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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 02.04.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-02
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189704025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18970402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18970402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-02
- Monat1897-04
- Jahr1897
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 02.04.1897
- Autor
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84 .Mich zu warnen!" rüst Prinzeßchen, bei dieser Be schimpfung ihren Muth »iedergewinnend. „Jawohl," ist die ruhige Entgegnung. »Wenn Sie sich noch einmal zwischen mich »nd Deni- drängen, so werde ich Jedermann hier bekannt mach«, mit dem, wat ich gestern Abend sah, da» erkläre ich Ihnen hierdurch mit aller Be stimmtheit." „Niemand hier würde Ihr« Darstellung der Sache glaube» — Niemand!" sagt Nora leidenschaftlich. „Dennoch schaden solche Geschichten," meint Fräulein Eazalet mit bösem Lächeln. „Und ich glaub« kaum, daß e» Ihnen lieb sein würde, wenn ich da» Experiment anstellte." Prinzeßchen macht eine leise Bewegung mit ihrer kleinen, zitternden Hand; sie kann nicht sprechen. O, daß sie von diesem schrecklichen Weib« hinweg könnte, gleichviel wohin, nur fort! „Sie verstehen also," beginnt Fräulein Eazalet wieder. „Sie haben keinen Grund, so zu mir zu reden," unter bricht Prinzeßchen sie mit der höchsten Anstrengung, ruhig zu erscheinen. „Denis ist mir nicht» — nicht» - und ich be deute ihm noch weniger. Sie mißverstehen die Dinge." - „Und gestern Abend? Mißverstand ich da auch?" „Denis war zu tadel», da» gebe ich zu. Ich sagte ihn, da» soeben." Ihr thörichter, großmüthiger Wunsch, ihn ein wenig zu entschuldigen, läßt sie nach kurzem Zögern hinzu füg«,: „Aber sie sollten eingedenk sein, daß es nur die Thor- heit eine» Augenblicks, eine momentane Versuchung war, der er nachgab." „Waren Sie die Versuchung?" fragt Fräulein Eazalet mit kurzem Lachen, und ihre eisige Ruhe wandelt sich zu plötzlicher Leidenschaft. „Hören Sie mich, ein für alle Mal; denken Sie nicht, daß Gie mich je betrügen könnten. Täuschen Sie die Anderen so viel Sie wollen, aber hoffen Sie nicht, es bei mir thun zu können. Vom ersten Augenblick an habe ich Gie durchschaut. Wie Sie anscheinend Dent» mieden, wie Eie sorgfältig eine gewisse Kälte gegen ihn zeigten, wie Sie klug Ihre kleine Rolle muthwilliger Verachtung ihm gegenüber spielten; Alle» ist mir vollkommen klar gewesen, und darunter — wa»? Denken Sie, ich könnte nicht in ihren Augen lesen? In solchen Augen!" ruft sie mit einem Ausbruch bitteren Haffe». „Dieselben verkünden klar und deutlich, was Sie nicht in Worte zu soffen wagen. Sie werben heimlich um den Mann, der in Ehren einer Anderen gehört; sie sagen so schamlose Dinge, daß selbst Sie davor zurückschrecken, dieselben au»zusprrchen. Denken Sie, daß, nachdem ich Sie täglich, stündlich beobachtet habe, ich nicht Ihr Geheimniß in diesen Ihren Augen gelesen hätte? Ja, weichen Sie zurück von mir so viel Sie wollen; Sie sollen hören, wa» ich gesehen habe — daß Sie — ihn lieben." - Nora streckt die Hand au», al» wolle sie einen Schlag abwehren. „Ha, läßt Sie da» erzittern? Trifft Sie da»? Ich bin froh darüber. Nun gehen Sie — und erinnern Sie sich wohl." Die Unverschämtheit dieser Entlassung erweckt in Prin- zeßchen ein Gefühl höchster Empörung, und athemlos, kindlich vielleicht, aber mit dem Ausdruck tiefster Verachtung, der das hochmüthige Weib vor ihr nicht unberührt läßt, sagt sie: „Ich werde mich Ihrer erinnern — für immer, al» der unge zogensten Person, der i t? je begegnet bin." * » * Matt und müde durch die Vermehrung de» geheimen Leidens, welche» sie beständig trägt, und niedergedrückt durch rin Gefühl bitterer Demüthigung, ist e» kein vorgebliche» Kopf weh, welche» Prinzeßchen al» Grund für die Unmöglichkeit anführt, die Anderen nach Elontree zu begleiten, woselbst sie einer von de» Offizieren der dortigen Garnison veranstalteten Theateraufführung beiwohnen wollen. „WaS hat Katharine Ihnen gethan?" fragt Fräulein Blake scharfsichtig mit einem forschenden Blick auf die kleine blaffe Nora, die müde in einem großen Lehnstuhl der Bib liothek sitzt, wo sie Alle der Abfahrt gewärtig versammelt sind. „Katharine! Warum meinen Sie das?" entgegnet Prinzeßchen, dunkelroth werdend. „Ich bin nicht wohl; mein Kopf schmerzt; aber —" „Schon gut; ich will Ihnen den Rest erlösten; das Lügen ist nicht ihre starke Seite," unterbricht sie Fräulein Blake mit weisem Kopfschütteln. „Ich kann warten und morgen Alles aus Ihnen herausbringen." Sie wendet sich ein wenig ärgerlich ab, um Madame Delaney Platz zu machen, die sich mit besorgter Miene zu Nora hinunter neigt und zärtlich fragt: „Ich hoffe, Du wirst Dich nicht einsam fühlen, Herzchen?" „O nein," lächelt sie. „Ich bin zu müde, um irgend etwas zu fühlen." „Der Wagen wartet, Tante," mahnt Fräulein Eazalet in gemessenem Tone, in einem auserlesenen Gewände aus Schwarz und Gold zu ihnen heranschwebend. „Sehr wohl, meine Liebe," entgegnet Madame kalt. „Nun, Nora," wendet sie sich wieder mit mütterlich zärtlichem Blick zu ihrer anderen Nichte, „nicht wahr, Du versprichst mir, Dich sogleich zu Bett zu legen?" „Gern, Tantchen. Ich wollte, ich wäre schon im Bett." Madame lacht heiter und meint vertraulich: „Um Dir eine schreckliche Wahrheit zu gestehen, ich wollte auch, ich läge schon in dem meinen." Sie küßt das Mädchen zärtlich, und bald darauf haben sie Alle das Zimmer verlosten. Ein schwaches ferne» Lachen noch — das war Nancy — und jetzt ist selbst da» Rollen der Wagen verhallt. Tiefe Einsamkeit liegt über dem Hause, es scheint fast, als ob auch die Dienstboten sie verlassen hätten. Gewiß liegt kein Grund vor, noch aufzubleiben, und doch kann Nora, un geachtet ihres Madame so bereitwillig gegebenen Versprechen», sich nicht dazu entschließen, zu Bett zu gehen. Eine gewisse Ruhelosigkeit hat sie ergriffen und, von ihrem Stuhl aus stehend, wandert sie ziellos In der Bibliothek umher, hier ein Buch in die Hand nehmend, dort einige seltene Kupferstiche durchblätternd, jetzt das schon hell lodernde Feuer ausrührend, aber Alles gleichgültig und theilnahmlos. Eine der Dienerinnen bringt ihr eine Tasse Thee, die sie gern entgegennimmt, aber nachher zu trinken vergißt. Und danach kommt Niemand mehr, ihre Einsamkeit zu stören, was vielleicht das Schlimmste für sie ist. So ganz und gar ihren Gedanken überlasten, richten dieselben sich wieder mit der unglücklichsten Beharrlichkeit auf die Ereignisse des Tages und des vorige» Abends, Alles mit den schwärzesten Farben malend, bis sie zuletzt auf einen niedrigen Divan sinkt und in bitteres Weinen ausbricht. Dann fällt ihr müder Kopf schwer auf das weiche Kisten des Lagers und ruht da mit einem angenehmen Ge fühl der Erleichterung; nach einem Weilchen zieht sie halb unbewußt auch die Füße empor auf dies willkommene Polster, und daS Empfinden der Beruhigung wandelt sich zu tiefstem Frieden — sie ist fest eingeschlafen. Einundzwanzigste» Kapitel. Es ist eine dunkle, regnerische und stürmische Nacht. Der leise Widerhall der Brandung wird gleich fernem Ge- — 85 Witterrollen durch die Gewalt de» Winde- von der Küste her weit über daS Land geführt. Ab und zu bricht der Mond durch die Finsterniß, aber meist bleibt er verborgen hinter dem schwarzen Mantel dicker, schwerer Wolken, die sich über den ganzen Horizont breiten. Hier und da schimmert bisweilen ein Stern durch die Dunkel heit, aber ein gewisserer Lichtstrahl kommt vom Leuchtthurm her, dessen Lampe einen Augenblick in vollem Feuer erstrahlt, um zwar im nächsten zu verschwinden, aber gleich daraus wieder ebenso sicher aufzuflammen. Dem einsamen Reiter gewährt die» Leuchtfeuer Beruhigung, weil eS ihm ein Beweis ist von der Nähe seines Hauses. Sein Weg ist schmal, auf beiden Seiten von dichten Massen gelben Ginsters eingefaßt, besten Blüthen trotz der vorgerückten Jahre»zeit noch goldig glänzen. Delaney athmet mit Behagen ihren Wohlgeruch ein und versucht die traurigen Gedanken abzuschütteln, welche ihn aus seinem vier Wegstunden langen Ritt begleitet haben, Gedanken, nicht frei von Selbstverachtung, denn hatte er nicht erklärt, vor morgen nicht nach Ventry zu rückkehren zu wollen? Es war dies seine feste Absicht gewesen, aber leider im Laufe des Tages nicht geblieben. Er fand es unmöglich, so lange fern von ihr zu weilen; er mußte zurückkommen, um sie zu sehen, und er mußte von Neuem um die Ver zeihung bitten, welche sie so grausam verweigert hatte. Er war fest überzeugt, daß er hätte fern bleiben können, wenn er ihre Vergebung gehabt; aber nun sah er immer das blasse, schmerzerfüllte, grollende Gesicht vor sich, und die» ließ ihm keine Ruhe. ES war Wahnsinn, gewiß, aber sie zog ihn zu sich mit einer Gewalt, der er nicht widerstehen konnte. Zu der späten Stunde, in welcher dieser Wunsch über mächtig in ihm geworden, ging kein Zug mehr, daher borgte er ein Pferd von seinem Wirth, dringende Geschäfte vor schützend, und begab sich auf seinen langen Ritt nach Ventry mit einer fieberischen Ungeduld, die ihn gegen Kälte, Regen und Ermüdung unempfindlich machte. Nun zuletzt, da der Meilen weniger werden, gesteht er sich, daß er ermüdet ist; zwei schlaflose Nächte machen sich den meisten Menschen fühlbar, auch den glücklichen; aber wem ein tiefer Schmerz am Herzen nagt, dem ist der Verlust jener köstlichen Stunden des Vergessens zuweilen schwerer al» der Tod selbst. Alle- tritt ihm mit erschreckender Lebendigkeit wieder vor die Seele, als er so einsam dahin reitet, Alles, waS auf sein Verhältniß mit Katharine Eazalet Bezug hat. Seine erste Begegnung mit Ihr vor Jahren, da sie als Waise in daS Haus ihrer Tante kam, um dort zu bleiben, bis sie mündig wäre. Er erinnert sich jetzt mit Verwunderung, wie reizend er sie damals fand, die- große, schlanke Mädchen voll hohen SelbstbewußtseinS, er selbst noch so sehr jung, nur ein oder zwei Jahre älter al» sie. Dazu kam da» verwandtschaftliche Verhältniß, welches sie näher zu einander führte, und das ganz natürliche Gefühl geschmeichelter Eitelkeit seinerseits, als es ihm klar wurde, daß sie zu ihm allein warm und zärtlich war, währeüd sie allen Anderen gegenüber kalt blieb. So wurden sie denn nach einiger Zeit als künftiges Brautpaar betrachtet, ohne daß er hätte angeben können, wie eS eigent lich so gekommen und warum Jedermann seiner Verlobung mit einer gewißen Bestimmtheit entgegen sah. Eine Heirath mit seiner Cousine war, wie er plötzlich fand, schon längst der Gegenstand ausführlicher Besprechungen bei allen Be kannten und Freunden, denen sie al» daS natürliche Ende einer so langen Freundschaft erschien. Und so wurde die Verlobung schnell veröffentlicht mit ei. er Eile, die ihn damals einigermaßen in Erstaunen gesetzt hatte. So war denn Alle- geordnet, und dann — kam Nora! Ach! Das Leben, wie ermüdend, welch eine Last! So viel Arbeit des Geistes, so wenig Ruhe. Wenig? Keine, scheint eS ihm. Was für ein Blitz das war — so weiß, s» grell, und doch kein Donner! Es ist starke Aussicht auf Regen für den nächsten Tag, nach diesen tief hängenden Wolken zu urtheilen. Delaney beachtet indesten kaum das nahende Gewitter; in höchster Abspannung reitet er seines Weges dahin, sich nicht» bewußt als deS einen Wunsches, Nora wiederzusehen. Da bricht der Mond wieder durch die Wolken — wie klar, wie deutlich sein Licht alle Dinge erkennen läßt. Seiner überspannten Einbildungskraft erscheint es, als ob ein über natürlicher Glanz die düstere Erde erleuchtete, und er meint mit Bestimmtheit zu bemerken, daß etwas neben ihm herläuft. Aber was? Er blickt unwillkürlich nieder und — er lacht beinahe laut über den phantastischen Streich, den ihm seine Augen spielen — aber — ist das nicht ein kleines Kind, daS sich an seinem Steigbügel festhält? Ein kleines todtes Kind mit leichenblassem, zu ihm cmporgerichteten Gesicht und großen, nicht- sehenden Augen! Der Mond ist wieder verschwunden, aber Delaney hat die kleine Gestalt gesehen und weiß gewiß, daß sie da nebm ihm herläuft, mit den kleinen, steifen Fingern das Leder de» Steigbügels umklammert hält und das todte Gesichtchen zu ihm emporrichtet. Jetzt endlich erreicht er die Thore von Ventry und reitet die lange Allee hinunter — da packt ihn plötzlich eine schreck liche Gewißheit, die Gewißheit, daß das traurige Todtengesicht die Züge Nora's zeigt — Nora! Welcher Wahnsinn! Aber dieser fürchterliche Gedanke verfolgt ihn nach den Stall hin, wo er absteigt und unter dem Eindruck dieser wilden Phan tasie wirklich in der Dunkelheit die Seite des Sattels betastet, wo die kleine steife Hand sich festhielt — natürlich ohne dort irgend etwas zu finden. Er athmet jetzt freier. Das ganze war lächerlich, sagt er sich, während er einem schläfrigen Stallburschen die Zügel hinwirft. Und dennoch war eS wie ein Vorgefühl — eine Vorempfindung des Todes. Aber des Tode» von wem? Eine grausige Furcht durchbebt ihn. Ja, jetzt weiß er eS gewiß, das Gesicht glich Nora. Durch eine Seitenthür, zu welcher er den Schlüffe! bei sich trägt, ins HauS tretend, steigt er leise die Treppe hinauf, welche in die Halle führt. Wenn Nora etwas zugestoßen wäre! Vielleicht jetzt eben, wo er müßig hier steht. O, um gäbe er um die Gewißheit, daß sie sicher bei den Anderen in Elontree ist! Er hat die Thür der Bibliothek geöffnet und sieht sich gleichgültig um; aber dann zuckt er plötzlich krampf haft zusammen. Was liegt da drüben? Nora's lebloser Körper — die Verwirklichung seiner Furcht und Ahnungen — eS scheint ihm fast, als müsse eS so sein, so tief, so todtcsbleich ist ihre Ruhe. — Aber eine Sekunde später durchdringt ihn ein beseligender Schauer der Erleichterung: sie schläft nur, und vor dieser gesegneten Ge wißheit verschwindet all seine Ermüdung, der ganze seltsame Druck in seinem Gehirn, der ihn beunruhigte, und eine wonnige Freude erfüllt seine Seele. Sich über sie beugend, horcht er auf da» leise Athmen, wie eS über ihre geöffneten Lippen geht, unregelmäßig, ab und zu von einem schwachen Seufzen unterbrochen, und auch die Spuren von vergossenen Thränen an den langen seidenen Augenwimpern entgehen ihm nicht.
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