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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-09-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189909163
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18990916
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18990916
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-09
- Tag1899-09-16
- Monat1899-09
- Jahr1899
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1899
- Autor
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— N6 such in Holmstein, der Wage« war zur Eisenbahnstation ge schickt, doch hatte sie nicht auf den Namen der Fremden ge achtet. Im HlnauStrelen auS dem Park begrüßte sie daS laute, fröhliche Gebell eine- HundeS, der auf sie zustürzte und sie beinahe umgerissen hätte, weil er stürmisch an ihr empor sprang. »Chasseur, lieber, alter Hund, wo kommst Du her?« rief sie erstaunt, den Liebling ihres Bruders erkennend. Das treue Thier schmiegte sich zärtlich an sie und leckte ihre Hand, die ibn liebkoste. Ihre Schülerinnen begrüßten eine kleine, starke Dame, die laut lachte und schwatzte, sich.-, dabei energisch abstäuble und über die »kolossale Hitze" klagte, di« sie fast umgebracht hätte, wie sie Immer wieder mit kreischender Stimme ver sicherte. Als sie Gertrud erblickte, blinzelte sie sie mit den Hellen, kurzsichtigen Augen an und betrachtete sie kritisch durch ihr Lorgnon. »Ach! charmant," rief sie laut, »daS ist, wenn ich nicht irre, dieselbe junge Person, die wir in Stuttgart im Conzert hörten? Sehr erfreut. Sie zu sehen, meine Beste." Gertrud verneigt« sich mit vollendetem Anstand. »Warum trauer« Sie?" fuhr Frau von Haßfeld rück sichtslos fort. „Ich habe eisen Bruder verloren, gnädige Frau," er widerte Gertrud sehr höflich. Welch ein Unterschied zwischen den beiden Stimmen, wie melodisch llang die Antwort aus die schrill hervorgrstoßene Frage. Ganz derselbe Gegensatz wie zwischen den beiden Personen seltst, dachre Waldemar unwillkürlich, der langsam nachfolgte, aber er trat nicht hinzu, er stand von fern und wagte nicht, Gertrud zu begrüßen, nachdem sie ihn damals schroff zurückgewiesen hatte. »Ach so! Bedaure sehr," sagte seine Frau gleichgiltig. »Nun ich hoffe, Sie spielen uns trotzdem recht viel vor, ich liebe di- Musik sehr." Sie ra'ischte ins HauS. Dos junge Mädchen folgte ihr, sie mußte an Haßseld vorbei, eine ehrfurchtsvolle Verbeugung, ein flüchtiger Gruß, '"r ihm antwortete, und sie eilt« in ihr Zimmer hinauf. Warum mußte ihr Weg sich noch einmal kreuzen, dachte ? bitter. Sie fühlte, wie ihr Herz heftig klopfte, ein namen- iseS Mitleid erfüllte eS, wenn sie an ihn dachte. »Sie ist zu gewöhnlich," sagte sie sich, »wie muß er unter ihren Takt losigkeiten leiden. — Er ist selbst daran schuld," fügte sie bitter hinzu, »er hat eS so gewollt." Nach dem späten Diner um sechs sagte Frau von Haß feld herablassend: »Nun können Sie unS Vorspielen, ich bin gerade in der Stimmung dazu, eS trägt zur Behaglichkeit nach einer guten Mahlzeit bei." Es zuckte in Gertruds Gesicht, sie wollte herb ablehnen, fand aber die Unverschämtheit so amüsant, daß ihr Sinn für daS Komische geweckt wurde und sie innerlich lachend mit ver stärktem Spott erwiderte: »Es soll mir eine besondere Freude sein, gnädige Frau, Ihren Wunsch zu erfüllen." »Bitte spielen Sie doch nicht, wenn es Ihnen lästig ist," sagte Waldemar von Haßfeld, auf sie zutretend, mit der müden Stimme, die ihr schon in Stuttgart ausgefallen war. »Ich bin gerade aufgelegt, die Behaglichkeit Ihrer Frau Gemahlin durch mria Spiel zu erhöhen," versetzte sie ruhig, indem eS um ihren feingeschnittenen Mund sarkastisch ! zuckte. < Ec sank in einen Sessel, wahrend sie in daS Neben zimmer schritt und den Platz am Flügel elnnahm. Durch den Spiegel konnte er sie genau beobachten; ohne daß sie eS ahnte, ließ er die Augen auf ihrem schönen Antlitz ruhen, er sättigte sein sehnsüchtiges Herz an ihrem Anblick. Unter dem Vorwande, daß sie endlich der Einladung in Holmstein folgen müßten, hatte er seine Frau zu dem Besuch überredet, er hatte eS durch Franz Gärtner erfahren, daß Gertrud bei seinen Eltern war. Seit dem Wiedersehen in Stuttgart war seine Liebe zu ihr mit erschreckender Gewalt erwacht, er mußte ihr noch einmal nahe sein, sich noch einmal an ihrer wunderbaren Schönheit berauschen, obgleich er wußte, was er dabei litt und um wieviel trauriger ihm nachher sein LooS erschien. Gertrud spielte lauter Opereltenmusik, die flachen, modernen Weisen perlten unter ihren Fingern empor. »DaS ist ja reizend," rief Frau vou Haßseld bewun dernd. »Es gefällt mir tausendmal bester als die langweilt- gen Stücke, die Sie damals im Conzert zum Besten gaben. Bitte noch etwas Offenbach, das ist mein Lteblingskom- ponist." Der Sohn dcS HauseS trat auf sie zu. »Sie denken wohl an das bekannte Sprichwort: Man muß die Perlen nicht unter, — nun Sir wissen, was ich meine, Fräulein von Brenken." Er nannte sie geflissentlich so, mit merklicher Betonung. S'e erhob sich sogleich, als er sich Vertraulich neben sie setzen wollte. »Ich denke, eS ist genug," sagte sie und wollte sich entfernen. Franz Gärtner vertrat ihr den Weg und stellte sich breitspurig vor die Tühr. »Für mich wüsten Sie noch etwas spielen," bat er. »Jenes kleine schwedische Volkslied zum Beispiel, das Sie gestern Abend so reizend klimperten." Sie maß ihn mit einem erzürnten Blick ihrer große», dunkeln Augen. »Wollen Sie mich gütigst Vorbeilasten?" sagte sie. Es llang wie eia Befehl. »Ich habe bereits gesagt, daß ich nicht mehr spielen will." Er machte keine Bewegung, um sich zu entfernen. Da schob ihn eine Hand kräftig zur Seite, Haßseld stand plötzlich da, wie aus der Erde gewachsen. »Bitte, gnädiges Fräulein, der Weg ist frei." Er hielt die Portiere für sie zurück, damit sie den Zu dringlichen nicht zu streifen brauchte. Es lag eine so ritter liche Höflichkeit in seinem Wesen, verglichen mit des Andern Frechheit, daß Gertrud ihn wider Willen dankbar ansah. »Was zum Teufel, Hatzfeld," rief Gärtner halb lachend und halb ärgerlich, »seit wann sind Sie der Beschützer der Gouvernanten?" Gertrud hörte die Antwort nicht mehr, sie war in ihr Zimmer geeilt und preßte die Hände an die klopfenden Schläfen, es war ihr, als schwanke der Boden unter ihren Füßen. Während der acht Tage in Holmsteln hatte sie viel Unangenehmes erlebt, sie fühlte sich in ihrer Umgebung sehr unglücklich. Die von ihr grundverschiedenen Menschen hatten völlig andere Ansichten und Interessen, und der Ton im Hau;e verletzte sie auf Schritt und Tritt. Dabei überhoben sie sich bei jedem Anlaß über Alle, die keinen so vollen Geldsack besaßen, man ließ es sie fühlen, daß Reichthum doch eigentlich daS einzige sei, was den Werth deS Menschen bestimmt, daß es das größte Verbrechen ist, arm zu sein und sein Brot zu verdienen. Wie unbehaglich fühlte sie sich unter dieser ihr bisher fremden Gattung von Leuten; sie hegte einen Widerwillen gegen alles Prahlerische, Auffallende und Plumpe. Bon allen — 147 — Anwesenden erschien ihr Frau von Haßseld die unerträglichste und gewöhnlichste. Natürlich verlangte man für die hohe Gage, die sie be zog, auch äußerste Leistungsfähigkeit, dafür bezahlte man sie ja. Waldemar von Haßseld und sie waren in dieser Gesell schaft wie verloren, unwillkürlich näherten sie sich im Gespräch, sie waren auS derselben Sphäre und theilten die gleichen Liebhabereien, Neigungen und Anschauungen. Sie merkten es bald, daß sie sich nur allzugut verstanden und ergänzten, nur war bei Gertrud Alles schärfer, klarer ausgeprägt als bei ihm. Die Noth deS Lebens, der Kampf umS Brot halten sie innerlich gereist und gefestigt, ihr Urthril geschärft, ihnn Ver stand gebildet und sie frtt und selbstständig auf eigenen Füße» stehen gelehrt. Daß gerade Hatzfeld sie anzog, ließ sich wohl durch ihre große Verschiedenheit erklären; die Gegensätze ziehen sich an, um ein schönes Ganzes zu bilden. Es war für den vornehmen Aristokraten geradezu eine Pein, wenn seine Frau sich vor Gertrud laut und auffallend betrug, er mutzte ihre Geschmacklosigkeiten ruhig hinnrhmen, ihre schlechten Manieren und gewöhnlich« AuSdruckSweise mit Stillschweigen übergehen, ihre öffentlichen Zärtlichkeiten gegen sich dulden. Einmal bat er sie ungeduldig, ihn damit, in Gesellschaft wenigstens, zu verschonen und bei Tisch ruhiger zu sein. »Bester so, als solch rin Stock wie dies« hochmüthig« Gouvernante, die keinen Groschen besitzt und ihr Brot selbst verdienen muß," schrie sie heftig. »Ich halte eS für keine Schande," entgegnete er gereizt. »So? warum thatest Du eS denn nicht, Waldemar?" fragte sie spitz. »Du zogst eS vor, mich zu heirathen, und mußt jetzt mit meinen Maniren und mit meinem Gelde auk- kommen und mich verbrauchen, wie ich eben bin." Er seufzte schwer. Immer ihr unglückliches Geld! Sie hielt eS ihm bei jeder Gelegenheit vor, er konnte ihr nicht- darauf erwidern, hatte er sie doch nur aus diesem Grunde geheirathet. In seinem Benehmen Gertrud gegenüber lag die aus erlesenste ritterliche Höflichkeit, er allein behandelte sie al» Dame, und wenn er ihr einen kleinen Dienst leistete, that er es mit der Ergebenheit deS Manne-, welcher der gleichbe rechtigten Frau dadurch ihre Stellung sicher» möchte. Gering fügig wie der Anlaß war, sie merkte eS dennoch, daß er sie als Ebenbürtige sich zur Seite stellt«, daß sie in ihm «inen Schutz gegen die Zudringlichkeiten Franz Gärtners hatte. Zum erstenmal, seit sie sich kannten, schienen sie die Rollen getauscht zu haben: daS Weib bedurfte der starken Hand deS Freundes, der für sie eintrat. Zu ihrer großen Freude war ihr unsympathischer Ver ehrer auf einige Tage zu einer Jagd in die Nachbarschaft gefahren, sie blieb von seinen frechen Aufmerksamkeiten ver schont. Mehrere Nachbarn waren eines Tages nach Holmstein hinübergekommev; daS Gespräch drehte sich beim Esten um die früheren Besitzer deS Gutes. »Sagen Sie einmal, Gärtner, von wem kaufte Ihr Vorgänger eigentlich Holmstein?" fragte ein alter» magerer Mann, der neben dem Hausherrn saß. »Ich weiß eS nicht, Schlötec, ich zog auS Westfalen hierher und übernahm eS vin Füllner, aber Sie müssen sich besten erinnern, Obermann, Sie waren damals doch schon in der Gegend." »Gewiß kenne ich Füllner- Vorgänger,* versetzte der Gefragte. »ES war ein Herr vou Brenken. Er hat, wen» ich nicht irre, rin große- Verwögen verschwindet! mrd set»e Familie an den Bettelstab gebracht. Ma« sprach daiaal- vou wenig sauberen Geschäften, di« ihm den Hals gebrach« haben." »Brenken war kein Schwindler," sagte Haßfrld scharf und tadelnd. »Ich habe ihn gekannt, er war durch «ad durch ein Ehrenmann, wer do- Gegentheil behauptet, ist et» gemeiner Verleumder I" Dke kektig hrrvorgestoßenen Worte wurden von einer schwülen Pause gefolgt. »Wie verarmte er denn?" fragte Sch'öter spöttisch. »Durch unglückliche Börsensptkalotlouen, die ihm allet» Schaden brachte». Seine Familie hat Alle- geopfert, um ihren guten Namen rein z« erhalten, sie steht hochgeachtet da und verdient ihr Brot durch ehrliche Arbeit." „Sind Sie mit dies« Brenken- verwa»dt?" fragt« Fra» von Haßseld Gertrud in ihrer tablos«, neugierig« Art. »Ja, gnädige Frau,' entgegnete sie laut, ihr dunkle- Augr voll auf die Andere heftend. „Ich bi» glücklich, sag» zu können, daß er mein Vater uns!" »Nein, wie interessant, höre doch, Waldemar! Hast D» «S gewußt?" Durch da- Lorgnon prüfte sie ungenirt ihr Gegenüb«. »Dann ist Ihnen hier Alle- bekannt," warfdie Dame deS HauseS dazwisch«. „Warm» hab« Sie e- »icht sch« lange gesagt?" »Ich glaubte nicht, daß e- Jemand iutaorsfi«, »nd zog eS vor. zu schweig«," erwiderte da- pmgr Mldchr» schroff und abwkts nd. »Welch unangenehme, stÄze Person," raunte Rosalind« ihrer Nachbarn so laut zu, dich e- Gertrud hörte. „Vie unnütz von Waldemar, ihr« Bat« zu verteidige», diese Aristokrat« kleb« immer zusammen." Gertrud bückte auf ihr« Teil« nieder, sie fühlte Hatz felds Blick. Wie zwingend ruhte er auf ihr; langsam schlag sie die Wimpern auf und sah ihn nur ri»e Sekmrd« an, ^«r eS lag eine so warme Dankbarkeit t» d« stolz« Auge», daß « sich bis in« Innerste sein« Seck vor Glück «schauer» fühlte. Man bat sie zu spielen, und sie that «S. Mechanisch spielte sie Alle-, wa- man wünschte, ab« sie war froh, daß Haßseld heute nicht kam und ihr die Not« »«wandle. Er schien in lebhaftem Gespräch mit den übrig« Herr« ver wickelt zu sein. Sie hätte ihm gern gedankt, ihm gesagt, wie wohlthuend seine Worte sie berührt hatte», wie tief erkrmrt- lich sie ihm sür dieselben »ar. lbch doch fürchtete sie sich, mit ihm allein zu sein, ihr Herz war voll zu« llrbeifüetzr», sie durfte nicht weich werden, in ihr« Külte lag chre edchsge Rettung, ihre Schutzwehr. D« Abend sank hernieder, ei» lau«, dunkler August abend, durch Million« von funkelnd« Stern« e> hellt. E» lag ein Hauch von Schwnmuth üb« der Natur; kein Blatt bewegte sich, die Blumen haucht« betäubende Düfte a»S, u»d der Schrei eine- Nachtvogel» tönte an- der Ferne w'e ei« Klage de- scheidend« Sonn»«-. Gertrud stand auf der weinnmlaubt« Veranda, sie wollte sich sobald al- möglich in ihr Ainu»« zurückziehe», ^ble laute, lärmende Gesellschaft drin»« schien ihr heute besonder antipathisch, ihr« erregt« Nerv« bebt« kankhaft bei d«l Stimmengewirr und schallend« Gelächter, nad Frau von Haßseld- kreischende- Organ übertönte Alle». — Sie dachte an die früher« Sommer in Holmstria, eine brennende Seh» sucht nach jmer fern«, glücklich« Zeit preßte ihr do- Herz
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