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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189404277
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18940427
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18940427
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-04
- Tag1894-04-27
- Monat1894-04
- Jahr1894
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1894
- Autor
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verwickelte, in den ich mich gelmllt hatte. Mit wenig Schrit ten war ich im Flur, aber meine Gedanken waren weit schnel ler als ich; ich sah ein, daß es aus war mit der ersehnten Nachtruhe, deren ich so sehr bedurfte, ich mußte wieder hinaus in Sturm und Regen, trotz der vorgerückten Stunde. Jetzt stand ich dem unwillkommenen Ruhestörer gegen über. Er war ein junger Mann, ein Neuling im Dienst. Er hatte ein offenes Gesicht mit ein paar Hellen, klugen Augen. In seinem Ausdruck, seiner Haltung, in jeder Bewegung, die er machte, spiegelte sich eine nervöse Ungeduld ab. Er war jugendlich an Jahren und jugendlich im Dienst, d. h. noch viel zu heftig, zu wenig vorsichtig. Man sah ihm an, daß er Karriere machen wollte, gleichviel um welchen Preis! Und da er der Adjutant des Chefs und auch sein Günstling war, so ward es ihm nicht schwer, sich bemerkbar zu machen. Er schien ein wenig befangen, weil er mich um diese Zeit und unter diesen Umständen hatte stören müssen, und entschuldigte sich mit vielen Worten. »Ich unterbrach ihn jedoch und fragte: „Ein Diebstahl, ein Raub?" — „Ein Mord!" erwiderte er, und zwar ein Mord, von dem ganz New Aork morgen sprechen wird!" Ich warf meinen Schlafrock ab und stürzte in mein Arbeitszimmer, um einen dicken Rock und Schaftstiefel anzu ziehen. Dann nahm ich von meiner Toilette mehrere kleine Dosen — man wußte ja nie, was geschehen konnte — und eilte wieder zurück in den Flur, wo der junge Mann unge duldig wartete. Mein Diener hielt meinen langen „Ulster" in Bereitschaft und schließlich drückte ich mir einen breitkräm- pigen Hut tief in die Stirn hinein. Roch einmal kehrte ich in mein Zimmer zurück, und im nächsten Augenblick glitt ein kleiner, sonderbar auSsehender Gegenstand in meine Tasche, es war ein sech-läufiger ge ladener Revolver. Jetzt war ich bereit, mochte kommen, was da wollte! Wir eilten die Treppe hinab. Die Thür stand offen. Wir traten hinaus — hinaus in Sturm und Regen. Aber ich empfand keine Müdigkeit mehr, mein Blick »ar scharf wie immer, eine gewisse, unbestimmte Freude erfüllte mein Herz. Plötzlich stand ich einen Augenblick stille. Ich knöpfte den Rock auf und zog meine Uhr hervor. „Der erste März, II Uhr 55 Minuten", murmelte ich vor mich hin. Und im nächsten Moment stürmten wir weiter. 2. Es geht durch enge Gaffen, durch überbaute Passagen je weiter wir kommen, desto schmutziger, unfreundlicher, schreckeinflößender werden die Straßen; die elenden Mauer steinhüttchen, an denen wir soeben vorüber eilten, haben den armseligsten Holzbuden Platz gemacht. Hie und da steht ein großes, hellerleuchtetes Haus, ein Tanzlokal, eine Spielhölle oder gar etwas Schlimmeres. Bon Zeit zu Zeit begegnen wir abgemagerten, verhungerten, in schmutzige Lumpen geklei deten Gestalten. Bon Straßenpstaster keine Spur mehr, das hat längst aufgehört. Wir versinken bis an die Knöchel in Kot, der Weg wird immer enger, immer mühseliger und der kohlschwarze Märzhimmel gießt nach wie vor seine heftigen, unaufhaltsamen Regenfluthen herab. Wir befinden uns in Five-Points. Jedem Amerikaner, jedem, der in New Aork geboren, fährt bei der Nennung des Namens ei» kalter Schauer durch alle Glieder. Five-Points! Tic Freistätte für den Auswurf der Menschheit — der Ort, an dem alle Berbrechcn ungestört ausgeübt werden können, Diebstahl und Raub, Brand, Schlägerei — und das schlimmste von allen — Mord. 66 — Gott sei uns gnädig, wenn wir erkannt würden! Zwei einsame Polizisten — zwei Revolverkugeln, zwei Messerstiche — zwei Leben — was haben die hier für eine Bedeutung. Es däucht mir eine Ewigkeit, seit die Uhr Zwölf ge schlagen. Der Schweiß rinnt mir in Strömen von der Stirn, aber müde bin ich nicht mehr. Morrisson — so heißt der Adjutant des Chefs — zeigt vor sich hin. Ich strenge meine Augen an und erblicke ein undeutliches flackerndes Licht. Noch einige hastige Schritte und wir sind an Ort und Stelle. Tort steht eine Gruppe von sieben oder acht Personen, alles Polizisten. Aber im nächsten Augenblick, als ich mich ein wenig genauer umgesehen habe, entdecke ich noch eine männliche Gestalt, eine trotzige, schmutzige Erscheinung, die ein wenig abseits von einem Polizisten bewacht dasteht. Vor mir steht ein großer, schlanker, seingebauter Mann. Seine Hände stecken in den Taschen des Ueberrockes. Seine Augen sind zu Boden gerichtet. Jetzt entdeckt auch mein spähender Blick das heimliche Ziel derselben: einen menschlichen Körper schwarzblau im Gesicht, bedeckt mit Schmutz und — Blut? Nein, nur we nige Tropfen haben das zerrissene Hemd befleckt. Der un sichere, flackernde Schein der Fackeln beleuchtet die Scene. Schweigend und erwartungsvoll stand ich da. Der Chef sah auf. Sein sonst so klarer, durchdringen der Blick war gleichsam verschleiert. Er strich sich mit der Hand über die hohe Stirn, seine Stimme klang heiser und gebrochen. „Moore," sagte er und reichte mir freundlich die Hand, „verzeihen Sie, daß ich Ihnen die Ruhe, deren Sie so sehr bedurften, nicht gönne. Aber Sie kennen meine Stellung — Sie wissen, mit welchen Schwierigkeiten ich zu kämpfen habe — und jetzt dies neue Verbrechen — dieser teuflische Mord!" Sein Gesicht verzog sich schmerzlich. „Moore," fuhr er fort, indem er mir einen leichten Schlag auf die Schulter versetzte, „ich baue auf Ihre Ge schicklichkeit, auf Ihren Muth und vor allen Dingen auf Ihre Pfiffigkeit! Ja, in dieser Stunde setze ich mein ganzes Ver trauen auf Sie. — Noch wissen Sie nicht den Namen dieses Mannes, Sie haben seine Züge noch nicht erkennen können." Auf seinen Wink trat ein Polizist vor und beleuchtete das Antlitz des Todtm mit seiner Fackel. Ich trat näher heran. Ich wollte, ich konnte meinen Augen nicht trauen! Er —! Er, den ganz New Jork kannte! Er hier in Five-Points, todt, gemordet. Ich taumelte zurück wie ein Betrunkener. Benjamin Hood, der Millionär, der von allen Leuten Beneidete! Benjamin Hood, der Bankier, der Geldfürst, der glücklichste Besitzer eines unermeßlichen Reichthums — er lag hier im Schmutz zu meinen Füßen wie ein gefälltes Thier, erdrosselt, leblos, eine mit Kot bespritzte, ekelhafte Masse. Ein Seufzer meines Chefs .brachte mich wieder zur Besinnung. „Moore, Ihnen vertraue ich die Sache an. Sie sollen, Sie müssen den Mörder ausfindig machen — und zwar bald. Hören Sie, Moore? Haben Sie wich verstanden?" „Mein Chef!" antwortete ich, und meine Stimme bebte nicht, „mein Ches, ich will alles thun, was in meinen Kräf ten steht. Ich will meinen ganzen Scharssinn aufbieten — an meinem Muth zweifeln Sie doch nicht? Benjamin Hoods Mörder soll der Rache nicht entgehen." „Und wann, wann glauben Sie, daß —" Ich lächelte. 67 „Geben Sie mir eine Woche Zeit, geben Sie mir sieben Tage und sieben Nächte — damit will ich mich begnügen." „Moore, wenn Sie halten, was Sie versprechen, und daran zweifle ich nicht Moore, Sie sollen es nicht zu bereuen haben!" Ich lächelte abermals. Ein eigenartiges Gefühl durch zuckte mich — es glich der Freude. Während sich einige der Polizisten entfernten, um eine Bahre herbeizuschaffen, begann ich meine Untersuchung. Dieselbe währte nicht lange. Die ganze Sache hatte sich auf eine höchst natürliche Weise zugetragen; nur einS war mir unklar — nämlich wer der Mörder war. Benjamin Hood war erdrosselt. Das Verbrechen mußte in wenigen Sekunden ausgesührt sein. Ich beugte mich scrab und entfernte das blutbefleckte Hemd von der Brust. Das Blut war noch frisch. Der Mord war ganz kürzlich geschehen — es konnte kaum mehr als eine Stunde verstrichen sein. Ob etwa das trotzige Individuum da hinten irgend welche Aufklärungen geben konnte? Er hatte zuerst die Po lizei hierher gerufen. Man hatte sofort den Chef geholt. Der Monn behauptete, daß er nicht das geringste von von der ganzen Sache wisse, er sei zufällig vorübergekommen. Er sei arm, aber ehrlich. Einer der Polizisten, erkannte ihn. Er war ein Straßenfeger, der in Five-Points wohnte und der Polizei schon mehrfach wichtige Dienste geleistet hatte. Ich untersuchte ihn, ohne jedoch das geringste Verdächtige zu finden. Man konnte ihn einstweilen gehen lassen. Und der Messerstich? — der war nicht tief und sicher nur beigebracht um irrezuführen. Die Wunde war keine tödtliche, es war keine kräftige Hand gewesen, die das Messer geführt hatte. Zwei Mörder? Einer, der das Opfer erdrosselt, und einer der es gestochen hatte? Wo aber war das Messer? Wir suchten ringsumher im Schmutz danach: kein Messer war zu entdecken. An Benjamin Hoods Fingern glänzten mehrere Diamant ringe. Der Straßenfeger war zweifelsohne ein ehrlicher Mensch. Eins war mir klar — Hood war nicht aus Ge winnsucht gemordet. Steckt sein Taschenbuch in der Tasche? Nein! Höchst merkwürdig! Ich suchte abermals im Schmutz und siehe da! Ich sand es. Dieser Umstand konnte von Bedeutung sein. Ich stellte nach jeder Richtung hin die genauesten Unter suchungen an! ohne jedoch irgend etwas zu entdecken — und dann dieser Schmutz, dieser Regen, der Stunde auf Stunde vom Himmel herabströmte. Man kam mit der Bahre. Der entseelte Körper wurde darauf gelegt und zugedeckt. „Moore," sagte mein Chef, „gehen Sie jetzt nach Hause und ruhen Sie sich aus! Aber vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben. Und dann denken Sie stets daran, daß ich Tag und Nacht zu Ihrer Verfügung stehe! Sie können mich zu jeder Stunde anfsuchen. Brauchen Sie Geld, so steht meine Privattasse Ihnen zu Gebote! Bedürfen Sie eines Rathes, — ich werde mein Bestes thun, um Ihnen beizustehen. Wünschen Sie Hilfe, ich bin zwar nicht mehr jung, aber meine Arme haben noch ein gut Theil ihrer früheren Kraft. Ja, wenn es nöthig ist, will ich den Mörder mit eigenen Händen greifen. Sie wissen selber, Moore, was ich tagtäglich hören muß, alles, was die Zeitungen sagen, alles —" Die letzten Worte wurden so leise ausgesprochen, daß es mir schwer ward, sie zu verstehen. (Fortsetzung folgt.) Götze Gold. (Schluß.) „Sie war schön, die Telse," lautete der Schluß, „und ich habe sie geliebt auf meine Art; aber sie war mir gram, weshalb, ahnte ich längst, bis es mir zur Gewißheit wurde. Sie war dem Jens Petters gut und nahm mich nur, weil ich reich war. Und als er nun heimkam und vor sie hintrat, da — da — mußte ich sehen, wie sie vorstürzte und an seine Brust flog. Wie mir da wurde, beschreiben kann ich es nicht; aber ich mußte mich zusammennehmen, denn meine Gäste verlangten nach mir. Als sie Alle gegangen waren und sie noch immer nicht ins Haus zurückgekehrt, ging ich hinaus in den Garten, um sie zu suchen. Da saß sie in der Laube und hörte und sah mich nicht. Ich setzte mich neben sie und faßte sie um den Leib, da sprang sie wild empor und stieß mich zurück. „Was willst Du von mir?" stöhnte sie auf. „Rühr' mich nicht an!" Das war jedesmal ihre Antwort auf meine Liebkosungen, empört hatte sie mich immer, heute aber machte sie mich rasend! Ich faßte sie mit beiden Händen am Arm, sie war ja mein Weib, und wollte sie abermals umfangen, da schlug sie mir in s Gesicht mit der freien Hand und nannte mich einen Trunkenbold. Wie es kam! Ich weiß es nicht! Aber vor mir lag sie, leblos und starr im Sande und ich rannte, von Grauen erfaßt, ins Haus, und als ich so auf dem Bett lag und schlafen wollte, sah ich immer, immer ihr weißes, kaltes Gesicht mit den weit offenen, starren Augen. Erst trat sie nur Nachts neben mich, daß ich vor Entsetzen laut aufschrie, im letzten Jahre aber schon bei Tage. Ich fühlte ordentlich ihre schwere, kalte Hand auf der Schulter und sah die Augen — die Augen da trank ich; dann hatte ich Ruhe vor ihr, die mir daS Leben zur Qual machte, die mich noch als Todte ebenso quälte, als wie sie es im Leben gethan hatte. Aber dem Jens gönne ich die drei Jahre, die er un schuldig im Kerker gesessen, von Herzen, und Gott steh' ibm bei, wenn wir uns noch einmal begegnen, dann giebt es ein Unglück." Dem freiwilligen Geständniß des Schuldigen gegenüber gab es nur einen Ausweg: gut zu machen, was unwissentlich gefehlt worder war. Die Unschuld Jensens wurde in allen öffentlichen Blättern anerkannt, sein tadelloses Vorleben mit lobenden Worten erwähnt, und der verhängnißvolle Fund deS Hutes auf das lebhafteste beklagt. Und jetzt auf einmal gab es viele einsichtsvolle Personen, die „sich alles gleich gedacht hatten" und „längst überzeugt gewesen waren", jetzt, wo es keines Glaubens mehr bedurfte. O, wankelmüthige, kurzsichtige Welt! Aber die öffentliche Meinung machte keine Sekunde der unsäglich harten drei Jahre unverfloffen, keinen Tag namen loser Qualen undurchlebt, sie galt dem gealterten, müden Mann nichts, der eines Tages auf der heimathlichen Insel ans Land stieg. Goldener Mittagssonnenschein lag über dem ruhenden Meer, ans den gelblich« Dünen, den blühenden Obstbäumen und zitterte auf dem mit grauen Fäden gemischten Blondhaar des einsamen Träumers. Jens PetterS stand unbedeckten Hauptes da, seine Blicke schienen das Panorama ringsum aufsaugen zu wollen, seine Brust athmete langsam die kühle Seeluft ein. Er war frei! Frei von beengenden Mauern, nichtswür digen Gefährten, in deren Gesellschaft er drei lange, entsetz liche Jahre geschmachtet hatte; aber sein Herz jubelte nicht. Da drinnen in der einst so wonnegeschwclltcn, empfänglichen
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