02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-25
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020425024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902042502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902042502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-25
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Dagegen hört man officiell und unofficiell von „Treiben", Gefangennahmen und Operationen in großem Stile. Im östlichen Transvaal hat General Bruce Hamilton mit sieben Colonnen von der Standerton Linie nach Süden gegen die Delagoa - Bahn - Linie am 18. d. M. ein Treiben begonnen, welches noch nicht beendet ist oder über dessen Beendigung doch wenigstens noch keine Nachrichten vor liegen. Im Ladygrey-District in der Capcolonie haben Gefangennahmen einiger „Caprebellen" und im Frei staate hat gar ein scharfes Gefecht am 20. L. M. stattge funden, bei dem, wie aus der soeben veröffentlichten Verlustliste hervorgeht, die Briten verhältnißmäßig schwere Verluste hatten. In diesem Gefecht gegen Abtheilungen von De We^s Leuten bei Olivier s Farm in der Nähe von Ficksburg sielen zwei Officiere und acht Mann, drei Osfi- eiere und 18 Mann nnrrden verwundet und einige ge fangen genommen, deren Zahl bisher nur mit 0 angegeben ist, die aber in einigen Tagen nach berühmten Mustern sich verdoppelt oder verdreifacht haben wird. Aus Lord Kitchencr's gestrigem Telegramm ging hervor, daß noch am Montag Mittag und Abend gefochten worden ist; French seht seine Operationen ungestört fort, vielleicht weil die Briten die Caprebellen nicht zu den eigentlichen Boeren rechnen. Colenbrander setzt seine Bewegungen bei Pietersburg gleichfalls fort und Alles in Allem scheint keine Suspension der Operationen eintreten zu wollen. Kit chener mag sagen, daß die begonnenen Operationen durch geführt werden müssen, und daß die Delegtrten ja auch noch nicht in Verbindung mit ihren Commandvs sind, aber trotz dem wird -er Oberbefehlshaber sich zur rechten Zeit und bald seines Wortes zu erinnern haben, wenn die Briten nicht abermals Schuld daran sein wollen, daß die Ver handlungen sich zerschlagen, weil keine Abstimmungen möglich sind. * Pietermaritzburg, 24. April. (Telegramm des „Ncuter'schcn Bureaus".) Der Premierminister von Natal gab in der gesetzgebenden Versammlung bekannt, die britische Regierung habe die Regierung Natals nm Darlegung ihrer Ansichten bezüglich der jüngsten Friedensverhandlungen ersucht. * London, 24. April. (Unterhaus. Fortsetzung.) Morley (liberal) beantragt Vertagung des laufenden Berathungs- gegenstandes, um die Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Militärbehörden in Südafrika gegen -en füheren Herausgeber -er „South AfricanNews", Cartwright, zu lenken, der wegen aufreizender und beleidigender Veröffentlichungen zu zwölf Monaten Gefängniß verurtheilt, dem aber nach seiner Entlastung nicht erlaubt worden sei, nach England zu gehen. Morley bezeichnet dieses Verhalten der Be hörden als tyrannisch und der Verfassung widersprechend. Der Kriegsminister Brodrick legt demgegenüber dar, daß Cartwright erst am Dienstag freigelassen worden sei. Er sei bestraft worden, weil er die gemeine Lüge veröffent licht habe, daß Lord Kitchener befohlen habe, es sollten keine Gefangenen mehr gemacht werden. Die Zeitung, die diese Lüge enthielt, sei nach Europa geschickt worden, um dort eine englandfeindliche Stimmung hervorzu rufen. Die Behörden Südafrikas würden sich eines Ver brechens schuldig machen, wenn sie nicht ganz besonders sich in Acht nehmen würden, irgend etwas zu thun, was zur Verlängerung des Krieges führen könnte. Die Regierung habe andererseits keine bestimmte Meinung über diese Angelegenheit ausgesprochen, sie habe es aber auch ab gelehnt, ohne die Behörden in Südafrika zu befragen, eine Veröffentlichung in der Sache zu erlassen. Der General staatsanwalt Finley erklärt Lord Kitchencr's Verhalten für durchaus loyal. Nach einer erregten Debatte, in deren Verlauf mehrere Ministerielle das Verhalten der Be hörden verurtheilen, wird der Antrag Morley mit 237 gegen 182 Stimmen abgelehnt. politische Tagesschau. * Leipzig, 25. April. Das Kinderschutzgesetz, das gestern vom Reichs tag einer besonderen Commission überwiesen wurde, aus -er es wohl erst im Herbste an das Plenum zurückkommen wird, hat bei diesem in der ersten Lesung eine Aufnahme gefunden, die erwarten läßt, daß es mit einigen Ver schärfungen die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit des Hauses erhalten wird. Ausgeschlossen erscheint bei der Zusammensetzung und Stimmung des Reichstages eine Ausdehnung des Schntzes auch auf die in der Land wirt h s ch a f t beschäftigten Linder, und so sehr man diese Erweiterung auch wünschen mag, so wenig darf man ver gessen, daß mit dem Festhalten dieser Forderung das ganze Gesetz zum Schaden der Hunderttausende gewerblich thütiger Linder bis auf vorläufig unabsehbare Zeit ver tagt werden würde. Die drei liberalen Parteien und das Centrum stellten (ich dem Entwurf, vorbehaltlich einiger Erweiterungen, durchaus freundlich gegenüber. Die Redner der Rechten sprachen sich gleichfalls für die Vorlage aus, erhoben aber entschiedenen Einspruch gegen jede Aus dehnung auf die Landwirthschaft. Die Socialdcmvkraten andererseits wollten das Gesetz Len bürgerlichen Parteien „abgetrotzt" haben und forderten entschieden, den Ausschluß der Landwirthschaft fallen zu lassen, er kennen aber doch auch die Vorlage als Fortschritt an. Im Ganzen also kann die Regierung mit der Aufnahme des Entwurfes, von dem sie selbst gut genug weiß, daß er nur einen ersten Versuch auf einem sehr schwierigen, neuen Gebiete bedeutet, wohl zufrieden sein. Uebrigens erklärte Graf Posadowsky sich von Anfang an bereit, in jedem Puncte mit sich reden zu lassen. Eine noch offen gelassene Lücke, die besondere Regelung bezw. das Verbot der Be schäftigung in der T a b a k industrie, so, wie der Staats sekretär ankündigte, demnächst durch ein Schutzgesetz für die Heimarbeiter in dieser Industrie ausgefüllt wer den. Sehr fragwürdig sind vorläufig die Control- bestimmuugen, die auch von den meisten Rednern als nicht ausreichend bezeichnet wurden. Dem ausgesprochenen Verlangen nach einer Vermehrung der Gewerbeaufsichts- beamtcn schloß sich Graf Posadowsky grundsätzlich an, be tonte aber, daß bei dem vorliegenden Gesetz die Controle mehr der Schulbehörde zufallen muffe. Die besondere Regelung dieser Seite der Sache wird Aufgabe der Einzel staaten sein. Die Lieber-Legeude will noch immer nicht sterben. DaS Wiesbadener „Volksbl.", von dem man sagt, daß eS als nassauisches CentrumSorgan dem l)r. Lieber nahe gestände« habe, schreibt neuerdings: „lieber die Thatsache des Angebotes hoher StaatSSmter an vr. Lieber besteht kein Zweifel. Die Frage, wer hat das Angebot gemacht, ist unseres Erachtens überaus müßig, weil kein Reichskanzler, kein Minister, kein Staatssekretär ein hohes einfluß reiches Staaksamt anbieten wird, ohne daß die allerhöchste Stelle davon Kenntniß hat und zustimmt .... Lassen wir die Frage, wer das Angebot gemacht, ganz unentschieden, so ist Loch sonnenklar, daß I)r. Lieber, der die Verhältnisse und die Personen ganz genau kannte, überzeugt sein mußte, daß das Angebot auf Antrag oder wenigstens unter Zustimmung und ganz gewiß unter Mitwissen der allerhöchsten Slelle gemacht worden ist. Der Kaiser erwählt und ernennt seine Räthe alle selbst und läßt sich dieselben nicht von seinen höchsten Beamten ausoctroyiren. Bon wem der Gedanke ausgegangen ist, Herrn vr. Lieber mit einem hohen Staatsamte gleichsam zu honoriren, ist in der Frage ganz nebensächlich. Es handelt sich darum, wer zur Ausführung des Gedankens die Anregung gegeben, mit wessen Zustimmung und in wessen Auftrag der Gedanke in Form eines Antrags an Herrn vr. Lieber gekommen ist. Der Lateiner sagt: tzuoä quis psr alium keeit, ipso keoisso viästur. Was einer durch einen andern thun läßt, hat er selbst gethan." Die „Franks.Ztg." deutet diese Auslassungen unter Hinzu nahme früherer Bemerkungen dahin, daß Herr vr. v. Miquel beim Kaiser den Gedanken einer Belohnung Lieber'« angeregt und Herr v. LucanuS sodann vr. Lieber über seine etwaige Bereitwilligkeit sondirt habe. Damit stimme auch, was man sonst in Centrumskreisen hören könne, daß nämlich Lieber einer ihm zugedachten persön lichen Begegnung mit dem Kaiser ausgewichen sei — vielleicht in der Annahme, daß ihm das Aemterangebot officiell gemacht werden solle. — Was das Wiesbadener „Volksbl." betrifft, so muß man ihm unbedingt darin zustimmen, daß ohne Wissen und Willen des Kaisers Herrn vr. Lieber von keiner Seite ein Angebot gemacht worden sein könnte. DaS haben wir ja schon kürzlich betont. Aber eben weil das so ist und weil ferner der Kaiser nicht im Zweifel darüber gewesen sein kann, daß Fürst Hohenlohe durch ein dem damaligen Ceutrumsführer gemachtes Armier- angebot sich zum Rücktritt genökhigt sehen würde, so ist eS für uns undenkbar, daß Herr vr. Lieber auch nur ernsthaft auf seine Neigung zur Uebernahme eines einflußreichen Reichs oder Staatsamtes geprüft worden sei. Und nun gar geprüft aus Anregung Miquel'S, desselben Mannes, den vr. Lieber später mit geradezu leidenschaftlichem Grolle verfolgte. Oder meint vielleicht die „Franks. Ztg.", der frühere „Mußpreuße" habe, nachdem er für das Flottengesctz eingetreten, in einer Anregung Miquel'S beim Kaiser, dieses Eintreten zu belohnen, eine schwere Beleidigung erblickt, die durch grimmigen Haß vergolten werden müsse? Daß zwischen Miquel und vr. Lieber etwas vorgefallen sei, kann ja gar keinem Zweifel unterliegen. Aber da der Vorgang den ver storbenen Centrumsführer zum Feinde deS damaligen preu ßischen FinanzministerS machte, so muß Ersterer der Meinung gewesen sein, Miquel habe ihm. Lieber, nicht eine Belohnung erwirken wollen, sondern Pläne und Wünsche durchkreuzt. Ob diese Meinung begründet war oder nicht, kann dahin gestellt bleiben. Jedenfalls aber spricht nichlS für die An nahme, daß Miquel den Protector des CentrumSsührerS ge spielt, und alles sür die Vermuthung, er habe dem auf Anerkennung für seine Flottensreundlichkeit rechnenden Cen- trumssührer „in die Suppe gespuckt". Wir sind der Ueber- reuguug, daß vr. Lieber's Nachlaß, wenn er wirklich an die Oeffentlichkeit kommt, unsere Vermuthung bestätigt. Eben deshalb aber halten wir eS nicht für wahrscheinlich, daß daS Centrum den auf daS Capitel Miquel-Lieber Licht werfenden Theil des Nachlasses jemals an den Tag kommen lassen werde. Die Ermittelung einer Anzahl Mitschuldiger des Mörders des russischen Ministers Lsipjagin, des Studenten Balmaschew in Paris, und die Erwägungen der franzö sischen Regierung, ob die Betreffenden auszuweisen seien oder nicht, bringt ein Ereigniß aus -er Rcgierungszeit Alexanders II., des Großvaters des gegenwärtigen Zaren, in Erinnerung. Im December 1878 fand das bekannte Eisenbahnattentat zwischen Moskau und Petersburg ans den kaiserlichen Zug statt. Der Anschlag mißglückte und dem Anstifter, dem Nihilisten Hartmann, glückte es, nach Paris zu entkommen. Dort aber wurde er bald von der russischen Botschaft aufgespürt, die seine Auslieferung ver langte. Die französische Regierung zögerte eine Weile, dann aber lehnte sie die Forderung Rußlands ab. Hart mann gelangte nicht in die Hände der zarischen Behörden. Darüber nun entstand in Petersburg eine starke Ver stimmung, die erst nach Jahren völlig ausgeglichen wurde. Obwohl es sich im vorliegenden Falle nicht um einen! Anschlag auf daS Leben des Kaisers handelt, ist es doch recht wahrscheinlich, daß man ebenfalls die Auslieferung der Mitschuldigen des Mordes an Ssipjagin verlangen wird. Die Entscheidung der französischen Re gierung über die Ausweisungs- resp. Auslieferungsfrage kann deshalb im Hinblick auf die möglichen politischen Folgen mit Interesse erwartet werden. Aus Melbourne wird uns geschrieben: Es bedarf keiner scharfen Beobachtungsgabe, um die Verstimmung wahrzunehmen, welche in den Einzel st aaten Austra liens gegen die Bundesverwaltung gährt, spricht doch sogar der Premierminister von Queensland in öffentlichen Reden sein lebhaftes Bedauern über das Zu standekommen des Bundes aus. Die frühere Begeisterung hat einem moralischen Katzenjammer Platz gemacht: noch vor einem Jahre pries man den Premier Nir. Barton ob seiner unbestreitbaren Verdienste um das Einigungs werk als den „edelsten" Sohn Australiens, heute lautet die öffentliche Meinung ganz anders. Man ist sich bewußt geworden, die staatsmännische Fähigkeit des Mannes weit, weit überschätzt zu haben, und verfällt, wie dies bei der artigen Enttäuschungen üblich, in den Fehler übertrieben scharfer Kritik. Barton ist ein geschickter Parlamentarier und gewandter Redner, und wenn sein zur Schau ge tragener Idealismus sich nicht ganz waschecht erweist, wenn seine Politik wie ein schwaches Rohr bin- und her schwankt, sein ausgesprochener Hang zur Bequemlichkeit und materiellen Lebensfreuden das erträumte Bild eines für das öffentliche Wohl sich aufopfernden Volkstribunen verwischt hat, so ist er doch nicht besser oder schlechter, als die überwiegende Mehrzahl der hiesigen Berufspolitiker, welche die Berechtigung und den Befähigungsnachweis zum Ministerposten in der Entwickelung einer erfolgreichen parteipolitischen Thättgkeit erblicken. Von diesem Stand- puncte aus muß man die Gesetzgebung Barton's be- urtheilen: sie ist in der Erschwerung -er so benöthigten Einwanderung, wie in dem Verbot der Beschäftigung von Kanaken auf den Zuckerplantagen des tropischen Queens land, als Prämie zur Sicherung des Wohlwollens der Arbeiterpartei aufzufassen. Denn diese giebt im Parlament den Ausschlag nach rechts oder links, und Re gierung wie Opposition liebäugeln mit ihr um die Wette. Noch wenige Wochen, und Mr. Barton darf seine Koffer packen, um als geladener Gast König Eduard's den rauschenden Krönungsfesten beizuwohnen und auch sich feiern zu lassen. Bei dieser Gelegenheit soll auf An regung des britischen Colonialministers eine Rücksprache hinsichtlich des kürzlich zum Gesetz erhobenen Verbotes der Einwanderung von Asiaten in das Bundesgebiet stattfinden. Die englisch-japanische Allianz erheischt eine Feuilleton. Eva oder Anneliese? 22) Roman von Ern st Georg y. Nachdruck vrrdotni. Seine Hand umklammerte die Stuhllehne mit ver zweifelter Kraft. „Die Meinen fühlen sich in Nizza recht wohl. Mutti hat einen, wie sie mir schreibt, angenehmen Verkehrskreis, und meine Pflegeschwester findet sich langsam in ihr trauriges Schicksal. Miß Seaton opfert sich für ihre Pflege, und mit der Blindenlehrerin scheinen wir einen glücklichen Griff gethan zu haben. Sie regt Anne liese an und heitert sic auf. Jetzt lernt sie eifrig schreiben." „So correspondiren Sie auch mit ihr?'^ — Wie angst voll war der Ton dieser Frage. „Natürlich!" entgegnete Bernd schwer. Tine kurze Pause entstand. „Sic werden hier viel mitmachen? Die Saison ist deS schlechten Wetters wegen noch in vollem Gange!" sagte er endlich. „Wir haben schon viele Einladungen. Ich freue mich aus das Tanzen! Tanzen möchte ich bis zum Rasendwerden!" rief sie heftiger. — Werden Vic auch kommen, oder wird der Dienst Sie hindern?" — „Ich werbe eS möglich su machen suchen! Mit Ihnen zu tanzen, ist sehr verlockend!" antwortete er höflich; aber seine Stirn war düster zusammengezogen. Sie kramte in einer Visiten- kartcnschale und zog eine gedruckte Einladung hervor. „Hier daS ist der erste Ball! Bei Wtnterfeldt'Sl — — Sind Sie auch gebeten?" Er ergriff die Papp karte. „Am Mittwoch! Ja! Doch " plötzlich wurde er roth, auch sie erglühte. Sie blickten sich an. Bei Winterfeldt'S war das Fest gewesen, wo sie zum erstenmale von ihm geküßt wurde. Er sah, Laß plötzlich Thränen ihre Augen feuchteten. „Eva!" murmelte er unsicher. — „Konnten Sie mir ver zeihen?" Jhrst-warze- Köpfchen senkte sich so tief, daß er die Lunklen Löckchen auf dem weißen Nacken sah. „Ach, seit damals daS Andere verlor sich in ein undeutliche- Raunen. „Sie haben mich damals hart ge, . straft, und da- Schicksal that «och ein Uebrige-." Eva erhob sich und schritt nach der Thür: „Kommst Du endlich, Väter- j chen?" rief sie laut; aber ihre Stimme bebte. — Es war ein Glück, daß der alte Warell eintrat und Bernd stürmisch be grüßte. Sonst hätte sie dem unglücklichen, blassen Manne da verrathen, wie es um sie stand. Zuerst hatte ihre Keusch heit sich gegen jene Küsse wild aufgelchnt. Dann aber in der Stille von Linden-Aue war die Erinnerung daran ihr Höchstes geworden. Anstatt sich beleidigt zu fühlen, zehrte die Sehnsucht an ihr und veränderte ihr Außen« und Innenleben. So lange Eva sich sicher gefühlt und an ihrem Glücke nicht gezweifelt, hatte sie die Ucbermlithige und Kalte gespielt. Aber damals, als Gräfin Brandau mit ihnen so merkwürdig über Bernd und Anneliese gesprochen, war ihre Sicherheit erschüttert worden. Jetzt wäre sie im Voll bewußtsein ihrer grenzenlosen Liebe und Herzensangst am liebsten in Demuth vor ihm niedergestürzt. Nur, um ihn zu halten! Er durfte ihr nicht entgehen, sie konnte ja nicht mehr leben ohne ihn! Mit allen Mitteln wollte sie um ihn kämpfen! Was kümmerte sie Löwen-Pollings Verehrung, was die arme Blinde? Bernd war ihr Glück, ihre Liebe, ohne ihn wollte sie nicht mehr leben! Selbstvergessen starrte sie ihn von der Sette an. Er fühlte diesen suchenden, bittenden Blick, und ein Schauer rann durch seinen hohen, schlanken Körper. Aber er wandte sich nicht um, damit er nicht vor der Kraft dieses Blickes weich wurde! — Warell sprach mit ihm von Stephan, dem das dienstliche Leben wenig zusagte, und der sich nach der Freiheit des ehemaligen Studentenlebens zurücksehnte. Dann wurde über die Verbesserungen der landwirthschaft- lichen Maschinen, die neue Moorcnltur in Linden-Aue, künstlichen Dünger und andere praktische Dinge gesprochen. Mit wahrer Wollust stürzte sich Bernd in diese Themen und hielt seinen Partner dabei fest. Stur sich nicht wieder mit Eva unterhalten müssen, wo jedes Wort ein Bcrrätber werden konnte! ES war peinigend und beseligend zugleich, ihre Nähe zu fühlen! Obgleich er sie nicht anblicktc, sah er doch die Umriffe ihrer Gestalt, da- traurig geneigt« Köpfchen, die zartwetßcn, verschlungei en Händchen. Jeder Zoll vornehm der echte Sprvßltng eine- großen, im Laufe der Zeiten noch verfeinerten Geschlechts. Auf dem Fußkiffen ruhten ihre schmalen Füßchen in eleganten Knopfstiefeln. Wie -och der Spann gewölbt war! Er mußte an Anneliescn's breiten, etwas plumpen Fuß Lenken. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen; denn er ver götterte die Schönheit. Endlich ertrug er das Beisammensein nicht länger und erhob sich: „Meine Zett ist leider abgelaufen, ich muß jetzt gehen!" sagte er rasch. „Aber keine Ahnung, mein Junge! Sie bleiben zu Tisch bei uns. Victor kommt auch. Nach dem Essen musiciren Sic, und Abends gehen Sie mit uns in das Schauspielhaus!" „Ich bedauere außerordent ¬ lich, aber das wird nicht möglich sein. Ich bin bet dem Minister zum Diner und dann " „Papperlapapp, Sie erscheinen, wenn Sie dort abgegeffen haben, und da mit basta! Wir haben ältere Rechte! Im Uebrigcn nehme ich es Ihnen, lieber Bernd, recht übel, daß Sir eine andere Einladung angenommen haben! Sie werden fortan jeden Sonntag bei uns speisen, verstanden?" „Aber, mein verehrter " „Kein Aber, die Sache ist hiermit abge ¬ macht! Zum Deibel, Sie benehmen sich aber absolut nicht wie ein guter Freund!" schalt Warell zornig. Unschlüssig schaute Bernd jetzt auf Eva, die sich an den Vater schmiegte. Sie sah ihn mit wahrhaft flehenden Blicken an: „Ach ja, Sic müssen kommen und Ihre Geige mitbringen! Ich hatte mich so auf unser gemeinschaftliche- Musiciren gefreut. Bitte!" Diese- „Bitte" drang ihm durch Mark und Bein. Sr fühlte, daß es für ihn kein Auf lehnen dagegen gab, und seine unmännliche Schwäche ver wünschend, versprach er, im Laufe der Woche zu kommen. Für diesen Tag machte er sich frei; denn er war mit seiner Widerstandskraft zu Ende. Hastig nahm er Abschied und winkte auf der Straße eine Droschke heran. „Kahren Die mich eine Stunde durch den Thiergarten!" rief er dem Kutscher heiser zu. Unwillkürlich spähte er nach den Fenstern hinauf. Da stand sie in ihrem ganzen Zauber und winkle ihm zu. Er grüßte militärisch und war froh, als der schwer fällige, alte Kasten mit ihm davonhottelte. „Was hat da« Mädchen, was will sie von mir?" stöhnte er leise und verzweifelt vor sich hin. — „Der Spieß ist umgedreht, denn jetzt wirbt sie um mich. Gieb mir Kraft! Oder laß mich sterben!" — Seine Hände umklammerten den Säbelknauf, als wollten sie ihn zerbrechen. Dann starrte er vor sich hin. Nach dieser erneuten fürchterlichen Er schütterung versank er i« einen dumpfen, stumpfen Zustand. Aber Eva Warell's so demüthig ausgesprochenes „Bitte" offenbarte eine magische Zauberkraft. Wie mit einem unsichtbaren Tau versehen, zog es ihn unwiderstehlich in ihre Nähe. Am Dienstag batte er einen freien Nachmittag und Abend. Obgleich er sicy innerlich verwünschte, schlüpfte er in sein Civil, ergriff den Geigenkasten und überreichte ihn seinem Diener: „Hier, Franz, nehmen Sie daS Instru ment! Sie werden mich nach Berlin begleiten. Dau» können Sie ruhig heimkehren und ein paar Stündchen in Potsdam bummeln; aber nehmen Sie die Hunde mit! Ich komme erst mit dem letzten Zuge nach Hause und habe dann schon zu Abend gespeist!" Vor dem Warell'schen Hause nahm er selbst den Kaste» und entließ seinen Getreuen. Ungeduldig sprang er mit ein paar Sätzen, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe in die Höhe. Es war ihtz», als müßte er vor Sehnsucht vergehen. Während er im Corridor ablegte, hörte er drinnen Clavicrspielen und klopfte leise an. Eine wohlbekannte, silberne Stimme rief „Herein!" — Er öffnete und erschrak. DaS Zimmer war schon in die tiefen Schatten der Dämmerung gehüllt. Am Flügel saß Eva, das Gesicht erstaunt nach der Thür gerichtet. Fünf Schritte von ihr, in einem Schaukclstuhl wiegte sich ein Officier, dessen Gestalt in blaue Nauchwölkchen gehüllt war. Die Scene hatte etwas unbeschreiblich Friedliches. Sein Herz zog sich eifer süchtig zusammen, seine stürmische Freude war vergangen. Verzeihung, wenn ich so unvermuthet eindringe!" sagte er kalt. — „Guten Tag, Eva!" — Sie war aufgesprungen und kam ihm entgegen. Die Freude benahm sie beinahe. „Welch' freudige Ueberraschung, guten Abend, Bernd! — Ein so alter Freund stört niemals, wissen Sic das noch immer nicht?!" rief sie mit vibrtrender Stimme. — „Ich habe Vicky vorgespielt, er liebt eS so sehr. Sie kennen doch meinen Vetter? — — Baron Löwen-Polling — Graf Brandan!" — Der Officier war aufgesprungen und reichte Bernd unbefangen die Rechte: „Der Zufall hat eine per sönliche Bekanntschaft bisher stets verhindert: aber ich kenn« Sie feit Langem aus Erzählungen und freue mich, Die endlich begrüßen zu können. »mi« cks mes ami-, — — Sie wissen doch! Also auf gute Freundschaft, lieber Graf!" Die biedere, herzliche Art de- Fremden gefiel Bernd, trotz feine- geheimen Widerwillen-. Er konnte nicht
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