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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-12
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030312029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903031202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903031202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-12
- Monat1903-03
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Bez«g-'Prei- 1» dir Hmlpt»tpedltto» odei deren dn-ffabe stell en «b,«hott vterteliShrllch , bei zweimaliger täglicher ssallellunu io« Hau« -76 Durch Vie Post vezoaeo mr Deutsch- laod ». Oesterreich oierteljährlnh t.60, sttt di« Lbrtgeo Länder laut Zeitung-prerstiste. Nedaktton und Lrveditiollj Iohannt-gasse 8. Fernsprecher lkü and »SL Fiti»1evp«dt1tsnr«r Alfred Haha, Buchhaadtg, üowersitätSstr.S» st. Lösche Kathartueuftr. 14, ». Käuig-pl. 7. Haupt-/Male vresdeu: EErrdiener 8trab« «. Fernsprecher Amt I Str. L7lk Haupt-Filiale Serlin: Aarl vuncker, Herzgl. Bayr. Hosbvchhandlg„ Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Str 460L. Abend-Ausgabe. UtMger TagMatt Anzeiger. ÄmtoAatt des Königfichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Srtra-Verlagen gesalzt), .,,r mü der Morgen-Ailsaa-e, ohne Sostbrcorderung Kd—, rrtt poNb^sSrderluig -4 70.—. Anzeigen «PreiA die Sgespalteue Petrtzeüe 2b H. Rekl«m«, unter dem «edaktion-strich (SgespaUeu) 76 vor d«u FomUiennach- richte» («gespalten) 6V Tabellarischer und Hiffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahau L6 (ezrl. Porto). Lunahmeschluß Mr Anzeige«: Ab«,d»Au«gaber «ornctttag» 10 Uhr. Vtorg«».U«»gab»r Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind -et« an die Expedition z» richte», Di« Expedition ist wochentags u»unterbrochen geöffnet von früh S bi» abend« 7 Uhr. Druck und Verlag van E. Pol» t» Leipzig Nr. I2S. Donnerstag den 12. März 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. März. Der Reichstag hat sich seit unserer letzten Besprechung am Dienstag Nieder drei Sitzungen geleistet, vvn denen aber die Seiden vorgestrigen beschlußunfähig waren. In -er ersten mußte daher die Abstimmung Uber den von den Konservativen, der Reichspartei und den Rational liberalen unterstützten Antrag auf Wiederherstellung der in der Kommission gestrichenen Position „Gehalts aufbesserung der Oberstleutnants" unter bleiben; in der zweiten ebenfalls. Diese ergab aber wenigstens insofern ein Resultat, als aus eine Rede des Professors Müller über den vielumstrittenen Plan der Errichtung einer mtlttärtechnischen Hoch, schule das Haus auf Antrag des Abgeordneten vr. Spahn den betreffenden Titel an die Kom- mtssto« zurüctverwies und dadurch dem Kriegs minister die Hoffnung auf Verwirklichung dieses Planes erüssnete. Nachdem dann weiter eine von freisinniger Seite beantragte Resolution, die seminaristisch ge bildeten Lehrer an den Unteroffizierschulen mit ihren Kollegen an den Kadettenanslalten im Gehalte gleich zu stellen und damit eine vielfach empfundene Härte zu beseitigen, angenommen worden war, erhielt der Krieg-Minister noch durch den Abg. Bebel Ge legenheit, sich über die angeblich in Aussicht stehende neue Millionenforderung für neue Geschütze zu äußern. Wie bereits in der Kommission, gab Herr v. Goßler die beruhigende Zusicherung, daß im Interesse unserer Schlagfertigkeit selbstverständlich alle Neuheiten auf artilleristischem Gebiete erprobt werden, daß aber nie mand daran denkt, die Rohrrücklaufgeschütze, die sich gar nicht bewährt haben, bei uns einzuführen. Gestern mußte das HauS zunächst Schweres über sich ergehen lasten: eine 2^stündige Rede des nicht nur mit der Militärverwaltung, sondern auch mit der deutschen Sprache auf sehr schlechtem Fuße stehenden sozialdemo kratischen Abg. Zubeil, der mit seinem bellenden Budikerbierbaß dieselben Beschwerden über angebliche schlechte Behandlung der Arbeiter in den Spandauer Militärwerkstätten vorbrachte, die schon im vorigen Jahre erfolgreich zurückgewiesen worden sind. Auch gestern war es Generalmajor v. Einem, der die sozial demokratischen Klagen so gründlich widerlegte, daß kein Anlaß zu einer berechtigten Beschwerde übrig blieb. Herr v. Einem entwickelt sich immer mehr als sehr gewandter Redner, der auch über eine gute Dosis glücklichen HumorS verfügt. Mittlerweile machte der Reichstag an sich selbst eine überraschende Entdeckung. Die vorgestern vergeblich gebliebenen Versuche, ein beschlußfähiges Haus zusammenzutelegraphieren, hatten nachträglich die ge wünschte Wirkung gehabt: man erkannte sich plötzlich als beschlußfähig. Dieser glückliche, vielleicht nur allzu flüchtige Augenblick durfte nicht ungenutzt vorüber streichen. So nahm man denn sofort die vorgestern ver tagte Abstimmung vor mit dem Ergebnis der Annahme der Beschlüsse der Budgetkommission: die Gehalts erhöhung für die Oberstleutnants war also ab gelehnt. Bei der weiteren Spezialöeratung des Militäretats kam es zu bcmerkensrverten Erörterungen nicht. Bebel brachte die alljährlichen Beschwerden über Abkommandierungen von Soldaten zu Post- und Ernte zwecken, über Verwendung von Offizierburschen zu häuslichen Verrichtungen u. dergl. m. vor und beklagte sich u. a. auch darüber, daß für das Bundesschießen in Hannover in diesem Sommer schon jetzt 124 Soldaten zur Bedienung der Scheiben beordert worden seien. Auch für die landwirtschaftliche Ausstellung in Hannover sollen nach Bebels Angaben Soldaten requiriert worden sein. Die Regierung ging auf diese Dinge gestern nicht ein und wird also voraussichtlich heute eine abermalige An zapfung Bebels über sich ergehen lassen müssen. Kontra Bülow. Von einer in hochmvgenden Hofkreisen sich je länger, je mehr bemerklich machenden Agitation gegendenGrafenBülow weiß eine Berliner Kor respondenz zu berichten. Die Nachgiebigkeit des Grafen Bülow gegen die ultramontanen Be st r e b u n g e n soll in den st renaprote st antischen Kreisen der Hofgesellschaft die Abneigung gegen den Kanzler begründet haben. Um diese aus religiösen Mo tiven stammende Mißstimmung gegen den Grafen Bülow kristallisierten sich — so heißt es weiter — die Antipathien anderer Kreise, die den Kanzler wegen seiner Haltung gegenüber der übrigen Be amtenschaft befeinr-en. AIS die einflußreichsten Gegner des Grafen Bülow nennt die Korrespondenz eine sehr hochgestellte Dame und eine fürst liche Persönlichkeit aus dem Gefolge dcS Kaisers, die beide das Ohr des Herrschers besäßen. Die Korre spondenz schreibt dem „Verl. Tgbl." zufolge: wörtlich: „Sie beschuldigen den Grafen Bülow nicht genügender Be rücksichtigung der preußischen Tradition und de- Handelns über die Köpfe der Ressorts hinweg. Angriffe dieser Art dünken ihnen nicht aussichtslos, sie basieren auf genauester Kenntnis des Charakters des Kaisers. Hat doch Kaiser Wil helm I. seinem Enkel zweierlei immer und immer wieder an geraten: einmal, er möge nie unberücksichtigt lassen, was Her kommen und Staatsidee für Preußen zur Vorschrift machen, ferner, er möge den Ressorts der Staatsverwaltung ihren legitimen Einfluß wahren. Nun ist das Verhältnis zwischen den Ressorts und dem Kanzler bezw. Ministerpräsidenten augenblicklich keineswegs das beste. Der Ministerpräsident gilt angeblich für allzu souverän in seinem persönlichen Auftreten, auch habe er allerlei Empfind lichkeiten bei Gelegenheit der jüngsten Personalver änderungen gegen sich wach gerufen. Anderseits soll er selbst von dem schließlichen Ergebnis gewisser von ihm ver anlaßter Absägungen keineswegs erbaut sein. Dazu ist, wie aus gewissen offiziösen Verlautbarungen hervorgeht, Graf Bülow unangenehm überrascht von dem augenscheinlich etwas demonstrativen Beigeschmack der dem scheidenden Oberpräsi denten v. Bitter in Posen veranstalteten amtlichen Ab schiedskundgebungen. Wie wir hören, ist man an den ent scheidenden amtlichen Berliner Stellen mehr noch als früher der Ansicht, daß ohne weitere Personalvcrände- rnngen ein glattes Funktionieren der Staatsmaschine im Osten nicht zu erreichen sein werde." Man braucht solche „unverantwortliche" Bestrebungen nicht zu billigen, kann sie aber sehr wohl verstehen. Die aus Verwandtschaft, Vergangenheit und Neigung resul tierende Vorliebe des Kanzlers für Nom mutz jeden Protestanten mit Besorgnis erfüllen, und was es für einen Zweck haben kann, den agrarischen Herrn v. Bitter abzusägcn, um den überagrarischen Herrn v. Waldow zu seinem Nachfolger zu machen, das wird außer Herrn Endell auch der geheimste preußische Rat nicht raten können. Eine französische Stimme znr Aushebung von 8 2 des Jesnitengesctzes. ES ist recht bemerkenswert, mit welchem Eifer von unfern westlichen Nachbarn auf die Beseitigung des 8 2 des Jesuitengesetzes publizistisch hingearbeitet wird. Das „Journal des D 6 bats" rühmt die bekannte Absicht des Grafen Bülow, der immer menschlich sei und sich durch absurde Ranküne nicht beeinflussen lasse, auf das Lauteste; die Gegner dieser Absicht des Reichskanzlers aber werden als „Philister" abgetan. Daß das Stimmenverhältnis im Bundesräte an und für sich die Beibehaltung des 8 2 ermöglicht, ist dem „Journal des DöbatS" nicht unbekannt. „Aber es bleibt", so tröstet sich das Pariser Blatt, „nicht weniger sicher, daß der gesunde Menschenverstand und die wahre Gerechtigkeit schließlich triumphieren werden." — Graf Bülow hat vor einigen Tagen einen Beweis dafür, daß das Abkommen über die Straßburger Fakultät im Interesse des Neichsgedankens lag, in dem Umstande er blickt, daß das Zustandekommen jenes Abkommens von den ausländischen Bundesgenossen der reichsländischen Pro- testier auf das Hartnäckigste bekämpft worden ist. Bon diesem Standpunkte aus kann Graf Bülow nicht ohne ernste Bedenken den Anteil wahrnehmen, den ein fran zösisches Organ an der Beseitigung des 8 2 des Jesuiten gesetzes bekundet. Es liegt auch nahe genug, anzunehmen, daß bas „Journal des Dubais" nichts sehnlicher wünscht, als den ungehinderten Abfluß der unseren lieben Nach barn jenseits der Vogesen sehr unbequemen „frommen" Väter nach dem „toleranten" Deutschen Reiche. Die Vorgänge i« Marokko. Aus Madrid wird uns geschrieben: Ueber die letzten Kämpfe liegen jetzt folgende ausführliche Meldungen vor: Der Kriegsminister Menebhi war gegen die Berberstämme des Senhadschagebirges gezogen, während der General Bu Hamed zurückgeblieben war und die Verbindungen Menebhis mit der Hauptstadt sichern sollte. Diesen, der etwa 1000 Mann unter seinem Befehl hatte, griff der Prätendent Bu Hamara bei Arba im Bezirke Ain- Mediuna am 28. Februar an und trug über denselben eir:eu pollstärrdigen Steg davon. Seine Anhänger aber zerstreuten sich, um, wie es nun einmal Sitte ist, das Lager deS Feindes und die umliegenden Orte auszuplündern. Inzwischen rückte Menebhi in Eilmärschen heran und überfiel in der Nacht zum 28. Februar das Lager Bu Ha- maraS, -er nur wenige Hundert Streiter an seiner Seite hatte. Soweit dieselben Pferde hatten, flüchteten sie mit Bu Hamara dem Gebirge zu, wurden dabet aber von den Reitern Menebhis hart bedrängt. So behielt der Präten dent nur eine kleine Schar von 80 bis 50 Anhängern an seiner Sette, mit denen er im Senhadschagcbirge seinen Verfolgern entkam. Den Vormarsch gegen -ic Stadt Taza, die noch immer von Anhängern Bu HamaraS beherrscht wird, setzt währenddessen Muley Amrani ohne besondere Eile fort, da man noch immer auf den Gegen vorstoß des Oheims des Sultans Muley Arafa, von der Rifküste aus, wartet. Letzterer aber steht noch bei Ujda und wagt augenscheinlich mit seiner geringen Streitmacht nicht, die Rtfgebirge zu überschreiten, da sich die dortigen Stämme noch immer dem Sultan feindlich stellen. — Von größerer Wichtigkeit als die militärischen Vorgänge ist jedoch nach spanischer Auffassung das finanzielle Eingreifen Nordamerikas, welches in politi scher Hinsicht offenbar die Haltung Englands gegen über Frankreich und Spanien beeinflussen werde. Nach Meldungen aus Tanaer soll der Gouverneur Sidi TorreS bereits mit dem Vertreter eine- nordamerikanischen Ktnanzkonsvrtiumö einen Anleihevertrag unterzeichnet haben. Marokko soll 50 Millionen Dollar« erhalten, von denen der Sultan 15 Millionen (SO Millionen Mark) in bar empsängt, während er für da- übrige Geld in Nord amerika Gewehre, Kanonen, Pferde und Uniformen be stellt. Gleichzeitig soll das Konsortium die K o n z esf t o n zum Bau von Eisenbahnlinien von 2000 Kilo- meternLänge erhalten. DaS im nächsten Monat nach Europa kommende große nordamerikanische Kriegs- geschwader werbe auch mehrere marokkanische Häsen an laufen und die finanzielle Aktion Nordamerika« in Ma rokko unterstützen. Ein CommiS « Voyageur deS Deutschenhasser. In welcher Weise die Engländer durch politische CommiS - Voyageurs den Deutschenhaß fortge setzt und sy st emattfch zu schüren bestrebt st n d dafür bieten die folgenden, uns aus Melbourne vom 4. Februar zugegangenen Mitteilungen ein inter essantes Beispiel: Der vielgenannte „TtmeS"-Korre- spondent in Peking, vr. Morrison, traf, auf einer Erholungsreise begriffen, vor einigen Tagen hier ein. Aus seinen Auslassungen gegenüber einem Inter viewer dcS Melbourner Blattes „The Argus" dürften einige Bemerkungen für deutsche Leser Interesse besitzen. In der auch hier zu Lande emsig betriebenen Schürung gegen Deutschland werben die„TimeS" als unfehlbar« Au torität betrachtet und vr. Morrison ist ihr Prophet. Der Herr sprach sich folgendermaßen auS: „Deutschland ist jetzt unser gefährlichster Konkurrent iy China. Die Deutschen sind dort nicht beliebt und das Gefühl bezüglich der Allianz in der Venezuela-Angelegenheft ist bei den im fernen Osten lebenden Engländern ebenso prononziert als bei. uns zu Hause. Der deutsche Konsul in Svangvai ist derselbe vr. Knappe, welcher sich in Samoa vor wenigen Jahren uns gegenüber so verletzend benahm, und er setzt trotz der Allianz dies Auftreten in gleicher Weise fort. Hiervon ein Beispiel. In einer ausschließlich mit Zoll- angelegenheiten verknüpften Mission besuchte einer unserer leitenden Männer vor einiger Zeit das Uangtse-Talgebteft vr. Knappe aber berichtete seiner Regierung, der Zweck jener Reise wäre, Arrangement- zur Besitzergreifung der Kiang-yui-FortS, welche den Aangtse Kiang beherrschen, zu treffen. — Gewichtige Beweismittel zeigen, baß Deutschland und Frankreich hinter England- Rücken agiert haben, um einen Sonbervertrag mit China abzuschließen. Das Resultat bestand in der folgenden Vereinbarung: 1) An einer etwaigen nochmaligen Okkupation Shanghais durch fremde Truppen nehmen Deutschland und Frankreich teil. 2) China übernimmt die Verpflichtung, keiner fremden Macht das Recht einzuräumen, irgend einen Punkt ober- oder unterhalb von Shanghai, welcher den Fluß Aangtse Kiang beherrscht, zu besetzen. 8) China übernimmt ferner die Ver. pflichtung, keiner fremden Macht irgend einen Vorteil, sei derselbe militärischer, maritimer, diplomatischer oder öko nomischer Art, im Aangtse-Gebiet einzuräumen. Dies ist zweifellos ein grober Vertrauensbruch England gegenüber und bezweckt die Hemmung unseres Fortschrittes innerhalb Englands natürlicher Ein flußsphäre, in welcher unsere Interessen 96 Prozent aus- machen verglichen mit Deutschlands 8sH Prozent und Frankreichs Prozent. Dabei hatte Deutschland sich be reits exklusive Rechte über eine ganze Provinz gesichert und Frankreich nicht allein die Konzession erlangt, seine Eisenbahnen in denjenigen Provinzen Chinas auSzu- Feuilleton. 5, Miß Kachel Saltonn. Roman von Florence Marryat. NaLdrncl verböte». „Sie werden bald die Arbeit nicht mehr nötig haben, Mr. Salter. Sie haben ja schon fast die Spitze der Leiter erreicht." „O nein, höchstens die ersten Sprossen. Wenn ich leben bleibe, so hoffe ich, weit höher zu klimmen. Aber wenn ich auch das Höchste erreichen sollte, so würde ich doch nie aufhören, zu arbeiten. Es ist mein Lebens element." „Sie lieben Ihre Kunst ebenso sehr, wie ich mein Catherstone, Mr. Salter." „Im Grunde noch viel mehr, Miß Saltonn. Sie lieben Ihre Besitzung, wie ein Kind seine Mutter liebt. Sie wurden hier geboren; es ist Ihnen durch die frühesten Erinnerungen lieb und vertraut. Aber ich liebe die Malerei, rvie ein Vater das Kind liebt, da unter seinen Augen aufgewachsen ist." „Und ist das die größere Liebe von beiden?" „Ohne Frage. Die Liebe des Kindes beruht aus Dankbarkeit. Die Elternliebe wird aber vor dem Kinde geboren. Denken Sie nur an Gottes Liebe zu uns Menschen. Ist sie nicht größer als unsere Liebe zu ihm?" „Sie glauben also an Gott, Mr. Salter?" Der Künstler wandte sich um und blickte sie erstaunt an- Er hätte seiner Ansicht nach kaum ein Künstler im wahren Sinne des Wortes sein und das Dasein eines Gottes leugnen oder nur bezweifeln können. Er war von guten, liebevollen Eltern in der warmen Atmosphäre eines trauten Familienlebens erzogen worden, nnd es erschien ihm wie eine Lästerung, als er einen solchen Zweifel von den Lippen einer Frau hörte. „Ob ich an Gott glaube?" wiederholte er. „Natürlich tue ich eS und Sic doch sicherlich auch, Miß Saltonn?" Sie standen nebeneinander in einer der Nischen des Drawing-Roonis, als er zu ihr sprach, und sie blickte aus das Tischchen hinab und ergriff ein emaillierte»- Papier messer, mit dem sie spielte, während sie etwas verwirrt antwortete: „Ich weiß wirklich mitunter nicht, was ich glauben soll. Ich wurde ja ganz ordentlich erzogen; aber seit ich meine eigene Herrin bin, habe ich alle möglichen Bücher gelesen, und meine Bernunftschlüsse sind etwa- über den Haufen geworfen. Ich liebe die deutsche Literatur sehr und habe Kant studiert und . . ." „Ja, ja, ich verstehe", warf Mr. Salter ein; „Sie haben sich in den Unglauben hincingelesen. Das gehört auch zum Segen Ihrer Freiheit. Auch ich habe jene Schriftsteller gelesen; aber ihre Beweisgründe hatten keinen Einfluß auf mich, weil ich ihnen einen Talisman entgegenhielt." „Und worin bestand der Talisman?" fragte Rachel voll Interesse. „In der Herzensgute meiner Mutter und in ihrer Liebe zu mir. Wenn ich daran denke, Miß Saltonn, dann kann ich nie am Dasein des Gottes zweifeln, der sie erschuf und sie mir schenkte." „Ihre Mutter lebt noch?" „Gott sei Dank, ja. Möchte sie mir noch lange erhalten bleiben! Sie ist der Notanker meines Lebens gewesen." „Ich schätze Sie sehr glücklich, eine Mutter zu besitzen", sagte Rachel mit weicherer Stimme. „Die meinige starb, als ich vierzehn Jahre alt war, gerade al- ich ihrer am meisten bedurfte, und mein Vater folgte ihr in demselben Jahre. Ich bin sehr unglücklich gewesen. ES war fast genug, um daran zu zweifeln, ob ein Schöpfer über mir wachte, finden Sie nicht?" „Nein", antwortete der junge Mann bestimmt. „Ich kann es nicht in diesem Sinne betrachten, obgleich Sie einen unersetzlichen Verlust erlitten . . . Aber wir kom men ganz von nnscrem Vorhaben ab. Wenn Sie mir freundlich sagen wollen, welcher Tag Ihnen passend er scheinen würde, um mir diese Stellen zu zeigen, die Sie auf Ihre Paneele übertragen zu sehen wünschen, dann will ich es mir aufschreiben, ehe ich aufbreche." „Könnten Sie Nicht heute nachmittag hier bleiben, Ich bin ganz frei." „Es tut mir leid; aber ich habe eine ander,veitc Ver abredung nm vier Uhr." „Aber Sic bleiben doch zum Lnuchevn bei uns! Es i'i bereit: die Glocke lmt eben geläutet." Mr, Walters ganze iurüctNaltung schien wiedrrgekehrt zu sein. Er war augenscheinlich nur von der Unterhaltung fortgerissen au- seiner Reserve herau-gegangen. Nun wurde er wieder derselbe, der er in seinem Atelier gewesen war. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Miß Saltonn; aber ich kann nicht bleiben. Wenn Sie mich den Tag wissen lassen wollen, an dem ich zu Ihnen kommen darf . . ." „Aber, Mr. Salter, das Frühstück steht auf dem Tische. Es hält Sie kaum fünf Minuten auf. Auch kann das Dogkart Sie nach dem Bahnhofe bringen." „Ich ziehe das Gehen wirklich vor. Ich bin ciu großer Spaziergänger; wenn ich Zeit hätte, dann würde ich am liebsten bis London gehen, anstatt den Zug zu benutzen." „Aber nehmen Sie doch wenigstens ein Glas Wein, ehe Sie aufbrechen. Ich fühle mich sonst ganz unglücklich", sagte Rachel. „ES tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern. Wird Ihnen der Mittwoch nächster Woche recht sein, nm mir die Plätze für meine Skizzen zu zeigen, Miß Saltonn?" fragte der Maler, sein Notizbuch in der Hand. „O gewiß, wenn Sie fest entschlossen sind, nicht zu bleiben", antwortete sie mit einem leichten Anflug von Ge reiztheit. „Vielleicht darf ich Sie dann um zwei Ubr zum Lunchevn erwarten, Mr. Salter?" „Vielen Dank, aber ich genieße nie ein Lunchcon", sagte er, noch immer mit seinem Notizbuche beschäftigt. „Also Mittwoch über acht Tage um drei Uhr dreißig. Ich werde pünktlich sein, Miß Saltonn. Adieu!" Mit einer Verbeugung verließ Mr. Salter das Hau». Rachel kehrte in daS Speisezimmer zurück, wo Mrs. Cran- ley sic etwas verstimmt erwartete. „Nun, wo ist denn der große Mann?" rief Kate Cran- lev auS. „Wird er denn heute nicht Ihr Gast sein?" „Nein; er kann nicht bleiben. Er hat um vier Uhr eine andere Verabredung." „Haben Si< denn alles befriedigend vereinbart, Miß Saltonn? Und haben Sie da» Erwachen der Seele ge kauft?" „Ach nein. Ich habe gar nicht daran gedacht", er widerte Rachel. „Wir hatten soviel über die Paneele des Drawing-RoomS zu sprechen. Das ist nun alles in Ord nung, und er kommt Mittwoch über acht Tage, um die besten Ansichten für die Skizzen auszusuchen. Sie werden achthundert Pfund kosten. DaS ist nicht teuer, wenn man denkt, wie groß die Paneele sind." Mrs. Cranley zuckte mit den Schultern „Sic sind «in glückliche« Wesen, daß Sie so denken können, Miß Saltonn. Aber ich glauL« wirklich, daß e« nicht teuer ist, da er voriges Jahr für fein Bild auf der Ausstellung fünfzehnhundert Pfund erhalten hat, wie ich höre. Was für ein glücklicher Mann, so rasch so viel Gelb verdienen zu können!" „Aber bedenken Sic auch die Arbeit. Mr. Salter meint, er würde voll« zwei Monate zu den acht Paneelen brauchen. Ich werde keinen Besuch in de» Drawing- Room lassen, ehe sie vollendet sind. Und es soll in alt englischem Stil eingerichtet werden, damit es zu -en Bil dern paßt. Mr Salter sagt- die jetzigen Stühle und Tische würden sein Werk tot machen. Es wird eine hübsche Unter haltung sein, alles anszusuchcn, MrS. Cranley." „Wird er sich denn während der Arbeit in Cathcrstone aufhalten?" „Nun, natürlich. Der arme Mann könnte doch nicht täglich nach London hin- und zurückfahren. Wir müssen ein Schlafzimmer und ein Rauchzimmer zur Verfügung stellen. Auch habe ich einen großen Plan vor, von dem ich nur noch nicht weiß, wie ich ihn ihm beibringcn soll. Glauben Sie wohl, daß er mir erlauben würde, dabei zu sitzen, wenn er die Skizzen ansninrmt, und daß ich sie zu gleicher Zeit malen könnte? Es würde mir ungeheuer vorwärts helfen! Und auch Ihnen, MrS. Cranley. Wir könnten unsere Staffeleien etwas hinter der seinen auf stellen und ihm bei der Arbeit über die Schulter sehen. Glauben Sie, daß er darauf eingehen wird?" „Er wird auf alle» eingehen, was Sie von ihm ver langen, Miß Saltonn. Sie sind seine Gönnerin nnd kön nen ihn in der vornehmen Welt in die Höbe bringen. Mich Arme, die ich weder Einfluß noch Geld besitze, würde er kaum in irgend etwa» unterstützen wollen!" „O, da- ist aber eine sehr häßliche Art, es auszufafsen!" rief Rachel. „Ich dachte weder an Vorteil noch Gewinn oder dergleichen. Ich meinte nnr, ob ich so dreist sein dürste, «S in freundschaftlicher Weise von ihm zu ver langen." „O, wenn Sic einen Freund ans ihm machen wollen, dann ist cS ja etwas ganz anderes nnd betrifft Sic und ihn ganz allein", versetzte Kate Cranley. Rachel ärgerte sich über die Wendung, die das 0 genommen hatte, nnd sagte nichts weiter. „Er ist jedenfalls ungewöhnlich hübsch", bemerkt« MrS. Cranley nach einer kleinen Pause. „Ich sah ihn mit Ihnen über den Flur gehen und sein Gesicht ist im Profil von vollkommener Schönheit. Gerade wie bei «iner Statue."
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