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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-26
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030126024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-26
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Anzeigen-Prei- die «gespaltene Petttzeile >5 Reklamen nntar demNetreckttoXstrtch s4 gespalten) 7K vor den Aamtliesuach- richten («gespalten) KO Tabellarischer «nd Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen «so Offertellannahm« 2» (excl. Porto). Grtra-vetlagen (gesalzt), «nr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesorderuug 60.—, mit Postbesördenmg ^l 70.—, Auuahmeschluß für Ityei-e«: Abend-Ausgabe: Bormttta-B 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« find stet- au di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Januar. «ras valeftre«. Jedenfalls um die von der Mehrheit de- Reich-tag- in Aussicht genommene Wiederwahl des Grafen Ballestrem zu Hintertreiben, hat bekanntlich der „Vorwärts" die Andeutung gemacht, der zurückgetretene Präsident habe sich zu seinem Berbalten gegen den Abg. v. Vollmar durch höheren Einfluß bewegen lasten. Durch diese Andeutung soll wenigstens ein Teil der Mehrheit zu der Ansicht gebracht werden, dem Grafen Ballestrem fehle die nötige Selbständig keit zur Wetterführung seines früheren Amtes. Natürlich ist diese Ausstreuung der „Germania", welche die Wiederwahl ihres Parteigenossen wünscht, sehr unangenehm. Sie erklärt daher kategorisch: „DaS sind albern« Fabelu. Wer den Grasen Ballestrem nur eiuigermaßen kennt, wird von vornherein nicht glauben, daß er sich von irgend jemand „Aufträge" für seine Geschäftsführung geben laste» werde. Wir glauben auch nicht, daß Gras Bülow es gewagt haben würde, ihm Zumutungen der genannten Art zu stellen. Jedenfalls sind solche Zumutungen nicht an ihn herangetreten. Wenn er dem Abgeordneten von Bollmar nicht gestatten wollte, über die Kais«rredea zu sprechen, so geschah eS allem Anschein« nach de-halb, weil er im Augenblick drnJnhalt dieser Reden nicht gegenwärtig hatte und der Meinung war, daß sie ohne Bezugnahme auf den „Fall Krupp" gar nicht besprochen werden könnten. Seine Weigerung, diesen Fall besprechen zu lassen, wird jeder billigen müssen, und daß eS ihm nicht in den Sinn kommt, die Besprechung von Saisrrredea zu ver hindern, hat «r doch längst hinreichend bewiesen." Weiter spricht dann die „Germania* von „Kaffeeklatsch" und sucht dem „Vorwärts" begreiflich zu machen, daß nur „verleumderische Lumpen" zur Verbreitung falscher Gerüchte sich bergäbe». Ob da« die rechte Art ist, solche Gerüchte aus der Welt zu schaffen, lasten wir dahingestellt. Aus andere Weise sucht den gleichen Zweck ein Gewährsmann deü „Berl. Lok.-Anz." zu erreichen, der Folgendes schreibt: „Bei der PräsidialkrisiS handelt «S sich eigentlich um nichts als um Mißverständnisse. Weder der Kaiser noch der Reichs kanzler hatte mit dem Grafen Ballestrem über den Fall Krupp gesprochen, auch von keiner andern amtlichen oder privaten Person war irgend eia Einfluß aus ihn geübt worden, die Besprechung dieses Falle» im Reichstage zu verhindern — was sich übrigens Graf Ballestrem auch verbeten haben würde. Auch ist die Annahme des führenden Organs der Konservativen unzu treffend, daß ihn die Besorgnis, das monarchische Gefühl der großen Mehrheit des Reichstages könnte verletzt werden, zu dem Verbote veranlaßt hätte. Das monarchische Gefühl ist im Reichstage so oft verletzt worden, daß diese Rücksicht für ihn gar nicht in Be tracht kommen konnte. Graf Ballesirem würde gewiß dem Abg. v. Bollmar die Kritik der kaiserlichen Reden gestattet haben, wenu dieser eS so geschickt aogefangen hätte wie Bebel. Daß Graf Ballestrem dann die Kritik der Kaiserrede untersagte, als Herr v. Vollmar den Fall Krupp ganz auszuscheiden versprochen hatte, ist nor so zu erklären, daß Graf Ballestrem eine Aus- einanderhaltung beider Gegenstände in der weiteren Debatte für alle Parteien, auch für die Rechte, für ganz undurch führbar hielt — was freilich ein großer Irrtum war, wie Bebel bewies«» hat. Er glaubte offenbar, daß immer wieder aus de» Fall Krupp zurückgegriffen würde, von der einen Seite, um die Empörung des Kaisers als unbegründet, und von der anderen Seite, um sie als begründet zu erweisen. Ein äußerliche» Moment mag dann wohl für die Entscheidung gegenüber dem Abg. v. Vollmar noch hinzugekommeu sein, nämlich das, daß der Kaiser i» seiner Essener und Breslauer Rede die Sozialdemokraten nicht ausdrücklich genannt hatte — womit sich indes der Privatcharakter Lieser kaiserlichen Reden nicht im mindesten begründen lassen konnte. Graf Ballestrem hat ja dies Mißverständnis am andern Tage indirekt zugegebeo, indem er Bebel unbehindert reden ließ; er soll alsdann seiner Befriedi gung Ausdruck gegeben haben, daß Bebel ihn der Notwendig keit eines Einschreitens enthoben habe; er soll weiter geäußert haben, daß es ihm sür Bollmar leid getan habe, der sich als maßvoller Redner immer gezeigt und selbst bei dieser Ge legenheit den Takt bewiesen habe, sich seiner Entscheidung zu fügen. Inzwischen ist auch das Mißverständnis, daß die konservative Partei dem Grasen Ballestrem ihr Vertrauen entzogen habe, beseitigt worden. Graf Ballestrem hat, wie in parlamentarischen Kreisen versichert wird, nach den Aufregungen der letzten Tage seine Ruhe und gleichzeitig auch seinen Humor wiedergesunden, ob er aber das Amt deS Präsidenten wieder übernehmen wird, das dürfte wohl von der Entwicklung der Dinge bis zum nächsten Donnerstag abhängen." Da Graf Ballestrem, wie verlautet, an dem Bankett der ReichStagSadgeordneten am Geburtstage deS KaiierS teilzu nehmen gedenkt, so ist ihm ja Gelegenheit genug ge boten, auch persönlich Mißverständnisse aufluklären, so weit dies überhaupt nötig ist, da von der vollstän digen Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Grafen die MebrbeitSparteien überzeugt sind. Jedenfalls wirb er wiedergewähit werden. Es fragt sich nur, ob er eine Wieder wahl annimmt und annehmen kann. Die klerikale „Köln. VolkSztg.* glaubt daran nicht zweifeln zu müssen. Sie läßt sich auS Berlin telegraphieren, daß nicht nur die früheren Kartellparteien und da» Zentrum mit seinen Anhängern ihre Stimmen wieder sür den Grafen Ballestrem abgeben würden, sondern auch dir Freisinnige VolkSpartei. Träfe diese Meldung zu, so läge für den früheren Präsidenten kein Anlaß zur Weigerung vor, venn er könnte sich darauf berufen, daß wenigsten» ein Teil der linken Seite de» HauseS an einer Vertrauenskundgebung für ihn teilgenommen hätte. Nach den Auslastungen der „Frei sinnigen Zeitung" aber ist eS nicht wahrscheinlich, daß die F> «sinnige VolkSpartei bei der Präsidentenwahl am nächsten Donnerstag dem bisherigen Präsidenten ihre Stimme wieder gibt. Das Blatt schreibt: „Was die Neuwahl anbetrifft, so wäre eS am rücksich tSvollsten gegen den Grafen Ballestrem, wenn die Zentrumspartri als ausschlaggebende Partei einen anderen Kandidaten aus ihrer Mitte präsentierte. Indes unterliegt eS keinem Zweifel, daß die Zentrumspartei, die ganze Rechte und die Nationalliberalen dem Grasen Ballesirem wieder ihre Stimme geben wollen." Ist hiermit auch nicht expregsis vorbis gesagt, daß die Freisinnige Volkspartei den Grafen Ballestrem nickt wieder wählen wolle, so ist dies doch deutlich genug zwischen den Zeilen zu lesen. In diesem Falle aber würde es dem Grafen mindestens nicht leicht werden, eine Wiederwahl an zunehmen. Was im Falle seiner Ablehnung erfolgen würde, kann man vorläufig unerörtert lasten. Erwähnt sei nur, daß das Gerückt, das Zentrum wolle eventuell das Präsidium für den Rest der Session dein ersten Vizepräsidenten Gras Stolberg überlassen und sich mit der Stellung des ersten Vizepräsidenten begnügen, sehr unwahrscheinlich klingt. Kaisers Geburtstag »nd Welsentum. Das Organ der braunschweigischen Welfen macht sein Publikum ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es Heuer vom Geburtstage deS Kaisers Notiz nimmt. Warum, das erfährt man aus folgende»» Angaben: „Wir sehen die älteste Tochter unseres Herzogs heutealsGa st undGr atu la rrtinirn Schlosse deoKaisers, und dies seit 1896 noch nicht dagewesene Ereignis, das . . . natürlich mit Zustimmung unseres Her zogs sich vollzieht, ist uns ein sicherer Beweis dafür, daß bei beiden fürstlichen Herren die Geneigtheit zur Ver- söhnuna vorhanden ist. . . . Würde es dem Kaiser ge lingen, das durch das Unglücksjahr 1866 ftiber deutsche Lande gebrachte Unheil zu lindern und gut zu machen, so würde er in Wahrheit ein Mehrer des Reichs genannt werden, nicht an änsierem Zuwachs, sondern ... an innerer Stärke und innerem Frieden. In diesem Sinne glauben auch »vir Welfen des 27. Januars gedenke»» zu sollen." — Tas braunschweigische Welfenorgan überschätzt die Anwesenheit der Prinzessin Max von Bade»» an» Berliner Hofe selbstverständlich nur zu dem Zwecke, hinterher die übliche welfische Nutz anwendung machen zu können. Eine der artige „Feier" von Kaisers Geburtstag ist schlim mer als gar keine. Denn sie besteht ledig lich ir» der Wiederholung der unerfüllbaren Forde rung, das Königreich Hannover wieder herzustellen. In anderer Beziehung ist es jedoch immerhin nützlich, wenn die sogenannte Landesrechtspartei in Braunschweig sogar bei diesen» Anlässe die Identität ihrer Ziele mit denen der hannoverschen Welfen bekundet. Das Bombardement des Forts San Earlos. Ueber den Verlauf und den Ausgang des Kampfes zwischen den deutschen Panzerschiffen und dem venezo lanischen Fort San Carlos teilt der „Berl. Lok.-Anz." auf Grund von Erkundigungen an zuständiger Stelle noch folgende Einzelheiten mit: Der flachgehende „Panther" nahm gleich bei Beginn des Bombardements der „Vincta" möglichst nahe und seitlich des Forts Stellung, beobachtete die Wirkung der „Vineta"-Schüsse und signalisierte zu letzterer hinüber. In verhältnismäßig kurzer Zeit waren 44 Prozent Treffer im Fort zu verzeichnen. In Summa dürften, anstatt der von amerikanisäier Seite be haupteten 1600(11) Granaten — deutscherseits 90—100 Gra naten verfeuert sein. Fort San Carlos war mit einer größeren Anzahl veralteter Geschütze und mit nur vier modernen 8 Centi- meter-Hinterladern armiert, deren Schußweite aber auch nicht an 6700 Meter hcranrcichte — die Distanz, auf welche die „Vineta" mit ihren mittclschweren Geschützen feuerte. Da in den in Berlin emgelaufenen offizielle»» Depeschen über die Bom bardements am 17., 21. und 22. absolut nichts von Toten, Verwundeten oder einer Beschädigung der Schiffe gemeldet ist, so erscheint es ausgeschlossen, daß irgend welche Ver - luste auf deutscher Seite zu beklagen gewesen sind. Die „Nordd. Mg. Ztg." bemerkt, die amtliche deutsche Meldung, wonach das Fort von Sa»» Carlos zuerst ge schossen und den „Panther" angegriffen hat, während die erste vom „Neuterschen Bureau" verbreitete Nachricht den» „Panther" die Eröffnung des Feuers zuschrieb, be weise, wie notwendig es sei, ausländischen Nach richten über überseeische Aktionen Deutschlands die größte Borsicht entgegenzusetzen. Außerdem suchten die „Neuterschen" Meldungen den Eindruck zu erwecken, als hätte ein urehrtägiger hartnäckiger Kampf statt gefunden: in Wahrheit sei, wie a»»s den amtlichen Mit teilungen ersichtlich, das Ziel binnen wenigen Stunden erreicht gewesen. Vom englischen „Neuterschen Bureau" und aus amerikanischen Quellen wurde indes am Sonn abend noch berichtet, das Bombardement dauere immer noch fort. — Die Nachrichten, der. Washingtoner Kabinettsrat werde gegen die Fortsetzung eines Ver fahrens, wie es die deutschen Schiffe gegen Dan Earlos ei »»geschlagen haben, Protest erheben, und die Er neuerung derartiger Atte werde die guten Beziehungen -wischen Deutschland und der Union zweifellos ge fährden, setzen offenbar voraus, daß der Grund des Bombardements den leitenden Washingtoner Personen noch nicht bekannt war. Nachdem volle Aufklärung ge schaffen ist, wirb auch die UnionSregierung die Sach« anders ansehen. Das Todesurteil gegen de« Boerenfithrer Lynch. Die Londoner Geschworenen haben, wie ge- meldet, de»» irischen Abgeordneten von Galway, Mr. Lunch, der als Oberst einer irländischen Fretschar auf Seite der Boeren gegen England kämpfte, wegen Hochver. rats zum Tode verurteilt. Dieses Urteil wird allerdings nicht vollstreckt werden: dem formalen Rechte, das in uralte Zeiter» hinaufreicht und z. B. die Hochver räter Prince David und Sir William Wallac im 18. Jahr hundert unter fürchterlichen Marter»» tatsächlich hängen, köpfen und vierteile»» ließ, ist heute durch den Schuldspruch Genüge geschehen, und wenn auch Mr. Lynch nach dem heute gültigen Gesetze wenigstens auf einfache Art, durch Strang oder Beil, hingerichtet werden müßte, wird doch der König vorauWchtlich das Todesurteil tu eine lang jährige Freiheitsstrafe umwandeln. Die Königliche Gnade ist jedenfalls hier aus menschlichen, wie aus politischen Gründen sehr angebracht. Daß Lynch Hochverrat be gangen hat, ist wohl nicht zu bezweifeln. Teils durch Ge ständnis, teils durch Zeugen und Dokumente, ist nachae- wiesen, daß er, obwohl zur Zett seines Entschlüsse», für die Boeren zu kämpfen, noch britischer Staatsbürger, aus Hatz gegen England Aufruf zur Vernichtung der englischen Herrschaft erließ, Landsleute um sich sanrmelte, bewaffnete und tatsächlich wider England kämpfte. Gemildert wird sein Verhalten allerdings durch außerordentliche Um. stände. In Australien 1861 geboren, im Herzen stets mit der ganzen Zähigkeit seiner Rasse dem irländischen Volke treu, hat er sich niemals alö britischer Staatsbürger be trachtet. Er hat in Melbourne allerlei, daruter auch Me- dizin studiert, hat sich schließlich auf das Jngenieurfach ge- worfen, kam anfangs der neunzigerJahre nachLondon und widmete sich hier der Tagesschriftstellerei, schrieb Gedichte, verfaßte kritische Aufsätze und Romane. Später war er in Paris Korrespondent für englische Blätter, bis er sich dann beim Ausbruch des Krieges uach Pretoria begab und dort tatsächlich die Staatsbürgerschaft von Transvaal er warb. Sein Verhängnis »var, das er die englische Staats bürgerschaft nicht löschen, sondern im Gegenteil sich noch von seinen begeisterten Landsleuten in Galway dem ge haßten England zum Hohne ins Parlamentwählen ließ, freilich ohne das Mandat je auszuüben. Diese De- Fyuilletsn. Ns Frau Huna. Roman von Karl Taner a. Nachdruck vcrbolm. Sie wandcrien weiter. Ein schmaler Weg führte längs der Küste an Kelsvorsprüngen und Stcilabfällcn vorbei uach -er PKgerinsel Enoschima. Unten schlug die Bran dung an, der weihe Gischt spritzte in die Höhe, grüne Büsche standen in den Felsspalten und blauer Hiinmel wölbte sich über der malerischen Landschaft. Da vergast Ziradoma etwas ihre fast schon krankhafte Schwermist und genotz den Zauber dieser eigenartigen Natur. Bald standen sie vor dem mächtigen Felsblock, welcher allein aus dem Meer aufragt und die berühmte Pilgerinsel bildet. Ein langer Hvlzsteg führte über den schmalen Wasserarm zwischen der Küste und der Insel. Sie überschritten ihn und kamen in eine wahre Idylle. Es gibt wenig so rornen- tische Stückchen Erde, wie diesen mit dunklen, alten Bäumen, ergrauten Stetntcmpeln und zahlreichen be moosten Steinlatcrnen bedeckten Felsblock im Meer. Datz viele Fischer dort seltene Muscheln, getrocknete Fis he und andere Kuriositäten feilboten, erhöhte noch den eigen artige»» Reiz. Wunderbar war der Blick vom Theehaus an der Mestccke über das tiefblaue Meer nach den Hak 'ne- berge»» und der tu» Hintergründe sich erhebenden weißen Schneepyramidc des Fudschi-no-Aama. In gehobener Stinunnng kam Siradoma nach Boko- Hama zurück. Ihr Mann war so glücklich hierüber, daß er ihr eine besondere Freude machen wollte und sie zum Diner in das „Grand-Hotel" führte. Er erreichte zu 'einem großen Mißvergnügen das Gegenteil. Sie fühlte sich inmitten eines Kreises von ungefähr 150 Angehörigen der vornehmen Klassen verschiedener europäischer Völker in höckfftem Maße unbehaglich. Das Unglück wollte noch, daß an dem Tischchen neben ihr eine Familie aus Berlin speiste, und eine der jungen Damen die scherzhafte Be merkung machte, der Wannsce mit seinen vielen Billen ge falle ihr ebenso gut, wie die Missifsipibai von Yokohama. Bei den» Wort „Wannsee" fiel ihr die liebe, alte Heimat ein, sie dacht« an die beiden Pflegemütter, an die lustigen Freundinnen Braun, an die schönen Tage, welche sie dort verlebt hatte, und all' dies brachte ihr wieder die düstere Stimmung, welcher sie in der letzten Zeit so vielfach ver fallen war. Jzuna besorgt, daß ein so rascher Wechsel doch tn krankhafter Anlage beruhen müsse, hing daher ebenfalls ernsten Gedanke»» nach. Er war froh, als das Diner beendet war, er sich erheben und seine Frau zum Weg gehen auffordern konnte. Sie folgte sofort, mußte aber »viedcr einige Worte hören, welche sie sehr unangenehm berührten. Die junge Berlinerin bemerkte nämlich gan- laut, weil sie ja keine Ahnung hatte, daß sie verstanden würde: „Wie unhöflich doch dief« Japaner gegen ihre Frauen sind! Er steht auf und will gehen, ehe sie sich nur erhoben hat." Ein Herr antwortete ihr: „Die japanischen Kraue»» sind das nicht anders gewöhnt. Sie haben auch gar kein Recht, ähnliche Rücksichten, wie Europäerinnen, zu ver langen, denn sie besitzen keinerlei höhere Bildung." Jzuna war vorausgegangen und hatte nichts gehört. Siradoma empfand aber jedes einzelne Wort wie einen Dolchstich. Die Fahrt aus dem Golf von Uokoharna konnte nicht schöner sein, als sie es war. Klarer Sternenhimmel leuchtete über Land und Meer, allmählich verschwand der Lichterglan- des Hafens und der Stabt, und ein linder Wind brachte Kühlung und Erfrischung. Während der Professor mit einigen Landsleuten sprach, stand Siradoma an der Reeling und blickte gegen die Küste. Wie schön war diese Reise, und dock, wie ganz anders, als nunmehr vor fast einem Jahr jene auf dem „Friedrich dem Großen!" Damals war sie selbst voll stolzer Hoffnungen in dieses retzende Land gekommen, und hatte geglaubt, hier nicht nur Liebe und Glück tn der Ehe, sondern auch eine große, ihren Ehrgeiz und Tatendrang befriedigende Aufgabe zu finde»»,. Jetzt wqr sie enttäuscht, müde und traurig. Liebesglück hatte sie nur halb gefunden, denn et»» Mann, der zu de» Geishas ging, gehörte ihr nach ihrer vorge faßten Meinung doch nicht mehr ganz, und mußte, wenn sie altern «nd verblühen würde, ihr vollständig fremd »verden. Dazu folgte im äußeren Leben für sie ein Schlag nach dem anderen. Statt, daß e» ihr gelungen wäre, die Japanerinnen auf einen höheren Standpunkt zu erheben, wurde sie immer mehr herabgedrückt, so zwar, daß sie sich jetzt schon schämen mußte, in einem europäischen «reife zu verkehren. — Solchen Gedanken hing sie nach, während Jzuna immer noch mit einigen japanischen Mitreisenden scherzte und lachte. In der gleichen Schwermut, wie immer in der letzten Zeit, begab sie sich bald in ihre Kabine. Die Fahrt des nächsten Tages brachte wenig Inter essantes. Man sah keil» Land und konnte nur eimigc Dschunken und Fischerboote beobachten. Die Fahrt des folgenden Tages aber war um so reizender. Man u»n- kreiste die östliche Halbinsel deü Nankaidv, die Provinzen Ise, Kischu und Jzumi. Unaufhörlich wechselten höchst malerische Felsen- und Waldparticn mit romantisch an Buchten gelegenen Städten und Dörfer», inmitten von ausgezeichnet kultivierten Feldern ab. Am dritten Abend landete der Dampfer auf der Reede von Osaka. A», einem schönen Herbstmorgen legten Jzuna und seine Frau die kleine Strecke von Osaka nach Nara mit der Bahn zurück. Früh neun Uhr kamen sie dort an, be stiegen Rikschas und hielten zehn Minuten später vo-r -em Park der Tempclanlagen. Eine ungeahnte Ueber- raschnng stand Siradoma bevor, ein Naturgenuß, wie er kaum packender gedacht werden kann, der sie zu anderer Zeit auch sehr erhoben und begeistert hätte. Jetzt aber schadete er ihr mehr, denn er verstärkte ihren Schwermut, er übte einen Druck auf ihre kraule Seele aus. Der Park von Nara ist einer der poetischste»» Orte Japans, ein mit geheimnisvollem Zauber umgebener Hain, ein Blick in längst vergangene Zeiten. Kein Wun derwerk, wie der Tadsch Mahal in Agra oder Sankt Peter in Rom, ist hier errichtet. Was die Menschenhand allein geleistet, ist vielfach zu klein oder im Gegenteil zu massig, um hier schön zu erscheinen. Aber außerdem haben sich die Natur und menschliche Arbeit im Dienst religiösen Glaubens vereint, um eine idyllische, nnendlich fesselnde Wirkung zu erzielen und die Sinne des Besuchers völlig einzunehmen. Siradoma hatte von ihren Pflegemüttern in Berlin begeisterte Schilderungen der wenigen alten Cyprcsscn in der Billa b'Este bei Tivoli und im Giardino bei Verona gehört. Einzelne sollten dort 600 Jahre alt fein. Und h'«r wandelte sie mit ihrem Manne in einen» Park von un gezählten 000, 1000 und 1200 Jahre alten Cyprcsscn, Krnptomerien, Pinien, Cedcrn, Eichen, rotem Ahorn usw., Wicsenflächen gestatteten Durchblicke, und überall, nach Hunderten zogen Edelhirsche, Damhirsche und anderes Wild auf und ab. Dann stießen die fast immer schwcigsam nmherwandelnden Gatten auf kleine, von Felsen um gebene Teiche, dort rauschte ein tief eingeschnittcner Bach und stürzte über schroffe Blöcke als schäumender Wasser fall hinab, hier überspannte ihn eine dunkle, steinerne Bogenbrücke und nach verschiedenen Richtungen führten ausgezeichnet erhaltene, aber durch keinen Sonnenstrahl erleuchtete Straßen unter dein grünen Dom der Baum riesen dahin. An deren Seiten standen Tausende und Abertausende von Steinlaternen und mit Inschriften be deckte Steine. An dem Moos, das sie krönte, erkannte man, daß sic aus alter, grauer Zeit herrtthrten. „Er innerungen an vergangene Geschlechter, ar» längst gestor bene Daiinios und Samurais", bemerkte Jzuna. Seine Frau kam sich wie in eine andere Welt versetzt vor. Das Dllstcre dieses unvergleichliche»» Parkes, und die überall herrschende Grabesruhe ergriffe» sie mächtig. Kein Mensch begegnete ihnen. Sie stiegen leicht bergan. Nun schritten sie durch mehrere Torii und betraten den Bereich der Tempel an lagen von Kasnga-no-Miya. Einer der ältesten und berühmtesten Shintvtempel stand vor ihnen. Immer beschattet von uralten Bäuinen dehnten sich lange rote Säulenhallen aus. Dazwischen kamen kleine Tenwel, eine wunderbar anssehendc, etwa 800 Jahre alte Glyzinien laube, daneben ein 700jährtger Kamelteübaikm, unzählige Bronzelatcrnen, ganz bedeckt mit grüner Patina, Stamm reste von mehr als 1500 Jahre alten Cyprcffen, wieder junger, grüner und hochroter Ahorn, und dies alles auf einen» dunkelgrünen, sammetartigen MooSteppich? Leichter- Regen hatte alle anderen Besucher verscheucht. Nur der Tritt der Hirsckic, welche um Brot kettelten, wurde hörbar. Während der Professor die Tiere fütterte, sog seine Frau förmlich den mystischen Zauber dieser altehrwürdigen und so unendlich packenden Tempelanlagen und -Haine ein. Sie ging etwas voraus, bog „in eine Ecke und stand vor einer neuen, etwas größeren Tempclhalle. In dieser saß ein weißgekleideter Priester. Jzuna, welcher ihr gefolgt war, machte, ohne daß sic cs sah, ein Zeichen. Dies sollte sagen, „mir wünschen den Kagura-Tanz zu sehen." Dann stellte er sich still hinter sie. Nun erschien ein zweiter, aber junger Priester und kniete nach vielen Verbeugungen neben den» alten nieder. Hierauf kann:»» vier reich ge kleidete, stark geschminkte Mädchen langsam aus einer ver hängten Ncbcnhallc hervor, der atte Priester begann einen monotonen Gesang und schlug mit zwei Bambusstäben den Takt, der junge blies ans einer Klarinette die Be gleitung, und dazu führten die Mädchen den uralten, religiösen Tanz der Shintoistcn vor. Es ivarcn ernste, ge messene Bewegungen, gegenseitige Verbeugungen, et«
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