02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-25
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020325024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902032502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902032502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-25
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(2L3> v«»toi, i' voa Bezug--Preis kn der Hauptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus» gabestellen abgeholt: vierteljährlich ./L 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!, 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Redaktion und Expedition: Iohannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Fittaterpeditioner»: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3^ L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. Haupt-Filiale in Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. Abend-Ausgabe. WpMtk TMdlalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des AatHes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richtcn (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertcnannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. >53. Der Krieg in Südafrika. FricdcnsauSfichte»! „Reuter's Bureau" meldet unterm 24. März aus Pretoria: „Tie Mitglieder der Regierung von Transvaal, die hier durchreisten, geben in besonderer Sendung nach der Oranje-Colonie." Schade, daß man nach dieser Offen barung nicht klüger ist wie zuvor. WaS heißt besondere Sendung? Wer sendet die Unterhändler, da sie doch die TranSvaal-Regierung repräsentiren — wenigstens von ihrem Standpunct aus —, die ihrerseits Delegirte ernennen könnte, sich aber nicht selbst delegiren lassen kann. Oder soll damit — etwas unklar freilich — angedeutet werden, daß die „Delegirtcn" im Einvernehmen mit Louis Botha, dem Höchst- commandirendcn, kommen? ES läßt sich jedenfalls noch immer nicht sagen, von wem die Initiative zu den Verhandlungen ausgegangen ist; man dürfte aber, schreibt die „Post", in der Vermutbung nicht fehl gehen, daß die Sacke mit der Reise Lord Wolselcy's, deren privater Charakter trotz aller Versickerungen im englischen Parlament kaum irgendwo Glauben findet, im Zusammenhänge steht. König Eduarv hat, wie schon öfters berichtet wurde, den lebhaften Wunsch, den Frieden bis zu seiner Krönung im Juni wieder hergestellt zu sehen, und Lord Wolseley, der das volle Ver trauen seines Monarchen genießt, ist offenbar zu dem Zwecke nach Südafrika gesandt worden, den Wunsch des Königs seiner Verwirklichung entgegenzubringen. Inzwischen giebt die englische Heeresleitung den Negierungen der beiten Republiken Gelegenheit, sich über die eventuell annehmbaren Friedensbedingungen ins Einvernehmen zu setzen. Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr verflossen, seit Kitchener zum ersten Mal den Boerenfübrern im Namen seiner Negierung Friedensbedingunzen unterbreitete, die aber damals von Seiten der Boercn energisch zurückgewiescn wurden. Wenn die englische Regierung diesmal mehr Aus sicht auf eine Beendigung der Feindseligkeiten haben will, so wird sie von ihren damaligen Bedingungen wesentlich zurück gehen müssen, denn die Kriegslage ist für die Boeren heute keineswegs ungünstiger als vor einem Jahre, und nach allen Berichten, die aus den Boerenlagern in die Außenwelt dringen, geht hervor, daß die Stimmung unter den Unab- bängigkeitSkämpfern heute so hoffnungsvoll wie je ist. Bei dem starken Friedensbedürsniß, das in weiten Kreisen jenseits des Canals immer mehr zum Ausdruck kommt, wirb man indessen immerhin einige Hoffnung hegen dürfen, daß dieses Mal die Verhandlungen zu einem Ergebniß führen, das den schwer heimgesuchten Ländern Südafrikas nach zweieinhalb jährigen Kriegswirren den Frieden wiedergiebt. Uebertriebenen Hoffnungen scheint man sich inLondon von dem Erfolg der Unterhandlungen nicht hinzugeben, wenn man auch allgemein der Ansicht ist, die Meldung bedeute die Eröffnung von Friedensverhandlungen. Vorläufig scheint es den Mit gliedern der Transvaalregierung darum zu thun gewesen zu sein, von dem englischen Obcrcommandirenden die Erlaubniß cinzuholeu, welche ihnen ermöglicht, sich mit Steijn, Dewct und Delarey zu beratheu. Ten Letzteren betrachtet „Daily Mail" als den für die ganze Lage ausschlaggebenden Factor. Verschiedene Blätter heben die Abwesenheit dieser drei Boerensührer, sowie Bolha'S hervor und ver- Dienstag den 25. März 1902. muthen, die Verhandlungen dürften sich vielleicht nur auf die Anhänger der Unterhändler beziehen. Die „Times" betrachten die Frage ziemlich skeptisch und sagen, daß, selbst wenn die Vertreter der Boeren wirklich zu unterhandeln beabsichtigten, danach noch nicht nothwendigerweise das Ende des organisirten Widerstandes folgen müsse, so lange „solche Thorheiten" und „bedauerlichen Zwischenfälle" Vorkommen, die sie bloßer Sorglosigkeit zuschreibt. Die Besprechungen der meisten Blätter sind in kosfnungsvollem Tone gehalten, verkennen aber nicht die Möglichkeit einer Enttäuschung. Die Entscheidung darüber, ob die Boeren den Widerstand fortsetzen oder den ehrenvollen Frieden verziehen werden, dürfte nun wohl in Kronstad fallen, wo Dewet die Absichten der Oranjeboeren vertreten wird. Viel Ansehen haben Schalk Burger und Lukas Meyer unter den Boeren nie gehabt. Burger war stets zaghaft, hat sick immer vom Schuß gehalten und von Anfang an eine Politik der Nacbgiebigkeit befürwortet. Von Krogh, dein boerischen Commissar von Swasiland, und Vandervelde hat man überhaupt so gut wie nichts gehört. * London, 25. März. (Telegramm.) „Daily Chronicle" erfährt, daß, während die Unterhandlungen vor sich gehen, alle Ofsensivbewegungen der englischen Truppenabtheilungen gegen Dewet, Delarey und Botha unterbrochen seien, während die dreiBoerensührer sich dazu verstanden hätten, den Waffenstill stand einzuhaltcn und alle Angrisfsoperationcn bis zur Rückkehr der Boerendelegirten zu den Truppen zu unterlassen. „Daily Mail" erführt dagegen, von einem Waffenstillstände sei keine Rede, die militärischen Operationen, die seit Kurzem gegen Delarey bc- gönnen hätten, würden energisch und ohne Unterbrechung fort- gesetzt. * Loudon, 25. März. (Telegramm.) Lord Kitchener meldet aus Pretoria unter dem 24. März: In der letzten Woche wurden 5 Boeren getödtct und 85 gefangen genommen, 63 ergaben sich. Drei Kanonen wurden von der Abiheilung des Obersten Dixon im Liebenberg - Thale gesunden. Eine 200 Mann zählende Abtheilung des Feindes befindet sich im mittleren Theile der Capcolonie unter dem Befehle Malan's. Fouchö verbirgt sich in Len Camdeboo-Bergen, seine Verfolgung ist schwierig. Im Westen befinden sich kleine, nordwärts gedrängte Commandos in der Nähe von Hopetown. Jur Nordosten Les Oranjestaates fahren Abteilungen fort, den Feind zu belästigen, der sich in kleine Trupps zersplittert hat. * Pretoria, 25. März. (Tel.) Gouverneur Milncr hat eine Pro- clamation erlassen, durch die eine ständige Polizcitruppe für die Städte des Oranjestaates geschaffen wird. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. März. Es ist richtig: das Zentrum, oder doch wenigstens ein Theil desselben, ist geneigt, die Hand zu einer Verständigung über den Zolltarif zu bieten und von den „Ueberazrariern" abzurücken. Nicht nur aus den gestern mitgethcilten Aus lassungen der „Germania" und der „Köln. Volksztg." geht dieö hervor, sondern auch aus Kundgebungen einiger Centrums- ahgeordneten. So wies dieser Tage in einer nltramontanen Versammlung in Fulda der Abg. Müller-Fulda darauf hin, daß schließlich die Verständigung mit der Regierung die wichtigste Frage sei. Dieser Abgeordnete, der in Steuer- und Wirthschaftssragen in seiner Partei eine große Autorität ist, führte in jener Versammlung aus: „Die Mehrheitsparteien dürfen über den kleinen Differenzen die großen Gesichtspuncte nicht auS den Augen verlieren. Wenn auch die Wünsche der Landwirthschaft nicht in vollem Umfange erreicht werden sollten, so kann doch auf alle Fälle eine ganz erhebliche Besserung für sie zu Stande kommen, namentlich, wenn man zugleich darauf hinarbeitet, daß die Jnduslriezülle auf einer mäßigen Höhe gehalten und nicht etwa ungebührlich heraufgesetzt werden, besonders nicht für solche Artikel, welche die Landwirth- schast kaufen muß." Und auch der Abg. Herold, der sonst immer für die Säule des Agrarierlhums im Centrum gilt, sprach sich für eine Verständigung aus, indem er betonte, daß der neue Zolltarif sich als ein wirksames Hilfsmittel zur Erhal tung der Landwirthschaft und zum Segen des gesammten Vaterlandes erweisen werde. Da nun. beide Herren ebenso wie die „Germania" und die „Kölnische Volkszeitung" wissen, daß die verbündeten Regierungen durch bestimmte Er klärungen an die Minimalsätze der Vorlage gebunden sind und also eine Verständigung nur auf der Basis dieser Sätze möglich ist, so muß auch bei den verständigungslustigen Cenlrumsberren die Neigung vorhanden sein, mit den Minimalsätzen sich zufrieden zu geben. Ob diese Neigung in geheimen Verhandlungen geweckt worden ist oder nur aus der Sorge um den Verlust industrieller Wahlkreise bcrausgekeimt ist, entzieht sich natürlich unserer Kenntniß. Die „Post" hält geheime Verhandlungen nicht für unmöglich und wird, selbst zu einer Verständigung geneigt, auch keinen Anstoß daran nehmen, „wenn zunächst wenigstens ein Compromiß zwischen der Regierung und CentrumS- mitglievern sich anbahnen oder bereits angebahnl haben sollte". Wir unsrerseits können freilich die Besorgniß nicht verhehlen, daß das Centrum die Minimalsätze nur „schlucken" mag, wenn ihm irgend eine süße Flüssigkeit zum Hinterspülen gereicht wird. Gerade aber, weil eö in den rheinischen Wablkreisen des Centrums kriselt, ist dock wohl die Hoffnung nicht ganz ungerechtfertigt, daß die preußische Regierung — die ja meist die Ultra montanen für ihre dem Reiche geleisteten Dienste bezahlen muß — in diesem Falle die Taschen zuhält und auch im Bundesrathe seine bisher den Beschlüssen deS Reichstages auf Aufhebung oder Abbröckelung des Jesuilengesetzes gegen über bewahrte Haltung beibehält. Es hieße doch die ultra montane Begehrlichkeit mit aller Gewalt steigern, wenn man dem Centrum dafür, daß es sich eine Anzahl seiner besten Wahlkreise zu sichern sucht, Geschenke aus Staats- und Neichsmitteln ganz ergebens) überreichen wollte. Wohl den besten Beweis dafür, daß im Stillen sich etwas vorbereitet, was den Nattonalliberalcn nie Möglichkeit bietet, gegen die Extremen von links und rechts die Zolltarisvorlage unter Dach und Fach bringen zu helfen, liefert die „Kreuzztg". Sic beehrt ja die Nationallrberaleu von jeher mit ihrem Hasse, aber was sie in ihrer letzten Wochenschau an Ver dächtigungen und Beschimpfungen dieser Partei leistet, über- 96. Jahrgang. trifft doch wohl alles Frühere. Sie beschäftigt sich mit der Haltung des Liberalismus zum Zolltarif und äußert zu dieser Frage im Speciellen: „Das Eintreten der National liberalen für den Zolltarif ist nur für den Schein und um den Anstand zu wahren"; im Allgemeinen aber schreibt sie dem liberalen Bürgerthum ins Stammbuch: „Das liberale Bürgerthum, mag es sich nun freisinnig oder national liberal nennen, kann und versteht nichts Anderes, als der Regierung in der Stunde der Gefahr in den Arm zu fallen, um deS selbstsüchtigsten Parteiinteresses willen." WaS zunächst die specielle Behauptung des kon servativen Hauptorganö über die Haltung der national liberalen Partei zur Zollfrage anlangt, so haben wir bisher geglaubt, daß gerade diese Partei der Regierung nicht in den Arm falle, sondern daß sie die einzige sei, die zu ihr hält und genau daS bewilligen will, WaS die Regierung für wünschenswert!) hält. Wenn die „Kreuzztg." feslstcllen will, ob die Nationalliberalen nur zum Scheine der Vorlage zustimmen, so braucht sie ja nur ihre Parteigenossen zu veranlassen, für den Regierungscntwurf einzutreten, dann wird sie die Nationalliberalen auf ihrer Seite finden. Wir meinen aber, daß die „Krcuzzeitung", wenn sie Männer finden will, die zum Schein für eine Sache eintreteu, der sie tkatsächlich abgeneigt sind, lieber nicht in den Reihen der Nationalliberalen nach solchen Heuchlern suchen sollte. Wenn wir nnS recht erinnern, war es kein Nationalliberaler, der vorne für die Flotte eintrat und hinten das Centrum zu bewegen suchte, diese „gräßliche Flotten vermehrung" zu Falle zu bringen; es war ja Wohl auch kein nationalliberaler Mann, sondern vielmehr der intimsteFreund des damaligen ChefredacteurS der „Kreuzztg.", der vorne für den größten deutschen Staatsmann begeistert war, hinten herum aber Material zu einem Scheiterhaufen zusammenschleppte, auf dem dieser Mann verbrannt werden sollte. Nun zu der allgemeinen Behauptung, daß das liberale Bürgerthum — auch das nationalliberale — der Negierung in der Stunde der Gefahr ans schnödestem Parteiegoismus in den Arm falle. Die „Kreuzztg." führt zum Beweise dafür in erster Reihe die „Conflictszeit" an. Wir wollen uns nicht einmal darauf berufen, daß cö damals eine nationalliberale Partei überhaupt noch nicht gab, sondern wir wollen zugeben, daß auch Männer, die später hervorragende Mitglieder der nationalliberalen Partei waren, damals der Armeereorga nisation widerstrebten. Wo aber steckte bei diesen Männern das selbstsüchtige Parieiinteresse? Wenn man ihnen einen Vor wurf macken kann, so ist es höchstens der des Mangels politischen Weitblicks. Aber haben damals etwa die Conservativen aus tiefer politischer Einsicht für die Hecresvermehrnng ge stimmt? Der Schlüssel ibrer damaligen NegierungSfreund- lichkeit wird von Oskar Jaeger in seiner Weltgeschichte He- lieferl: „Die „Kreuz-Zcitungs"-Partei sah in der Militär vorlage ihren Weizen keimen: nahm das Abgeordnetenhaus dieselbe an, so war eS gut, denn von den neuen Officierstellen sielen ihr die Mehrzahl zu; lehnte es dieselbe ab, so war cS besser: sie wußten, daß des Königs Herz auf dieser Maßregel stand." Der „Kreuz -ZeitungS"- Partei war ein Schreck in die Glieder gefahren, als Wilhelm I., zunächst als Regent, die Zügel der Regierung ergriff und dem Preußen dem Grabe entgegenführenden reaktionären Regimente, das von 1850—57 bestanden hatte, ein Ende machte. Ihr war also nichts erwünschter, als sich Feuilleton. Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. Nachdruck vertotkn. Dreißigstes Capitel. Es war noch früh am Tage, die Sonne hatte erst einen kurzen Theil ihres Kreislaufes vollendet, als sich die Vier, mit einigen Handkoffern und Taschen beladen, eiligst zur Bahn begaben. Da das SchustcrhäuSchcn ganz am Ende der Ltadt lag, so konnten sie ungesehen nm diese herumgchen. Nur wenige Menschen begegneten ihnen hier, die ihnen freilich erstaunt nachblicktcn. Um so größeres Aufsehen machte ihr Erscheinen auf dem Bahnhof selbst. Der Herr Stationsvorsteher und der Ltationsdiencr und der Weichensteller und der Loco- motivführcr und der Zugführer, Alle steckten sic die Köpfe zusammen und staunten und raunten; und die drei Passagiere, die den Frühzug benutzen wollten — er fuhr gewöhnlich bis zur nächsten, größeren Kreuzungs station ziemlich leer —, traten ebenfalls kopfschüttelnd hinzu und blickten erstaunt und mißbilligend auf die kleine Gruppe, die sich indctz wenig darum kümmerte. Sie bemerkten auch nicht, daß sich der Stationsdiener eilig auf die Strümpfe machte und so schnell, wie cs ihm seine müden Beine nur irgend erlaubten, nach der Stadt trabte. Als Franz die vier Faswkarten lüste — Papa Leue sollte sic als männliche Schutzoamc, und um mancher Unannehmlichkeit aus dem Wege zu gehen, nach Berlin begleiten —, fragte der Herr Expeditor vertraulich: „Frau Brcitinger fährt auch nach Berlin?" Franz maß den Beamten mit einem hochmüthigcn Blick und erwiderte dann trocken: „Ich glaube, wir sind Ihnen darüber leine Rechen schaft schuldig." Als Papa Leue aber den großen Handkoffer am Ge päckschalter aufgab, versuchte der neugierige Bahnvor stand nochmals, etwas ans ihm hcranszulockeu. „Ja mein", erwiderte der Alte mit schlauem Lächeln, „der Franzi hat doch a Stellung kriegt an Her großen Zeitung in Berlin . . . Jetzt hat er der Frau Brcitinger auch a Placement verschafft an dera Zeitung — als Rcdactörin." Entrüstet drehte ihm der Herr Bahnvvrslamd den Rücken zu. Heimlich rieb er sich aber die Hände. Er wollte ihnen das freche Benehmen schon versalzen. Und daß er dem einflußreichen, allgewaltigen Bürgermeister einen großen Dienst leisten konnte, das war ihm auch nicht unangenehm. Hoho — so ohne Weiteres entführte man Niemand aus Rohrbach! Denn das; das saubere Pärchen heimlich ausrücken wollte, das war doch ganz klar, und das Kind und den Alten nahmen sic auch gleich mit. Er freute sich innerlich auf die Scene, die sich nun gleich abspielen würde. Schließlich leistete er auch der „Mora lität" einen Dienst. Wenn nur der Bürgermeister zur rechten Zeit käme! Aber schließlich — an der Kopfstatiou, wo die Localbahn in die Hauptstrecke mündete, mußten sic ja doch über zwanzig Minuten auf den Berliner Schnellzug warten. Versäumt wurde also nichts, wenn der Zug ein paar Minuten später von hier aboampfte. Die Verantwortung trug er gern. Längst saßen die wenigen Passagiere in den Waggons, die vier Ausreißer sogar zweiter Elaste, die nur selten benutzt wurde; aber noch immer setzte sich der Zug nicht in Bewegung. Franz zog ungeduldig seine Uhr und verglich sic mit der des Bahnhofes. Es war bereits fünf Minuten über die Zeit. Papa Leue gab zuerst die Meinung kund, daß man ihre Abfahrt absichtlich verzögere, um den Bürgermeister herbeizuholcn. Der Ltationsdiencr war ja spurlos verschwunden. „Aber das ist ja nicht möglich . . . das wäre ja un erhört!" rief Franz kopfschüttelnd. „In Rohrbach is Alles mögli", meinte der Alte trocken. Der Herr Expeditor patroullirte gerade in der Nähe des Wagens umher; auch er war nervös und ungeduldig, daß die Erwarteten noch immer nicht kamen. Franz konnte sich nicht länger zügeln. Er fuhr mit dem Kopf zum Fenster hinaus und deutete auf die Ltationsuhr. „Warum fahren wir denn nicht ab? Wir haben schon sechs Minuten Verspätung." Jetzt konnte es ihm der Expeditor endlich heimzahlen, dem unverschämten Bettcljournalisteu ans Berlin. Er richtete sich hoch aus und antwortete im strengsten Amts tone: „Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig." „Der Zug hat zur rechten Zeit abzugchen!" „Tas ist meine Lache, Herr . . ." In diesem Augenblicke tauchte der Bürgermeister mit sehr erhitztem, zornrothcm Gesicht auf, gefolgt vom Ltationsdiencr, dem der Helle Schweiß über die Stirn lief. Der Alte wechselte einige schnelle Worte mit dem Expeditor, ulnd dann kamen sic Alle auf das Coup« zweiter Elafsc zu, der Bürgermeister, die fünf Beamten und die drei Passagiere, die wieder aus ihrem Wagen geklettert waren. Der Bürgermeister öffnete selbst die Thür des Ab- thcils. Der alte und der junge Leue standen kampf bereit da: Paula hatte sich mit ängstlich pochendem Herzen, ihr Kind im Arm, in den Hintergrund zurück gezogen. „Steiget sofort aus, Frau!" „Das wird sic nicht thun!" rief Franz ruhig, doch mit einem Ton, der den äußersten Widerstand verhieß. „Sic fährt mit mir und meinem Vater nach Berlin zu unserer Hochzeit." Der Alte beachtete ihn gar nicht. Mit gebieterisch ausgcstrccktem Arm deutete er ans das Eonpö, während er das zorngeröthete Antlitz rückwärts den Bahnbcamtcu znivendctc. „Holt sie aus dem Wagen heraus, Ihr! Ich, der Bürgermeister und Pvlizeivorstcher, befehle es Euch." „Der Erste, der sich naht, bekommt die Fäuste und diesen Stock zu kosten!" rief Franz entschlossen; und auch der alte Schuster, der noch über stattliche Kräfte ver fügte, setzte sich in Kampfstellung. Die beiden Bahnbcdicnstcten blieben zögernd stehen und blickten unentschlossen auf das Oberhaupt der Stadt. „Vorwärts — vorwärts!" feuerte sic der Bürger meister an. „Herr Expeditor, Sic tragen die Verantwortung, denn Sic allein haben hier Polizcircchte ausznübcn", rief Franz drohend. „Wenn Sic nicht augenblicklich die Thür schließen nno den Zug abgehcu lassen, der schon volle zehn Minuten Verspätung hat, so werde ich bei Ihrer Direktion persönlich Beschwerde erheben. Das kann Tic und Ihre Leute, die das in ihrer Dummheit nicht wissen, ganz einfach Stellung und Pension kosten. Und wenn ich selbst bis zum Minister in München gehen müßte und cs in alle Zeitungen bringen, ich würde nicht eher ruhen." Die beiden Männer, die eben Miene machten, sich ge waltsam den Eingang zu erzwingen, wichen bestürzt zu rück und blickten wartend ans ihren Vorgesetzten. Des Herrn Expeditors Miene, eben noch schadenfroh leuchtend, wurde plötzlich sehr ernst. „Geschwätz, Geschwätz.... hier bin ich Polizei!" rief der Bürgermeister. „Auch Sic kann das Ihr Amt kosten, Herr Bürger meister Brcitinger. Ich bin zum Aenßcrsten ent- schlossen . . ." Franz zog seine Uhr aus der Tasche. — „Wenn nicht in einer Nkinutc der Zug aus dem Bahnhof rollt, ko soll noch heute Ihre vorgesetzte Behörde diesen unerhörten Vorfall erfahren, Herr Expeditor. Handeln Sie nun nach Ihrem Belieben!" Mit entschlossener Miene, die Uhr in der Hand, blieb Franz flehen. Ter Expeditor sprach mit hvchrothem Ge sicht leise aus deu Bürgermeister ein, und an seinem Achselzucken war deutlich zu erkennen, daß ihm die Sache denn doch bedenklich erschien. Der Alte gesticulirte wüthend, und schließlich stapfte er von Neuem entschlossen auf das Coupo zu. „Ich ivill doch sehen, ob man auch mir —". Franz schleuderte den Arm, mit dem ihn der Alte bei Seite zu drängen versuchte, heftig zurück. Dem Bürgermeister schoß das Blut ins Gesicht, die harten Augen funkelten ihn zornig an. „Ihr wagt cs, Ihr frecher Mensch, Hand an mich zu legen?" „Gewalt gegen Gewalt, Herr Bürgermeister! — Herr Expeditor, die Minute ist gleich um." „Steiget sofort ans, Frau!" rief der Alte mit lauter Stimme. „Ihr geht ins Verderben ... er wird Ench sitzen lassen in Noth nnd Schande. Bei mir findet Ihr dann keine Zuflucht mehr. Und Eure Kinder seht Ihr auch nicht wieder. Die bleiben bei mir." Da tauchte Paula's bleiches, vergrämtes Gesichtchen plötzlich zwischen Vater und Sohn auf, die sic Beide weit überragten. Jede Angst und Scheu war von ihr ge wichen; sie legte ihren Arm entschlossen um den Hals des Freundes und sagte sanft: „Freiwillig gehe ich mit ihm fort, und nie, nie werden wir uns verlassen — nie, nie werde ich einem anderen Manne angehören als ihm. — Ich danke Ihnen, Vater, für Alles, was Sic Gutes an mir nnd meinen Kindern gethan, aber ich kann nicht anders." „Sv gebt den Buben heraus! Ich bin sein Vor mund." „Der bleibt bei mir, nnd sind wir erst Mann nnd Frau, hole ich mir auch die Anderen." „So geht znm Teufel!" Ter Alte ballte wüthend die Faust. „Vorwärts, vorwärts! Was steht Ihr hier und gafft!" rief der Expeditor unwirsch, während er eigen händig die Eonpe-thür zuschlug. — „Absahrcn — ab fahren!" Stand der verdammte Zeitungsschreiber nicht noch immer mit der Uhr in der Hand da?! Der Menschen haufen stiebte auseinander; dann ein Rennen nnd Thürenznschlagcn, ein greller Pfiff — der StationSoiener behauptete später steif nnd fest, es hätte wie der Hohn des leibhaftigen Satans geklungen, — und langsam setzte sich der Zng in Bewegung. (Schluß folgt.)
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