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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 21.12.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-21
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190012215
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19001221
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19001221
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-21
- Monat1900-12
- Jahr1900
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 21.12.1900
- Autor
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die Wohnung ihre- Baters «reichte. Doch lauter fremde, gleichgiltige Gesichter erblickte sie. Niemand kümmerte sich um das junge einsame Mädchen, das unentschlossen, was es beginnen sollte, am Ausgang des Bahnhofes stand und mit furchtsamen Augen die vorüberfluthende Menge musterte. Ein Herr im grauen Paletot trat auf Isa zu. „Suchen Sie vielleicht — mich, mein Fräulein?" Einige Borübergehende lachten über den schlechten Witz. Isa wandte sich ab, ohne etwas zu sagen. Sie war kaum zwanzig Schritte gegangen, als ein Anderer sie an redete: „Mein schönes Fräulein, darf ich's wagen, meinen Arm und Geleit Euch anzutragen?" Isa konnte ein leises Lächeln nicht unterdrücken, das machte den Fremden noch dreister; denn er legte es sich zu seinen Gunsten aus. Er blieb dicht an ihrer Seite, - aber sie sah ein, daß es unmöglich war, allein, ohne jeg lichen Schutz zu so später Stunde vorwärts zu kommen. Glücklicher Weise erinnerte sie sich rechtzeitig, daß sie ja ausreichende Geldmittel besaß. Sie war so jung und un erfahren, und vermochte sich nicht zu wehren gegen die Zudringlichkeiten dieser Menschen. Sie winkte eine Droschke heran und stieg rasch ein, nachdem sie dem Kutscher Straße und Hausnummer genannt. Etwas verblüfft starrte der Zurückbleibende dem davonrollenden Gefährt nach. Isa fühlt« sich sehr müde nach all der Aufregung, welche ihr die letzten Stunden gebracht. Auch plagte sie jetzt der Hunger, sie hatte ja seit Mittag nichts mehr gegessen. Run der Bater würde schon für sie sorgen; sie war ja nun bald bei ihm. „Wie er sich wundern wird," dachte sie, „wenn ich so Plötzlich vor ihm stehe." O, er sollte an ihr eine zärtliche, liebevolle Tochter finden, die ihm half, sein schweres Loos zu tragen. Sie wollte ihn mit aller Liebe umgeben, er sollte ferner nicht mehr so einsam und ver lassen dastehen, sie war ja nun da, sein Kind, um zu schaffen und zu arbeiten. Wenn Isa sich im Augenblicke noch kein klares Bild machen konnte, welcher Art die Arbeit sein würde, die sie vollbringen wollte, so fand sie doch eine große Beruhigung in dem Gedanken, dem Bater auf die eine oder andere Weise nützen zu können. Das Erste, was geschehen mußte, war, daß Graf Dornbusch sein Geld zurückbekam, daß der Bater sich völlig frei machte von diesem Menschen. Die Droschke hielt vor dem hohen, stattlichen Hause, in dem Isa mit dem Bater gewohnt hatte. Sie stieg aus, bezahlte den Kutscher und zog die Klingel. Der Portier mochte wohl schon schlafen, denn sie mußte eine geraume Weile warten, ehe man ihr öffnete. „Ist mein Papa zu Hause?" fragte sie den schläfrig dastehenden Alten, der sie mit den halbgeöffneten Augen fast blöde anstarrte. „Sie kennen mich wohl nicht? Es ist doch noch gar nicht so lange her, daß wir uns zum letzten Male sahen, ich fragte nach meinem Papa, dem Grafen Tennewitz. Erinnern Sie sich noch immer nicht?" sagte Isa, schon etwas ungeduldig werdend. Im Hausflur wat es kalt, sie - schauerte fröstelnd in sich zusammen. „Ach so, — jawohl — ganz recht!" nickte der Alte gähnend, und Isa athmete erleichtert auf. Es dauerte indeh wieder ziemlich lange, bis der? Portier, der erst noch einmal ganz laut zu gähnen anfing, weitere Auskunft ertheilte. - „Graf Tennewitz, — hm, — der wohnt nicht mehr hier, er ist vor etwa vier Wochen ausgezogen." „Ausgezogen, — o mein Gott !" stöhnte Isa im höch sten Grade erschrocken, „aber davon weiß ich ja kein Wort, Papa schieb mir doch gar nichts darüber, — das ist aller dings furchtbar fatal, wer konnte denn so etwas ahnen! — — Wissen Sie nicht, wohin er gezogen ist? — Bor vier Wochen sagen Sie, — das War ja gleich, nachdem ich fort war! Sprechen Sie doch, wo wohnt er jetzt?" — Ter Alte schüttelte den Kopf. Die Sache schien ihm ohnehin zu lange zu dauern, er warf einen Blick in sein Keines, aber behagliches Stübchen, das man vom Flur aus übersehen konnte, und zeigte nicht übel Lust, Isa stehen zu lassen. Sie zog ihr Geldtäschchen heraus und reichte dem Manne eine Belohnung. „Bitte, bitte, besinnen Sie sich doch, vielleicht fällt es Ihnen ein, ich muß noch heute zu meinem Bater!" drängte Isa. Der Portier, durch das Geld etwas freundlicher ge worden, schien nachzudenken. „Ich weiß wirklich nicht, Fräulein, aber ich Krill mal meine Frau ritfen, die ist besser von Allem unterrichtet als ich, und kann am Ende Auskunft geben." Er ging mit schlürfenden Schritten davon. Es dünkte Isa eine Ewigkeit, bis er in Begleitung seiner Frau zurückkehrte, die Isa von oben bis unten mißtrauisch betrachtete. Die junge Dame fühlte das Peinliche der Situation, in der sie sich befand, recht gut, aber sie hielt dem Blicke tapfer Stand und zwang sich zu einem Lächeln. „Mein Fräulein," begann die Frau, „Sie hätten besser gethan, Ihren Herrn Papa von Ihrem Kommen zu unterrichten, so allein kann eine Dame in der Nacht nicht Herumlaufen. Wissen Sie denn, was der Herr ist, der sich Graf Tennewitz — nennt?" — „Alte," Hub der Portier an, „sei still, «ms kümmern Dich denn die andern Leute, sag' dem Fräulein die Adresse, und im Uebrigen mach', daß Du verschwindest." „Na ja," entgegenete die Frau, mürrisch über die Zurechtweisung, „man braucht sich auch nicht für einen Grafen auszugeben, wenn man ein — Kunstreiter ist! Der vornehme Herr hat immer so hochmüthig auf uns ge- gringe Leute herabgesehen, daß man sich ordentlich geduckt hat vor ihm. Wir hielten es Alle für eine große Ehre, daß ein Graf bei uns wohnen sollte. — Tu lieber Gott! Komme ich neulich in den Cirkus. Na, da hab' ich die Augen schön aufgerissen! Unser nobler Graf macht den Leuten seine Kunststückchen vor! Ich habe ihn sogleich er kannt, wenn er auch anders aussah, wie sonst. Reiten kann er ja, daß muß man ihm lassen, und das Vornehmthun verstand er auch immer. Aber ein Graf — ha, ha! ein Graf ist das meiner Lebtag nicht! Mich ärgerte es nur, daß ich vor dem sauberen Herrn immer so geknixt habe!" Isa zitterte am ganzen Körper. Sie bereute jetzt, so rasch und unüberlegt gehandelt zu haben. Wäre sie doch in Buchecke geblieben, in ihrem reizenden, behaglichen Zimmer, bei den guten Menschen. Dort war sie sicher ausgehoben und wurde durch kein Wort, durch keinen Blick verletzt. ' Ihr stark ausgeprägtes Pflichtgefühl hatte ihr einen bösen Streich gespielt, das sah sie wohl ein. Aber zurück konnte sie nun nicht mehr, für heute galt nur das Eine: Den Bater zu finden. Denn wohin sollte sie sich wenden in dieser großen Stadt, wo auf jeden Schritt und Tritt Gefahren lauerten, von denen sie bisher keine Ahnung ge habt hatte? Es schien nun doch etwas wie Mitleid in dem Herzen der Frau aufzusteigen, denn sie sagte um Vieles milder: „Nun, er zog nach der Philippstraße- aber es ist ein weiter Weg bis dorthin." „Ich werde einen Wagen nehmen, wissen Sie die Hausnummer?" entgegnete Isa beklommen. „Genau weiß ich es nicht mehr, aber Sie können ja dort fragen." : „Ich danke Ihnen- gute Nacht/' I« nächsten Moment stand Isa wieder draußen in der finsteren, kalten regennassen Herbstnacht. Das schwere Thor fiel hinter ihr zu, sie schauerte zusammen. Kälte und Hunger peinigten sie. Scheu und zaghaft drückte sie sich in die Ecke, um nicht pon jedem Vorübergehenden gesehen zu werden, und wartete in der Hoffnung, daß doch eine Droschke kommen würde. Sehnsüchtig blickte sie die Straße hinauf und hinab. Es war ihr so unendlich bang zu Muthe, sie hatte nicht einmal eine Ahnung, in welcher Richtung die Philippstraße lag. Nie in ihrem Leben hatte sich Isa so elend gefühlt. Daß sie eine große Uebereilung begangen hatte, sagte sie sich selbst- aber was half die Reue nun? Sie dachte an Kurt, an seine guten, ehrlichen Augen und seufzte schmerzlich auf. Wenn er doch bei ihr sein könnte, um sie zu beschützen. Dazwischen hinein tönte das Rasseln von heranrollenden Rädern. Schüchtern trat das junge Mädchen einen Schritt vor, als eben der Wagen sichtbar wurde und rief ängstlich: „Halten Sie einen Augenblick, könnte ich nicht mitfahren?" „Wohin?" „Nach der Philippstraße!" „Na, Sie haben Glück, dahin fahr« ich eben, steigen Sie nur ein, Fräulein!" „Sind Sie dort bekannt?" „Jawohl, ich wohne da!" Isa athmete auf. „Wissen Sie vielleicht, ob dort Graf Tennewitz wohnt?" „Gewiß, Fräulein," meinte der Kutscher gutmüthig, „ich habe den Herrn selbst schon öfters gefahren, ein nobler Herr, aber so viel ich weiß reist er noch heute ab." „Um Gotteswillen," rief Isa erschrocken und lehnte sich zitternd an den Wagenschlag. „Können Sie mir Näheres mittheilen? . Werde ick ihn noch erreichen?" „Wenn ich mich recht erinnere, sprach der Herrn gesterk Abend davon, daß er um halb Zwölf abreisen werde. Aber ich hörte nicht so genau hin. Doch die Wirthin des Herrn Grafen muß es ja wissen, weil doch das Gepäck zur Bahn geschafft wurde." Es begann nun eine tolle Fahrt. Die Pferde flogen förmlich dahin, der Weg dünkte Isa unendlich weit. Sie hatte dem Kutscher ein reichliches Trinkgeld versprochen, wenn er sie so rasch als möglich an Ort und Stelle brächte, und er hieb auf die Pferde ein, sie zu immer rascherer Gangart antreibend. Endlich standen sie still. Dunkel lag das bezeichnete Haus da, mit bangem Zagen zog Isa die Glocke, ein zweimal. Drinnen schien Alles schon zur Ruhe gegangen zu sein. Angsterfüllt lauschte das junge Mädchen, nichts rührte sich. Verzweifelnd wandte sich Isa an den Kutscher. „Was sollen wir nun beginnen?" Er kam ihr zur Hilfe und schlug mit dem Peitschen stiel heftig an die verschlossenen Fensterladen. „He," rief er, „seid Ihr denn Alle taub, macht doch endlich einmal auf!" Tas half. Der Riegel wurde zurückgeschoben, eins mürrische alte Frau, deren Gesicht von unzähligen Run zeln beneckt war, erschien in dem schmalen Spalt der ge öffneten Thür. ' . „Was ist denn das für ein Heidenspektakel," brummte sie verdrießlich, indem sie eine kleine Lampe hochhielt. Der Schein fiel aus Jsa's bleiches Gesicht und die Alte warf ihr einen unfreundlichen Blick zu. „Gute Frau," begann das Mädchen zitternd- „wißt Ihr nicht, ob Graf Tennewitz schon abgereist ist?" „Go, so, zum Herrn Grafe« wolle« Sie, — «w noch so spät?" klang eS in so spöttischem To«, daß Isa vor Unwillen und Scham erröthete. „Ich bin seine Tochter!" vertheidigte sie sich mit Thränen kämpfend. „Wer das glaubt," lachte die Alte wieder, ,cher Herr Graf sieht nicht aus, als ob er schon eine erwachsene Tochter hätte!" „Macht weiter," schrie der Kutscher, „wir haben nicht Zeit, lange mit Euch zu verhandeln, ist der Herr Graf da oder nicht?" „Er ist vor einer Keinen halben Stunde fortgefahren, nachher wollte er zur Bahn," gtch die Alte Auskunft. Nur mit Hilfe eines größeren Geldstückes brachte Hs» endlich heraus, wohin ihr Bater reisen würde. Glückllchstk Weise war die Frau genau unterrichtet. Wieder begann die tolle Fahrt, noch schneller als vor ¬ her rasten die Pferde dahin. Der gutmüthige Kutscher über gab, als man den Bahnhof erreicht hatte, dwt Geführt einstweilen einem Kollegen zur Auflicht, und drängte dm» Isa nach, die mit Thränen in den Augen durch die ver schiedenen Wartesäle lief. Das Herz wollte ihr fast stille stehen vor Schreck, als ein Glockenzeichen ertönte. Wen» das das Abfahrtszeichen des Zuges war, den der Bater benützte, dann konnte sie ihn nicht mehr erreiche». Der trostlose Ausdruck des jungen Gesichtes fiel manche« Vor übergehenden auf. Isa merkte eS kaum. Da plötzlich vernahm sie hinter sich eine Stimme, die ihr in diesem Augenblicke das Schönste dünkte, was sie je mals in ihrem Leben gehört- „Isa! — Ja ist es denn möglich- — ich traue meine« Augen kaum! Bist Du es denn wirüich! So i« aller Welt kommst Du denn her?" Im nächsten Moment lag sie an der Brust deS BaterS und weinte und lachte in einem Athen». Die ganze heftige Erregung der letzten Stunden kam nun zum Ausbruche D« zarte Körper bebte in den Armen des Baters, d« sei» Lind fest umschlossen hielt, und nicht wußw, wo» da» Alles bedeuten sollte. „Aber Isa, — erkläre mir doch, — — ich denke, Du sitzest wohlgeborgen in Buchecke, unterdessen stürmst Tu daher, — und so mitten in der Nacht." . „Später werde ich Dir Alles erklären, Vater- jetzt . kann ich nicht mehr, — ich bin so müde, und — hungrig!" Tennewitz schüttelte den Kopf. Er konnt/sich gar nicht denken, was Isa veranlaßt haben könnte, Buchecke so plötz lich zu verlassen. Doch jetzt war keine Zeit, der Sache näher nachzuforschen. Der Kutscher, der mit Isa gekommen war, stand «och immer mit abgezogenen Hut da, und »ar tete, bis der erste Sturm sich gelegt habe« würde. „Bitte, lieber Papa- gieb dem Manne ein reichliche» Trinkgeld, er hat es wahrhaftig verdient," sagte Ist». Graf Tennewitz griff in die Tasche, und reichte dem Kutscher ein Geldstück, das dieser unter vielen Bücklinge« in Empfang nahm. Isa fühlte sich glücklich aus all der Angst «Ast HU. sein, und schmiegte sich innig an den Vater. „Bann reisest Du?" fragte sie. ,-v, wir haben immer noch fast eine Halde Stunde Zeit, mein Sind. Aber was gedenkst Du zu thun, waS hast Du denn eigentlich vor?" ,-Bei Dir will ich bleiben, Vater, für Dich.sorgen- damit Du nicht mehr so allein dastchst. Ich habe mir dog klar gemacht, als ich erfuhr, daß gestokage« bis^ für Deinen Unterhalt zu arbeiten. Dabei will ich Dir htkka- wie es die Pflicht von einem Kinde erfordert. Deshakb bi» ich hier, und Du sollst sehen, daß ich Dir. mit der Zett eine Stütze werde!" ,
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