden wasserreichen FluffeS Grijalva und seiner bedeutenden Nebenflüsse einen Canal Herstellen, dessen schließliche Verlängerung bis an den Pacific durch die künstlich berzustelleude Wasserstraße allerdings relativ kurz ist. AlS Endpunct des CanaleS an der Westküste ist der kleine Hafen ort Toualü in Aussicht genommen. Das Project „Ll 6anal luxpanico'' genannt, wurde der Mexikanischen Gesellschaft für Geographie und Statistik zur Erwägung übergeben, und von ihr einer Commission zur fachmännischen Prüfung über wiesen. Der Bericht dieser Commission liegt nunmehr vor und wie verlautet, ist er für daS Prozect ungünstig ausgefallen, da die Anlagekosten zu hoch sein würden. Ei» nach dem Vorschläge deS Herrn Sarto an jener Stelle zu erbauender Canal müßte durch Anlage zahlreicher und großer Schleusen streckenweise bis ans ca. 800 m über den Meeresspiegel ge führt, und dort durch ein Wasser-Reservoir gespeist werden, welches 2365 Millionen Kubikmeter Wasser hallen, also etwa 48 km Umfang haben und entsprechende Anlagekosten ver ursachen müßte. Somit bleibt die central-amerikanische Canalfrage bis auf Weiteres unverändert eine offene. Der Krieg in Südafrika. -L>. Die am Sonnabend in London abgehaltene Sitzung deS nationalen VerlbeidigungScomitsS bat Beschlüsse gefaßt, welche darauf hinauSlaufen, daß der Krieg unter neuer Leitung ganz neu begonnen werden soll. Durch die Ernennung deS Lord Roberts von Kandahar zum Oberstcommandlrendea, Lord Kilchener'S von Khartum zum Generalstabschef desselben wird General Buller in Wirklichkeit als Oberst es mm anbirender abgesetzt. Lord Roberts von Kaudabar ist 67 Jahre alt. Sein Name ist äußerst populär und mau bofft, seine Gegenwart in Südafrika werde Len Truppen Muth einflößen. Lord Roberts wurde am Sonnabend telegra phisch nach London berufen und gestern nabm er die Er nennung zum Oberbefehlshaber an. Ein Sohn von ihm, Leutnant Roberts, erhielt am Freitag bei Colenso eine tödt- liche Schußwunde, als er unter Entfaltung größter Tapferkeit eines der im Stich gelassenen Geschütze zu retten versuchte. Man weiß, wie der „Frkf. Ztg." auS London berichtet wird, raß Lord Kitckener sckon lange vor Beginn des Feldzuges in Südafrika nach dem Oberkommando in Südafrika strebte. An hoher Stelle soll man damals gesagt haben: „Wir können unmöglich Lord Kitchener nach Südafrika schicken, der setzt unS in die größte Verlegenheit unv bringt unS Krügers Kopf." (Eine Anspielung auf die im Sudan begangenen Grausamkeiten.) Man glaubt, Laß der Einfluß deS Aus wärtigen Amtes nun Kitchener die Ernennung zum General- stabSchef verschafft habe. Ob der Wechsel in den obersten Commandostellen den Engländern zum Nutzen gereichen wird, ist noch sehr zu be zweifeln. Lorv Roberts war früher Oberbefehlshaber der englischen Streitkräfte in Indien, aber waS er vor Buller voraus haben soll, weiß kein Mensch. Indien ist nicht Süd afrika und die Boeren sind keine Afridis. Kilchener'S Er fahrungen beschränken sich lediglich auf die Belämpfuug der zwar fanatisch-tapferen, aber unbrsciplinirten und mangelhaft bewaffneten Araber. Jedenfalls ist die englische Regierung entschlossen den Kampf bis zum Aenßerften fortzusetzen, unv Chamberlain ist anscheinend um den AuSzang deS blutigen Dramas nicht besorgt. England, sagte er gestern in Dublin als neu ge backener Doctor „der Rechte" (!), habe größeres Miß geschick im Krimkriege und während deS indischen Aufstandes ertragen, unv er zweifle nicht. Laß die Nation jetzt wie damals wieder auf die Füße springen werde. Dazu sollen nun die neuerlichen Truppenaufgebote dienen, über die daS Londoner KriegSamt auffallend ge sprächig ist, offenbar um dem Land, vor Allem aber der Capcolonie wieder Muth einzuflösen. Heute liegen hierüber folgende Mittheilungen vor: * London, 18. December. Die Abendblätter melden, daß tausend Freiwillige au» dem ganzen Lande der Regierung ihre Dienste angeboten haben. * Loudon, 18. December. Bon Bataillonen verschiedener Landes- theile erboiea sich Freiwillige, in den ausländischen Dienst zu treten. FarrrHeton. 4j Eine Kordlandgeschichte. Von v. Paul Kaiser. (Nachdruck verboten.) Da halbe sich der Vater mit 'dem Rennthierlasso versehen, und nun war's endlich gelungen, dem Flüchtling die Schlinge umzu werfen. Jetzt brachten sie ihn zur heiligen Taufbestätigung Eine eigene Jllustrirung des Taufrvangeliums: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!" Es wurde auch ein Kindlein herzu getragen, erst wenig« Monat« alt. Das brachte die Mütter sammt der Wiege, in der es lag. Die Wiege ist ein«r kleinen Mulde ähnlich; darüber waren Bänder gespannt. So lag das Kind wie in sanften Fesseln und tonnte nicht herausfallen. An einem Tragbande wurde di« Wiege von der Mutter über die Achsel gehängt. Nun aber wurde das schlummernde Kindlein zur Tauf- haMung herausgehoben. Aber es war damit auch keineswegs zufrieden und begann seine kleine Stimme schon ganz kräftig aufzuheben. Die Mutter war dessen gar nicht froh und schien das wie ein schlimmes Vorzeichen anzusehen. Aber der Pfarrer sagte: „Laßt nur das Kind; es will in seiner kindlichen Weise zeigen, daß es kheilnimmt, Ihr braucht nicht zu denken, es thäte damit etwas Schlechtes. Wer weiß, wie wir es gemacht haben, al» man uns so zur Taufe trug! Dem Herrn Christus ist das Kindlein gerade so lieb. Denn er verlangt heute noch nichts von ihm. Laßt es zu ihm kommen, wie es ist!" Da waren die Leute beruhigt und hörten, was der Geistliche sagte, und nicht mchr, wie der kleine Lappe schrie. Dann aber nach der feierlichen Handlung trug die Mutter das Kind in seinem Wieglein etwas abseits, setzte die Wiege hin, kniet« davor hin und neigte sich über das Kind. Die Vorübergehenden sahen nicht viel mehr als eine kauernde Gestalt. Das Kind aber war jetzt ganz still geworden. Es erhielt so sein Bißlün Nahrung aus der Brust seiner Mutter. Es hatte sicherlich Beides nach der Kraft anstrengung, Hunger und Durst. Der Pfarrer war in diesen Tagen ein sehr beschäftigter Herr. Er hielt auch Unterredung mit Jungen und Alten und fanv viel Aufmerksamkeit und Verständniß. Auch die biblischen Kennt nisse der Leute konnte» ihn, wenn man an den geringen, oft unterbrochenen Unterricht Lenkt, wohl befriedigen. Als er im Beginn die Frage aufwarf, wo das Paradies wohl gelegen habe, meinte rin etwa vierzehnjähriges Mägdlein nachdenklich, in Lapp land könne es nicht gewesen sein, weil da kein Apfelbaum wüchse. Ein:: unter den Burschen aber glaubte das Richtige zu treffen und sagte, das Paradies wär« Kanaan gewesen, nun aber seien die Juden hinausgejagt; denn sie hätten den Heiland gekreuzigt. Da hatte der geistliche Examinator Manches richtig zu stellen. Auf die Mahnung des Geistlichen, man möge auch ihn über Dies und Das befragen, es werde ihm Freude machen, Auskunft zu geben, wurde die Frage an ihn gerichtet, warum denn Gott, der doch die Liebe selber wäre, so viele Plagen zulasse und so viele lästige Thiere, z. B. die Mücken, geschaffen habe. Da sagte der Pfarrer: „Damit die Menschen sich nickst, überheben, weil es ihnen zu wohl geht. Damit sie über der armen Erde nnd ihrer Plage und Sorge den Himmel nicht vergessen." Besonders aber fand er recht zustimmende Mienen und Blicke, als er vom siebenten Gebot redete, und von falscher Waare und betrügerischem Handel sprach. Da sah man ein zorniges Leuchten in manchem Auge. Und als der geistliche Herr nach einem Manne fragte, welcher falschen Handel (er dachte an ein biblisches Beispiel, etwa an den ungerechten Haushalter), ge trieben habe, da sagte ein Lappmann: „Fhndig." Aber der Geistliche mdinte, das dürfe man nicht sagen. Im Herzen gab er jedoch dem Manne Recht und sprach: „Freilich, ihr lieben Freunde, um Leute zu treffen, di« mit unrechtem Handel und falscher Waare ihre Mitmenschen betrügen, brauchen wir nicht btos zurückzugchen in biblische Zeiten und Länder. Solch« Leut« gstbt es leider Gottes auch in Schweden und Lappland." Da ging ein Murmeln zum Zeichen der Zustimmung durch die Versammlung der ehrlichen Lappen. Auch auf das dritte Hauptstück des kleinen Katechismus Luther's ging der Pfarrer ein. Er fragte zuletzt, welch: unter den sieden Bitten des heiligen Vaterunsers besonders wichtig erscheine. Anders Mäntenson's Antwort lautete, das werde die vierte Piite sein: „Unser täglich Brod girb uns heute." Denn wenn ein Mensch nicht das tägliche Brod habe, könne er gar nicht leben. Das Leben sei das Nöthigst«. Aber der Pfarrer sprach' „Der Mensch lebt nicht vom Brod allein. Es wird einmal eine Zeit kommen", setzte er hinzu, „da uns das tägliche Brod gar nicht mehr nützen und schmecken wird, wenn wir es auch sebr reichlich hätten, nämlich wenn wir krank werden und sttrben. Die wichtigst« Bitte sei (wenn sie auch alle sieden sehr wichtig unv nvthig seien) doch die zweit«: „Dein Reich komme". So ging Reve und Antwort noch über eine Stunde hin urid her. Es kamen noch einige Lappen an, die um das Sylfjäll*) *) Fjäll ist Schneegebirge, Alpenberg. und die Helagsberge herum sich aufzuhalten pflegten und am Kaltsee. Sie saßen in mehreren muldenähnlichen Schlitten, die von Rennthirren gezogen und in seltsamer Weise mit einander verbunden waren. Das Zugthier des zweiten war hinten an den ersten Schlitten gebunden, das des dritten an den zweiten und so fort. Die Thiere waren so vorn und hinten angeschirrt, und auch das letzte der sechs so verbundenen Gefährt« hatte ei» Rennthier, das selbst ohne Schlitten ging. Das nennen sie einen Raido. Man sah deutlich, daß die Schlitten auf diese Weise sich geradliniger bewegten, einem Eisenbahnzuge ähnlich, und durch das wellige Terrain nicht so vielen Schwankungen nach rechts und links ausgesetzt waren. Auch das letzte Thier hatte die Aufgabe, diese seitliche Bewegung deä niedrigen Schlittens zu regeln. Ein junger Mann, der Anta genannt wurde, Anta Torkels- son, war besonders geschäftig, die Kommenden zu begrüßen und sein „Willkommen" Allen zuzurufen. Er half mit einigen Anderen die Rennthiere abspannen und die Schlitten neben und über einander schichten. Jetzt aber leuchtete Anta Torkelsson's Antlitz noch freund licher. Es kam ein Schlitten an, dessen Insasse ihm besonders befreundet zu sein schien. Er war mit einem Pferd: bespannt. Schon ehe der Schlitten hielt, rief Anta mit lauter Stimme dem neuen Ankömmling entgegen: „Willkommen, Nils! Gut, daß Du endlich kommst. Seit drei Tagen habe ich jede Stunde nach Dir ausgeschaut. Aber wo ist Karl und Dein Vater, Erik, und bringst Du Jakko nicht mit?" Das waren viel Fragen, die sich nicht mit einem Male be antworten ließen. Nils Ersson war kein Lappe, er hatte ein kleines Bauerngut in Härjevalen, wo Anta Torkelsson ausgewachsen war. Er hatte das Gut noch nicht lange selbstständig; 'denn sein Vater Erik Nilsson hatte eS bis vor Kurzem bewirthschaftet. Aber dieser war nun alt und kränklich und hatte sich zur Ruhe gesetzt. „Mein Vater kann nicht kommen, bester Anta", antwortete Nils, „aber tausend Grüße soll ich Dir bringen. Und Bruder Karl, ich dachte, das wüßtest Du, ist fort, weit fort, aus gewandert." Ueber Anta's Gesicht lief «in trüber Schatten. „Aus- gcwandert", wiederholte er. „Nach Amerika?" „Nach Amerika", bestätigte Nils. „Er will in der neuen Welt ein besseres Glück suchen, als sich hier zu Lande in diesen bösen Zeiten finden läßt." Nils sprach das Alles mit einer Stimme, der man es an hören konnte, daß ihm jedes Wort schwer wurde. Hatte er doch auch bei Uebernahmk des kleinen Gutes seinem Bruder eine Abschlagssumme herauszahlen müssen. Wenn nur die Erträg nisse danach wären! Aber eS war jetzt nicht Zeit und Ort, darauf einzugehen. Anta war seinem Jugendfreunde behilflich, das Pferd abzu schirren, und seine nächste Frag« dabei war: „Und wo ist Jakko?" „Wenn ich das Dir sagen könnte, Anta, Jakko ist auch fort, zwar nicht in Amerika, sondern in Lappland, aber Lappland ist auch groß." Anta's Antlitz sah wieder sehr verwundert aus. „Er diente doch bei Tolje." Anta war dabei, dem Pferde vier kleine Breiter abzunehmen, die ihm unter die Hufe gesetzt waren, die „Trygor", welche das tiefe Einsinken der Füße in den Schnee verhindern und dem Thiere zu besserem Laufe verhelfen sollen. Dabei hielt Anta jetzt mitten inne. „Auch Tolje weiß nichts von seinem Knecht und Hausfreund", antwortete Nils. „Seit einem ganzen Jahre weiß er nichts." Anta Torkelsson war in Härjedalen geboren, und oft waren Erik Nilsson's Söhne, Nils und Karl, sein« Spielkameraden ge wesen. Der dritte seiner Jugendfreunde aber war Jakko, der zwar ein Lappjunge war, aber von dem freundlichen Erik Nils fon ausgenommen worden war. Das war ein« so schön« Zeit gewesen. Mit Jakko hatte Anta stets lappisch gesprochen. Nun stand Anta vor der Begründung seines ehelichen Glückes. Er war vor Jahren aus Härjedalen wegqezogen. hatte in Jämtland einen Dienst gefunden und Rennthiere jährlich zum Lohn bekommen. Da hatte er sich auch ein« Braut erkoren. Wie herrlich würde das sein, wenn die Jugendfreund« zur Hochzeit kämen! Er hatte geschrieben, sie müßten kommen, Alle kommen. Morgen sollte der Tag sein. Der Psarrrr hatte sie bereits im Kirchort drei Mal aufgeboten, wie sie es vor mehreren Wochen bestellt hatten. War doch schon ihre Verlobung, ihr „Treuqelübde" ins Kirchenbuch eingeschrieben. Morgen sollte der Geistliche «sie vor den Freunden und Zeugen zusammengecken. Schon mehrere Tage war Anta lächelnd umhergegangen, wenn er an die Ankunft der Jugendfreunde und des Vater Erik dachte. Nun war Nils allein gekommen. Am Tage darauf war der kleine, capellenartige Raum schon lange vor Beginn des Gottesdienstes gefüllt. Die Trauung Anta Torkelsson's sollte, wie das dort gebräuchlich ist, mit einem allgemeinen Gottesdienst verbunden werden und vor dem ganzen lappischen Theik der Gemeinde, soweit er zngogen war, geschehen.
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