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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030528029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903052802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903052802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-28
- Monat1903-05
- Jahr1903
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Man habe aber, um das System des Militarismus zu retten, eine Konzession an die erregte öffentliche Meinung gemacht und Hüßner einer instruktionswidrigen Handlung schuldig befunden. Wer den ausführlichen Verhandlungs bericht unbefangen prüft, muß zu der Ueberzeugung gelangen, daß der „Vorwärts" entweder eine solche Prüfung nicht vor genommen, oder aber etwas behauptet, woran er selbst nicht glauben kann. Denn in der Begründung des Urteils ist ausdrücklich gesagt, daß die Aussagen des Angeklagten „keinerlei Unterstützung in den Instruk tionen finden". Tatsächlich bat in den Verhand lungen Hüßner eine höchst merkwürdige Unkenntnis seiner Instruktionen an den Tag gelegt. Von wichtigen Vor schriften wollte er erst nachher gehört haben, in anderen Punkten glaubte er an Pflichten und Rechte, die gleichfalls zu den Vorschriften in schroffem Widerspruche stehen. Aber eine andere Frage als die, ob an den Instruktionen nichts aus zusetzen sei, ist die weitere, ob Hüßner die Instruktionen zur Genüge eingeprägt worden seien und ob der An geklagte überhaupt fähig gewesen sei, in Geist und Sinn seiner Vorschriften ei n zud r in gen. Und diese letztere Fi age scheinen die Richter, die Hüßner mildernde Umstände zubilligten, nicht unbedingt bejaht zu haben. Zogen sie die Jugend des Angeklagten als strafmildernd in Betracht, so nahmen sie jedenfalls an, daß er noch nicht die Fähigkeit besitze, ohne ganz besonders eindringliche Belehrung seine Rechte und seine Pflichten im vollen Umsange zu erkennen. Und insofern ent hält das Urteil einen leisen Tadel, nicht gegen die Instruk tionen, sondern gegen diejenigen, die den unreifen und über dies mit manchen abstoßenden Charaktereigenschaften behaf teten Hüßner in eine Stellung brachten, in die er überhaupt nicht oder noch nicht paßte. Selbst die sreikonservative „Post" fühlt diesen Tadel heraus und eignet sich ihn an, indem sie ausführt: „Von einem Menschen, der das Offiziersexamen kurz zuvor bestanden hat und damit für befähigt erklärt ist, jeden Tag zum Offizier befördert zu werden, also die Stellung eines Vorgesetzten zu bekleiden, der ausbildend und erziehend auf die ihm anvertrauten Mannschaften einwirken soll, muß unbedingt so viel Reife verlangt werden, daß er genau mit den Vorschriften vertraut ist, welche den Waffengebrauch regeln und die Behandlung trunkener Untergebener behandeln. Jeder Soldat, der zum ersten Male aus Posten zieht, muß über den Gebrauch der Waffe genau instruiert sein. Um wie viel mehr soll ein unmittelbar vor seiner Beförderung zum Offizier stehender Fähnrich genau missen, wie er sich zu benehmen hat und in welchen Füllen er von seiner Waffe Gebrauch machen darf und muß!" Daß Hüßner nicht oder noch nicht in das Offizierkorps gehörte, tun überdies die Zeugnisse seiner Vorgesetzten, wie die Aus sagen seiner Kameraden hinreichend bar. Und hier, in der Auswahl derer, denen eine bei weitem größere persönliche Verantwortung obliegt, als reiferen Angehörigen anderer Be rufsstände, selbst Inhabern hober Staatsämter, sollte das eng maschigste Sieb gerade das rechte sein. Knaben, die den Dolck unter dem Vorwand ihres Amlscharakters dazu ge brauchen, um Schulbankrobeiten sortzusetzcn, gehören nicht an Stellen, wo ihnen dies möglich gemacht wird. So mag der traurige Vorfall von Essen in Verbindung mit dem gericht lichen Urteile den Marine- wie den Militärbetöl den eine ernste Lehre sein. Für Hüßner selbst bedeutet die Degra dation nach vierjähriger Gefängnishaft zum Glück dasselbe, wie die Entfernung aus der Marine. Sozialdemokratische Büberei. In der Nummer der sozialdemokratischen „Münchener Post" vom 26. d. M. beginnt, wie wir der „Münch. Allgem. Ztg." entnehmen, der Leitartikel mit folgenden Sätzen: Am 20. Juni wird auf dem Boden der Republik Hamburg ein Denkmal jenes Wilhelm errichtet, den die Fabel den Großen nennt. Hätte er in früheren Zeiten gelebt, da der Herrscher noch sichtbar unter den Augen des Volkes weilte und sein Beiname drum niitunter auch seine wahren Cha- raktereigen'chasten verriet — man denke an Otto den Faulen, der in der Siegesallee steht! —, so hätte man den ersten Kaiser des Deutschen Reiches wohl den Sparsamen genannt. Teilte er auch mit anderen Vorfahren, Nachfahren und Zeitgenossen seines Berufes die Eigenschaft, daß er für das Militär niemals Geld genug bekommen konnte, so verschmähte er doch völlig den Pomp der äußeren Repräsentation. Er schlief in einem Feldbett, hatte einen wahren Haß vor der Lerschwenoung von Brieikuverts, weshalb er am liebsten das Papier seiner Briese gefaltet zujaminenkleble, und führte einen hartnäckigen Kampf gegen die Einrichtung eines Bade zimmers in seinem Palais, die ihni von eifrigen Freunden auf gedrängt wurde. Tas Andenken dieses Mannes soll am 20. Juni in Hamburg gefeiert werden. . . Das ist alles, was das führende Blatt der bayerischen Sozialdemokratie, das gleich den übrigen Sozialistenblättern jeden verstorbenen „Genossen" wie einen Halbgott feiert, mit Hilfe seines Berliner Koriespondenten über „diesen Mann" zu sagen weiß! Wirksam stellt die „Allg. Ztg." der empörenden Auslassung folgenden Brief Kaiser Wilhelms I. an den Fürsten Bismarck gegenüber: Berlin 3. 3. 87. In einer Art Verzweiflung schreibe ich Ihnen. Sie haben beim Schluß Ihres letzten Vortrags gesehen, wie ich das Battenbergsche Msmoire, La es zu spät ivar, um es mir vor ¬ zulesen, in einer Mappe verschloß, die Mappe des Civilkabinets. Nach dem Dins, was ich allein einnahm, und nach demselben jene Mappe öffnete, um den Inhalt zu expsdieren, zog ich zuerst das quest: Msmoire heraus und legte es neben derselben hin ganz frei, expsdierte die Mappe und ging um 7 Uhr zu Bette und wollte das Msmoire nun im Lette in völliger Ruhe lesen. Mit der einen Hand nahm ich die Mappe, mit der anderen wollte ich das Msmoire, welches neben derselben lag, nehmen und sand es nicht, obwohl ich das Zimmer weder verlassen hatte, noch weniger irgend jemand hinzugekommen war. Natürlich war mein erster Gedanke, daß ich doch aus Koususion das Msmoire in die Mappe wieder gesteckt hätte; ich öffnete sie, sah jedes Papier, welches sie enthielt, sorgsamst nach — sand es aber nicht!! Darauf sendete ich die Mappe ab und legte mich nun eine Stunde lang aus das Suchen nach dem Msmoire, obgleich ich ganz genau wußte, daß ich das- selbe nicht wieder seit Ziehen aus dec Mappe ungerührt hatte. Er- schöpft von der Suche legte ich mich zu Bette, in Verzweiflung! Meine einzige, wenngleich geringe Hoffnung blieb, daß das Msmoire sich doch in einem der Wilmowskyschen Papiere versteckt be fände. Da mit den gestrigen Papieren mir von Wilmowsky das Vermißte nicht zuging, so schrieb ich ihm diesen Hergang, worauf er heute kam, daß ein solches Papier nicht in der guest: Mappe befunden habe. Ich aufs Neue auf die Suche. Alles vergebens! Es ist und bleibt unerklärlich! Denn niemand hat das Papier en guostiou nur sehen können! Und ein jo Geheimnißvolles Papier verschwunden!! Ihr Wilhelm. So schrieb, so sorgte, so arbeitete em neunzigjäh riger Monarch; so das Wahrbast rührende Bild des ersten deutschen Kaisers, wie es sich jedem wirklich deutsch empfin denden Deutschen in das Herz geschrieben bat. Am 16. Juni hat das deutsche Volk Gelegenheit, zu bekunden, wie es über ne Nichtswürdigkeiten denkt, mit denen die sozialdemokratische Presse das Andenken der Heroen anlastet, denen es seine Einheit und sein Ansehen in der Welt zu danken Hal. Das Rote Kreuz i« Frankreich. Die humanitäre Bewegung, die im Zeichen des Roten Kreuzes steht, kann auch in Frankreich auf ein großes und erfolgreiches Arbeitsgebiet zurückblicken. Im Palais d'Orsay fand dieser Tage die Generalversammlung der französischen Gesellschaft zur Pflege und Fürsorge für verwundete und kranke Soldaten unter dem Borsitze des Marquis de Vogue statt. Der Präsident der Republik, der Mittisterprüsideut, sowie der KriegSministcr, der Marineminister und der Leiter des Kolonialministeriums hatten Vertreter entsandt. Aus dem Berichte über die Tätigkeit der Gesellschaft im Jahre 1002 ging hervor, daß der Verein gegenwärtig in 213 Städten mit 317 Hospi tälern nahezu 18 800 der Krankenpflege bedürftige Sol daten unterbringen kann. Die sogenannten Dispensaires- EcvleS bereiten die Damen der Vereinigung für die Auf gaben ihres freiwillig übernommenen Berufes vor und tragen so wesentlich zur Vervollkommnung und höheren Leistungsfähigkeit der gesamten Organisation bei. In einer dieser Vorbereitungsanftalten, in der Dispensaire de Paris-Plaifance, haben im letzten Jahre etwa 4000 medi zinische und chirurgische Konsultationen, über 1000 Ope rationen stattgefunden, und in nahezu 20 000 Fällen fanden die angehenden Krankenschwestern Gelegenheit, sich in der Anlegung von Verbänden zu üben und zu betätigen. Aehn- liche Schulen bestehen in Cherbourg, Evreux, Marseille, Lyon, Rouen, Bordeaux, Grenoble usw. Seit mehr als dreißig Jahren hat die Gesellschaft in Uebereinstimmung mit den Satzungen der Genfer Konvention, also auch aus internationalem Gebiete, ihre hülfreiche Tätig keit in den Kriegen entfaltet, die in Frankreich, in Algerien, Tonking, Madagaskar, in Rußland, zwischen Spanien und Anrerika, in China und Südafrika stattgcfunden haben. Den weiteren Zielen der Gesellschaft gab der bekannte Akademiker Paul Deschanel Ausdruck, indem er als wünschenswert bezeichnete, daß die französische Organi sation zur Hülfeleistung uud Krankenpflege hinsichtlich der Zahl und Disziplin der Teilnehmer dem aktiven Heere gleichwertig würde, und daß schließlich die gesamte Organi. sation zur Fürsorge für verwundete und kranke Soldaten sich zu einer vom Standpunkte der sittlichen Pflicht obli gatorischen Dienstleistung ausgestalten möge. Der Redner schloß indem er darauf hinwies, daß der einfache Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie, der für die Größe deS Landes schafft, ebenso wie der dienende Mann, der sich für die Ehre seiner Nation opfert, im Dienste eines Ideal stehen, seine mit allseitigem Beifall aufgenonnnene An sprache mit den Worten: „So vereinigen sich in einer Art höheren Harmonie die beiden großen Ideen, die unsere Zeit beherrschen. Das Note Kreuz ist das lebensvolle Zeichen dieser notwendigen Vermittelung -wischen den beiden hehrsten Tugenden der lebenden Menschheit, zwischen dem Patriotismus und der Nächstenliebe." Der Zusammenschluß der europäische« Elemente i« Südamerika. Aus Santiago wird uns Ende April geschrieben: Es ist von großem Interesse, eine neue Erscheinung zu be obachten: angesichts der niemals gesicherten Lage in den südamerikanischen Staaten beginnt das europäische Ele ment sich nach der Heimatsgemeinsamkeit national zu organisieren. In Argentinien sind die Deut schen vorangegangen, hier in Chile sind es die Ita liener. Unter dem Vorsitze des italienischen Gesandten fand im vorigen Monate eine Versammlung von Ita lienern statt, um die vorbereitenden Schritte für einen im Mai abzuhaltenden Kongreß zu treffen. Die Italiener bilden unter dem fremden Elemente in Chile einen erheb lichen Prozentsatz, doch ist unter ihnen die Zahl der wohl habenden Leute verhältnismäßig gering, verglichen mit dem deutschen oder englischen Elemente. Der Zweck der erwähnten Versammlung und des bevorstehenden Kon gresses ist, die Italiener an der pazifischen Küste zu einer festen Organisation zusammenzufassen, um dadurch ihre materiellen und nationalen Interessen zn fördern. Zur Verwirklichung dieses Zweckes ist die Einsetzung eines ständigen Ausschusses beabsichtigt. Angestrebt wird, wie Feuilleton. 23i Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Remmingen nahm seinen Hut und ging auf den Bahrn Hof. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis der Zug end» lich in die Halle brauste. Reinhardt stand schon am Fenster und winkte ihm lachend zu. Nach einer herzlichen Be grüßung fing Berning natürlich an, ihn mit Fragen zu bombardieren. „Tu mir den einzigen Gefallen und warte die paar Schritte, bis wir im Hotel sind! Dort erfährst du ja alles haarklein!" „Du kannst dir aber doch denken, daß mich die Ungeduld umbringt, daß ich nicht so ruhig warten kann, bis du aus deinem göttlichen Phlegma dich aufraffst!" „Na, wenn die Unruhe dich all die langen Jahre nicht verzehrt hat, so wird sie dir die Viertelstunde auch noch Gnadenfrist lassen! Also komm!" Reinhardt übexgab einem Bediensteten des Hotels, den Franz mitgebracht hatte, seinen Koffer und den Gepäck schein für das Bild. „Nehmen Sie sich mit der Kfste in acht!" schärfte er dem Hausdiener ein. ,-Was hast du denn noch für Dondergepäck mitgcbracht? Du hast doch nicht mit Sack und Pack Italien und dein Atelier verlaßen?" „Eine Ueberraschung für dich. Wirst es früh genug er fahren!" Kurz darauf waren beide allein in Remmingens Zimmer, und hier brach Reinhardts volle Glückseligkeit ungehindert los. Franz lieb geduldig den ganzen Freuden- paroxismus über sich ergehen und lächelte still vor sich hin. „Also vor allen Dingen!" rief Reinhardt dann, indem er beide Hände des Freundes erfaßte, „wann werde ich sie sehen?!" „Heute mittag noch!" „Und wo?" „Im Kaiserhof!" „Sie liebt mich also noch?" „Ich glaube — ja; aber das mußt du sie selber fragen!" ,-Weiß sie denn, daß ich komme?" „Nein!" Reinhardt stutzte. „Tie — weiß cs nicht?" „Nein, liebster Freund, sie weiß es nicht, und cs ist bester so, daß sie es nicht weiß. Denn sich, zwischen beute und damals liegen drei lange Jahre, und viel, viel Bitter keit hat in ihrem Herzen mit der Liebe zu dir gerungen. Sie hat sich von dir aufs tiefste gekränkt gefühlt, hat sich aufgegebcn geglaubt von dir, da sie auf ihren Brief an dich — nie eine Antwort erhielt!" „Sie Hütte mir geschrieben?" „Sie „Hütte" nicht — sie „hat", mein Junge, daran ist kein Zweifel!" ,-Aber der Brief? Wo ist der Brief geblieben?" ,-Das weiß ich nicht, und bei der Post heute danach zu recherchieren, wäre zwecklos. Er ist eben nicht in deine Hände gelangt. Daß er dir geschrieben wurde, daß Ella die Wahrheit sagt, bedarf keiner Bestätigung, das mußt du eben glauben, wie ich es glaube!" ,Zat sie dir dies alles gesagt?!" fragte Reinhardt, in dem er Franz von der Seite ansah. „Sie selbst hat mir gar nichts gesagt. Ich habe ganz andere und bessere Bezugsquellen. Stumm hat sie vor mir all ihr stilles Hoffen auf dich, all ihr Leid tief versteckt, nur einmal, vor deinem Bilde in der Ausstellung, brach ihr Gefühl mächtig aus ihren Augen. Aber sie ist eine stolze, in sich gefestigte Seele, die sich verlassen glaubte von dir, und nie würde sie den ersten Schritt getan haben. So mutzt du ihn eben tun, nachdem du nun alles weißt, und ich glaube, du wirst ihn gern und ohne große Selbstüber windung tun?" „Ich tue alles, alles, wenn ich sie vergessen machen kann, daß sie meinetwegen gelitten!" rief Reinhardt auf springend und griff nach seinem Hut. „Bor allem führe mich jetzt hin zu ihr!" „Noch einen Augenblick, bis ich dich vollständig orien tiert habe. Ella befindet sich hier auf der Durchreise mit einer Dame, bei der sie als Gesellschafterin, als Vorleserin engagiert ist!" ,-Armes Kind!" stammelte Reinhardt, „Gesellschafterin, das groß veranlagte Mädchen mit der hochfliegenden Seele in abhängiger Stellung! Das hatte ich nicht er wartet!" verzeih' mir die Frage, aber als was dachtest du sic denn wicderzufinden? Es hat ihr nicht geschadet, denn im Kampf um das Dasein ist sie ein ganzer Mensch gewor den. Sie ist ja arm, natürlich, denn die Ihrigen haben sie verstoßen, als sie — deinetwegen den aufgcdrungenen Ver lobten ausschlug und lieber ins Elend flüchtete, aber ihre Stellung ist keine erniedrigende und keine unangenehme. Sie verdient sich eben ihr Brot, wie tausend mittellose junge Mädchen aus guter Familie." Die Dame, bei der sic engagiert ist, ist eine alte Freun din von mir, bei der ick sie gefunden habe." „Eine Freundin von dir? Kenn' ich sie?" „Dem Name» nach kaum!" antwortete Franz so ver legen, daß es Reinhardt bei all seiner Erregung nicht ent ging. „Es ist eine Baronin Wintcrbcrg!" Mit dieser liebenswürdigen Frau habe ich alles besprochen, denn sie schätzt Ella sehr hoch. Sie hat mich um 12 Uhr mit dir zu sich eingeladen, und während ich mit der Baronin eine Partie Piguct spiele, oder auch zwei — kannst du dich mit Ella vollständig aussprechen. Ob wir dann alle vier ge meinsam zusammen dinieren — das hängt vom Resultat deiner Unterredung mit Ella ab:" „Dann bitte, bestelle sofort das gemütlichste Extra zimmer in ganz Berlin!" jubelte Reinhardt, denn keine Stunde länger soll das Mädchen, das ich liebe, abhängig und unfrei dastehen im Leben, herumgestoßen unter fremden Menschen. Im Triumph will ich sie mir holen! Komm!" „Na, dann komm!" sagte Franz, und hielt ihm noch einmal herzlich die Hand hin. „Vorwärts — mit Gott!" Eine Viertelstunde später empfing Marianne die beiden Herren im Salon, Punkt 12 Uhr. Ella war nicht da, Die Baronin hatte sie gebeten, für sie eine Kommission zu machen, und Ella, die glaubte, daß Marianne den Baron gern allein gesprochen Hütte,wavbereitwilligstfvrtgcgangen. Als Marianne in den Salon trat, erschrak Reinhardt bis ins Mark. Beim ersten Blick hatte er das Original des Bildes erkannt, das er wohlverpackt in feinem Hotel zimmer stehen batte. Er stotterte ein paar verlegene Worte, da aber Franz mit keiner Silbe von sich und Marianne etwas erwähnt hatte, so hätte er es für indis kret gehalten, sein Erstaunen merken zu lassen. Auch ließ ihm die Baronin zu keiner Auseinandersetzung Zeit. Die Zeit drängte, denn Ella war schon über eine halbe Stunde fort und konnte jeden Moment zurückkommen. „Herr von Remmingen wird Ihnen alles nötige bereits gesagt haben", sagte Marianne, „daß wir bei einem Charakter, wie Fräulein Nöminger, alles von der Macht des Augenblickes und der Wirkung der persönlichen Be gegnung erwarten müssen. Ich wünsche Fräulein Ella, der ich vielen Dank schuldig bin, von ganzem Herzen alle- Glück, und diesen Wunsch können nur Sie in Erfüllung gehen lassen, Herr Berning. Wenn Sie also in dem an stoßenden Zimmer die junge Dame erwarten wollen, so soll es mir eine große Freude sein, ihr zu sagen, daß ein lieber Besuch sie erwartet." Reinhardt verneigte sich, küßte Marianne die Hand und zog sich in das Nebenzimmer zurück. „Famos gespielt!" lächelte Rcmrningen der Baronin zu und rieb sich vergnügt die Hände. „Sie sollten heute noch zur Bühne gehen, beste Freundin!" „Wenn Sie mein Partner sein wollen!" erwiderte sie mit schalkhaftem Lachen, „denn Sie, mein lieber Rem mingen, haben zum Mindesten so viel Talent zur Komödie, wie ich!" Franz errötete iinwillkürlich. Da war schon wieder eine so versteckte Anspielung. „Finden Sie nicht, daß ich für solch einen schweren Beruf viel, viel zu alt bin?" „Kokettieren Sic doch nicht immer mit Ihrem Alter. Sie sind in den besten Jahren, wo viele Ihrer Standes- genossen überhaupt erst heiraten, und das ist doch gewiß ein schwerer Beruf!" „Das war stark", dachte Remmingen. Aber vielleicht machte sie sich bloß über ihn luftig." „Uebrigcns ein hübscher Mensch, Ihr Freund Ber ning", sagte Marianne, „ein liebes, offenes Gesicht. Und «dabei so bescheiden, so ohne jede Spur von künstlerischer Arroganz, so frei von jeder Pose." „Ein Prachtmensch, Baronin, ein goldener Junge durch und durch, sonst hätte ich nicht gerade ihn mir zum Freunde ausgesucht. Hören Sie nur, wie ungeduldig er da drinnen auf- und abgcht. Das wäre zum Beispiel der einzige Mann auf der Welt, dem ich Sic gegönnt hätte." Marianne lächelte belustigt: „Es freut mich, daß Sie mir das Beste wünschen, aber für meinen Gcichmack wäre er zum Heiraten zu jung. Biel zu jung.'" Jetzt trat eine Verlegenheitspause ein, in der Remmingen in all seinen guten Vorsätzen schwankend wurde, denn vielleicht war er wirklich noch gar nicht so alt, wie er dachte. Er wollte eben fragen, wie alt wohl ungefähr der Mann sein müßte, der ihrem Gattenideal entspräche, als Ella auf der Schwelle erschien. Sofort ging Marianne auf sie zu und Remmingen zog sich diskret in die Fensternische zurück. „Liebste Ella", begann die Baronin, „Sie haben einen Besuch bekommen, der dort im Zimmer auf Sie wartet und Sie durchaus sprechen muß." Ella stutzte und sah bald Marianne, bald den Baron an, der nervös sein Monocle durch die Finger tanzen ließ. „Einen Besuch?" „Ja, er kommt von weit her, nur Ihretwegen." Weiter brauchte sie nichts zu sagen. Es gibt Mo mente, wo das ahnungsvolle Herz dem Menschen mehr sagt, als ape Worte. Das junge Mädchen flog an Marianne vorbei mit glühenden Wangen, alles nm sich her vergessend, riß dieTür auf, und beide hörten nur einen lauten Jubelschret — Reinhardt! . Dann schloß Marianne leise, ganz leise die Tür, und ließ die Portiere darüber zufallen. Sie ließ sich darauf in die Lofaecke nieder und Rem mingen blieb regungslos am Fenster stehen. Nach einer Weile sagte sic mit einem Blick auf die Tür: „Ich denke, die Beiden werden wohl gemeinsam mit uns zum Diner bleiben." „Ja", sagte Kranz lakonisch, „das scheint mir auch so!" „Das habe ich vorausgcschen, und der Gemütlichkeit wegen Ordre gegeben, daß man uns in dem kleinen Speise- zimmer im ersten Stock allein serviert." „Sic denken doch an alles!" „Ja, ich habe eben die Hausfrau noch immer nicht ver lernt. Ich habe mir auch das Vergnügen gemacht, Herrn
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