02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020801020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080102
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-01
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Während Wolff'» Bureau den Kaiser mit Bezug auf Emden, da» nie durch Schreien und Klagen in Bitterkeit den veränderten Zeiten Rechnung getragen, sagen läßt: Fürwahr rin große» Beispiel, an dem sich viele meiner Landsleute rin Muster nehmen sollten. lautet der Bericht de» »Hannoverschen Courier»" und einiger anderer Blätter, die aber auch von Wolff bedient wurden, wie folgt: Fürwahr ein große» Beispiel, an dem sich viele kleine Landleut« rin Muster nehmen sollten. Die letztere Version ist wahrscheinlich auf irrtümliche Uebermittelung zurückzuführen. Praktisch hat die Ab weichung gar nicht» zu bedeuten, denn daß die kaiserlichen Worte gegen die Agrarier gerichtet sind, bedarf keiner Verdeutlichung. — UebrigenS faßt selbst die agrarische Presse die Worte so auf. Die „N. A. Z." bringt die Rede in erster Fassung; der „ReichSanz." weiß nur zu melden, daß „Seine Majestät auf eine Ansprache er widerte". Von der ganzen Rede bringt er kein Wort. Und das meldet das amtliche Blatt auch noch unter falschem Datum. Nach seinem Bericht wäre nämlich der Kaiser am 29. Juli in Emden gewesen, während der Kaiser tatsächlich am 30. Juli dort war. > Die „Berliner Polit. Nachrichten" schreiben: „Wenn jetzt bereits über die im nächstjährigen Reichshaushalts« etat vorzuftndenden Forderungen für Schisssneubautcn der Kriegsmarine ganz sicher auftrctende Mitteilungen verbreitet werben, so ist daran zu erinnern, -aß mit dem Beginn des August überhaupt erst das Stadium der Ver handlungen zwischen den in Betracht kommenden Nctchs- vessorts damit, daß an das Reichsschatzamt die Ncuan- Meldungen eingcreicht wurden, begonnen hat. Bon irgend welchen endgiltigen Einstellungen in den Neichshaushalts- ctat für 1003 kann demgemäß keine Rebe sein. Was den Neubau an Linienschiffen und Kreuzern betrifft, so ist dessen Fortsetzung durch das Flottengesetz genau begrenzt, und es darf als sicher angenommen werden, daß, wie bis her, so auch jetzt, die Reichsverwaltung sich in diesen Grenzen bewegen wird. Der Sollbestand an Linien schiffen beläuft sich nach dem erwähnten Gesetze auf 88, davon sind 31 vorhanden oder im Bau begriffen, der Soll bestand der großen Kreuzer betrügt 14, wovon der 12., „Ersatz Kaiser", im diesjährigen Etat bewilligt wurde, der Sollbcstand an kleinen Kreuzern von 38 ist dem wirklichen noch um 5 Kreuzer voraus. Daß auch Neubauten von Schiffen, die in dem Flottengesetz nicht erwähnt werden, geplant werden, dürfte, da sich ein Bedürfniß danach als dringend nothwendig hcrausgestellt hat, als ziemlich sicher anzusehen sein, indessen ist es durchaus verfrüht, bestimmte Mitthetlungen über die in dieser Richtung im nächst jährigen Etat auftretenden Forderungen zu bringen. Im klebrigen werden im nächsten Etat weitere Raten für 6 Linienschiffe, 2 große Kreuzer und 6 kleine Kreuzer ver langt werden. Die Bemessungen dieser Raten stehen na türlich auch noch nicht fest, sie dürften aber so eingerichtet werden, daß die betreffenden Bauten möglichst schnell ge fördert werden können. DeS Ferneren würden weitere Raten für den Umbau der Schiffe der Stegfriedclasse und zu baulichen Verbesserungen an den Linienschiffen der Brandcnburgclasse eingestellt werden. Ter Umbau der Siegfriedclasse ist auf nahezu 15 Millionen Mark veran schlagt, wovon rund IOV2 Millionen bewilligt sind, die Ver besserung an den Linienschiffen der Brandcnburgclasse auf 3 Millionen Mark, wovon 1^ bewilligt sind. Auch für cinKanvneuboot und für eineTorpedobootsdivision werden weitere Raten eingestellt werden müssen. Daß auch i>n Etat für 1903 ganz beträchtliche Summen für ArmirungS- zwecle werden gefordert werden, ist als selbstverständlich anzusehen." — Diese Erklärung bezieht sich vffenlbar auf eine Ankündigung der „Voss. Zig.", die besagte: Von den Forderungen für Schiffsbautcn ist von besonderem Inter esse, daß der Etat wieder sechs erste Bauratcn enthalten wird, von denen drei auf Linienschiffe und Panzerkreuzer und die anderen drei auf die kleine Kreuzerclasse entfallen. Die Etatsstärke des Mili tärpersonals unserer Kriegsflotte, die bisher 33 408 Köpfe zählte, wird im neuen Etatsjahre zum ersten Male über 85 000 Mann betragen. Auch soll der neue Etatsvoran- schlag eine erste Rate für die Vorarbeiten des neuen Ge bäudes des R e i ch sm a r i n e - A m t s in der Bellevue straße aufführen, nachdem das seiner Zeit in Aussicht ge nommene Projekt desselben in der Prinz Albrcchtstraße, neben dem neuen Abgeordnetenhaus«:, definitiv fallen ge lassen worden ist. . Die englische Regierungspartei hat bei der Ersatzwahl in North Leeds bekanntlich eine Nieder lage erlitten. Der Wahlkreis war seit 1885 in Händen des conservativen Mr. Jackson, der ihn abtrcten mußte, weil er zum Peer erhoben wurde. Bei der letzten Wahl im Jahre 1900 belief sich die konservative Majorität auf 2517 Stimmen, und es hatte wohl Niemand angenommen, daß diese Majorität zwei Jahre darauf in eine Minorität von 758 Stimmen verwandelt werden würde. Die jetzt für den liberalen Candidatcn Mr. Rowland Barran ab. gegebenen Stimmen übersteigen die Zahl der Stimmen für den konservativen Candidatcn bei der Wahl im Jahre 1000 und zeigen für die Liberalen gegen damals einen Zuwachs von 2544 Stimmen. Der Hauptgrund dieses merkwürdigen Wahlergebnisses ist wohl das Erlöschen der durch den Krieg entflammten Leidenschaft, die nicht mehr Conscrvative und Liberale, sondern nur noch Anti- und Prv-Noercn kannte. Als weitere Grüi^de für die Nieder lage der Regierung sind dvs klerikale Schulgesetz und die Kornsteuer anzuschen. Die liberalen Blätter triumphircn natürlich und die konservative Presse verhehlt nicht ihre Bcsorgnitz über dieses Wahlergebniß. Die „Daily News" prophezeien der Regierung wcUere schwere Niederlagen, falls sie in der Frage der Brvdzölle und der Schulvorlage keine andere Haltung annchme. Sie weisen auch auf das Resultat der letzten Wahl in Bury hin, nicht mit Unrecht. Auch bei dieser Wahl siegte der Liberale über den Tvr»- Candidaten mit einer Majorität von 414 Stimmen, der bei der vorhergegangencn Wahl eine Stimmenmehrheit von 072 auf sich vereinigt hatte. Die Zahl der Ucbcrläufcr ist also in beiden Wahlen eine recht beträchtliche gewesen. Auch das locale conscrvative Organ in Leeds, die „dork- fhire Post", führt die Niederlage der Unionisten in der Hauptsache auf die von Balfur eingenommene Stellung zur Schulvorlage zurück. Leeds hält viel auf seine Volks schulen und will sic unter keinen Umständen in die Hände der Geistlichkeit überliefert wissen. Die „Times" schreiben: „Die Wahl in North Leeds, die erste unter der Prcmier- ministerschaft Balfour, ist ein ausgesprochener und unan genehmer Schlag für die Regierung, obgleich wahrschein lich ihre Bedeutung von einer jubilirenden Opposition stark überschätzt werden wird ... In gewissem Maße, wenn es auch schwierig ist zu sagen, wie weit, sollte die Regierung in dieser Wahl den Wink erkennen, daß sie in ihren Bemühungen den Wünschen und Bedürfnissen der Nation zu entsprechen nicht nachlassen darf. Die Kriegs- fpannung ist verschwunden, die Lage des Reiches eine weniger ängstliche geworden und deshalb treten alle die kleineren Unzufriedenheiten und Meinungsverschieden heiten deutlicher hervor, die bei Ergänzungswahlen eine so bedeutende Rolle spielen. Zweifellos werden durch das Schulgesetz, welches mit so großem Eifer eine falsche Aus legung erfahren hat, und so wenig verstanden wird, die Schwierigkeiten erhöht, mit denen die unionistischcn Can- bidaten zu kämpfen haben." Die Mitglieder des serbischen Senates und der Skupschtina wurden korporativ vom König in Audienz empfangen. Auf die Begrüßungs-Ansprachen beider Prä sidenten erwiderte der König mit einer längeren Rede. Er bete nie, daß das jetzt eingcbrachte neue Anleiheprojeet eine wichtige finanzielle Vorlage sei, welche eine ebenso rasche als sorgfältige und zweckmäßige Erledigung er heische. Mit Befriedigung hob der König hervor, daß im Laufe der vergangenen Tagung eine ganze Reihe störender Hindernisse auf parlamentarischem Gebiete aus dem Wege geräumt wurde, und gab der Hoffnung Aus druck, daß die parlamentarischen Körperschaften auch fort an auf dieser Bahn sortschreiten und Serbien unter den heutigen schwierigen Verhältnissen zur Sammlung seiner Kräfte und zur Herstellung jener Stabilität verhelfen werden, deren das Land unbedingt bedürfe, wenn es sei nen nationalen und wirthschaftlichen Beruf erfüllen solle. „Bei Verleihung der neuen Verfassung", fuhr der König fort, „lag es keineswegs in meiner Absicht, neue Cirnnd- lagen für etwaige parteipolitische Gegensätze und Zer würfnisse zu schaffen, weil ich dafür hielt und halte, daß wir uns in diesem ernsten Augenblicke nrit -en bekannten kleinlichen Streitfragen unserer inneren Politik über haupt nicht befassen dürfen. Mein Wunsch ging dahin, einen festen Stützpunkt für die ersprießliche Entwickelung unseres Landes ausfindig zu machen und Jedermann Ge legenheit zu bieten, im Dienste für König und Vaterland zur staatlichen und öknonomischen Consvlidirung Ser biens nach Kräften beizutragen. Heute können und dür fen mir keinen Wettbewerb um mehr oder minder erreich bare politische Freiheiten betreiben. Diesmal gilt cs, Serbien zu kräftigen, seine staatlichen, wirthschaftlichen und nationalen Grundlagen zu befestigen und dauerhaft zu gestalten, und die Zeit ist theuer." Der König begrüßt es daher mit Genugthuung, daß die Skupschtina auch an läßlich der letzten Krise die Einsicht und Erkenntnis; be kundete, daß der jetzige Airgenblick für kleinliche Ränke so schlecht wie möglich gewählt wäre, und wünscht den ge setzgebenden Körperschaften Glück zur Arbeit, die sic zum Wohle des Vaterlandes und der Dynastie zu verrichten haben. Deutsches Reich. p. s. Berlin, 31. Juli. (M e r k b l a t t f tt r Mündel.) Das Armenamt in Frankfurt a. M. hat eine nachahmenswerthe Neuerung getroffen. An alle Mündel, denen vom Armcnamt ein Vormund bestellt wird, wird bet Gelegenheit ihrer Schulentlassung ein „M erkblatt" zu gestellt, das eine Anzahl Angaben enthält, die zu wissen für das Mündel thcils nothwendig, theils nützlich sind. Das „Merkblatt" enthält nicht nur Namen und Wohnung des Vormundes des Mündels, sondern auch die Adressen des Waisen- und Armenamtes selbst, des Bezirks-Waisen- rathes, ferner die am Orte bestehenden Vereine zur Jugendfürsorge, die Lesehallen, Freibibliotheken, die Rechtsschutz- und Auskunftsstellen, die öffentlichen Museen mit Angabe der Besuchsstunden, die Volksküchen, Bade anstalten u. s. w., kurz alle gemeinnützigen Anstalten so wohl nicht confessioneller, als auch confessioneller Art, deren Kenntniß einem jungen, alleinstehenden Menschen nothwendig oder nützlich ist. Diejenigen Anstalten, die im betreffenden Falle besonders wichtig sind, sollen unter- strichcn werden, also z. B. bei Lehrlingen die Aufenthalts säle und die Lesehallen, bei jungen Mädchen die Flick schulen und Haushaltniigsschulen, bei allen die Museen u. s. m. Es hat sich bisher als schwerer Mangel heraus gestellt, daß die jungen Leute von den Anstalten, die ihnen nützlich sein können, gar nichts wissen, während die Kneipen und Tanzböden ihnen naturgemäß schnell bekannt werden. /X Berlin, 31. Juli. (Die Neichstagsersatz- mayl in St. Goarshausen-Montabaur.) So „glänzend", wie das Centrum seinen vorauszuschcndcn Lieg im früheren Licber'schcn Wahlkreise hinstellt, ist er durchaus nicht. Die Mehrheit, mit der der Centrumo- candidat Dahlem aus der Wahlurne hervorging, betrug sogar 424 Stimmen weniger, als die im Jahre 1898! Und wenn der Bund der Landwirthe nicht die leidige Spaltung herbcigcsührt hätte, die von vornherein jede Aussicht auf einen ansehnlichen Erfolg gegenüber der ge schlossenen Phalanx der Centrnmswähler in Frage stellen mußte, so würde sich olme Zweifel die Spannung zwischen der Mehrheits- und Minderheitszahl noch erheblich ge ringer gezeigt haben. Die Wahlbctheiligung war, außer bet -er Socialdemokratie, iudeß diesmal bedeutend leb hafter, als im Jahre 1808. Damals wurden insgesammt 15 710, am 28. Juli d. I. jedoch 18 492 Stimmen abgegeben. Nach dem jetzt vorliegenden endgiltigen Ergcbniß erhielt das Centrum 10 631, der Nationalliberale 3755, der Bund der Landwirthe 3454 und der Socialdemokrat 652 Stimmen. Der Nationalliberale hat also einen Vorsprung von 301 Stimmen vor dem Candidatcn des Bundes der Landwirthe voraus. Die drei Gegner des Centrums ver einigten 7861 Stimmen auf sich, die Mehrheit des letzteren beträgt also 2770 Stimmen, während sie sich im Jahre 1898 auf 3104 (9452 gegen 6258) belief. Der glänzende Sieg des Centrums besteht also darin, baß — bet viel stärkerer Wahlbetheiligung — seine Stimmen gegenüber dem Jahre 1898 nm 424 Stimmen gegenüber den anderen Parteien zurückgegangcn sind! Die von dem Bunde der Landwirthe eingelcitete Wahlbewegung richtete sich daraus nicht, wie die Centrumsblätter glaubhaft machen wollen, um ihren Sieg noch mehr hervorznhebcn, gegen das Centrum, sondern einzig und allein gegen die Na- tionallibcralcu. Der Bund würde aber schwerlich einen derartigen Erfolg aufzuwcisen vermögen, wenn nicht der Landrath Berg gütigst für ihn gewirkt und eingegrisfen hätte. Das Cavite! über Landräthe und Negierung ist trotz der gescheiterten Eanalvorlage noch längst nicht aus geschrieben. * Berlin, 31. Juli. (Deutsche Sprache in den Schutzgebiete n.) Der Verein für deutsche An sw a n d er e r w 0 h l f a h rt zu Hannover ist für die Verbreitung der Kenntniß der deutschen Sprache unter den Eingeborenen der für Be- Feuilleton. iss Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. Gabriele hatte einmal der kranken Ellida in einer schwachen Stunde, in der auf Genesung wenig Aussicht war, das Versprechen gegeben, tm Circus zu sein, falls sie noch einmal austreten würbe. Sie mußte ihr Wort einlösen, so schwer es ihr auch jetzt wurde. Der Doctor war durch keine Zusage gebunden. Er war seit seinen frühesten Kinderjahren, wo ihn einmal ein Onkel beim Schützenfeste in der Kreisstadt in eine kleine Kunstreiterbude geführt, niemals wieder in einem Circus gewesen. Die Schaustellungen dort stießen ihn ab, und für Pferde hatte er kein Interesse. Auch Ellida hatte er nie reiten gesehen, auch nie das geringste Verlangen danach empfunden. Im Gegentheil, eine unbestimmte Scheu hatte ihn stets davon zurückgehalten, seine Schülerin in ihrer Sphäre aufzusuchen. Diese Scheu regte sich niemals so als gerade jetzt, nach dem Entschlüsse, den er gefaßt hatte. Und doch wie» er die Logenplätze nicht zurück, die ihm der aufmerksame Herr Koralli in» Haus gesandt hatte. Es ging thm wie ungezählten Menschen: Das, was sie nicht wollen, wogegen sie fast ein inneres Widerstreben em pfinden, das thun sie, als zwänge sie eine unbekannte Ge walt dazu. War es vielleicht sein Berhängniß, das ihn zu Elltda's Ehrenabend in den Circus trieb? Das Innere des großen CtrcusgebäudeS hüllt geheim- nißvolleS Halblicht. Ueberall Geschäftigkeit. Diener in reicher Livr6 Harken in der Arena umher. Auf dem Orchesterplatze über dem Stalletngang packt man die In strumente aus, hier und da wird eine Geige gestimmt, denn tm CtrcuS Brottt-Wellhoff giebt eS auch Streich instrumente. Die Stallmeister beginnen sich zu versammeln und blicken mit sichtbarem Interesse auf bas unablässig zuströmende Publicum, ein lange nicht genossener Anblick, an dem sich besonders Frau Brotti weidet, die unten in einer Ecke am Stalleingang steht, denn die Direktorial- löge ist heute ebenfalls an einige Gönner verkauft. Draußen schlägt die Thurmuhr von St. Jacobi die acht« Stunde, da zucken mit einem Mal sämmtltche elektrischen Flammen auf und übergießen den Circus mit einem Meer von Licht. Die Hauscapelle beginnt die ersten Accorde, ein lärmender Triumphmarsch rauscht durch das Haus. Als der Doctor in seine Loge tritt, ist der Stuhl neben ihm noch leer. Erst nach dem Beginn der Vorstellung er scheint Gabriele. Er merkt sofort, wie sich einige Opern gläser aus den Nachbarlvgen auf sie richten. Und in der That, gerade in dieser Sphäre, inmitten der aufgeputzten Damenwelt, bildet die einfache Mädchengestalt in der ungekünstelten Erscheinung einen Anziehungspunkt, auf dem das Auge mit Wohlgefallen ruht. Gabriele aber scheint wenig von der Aufmerksamkeit zu merken, die sie erregt, wenigstens beachtet sie das nicht. Sie lehnt sich mit ungcsuchter Nachlässigkeit in den weichen Sessel, der Kopf ist znr Seite geneigt, unter dem dunklen Filzhut sicht man die blonden, schlicht gescheitelten Haare und die ruhige Stirn. Die Hellen Augen aber blicken auf die Welt dort unten wie zwei Kinderaugcn in das Land des Unbekannten, Unbegreiflichen, neugierig halb und halb entsetzt. Fritz Mollinar aber sieht von alledem nichts. Nur ein mal wendet er sich seitwärts, als gerade etn Stuhl hinter Gabriele besetzt wird. Der Eintretenbe ist Doctor Bau mann. Gabriele begrüßt ihn mit herzlicher Freude. ES scheint ihr wohlzuthun, inmitten dieser fremden Welt ein vertrautes Gesicht zu sehen. Ab und zu plaudert sie auch mit ihm in der unbefangenen Weise, die ihr eigenthttmltch ist, und er scheint in dem wetten Circus mit all' seinen wechselnden Herrlichkeiten nichts zu sehen, als die lieb reizende Mädchengestalt vor ihm. Fritz hat ihn nur kurz, fast unwillig begrüßt. Die dicken Brillengläser wenden sich dann wieder der Manege zu, als wollten sic in ihrem Sande sich festbohren. Es sind die üblichen ersten Nummern, die sich da unten abspiclcn. Ein langweiliges cio cieux auf zwei nebeneinander schnau benden Pferden von einem ausgczebrlen Herrn und einer corpulcntcn Dame geritten, aus dem Programm „Ge schwister" Veroni genannt» ein Clown, der durch unschöne Gltederverzcrrungcn zu ersetzen sucht, was ihm an Witz abgeht, eine mäßige Schulleiterin, schließlich Frau Koralli als „Miß Antoinette" aus dem Panneau reitend und Uber bunte Bänder und durch papierne Reifen springend. Frei lich, über das todeStraurtge Gesicht kann ihn weder die dick aufgetragene Schminke, noch da» stereotype Lächeln hin- wcgtäuschcn. Die Alle, di« da unten auftreten, sind nur von dem einen Wunsche erfüllt, Ehr« einzulegrn vor d«m voll«» Haus« mit ihrer Arbeit; aber vergeblich ist alle ihre Mühe und Kraftaufwcndung. Das Publicum will Miß Ellida sehen! Ihretwegen nur ist es in den Circus gekommen. Die alten, verbrauchten Nummern reizen es nicht mehr. Je weiter daö Programm fortschreitet, um so fieberhafter wird die Spannung. Endlich, endlich Nr. 6: „Miß Ellida, die größte Parforcereiterin des Cvntincntsl" Die Musik setzt ein, leise träumerisch. Wie jeder Artist, hat auch sie ihr eigenes Musikstück, das ihr Auftreten an kündigt und ihre Arbeit begleitet. Die Bande am Stall etngang fliegen auseinander. Ein Diener führt ein Pferd in die Manege, einen kräftig gebauten Fuchs, trotz allen Aufputzes plump im Exterieur, aber von ge fälliger Vorderhand, breit im Rücken und stark in den Fesseln. das rechte Parfvrcepferd, aber nicht zu vergleichen nrit der temperamentvollen „Diana" und ohne die vornehme Haltung, die sie auszeichnetc. Darauf erscheint Herr Koralli mit der langen Stallmeisterpeitsche, ganz Würde und Feierlichkeit, eine kurze Pause noch, athemlose Stille überall, dann ein Murmeln, ein Rufen, ein Klatschen, langsam beginnend und nun anwachsend zum Orkan. Zwischen den Rethen -er Stallmeister hindurch, die Spalier bilden, von dem eleganten Direktor in eigener Person geführt, ist Miß Ellida in die Arena getreten. Mit der Grandezza einer jungen Königin verbeugt sie sich nach allen Seiten. Herr Koralli und der Herr Direktor heben die Blumen und Kränze auf, die zu ihren Füßen niedcrregnen, und unter ihnen sind viele, die nicht von der Frau Direktor gekauft sind. Ellida lächelt nur. Als die Bahn frei ist, führt der Direktor sie ans Pferd, auf dem sic in der nächsten Sekunde sitzt und wieder lächelt, kein herausforderndes, siegesbewußtes, etn verschämtes, süßes Lächeln, das alle Herzen bezaubert. Sie ist ganz in Weiß gekleidet, weiß die seidenen TricotS, die sich um vollendete Formen hüllen, weiß die atlaSüberzogenen Stiefeletten, weiß das kurze Röckchen. Die Arme sind frei und der blendende Nacken, ja, ihr Ausschnitt ist tiefer, als ihn sonst die gute Parforcereiterin trägt, die nicht gern durch ein kokettes Aeußere von ihrer Arbeit abzieht. Und zu dem Weib ihrer Kleidung und dcS schönen HalseS in wohlberechnetem Gegensatz stehend die dunklen Augen und das rabenschwarze Haar, bas kunstvoll geordnet und mit einem Zweige von Frühlingsrosen durchflochten ist; etn gleicher liegt über der Brust. Ellida reitet erst langsam und mit großer Vorsicht, Herr Koralli hat Mühe, da» Pferd in dem ruhigen Galopptcmpo zu halten, dessen die Reiterin zn ihrer Arbeit bedarf, wenn man es so nennen darf. Denn sie macht noch keinerlei Exercitien, sie reitet fast passiv. Aber ge rade in dieser sinnlich träumerischen Ruhe, in der sic sich auf dem breiten Rücken des Pferdes wiegen läßt, liegt eine prickelnde Anmuth. Sie ist doch noch angegriffen, man merkt cs ihr an, heißt es in dem naiven Publicum, das keine Ahnung hat, wie bet den Leuten der Arena nichts ohne die rafftntrteste Berechnung geschieht, wie jeder Trick mit ausgeklügelter Ueberlcgung vorbereitet wird. In' seiner Loge aber sitzt Doctor Fritz Mollinar, regungslos, und kann cs nicht glauben, nicht fassen, daß dieses verführerische Weib, das ihre Reize lächelnd hier prciSgtcbt, dasselve Wesen sein soll, das lernend in seiner stillen Studirstube gesessen, so manches Mal, ganz wie ein anderes junges Mädchen, dasselbe Wesen, daö gestern, gestern erst — Die Retterin hat die erste Tour beendet. Eine kurze Pause tritt etn. Ein Clown, der als „August" das Zwischenentrc-e hat, fliegt mit einem Salto mortale in ''ie Arena, läßt sich unterwegs von einem Stallmeister eine schallende Ohrfeige geben, erwidert dieselbe kräftig, stürzt auf die Retterin zn, überreicht ihr ein mächtiges Bvugnct nnd begrübt sic mit lautem Weinen der Rührung. Die Galerie jubelt, auch die schöne Reiterin, die lässig auf dem Pferde ruht und die dunklen Augen im Zuschaucrraum umhertrren läßt, schlägt ein fröhliches Lachen an. Wie reizend, heißt cS wieder im harmlosen Publicum. Die Musik beginnt, nicht in so weichen, elegischen Tönen, wie vorhin, laut, schmetternd, bombastisch, klingen die Blechinstrumente durch den Circus und überschreien bald die wenigen Streichinstrumente. Kerzengerade steht Miß Ellida auf dem Rücken des Pferdes. Aber nicht lang sam mehr oder in gemäßigtem Tempo galvppirt dieses durch die Arena, sondern schnell, immer schneller, rastlos getrieben von Herrn Korallt's weitreichender Stall meisterpeitsche, von den hetzenden Zurufen seiner Retterin, die jetzt ihre Tricks beginnt, mitten in der sausenden Carriöre ans dem Pferd hcrmnvoltigtrt, von ihm herab- springt und dann wieder hinauf, meist mit ganz kurzem und sicherem Ansatz, während der Fuchs in un gemindertem Tempo dahinrast. „He, holla, holla, hoppa, he!" Immer unablässiger knallt die Stallmeisterpeitschc, immer tollkühner arbeitet die Reiterin. Und jetzt ist eS
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