02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-13
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020313020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902031302
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902031302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionssmcß (4 gespalten) 75 vor den Familrennach. richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweifungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbeförderung ./l 70.—. Annahmeschlvk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 131. Donnerstag den 13. März 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Uebcr die Auffassung der Boercnkreisc hinsichtlich der folgen -cs Sieges Delarey s geht der „Tagt. Rundsch." ein Drahtbericht zn, in dem es heißt: In Brüssel verlautet zuverlässig, daß alsbald nach dem Bekanntmerdcn des Sieges Dclarcy'o vertraulich soudirt wurde, ob gegenwärtig eine erneute Inter vention zu Gunsten der Beilegung des Krieges erwünscht wäre. Demgegenüber kann aufs Bestimmteste versichert werden, daß vor wie nach in den Kreisen der europäischen Bocrcndcpntirten keines wegs die Neigung besteht, den Frieden herbeizuführen, bevor England in der Frage der Nnab- h ä n g i g k e i t b e st i m m t e Garantien gegeben habe. Die Boerengeneralc lassen fortgesetzt wissen, daß sie den Kampf durchfechtcn werden, der mit jedem Schlage an Hartnäckigkeit znnehmen werde. Außerdem gelangte die Mittheilung nach Brüssel, Methuen werde s o r g f ä l t i g st behandelt und der Genesung zugeführt. ES bestehe keineswegs die Neigung, V e r g e l t n n g s m a ß r e g e l n für die Hinrichtung der Boercnführcr an ihm zu üben. Die Nachricht von dem Siege Delarey's hat haupt sächlich deshalb in E u g l a n d einen unangenehmen Ein druck gemacht, weil dabei zum ersten Mal ein englischer General von den Boeren gefangen genommen worden und Hunderte berittener englischer Truppen vor den Boeren geflohen sind. So schreibt „Daily Grap hie", ein chauvinistisches Blatt: „Die Nachricht machte in beiden Häusern des Parla ments einen peinlichen Eindruck. Man befürchtet, daß das Ereigniß den Boercnwiderstand verlängern und Dc- larey bedeutenden Zustrom von Reeruten zufllhren körnte. — In den militärischen Clubs rief die Nachricht große Sensation hervor. Ein General bemerkte bitter, daß das Ereigniß jedenfalls die Nemontccommifsivn entlaste, denn die Fliehenden seien offenbar sehr gut beritten gewesen. Er fügte dann hinzu: „Ich kann mir kaum das Bild vor stellen, daß 550 englische Soldaten so schnell sie können, vier Meilen weit von den Boeren verfolgt, davon galop- piren. Eine solche Anzahl von Engländern sollte von keiner Anzahl Boeren gejagt werden können. Das ist das Schlimmste an dem ganzen Unglück. Von diesem Ltandpuncte aus betrachtet, muß ich sagen, daß dies das unglücklichste Ereigniß des ganzen Feldzuges ist." Ein anderes Jingo-Blatt, die „Daily Mail", be merkt: .... „Daß die Qualität der Truppen Lord Methuen's viel zu wünschen übtig ließ, wird durch die Meldung angedeutet, daß nicht weniger als 550 Mann nach Maribogo und Kraaipan flohen, während es Major Paris nicht gelang, mehr als 40 Mann zu einem tapferen Wider stande zusammenzubringcn." .... Im klebrigen dürfte dasselbe Blatt die in England vorherrschende Stimmung richtig wicdcrgeben, indem cs schreibt: „In mancher Hinsicht ist dies die vcrhängnißvollstc Niederlage, welche die englischen Waffen in Südafrika er litten haben. Was die Stärke der Boeren anbelangt, so ist, wenn nicht Lord Kitchener falsch unterrichtet wurde, an zunehmen, daß die Boeren nicht überwältigend stark waren Die Niederlage ändert die Lage nicht in einschneidender Weise, obgleich sic die Boeren obstinater machen wird als je. . . . Trotzdem ist die Sache nicht leicht zu nehmen, und wir können uns nicht eines Gefühles des Unbehagens erwehren, wenn wir an die andere britische Colonne, die in der Nähe war, denken. Die Nation hatte, im Vertrauen auf die so zahlreich gegebenen öfsieiösen Versicherungen, sich in den Glauben gewiegt, daß der Krieg sich nun endlich seinem Ende nähere. Diese Nieder lage wird tiefe Beunrnhignng und Mißtrauen gegen die Negierung Hervorrufen, die sich so ost und so böse getäuscht hat. Wenn unsere Feinde aber etwa anuehmen sollten, daß dadurch unsere Entschlossenheit beeinträchtigt werde, dann irren sie sich gewaltig. Wir werden vor keinem Opfer zurückschreckeu, nnd Alles daran setzen, um diesen Kampf durchzuführeu. Die englische Entschlossenheit wird durch Niederlagen nur verstärkt." Die unhcimli ch e n M aulthicr- und Q ch s e n- gespann ehabcu wieder viel zu dem schweren Mißerfolg beigetragcn. Unsere braven Ostasiaten haben bekanntlich in China mit diesen störrischen und heimtückischen Tbieren ebenfalls böse Erfahrungen gemacht. „Wir wissen", schreibt dem „Schwäbischen Merkur" ein Mitarbeiter, „ferner auf Grund eigener Anschauung und Erlebnisse, welch' heillose Verwirrung durchgehende Gespanne in einer Truppe anrichten können, und denken dabei an Gravelottc, 18. August 1870." — Ucber die Niederlage von Klerksdorp berichten englische Blätter nachträglich, daß die Boeren dreimal mit großer Entschlosscnbeit angrisscn. Sie stürmten beim drittenmal mit solcher Wucht heran, daß aller Widerstand vergeblich war. Die Engländer wurden i ur wahren Sinne des Wortes aus einander gewirbelt. Wie ganz anders stände es nm die Sache der Boeren, wenn sie von Anbeginn an solch' schneidige Führer gehabt und solche hervorragende Ent schlossenheit nnd Disciplin an den Tag gelegt hätten, kann man nur immer wieder sagen. Welche Stimmung heute in England herrscht, kann man sich leicht vorstellen, zumal die Iren im Unterhause die Nachricht von der schweren Niederlage mit laute»: Beifall begrüßten. Es sicht ganz so ans, als ob sich auf der grünen Insel ernste Er eignisse vorbercitcu." Lady Methuen kam am Dienstag Nachmittag auf der Heimreise von Afrika in Madeira au und wurde dort auf das Schonendste von der Verwundung und Gefangennahme ihres Gemahls in Kenntnis; gesetzt. Sic ging sofort an Land, um sofort wieder nach Südafrika zurück zu segeln. Tic kann am 25. wieder in Capstadt landen und befindet sich selbst in guter Gesundheit. * Hcilbron, 11. März. („Reuter s Bureau".) Wie cs heißt, haben Dewct und Steijn vor 2 Tagen die Hauptciscnbahnlinie fünf Meilen nördlich von Wolvchvck auf dem M a r s che na ch d c m W e st c n überschritten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Mär;. Der Reichstag hat sein ursprüngliches Vorhaben, die dritte Etatslcsuug schon gestern zu beenden nnd sich so dann in die Osterferien zu begeben, nicht durchführen können. Der Scnioreneonvent denkt, aber die un gezügelte Rcdclust einzelner Herren lenkt. Erledigt wurde gestern lediglich der Rest vom Etat des Reichs amts des Innern, sowie der Militär- und der Marine Etat, geredet um so mehr, und meist über Dinge, die schon bei der zweiten Berathnng zur Sprache gebracht worden waren. Mau kann sich das gefallen lassen, wenn inzwischen neue Gründe zu Beschwerden eingetreten sind, aber es erscheint doch recht zwecklos und kann nur aus agitatorischen Beweggründen verstanden werden, wenn man bei der dritten Lesung immer nnr die alten Klagen bis zum ttebcrdruß wiederholt. Neu und interessant war gestern eigentlich nur die Mitthcilung des Abg. Hilb k, daß im Obersauerland die Errichtung einer Lungenheilstätte daran gescheitert ist, daß Frhr. v. Wendt forderte, diese Anstalt müsse unter katholischer Ober leitung stehen. Ob man heute dazu kommen wird, die Ferien zn beginnen, ist auch noch zweifelhaft, denn das Ccntrnm hat zur dritten Berathnng des Etats poch die Resolution eingebracht, den Reichskanzler zn ersuchen, das Uebereinkvmmcn zwischen der kaiserlichen Reichs- Postverwaltnng nnd der königlich wttrttember- gischen Postverwaltung, betreffend die Einführung gemeinsamer P o st w c r t h z e i ch e n , dem Reichs tag zur verfassungsmäßigen Genehmigung vorzulcgen. Das kann noch eine langathmige Debatte abgeben, wenn nicht die übrige» Parteien sich entschließen, die beantragte Resolution knrzer Hand abzulehnen. Die ultrauivntanc „Toleranz" hat sich wieder einmal glänzend bekundet! In München wollte, wie schon berichtet, dieser Tage Graf Hocnsbrocch auf Ein ladung des jungliberaleu Vereins über den Toleranz antrag des CentrumS sprechen. Er wurde von ultra montanen Elementen, die das ihnen gewährte Gastrccht in gewaltthätigstcr Weise mißbrauchten, daran gehindert: die Versammlung mußte der Auflösung verfallen. Nach den jetzt vorliegenden Schilderungen der großen liberalen Blätter der bayerischen Hauptstadt wurden GrasHocnsbrocch nnd Mitglieder des liberalen Vereins mit faulen Eiern, Stinkbomben, mit Maßkrügcn, Tischen und Stühlen be worfen. „Ein geistlicher Herr in her Soutane", heißt es, „stand mitten im Saale, rief dem Grafen Schmähwvrle zu und pfiff zwischen hinein durch die Finger wie ein Viehtrcibcr." Und an einer anderen Stelle heißt es: „Es ist fcstgestellt, daß die Angehörigen der katholischen Gesellenvereine, selbst Lehrbuben zwischen 15 und 18 Jahren,"evinmandirt waren, nm die Toleranz der ultramvntanen Kreise bei der Diskussion des Toleranzantragcs feierlich zn bekunden. Die Mitwir kung verschiedener Geistlicher ist zweifellos festgcstellt. Dafür sind Zeugen vorhanden. Die geistlichen Herren waren in geradezu schamloser Weise bemüht, den Kampf nicht nur durch belebende Pfiffe, sondern auch durch allerlei Anweisungen zur Organisation zn fördern!" Die Centrnmsprcssc von der Isar bis zum Rheine be müht sich nun, die Schuld an diesen skandalösen Vor gängen von ihren Gesinnungsgenossen abznwälzcn. Und eS muß zugegeben werden, daß die ultramontanen Elemente nicht allein an dem Skandale bcthciligt waren. Dafür sprechen einerseits in München verthciltc Flug blätter, deren eines dem „Deutschen Polksblattc" des Herrn Wcngg, des bayerischen Geschäftsführers des Bundes der Landwirthc, bcilag, andererseits die Ver schiebung einer christlich-socialen Versammlung mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Hoensbrocch-Versamm- luug und mit der Aufforderung, zu dieser Versammlung sich einzufindcn. Unwiderlegliche Thatsache aber bleibt doch, daß die Sprengung der Versammlung hauptsächlich «^uirch Centrnmsanhänger erfolgte. Noch wichtiger in dessen als diese Sprengung selbst ist die grundsätz liche Stellungnahme des bayerischen K l e r i k a l i s m u s bei diesem Anlaß. Das vsficielle Münchener Centrumsorgan versäumt freilich nicht, den Unfall zu „bedauern" und zu „verurtheilen". Aber es „begreift" das Borkommniß und führt alsdann aus: „Wir schieben in erster Linie die Schuld auf die Libe ralen, die in einer Versammlung im katholischen M ü n ch e n einen Mann auftreten lassen wollten, der jetzt das Nest beschmutzt, in welchem er früher selbst so wärm gesessen. Die Versammlung war öffentlich, es hatte also Jedermann Zutritt, und da wäre es denn doch am Platze gewesen, mit den heiligsten Gefühlen der Gegner nicht zu spielen." — Bei solcher Auffassung ist cs mit der Versammlungsfreiheit in München schlechter als schlecht bestellt. Denn mit der Begründung, daß zu einer öffentlichen Versammlung Jedermann Zu tritt hat, daß also „heiligste Gefühle" im katholischen München ans diesem Wege verletzt werden können, ist der Grundsatz ausgesprochen: öffentliche Versammlungen dürfen von den Liberalen nur dann veranstaltet werden, wenn die Centrumspartei von den auftretenden Rednern keine Verletzung „heiligster Gefühle" besorgt! Wie ernst es dem Münchener Centrumsorgan mit seinem Vorstoß gegen das Vcrsammlungsrecht ist, geht aus dem Bor- wursc hervor, den es gegenüber der Polizei erhebt: zwar nicht mit dürren Worten, aber deutlich genug: wird der Polizei zu verstehen gegeben, daß sie die Verlamm lung hätte verhindern müssen. Auch der Besuch des Erzbischofs von München beim Prinz regenten Luitpold, „um ihm (!) wegen der V ersamml» ng Vorstellungen zu mache n ", beweist eindringlich genug, daß der Münchener Merika- lismus, unbekümmert nm die Parität in Bayern, das Vcrsammlungsrecht zu seinen Gunsten knebeln möchte. Ein Zufall läßt gleichzeitig bekannt werden, mit welchem Eifer der KlcrikaliSmus der akademischen Frei heit dasselbe Schicksal bereiten will. Und znurr ist es das Organ der Reichstagsabgcordneten Delson und HauS, das in dieser Beziehung die bezeichnendsten Rathschlägc erthcilt. Den Anlaß hierzu hat jstingst in Berlin eine Versammlung katholischer Akademiker gegeben: in ihr hat sich nach der Rede eines Geistlichen über das Thema, ob ein Gegensatz zwischen ocr katholischen Kirche und der modernen Cultur bestehe, ein Student im Sinne von Kraus als Anhänger des religiösen Katholicismus und als Gegner des poli tischen, ultramvntanen Katholicismus bekannt und sogar für Professor Harnack Worte der Bewunderung gefunden. Deswegen nnd wegen der Unterstützung, die dieser Frevler durch zwei andere Studenten erfuhr, während gegen ihn kein einziger das Wort ergriff, steht dem „Elsass. Volksbvten" „der Verstand stille". Haben auch die Abgg. Gröber, Dasbach und Sittart „den jungen Geistern die nöthigc Aufklärung zu Theil werden lassen", so will der „Elsäss. Bolksb." doch dem drohenden Unheil mit anderen als mit geistigen Waffen begegnen. „Schickt Eure Söhne in katholische Uni versitätsstädte und nicht an protestan tische H o ch bnrg c n ", ruft er den katholischen Eltern zu, und sür die katholischen Studentcnvereine fordert er „ein stramineres religiöses (!) Regiment". — Wie oben gegen die bayerische Versammlungsfreiheit, so wird hier gegen die akademische Freiheit die An wendung äußerer Mittel gepredigt, obwohl in beiden Füllen, sowohl von den Münchener Liberalen, wie von den Berliner katholischen Studenten, lediglich von zu- stehcndcn Rechten Gebrauch gemacht worden ist. Dieselbe Feurlletsn. us Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. Nachdruck verboUn. Fünfzehntes Capitel. Der erste Morgen nach dem Begräbnißtage graute laum, als Paula erwachte. Wie? Hatte sie wirklich ge schlafen? Sic setzte sich im Bette auf und schaute zu den Kindern hinüber. Diese Glücklichen, sic wußten noch nichts von dem großen, unersetzlichen Verlust. Mit roth- glühenden Bäckchen lagen sie in den Kissen, ein seliges Lächeln auf den frischen, feuchten Kindcrlippen. Daß ihr Papa nun fort war, für immer fort, daß sic nun alle Vier allein waren, ohne Schutz, ach, sic wußten cs nicht. Aber auch sie hatte schlafen können in dieser ersten Nacht, wo Bruno . . . Mit einem erstickten Schmerzensschrei bedeckte sic ihr Gesicht. Wieder empfand sic das ganze, schreckliche Weh der letzten Tage. Konnte man denn weiter leben mit solchem Kummer im Herzen? Leben nnd arbeiten? Und arbeiten mußte sic nun. Der Thränenstrom versiegte plötzlich, und Paula schaute mit großen, erschreckten Augen vor sich hin. Das hatte sie in all den schweren Stunden ganz vergessen — der böse Alte wollte ja kommen, Brnno's Vater, der cS dem Sohne nie verziehen, daß er die arme Lehrerin geheirathct und sich allen seinen Zukunftsplänen widersetzt hatte. Weder er noch seine Schwester waren zum Bcgräbniß gekommen. Er sei krank, hatte er tclegraphirt, aber in zwei bis drei Tagen solle sic ihn erwarten. Nun kam er wohl heute. Aber was wollte er hier? Tic nachträglich noch schelten, daß sie seinen Sohn „verlockt" hatte? Oder um ihr zu Helsen, ihr beizustehen, für sic und die Kinder zu sorgen? Groll hegte er jetzt gewiß keinen mehr: sie war ja so unglücklich und hilflos. Wenn er ihr etwas Geld gab, nur wenig, dann hatte sic keine Furcht mehr vor der nächsten Zukunft. Unter solchen Gedanken kleidete sic sich an. Auch im Hause nnd ans der Straße wurde cs jetzt lebendig. Das Leben nahm seinen Fortgang, als wäre nichts geschehen. Die Aufwärterin kam und verrichtete wie sonst ihre Ar beit. Nur die Augenbrauen zog sie weit in die faltige, vergilbte Stirn hinauf, um einen wchmüthigcn Ausdruck hcrvorzubringen: auch seufzte sie jedesmal tief uud schwer, so oft sie in die Nähe der jungen Wittwe kam. Als die Kinder wach wurden, mußte sich Paula sam meln. Wie schlaftrunken, einen dumpfen, schmerzhaften Druck im Herzen, der ihr den Athcm benahm, war sic bis jetzt herumgeschlichcn. Vom Schlafzimmer ins Wohn zimmer, von da in die Küche und wieder zurück, um überall die traurigste Oede und Leere zu finden. Aber das Leben verlangte sein Recht. Helga patschte sich auf den Magen, was Hunger bedeutete: Dietrich kletterte ans seinem Gittcrbcttchen und hing sich der Mutter an den Rock: und Bruno, der Zweijährige, gab seine Gefühle durch ein fürchterliches Brüllen kund. Es mußte also gefrühstückt werden wie sonst. Während sic am Tische saßen und Dietrich durch die entrüstete Frage, ob Papa nicht endlich komme, ob denn der Himmel, wohin er gegangen, so weit sei, bei seiner Mutter einen Thräncn- strom entfesselte, läutete es. Paula schrak zusammen und drückte die Hand aufs Herz. Der Schwiegervater! Da mar er! Aber es mar nur die Leichenfrau. Ein langes, hage res Weibsbild mit einer Geiernasc.i Nun, da der Todte begraben, kam sie, um das ihr nach Sitte und Gebrauch Ankommende zu holen: den Bettbezug, in dem er ge storben, und seine Leibwäsche. Als sie diese Gegenstände, die ihr Paula ohne Widerspruch verabreichte, unter dem Arm hatte, ließ sic ihre habgierigen Augen noch weiter umhergleitcn und meinte, von Rechtswegen gehörten ihr auch der letzte Anzug und die Stiefel des Seligen. Erst als die Wittwe in bitteres Weinen ansbrach, machte sic sich grollend und brummend davon. Während des Vormittags kamen noch einige Leute, die Geld wollten. Paula bemerkte jetzt mit Schrecken, daß der kleine Vorrath bald zu Ende ging, wenn sic auch nur noch eine einzige Rechnung bezahlte. Das durfte nicht sein, die Leute mußten ihr Zeit lassen. Mieglitz Methode seinen Gläubigern gegenüber fiel ihr ein. Sie mußte lächeln, das erste, leise Lächeln seit vielen Tagen. „Wie? Sie wollen Geld?" pflegte er zu sagen, wenn ihm ein Unglücklicher sein Conto zu präsentiren wagte. „Woher wissen Sic denn, daß mir gerade heute ein reicher Onkel einen fabelhaften Wechsel geschickt hat? Hier im Schreibtisch habe ich ihn. Wo ist denn der Schlüssel?" Und nun ging ein eifriges Suchen an, aber der Schlüssel fand sich nicht. Der Gläubiger wurde schließlich ungeduldig und mußte trotz allen Scheltens leer abziehen. Ach, wie ost hatten sic darüber gelacht! Das mar nun Alles vorbei. Paula wunderte sich, als bis Mittag noch keiner der Freunde gekommen mar. Aber Schlag zwölf Uhr traten sic Beide mit einander an. Lcuc reichte ihr zwei Finger spitzen, schoß einen giftigen Blick auf sie, als märe sie schuld an Allem, und marf sich in den Lehnstuhl am Fenster, ohne etwas zu sagen. Sein Gesicht sah gelb und gallig aus. Mieglitz drückte ihr die Hand, räusperte sich im tiefsten Brustton und fragte, ob sie gut geschlafen hätte. Dann fiel ihm sofort ein, daß cs eine dumme Frage sei, und er wurde blutroth darüber. Paula schüttelte den Kopf, be kam nasse Augen, und Lene brummte etwas vor sich hin. Es war ein recht trübseliger Besuch. Schweigend ging Paula ab und zu, schweigend starrten die Freunde vor sich hin. Alle Drei empfanden die veränderte Situation aufs Schmerzlichste. Selbst als Bruno schwer krank mar, wurde hier noch lustig gelacht und gescherzt. So schlecht cs stand, mau hoffte noch, mau wollte den Kranken auf heitern. Au den Tod dachte mau nicht. Durch gute Pflege konnte mau das Aeußcrste gewiß noch lange hinaus schieben. Uud jetzt, mit einmal war Alles vorbei. Leue uud Mieglitz hatten heute schon eine laniw-'Uutcr- rcdling hinter sich. Deshalb waren sie so spät gekommen. Sie hatten sich darüber geeinigt, daß Bruno s Wittwe mit sammt ihren drei Kindern ihr Vcrmächtnitz sei. Jedenfalls durste man sie jetzt in ihrer Hilflosigkeit nicht im Stiche lassen. Mieglitz war Feuer nnd Klamme für die Idee. „Das arme, kleine Wurm", seufzte er, „das arme Wurm, wie blaß und lieb sic in ihrem schwarzen Kleidchen ausgcsehen hat! Man möchte sic am liebsten in die Arme nehmen und forttragen, weg von allen Sorgen!" Zuletzt wurde er beinahe poetisch: aber ein Wuthblick Leucs ließ ihn schnell wieder zu sich selbst kommen. Nach längerer Debatte wurden sie darüber einig, daß die Wittwe vor Allem baar Geld brauchte, ein Sümmchen, welches ihr über die schwerste Zeit forthelfc, bis sie selbst wieder die Kraft hätte, thätig zu sein. Nach dieser Resolution wurde die schwierige Frage des Wohernchmcns erörtert. Mieglitz war erst vor Kurzem aus seinem winterlichen Engagement nach Berlin zurück gekehrt — mit Lorbeerkränzen, Liebesbriefen, aber wenig Geld. Momentan wohnte er auf Pump bei Papa Heine. Seine Wcinkunden hatte er noch nicht ausgesucht. Aber er verpflichtete sich zunächst für einen Korb Rothwein „zur Stärkung". Auch wollte er das Honorar für einen dem- nächstigen Gcsangsvortrag in einem Verein auf dem Altar der Freundschaft opfern. Außerdem hoffe er, beim Scat zu gewinnen. Er hät/e auch klingende Münze ge habt, versicherte er treuherzig, wenn er sich nicht unglück licher Weise zu Bruno s Bcgräbniß einen neuen Gehrock für hundert Mark gekauft hätte. „Hast Du ihn denn bezahlt?" fragte Leue grimmig lächelnd, worauf Mieglitz kleinlaut zugestand, daß er ihn nicht bezahlt hätte. Leue triumphirte. Ein solcher Bcttelbruder war er nicht. Er hatte einige Hundert Mark übrig, die er für eine große Novelle bekommen hatte: und seine müden Augen leuchteten gar seltsam feurig, als er auf die Brust tasche schlug, während Mieglitz' dickes Gesicht ganz laug wurde vor Neid und Aerger über sich selbst. Sie machten sich auf den Weg, um der Wittwe Mit- tücilung von dem zu machen, was sic für sic thun könnte». Mit der Thür ins Haus fallen, ging aber nicht an: cs mußte ihr diplomatisch bcsiicbracht werden. Die beiden, sonst recht unverfrorenen jungen Männer, die vor der Frau des Freundes, der Kameradin, nie ein Blatt vor de» Mund genommen hatten, fühlten nun der Wittwe gegen über eine jugendliche Verlegenheit. Die übermüthige Courschneidcrci Mieglitz', zu der der Ehemann gelacht hatte, seine manchmal recht derben Scherze und Neckereien, alles das mußte jetzt aufbören, war der Alleinstehenden gegenüber nicht mehr am Platze. Nun saßen sic schon eine ganze Weile in dem kleinen Wohnzimmer, und außer einigen glcichgiltigcn Bemer kungen war nichts gesprochen worden. Leue, der erst traurig vor sich hingestarrt, beobachtete seit fünf Minuten mit steigendem Zorn den Sänger. War das eine Art, mit seinen großen, schwarzen, frechen Augen jeder Bewegung Paula's, die in der Stube herumhantirtc, zu folgen?! „Na, Mieglitz", sagte er scharf, so daß der dicke Freund erschrocken zusammenfuhr, „gaffst Du nur, oder denkst Du auch etwas?" „Natürlich denke ich auch etwas", lächelte Mieglitz siegesgcwiß. „Ich habe mir etwas auSstudirt, eine Idee habe ich, eine ganz famose Idee!" „Du — das wäre 'mal was Neues." Mieglitz blies seine dicken Backen aus und rieb sich die Hände. „Wirst schon sehen!" nickte er freudestrahlend. , Meine Idee bezieht sich natürlich auf Frau Paula. Wir haben nämlich vorhin von Ihnen gesprochen", wandte er sich eifrig an die Wittwe. „Wir haben uns überlegt, daß Sie jetzt unterstützt werden müßten —"
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