01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001024013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102401
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 24. October 1900. Anzeigen. Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbefördrrung .Sl 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Die Socialdemokratie als Schuh gegen Attentate. 2S Ein socialdemokratisches Blatt hat auf dem bei dieser Presse üblichen Wege Kenntniß von den Vorkehrungen erhalten, die für einen beiläufig unterbliebenen Besuch des Kaiserpaares in Hildesheim seitens der dortigen Behörden getroffen worden waren. Die socialdemotratische Presse macht sich natürlich bei dieser Gelegenheit wieder einmal lustig über die Aengstlichkeit der bestehenden Gesellschaft, und gerade eins der revolutionärsten Organ dieser Partei, die „Sächs. Arbeiter-Ztg.", versteigt sich zu folgenden Sätzen: „Die große Sorge vor den deutschen An archisten ist so überflüssig! Es giebt ja in Deutschland keine Propagandisten der That — Dank der Socialdemo- kratie." Zunächst ist leider die Behauptung, daß es in Deutschland politische Attentäter nicht gebe, nicht ganz richtig. Wer erinnert sich nicht des unglückseligen Jahres 1878, in dem gleich zwei Attentate kurz hinter einander gegen den Kaiser Wilhelm verübt wurden, den, abzusehen von allem Anderen, schon sein ehrwür diges Alter vor derartigen mörderischen Ueberfällen hätte schützen müssen. Gab es denn damals in Deutschland etwa keine Social demokratie? Bei den Wahlen, die nur einige Monate vor den Attentaten stattgefunden hatten, hatte die Socialdemokratie die für eine so junge Partei ganz gewaltige Stimmenziffer von493000 erlangt und damit die Fortschrittler und die Reichspartei hinter sich gelassen, die Conservativen nahezu erreicht. Die schon da mals blühende Socialdemokratie hat sich also doch wohl als ein recht ungenügender Schutz gegen die Propaganda der That be währt. Aber auch in den Ländern, in welchen im letzten Jahrzehnte wiederholt Attentate verübt worden sind, erfreut sich die Social- demokratik eines üppigen Gedeihens. In Frankreich hat es ein Socialdemokrat sogar zum Minister gebracht, in Italien hat die Socialdemokratie bei den unmittelbar dem leider erfolgreichen Attentate auf den König Humbert vorangegangenen Wahlen Erfolge erzielt. Sowohl in Frankreich wie in Italien kann die Socialdcmokratie im Parlament und zum Theil auch in der Presse ihrem Hasse gegen die bestehende Gesellschaft nach Herzens- bist Luft machen. Ein Ventil für die politischen Leidenschaften ist also vollauf gcgeoen, und lroydem versteigt sich der politische Fanatismus zu fluchwürdigen Attentaten. Wenn in Deutschland Attentate politischer Natur, Gott sei Dank, seltener sind, als in manchen anderen Ländern, so ist dies nicht der Socialdemkratie zu verdanken, sondern einfach dem deutschen Volkscharakter, der dem politischen Fanatismus abhold ist, und der überhaupt vor Blutthaten mehr zurückschreckt, als der leichter erregbare und grausamere Roman«. Beweis dafür ist die Thatsache, daß die Zahl der Blutverbrechen in Deutsch land sich noch nicht auf ein Sechstel der alljährlich in Italien be gangenen Mordthaten beläuft. So ist also die Behauptung, daß die deutsche Socialdemo kratie ein Schutzmittel gegen politische Mordthaten sei, in das Reich der Fabeln zu verweisen. Im Gegentheil wird ein Jeder, der die socialistische Presse und die socialdemokratische Agitation überhaupt verfolgt, zu der Ansicht gelangen müssen, daß es ledig lich dem nicht zum Fanatismus geneigten deutschen Volks charalter zu verdanken ist, wenn es der socialiftischen Verhetzung nicht gelingt, politische Mörder großzuziehen. Denn je höher ein Mann im Staate gestellt ist, desto mehr unterliegt er den giftigen Angriffen der sozialistischen Agitation, und ganz besonders der gegenwärtig regierende Kaiser 'wird in einer, jedes Maß über steigenden Weife zum Gegenstand« der Verhöhnung und des Hasses gemacht. Auch ist es noch in frischer Erinnerung, daß die deutsche Socialdemokratie den Mörder Caferio als einen Märtyrer gefeiert, und die Richter, die ihn nach Recht und Ge rechtigkeit zum Tode verurtheilt haben, als Henker gestempelt hat. Auch den Movdgesellen Bresoi hat di« Socialdemokratie mit ihrem Mitleid bedacht, und nicht etwa den Anarchismus, sondern die bürgerliche Gesellschaft für seine That verantwortlich gemacht. So ist Vie Socialdemokratie unausgesetzt bemüht, gerade in Bezug auf politische Attentate alle natürlichen Auffassungen der Vernunft und >des Gemüthcs zu verwirren und in das Gegentheil zu verkehren. Daß die Socialdemokratie mit diesem Vorgehen in den letzten Jahrzehnten kein Unheil angerichtet hat, ist wahrlich nicht ihr Verdienst. Jedenfalls aber wäre es ein« Leichtfertigkeit sonder gleichen, daraus, daß seit geraumer Zeit Attentate in Deutschland nicht verübt worden sind, den Schluß zu ziehen, daß sie überhaupt ausgeschlossen feien. Vielmehr 'wird die Vorsicht der Polizei organe durchaus geboten sein, umsomehr, als einmal ein gemein sames gesetzgeberisches Voraehen der europäischen Staaten gegen den Anarchismus allem Anscheine nach nicht zu erwarten ist, und als auch zweitens in Deutschland, bezw. in den deutschen Einz«l- fiaaten, besonder« gesetzgeberische Maßnahmen keine Aussicht aus die Zustimung der Volksvertretung haben. Jedenfalls werden polizeiliche Vorsichtsmaßregeln wirksamer sein, als die recht an fechtbar« Loyalität der Socialdemokratie. Die Volksftimmnug und die Opposition. Auf dem Parteitage in Görlitz hat der Abg. Richter di« klassische Behauptung aufgestellt, in der DolkMmmung sei hinsichtlich der Welt Politik ein kolossaler Umschwung zu Gunsten der Oppo sition eingetreten; von dem ganzen „Flottenschwindcl" sei keine Rede mehr. Herr Richter ist ein Mann, der gern mit Zahlen operirt, aber in diesem Falle hat er sich wohlweislich gehütet, die Zahlen sprechen zu lassen, denn tatsächlich sprechen di« Ziffern gegen ihn. In den letzten Wochen haben orei ReichStagsersatz- wahlon und «ine theilwerse Wahlmännerersatzwahl in einem preußischen Landtag-Wahlbezirke stattgefunden. Die Volks stimmung wird man doch wohl am allerersten aus politischen Wahlen zu erkennen haben. Welches Ergebniß haben nun die drei ReichStagSwahlen, die doch im Zeichen der Weltpolitik statt gefunden haben, für die Opposition gehabt? Zur Opposition muß man rechnen di« freisinnige Volkspartei und die S o c i a l d e m o k rate n. Wa- die Fortschrittler anbelangt, so haben sie im Wahlkreise Rinteln ganze 300 Stimmen erhalten, im Wahlkreise Wanzleben sind sie überhaupt nicht selbstständig ausgetreten und im Wahlkreise Brandenburg haben sie 3400 Stimmen bekommen gegen 4000 Stimmen bei den allgemeinen Wahlen von 1898. Mithin steht dem freisinnigen Gewinn« von 300 Stimmen in Rinteln ein Verlust von 600 Stimmen gegenüber, es bleibt also ein Deficit von 300 Stimmen. Von einem „kolossalen Um schwünge" zu Gunsten der bürgerlich-radikalen Opposition kann man da also nicht wohl reden. Aber auch die Socialdemokratie hat bei dielen drei Wahlen keineswegs Vortheilhaft abgeschnitten; sie hat in Rinteln rund 1100 Stimmen, in Wanzleben rund 400 Stimmen gegen das Jahr 1898 eingebüßt, und "wenn sie auch in Brandenburg-Westhavelland 500 Stimmen gewonnen hat, so bleibt doch noch immer ein Deficit von 1000 Stimmen besteh«». Was endlich die 'Landtagsersatzwahl in Breslau anbelangt, so haben hier allerdings di« Socialdemokrat«n 15 Wahlmännersitz« gewonnen, aber einerseits ist dies zum Theil — nämlich zu einem Drittel — auf Kosten der Fortschrittler geschehen, und zweitens haben sie den gewissen Erfolg in Breslau nicht sowohl der allge meinen politischen Lage, als dem dortigen mit den schärfsten Waffen geführten Kampfe zwischen den bürgerlichen Parteien zu verdanken. Alles in Allem ergeben also die politischen Wahlen der letzten Zeit einen Verlust der oppositionellen Parteien, und wenn dieser Verlust auch nicht groß ist, so ist es doch jedenfalls mehr als kühn, angesichts dieser Thatfachen von «iner der Opposition besonders günstigen Stimmung der Wählerschaft zu sprechen. Wie kommt nun aber trotz dieser, doch auch ihm be kannten Thatfachen Herr Richter zu seiner Behauptung? Er hat nicht «twa gelogen, sondern seine Auslastung geht aus einer für die radikale Opposition so charakteristischen Auffassung hervor, daß es sich wohl verlohnt, darauf kurz einzugehen. Die Annahme Richter's benutzt nämlich lediglich darauf, daß in den letzten Monaten auch in sehr nationalen Kreisen Mißstimmung über manche mit der Weltpolitik im Zusammenhang« stehenden Vor kommnisse geherrscht hat. Der charakteristische Unterschied aber zwischen dem nationalen Theile der Bevölkerung und der Oppo sition L tout prix besteht darin, daß die letztere ohne Weiteres das Kind mit dem Bade ausschüttet, während die nationale Be völkerung ihre Kritik gegen einzelne begangene Fehler richtet, darum aber gar nicht daran denkt, eine großzügige Politik Deutschlands aufgeben zu wollen. Wenn irgend ein Officier der Schutztruppe in den Colonien sich etwas zu Schulden kommen läßt, oder wenn «in nach China abgehender General etwas zu lebhaft gefeiert wird, so ruft die Opposition: „Weg mit den Colonien, weg mit der Chinapolitik!", während die national« Bevölkerung verlangt, daß die nach den Colonien zu sendenden Persönlichkeiten mit größter Sorgfalt auszusuchen seien, bezw. daß man sich überflüssigen Ueberschwanges enthalte. Im klebrig«» ist es eine von den kleinen Bosheiten der Weltge schichte, daß im unmittelbaren Anschlüsse an di «Worte des Partei papstes, von dem Flottenschwindel sei kein« Rede mehr, einsüd- deutsches Mitglied der Partei für eine starke F l o t t e ei n t r a t. Zwar wurde der unvorsichtige Mann durch die Myrmidonen Richter's derart niedergebrüllt, daß er zu Kreuz« kroch (allerdings ist es nicht ganz sicher, ob seine Bemerkung, er habe seinen Zweck erreicht, er sei hierher gekommen, um sich be lehren z-u lassen, nicht eine sehr böse Ironie enthält), aber es ist schon charakteristisch genug, daß unmittelbar nach der „kraft vollen" Rede des Parteipapstes überhaupt eine Oppsition sich hervorwagte. Die Wirren in China. Das deutsch-englische Abkomme». Die „HavaS"»Agentur, die, wie man jetzt weiß, in der Londoner Üebermittelung deS deutsch-englischen Abkommen- das Wort Rußland vergessen hatte, hat während 36 Stunden die französische Presse und die öffentliche Meinung in Frankreich vollständig in Verwirrung gesetzt. Freilich hätte sich wenigstens die Presse diese Verwirrung sparen können, wenn sie mit weniger Eile und mit mehr kritischer Besonnenheit zu Wege gegangen wäre, indem sie auch dem richtigen Berliner Text, der Rußland mit aufzählte, einige Beachtung geschenkt Kälte. Kein Blatt aber hat diese kritische Vergleichung angestellt, vielmehr leitartikelte, wie der „Köln. Ztg." aus Paris ge meldet wird, der „GauloiS" sogar gestern noch an dem ver meintlichen absichtlichen Ausschluß Rußland- herum und ebenso der „Eclair", letzterer sogar im Widerspruch mit seinem eigenen nach der Berliner LeSart gegebenen Text des Abkommens. Die „D6batS" ziehen heftig gegen die Nach lässigkeit jener Agentur zu Felde und schreiben dann: Nach Beseitigung diese- Versehen- erscheint da- Abkommen zwar noch als eine wichtige Angelegenheit, aber nicht mehr als etwa- Außergewöhnliches. Die englische Presse will den Glauben erwecken, es bestände ein englisch-deutsches Bündniß. Das scheint un- aber der Wirklichkeit nicht zu ertsprechen. Wir glauben vielmehr, daß e- sich um ein Abkommen handelt, daS einfach dem Interessen» conslict zwischen Deutschland und England in China ein Ende macht. Die englische Presse ist in ihrer Rolle, wenn sie behauptet, daß daS Abkommen für England vortbeilbafter wäre als für Deutschland. Un» scheint da» Gegentheil der Fall zu sein. Der „TempS" bemerkt kurz: Nachdem daS Versehen beseitigt ist, das man, wenn Thatsache, al- eine Beleidigung sür Rußland hätte anseben müssen, erscheint unS das Abkommen weniger beunruhigend. E- hat die glückliche Wirkung, Deutsch- land mit England i». einer gemeinsamen Politik der Selbst losigkeit zu verbinden und die angebliche englische Einfluß sphäre im Dangtsethale verschwinde» zu machen. An- Rom, 23. October, wird der »Voss. Ztg." tele- graphirt: Die .Tribuna" bemerkt zum deutsch-englischen Abkommen: »Unser diplomatischer und moralischer Anschluß an di« deutsch-englische Verbindung darf auch dadurch an Schnelligkeit und Herzlichkeit nickt- eiobüßen, daß Artikel lal die Möglichkeit einer Lösung offen läßt, die dem Grund gedanken der Abmachung widerspricht, indem Gebiets» ei Weiterungen erfolgen könnten, um diejenigen anderer Mächte wettzumachen. Denn die deutschen wie die englischen Be sitzungen werden unserm Handel offen stehe». Wir müssen rasch und von Herze» deitretea, weil rS un ¬ umgänglich ist und wir alles Interesse haben, daß die Ver ständigung nicht auf zwei Mächte beschränkt bleibe. Ostasien ist daSgroßekünftige Arbeitsfeld. Mit eigenen Kräften können wir eü uns nicht sickern. Selbst die Abmachung mit Oesterreich und England betreffs der Levante ist sür uns ergebnißloS geblieben. Also sind wirksamere Bündnisse nöthig. Die ausrichtige, nölhigenfalls ganz uneigennüpige Unterstützung Deutschlands und Englands in Ostasien führt möglicherweise zu dem Mittelmecr-Dreibunde, der sür uns retten kann, waS noch zu retten ist". * Petersburg, 23. Lctober. (Telegramm.) „Peterburgs- kija WjedomoSti" sagen in Besprechung des deutich-engbschen Abkommens, dieses sei durchaus nicht gegen Rußland ge richtet, und betonen, daß Nordchina ausschließlich zur russischen Einflußsphäre gehören müsse, was auch die deutschen und eng lischen Politiker einsehen würden. Arie-enSverhandlungen. Der deutsche Gesandte von Mumm ist in Peking an gekommen, wo jetzt wohl daS gesammtc diplomatische Corps der fremden Mächte versammelt ist. Damit ist für den chinesischen Unterhändler Li-Hung-Tickang der Moment gekommen, wo er sich über seine Vollmachten wird aus weisen müssen. Bisher sind die chinesischen angeblichen Friedens- bcvollmäcktigten anscheinend noch durchaus nickt zu einem vollen Verständniß ibrer Aufgabe durchgedrungen; das bat jene erste Note, die sie den Vertretern der Mäckte über mitteln zu müssen glaubten, hinreichend bewiesen. Sie baden sich auf den Standpunct gestellt, daß sie den Mächten Be dingungen zum Frietenssckluß vorschreiben können. Sie und namenllich Ll-Hung-Tsckang müssen jetzt vor Allem einseben, daß sie die Forderungen der Mächte ent» gegenzunebmen baben. Dann wird nichts im Wege sieben, daß durch die chinesischen Vertreter die Negierung Chinas über das unterrichtet wird, was sie an Forderungen zu erfüllen hat. Dazu ist es selbstverständlich nötbig, daß über diese gemein samen Forderungen unter den Mächte» selbst jede Differenz beseitigt ist. Dock ist dies nach dem Verlauf der bisherigen d'plvmatischen Verhandlungen zwischen den Mächten wohl nicht mehr in Zweifel zu ziehen. Ob und inwieweit die Friedensverhandlungen zu günstigem Ergebniß führen werden, daS bängl jetzt weniger von den Großmächten ab, als von dem Verhalten Chinas, daS noch immer von Zweideutigkeiten nicht frei ist. * Pari-, 23. October. (Telegramm.) Mehrere Blätter be- richten: Die Pariser chinesische Gesandtschaft habe ein Telegramm Li-Hung-Tichang's erhalten, Las besagt, der französische Gesandte Pichon sei schwer erkrankt und es sei deshalb nöthig, einen anderen Bevollmächtigten zu ernennen, damit die Verhand lungen keinen Aufschub erlitten. Weitere Meldungen. * Petersburg, 23. Lctober. (Telegramm.) „Nowoje Wremja" berichtet aus SsretenSk unter dem 20. Octobcr: Seit dem 28. September sind 22000 Reservisten aus China nach Hause zurückgekehrt. 6000 sind auf Dampfern in Loreiensk eingelroffen. Ta seit dem 19. October die Schifffahrt auf dem Amur eingestellt sst, mußten 3000 Reservisten die Dampferfahrt unterhalb Pokrowskas aufgeben. Längs LeS Sckilko-Flusses sind Etappen ausgestellt, die mit warmer Kleidung und Proviant versehen sind. * Paris, 23. October. (Telegramm.) Dem „Echo de Paris" zufolge hat die Regierung beschlossen, wegen der in den südlichen Provinzen Chinas au-gebrochenen Aufstände Ende LeS Monats 3500 Mann zur Verstärkung nach China zu senden. * Brüssel, 23. October. (Telegramm.) Der „Patriot«" theilt mit, daß an zuständiger Stelle von der vom „Messager Le BruxelleS" gemeldeten Einmischung Belgiens in China, und zwar in der Form, daß eS an der Bildung der internationalen Gendarmerie theilnchme, nichts bekannt sei. Ter Deutsch-Englische Vertrag und das militärische Gleichgewicht tu Lstasien. Man schreibt uns: Eine umsichtige Staatskunst verläßt sich nicht auf Erklärungen, und selbst nicht auf Versprechungen fremder Regierungen, wenn dieselben nicht durch Thatfachen unterstützt werden. Nicht allein die Worte sind nach diplo matischem Gebrauche nur dazu da, um die Gedanken zu ver bergen, sondern auch amtliche Noten. Es konnte aber dem auf merksamen Beobachter schon seit geraumer Zeit nicht mehr ent gehen, daß daS kriegerische Torgehen Rußlands in Ost-China dort eine Lage geschaffen hat, welche diesem Staate nicht nur militärisch, sondern auch politisch eine Stellung verschafft hak, die auf das internationale Gleichgewicht für die Dauer nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Dabei ist cs auch vollkommen gleichgiltig, ob das militärische Vorgehen Rußlands durch die feindselige Haltung Chinas pro- vocirt worden ist und ebenso belanglos, daß die gewaltige militärische Action Rußlands in Ost-China in erster Linie dem Schutze der ostchinesischen (mandschurischen) Eisenbahn galt. Thatsache ist und bleibt es eben, daß sich augenblicklich die Linie Chailar-Tsitsikar-Kirin-Mukden-Port Arthur, welche strategisch das ganze nordöstliche China, einschließlich Korea, be herrscht, von russischen Truppen besetzt gehalten wird. Ein Blick auf die Karte zeigt, welche ungeheuren Gebiete damit dem militärischen wie politische^ Einfluß Rußlands ausgeliefert sind. Und zwar ausschließlich russischem Einfluß, denn es giebt nur eine Macht, welche unter Umständen zu Lande in jenen Gegenden Rußlands Einfluß auch militärisch bekämpfen könnte, und das ist Japan. Die politische Conjunctur schließt aber vor läufig eine solche Eventualität aus. Auch die amtlich verkündete russische Demobilisirung in Asien hat an diesem militärischen Thatbestand in Ostasien nichts geändert. Es sind nämlich bei der Mobilisirung im Sommer dieses Jahres so viele Neuformationen in den asiatischen Militärbezirken Rußlands geschaffen worden, daß auch nach der partiellen Demobilisirung der Jstbestand der russischen Truppen in Asien immer noch ein recht ansehnlicher ist. Nach mäßiger Schätzung sind nämlich im Ganzen mindestens 80 000 bis 9O OO0 Mann Russen in China versammelt. Daß diese Truppen ¬ zahl, vor Allem aber die von ihnen vollzogene Besetzung eines namhaften Theiles des chinesischen Reiches, einen Machtfactor darstellt, welcher von großer politischer Bedeutung ist, dürfte außer Frage stehen. Das deutsch-englische Abkommen schafft aber einen gewissen militärischen Ausgleich durch das Zusammenfassen der Macht mittel zur See, über welche England, Deutschland und seine Verbündeten in Ostasien verfügen. Daß dieses nunmehr gewährleistete Zusammenfassen dieser Machtmittel den Zwecken einer friedlichen Politik dienen soll, ist bei den bekannten Friedenszielen Deutschlands selbstverständlich. Aber auch diesen friedlichen Zielen auf internationalem Gebiet war nach der Natur der Dinge am besten gedient, wenn keinem der an den chinesischen Wirren interessirten Staaten irgend ein Uebergcwicht — sei es militärischer oder territorialer Art — zur Seite steht. Unter diesen Gesichtspunkten ist jedenfalls der deutsch-englische Vertrag von großer praktischer Bedeutung für eine friedliche, d. h. den Ansprüchen aller Mächte gerecht wer dende Lösung der chinesischen Frage. Tie Einnahme von Paotingfu. Die Expedition nach Paotingfu ist in überraschend kurzer Zeit zu einem erfolgreichen Abschlüsse gelangt. Die ganze Operation hat nämlich nur sechs Tage in Anspruch genommen; denn erst am 12. d. M. wurde sie mit einem combinirten Vor marsche von Peking und Tientsin aus begonnen, drei Tage später erschien bereits die englische Cavallerie vor den Wällen der Stadt, und am 17. d. M. zog auch die Avantgarde der In fanterie in Paotingfu ein. Weder während des Marsches, noch vor den Thoren der Stadt fanden die Verbündeten ernsteren Widerstand. Die chinesische Cavallerie ist zwar in Fühlung mit den vorrückenden Colonnen der Verbündeten geblieben, aber stetig in südwestlicher Richtung zurückgewichen. Der Vormarsch erfolgte in drei Colonnen; zwei derselben setzten sich von Tientsin, die dritte von.Peking aus am 12. d. M. in Marsch. Die zwei aus Tientsin abgegangenen Colonnen marschirten zu beiden Seiten der ausgedehnten Sumpfzone, welche von Tientsin an den Ufern des Tschulungflusses in west licher Richtung bis in die Gegend von Ugantschou, einen Tag marsch vor Paotingfu, reicht. Die nördliche Colonne hatte den kürzeren, aber gefährlicheren Weg, weil er an zahlreichen Dörfern und den größeren Städten Patschou und Hsiung vor über durch ein Gebiet führte, in welchem monatelang die Boxer ihr Unwesen getrieben. Diese aus französischen, deutschen und italienischen Truppen gebildete Colonne war ihrer schwierigen, unsicheren Marschlinie entsprechend, auch stärker gehalten und aus sechs Bataillonen mit Cavallerie und Artillerie zusammen gesetzt. Das Kommando führte der französische General Bailloud. Zwei Bataillone des deutschen 3. ostasia tischen Infanterie-Regiments bildeten die Avantgarde. Ein französisches Bataillon marschirte als Spitze einen Tag marsch voraus. Dasselbe traf daher zuerst, und zwar schon am 17. d. M., vor Paotingfu ein. Die zweite, schwächere Colonne nahni den längeren Weg südlich der genannten Sumpfzone über Tuliu, Wangkiakou und Menan, wo am 16. d. M. eine Anzahl chinesischer Soldaten gefangen und entwaffnet wurde. Sie war durchwegs aus englischen Truppen unter Führung des Obersten Campbell gebildet und zählte vier Bataillone, vier Escadronen und eine reitende Batterie, zusammen gegen 3000 Mann. Die Pekinger Colonne setzte sich aus acht Bataillonen, vier Escadronen und zwei Batterien zusammen, zählte demnach gegen 7000 Mann deutscher, französischer und englischer Truppen. Tas Commando führte der englische General Ga selee. Auch hier bildeten die deutschen Truppen, und zwar di« beiden Bataillone der Seebrigade unter General major Höpfner, die Avantgarde. Die Colonne marschirte auf der großen Straße unmittelbar westlich und parallel der Eisenbahn Peking-Paotingfu. Ihre vorgeschobene Cavallerie traf bereits am 15. vor.Paotingfu ein. Sie wollte in die Stadt einrücken und sogleich die französische Flagge hissen, ließ jedoch diese Absicht auf Einsprache des dortigen chinesischen Schatz meisters fallen und erwartete die Ankunft weiterer Truppen. Erst nach dem Eintreffen des der Colonne Bailloud voraus gesendeten Zuavcn-Bataillons wurde Paotingfu von diesem und einer Schwadron Cavallerie besetzt. Die Bedeutung dieses Platzes liegt für die Verbündeten nicht so sehr auf politischem, als auf rein militärischem Gebiete. Es wäre irrig, wollte man diese Operation mit der Absicht einer Sperrung der Verkehrswege nach Singanfu, der jetzigen chinesischen Residenz, und hierdurch mit einer materiellen Ein wirkung auf die Rückkehr des Hofes nach Peking in Verbindung bringen. Paotingfu liegt von Peking aus kaum im ersten Achter des dirccten Weges nach Singanfu, bildet also nur die erste Etappe auf der großen Verkehrsstraße von Petschili nach den westlichen und südlichen Provinzen. Von hier aus können also nur die Zufuhren aus dem östlichen, jetzt von den Verbündeten besetzten Theile des Reiches abgehalten werden, unv zwar nur in dem Maße, als es ohnehin auch von Peking und Tientsin au- möglich ist. Aus den nördlichen, an die Mongolei grenzenden Districten, wo die meisten Sympathien für die Mandschu- Dynastie bestehen, können etwaige Waffen- und Provianttrans porte nach wie vor mit Umgehung der Hauptstadt den Weg über Kalgan und Tathung nach der Provinz Schansi einschlagen. Daran wird auch durch die Besitznahme von Paotingfu durch die Verbündeten wenig geändert. Uebrigens erfolgt die Versorgung der kaiserlichen Hofhaltung mit Geld und Naturalien der Haupt sache nach aus den reichen Provinzen des Südens und des Pangtse Gebietes. Eine rationelle Unterbindung dieser Zuzüge ließe sich immerhin durch Forcirung des mittleren Pangtsethales, etwa bis Jtschang und der von dort nach dem Hoangho führenden canalisirten Wasserstraßen, bewerkstelligen. Doch sind zur Zeit in dieser Beziehung noch keine Maßregeln erfolgt, denn die Geld- und Waffensendungcn aus den Pro vinzen Hunan und Hupe nach Singanfu dauern fort, und die vor einigen Tagen angekündigte Entsendung mehrerer Kanonen boote in das mittlere Aangtsethal, die sogar mit der Expedition nach Paotingfu, und zwar mit Bezug auf die neue chinesische Residenz, in Verbindung gebracht wurde, hat — bisher wenigstens — nicht stattgefunden. Mit einer Jsolirung oder gar einer Verfolgung des chinesischen Hofes steht daher die Offensive nach Pao tingfu in keinem Zusammenhänge. Dagegen ist der Besitz dieses
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