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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030624024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-24
- Monat1903-06
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Anzeigen »Pret- die -gespaltene Petttzeüe 2Ü Reklamen unter dem Redaktion-strich <4gespalten) 7V vor den Familienuach» richten (vgeipalten) 80 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenanuahme 25 (excl. Porto). <?rtra-Beilagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderuog ^8 60.—, mit Postdesürderung 70.—. Hnnahmeschluß für Äuzeigea: Abead-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abeudS 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Nr. 316. Mittwoch den 24. Juni 1903. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. - * Leipzig, 24. Juni. Al» Absage an die KSntg-treue faßt die sozialdemokratische .Wiener Arbeiterzeitung- den Ausfall der deutschen ReichStagSwablen auf. Der .Vorwärts- veröffentlicht mit Behagen die nachstehende Aus- laffuog des genannten BlatteS: „Aber auch Kaiser Wilhelm hat nun seine Antwort. Er hat den deutschen Albeitern mit väterlicher Strenge zugeredet, sich von der Sozialdemokratie abzuwenden. „Mit solchen Menschen könnt und dürst Ihr al« ehrliebende Männer nicht« mehr zu tu« habe«!" So hat zu den deutschen Arbeitern ihr Kaiser ge- sprachen, und nun haben sie ihm gründlich Bescheid gegeben. In den zwei Berliner Wahlkreisen, wo die ungeheure Majorität der Sozialdemokraten von vornherein sicher und unanfechtbar war, sind heute 40000 Arbeiter mehr al« vor sünf Jahren zur Urne geschritten, nicht um den Sieg ihre« Kandidaten zu sichern, der nicht zweisrlhast war, sondern um dem Kaiser Wilhelm zu sagen, wa« die Ehre des deutichen Arbeiters ist. Er hat sie aufge rufen zur „König-treue", sie sind hingezogen, um zu be- zeugen, daß sie treu sind der Sozialdemokratie, treu der roten Fahne, treu der Sache der Befreiung des Proletariats". Selbstveistäavlich werden nun nach den Stichwahlen die „Wiener Arbeiierzeituag- und der .Vorwärts- alle für sozialdemokratische Kandidaten abgegebenen Stimmen als solche bezeichnen, die der König-treue eine Absage erteilen wollen. Es muß ein erbebendes Gesühl für die vor der Hauptwahl .Verärgerten-, die sich nun bei den Stichwahlen durch Stimmabgabe sür einen sozialdemokratischen Kandidaten rächen wollen, fein, ihre Stimmen denen der Absgaer zugezählt zu sehen! — Erfreulicherw-ise erheben sich in Baden zahl reiche und einflußreiche Stimmen, die nicht einmal durch Wahlenthaltung zu Gunsten der Sozialdemokratie den Schein auf sich laden wollen, in ihrer Staats- und Reichs treue wankend geworden zu sein. So spricht sich gegenüber der vom „Löweu von Zähringen- für das badische Zentrum au-gegebenen Parole ter Wahlenthaltung bei den Stich- wadlen zwischen nationalliberalen und sozialdemokratischen Kandidaten der Dekan Lender, der bei den Haupiwahlen im Großherzogtum Baden wiedergewäblt worden ist, offen dahin auS, daß sozialdemokratische Kandidaturen weder durch Ltimmengebuug, noch durch Stimmenenthallung unterstützt werden dürfen. Und im „Badischen Landsmann", einem ZentrumSorgan in Baden, veröffentlichen mehrere ZenrrumSwäuler einen Aufiuf, in dem sie die Parole der „Wahlenthaltung- als einen großen Kehler erllären, da die Stellungnahme zur Stichwavl sich nicht bloß nach den Partewerbältniffen in Baden, sondern nach der politischen Lage im ganzen Reiche zu richten habe, die durch die Hauptwahl so gestaltet sei, daß ein Fieunb der bestehenden Ordnung und wer wüniche, daß >m Reichstag praktische Ar beit geleistet und nicht bloß fruchtlose Parteipolilik getrieben werde, zur Vermehrung der fozialdemokratischen Sitze weder direkt noch indirekt beitragen könne. Und weiter heißt eS wörtlich: „Männer wie Basfrrmann und Wittum braucht man im Reichstag, wenn er leistuogssähig lein soll, aus «inen Geck und Eichhorn dagegen kann der Reichstag ruhig verzichten, denn diese Herren treiben dort dock nichtSlAndere« al« Parteiagitation. Wir acceptieren daher die Parole de« Zentralkomitss nicht, dasselbe lädt damit sich und der Partei eine große Verantwortung auf, dir wir nicht teilen wollen. Wir weisen deshalb diese Parole zurück und folgen der Parole unseres Gewissens und unserer lieber- zeugung und wir hoffen und wünschen, daß es noch recht viele Katholiken und Zentrumsleute so machen werden." Wir sind überzeugt, daß die sächsischen Katholiken sammt und sonder- im gleichen Sinuc handeln werden. Polnische Ausschreitungen. Der Krawall in Laurahütte, über den wir aus führlich berichtet haben, belastet daö Schuldkonto der all polnischen Partei riesengroß und bilvet eine sehr bezeichnende Antwort auf die leider verspäteten Be ¬ mühungen des Fürstbischofs Kopp. Blut ist gefloßen im Kampfe gegen Anhänger des Zentrums, gegen Leute, die ebenfalls Katholiken sind und den Polen so nahe sieben, daß selbst der ärgste Deutschenfiesser sie nicht einer feindseligen Gesinnung gegen daS Polentum beschuldigen kann. Die Anhänger des „Gorno- stanzak" freilich haben seit Monaten mit den verwerf lichsten Mitteln gearbeitet, die Leidenschaften der Menge bis zur Siedehitze zu steigern, so daß ein an sich gering fügiger Anlaß genügte, eine Katastrophe berbeizuführen. Die Behörden sind mii besonoeier Umsicht verfahren, sie haben sogar die Feuerwehr herbeigehvlt, um aus friedlichem Wege die Tumultantcn zur Besinnung zu bringen und für den schlimmsten Fall die Anwendung von Waffen nicht notwendig zu machen. Aber die Wut der so lange Verhetzten und Aufgestachelten richtete sich gegen die Feuerwehr und dann in blindem ZerstörungS- eiser gegen alle«, wa« sie auf dem Wege vorfand. Wollte man nicht unabsebbareS Unheil geschehen lassen, so mußte der Menge eindringlich zum Bewußtsein ge bracht werden, daß sie nicht der Herr der Lage bleiben kann. Wie viel Schuld der Tote und die Ver wundeten haben, wird sich vielleicht nie genau seststellen lassen. Eins aber weiß man: das Blut richtet eine unüber- stergliche Schranke tznf zwilchen b«oe«,-Pr» ihr« r«r>»lutio- nären Pläne mit aller Rücksichtslosigkeit verfolgen, und allen anderen Bewohnern Oberschiesiens. Keine bürgerliche Partei kann irgend eine Gemeinschaft mehr Haden mit Leuten wie Karfaniy, Kowalc,y>, Sleinianowskr und Genossen. Wenn diese auch juristisch nicht verantwortlich gemacht werden können — auf ihr Haupt fällt die Schuld. Wird, so fragt die „Nat. Zig ", die verblendete oderschlesische Bevölkerung fitz! zu der Einsicht kommen, daß die Psave, die man ibr gewiesen Hai, in« Verderben führen? Wird man ablafsen, Ziele zu v rsolgen, die zu Mord, ja zu Massenmorden führen müssen? Die Antwort auf diese Frage wird unseres Er achtens bauptsächlich von dem Erzbischof von Polen v. Stablewsky abhängen, in dessen Diöcese die großpolnische Bewegung von einem großen Teile der Geist lichkeit geschürt wird und unter dessen Augen erst jüngst eine Protestoersammlung gegen den Hirtenbrief des Breslauer ErzbrichoiS abgehalten wrnde, die sicherlich nicht obne Einfluß auf d.e Vorgänge in Laurahütte geblieben ist. Wer Revo lution predigen läßt, darf sich nickt wundern, wenn die Revolution irgendwo auSbrichi. Selbstverständlich hat der Staat die Pflicht, nicht nur seinerseits mit unnachsichtlicher Strenge jeder weiteren Verhetzung entgegenzutreten, sondern auch den Herrn Erzbischof von Posen-Gnesen nachdrücklichst an daS zu erinnern, was seines Amtes als preußischer Bischof rst. Daß sozialdemokratische Elemente an den blutigen Vorgängen beteiligt waren, befremdet wohl keinen Merstchen. der die sozialdemokratische Agitations weise kennt. Befremden kann cS nur, daß eS trotz dieser AgiiationSweise noch Anhänger bürgerlicher Par teien giebt, die dem Vaterlande keinen größeren Dienst erweisen zu können glauben, als wenn sie die Zahl der sozial demokratischen Mandate vermehren und dadurch die sozial demokratische Agitationsweise verschärfen Helsen. Serbien und die Mächte. Wir teilten schon mit, daß außer dem englischen, nieder ländischen und sranzösischen Gesandten auch der türkische Belgrad verlassen Hal, um demonstrativ lunezutue, daß die Pforte die neue Negierung nick« anerkennt, respektive ihre Anerkennung von dem Vollzug der Sübne für den Köuigsmorb abhängig macht. Die türkischen Blätter schreiben: „DaS entsetzliche Verbrechen, welches an dem bedauerns werten seibischen Königspaare durch eine Anzahl Veibiecher in einer allen Regeln der Humanität lwhnsprechenden Weise verübt wurde, beweist die Feindseligkeit dieser Menschen gegen die gesamte Civilisation; daher ist es Pflicht aller, mit Nachdruck deren Bestrafung zu fordern." Den moralischen Standpunkt in allen Ehren, aber in türkischem Munde macht sich die Phraie von der Civilisation doch etwas eigentümlich. Weiter wird unS gemeldet: * Belgrad, 23. Juni. Der amerikanische Gesandte ist heute abend abgereist. Der italienifche Ge andte verbleibt hier, hält sich aber von den Festlichkeiten sern. Was die Haltung Deutschlands anbetriffi, so wird der „Köln. Ztg." aus Berlin telegraphiert: „Sicherem Ver nehmen nach wird der deutsche Gesandte in Serbien sich an den bevorstehenden Belgrader EinzugSfeierlichkeiten nicht beteiligen. Seine Beglaubigung ist zur Zeit er ledigt, und da König Peter die Negierung noch nicht an getreten hat, lonnle sie auch nicht erneuert werden. DaS Beispiel de- englischen und französischen Vertreters, Su beide d»rch die Abreise von Belgrad den« Empfange aus dem Wege geben, nackzuabmen, liegt für den deutschen Ge sandten kein Anlaß vor, da er nach dem Ei löschen seiner Beglaubigung zu» Zeit dort keinen amtlichen Charakter hat." Es rst gut, daß mir rn der angenehmen Lage sind, nicht eine Forderung stellen zu muffen, die an sich sehr berechtigt, aber kaum durchführbar ist, und wenn sie doch Vurchgeführt wird, bedenkliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. — Wir fügen noch folgende Meldungen an: * Belgrad, 23. Juni. Die Stadiverwaltung forderte die Bevölke- rung auf, ihrer Freude über die nach 45 Jahren erfolgende Rück kehr Peter KarageorgewitschS durch Schließung der Läden, Beflaggung der Häuser und Illumination am 24. und 25. Juni, sowie durch Beteiligung am Fackelzuge am 24. Juni Ausdruck zu geben. Wie nunmehr fesisteht, soll die Eidesablegung des Königs den 25. Juni im Gebäude der Skupschtina siattfinden. * Wien, 23. Juni. Auf der Durchfahrt nach Selbien traf König Peter von Serbien um 10 Uhr abend- auf dem Westbahnhose hier ein. Der Bahnsteig war von zahl- r«ichem Publikum, fast durchweg Serben, besetzt. Dem Könige tönten lebhafte Ziviorufe entgegen. Er nahm Vorstellung des hiesigen serbischen Gesandten entgegen und verließ sodann den Wagen, um sich zu den auf dem Bahnsteig versammelten Deputationen zu begeben. Bürgermeister Stammkowitsch entbot dem König die Grüße der Stadt Belgrad. Dieser dankte, worauf wieder minutenlange Ziviorufe erschollen. Sodann begab sich der König zu der Deputation der serbischen Studentenschaft, deren Führer ihn mit einer begeisterten, häufig von Ziviorufen unter brochenen Rede begrüßte. Der König dankte ergriffen für de« Beweis der Treue der serbischen Jugend. Nachdem er seinen Zug wieder bestiegen hatte, hörte er am Fenster stehend die von den Studenten angestimmten patriotischen Lieder an. Nach halbstündigem Aufenthalt verließ der Zug die Bahnhofshalle. Mit dem König reisen sein Bruder nebst Sohn, sowie Prinz Georg Kara- georgewitsch. Wenige Minuten später verließ auch die Depu tation der serbischen Nationalversammlung mit einem Sonder zuge Wien. Der englische Somaltfeldzug ist augenscheinlich wiederum in ein höchst kritisches Stadium getreten. Man muß sich alle Tage auf das Eintreffen lchlimmer Botschaften gefaßt machen. Die letzte, vom KriegSministerium am Sonnabend bekannt gegebene Depeiche besagt, daß General Manaing und Oberst Cobbe ihre Streitkräfte vereinigt haben. DaS be ruhigt wcnigstens insofern, als man weiß, daß der Mullah nicht einen der beiden Truppenkörper allein an greifen und aufreiben konnte, wie er eS bereit« mit einer anderen englischen Streilmacht getan hat. Im übrigen aber kann man nicht sagen, daß die Depesche sehr ver heißungsvoll klingt, im Gegenteil, eS hat ganz den Anschein, als ob da« KriegSamt schon mehr wüßte und nur daS alte Spiel von neuem beginnt, dem britischen Publikum die Unglücksbotschaften „tropfenweise- zu verabfolgen. Es beißt, daß in Damol „alles wobl" ist, daß kein „ernstlicher Angriff" gemacht wurde, aber daß die dor tige Streitmacht vom Feinde beobachtet wird. Nun ist e« erfahrungsgemäß fast immer von sehr unangenehmen Konsequenzen begleitet, wenn britische Truppen vom tollen Mullah „beobachtet" werden, und in diesem Falle kommt noch dazu, daß die beiden obengenannten Heer führer mit ihren Mannschaften eigentlich schon in Damot eingelroffen sein müßten. Bi« zur Stunde ist aber eine der artige Meldung nicht eingetroffen, und man kann daher weiter nichts tun, als das Beste hoffen und sich auf da- Schlimmste gefaßt macken. Unterdessen ist ein neuer Kommandant für die britischen Streitkräfte in Somaliland in der Person deS Generalmajor« Sir C. Egerton ernannt worden. Die englische Presse beginnt nachgerade — etwas spat, wie e- sckeinl — ihrer Unruhe über das Sch cksal der britische» Truppenkörper und ihrer Unzufriedenheit mit der Haltung des KriegSamtS Ausdruck zu geben. So sagt die „Daily New«-, man könne bei der Beurteilung der Lage die Be» weite von Fähigkeit und Stärke, die der Mullah bei ge wissen Gelegenheiten gegeben habe, nicht außer acht lassen, und es sei bezeichnend, wie rasch diese unglückliche Affäre auf die südafrikanische Tragödie folge. Auch der „Daily Graphic", ein im übrigen regierungsfreundliche- Blatt, richtet einen herben Tadel an die Adresse des KriegS- amts, das auch in diesem Falle, wie üblich, die Sache erst ernstbaft ausfaffe, nachdem so und so viele Menschenleben d m Leichtsinn zum Opfer gefallen feien. Auch die jetzt im Gange befindlichen Vorbereitungen bezeichnet daS Blatt als ungenügend. Fettilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. Zweiundzwanzig st es Kapitel. Zur Lunchzeit wurde der Plumpudding aufgetragen und fand allgemeinen Beifall. Auf Jackwell schien er eine ebenso anregende Wirkung auszuüben, wie das Bier. Nach beendetem Mahle lehnte der Skipper des „Pirat" sich in seinen Stuhl zurück und betrachtete den Großtvpp von oben bis unten. Plötzlich fiel ihm etwas auf. „Hören Sie mal, Henry", begann er, „wovon ist denn Ihr Untermast da oben so schwarz? Rührt das von dem Rauch Ihrer Kesselfeuerung her, oder war die Brigg in Brand geraten? He?" „Der Mast ist hohl", antwortete der Kapitän. ,ZSaS? Der Mast ist hohl ? Zum Teufel, warum ist er denn hohl?" Keppen Henry sah Frau Sackett an. „DaS ist 'ne Frage!" sagte er. „Will er nicht auch manchmal von Ihnen wissen, warum der Schornstein auf des KocheS Kombüse hohl ist? Solch ein spaßiger Mann ist mir noch nicht vorgekommen." „Ist der Mast wirklich bohl?" begehrte Jenny jetzt von dem Obersteuermann zu wissen. ,-Ia, Fräulein", war die Antwort. „Der Mast ist unser Dampfschlot. Wir haben nämlich eine Maschine unten im Lazarett, die uns bet stillem Wetter gut drei Knoten Fahrt gibt. Das ist 'ne schöne Sache, wenn die Brise abflaut ober herumschralt und die Boote aufge sammelt werden müssen, die manchmal meilenweit ent fernt sind. Denn wenn sie einen Wal harpuniert und festgemacht haben, dann müssen sie mit, wohin es dem Fisch gefällt; dazu schwimmt er meistenteils gegen den Wind. Der Untermast da ist von Eisen. Biele Walfänger haben schon solche Dompfschlote. Der Ruß macht manchmal die Segel ein bißchen schwarz, Funken aber gibt's nicht viel, da wir größtenteils Speck brennen." Jackwell schwieg eine Weile; er schien über etwas nach zudenken. Dann lachte er leise vor sich hin und rieb sich, wie in höchster innerer Befriedigung, die Hände. „Line Vortreffliche Idee, dieser hohle Mast mit der Dampfmaschine drunter", sagte er endlich. „Hätte diesen tranigen Walfängern soviel Schlauheit nimmermehr zuge traut. Verzeihung, Freund Henry! Sie waren damit nicht gemeint." Und ausgelassener als zuvor fing er wieder an, die ganze Gesellschaft mit seinen komischen Einfällen zu unter halten und zu belustigen. „Jenny, warum lachst du denn gar nicht?" sagte, als einmal eine kurze Pause entstanden war, Frau Sackett zu ihrer Tochter, die sich nur wenig von der allgemeinen Heiterkeit beeinflussen ließ. „Kapitän Thompson erzählt doch so drollige Sachen!" „Wenn er einen recht guten Witz macht, dann werde ich schon lachen", antwortete die junge Dame. „Einen recht guten Witz!" wiederholte Jackwell mit komischem Augenaufschlag. „Mein liebes Kind, noch nie mals tu meinem ganzen Leben habe ich einen so guten Witz gemacht, wie gerade heute. Und obendrein auf Trnnnells Kosten. Hahaha! Einen großartigen Witz! Emen der besten Witze des Jahrhunderts!" Er warf den Kopf nach hinten und lachte fo laut und herzlich, daß er alle Anwesenden damit ansteckte,' ich selber sogar konnte mich eines Lächelns nicht erwehren. „Erzählen Sic uns, was für ein Witz das gewesen ist", sagte Fräulein Jenny. „Oho, hohohvho!" lachte Jackwell so übermütig, daß sein Gesicht ganz rot wurde uud seine kleinen Augen fast verschwanden. „Sie wollen also wissen, was sür ein Wiv das ist? Und Sie denken, ich würde es Ihnen erzählen? Nein, Fräulein Sackett, das tue ich nicht. Sie würden darüber nicht lachen. Sie nicht. Sic hätten kein Ver ständnis dafür. Ich kann Ihnen nur raten, zu warten, bis Sic wieder an Bord des „Pirat" sind, da werden Sie's hören, Sie und auch die andern Herrschaften. Aber Ihr hohler Mast ist eine gute Idee, Henry, eine kolossal gute Idee!" In diesem Augenblick ertönte von der Back her ein wildes Gebrüll. Alle sprangen auf, zu sehen, waS eS gäbe. Ans dem Ltcuerbord-Krahnbalkcn saß eine greulich aussehendc Gestalt, die eine Art Sprachrohr in den Händen hielt, dessen Mündnng mindestens drei Fuß in, Durchmesser hatte. ,Hurra!" brüllte der Spuk. „Er kommt! Der große Scekönig kommt!" Er trug einen langen Bart aus Kabelgarn und eine ebensolche Perücke, auf dem Rücken hingen ihm ein Paar schwarze Flügel. Während er den Ruf wiederholte, kam ein Schwarm der sonderbarsten Geschöpfe über den Bug geklettert. Männer mit richtigen Bärten und Männer ohne Bärte, einige hatten lange Speere, andre bewimpelte Stangen, noch andre dreizackige Forken in den Händen, jedem aber hing ein großer Fischschwanz hinten herunter. „Hurra!" brüllte der erste Kerl wieder. „Hurra! Er kommt! Der große Seekönig kommt!" Die ganze Bande stimmte ein und vollführte ein ohr zerreißendes Getöse. Jenny hielt sich lachend die Ohren zu. Sie hatte mit ihrem Vater schon öfter die Linie passiert und kannte diese Matroscnaufführungen. Frau Sackett und Kapitän Henry begrüßten die Schar mit fröhlichen Zurufen und Schwenken ihrer Taschentücher, Jackwell aber saß ganz still und sah sich die Sache an. Das Geschrei der Meermänner verstummte, denn jetzt erschien der König der See in höchsteigener Person auf der Back, um sogleich mit seinem ganzen Gefolge an Deck niederzusteigen. Sein Kabelgarnbart maß voll einen Faden, er selber war nahezu zwei Faden hoch) seine Küße glichen mäch tigen Pferdehnfcn. An seinen Schultern hingen große Flügel aus schwarzem Segeltuch, die Kabelgarne seiner Perücke reichten bis über die Hüsten hinab. Er schritt unsicheren Ganges und unterstützt von seinen Vasallen dem gemauerten Herde zu, auf den er sich niedersetzte. „Es mögen herzutreten alle, die dem König ihre Ehrfurcht zu erweisen haben!" brüllte der Herold durch sein Sprachrohr. Wieder erhoben die Meermänner ihr Geschrei und Gejohle, und einige bliesen dazu auf großen Muscheln, die schauerliche Töne von sich gaben. Der eine meiner Bootsleute hatte die Linie noch nicht passiert, und fand den Mut, dies zu bekennen. Die Meermänner packten ihn und schleiften ihn vor König Neptun. „Setz dich hin!" schnaubte der Herrscher ihn an; „auf den Stuhl da!" Der Mann gehorchte nicht ohne Verlegenheit und grinste dann das Ungetüm erwartungsvoll an. „Du bist ohne meine Erlaubnis in diese Breite ge kommen", fuhr der König fort. „Hast du dafür schon be zahlt, mein Sohn?" „Nein", antwortete der Mann. „Was! Nein?" brüllte der König. Die Meermänner stürzten herzu und hoben den Stuhl auf den Rand des größten der Kessel. Der König winkte, der Stuhl wurde umgekippt, und der Matrose stürzte in das schaumbedeckte Seisenwafler. Ein all gemeines Gelächter erhob sich, und alle Mann drängten sich herbei, um den Bemühungen des Getauften, dem widerlichen Bade zu entrinnen, zuzuseyen. So oft er den schlüpfrigen Rand des Kessels erfaßte und sich empor zog, schlug man ihm auf die Finger, bis er losließ und in die Seifenbrühe zurückplumpste. Dies Spiel dauerte mehrere Minuten, dann ließ man ihn frei, nachdem er versprochen hatte, seine Strafe in Tabak zu entrichten. Die Mannschaft der Brigg zählte fünfunüdreißig Köpfe. Eine Anzahl dieser Lente waren ebenfalls noch Neulinge in dieser Gegend; auch sie verfielen dem un erbittlichen König Neptun. Einige erhielten die Taufe im Kessel, andere rasierte man mit einem eisernen Tonnenband, nachdem man sie vorher mit Teer cingcsetst hatte. Die Strafe wurde durchweg in Tabak ent richtet. „Komm achteraus, König", rief Henry, als der wilde Jubel auf seiner Höhe war, „zeige dich den Damen und sieh' zu, ob hier alles in Ordnung ist!" Neptun ließ sich von seinen Kreaturen achteraus führen und machte den Damen eine gravitätische Ver beugung. Dann richtete er seinen Blick auf Jackwell. ,Dast du schon Zoll bezahlt?" donnerte er. „Nein", antwortete dieser, dem die Sache schon längst langweilig geworden war; „bleibt mir aber mit Eucrn Dummheiten vom Halse!" „Soll er zahlen?" wendete der König sich an Keppen Henry. „Natürlich", war die lachende Antwort. Im Nu hatte der Mann sich seiner Stelzen entledigt; dann packte er Jackwell um den Leib, riß ihn zur Reeling und stürzte sich mit ihm in die See, woritber die Meer männer ein Jubelgebrüll anstimmten. Die beiden wurden selbstverständlich sogleich wieder aufgefischt, aber Jackwell war so wütend, daß ich fürchtete, er würde dem Manne ein Leid antun. Es gelang ihm jedoch, sich zu beherrschen. Damit batte der Spaß der Linientaufe sei» Ende er reicht. Henry, der gelacht hatte, bis ihm die Tränen kamen, beauftragte den Steuermann, den Leuten so viel Grog zu verabreichen, als sie trinken wollten.
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