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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030116023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-16
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- Jahr1903
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Wie jedes Ding seine zwei Seiten hat, so hat auch das Meistbegünstigungssystem nicht nur Vorzüge, sondern auch Fehler. Und als einen solchen wird man es sicherlich unter Umständen em pfinden, wenn einem Lande, das selber zu wirtschaftlichen Zugeständnissen vielleicht sehr wenig bereit ist, irgend welche zolltarifarischen Konzessionen bloß deshalb in den Schoß geworfen werden muffen, weil entsprechende zoll- tarifarische Abmachungen mit einem dritter: Lande ge troffen worden sind. Aber wie lästig auch eine solche Ver pflichtung im gegebenen Einzelfalle erscheinen mag, so hat es doch sicherlich sein Bedenkliches, das Kind mit dem Bade auszuschütten, um das Meistbegünslignugssystem mit all seinen durch die jederzeit selbstverständliche Reziprozität gewährleisteten Vorteilen grundsätzlich zu verurteilen. Auf jeden Fall ist doch auch das Meist- degünstigungssystem ein als Notbehelf durchaus schätzens werter Ersatz für Handelstarifvertrüge in allen denjenigen Fällen, wo man cs mit einem Staate zu tun hat, der von dem Mehrwerte wechselseitig entgegenkommender Tarif verträge noch nicht hinreichend durchdrungen ist. Einem solchen Staate gegenüber mag sich ja einl Zollkrieg ge legentlich als ultima ratio empfehlen, aber eben nur als ultima ratio, da der Zollkrieg mit anderen Kriegen be kanntlich die Eigenschaft teilt, beide Parteien zu schädigen. In der Debatte, die sich vor beschlußunfähigem Hause ab spielte, taten die Reden der Abgeordneten Bernstein und Graf Kanitz die Richtigkeit der Ansicht dar, daß eine der artige Diskussion jetzt nur schaden kann. Herr Bernstein sagte viel Wohlbcaründetes über das handelspolitische Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, nnd Graf Kanitz hatte trotzdem Recht mit der Bemerkung, daß dergleichen öffentlich besser ungesagt bliebe) aber gerade er und seine zollpol'tischen Ge sinnungsgenossen sind cs, welche durch ihr Drängen auf den Zollkrieg Aeußerungen provozieren, welche die Ge fährlichkeit des Zollkrieges für Deutschland darlegcn. Graf Kanitz fuhr damit auch gestern fort, und er stellte den formalen Stand der handelspolitischen Beziehung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten so unzutreffend dar, daß der Staatssekretär Graf Posa- dowSky sich zu einer eingehenden Berichtigung genötigt sah. Es ist ein im parlamentarischen Leben einzig da stehendes Verhältnis, daß eine Regierung, welche soeben im Bunde mit einer großen Mehrheit — beim Antrag Kardorff — eine höchst wichtige Aktwn durchgeführt hat, nicht einmal dieselbe Mehrheit von Erörterungen über dasselbe Thcina abhalten kann, die der Regierung un möglich erwünscht sein können. Leider wird dieses Thema auch heute noch eininal abgehandelt. Römische Hoffnungen in Sachsen. Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht dir „Franks. Ztg." eine ihr aus Dresden zugegangene Zuschrift, die sich mit der angeblichen Tatsache beschäftigt, daß in Sachsen da» Vertrauen auf den Hof und die Regierung tief erschüttert sei. Es beißt in dieser Zuschrift: „Die Flucht der Kronprinzessin und ihr« Ehestands geschichten allein würden das nicht bewirkt haben; erst al» man den Fall auch mit kirchenpolitischen Treibereien verquickte, stieg die Hitze aus den Herzen in die Köpfe. Wie Sturmglockenläuten schallte es durch das Land: „Der Jesuit geht um!" — und der Zusammenbruch de» kron- prinzlichen Familienlebens wurde bekanntlich der leisen Tätigkeit der Frommen dieser Art zugeschrieben. Leute, die bisher vor Devotion er starken, wollen jetzt plötzlich Männerstolz vor Königsthronen zeigen, und sie wünschen, daß der Landtag über die Zusammensetzung der Hosgeiellschast und wohl selbst über die religiöie Anschauung ihrer ein zelnen GliederAusschluß verlangt. Sie stellen hier einAnsinnen, wegen dessen jeder Privatmann ihnen die Tür zeigen würde. Der Landtag hat nicht das geringste gesetzliche Recht, derartige Aufschlüsse vom Hof und von der Regierung zu verlangen. Trotz- dem hat die letztere bekanntlich vor einigen Tagen die Erklärung ab gegeben, daß ein Zusammenhang der kronprinzlichen Familien angelegenheit mit konseisionellen Treibereien und jesuitischen Ein- flössen nicht bestehe. Diese Erklärung mag den Tatsachen ent- sprechen, aber sie wird das Mißtrauen nicht beseitigen. Es erscheint nötig, die Ursachen jener Befürchtungen zu untersuchen." Dann heißt es über diese Ursachen: König Georg ist ein ftrenaer Katholik, aber nach der Verfas sung besitzt er weder auf das katholische Kirchenregimeut noch auf die protestantische Landeskirche den geringsten Einfluß. Alle Ver hältnisse der katholischen Kirche in Sachsen sind durch das Ober- aussichtsgesetz von 1876 in die Gewalt der versassungsgemäß protestantischen Minister gegeben. In dieser Hinsicht liegen die Verhältnisse durchaus klar. Allein man weiß, wie heftig von katho- l i j ch erSeite gerade gegen dieses Gesetz gebohrt wird, das eine schreiende Ungerechtigkeit gegen die katholische Pflicht des Gewissens und kon. sejsioneller Ehrlichkeit sei. Nach jenem Gesetze darf in Sachsen rin geistliches Amt nur einem Deutschen übertragen werden, der die Entlassungsprüfung auf einem deutschen Gymnasium bestanden und auf einer deutschen Universität ein dreijähriges theologisches Studium getrieben hat. Eine Ausnahme bildet daS von der sächsischen Re gierung mit Stipendien und Zuschüssen unterstützte wendische Seminar in Prag, dessen Lehrer früher Jesuiten waren. Die Zöglinge dieses Seminars gelangen in Sachsen zur Anstellung. Auch in dem Priester-Seminar in Mainz sind zahlreiche sächsische Priester gezogen. Ob sich wirklich Glieder des Ordens Jesu in Sachsen oushalten, läßt sich schwerlich sestslcllen, dock mau muß nach den bestehenden Gesetzen und nach der Erklärung der Regierung wohl annehmen, daß sich bei uns kein Jesuit in irgend einem geistlichen Amt oder in einer ähnlichen Stellung befindet. Aber sachlich hat das für den sächsischen Katholizismus wenig zu bedeuten. Kurz nach seiner Ernennung trat der sächsische Bischof Wahl in einer Predigt offen sür die Jeiuiten ein. Schon damal» geriet das sächsische protestantische Bürgertum in eine starke Erregung, die neue Nahrung erhielt durch den ganz überraschend kommenden Berufswechsel des Prinzen Max, der den OchcierSrock mit dem Gewand de- katholischen Priesters vertauschte. Seit dieirr Zeit wird von protestantischer Seite die Entwicklung des Kaiholizi-mus in Sachsen mit Unbehagen verfolgt. Anlaß zu scharfen konfessionellen Zusammenstößen gab eS, al» die Abkommandierung evangelischer Offiziere und Kadetten zu Prozessionen in di« katholische Hoskirche, eine alt« Sitte, in weiteren Kreisen der Bevölkerung bekannt wurde. Seit Jahrzehnten wurde im sächsischen Bürgertum um keine ernste politische Sache so heiß gestritten wie damal» um die „KniebeugungSfrage", der König Albert ein kurze», die Evangelischen voll befriedigende» Ende durch daS Verbot derartiger Abkommandierungen bereitete. Kaum hatten sich die Gemüter wieder beruhigt, so gab ein anderer, heute noch nicht völlig aufgeklärter Vorfall abermals Anlaß zu einer hef tigen Erregung. Der Kaplan Prinz Max, der Sohn des jetzigen Königs, hatte vor italienischen Arbeitern in Plauen eine Rede gehalten und es wurde behauptet, daß er darin den Ausdruck „inkiäeli' in Beziehung aus die evangelische Be völkerung Sachsens gebraucht habe. Zwar wurde der Gebrauch dieses Wortes in der angegebenen Beziehung nachdrücklich bestritten, aber die Wirkung auf die öffentliche Meinung war so gering, daß das Kultusministerium sich zu einer Auslassung im amtlichen „Dresdener Journal" genötigt sah, in der es heißt: „Es ist nach den eigenen Erklärungen Sr. königl. Hoheit des Prinzen Max anzunehmen, daß derselbe, schon um nicht eine erneute Erregung Hervorzurusen und anderweiten Mißverständnissen und unliebsamen Erörterungen in der Presse ausgesetzt zu sein, in absehbarer Zeit selbst nicht aus den Wunsch zurückkommen wird, öffentliche kirchen amtliche Funktionen in Sachsen auszuüben. Sollte dieses aber doch geschehen, so wird die Staatsregierung der ihr gesetzlich obliegenden Verpflichtung, den ösfentlichen Frieden zu schützen, ganz gewiß eingedenk bleiben." Der in den sächsischen katholischen Schulen eingesührte Katechismus ist jener des Jesuiten Deharbe; die Leiter dec Schulen sind vielfach Kapläne. Man glaubt in Sacksen vielfach, daß manche von ihnen mehr Politiker als Geistliche sind. Als vor etwa zwei Jahren die Zentrumspresje das sächsische Kultusministerium mit dem Vorwurf angriff, es such« die Ab haltung katholischer Gottesdienste sür ausländische Arbeiter zu ver- hindern, antwortete die amtliche „Leipziger Zeitung" mit einer merkwürdigen Drohung. Das Blatt verlangte die sofortige Ein stellung der Angriffe, geschehe daS nicht, so werde es gezwungen sein, die sächsische Bevölkerung über das Treiben der Kapläne im Lande aufzukläcen, insbesondere auch mitzuteilen, was einen bestimmten Kavlan veranlaßt habe, möglichst geräuschlos aus Sachsen zu verschwinden. Man war damals bei uns aus die weitere Entwicklung der Sache gespannt, aber die „Leipziger Zeitung" blieb stumm, wo es im Dienste von Wahrheit und Klarheit Pflicht ge- wesen wäre, recht vernehmlich die Stimme zu erheben. Wie die „Jnfiüeli-Assäre", so blieb auch die von dem Regierungs organ aufqesührte „Kaplanw.rtschast" unaufgeklärt, aber die pro- testantische Bevölkerung zog natürlich aus diesen und anderen Vor gängen ihre Schlüsse. Zu diesen anderen Vorgängen ist namentlich eine römische Aufmerksamkeit sür den Prinzen Max zu rechnen. Zu dessen Priesterweihe ließ ihm der Papst eine sür diesen Zweck geprägte Denkmünze übersenden mit der bezeichnenden Um schrift: Es werde eine Herde und ein Hirte. Das „Katho lische Kirchenblatt" schrieb fast zu derselben Zeit mit leicht verständlicher Anspielung aus die römischen Hoffnungen in Sachsen: „Erweck' einen Ritter Georg uns in Sachsen — der siegreich dem Drachen sich zeige gewachsen!" Bald daraus setzte auch die Zentrumsagitation in Sachsen scharf ein, überall entstanden im Lande katholische Vereine und Konventikel, eme sehr eifrige ultramontane Propaganda brach los, rin heute täg lich erscheinendes und völlig im agrarisch-ultramonlanen Sinne ge leiteteS Zentrumsblatt wurde gegründet, zahlreiche barm herzige Schwestern wurden nach Sachsen gezogen, die nament lich auch in protestantischen vornehmen Familien tätig sind: überall fühlt man, daß mit großen Mitteln und nicht uur öffentlich, sondern auch in aller Stille gearbeitet wird. Dieser katholische Vormarsch in Sachsen »ad die hier erwähnten einzelnen Vorgänge erklären e», daß sich in einem großen Teil des protestantischen Bürgertum» konfessionelle Besorgnisse aui- drängten. Man sprach offen davon, es sei die Absicht Rom-, sich im Dresdener Hof einen feste« Stützpunkt in Norddeutschland zu schaffen, vor allem aber unablässig dabin zu streben, daß Sachsen „eine Herde und ein Hirte" sei und der Katholizismus die herrschende Konfession im Lande werde. Die Flucht der Kron- Prinzessin und die Hiuüberjpielung dieser Angelegenheit auf Las politisch-konfessionelle Gebiet fand die Gemüter also dazu vor bereitet, auch in diesem Ehedrama die Hand der Beichtväter und Jesuiten zu suchen. Die Erklärung de» sächsischen Kultusministeriums gegen derartige Befürchtungen ist zwar überall im Lande verbreitet, aber das Mißtrauen ist nach dieser Richtung, wie schon gesagt, geblieben und eS wendet sich gegen die Regierung selbst. In seinem jüngst erschienenen Werke über da» sächsische Kirchen wesen äußert ein früherer Dresdener evaugelischer Pfarrer, Pro fessor Drews in Gießen, in protestantischen Kreisen bestehe der Verdacht, daS Gesetz von 1876 werde von den Katholiken vielfach umgangen. Er hat den Eindruck gewonnen, daß der Staat die wichtigsten Bestimmungen über die Ausbildung katholischer Priester nicht mehr anwendet und von dem Recht de» Dispenses Gebrauch gemacht wird. In die konfessionelle Zusammensetzung der Hof gesellschaft haben die Kammern nichts hineiazureden, aber über die Ausführung der Gesetze können sie von der Regierung Aufklärung verlangen. Besonders vermerkt wird ferner die starke Vermehrung der Katholiken in Sachsen. Bon 1834 bi» 1890 steigerte sich die Zahl der Protestanten um 1l3,6 Proz., der Katholcken um 360 Proz. Es gab 1890 im Land» 128 509 Katholiken, die sich 1901 auf rund 200000 unter eiuer Gesamtbevölkerung von 4100000 vermehrt harten. Diese Zunahme ist nicht auf einen großen Geburtenüber schuß, sondern auf die erhebliche Eiowanderuug nameutlich aus den österreichischen Ländern zurückzuführeu. In diesem starken An- wachsen oer katholischen Bevölkerung finden die politischen Wünsche de- sächsischen Ultramontanismus ihre kräftigste Stütze. Im großen und ganzen ist diese Darstellung richtig. Namentlich muß zugegeben werden, daß daun offizielle Aufklärungen, die halb und halb in Aussicht gestellt wurden, unterblieben. Ader man maß sich auch vergegenwärtigen, daß das Ausbleiben solcher Aufklärungen ganz wesentlich auf einen Teil der Presse zurückzuführen ist, und zwar gerade auf den Teil, der jetzt von .Sturmgeläute" und tiefem Mißtrauen gegen den Hof und die Regierung fabelt. Alö wir zuerst die „KniebeugungSfrage" an- «egten und aus die Abstellung der das protestantische Gefühl verletzenden Einrichtung drangen, wie oft mußten wir da, nicht nur in den üblichen anonymen Briefen, die in Sachsen ebenso gedeihen, wie die Sozialdemokraten, sondern auch in eoangcltschen Blättern die Anschuldigung lesen, wir säten Mißtrauen gegen König Albert und feine Regierung! Ein hervorragender evangelischer Geistlicher, der damals im „Leipz. Tagebl." wiederholt das Wort ergriff, mußte sich noch schlimmere Verdächtigungen gefallen lassen. Dasselbe Spiel wiederholte sich, als wir gegen da» Auftreten des Feirilleton. i2j Frau Huna. Roman von Karl Taner a. Nachdruck verboien. „Bitte. Ich möchte ja gern möglichst viel von den Sitten nnd Gebräuchen meines neuen Heimatlandes kennen lernen." „Ein Mann, der sich zum Harakiri entschlossen hatte, weil er dadurch die Ehre des Landesherrn oder die eigene zu retten glaubte, manchmal auch, weil er kein Mittel hatte, sich für erlittene Unbill zn rächen, in anderen Fällen, weil er als Diener seines Herrn und alS Untertan seinem Fürsten den Treuschwur über das Grab halten wollte, ober dem dasselbe als Strase be fohlen worden war, teilte dies seinen besten Freunden mit. Man versammelte sich, wenn möglich, in einem feierlich hcrgerichteten, abgeschlossenen Raume oder im Freien. Der Selbstmordkandidat war weiß, d. h. in die Farbe der Trauer gekleidet. Vor ihm auf einem weißen Taburett lag ein dolchartiges, haarscharfes Messer in einer Scheide. Sein nächster Freund hatte ein ebenso scharfe« Schwert. Zur Vollziehuirg des Harakiri seyte sich der Selbstmörder auf den Boden, seine Freunde standen hinter ihm, der mit dem Schwert hielt sich bereit, um ihm nach vollbrachtem Seppukl» das Haupt vom Rumpfe zu trennen und ihn so von seinen Qualen zu erlösen. Nun schritt man zur Ausführung. Keine Ge fühlsäußerung, kein Wort durfte einen Mangel von Selbstbeherrschung verraten. Mit fester Stimme trug der aus dem Leben Scheidende einen selbstverfaßten Ab schieds- ober allgemeinen Sinnspruch vor. Dann ergriff er den Dolch, zog ihn ohne Zittern aus der Scheide und führte unter der weißen Verhüllung, damit kein Blut sichtbar wurde, mit sicherer Hand den Schnitt von rechts nach links aus. Gelan-g es ihm, durch ungeheure Ueber- Windung noch den Dolch in die Scheide zurück zu stecken, so wurde er vom ganzen Volke so verehrt und bewundert, daß man noch nach Jahrhunderten seinen Namen als den eines Helden nannte. Sein Freund wartete einen Augenblick, ob er eine solche Selbstbeherrschung habe, und beendete dann durch einen Schwertstreich seinen TodeSkampf." „Das ist ja fürchterlich. Und eine solche barbarische Sitte hat man wirklich verherrlicht?" „Gewiß, gnädige Frau. Man verherrlicht sie noch jetzt. Zum Beispiel in Tokio wird das Grab der 47 Ronins noch stets von vornehmen und einfachen Japanern besucht, und man legt dort Visitenkarten nieder als Zeichen, wie man diese Selbstmörder noch nach zwei Jahrhunderten ehrt. Sie waren Reisige und Diener eines Daimio ge wesen, welcher gegen einen Hofbeamten, der ihn verhöhnt hatte, im Palast des Schogun mit gezogenem Schwert vor gegangen war. Durch diesen Mangel an Selbstbeherr schung hatte er sein Leben verwirkt und mußte Harakiri machen. Leine 47 Diener warteten zwei Jahre auf eine Gelegenheit, ihren Herrn an dem Hvfbeamten zu rächen. Endlich konnten sie ihn überfallen und erschlagen. Tann verzichteten sic auf die ihnen gebotene Möglichkeit zur Flucht, stellten sich dem Gericht und erhielten die Begünsti gung, ebenfalls Harakiri zu machen. Nun zogen sic feier lich nach dem Grabe ihres Herrn, und dort führte einer nach dem andern den Selbstmord a«S. Man begrub sie «eben dem Daimio und ehrt täglich noch diese treuen Diener durch Besuche und Spenden von glimmenden, auf die Gräber gelegten Weihrauchbündeln." „Aber jetzt gibt es doch eine so entsetzliche Sitte nicht mehr?" „O ja, gnädige Frau. Erst in der neuesten Zeit kamen zahlreiche Selbstmorde ans ähnlichen Ursachen wie früher vor. Nach dem erst im Jahre 1805 vollendeten chinesisch japanischen Kriege mußte Japan die eroberte Halbinsel Liaotung auf den Einspruch europäischer Machte an China znrückgeben. Darüber waren vierzig der siegreichen Krieger so empört, daß sic die Schmach nicht länger tragen wollten, sondern sich selbst töteten. Bor wenigen Jahren machte ein junger Offizier in einem Tempelhof zu Tokio Harakiri, damit ein Brief, den er hinterließ, wirklich dem Mikado übergeben werde. Darin wollte er nur auf das Anwachsen der russischen Macht im stillen Ozean und auf die darin für Japan be- ruhende Gefahr aufmerksam machen. — Ein anderes Bei spiel ist noch bezeichnender. Sie wissen, gnädige Frau, daß der jetzige Zar al« Thronfolger bei einer Reise nach Japan einem Attentat ausgesetzt war. Einige Tage nach, her reiste ein Mädchen, namens Hata-Keyama, aus der gleichen Stadt wie der Attentäter gebürtig, nach der Pro- vtnzhauptstadt Kioto, und machte dort Harakiri, um die Schmach, bi« auf ihrer Vaterstadt ruhte, auSzulvschen. Sie sehen, daß politischer Fanatismus oder gekränktes Ehrge fühl oder ähnliche Ursachen selbst jetzt noch in Japan zum Selbstmord führen. Daran wird sich auch sobald nichts ändern, weil man den Selbstmörder noch nach seinem Tode ehrt und als Helden preist." „So etwas habe ich nicht für möglich gehalten. Es ist doch eigentlich der Ausdruck halben Wahnsinns." „Wie man es nimmt, gnädige Frau. Es kann auch in einem sehr feinen Sinn für Ehre liegen. Jedenfalls halte ich es für keine der schlechten Seiten der Japaner." Es kamen einige junge Herren nnd forderten Frau Jzuna zur Teilnahme an einem neuen Spiel auf. Sie mußte folgen. - Am andern Tage erschienen zur linken Seite hohe Berge, man näherte sich denselben immer mehr, und gegen Mittag dampfte der „Friedrich der Große" zwischen romantischen Inseln hindurch nach Hongkong. In den wenigen Stunden des Aufenthalts lernten Julie und ihr Gatte unter der Füh rung des Generals die hübsche Stadt Viktoria mit ihren modernen asphaltierten, von hohen europäischen Häusern und Palästen eingefaßten Straßen, mit den schönen Parks und Anlagen kennen,- sie fuhren mit der Drahtseilbahn auf den Hongkong Peak und genossen dort eine herrliche Aussicht, und sie erstaunten über den großartigen Hafen, in dem Hunderte von Dampfern, großen und kleinen Segel schiffen, Booten und Kähnen ein ungemein belebtes Bild barstellten. Natürlich interessierte sich die jnngc Frau am meisten für die vielen Chinesen, welche den Hauptteil der 200 OW Einwohner von Hongkong bilden. Am abend setzte der „Friedrich der Große" seine Reise fort. Noch einmal hielt er im chinesischen Machtbereich. Es war in der Mündung des Aang-tse-Kiang vor Wusong, in der Nähe von Shanghai. Nach der Stadt Shanghai selbst konnten jene Passagiere, welche weiter reisen wollten, nicht fahren, da es zu unsicher erschien, ob sie wieder rechtzeitig an Bord zurückkommen könnten. Jene Reisenden, welche in Shanghai bleiben wollten, mußten in einen kleineren Dampfer des „Norddeutschen Lloyds" übersteigen und wurden durch diesen nach der noch etwa 10 Kilometer ent- fernten Stadt gebracht. Die vier Stunden, welche der „Friedrich der Große" in der Aang-tse-Kiang-Münd»ng lag, vergingen allen Passagieren wie im Fluge. Es be- fanden sich nämlich infolge der Wirren in Ebina dort zahl reiche Kriegsschiffe der Verbündeten, darunter auch mehrere große deutsche. Julie freute sich innig, die Flagge ihrer bisherigen Heimat so würdig vertreten zu sehen und machte ihren Gatten darauf aufmerksam. Plötzlich rief derselbe: „Da kommt eine japanische Gig." Ein kleines Boot, von Matrosen in ganz europäischer Uniform gerudert, steuerte auf den „Friedrich den Großen" zu. Es trug eine weiße Flagge mit roter, strahlender Sonne. Ein junger SchiffSvfsizier, ebenfalls ganz euro päisch uniformiert, führte das Steuer. „Das ist die Kriegsflaggc unseres Vaterlandes, meine liebe Julie, das weiße Feld mit dem roten strahlenden Sonnenball, unser Staats- und Kriegsbanner. Mit dem Sonnenball ohne Strahlen gilt eS als Nationalsahne. Sich' nur, wie stramm und taktmäßig die Matrosen rudern. Sic stellen in der Disziplin keinen Seeleuten andrer Nationen nach." „Darin muß ich Ihrem Gatten voll zustimmen, gnädige Frau", fügte der General hinzu. „Die Armee und die .Kriegsmarine Japans haben sich vorzüglich entwickelt, und selbst ein alter Soldat wie ich, der in militärischen Dingen gewiß streng nrteilt, muß sagen, die Japaner brauchen in dieser Beziehung keinerlei Konkurrenz zu scheuen. Sie haben sich im chinesischen Kriege bislwr auch ganz vorzüg lich gehalten, und man verdankt in erster Linie ihrer Tapferkeit und Ausdauer den Entsatz der Gesandtschaften in Peking." „Ich danke Ihnen sehr, Herr General, sür diese glänzende und schmeichelhafte Anerkennung, welche aus dem Munde eines so hohen deutschen Offiziers doppelten Wert hat." „Bitte, Herr Professor, nur keine Komplimente. Ich äußere mich gegenüber der gnädigen Frau durchaus offen und ehrlich, ohne die geringste Schmeichelei. Ich wieder hole aber mit Freuden, daß ich die japanische Armee und Flotte für eine der besten auf der Erde halte und glaube, daß die meisten Völker sie um den vorzüglichen Geist, der in beiden steckt, beneiden dürfen." Auch Julie frentc sich sehr, einmal cin so uneinge schränktes Lob über japanische Verhältnisse von Herrn von Menzheim zu hören. Sie wußte ja, daß er nie etwas sagte, was nicht seine aufrichtige Meinung war. In diesem Augenblick entstand eine kleine Bewegung auf dem Pro menadendeck. Die beiden japanischen Grafen erschienen in voller Galauniform. Gleichzeitig hatte die Gig am Fallreep angelegt, der junge, japanische Offizier erstieg daS Deck, schritt auf die Offizier« zu und machte dem
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