02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-31
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020131028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902013102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902013102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-31
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Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 7S H, vor den Familiennach- richten («gespalten) bO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung ./L «0.—, mit Postbesörderung .Zi 70.— . Änuahmeschluß für Ävzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Freitag den 31. Januar 1902. 86. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Friedensklänge. Die nicht besonders zuverlässige „Daily Mail" will noch wissen, die britische Regierung werde auf den hol ländischen Vorschlag, eine Commission nach Südafrika zu den Boerenführern zu senden und sie zur Waffenstreckung zu veranlassen, wahrscheinlich erklären, daß sie die hollän dische Negierung als nicht zur Vertretung der Boeren berechtigt anerkenne, dürfte aber hinzufügen, es sei kein Grund vorhanden, der Commission sicheres Geleit zu ver weigern, falls die Militärbehörden nichts dagegen hätten. Das Cabinet habe bereits Kitchener telegraphisch befragt und werde der holländischen Regierung in ein bis zwei Tagen eine definitive Antwort erthetlen. Falls die Mission zu Stande komme, werde die holländische Regie rung der britischen wahrscheinlich die Namen einiger Com- misstonsmitglieder zur Billigung vorlegen. Minister Kuyper sei an der ablehnenden Haltung der europäischen Boerenführer verzweifelt und habe deshalb beschlossen, direct an die kämpfenden Generale zu appelliren. Die Boerenführer in Europa wüßten, was vorgehe, bestritten aber jede Verbindung damit, um durch ein ihnen unwill kommenes Ergebniß nicht gebunden zu werden. Man weiß nicht, wie weit mau der Mittheilung der „Daily Mail" trauen kann, ist also bezüglich der hollän dischen Anregung noch ganz auf Vcrmuthungen an gewiesen. An maßgebenden Stellen in Berlin bestreitet man auf das Entschiedenste, daß Deutschland in irgend einer Weise hinter den Vorschlägen des holländischen Minister präsidenten Kuyper stehe. So sehr inan auch im Interesse beider Parteien, namentlich aber der Boeren, eine Be endigung -er Feindseligkeiten sympathisch begrüßen würde, werde die deutsche Politik doch die Linie absoluter Nichteinmischung nicht verlassen, welche sie bisher inne gehalten habe, und werde sich darin dem Beispiele anderer Mächte, besonders Rußlands, vollkommen ««schließen. Man glaube auch nicht, daß Ministerpräsident Kuyper vom Präsidenten Krüger und der Boeren- vertretung in Europa mit Kriedensvorschlägen betraut sei, da Chamberlain ja im Namen der englischen Re gierung in seiner Unterhausrede mit aller Deutlichkeit erklärt hat, mit Krüger und Lcyds nicht in Verhandlungen eintreten zu wollen. Man hält cs dagegen nicht für aus geschlossen, daß Ministerpräsident Kuyper, der ein warmer Äoerenfrennd ist, directe Vorschläge von den Boerenführern in Südafrika erhalten haben könne, die er der englischen Negierung unterbreitet hat. Jedenfalls sicht man in der Art und Weise, wie Balfour die Action Knyper's bekannt gemacht hat, eine Gewähr dafür, daß cs sich diesmal nm ernsthafte Schritte zur Beendigung deS Kriegszustandes handeln müsse. InPariser diplomatischen Kreisen, welche angeblich mit den Intentionen der holländischen Regierung genau vertrant find, wird erklärt, daß der holländische Minister präsident Knyper bemüht ist, ein Terrain der Ver ständigung zwischen England und den Boeren zn finden. Der Vorschlag, welchen Holland gemacht hat, käme einem Protektorat Englands über die Trans vaal-Republiken gleich. Die Boeren Ver treter in Holland hätten im Principe der Intervention Hollands znge stimmt, ohne zu den Einzelheiten noch Stellung genommen zn haben. Aber ehe Verhandlungen beginnen, müßte die englische I Regierung Alfred Milner abberufen, der den I Boeren das höchste Mißtrauen entflöße. Die Boerenf hätten die holländische Negierung formell mit keinerlei Mission betraut, aber sie legten Werth darauf, zn zeigen, daß nicht sie dem Frieden hinderlich feien, und stimmten -er Anregung des holländischen Regierungschefs zu. * London, 30. Januar. Die heute veröffentlichten Verlustlisten melden, daß bei Abrahamskraa l, in der Nähe von Koffyfontein, am 28. -. M. vom Sussex- Negiment Oberst Dumoulin und 11 Mann gefallen sind und 7 Mann verwundet wurden. * London, 31. Januar. (Telegram m.) „Daily Tele ¬ graph" meldet aus Ermelo unter dem 27. Januar: General Bruce Hamilton eroberte am 27. Ja nuar ein Boerenlager und machte über 70 Ge fangene« Politische Tagesschau. * Leipzig, 31. Januar. Der Reichstag hat auch gestern die zweite Lesung des Etat» des ReichSamts des Innern noch nickt zn Ende gebracht: Graf PosadowSky muß beute nochmals Spieß- ruthen lausen. Er selbst bat keinen Nachtheil davon, denn bei seiner großen Sachkenntnis und Umsicht bringt ihn nicht leicht ein Vorwurf oder Einwurf in Verlegenheit, und nur feiten kommt auS dem Hause eine Anregung, die er sich nicht bereits selbst gegeben. So erfuhr man gestern von ihm, daß auf seine Anordnung das internationale Arbeitsamt in Basel aus den zur Verfügung siebenden Fonds unterstützt werde; zur Begründung dieser Maßregel sübrte er auS, es sei ein wesentliches wirtbsckaft- lickeS Interesse Deutschlands, dahin zu wirken, daß das Aus- land ihm in den socialpolitifchen Einrichtungen folge, welche die deutsche Concurrenzsälvgkeit durch die Erhöhung der ProductionSkosten beeinträchtigen; es könne hierin sogar ein Moment liegen, unter Umständen von den Zollsätzen etwas abzulafsen. Weiler theilte er mit, daß über die JnnungSorganisation eine Statistik ausgenommen weide. Für das thierärztliche Studium daS Neife- zeugniß vorzuschreiben, habe Bayern beantragt, doch sei über die Frage im Bundesrathe noch keine Entscheidung getroffen; eine Verordnung über die Prüfung der Apotheker sei in Vorbereitung. Vielleicht hätte er schon gestern die Be willigung seines Etats erlebt, wenn das Haus nicht vorder mit der Novell» zum Branntweinsteuergefetze sick zu beschäftigen gehabt hätte, deren Berathung im Mai vorigen JahreS' wegen Beschlußunfähigkeit des Hanseö abgebrochen werden mußte. Der Zweck der Vorlage war bekanntlich Weitererhebung der Brennstener über den ursprünglich vorgesehenen Termin, den l. Oktober 1901, hinaus. Dies Ziel hätte vor Pfingsten erreicht werden können, wenn die Mebrheit sich mit dem Fortbestehen der Brennstruer begnügt hätte. Die forderte aber zugleich deren Erhöhung um 50 Proc. und hätte auch diese Erhöhung durch- gesetzt, wenn sie nickt nur durch Laubcit, die von der Oppo sition auSgenutzt wurde, die Beschlnßnnfäbigkeit deS Hauses verschuldet hätte. Da nun ein Beschluß nicht zu Stande kam, konnte di« Steuer seit dem 1. Oktober v. I. nicht mehr er hoben werden. Dadurch war die Abstimmung über ihr Fort bestehen gegenstandslos geworden; sie mußte zwar der Form weg-n vorgenommen werden, aber es hätte sich nicht verlohnt, deshalb noch den im vorigen Jahre beantragten zeitrauben den Namensausrus vorzunebmen. Deshalb trat der Se niorenconvent noch vor der Sitzung zusammen und erklärte, daß eine Zurückziehung des Antrags auf namentliche Ab stimmung zulässig sei, obwohl diese vor Pfingsten bereits begonnen war. Daraufhin verzichtete die Linke auf die namentliche Abstimmung und die Bestimmung über den Fortbestand der Brennsteuer wurde abgelebnt. Die Novelle stlbst mit dem inzwischen von den Mehrheilsparteien ein gebrachten Anträge, sie mit rückwirkender Kraft wieder ein- zufübren, wurde an die Commission zurückverwiesen. Die Linke erbob dagegen keinen ernsthaften Widerstand, der wobt auch erfolglos geblieben wäre, da augenscheinlich bedeutend mebr als die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Anzahl von Ab geordneten anwesend war. Man ersieht hieraus, daß der Branntwein doch zuweilen eine anregende Wirkung aus übt — wenigstens im deutschen Reichstage und auf ganz kurze Zeit. Auch wenn der von dem sogen. Tolcranzantrage des Centrums gebliebene Rest, mit dessen zweiter Berathung der Reichstag vorgestern begonnen hat, nicht die Zustimmung der Mehrheit des Hauses und des BundesrathS finden sollte, würden die Antragsteller doch einen erheblichen Erfolg dadurch zu verzeichnen haben, daß die Regierungen von Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig, einer durch den Antrag bewirkten Anregung deS Reichskanzlers folgend, sich entschlossen haben, im Sinne des ersten Absatzes des 8 1 des Antrags gesetzgeberisch vorzugeheo. Dieser Absatz lautet bekanntlich: „Jedem Reichsangehörigen steht innerhalb de- Reichs gebietes volle Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Bereinigung zu Religionsgemeinschaften, sowie der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung zu." Vergleicht man aber diesen Satz, dem da- Centrum im ganren Reiche Geltung verschaffen will und in de» genannten beiden Staaten, in denen er früher nicht galt, bereits nahezu Gesetzeskraft erwirkt bat, mit den Lehrmeinungen unfehlbarer Päpste und der Jesuiten, so findet man, daß jener Satz im schroffsten Gegensätze zu diesen Lehrmeinungen steht. Der Vorläufer Pius' IX., Papst Gregor XVI., schreibt in seiner Encyklika Llirari vos: „Aus dieser Quelle des JndiffereniiSmu» entspringt jene absurde und irrige Meinung oder vielmehr jener Wahnwitz, daß für einen jede» Gewissensfreiheit gewährt und in Anspruch genommen werden müsse." Pius IX. hat im CyllabuS unter H III, 15 und tz X, 78—79 folgende Sätze verworfen und verdammt: „Es sieht jedem Menschen frei, jene Religion anzunehmen und zu bekennen, welche er bei dem Lichte seiner Vernunft für di« wahre hält. Es war. . gut getban, in gewissen katholischen Ländern den Einwanderern gesetzlich die össentliche Ausübung ihres Cultus, welcher es auch sei, zu garantiren. Es ist falsch, daß die staatliche Freiheit der Culte .... zur Verderblich der Sitten und zur Pest des Jn- disferentismus führen." Leo XIII. bat die CultnSsreiheit in seiner Encyklika lükertas (20. VI. 1888) bekämpft, weil sie der Tugend de. Religion widerspreche. Leo's Gedankenganz ist nach L. K. Goetz' „Leo XIII." folgender: „Der Grundgedanke, auf dem sie (die Tultussreiheit) ruht, ist die volle Freiheit eine» jeden, ein» beliebige Religion oder auch gar keine zu bekennen. Dieser Grundgedanke ist falsch. Unter allen Pflichten deS Menschen giebt e» keine, die so über allen Zweifel erhaben und heilig ist, al» jene, welche un» Frömmigkeit und Gottesverehrung gebietet. Fragen wir aber, welcher von Len ver schiedenen und sich widersprechenden Religionen wir zu folgen haben, so weist uns ohne Zweifel die natürliche Vernunft schon hin zu jener, welche Gott geboten und seine Vorsehung durch gewisse äußere Merkmale ausgezeichnet hat, an denen sie Alle leicht erkenne» können; denn ein Jrrlhum in einer so wichtigen Frage wäre von den verhängnißvollsten Folgen. Wahr ist also nur die römische Religion, Cultnsfreiheit in anderem Sina würde darum dem Menschen die Befugniß zugrstehen, seine heiligste Pflicht, nämlich der allein wahren Religion anzugchören, ungestraft zu verletzen und ihr untreu zu werden, von dem unwandelbaren Guten, da» die römische Kirche allein enthält, weg und zum Bösen sich hinzuwenden. Das ist aber nach Leo XIII. nicht Freiheit, sondern der Freiheit Verderben und eine schmählich« Knechtschaft der Seele unter die Sünde." Wendet man sich von den letzten Päpsten zum modernen Jesuitisuius, so findet man in einem Werke, daS nach kleri kaler Auffassung die „wissenschaftliche Begründung" des Syllabus ist, in des Jesuiten Matteo Liberatore Buch cliiesa. v Io strrto^ (Neapel 1871) folgenden Lebrsatz: „Es ist kein gesunder Zustand, wenn sich »in Staat in der harten Nothwendigkeit befindet, den Nichtkatholiken gleiche Rechte mit den Katholiken zu gewähren. Die Gewissen», freiheit ist verwerflich, wenn auch unter Umständen die bürgerliche Duldung aller Culte durch die Klugheit geboten ist." Den Mitgliedern der Centrumsfraction drohen also eigentlich während ihrer zum Theil bereits erfolgreichen Be mühungen um Herbeiführung voller Freiheit de» religiösen Bekenntnisses kirchliche Strafen wegen gröblicher Mißachtung fundamentaler Lehrsätze der höchsten kirchlichen Autoritäten. Da diese Mißachtung der katholischen Kirche zum Vortheile gereicht, so wird diese zweifellos Gnade für Recht ergehen lassen; im Reichstage aber sollte man doch, wenn am nächsten SchwerinStage die Berathung de» Antrag- fortgesetzt wird, die Herren vom Centruin darauf aufmerksam machen, wie „verwerflich" sie auS „Klugheit" handeln. In Belgien nimmt die Zahl der Klöster in über« raschender Weise zu, so schnell, daß von einer förmlichen Ueberfluthung des Landes mit klerikalen Stiften geredet werden kann. Im Jahre 1840 befanden sich, wie der „Tügl. Ndsch." geschrieben wird, auf belgischem Boden 779 Klöster. Zumeist waren ihre Insassen französische Ordensleute, die alsbald nach der von französisch gesinnten Belgiern geleiteten Revolution ins Land geströmt waren, was sie unter der holländischen Regierung vermieden hatten. Unter den Mönchen waren 1453 Ausländer. Im Jahre 1800 zählte man 1310 Klöster mit 18190 Ordeusleuten, darunter 2480 Fremde. Im Jahre 1890 war Belgien mit 1793 .Klöstern „beglückt", in denen 30 093 OrdenSleute, I darunter 3319 Fremde sich befanden. 1900 weist nnn 2221 I Klöster auf mit 37 034 Ordenslcuten, wovon 6918 Fremde l sind. Sv hat sich im Laufe von SO Jahren in Belgien die Rittmeister Eikhofs. Roman von A. von Trystedi. Nachtruck Verboten. „Ein Wunder wär« es nicht, wenn die Margot noch gerade dahin käme, woDu seit Langem bist", fuhr Vie Mutter gereizt fort, „wenn man Jemandem in einem fort sagt: „Die Menschen lachen über Dich!", dann glaubt er es schließlich auch, unv wer sein Leben lang von dem Wahn umfangen ist, daß man ihn ver spottet, der wird ein Opfer seiner fixen Idee, denn eines Tages lachen die Menschen wirklich über ihn!" Nach diesen Worten schlich sie mit ihrem schiebenden Gang hinaus. Nie zuvor hatte sie eine so directe Andeutung auf seine Schwächen gemacht. Wähl haderte und zeterte sie mit ihm. Ein Etwas in ihr. eS mochte doch wohl ein großes Mitleid, ein Rest jener rührenden, schwärmerischen Liebe s-rn, die sie einst für ihn gehegt, hatte sie noch immer davon zurückgehalten, ditsen wundesten Punct im Charakter ihres Gatten zu berühren. Sie fäh es ja, wie schwer er darunter litt, wie er dagegen ankämpfte, ohne sich je der dunklen, grausamen Macht m ihm vollständig er wehren zu können. Das war ja, als umspanne eine unsichtbare Gewalt sein» Seele mit eisernen Klammern, sobald sich nur ein fremdes Auge auf ihn richtete. Oft hatte die Gattin erwogen, ov es nicht bester, rathsamer sei, den Feind einmal beim Schopf zu fasten, da» heißt, offen und rückhaltlos mit Franke über diese phänome nalen Vorgänge in feinem Wesen zu sprechen. Aoer schon bei Andeutungen geriet- Franke aufler sich. Es war gar nicht daran zu denken, daß er diese Schwächen unumwunden zugab, trotz dem dieses vielleicht der Anfang und das radikalste Mittel zu einer Besserung gewesen wäre. Aus falschem Schamgefühl schleppte er weiter an seinem Verhängniß, bürdete es seiner Familt, mit auf und verdüsterte damit besonders Margot'» Jugend in einer unverzeihlich»», und unglaublichen Weise. Das junge Mädchen kniete mit thränenüberströmtem Gesicht vor ihrem Bette. So lange sie zurückzudsnken vermocht», sog diese» Gift an ihr. Es hatte ihr die rosigen Farbin der Jugend von den Wangen getrieben, und den echten, ursprünglichen Frohsinn au» ihrem Herzen verbannt. Schon in der Schule hatte der Bater ihre kindliche Harm losigkeit getrübt. „Ja, Du, Du bist immer das Gänschen, das hätten nur die Döring'schen Mädels sein sollen! — Was, die Kinder haben Dich umarmt? Die thun nur Alle so freundlich, hinterher lachen sie Dich einfach aus! — So, Du bist heraufgekommen? Nun, da hat Euer Fräulein wohl Angst gehabt, ich werde ihr einmal die Leviten lesen?" We oft hatte sie als kleines Mädchen mit bangem Herz klopfen diesen nur -um kleinen Theil verstandenen, absurden Auslastungen gelauscht, wie oft grübelnd im Schulhofe ge standen, ohne daß es ihr je gelungen wäre, dem, was ihr „lieber Papa" gesagt oder angedeutet hatte, auf den Grund zn kommen. Die Schlichtheit ihres Wesens behütete sie vor größeren Eonflicten, aber ans dem einst so drolligen, rosigen Baby war doch ein evnstsinnendes, blasses Mädchen geworden, das den Ein druck einer krankenden Knospe bot. Nach der Eonfirmation war es dann in einer anderen Ton art weitergegangen! „Ach, Du willst tanzen lernen? Möchte nur wissen, wozu! Dich wird ja doch Niemand einladen!" Und als dann das Gegentheil der Fall ward, und man sich sehr um die reizende, und in Wirklichkeit sehr beliebte Margot bemühte, da hieß es wieder: „Das hast Du den Döring's zu danken, sie fühlen sich mir verpflichtet und glauben, auf diese Weise mir ihre Baarschuld abiragen zu können! Aber die sollen sich freuen! Eines Tages mache ich ihnen den Standpunci klar! Mein Geld will ich wieder haben! Die ganze Schönthuerei ist mir keinen Pfifferling Werth!" Es war erstaunlich, mit welcher Consequenz und Raffinirt- heit Franke den Worten und Handlungen anderer Personen Motive anzudichten wußte, die den Leuten ganz fern lagen. Da er selbst niemal» harmlos war, sich nicht ursprünglich gab, sondern immer erst sondirte, mit scheuem Blick zu er forschen suchte, ob man ihn auch nicht verlachte, so war es ihm unmöglich, an Aufrichtigkeit und frischquellende Herzlichkeit zu glquben. Und stets fand er das Thun und Lasten Anderer be- wundernswerth, während er selbst sich klein und unbedeutend erschien! Diese Unsicherheit, dieses förmliche Seciren jeder Geistes und LerzenSregung, war seine Specialität, die er auch, und ganz besonder» an Margot ausübie. Immer hielt er daS, was a-ndere Mädchen ihres Alters be gannen, für richtiger und besser als Margot's Thun. Stet» stellt» er ihr die Döring'schen Mädchen als Muster dar, und wem nun auch Margot'S glückliches Naturell sie vor schwerem Schaden bewahrte, so blieb doch noch genug haften, was ihr zum Nachtheil gereichen mußte! Nein, sie war sicherlich nicht neidisch, dieses herzige, süße Kind, so wenig auf Stephanie, wie auf irgend eine ihrer Freundinnen, sie empfand weder ein besonderes Interesse für Eckhoff, noch sprach eine Herzensregung für ihn. Gleichwohl aber hätte sie sich mit ihm verlobt, wenn er sich ihr genähert! Rein aus ihrem geängstigten Gemüth heraus wäre sie solch eine» Bund fürs Leben eingegangen, nur um endlich den unaufhörlichen Stichelreden zu entgehen, mit denen dieser wahnumfangcne Vater das bedauermswerthe Kind quälte. Uebrtgens besaß sie keine einzige Vertraute, sondern trug ihr großes Leid wie eine Heldin. Aber einmal hatte sie, qualvoll aufskufzelnd, Stephanie gegenüber den Wunsch geäußert, daß sie, Margot, sich zuerst verloben möchte, um jeden Preis, wenn sie^nur wüßte, wie das zu beginnen sei. Stephanie ahnte nichts von den internen Vorgängen im Franke'schon Hause und hielt Margot für kindisch, neidisch und unselbstständig, und richtete ihr eigenes Beihalten oft genug danach. Auf diese Weise wurde Margot um einen großen Theil ihrer Jugendfreuden betrogen, und auch heute um die fröhliche, mit aller Sehnsucht erwartete Schlittenpartie. Siebentes Capifel, Der Tag verlief eintönig. Es waren all' die gewohnheit gemäßen Obliegenheiten zu erledigen. Margot aber fühlte sich förmlich gelähmt. Wie Blei lag es in ihren Gliedern, nur ihre Stirn glühte. Sin schmerzender Druck lastete auf ihr. Sie sehnte sich hinaus — hinaus! Ja, das war Rettung! Ein Spaziergang hatte ihr schon oft Erleichterung, Befreiung von all' der dunklen Qual gebracht. Sie verständigte die Mutter und hüllt, sich warm ein. Fünf Minuten später schritt sie dem Thore zu, wo die letzten Häuser standen und der Weg hinausführie in» freie Feld. Der Schnee lag hoch, aber Wagen und Schlitten hatten eine passirbare Bahn geschaffen. Auf dieser eilte die zierliche Mädchenaestalt dahin, vorwärts, immer vorwärts, wie »ine Weltflüchtige. Dre große Einsamkeit, das tiefe, feierliche Schweigen ringsum thaten ihrem erregten Gemüth unendlich wohl. Es war, al» könne sie gar nicht weit genug Hinweg kommen von den Menschen. Erst, als sie eine halbe Stunde so, ohne rechts noch links zu blicken, weiter geschritten war, stand sie still und sah um sich. Das Helle Tageslicht war schon einem fahleren Schein ge wichen. Die ganze Oede solch' einer eintönigen, kaum durch einen verschneiten Baum unterbrochenen Winierlandschaft umgab das einsame Mädchen; sie aber glaubte, daß es nichts Schöneres geben könne, als diese majestätische Ruhe, dieses in seiner Schlichtheit so erhabene Winterdild. War es nicht, als habe ein unendlich weites, stlberschimmern- des Meer sie ausgenommen? Wogte, wallte es ihr nicht glitzernd, in blendender Pracht entgegen? Mußte es nicht »ine unendliche Wohlthat sein, wenn sie diesem Gefühle nachgab, daS sie hinabzog in die schimmernden, blendend weißen Wogen? Wie Schwindel packte es sie. Dort iürijben stand ein Baum. Die beeisten Zweige ragten so keck in die kalte, schneidende Winter luft empor. Er stand dort still, ohne Qual, trug die Last des Winters und schmückte sich dann, neu verjüngt, mit dem duftigen Grün des Frühlings. Für sie war es jetzt auch Winter, erstarrende Kälte in ihrem Herzen, lichtlos, dunkel ihr Gemüth. Konnte es auch für sie »och einmal Frühling wenden, so Daß sie sich glückstrahlend schmückte mit Blumen, daß sie die wohlthuende Wärme empfand, die die Brust weitet, und der Seele Flügel §u schaffen scheint! Ach, wie so dankbar war sie dem Himmel für jede frohe Stunde, die sie ohne Scheltwort« oder Maßregelungen aichören zu müssen, verbringen durfteI Und wie wenige solcher Stunden gab es in ihrem Dasein! Woher kam das? War ste so tgdelnSwerth, so fehlerhaft, daß die Eltern nichts als Aergerniß an ihr sanden? Ach, wer doch auch so schön und so vollkommen wäre, wie Stephanie und Eva! Die hatten wahrhaftig den Himmel auf Erden. Mit welch' stolzen, zärtlichen Blicken die beiden Mädchen stets von ihrem Bater verfolgt wurden! Und besonders Stephani«. Oft hätte man meinen können, er diene »mer Fürstin, so bemüht war er um seine anspruchsvoll«, iikermüthig« Tochtsr. Ja, Stephanie war anspruchsvoll und gar nicht so besonder» gutmüthig, und doch thaten es Alle dem Bater nach und huldigten dem Mädchen, wie einer Prinzessin. Margot hatte den Baum erreicht und schlang ihren Arm um die eisige Rind» desselben, während ihre Augen inS Leer« starrten, wie früher, wenn sie als Kind abgesondert auf dem Schulhofe stand, um d«m Geheimniß nachzusinnen, da» ihr junge» Leben umdüsterte, Alle bewiesen ihr herzlich» Zuneigung, und nur die Eltern, und besonder» der Pater mochten sie nicht l»id«n, obwohl fl- Alles that. ja Alles, Alles, um ein Lächeln zu erringen, oder einen stummen Blick des Beifalls. Wie selten aber gelang ihr da». Jmmn erregt« st« Unzu friedenheit, war sie ein St«in dis Anstöße». Und da» sollte so bleiben, »in langer, langet Leben hindurch?
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