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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-09
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011109021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901110902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901110902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
- Tag1901-11-09
- Monat1901-11
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Anzeigen.Pret- die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 L,, vor den Familiennach- richteu (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Änuahmeschlllk für Äiyeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-AuSgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. Nr. 573. Sonnabend den 9. November 1901. S5. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Präsident Krüger hat dem Drängen seiner Umgebung nachgegeben und sich ent schlossen, Anfangs Dccember, wenn möglich jedoch schon früher, Hilversum zu verlassen und den Winter im Süden von Frankreich zu verbringen. Die Villa Casa Cara in Hilversum, die bisherige Wobnung des Präsidenten, bleibt zu dessen Verfügung, da derselbe den Wunsch geäußert bat, im folgenden Frühjahr, so früh, als die Welter- Verhältnisse eS irgend gestatten, nach Hilversum zurück zukehren, da er sich dort völlig eingelebt habe und der Aufent halt daselbst ihm lieb und Werth geworden sei. Der Ge sundheitszustand deS Präsidenten ist vorzüglich, leine Zuver sicht in den für sein Volk glücklichen AuSgang des Krieges ist nach wie vor unerschüttert. Als ihm, so wird der „Tägl. Rundsch." geschrieben, das Telegramm von der Niederlage der Colonne Benson vorgelesen wurde, wiederholte er fragend, die Hand am Ohr, die Zahlen der in dem Telegramm a'S getödtet oder scbwer verwundet angegebenen Ossiciere und Mannschaften, als habe er nicht recht gehört. Als man rlnn bejahte, murmelte er nur kopfschüttelnd die Worte: „Arme MoederS" (Arme Mütter!). * Haag, 8. November. Nach Informationen aus sicherer Quelle erhielt die Familie Les niederländischen Generalconsuls in Pretoria ein nicht unterzeichnetes Telegramm aus Pretoria, welches besagt, daß der Generalconsul Pretoria verlassen habe, um sich nach den Niederlanden zu begeben. Indessen erhielt das Ministerium des Auswärtigen keine Benachrichtigung bezüglich der Abreise des Generalconsuls oder der Uebertragung von dessen Geschäften an den französischen Consul. Man nimmt an, daß der Vertreter nicht so vorgegangen wäre, ohne seine Regierung davon zu benachrichtigen, wofern nicht die Reise ganz plötzlich erfolgt und die Telegraphrn-Verbindung unterbrochen sei. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. November. Ueber das Jnstrrburger Lfficier-Tuell gebt der „Nat.- Ztg." von einem GewährSmanne in Znsieiburg, der versichert, er habe seine Mittbeilung so sorgsam bearbeitet, wie er eS vor Gott und Menschen verantworten könne, eine Darstellung zu, welche die Schuld deS Beleidigers Blaskowitz in milderem Lichte erscheinen läßt, als die früberen Schilderungen. Wir entnehmen der Darstellung folgende Einzelheiten: „Der Leutnant Kurt Blaskowitz ist der Sohn eines Pfarrers aus Walterkehmen, einem Kirchdorf, das etwa 2 Meilen südlich von Gumbinnen liegt. Pfarrer Blaskowitz hat eine recht zahlreiche Familie; sein Sohn Kurt war sein ältestes Kind. Seit dem August 1896 war Kurt Blaskowitz Officier. Dem Vater war eS als Pfarrer nur mit manchen Opfern möglich gewesen, seinen Sohn Officier werden zu lassen; die Zukunst hatte sich jedoch für den jungen Leutnant durch seine Ver lobung sehr günstig gestaltet. Auch in militärischer Hinsicht be- rechtigte Kurt Blaskowitz zu den besten Hoffnungen; cr war Adjutant bei dem zweiten Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 147 und galt allgemein als ein befähigter Oificier. Freitag, am 1. November, sollte in Tcutjch-Eylau bei einer Schwester seiner Braut die Vermählung durch einen Polterabend eingeleilet werden. Am Tage vorher gab Leutnant Vlaßkowitz seinen unverheiratheten Kameraden im Casino die übliche Abschieds bowle. Daß er selbst dabei des Gaten zu viel getban hätte, haben seine Kameraden nicht bemerkt; sonst hätten sie ihn nicht allein nach Hause gehen lassen. In der frischen Lust scheint jedoch die Bowle ihre Wirkung geübt zu haben, denn als in der Rciibabnstraße die Artillerie- Leutnants Hildebrandt undRaßmussen ihren Kameraden Blas kowitz trafen, schien er ihnen so schwach auf Len Füßen, daß sie be- Ichlossen, ihn der Vorsicht halber nach Lause zu bringen. Leider lührten sie diese Absicht nicht sofort vollständig aus; sie brachten den kaum seiner Sinne Mächtigen nur bis in die Nahe seiner Wohnung und glaubten, er würde von dort allein nach Hause finden. Sie waren bereits eine nicht unerhebliche Strecke von der Stelle entfernt, an der sie den Leutnant Blaskowitz seinem Schicksal überlassen hatten, als ihnen Bedenken ausstiegen, ob sie gut daran gethan hätten, den Kameraden nicht ganz nach Hause zu bringen. Deshalb kehrten sie um und fanden den Leutnant Blaskowitz fast auf derselben Stelle, wo sie ihn verlassen hatten. Augenicheinlich hatte er sich zunächst au ein Haus angelehnt gehabt, und war dann heruntergesunken, so daß ihn die beiden Lfficiere in hockender Stellung, schlafend, an die Mauer gelehnt, antrasen. Sie faßten ihn deshalb unter die Arme und suchten ihn emporzuhebcn. Dabei schlug der Trunkene mit den Armen um sich, ohne im Schlafe zu wissen, wer ihn ungefaßt hatte und gegen wen cr sich wehrte. Das ist die Ursache zum Zweikampf! Am nächsten Morgen, also am Freitag, fuhr Leutnant Blaskowitz zn seinem Polterabend nach Deutsch-Eylau. Mau kann es ihm gewiß glauben, wenn ec versicherte, von den Vorgängen des letzten Abends am nächsten Morgen nichts gewußt zu haben. In Deutsch-Eylau war Alles zur Feier LeS Polterabends vorbereitet, auch dir Gäste waren bereits erschiene», als ein Telegramm aus Insterburg eintraf, das den Leutnant Blaskowitz aussorderte, jose.t nach Jiisterburg zu kommen, er sei von zwei Oificicrcn gefordert und müsse wahrscheinlich den Ehrenhandel sofort aussechten. Daß Leutnant Blaskowitz zu seiner Hochzeit gefahren, war den Absendern des Telegramms selbstverständlich bekannt. Die Hochzeit war auf Sonnabend festgesetzt. Sie wurde in Folge dieses Telegramms verschoben und Leutnant Blaskowitz reiste sofort nach Insterburg. Dort erfuhr er, daß die Leutnants Hildebrandt und Raß müssen den Vor- gang gemeldet und ihn gefordert hätten. Nun tagte ein Ebrenrath, ob am Sonnabend oder am Sonntag, das ist nicht gewiß. Loch ist Letzteres wahrscheinlicher. An dem Ehrenrath sollen außer dem Regimentscommanteur Obersten von Reißwitz der Hauptmann Weyergang und die Oberleutnants Müller und Quade theil- genommen haben. Leutnant Blaskowitz wollte die Angelegenheit, von der er thatsächlich nichts wußte, in der Weise regeln, daß er eine Ehrenerklärung den beiden Artillcrievsficiercn gegen über abgab,' und die Verletzten wollten sich damit auch begnügen. Es verlautet sogar. Laß einer der beiden Artillerieosficiere seine > Forderung nach richtiger Würdigung der Verhältnisse zurückgcnommen hatte oder habe zurncknehmen wollen. Der Ehrenrath entschied jedoch so, daß der Zweikamvf unvermeidlich war, der Brigade- commandeur Generalmajor Stamm in Gumbinnen und der aus dem Krosigkprocrß bekannte Tivision-commandcur von Alten in Insterburg haben von dieser Entscheidung Kenntniß erhalten. Am Sonntag Abend kam der Psarrer Blaskowitz mit seiner Frau, ferner die Braut und ein Infanterie-Hauptmann, der m t einer Schwester dec Braut in Deutsch-Eylau verheiratbet ist, nach Insterburg. Am nächsten Morgen sollte der Zweikamps statt finden. Was mögen diese Menschen in dieser Nacht mit einander beratben haben?! Waren sie nicht wie Gestalten aus einem Calve- ron'jchen Drama durch einen falschen Begriff der Ehre mitten aus der Freude des Lebens vor die schrecklichste Entscheidung gestellt? Was sie gesprochen haben mögen, wir wissen es nickt, nur so viel steht sest, daß auck die Fraoe erörtert wurde, ob Leutnant Blasko witz nicht seinen Abschied nehmen sollte Es ist begreiflich. Laß er, der mit Leib und Seele Soldat war. diesen Ausweg rundweg ab lehnte. Pfarrer Blaskowitz versuchte am Sonntag Abend noch durch persönliche Rücksprache eine andere Entscheidung herbeizusühren — vergebens. Dann kam das Würfelspiel um Tod und Leben. Ueber die Bedingungen, unter denen der Zweikamvf stattsand, sind viele Les- arten im Umlauf. Mir ist diejenige die wahrscheinlichste, nach welcher nur ein einmaliger Kugelwechsel vorgesehen war. Es wurde nach Zählen geschossen, und beide Theile schossen so gleichzeitig, daß man anfänglich glaubte, es sei nur ein Schuß gefallen Leutnant Blaskowitz hatte einen Schuß in den Unterleib erhalten. Die Kugel hatte die linke Niere zerschmettert und war an der Wirbelsäule abgeprallt. Die Verletzung war tödilich. Bereits wenige Stunden nach dem Zweikampf war Leutnant Blaskowitz eine Leiche. Beerdigt wurde er von seinem Vater an seinem fünf- undzwanzigsteu Geburtstage. Einigen betheiligten Herren soll jetzt Manches furchtbar leid thun. Ter Rest ist Schweigen." So der Bericht, dem die „Nat. Ztg." tnnzusügt, für die öffentliche Meinung und den RchtchSlag könne der Nest nicht Schweigen sein. Zweifellos wäre cs für den Leutnant Blaskowitz, nachdem er sich in den Znstaud der Unzurech nungsfähigkeit versetzt und in diesem Zustande etwas gethan halte, was kein Ossicier thun dürfte, das Richtigste gewesen, den Abschied zu nehmen. Nachdem er sich aber bereit erklärt hatte, eine Ehrenerklärung abzugeben, hatte er gethan, was nach der kaiserlichen Verordnung vom 1. Januar 1897 als genügende Sühne angesehen werden sollte. Zn dieser Ver ordnung heißt cö bekanntlich: „Ich will, Laß Zweikämpfen Meiner Ossiciere mehr als bisher vorgebcugt wird. Die Anlässe sind oft geringfügiger Natur, Privatstreitigkeiten und Beleidigungen, bei denen ein gütlicher Ausgleich ohne Schädigung der Standesehre möglich ist. Der Ossicier muß es als Unrecht erkennen, die Ehre eines Anderen anzulasten. Hat er hiergegen in Uebereilung oder Erregung gefehlt, so handelt er ritterlich, wenn er an seinem Unrecht nicht festhält, sondern zu gütlichem Ausgleiche die Hand bietet. Nicht minder muß Derjenige, dem eine Kränkung oder Beleidigung widerfahren ist, die zur Versöhnung gebotene Hand annehmen, soweit Standesehre und gute Sitten es zulassen". Zn derselben Verordnung ist gesagt, daß „der Ebren rath binsort grundsätzlich bei dem ÄuStrage von Ehren bändeln Mitwirken soll; er bat sich dieser Pflicht mit dem gewissenhaften Bestreben zu unterziehen, einen gütlichen Ausgleich herbeizaführen." Zu diesem Bchufe wird bestimmt: Ter Ebrenrath hat unter Leitung des Commandeurs den Sach verhalt ungesäumt durch mündliche oder schriftliche Verhandlungen auszuklären und nach dem Ergebnisse der Ermittelungen, sowie nach Anhö-ung der Betheiligten schriftlich entweder 1) einen AuS« gleichst, or sch lag aufzuslellen, oder 2) zu erklären, daß er sich nach Lage der Sache außer Stande sehe, einen Ausgleich vorzuscklagen, daß vielmehr ein ehrengerichtliches Verfahre« notbwendig sei, oder aber 3) festzustellen, daß die Ehre der B«- «heiligten sür nicht berührt zu erachten und deshalb weder ein Grund zur Ausstellung eines AusgleichSvorschlages noch auch z« einem ehrengerichtlichen Verfahren vorhanden sei. Zst in Insterburg überhaupt nach dieser Anordnung ver fahren worben, dann kann der Ebrenrath nur die Erklärung zu 2 abgegeben haben — was nach der oben mitgetheilte» Darstellung unbegreiflich sein würde; aber an der Tbatsache, baß das Duell statigefundeu hat und daß der Leutnant Blaskowitz erschossen worben, ist ja nicht zu rütteln. In der Vctorbnung vom 1. Zanuar 1897 folgen dann auf die Be stimmungen über die Tbätigkeit deS EbrenrathS Anordnungen, wovack m dem Falle zu 2 ein ehrengerichtliches Verfahre« staltrufiiiben bat. Ueber die Bedeutung desselben ist nicht« Bestimmtes gesagt; es heißt nur: „Ueber einen Oificier, der unter Umgehung deS EhrenrathS, oder vor endgiltigcr Entscheidung über den Beschluß deS Ehren raths, oder unter Nichtachtung des endgiltig festgestellten Ausgleichs vorschlages oder der Feststellung zu 3, oder vor Meiner Ent* * icheidung auf den ehrengerichtlichen Spruch einen anderen Ossicier zum Zweikamps heraussordert oder die Herausforderung eine anderen Ossiciers zum Zweikampf annimmt, ist Mir sofort z» berichten." Hier sind, wie alsbald nach der Veröffentlichung der Ver ordnung vom 1. Januar 1897 hervorgeboben worden ist, Unklarheiten und Lücken; tbatiäcklich wird wohl jeder seitdem stallgehabtc Zweikampf zwischen Officieren erfolgt sei», ohne daß eine kaiserliche Entscheidung auf einen ehrengeiichtlichea Spruch abgewartct wurde. Doch für den in Rede stehenden Fall ist das velkältnißmäßiz gleicbgiltig; die wichtigste Frage ist, in welcher Art der Ehrenrath uch der ihm durch die kaiserliche Verordnung übertragenen Aufgabe entledigt bat und wie die Vorgesetzten sich hierzu verhalten baden. Hierüber wird der Krieasminister im Reichstag Aufklärung zu geben haben. Ter „Beil. Localanz.* erfährt denn auch, daß die amtliche Stelle, welche über das Vorkommniß der Volks vertretung gegenüber Erklärungen abzugeben haben werde, Schritte zu ihrer genauen Orienlirung emgeleitet habe. Die leitenden preußischen CentrumSblätter sind einen Pcstlag zn spät zu der Erkennlniß gelangt, daß sie daß prcuszisch-winttcmbcrgtsche Postabtommcn im Znleiefse deS baycriichen CenirumS nicht so vorbehaltlos begrüßen durften, wie sie es gethan haben. Offenbar ist es dem Münchener Cenlrumöorgan gelungen, die preußischen klerikalen Blätter Feuilleton. 8) Nittergut Tresfin. Roman von R o b e r t M i s ch. Naätruck vcrt'ricn. Der Gutsbesitzer hielt zwar strenge Controle; immerhin bot sich dem Inspektor — noch nie hatte er einem Untergebenen so viel Vertrauen geschenkt — manche Gelegenheit, sich zu bereichern. Hatte Platen ihm nicht die Bücher in Ordnung gebracht, wozu er sonst immer «inen Buchhalter kommen ließe? Konnte Platen nicht beim Ein- und Verkauf — zweimal hatte er ihn nach Stettin geschickt — seinen Schmutz gemacht haben? Man sollte eben keinem Menschen Vertrauen schenken. Mit dieser gokoenen Lebensregel war er bisher gut gefahren. Jetzt hatte er sie zum ersten Male nicht befolgt. Von nun aber wollte er dem lustigen und freigebigen Herrn mit den vornehmen Allüren ordentlich auf die Finger schauen. Da er nichts weiter zu rügen vorfand, — die Leute waren nun einmal laut und vergnügt nach ländlicher Sitte —, so zog der Alt« nach einigen sauren Bemerkungen sürbatz. Auf dem zweiten Hofe, wo es jetzt schon ganz dunkel war, störte er ein Liebespaar von einer Bank auf, das eilends vor dem gestrengen Herrn entfloh. Dann ging er quer über diesen Hof und bog um die Schaf ställe herum nach den Gesindekammern ab- Von dort tönte nahe der Thür ein verdächtiges «Kichern und Wispern. Aber unvor sichtiger Weise fing er zu husten an, sein trockenes Räusper-Husten, das jedes lebende Wesen auf seinem Hofe kannte. Das Lachen verstummte sofort, einige dunkle Gestalten enteilten schnell. Nun ging er hinten herum zum Seitenflügel des Wohnhauses zurück. In Fritzens Zimmer im Hochparterre brannte Licht; lärmende- Sprechen, Gläserklingen, Hochrufe tönten von dorther. Als er unter die Fenster trat, hielt der Junge gerade eine donnernde Rede, in der etwas von „Freiheit, brüderlichem Zu sammenhalten, von sonniger Zukunft, gebrochenen Fisteln und dem herrlichen Berlin" vorkam, und sonst roch allerlei Blödsinn, den er nicht recht verstand; denn einige andere, anscheinend auch jugendliche Stimmen lärmten und lachten dazwischen, und ein „Hoch" beendete den Speech. Deutlich unterschied er Fritzen's Stimme, die des jungen Barons Maltenitz, der einige Jahre älter war, und des gleich alterigen Pastor-Heinz, der seit Ostern in Berlin studirte und jetzt die großen Ferien im Pfarrhause verlebte, übrigens ungeladen mit seinem Vater gekommen war. Die jungen Herren schienen es sich hier gemüthlich gemacht und auch etwas Trinkbares ergattert zu haben. Hatten sie sich etwa eine Extrabowle gebraut? Und woher hatten sie den Stoff dazu? Solch' eine Frechheit! Da wollte er denn doch nach dem Rechten sehen. Hastig, aber leise, wie ein Dieb, schlich er die Treppe hinauf, öffnete das Zimmer. Eine rothe Wolke des Zorns legte sich ihm vor die Augen, denen er kaum traute. Da stand Champagner — sein echter, französischer Sect, der feinste Moet L Chandon, zehn Mark die Flasche, von dem nur noch etwa ein halbes Hundert Flaschen im Keller lagerten. Zwei Pullen hatten sie schon geleert, die Burschen. Die dritte war halb leer, und in einem Waffereimer standen noch zwei volle. Eine rasende Wuth packte ihn, so daß er im ersten Augenblick gar keine Worte fand. Die vier jungen Leute — ein ungeladener Gast aus Klützow, Fritzens Intimus, war auch dabei — sprangen erschrocken auf, als sie den Alten mit rothem Kopfe und bösen, zcrnglllhendcn Augen plötzlich vor sich stehen sahen. Fritz wurde bttich bis in die Lippen. „Papa?! Ich ... wir .. . wir haben nur . . ." stotterte er verlegen — „das heißt, ich bin allein Schuld ... ich habe den Sect geholt.... Sie wissen gar nicht, daß ich nicht die Erlaubniß habe. . . . Die Kellcrthür stand nämlich offen; und weil doch Festtag ist" .... Mit ängstlich flehenden Augen, wie ein Hund, der den Stock des Herrn fürchtet, blickte er den Vater an. „Du Dieb! Du ... Du infamer Dieb und Taugenichts!" Die jungen Leute waren vor dem wüthcnden Manne, der jetzt blindlings mit dem Stocke auf seinen Sohn einhieb, ängstlich in die Ecke zuriickgewichen. „Papa, schlage mich nicht — um Gottes willen, nicht vor fremden Leuten!" „Du Dieb! ... Du infamer Bengel! . . . Champagner stehlen .... na warte!" „Vater — ich bin kein Kind mehr . . . ich lasse mich nicht mehr prügeln", schrie Fritz verzweifelt, mit drohend und ab wehrend erhobener Faust. Aber der Alte schlug ihn darauf, daß sie zu bluten begann. „Du läßt Dich nicht prügeln?! ... Du Taugenichts, in famer! Die Jacke haue ich Dir voll, wie 'nem kleinen Jungen" ... „Um Gottes willen, Vater ... es gicbt ein Unglück!" Während der Alte nur noch wüthender auf ihn einhieb, suchte Fritz ihm den Stock zu entwindcn. Vater und Sohn rangen mit einander. Wie auch der Alke keuchte und wüthetc, der junge, starke Mensch entriß ihm den Stock und stand nckn mit drohend erhobenem Arme, seiner Sinne nicht mehr mächtig, heulend vor Schmerz, Scham und Zorn, dem Vater gegenüber. In diesem kritischen Moment trat Platen, den bei einem zu fälligen Schtendergang der Lärm angelockt hatte, die Situation schnell erfassend, eiligst zwischen Vater und Sohn, dem er den Stock mit nerviger Hand entwand. ..Fritz — um Gottes willen — es ist Ihr Vater! . . . Was ist hier geschehen?" „Scheren Sie sich zum Teufel, Herr! . . . Mischen Sie sich nicht ein!" brüllte der Alte außer sich. „Herr Oekonomierath —?!" „Gehen Sie mir aus dem Wege! Mengen Sie sich nicht in Alles ein! Scheren Sie sich fort — ganz fort meinetwegen!" Platen erblaßte leicht. „Der Zorn macht Sie vergessen, daß —" „Gehen Sic zum Henker!" „Ich werde gehen!" „Meinetwegen gleich!" „Es ist gut. . . . Kommen Sie, Fritz!" Er faßte den jungen Menschen, dem die Hellen Thränen vor Schmerz und Scham über's Gesicht liefen, beim Arme und zog ihn mit sich hinaus. Der junge Baron hatte sich schon vorher gedrückt, und der Student und der Klühower folgten ihnen rasch, während ihnen der Alte, Schimpfworte murmelnd, nachstarrtc. Seinetwegen mochte der Kerl gehen. Das wäre noch schöner, wenn ihm der vordringliche Mensch jetzt gar in seine Erziehung, in seine Familicnverhältnisse dreinreben wollte! Und vas führte seine Gevanken wieder auf Fritz zurück. Sein kostbarer Sect — sein heilig gehütetes Erbstück! Gan; recht hatte er gethan, den Jungen zu prügeln, und er würde es im gleichen Falle wieder so machen. Die Lcction wird er nicht so leicht vergessen. Der stiehlt keinen Champagner mehr! Aber die Reste mußte er doch noch retten. Er trug die zwei vollen Flaschen unv Sie halbleerc vorläufig in sein Zimmer, das er vorsichtig verschloß. Dann kehrte cr zu den Gästen zurück, die ihn lärmend empfingen. * n- -i- Am anoeren Morgen saß der Gutsherr zu ziemlich später Stunde an seinem Schreibtisch. Während er aus der langen Pfeife dichte, graue Rauchwolken ausstieß, musterte er die ein gelaufene Post. Er war gestern Abend ziemlich spät ins Bett gekommen und heute mit einem fürchterlichen Kater anfgewacht — auch einem moralischen. Am nächsten Tage sieht sich Manches anders an. Zwar, daß er seinen Jungen geprügelt, das war sein Vaterrccht. Er hätte es nur nicht vor den Zeugen thun sollen, vor dem jungen Mal tenitz und den Anderen, die ihn jetzt als rohen, grausamen Vater im ganzen Kreis verschreien würden. Eine Ohrfeige hätte vielleicht genügt; over er hätte ihn später allein abstrafen sollen. Das war nun aber nicht mehr zu ändern. Aber der Inspektor — den hatte er ja wohl sortgeschickt? Ja, ja, es fiel ihm Alles wieder ein. Wenn der Mensch nun die Sache ernst Nahm?! Und das mußte er wohl, da es ebenfalls vor Zeugen geschehen war. Gerade jetzt, für die nächsten Wochen hatte er ihn noch sehr nöthig. Na, es würde sich schon wieder zusammenleimen . . . Allerdings mußte Platen den ersten Schritt thun. Man durfte ihn natürlich nicht merken lassen, daß er nöthig gebraucht würde. So etwas that nie gut. Er klingelte. Die Magd erschien. „Der junge Herr soll Herkommen." „Js weg!" „So früh schon?" (Früh wenigstens nach dem gestrmen Tag; auch war Fritz doch sonst nicht so pflichteifrig.) — „Wo iS er denn hin?" „Mit die Kutsch' nach Klützow, glöw' ick. — Hei het mich 'nen Brief for den Herrn gewen", fügte sie zögernd in ihrem Gemisch von Platt- und Hochdeutsch hinzu. „Ick sollt'n erst ma» Klock Tein afgewen. Aber dat is nu wohl bald Tein." Sie krabbelte ein Weilchen unter ihrer blauen Schürze herum, bis sie das Couvert erwischt hatte, das sie nun blinzelnd dem Herrn überreichte. Neugierig, Vie Hände unter der Schürze, blieb sie vor ihm stehen. Natürlich vermuthet« sie etwas. Die Kunde von der Champagner- und Prügelsccn« hatte sich schon gestern Abend schnell auf dem Hofe verbreitet. Nicht nur Platen allein war von dem Lärm der aus dem Parterrefenster des junge« Herrn drang, angelockt worden. Der Oekonomierath öffnete den Brief, las und zuckte zu sammen. Plötzlich bemerkte er die neugierig spähenden Auge« der Magd auf sich gerichtet. „Scher' Dich!" Sie trottete ab, dem gebieterisch nach der Thür weisende» Finger des Herrn Folge leistend. Aber fünf Minuten später flüsterten sie in allen Ställen, Gcsindekammern und Höfen, daß der junge Herr ausgerückt sei und nicht mehr wiederkommen würde. Der Brief lautete: „Wenn Du diese Zeilen erhältst, bin ich schon auf dem Wege nach Berkin. Versuche nicht etwa, mich gewaltsam zurückzuholen: ich würde Dir doch immer wieder fortlaufen. Lieber schieße ich mich todt oder gehe als Schiffsjunge in die weit« Welt, ehe ich bei D i r bliebt. Ich wäre auch ohne dies bald fortgegangen; ich wollte nur warten, bis ich majorenn bin. Zum Landmann passe ich nun mal Vicht; und nach dem, Watz gestern vorfiel, können wir auch Nicht mehr zusammen leben. Würdest Du noch einmal Hand an mich legen — bei Gott, ich würve mich vergessen. Du hast mich vor Zeug«n, vor meine» Freunden und Altersgenossen, wie einen Hund geprügelt und be schimpft — Deinen Sohn, der Ehrgefühl hat und bald neunzeh» wird. Es mag nicht recht gewesen sein, daß ich den Wein »ahm; trotzdem ich an einem solch festlichen Tage di« Sünde nicht so groß finden kann. Aber was ich auch gethan hab«, da» habe ich nicht verdient — und deshalb gehe ich. Noch einmal, Vater — lieber todt oder nach Amerika, lieber in» Gefängniß, al» noch länger in Tresfin. Dein Sohn Fritz. * * G
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