02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-02-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020214021
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902021402
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Nr. 82. Freitag den 14. Februar 1902. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactivnsstrich (4 gespalten- 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zifsernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./!l 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. Ännahmeschluß für Änzeiger«: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Februar. Der neue Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke, der zweifellos unter seinem Vorgänger ganz wesentlichen Antheil an den Reformen gehabt hat, die den Namen des Herrn v. Podbielskt so rasch po?ulär gemacht haben, erntet jetzt im Reichstage die Früchte dieser reformato rischen Thütigkeit. Als er gestern den Postetat in der Specialberathung zu vertheidigen hatte, wurde zwar, wie früher, eine Reihe von Wünschen bezüglich einzelner Verkehrserleichterungen und der Stellung der ver schiedenen Beamtenkategorien laut, -och zeigte schon der gemäßigte, aller Schärfe entbehrende Ton dieser Erörte rungen, daß mit jenen Reformen nach beiden Richtungen den wesentlichsten Bedürfnissen Genüge geschehen ist. Nur Beschwerden untergeordneter Natur, die Titelfragen, Drucksachenporto für Geschäftspaptere von Vereinen, Be handlung von Maffensendungen und Aehnlichcs betrafen, waren es, die von den Abgg. Singer, Müller« Sagan, Eickhoff und Anderen vorgebracht wurden. Was die Bestellung von Maffensendungen an langt, so wies der Staatssekretär darauf hin, daß sie von der Reichspostverwaltung nicht so leicht übernommen wer den könne, wie von einer auf den Ort beschränkten Privat post, und -aß die Beförderung ins Ausland ohne Fran- kirung überhaupt ausgeschlossen sei. Die Anwendung des Drucksachenportos auf Geschäftssendungen lehnte der Staatssekretär mit dem Hinweis auf die gleich mäßige Behandlung solcher Sendungen innerhalb des Weltpostvereins ab. Was die Beamten anlangt, so hatte der Abg. Singer cs als einen unzulässigen Eingriff in deren persönliche Sphäre bezeichnet, daß durch eine Ver fügung der Kieler Oberpostbirectton die Amtsvorsteher aufgefordert worden seien, sich um die wirthschaftltchen Verhältnisse der ihnen unterstellten Beamten zu kümmern. Dieser Auffassung trat der Staatssekretär mit Bestimmt heit entgegen, indem er barlcgte, welcher Versuchung Postbeamte bei Zerrüttung ihrer wirthschaftlichen Ver hältnisse und unter dem Druck von Wuchcrschuldcn aus gesetzt seien. Die Verfügung der Oberpostdirection, die zugleich auf vorgekommenc Unterschlagungen und auf deren Bestrafung Hinweise, könne er nur billigen. Da gegen mißbilligte der Staatssekretär Maßregeln einer anderen Oberpostdirection, die auf Beschränkung des Petitionsrechts der Beamten abzielen. Dieses Recht solle nicht beschränkt werden. Die Budgctcommtsston wünschte die Frage zu prüfen, inwieweit das Ucbcreinkommen zwischen der Reichspostverwaltung und der württe In der gisch en Verwaltung über die Einführung ge meinsamer P o st w c r t h z e i ch e n Abänderungen der Neichsvcrfassung bedinge, und über die finanzielle Wirkung dieses Vertrages einen Uebcrblick zu erhalten. Eine dementsprechend vom Abgeordneten Gröber ein gebrachte Resolution, durch welche die Vorlegung des UebereinkommenS gefordert wurde, überwies das Haus an die Bubgetcommifsion. Eine Beschwerde der Abgg. I)r. Hasse und vr. Arendt richtete sich nicht gegen den Staatssekretär, sondern gegen das Verfahren der englischen Behörden in Südafrika deutschen Brief sendungen gegenüber. Daß Briefe vom englischen Ccnsor geöffnet, gelesen und dann unter amtlichem Verschluß weiter befördert werben, müsse man sich ja, meinte I)r. Hasse, wohl oder übel gefallen lassen — das sei eben Kriegsbrauch —, daß aber eine solche Behandlung auch auf Transttsendnngcn ausgedehnt werde, sei doch im höchsten Maße ungehörig und unverträglich mit dem inter nationalen Recht. Herr Kraetke, der diese Auffassung augenscheinlich theilte, konnte nur antworten, daß die englische Regierung über einzelne Vorkommnisse ihr Be dauern ausgesprochen, ans Beschwerden über andere aber noch nicht geantwortet habe. — Heute geht die Berathung des Postetats fort und wahrscheinlich zu Ende. Im preußischen Abgeordnetenhanse erregte es bekannt lich am Sonnabend auf allen Seiten Unwillen, daß ein instruirter Bevollmächtigter der Staatsregierung fehlte, der Aufschluß über deren Stellung zu dem Anträge des deutschen Boeren Hilfsbundes, ihm von der englischen Regierung die Erlaubniß zur Ueberfüh- rung von Waarentransporten in die Concentrations- lagcr zu erwirken, hätte geben können. Erfreulicher weise stellte sich dann heraus, daß dieses Fehlen nur auf einem Mißverständnisse insofern beruhte, als die Regie rung geglaubt hatte, die Anfrage werde an sie nicht bei der Berathung des Etats des Bureaus des Staatsmini steriums, sondern bei der des Etats des auswärtigen Ministeriums gerichtet werden. Und weiter stellte sich er freulicherweise heraus, daß die preußische Regierung auf die Frage, ob die Angelegenheit wirklich zur Zuständig keit Preußens gehöre und deshalb Gegenstand der Be sprechung im Abgeordnetenhaus«: sein könne, keinen be sonderen Werth legte und Alles gethan habe, was in ihrer Macht stand, um die euglischc Regierung zur Er füllung einer Bitte zu veranlassen, deren einzige Trieb feder das menschliche Mitgefühl mit unschuldigen Frauen und Kindern ist. Zweifellos hat der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes den englischen Botschafter in Berlin darauf aufmerksam gemacht, daß ein Eingehen ans die Bitte des Boercnhilfsbundes auch im Interesse einer Ver besserung der öffentlichen Meinung im deutschen Reiche gegenüber England liege. Um so bedauerlicher ist es, daß die Bemühungen des preußischen auswärtigen Amtes nur einen sehr bescheidenen Erfolg gehabt haben. Die gestern dem Hause vor Eintritt in die Tagesordnung mitgctheilte Antwort der englischen Regierung hat die Erwartungen, die man auf ihr freundliches Entgegen kommen gesetzt hatte, nur in sehr beschränktem Umfange erfüllt. Die Entsendung einer Hilfs» und SanitätS- Erpedition, sowie die Gewährung finanzieller Hilfe wer den nicht gestattet, nur Lebensmittel, Kleider und dergleichen für annehmbar erklärt,' cs ist aber bis jetzt noch nicht einmal eine Zusage crtheilt worden, daß diese Sendungen zoll- nnd frachtfrei an ihren Bestimmungsort befördert werden dürfen. Nun wird sich allerdings, wie Staatssekretär Frhr. v. Richthofcn gestern mittheilte, das auswärtige Amt weiter bemühen, um Zoll- und Frachtfreiheit für die Sendungen zu erlangen, nach der englischen Antwort auf das deutsche Ersuchen erscheint es aber sehr fraglich, ob diese Bemühungen Erfolg haben werden. Alle Welt ist davon überzeugt, daß die Ein schließung der Frauen und Kinder in den Eoncentrations lagern eine harte und grausame Maßregel ist, welche durch den Krieg nicht gerechtfertigt wird: die Folgen haben sich in der entschlichen Kindersterblichkeit gezeigt. Die aller Menschlichkeit hohnsprechcnde Behandlung des Boerenvolkes soll eben auch ein Mittel sein, um die im Felde stehenden Kämpfer zur Nicdcrlegung der Waffen zu veranlassen, da man sie dazu durch militärische Mittel nicht zwingen kann. Hat man aber einmal das Ein schließen der Frauen und Kinder für unentbehrlich ge halten, so sollte man doch wenigstens den Empfindungen der Menschlichkeit zugänglich sein, indem man der öffent lichen Wvhlthütigkeit keine Schranken auferlegt. Mit Kleidung und Lebensmitteln allein ist den Eingeschlossenen nicht gedient, und es wäre noch dazu ein Hohn auf die Menschlichkeit, wenn bei dem Eingänge dieser Unter stützungen nach Südafrika noch Zölle erhoben würden. Der lange Aufenthalt in den Lagern hat den armen Ein geschlossenen, die aller Mittel entblößt sind, nachdem ihr Eigenthum zerstört ist, so viel körperliche und seelische Nachthcile zugefügt, daß sie auch noch andere dringende Bedürfnisse haben. Schließt man die Möglichkeit zur Erfüllung dieser Bedürfnisse aus, wenn sich in allen Ländern die Wvhlthütigkeit regt nnd Sammlungen mit großem Erfolge veranstaltet werden, so ist dies vom humanen Ttandpunctc aus überhaupt nicht zu verstehen, und die Engländer können sich nicht wundern, wenn die Sympathie, von der sie überhaupt nicht mehr viel in der Welt besitzen, auf den Gefrierpunkt herabsinkt. Jeden falls wird man im preußischen Abgeordnetenhaus«: hier auf bei der Weiterberathung des Etats des auswärtigen Amtes zurückkommen und es an einer Beleuchtung der englischen Antwort nicht fehlen lassen. Das englisch-japanische Biinbniß wird vom Een- tralorgan der socialdemokratischen Partei Deutschlands mit Genugthuung begrüßt, weil es — gegen die Politik gerichtet sein soll, die das deutsche Reich in Osiasien angeblich verfolgt. Laut dem „Vor wärts" ist nämlich Deutschland zunächst, gleich Ruß land und Frankreich, „an der Arbeit, immer neue Gebt etstheilevonChinaansich zureißen". — Man kann die Thatsachcn nicht dreister auf den Kopf stellen, als es durch die vorstehende Behauptung geschieht. Schon in dem Rundschreiben, das Graf Bülow als Staatssekretär des Auswärtigen Amts nach dem Ausbruch der chinesischen Wirren am 11. Juli 1900 an die Bundesregierungen richtete, heißt es: „Das Ziel, das wir verfolgen, ist die Wiederherstellung der Sicherheit von Person, Eigenthum und Thätigkcit der Reichsange- hörigen in China, Rettung der in Peking eingeschlössenen Fremden, Wiederherstellung und Sicherstellung geregelter Zustände unter einer geordneten chine sischen Regierung, Sühnung und Genugthuung für die verübten Unthaten. Wir wünschen keine Auftheilung Chinas: wir erstreben keine Sondervorthcile." — Daß unser Auswärtiges Amt nach diesen Grundsätzen auch gehandelt hat, beweist außer seiner Zustimmung zu dem Pekinger Schluß protokoll vom 7. September 1901, durch 'welches die Integrität Chinas aufrecht erhalten und Deutschland keinerlei Sondervvrtheil gewährt wird, das während der chinesischen Wirren vereinbarte deutsch-englische Abkommen vom 10. October 1900. In ihm wird unter Ziffer 2 stipulirt: „Die kaiserlich deutsche Regie rung und die königlich großbritannische Regierung wollen ihrerseits die gegenwärtige Verwickelung nicht benutzen, um für sich irgendwelche territoriale Borthcilc auf chinesischem Gebiet zu erlangen, und werden ihre Politik darauf richte», den Territorial bestand des chinesischen Reichs unver mindert zu erhalten." — Wenn angesichts dieser urkundlichen Zeugnisse für die Ziele der deutschen Politik in China und angesichts der thatsächlichen Begebenheiten der Geschichte unserer Tage behauptet wird, daß Deutsch land „immer neue Gebictstheile von China an sich reißen wolle, Pctschili bedrohe, gierige Blicke nach chinesischem Gebiete sende", so gehört hierzu entweder der böseste Wille oder die vorgeschrittenste Idiosynkrasie. Dieselbe Initia tive muß für die Jnterpretationskünste gelten, die der „Vorwärts" gegenüber der A c t e n p u b l i c a t i o n des „Neichsanzeigers" vom 12. d. M. spielen läßt. Die gegenwärtige Annäherung zwischen Deutsch land und den Vereinigten Staaten widerspricht allen Prophezeiungen unserer socialdemokratischen Presse in so hohem Grade, daß es ihr ein willkommener Trost ge wesen wäre, Hütte die englische Jntrigue, durch Aus streuung von Falschmeldungen über eine angebliche Intervention Deutschlands zu Gunsten Spaniens die Union gegen uns einzunehmen, Erfolg gehabt. Der „Rcichsanzcigcr" hat durch diese Rechnung einen dicken Strich gemacht, dick genug, um selbst den „Vorwärts" die Plumpheit der englischen Jntrigue ahnen zu lassen. Aber je weniger -er „Vorwärts" dem Eindruck ver deutschen actenmäßigen Klarlegung sich entziehen kann, um so begieriger klammert er sich an die vermeintliche Möglichkeit, „daß in einem früheren Stadium bereits eine Intervention von Deutschland und anderen Mächten angeregt und am Widerspruch Englands scheiterte". — Fehlt im vorstehenden Saye das Hilfsverb, so tragt die Schuld hieran jedenfalls die Gemüthsverfassung seines Autors, der von Freude darüber, den deutsch feindlichen Jntriguanten eine neue Aus rede geliesertzu haben, offenbar in Aufregung gerathen ist. Ob die englische Jingopresse von dieser ihr diensteifrig dargebotenen Handhabe Gebrauch macht, steht dahin. Aber selbst wenn es geschähe, würde damit nicht das Mindeste an der Thatsache geändert, daß Deutschland im spanisch-amerikanischen Conflict vollkommene Neutralität beobachtet hat. Indem der „Vor wärts" das Seinige thut, um zum Nachtheil des Reiches den Anschein vom Gegentheil hervorzurufen, bewährt er sich wieder einmal als das was er immer gewesen ist: als Agent des Auslandes. In der Beantwortung einer Interpellation im un garischen Abgeordneten Hause bezüglich der Reise des Erzherzogs Franz Ferdinand nach Petersbnrg erklärte Ministerpräsident von Szell auf eine Bemer kung Visontat's über die Rückwirkung des handels politischen Momentes auf den Dreibund, es sei na türlich, daß gegenwärtig, wo jeder Staat die Politik der Abschltetzung verfolge, die Gegner des Dreibundes ge wisse Puncte heraussuchtcn, welche gegen den Dreibund sprechen. Allein, wie auch immer sich das wirthschaft- liche Verhältniß Oesterreich-Ungarns zu Deutschland und Italien gestalten möge, so wurzelten die großen politischen Ursachen - eS Bündnisses viel tiefer in den Interessen aller drei Staaten, besonders in denjenigen Oesterreich-Ungarns und Deutschlands, als daß sie nicht die Kraft besitzen sollten, vorübergehende Differenzen oder eine gespannte wirthschaftliche Lage zu überdauern. «Beifall rechts.) Be züglich der politischen Bedeutung der Reise des Erzherzogs bemerkte der Ministerpräsident, der Reise könne durchaus nicht die Tendenz zugeschrieben werden, daß damit eine n c u c p o l t t i s ch e R i ch t u n g eingeleitet werden sollte. Die auswärtige Politik werde ja nicht so gemacht, daß der Thronfolger einen Besuch mache, während Diejenigen, die verfassungsmäßig für die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten die Verantwortung trügen, dabei nicht zugegen seien. (Lebhafter Beifall.) Obwohl daher die Reise vom politischen Gesichtspunkte erfreulich sei und ent schiedenen Bortheil und entschiedene Bedeutung habe, so Frnilletsn. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck verdoNn. Welch' eine Befriedigung hatte cs ihm stets gewährt, wenn dieses schöne, kluge Mädchen, sein LicblingSkind, ihm mit verhaltenem Athem lauschte! Sie dachte und handelte nur durch ihn, er hatte sic gewissermaßen sug- gerirt! Ihr Vertrauen zu ihm, ihr Glaube an seinen Edelmuth, seine Wahrheitsliebe waren so groß gewesen, daß sie ihm blindlings folgte! Elend und verlassen fühlte er sich, nun sie selbst ständig zu denken und zu handeln begann — er wußte noch nicht, wi« er bas tragen sollte. Dazu daS Unglück des armen Paul — das war ent schieden ein UnglückStag heute! „Vorläufig wollen wir Mama von der Angelegenheit mit Paul nichts sagen —", bemerkte Stephanie leise. Döring fuhr entsetzt in die Höhe. Fahle Klammen züngelten über sein Gesicht bis in die Stirn hinauf. Er wußte es ja, wie verächtlich er gehandelt hatte, er war sich keineswegs im Unklaren darüber, aber mit der schwachen Naturen eigenen Bereitwilligkeit, sich selbst zu entschuldigen, verstand er es, sich hinter einen Wall von Motivtrungen zu flüchten, die freilich nur ihm selbst gegenüber Stand dielten, vor Martha s klarem, leiden schaftslosem Urtheil aber nimmermehr bestehen konnten! Ihren durchdringenden Blick, wie die Gattin sich bei solchen Gelegenheiten stumm, gewissermaßen ergebungs voll abwanbte, während die tief berabgezogenen Mund winkel allein die Verachtung verriethen, die sie für Den jenigen empfand, der ihr Schützer, ihre einzige Stütze hätte sein sollen, diese stummen Kundgebungen hatte er fürchten gelernt! „Wie eS auch kommen mag", flüsterte er hastig, „Mama darf hiervon nichts erfahren — nie! Hörst Da? Versprich eS mir, zu schweigen!" Sie nickte Zustimmung, aver sie that eS mit ab gewandtem Gesicht. Stephanie hatte e» für selbstverständlich gehalten, daß die Eltern Über den Fall berathen, zusammen die Last des Kummers tragen würden — sie wünscht« nur nicht, daß die Mutter vor der Unterredung mit Eckhoff be unruhigt werde, und nuu sollte sie überhaupt nichts erfahren? Drittes Capitel. Instinktiv fühlte sie, daß ihr neue Uebcrraschungen, vielleicht Enttäuschungen noch bcvorstanbrn, aber Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht mehr. Es klopfte. Der Kellner trat ein und überreichte ihr eine Karte. „Bernhard von Eckhoff", las sic mit Bestürzung. Julius hatte mit langen Schritten die Thür erreicht und verschwand im Nebenzimmer, noch ehe Stephanie ihr monotones „ich lasse bitten!" ausgesprochen hatte. Da stand sic Eckhoff wieder gegenüber. Er verneigte sich stumm und ernst. Die Veränderung, die mit ihr vorgegangcn, fiel ihm sofort auf. Kaum war mehr als eine Stunde verflossen, wo sie ihm gegcnUbcrstand mit den kalten, hochmüthigen Zügen, nur den brennenden Durst nach Gold in den dunklen, tiefen Augen, und schon zeigte dieses Antlitz einen ganz anderen Ausdruck. Schatten zogen darüber hin, — aber eS gicbt auch freundliche Schatten! Das sind die, welche den jungen Tag künden, welche der Morgcnröthe vorangchen. Seltsam bewegt ward Eckhoff, aber sobald er sich dessen bewußt wurde, erschien seine Miene eisiger, undurchdring licher denn je zuvor. „Was sie Alles beginnt, um in den Besitz -es Geldes zu gelangen", dachte er, „jetzt wird sie die Sentimentale, EmpftndungSvollc spielen — aber ich bin auf meiner Hut, sie kann mich nicht zum zweiten Male täuschen." Stephanie wies mit einer ruhig anmuthigcn Hand bewegung einladend nach dem nächsten Gefiel. Der Ernst der Situation, die Mission, die sie zu er füllen hatte, machten eS ihr leicht, Scham und Verlegen heit zu bekämpfen, die sich doch von Neuem zu regen be gannen, als sie diesem kühlen, verschlossenen Antlitz gegenüberstand. „Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister, baß Sie meinem Rufe gefolgt sind", sagte sie ruhig. „Ich bitte Sie, mich anzuhvren, eS ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe — ich werde Ihre Geduld auf eine be sondere Probe stellen müssen." Er verneigte sich verbindlich. „Sie dürfen ganz über mich verfügen, mein gnädiges Fräulein." „Ich danke Ihnen!" Sic sandte ihm einen warmen Blick, der aber gänzlich unbeachtet blieb. Dann begann sic zu erzählen von den Enttäuschungen, die ihr Vater in seinem Fache erlebt hatte, von den berech tigten Hoffnungen auf diese Erbschaft und der Misere, mit der ihr „armer" Vater stets zu kämpfen hatte. Wie sie es verstand, ihn zu schützen, zu schonen, seine Lebensweise zu mottvircn, ohne daß cs ihr doch gelingen konnte, die Erbärmlichkeit dieses Charakters zu verdecken. „Wo hinaus sie nur will?" dachte Eckhoff, „jetzt wir st« gleich behaupten, dieser „arme Vater" werde sich aus Verzweiflung das Leben nehmen. Ob sie wirklich an solchen „Spuk" glaubt, ober ob sic gemeinsam mit ihm ein Complot schmiedet?" Wenn er sich nicht mit einem gewissen Starrsinn gegen jede Regung aufgelchnt hätte, die zu Stephanie'- Gunsten sprechen wollte, so würde er bald erkannt haben, daß dieses bezaubernde, vollendet schöne Wesen von dem ge wissenlosen Vater irregeleitet worden sei, und daß jetzt der Moment gekommen, wo sic der stützenden Hand der Liebe bedurfte, um sich auf einem neuen, auf dem rechten Wege zurecht zu finden. So fest Eckhoff aber davon überzeugt war, daß er rein objectiv, kühl und gelassen in die lichtvollen Tiefen dieser Augen schaue, so beunruhigte ihn doch ihre Schönheit ge waltig, und er ward nicht müde, dieses süße Wunder an zusehen, freilich that er es in einer Weise, als gelte es, sich doppelt zu umpanzcrn gegen weibliche Arglist und Tücke. Stephanie hatte gesprochen, ohne zu stocken. Nun aber galt es, daö Schwerste zu sagen, und da war eS ihr nicht anders, als gelte eS das Eingeständnis, ihrer eigenen Schuld. In abgerissenen Absätzen nur, widerstrebend fielen die Worte von ihren Lippen. Dann reichte sie ihm das Telegramm. Zorn und Empörung spiegelten sich in Eckhosf'S Zügen. Er blieb ganz stumm, aber seine sprühenden Augen waren ein beredteres VerdammungSurthetl, als die hef tigsten Worte eS hätten auSsprcchen können. „Und wa« soll nun geschehen?" fragte er endlich mit finsterer Stirn. „DaS können Sie noch fragen?!" rief Stephanie, die Hände ringen-, „ist es nicht Ihre und auch meine Pflicht, Alles zu überwinden, was trennend zwischen uns steht? Wo cs gilt, das Leben eines Menschen zu retten, müssen alle kleinlichen Bedenken weichen!" „Verzeihen Sic, mein Fräulein, ich muß Ihnen aber durchaus widersprechen! Von kleinlichen Bedenken weiß ich mich vollständig frei! Die Heirath zwischen uns kann nicht stattsinden, weil sic ein Betrug wäre, ein Frevel an -cm Heiligsten in unserem Dasein!" Stephanie sprang auf, ihr Busen wogte, ein Sturm durchbraustc ihr Inneres. „Wie!" rief sic mit verlöschendem Blick, „Sie wollen eher diese Verantwortung auf sich nehmen, ehe Sie bin ich denn so schlecht, so schlecht?!" Und sie hob die Arme wie anklagend empor, um sie Sann wie vollständig entmuthigt wieder sinken zu lassen. „Sie mißverstehen mich, mein Fräulein; fern sei cs von mir, an Ihrer Persönlichkeit Kritik üben zu wollen. Zwei Menschen können gut und zu allem Großen und Edlen fähig sein, ohne für einander zu passen. Tic haben mich auch nicht auSsprcchen lassen. Ich bin bereit, mit meinem beweglichen und unbeweglichen Vermögen für Paul Weber zu bürgen, und hoffe, daß diese Erklärung genügen wird, um dem beklagenswerthcn jungen Manne Schmach und Entehrung zu ersparen. Ich werde mich so gleich mit ihm in Verbindung setzen und die nothwendigen Schritte einletten. Eva war mir lieb, wie eine Schwester, ich will Alles thun, um ihr bas sonnige Glück ihrer jungen Liebe zu erhalten!" Jetzt brach Stephanie zusammen. Nicht vor Schmerz und Kummer, sondern weil sie sich bis in den Tod gcdemüthtgt fühlte, strömten die Augen über. Heiße Thräncn flutheten über die brennenden Wangen, cmporquellend, aus einem Herzen, in dem es wirr genug aussah, weil dort die verschiedensten Factoren mit einander stritten: Zorn und Scham, Reue, und das Verlangen, besser, vollkommener zu werben, jenem Manne ähnlich, der dort so unentwegt ihr gegtnüversatz, -essen Hand lungen nicht vom blinden Wahn, sondern vom strengsten Pflichtgefühl geleitet wurden. ES war ein förmliches EhaoS in ihr, Alles aber wie tn einen Nebel hüllend, eine tiefe Muthlosigkeit, ein voll ständiges Erschlaffen aller LebenSfrcudigkcit. „Ein solches Opfer dürfen wir nicht annehmen", sagte sie tonlos, „mit einer solchen Eventualität hatte ich über-
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