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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-02
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030702020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903070202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903070202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-02
- Monat1903-07
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Fernsprecher ISS und SSL FUinl-vpebitian-nr Ellfkrd Huh«, Buchhaudlg„ lluiversitLUstr.S» 8.8-schch Kathartneostr. 1< ». LöuigSpl. 7. Haupt-Filiale Vres-e«: Marien straß« SL. Fernsprecher Amt I Nr. 171L Haupt-Filiale Serlie: TaU vmuker, Herzgl. Bayr. Hofbnchhaudlg^ Lützowstraße 10. Femfvrecher Amt VI Nr. 4S0S. Abend-Ausgabe. apMer TaMM Auzeiger. Äittlsblatt des Königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates nnd des Rolizeiarntes der Ltadt Leipzig. Anzeiger-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklame» unter demRedakttousstrich sä gespalten) 7S H vor den Familtemmch» richten (Ügeipalten) SO H. Dabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühre» sür Nachwetsungeu und Offerteuanuahme LS L, (excl. Porto). Lrtra-Veilageu (gefalzt), nur mit der Morgeu-Au-aab«, oha« Postbesärdernng SO.—, mit Postbesärdernng ^l 70.—» Auuahmrschluß für Iluzeigeu: Sbend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittags L Uhr. Anzeige» stad stet» an bi« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags nunnterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Pol» tu Leipzig. Nr. 331. Donnerstag den 2. Juli 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 2. Juli. Eozialdemokratie und ReichStagSpräsidtum. Da» Berlaugen de» Genoffen Ed. Bernstein, daß der sozialdemokratischen Fraktion im neuen Reichstage „diejenige Vertretung eiageräumt werde, die ihrer FraktionSsiärke ent spricht", hat alle Parteien in einige Aufregung versetzt, auch die sozialdemokratische selbst. Augenscheinlich weiß diese noch nicht recht, wie sie sich zu der Frage stellen soll. Auf der einen Seite lockt die Ehre, auf der anderen schreckt die Sorge um die mit der Würde des ersten Vizepräsidenten gerade für einen Sozialdemokraten verbun dene Bürde. Der „Vorwärts" bebandelt daher die Frage dilatorisch. Er sucht zwar die ganze Erörterung als „müßiges Gerede" beiseite zu schieben und betont, daß Bernstein nur für seine Person spreche; er weist darauf hin, wie kübl die Fraktion di« Frage 1898 behandelt habe, meint aber doch im weiteren Verlauf seiner Betrachtung: „Ohne nuferer Fraktion im allermindestea vorgreifen zu wollen, dürfe» wir die Meinung auSsprechen, daß die Besetzung eine- Prä- fidentensitze» für eine Minderheit-- und Kampspartei wie die unsrige e» ist, keiueSwegs als unter allen Umständen wertvoll und Erfolg versprechend angesehen werden kann. Es ist eine un bestritten« Pflicht elementarster parlamentarischer Berechtig- kett, daß die anderen Parteien der sozialdemokratischen Fraktion den ersten Vize-Präsidentensitz einräumen. Insbesondere da» Zentrum kann diese Verpflichtung umsoweniger beiseite setzen, als eS sich der Zeiten erinnern wird, da eS selbst auS dem ihm zustehenden Rechte vertrieben wurde und über Un gerechtigkeit schwere Klage sühren mußte. Wenn also andere Parteien nach Wiederaufnahme der Reichstagsarbeiten mit unserer Fraktion über die Besetzung Les Präsidiums verhandeln werden, so wird die sozialdemokratische Fraktion in alter Gelassenheit prüfen und entscheiden, wie sie sich dazu stellen wird." Der „Vorwärts" erwartet also ein Angebot von den an deren Parteien und sichert „gelassene Prüfung und Entschei dung" zu. Daß den Herren Genossen von konservativer und von nationalliberaler Seite rin solches Angebot nicht gemacht werden wird, ist zweifellos. Das Zentrum aber, daS schon vor fünf Jabren der Ansicht war, der sozialdemokratischen Fraktion müsse ihrer Stärke gemäß die Stelle deS zweiten Vizepräsidenten eingeräumt werden, dürfte nicht abgeueigt sein, diesmal den „Genossen" die Stelle des ersten Vizepräsidenten zuzugestehen. Die „Köln. VolkSztg." erklärt denn auch: „Was die ReichstagSmehrheit zu einem sozialdemokratischen Vizepräsidenten sagen würde, welcher alles mitzumachen bereit wäre, wissen wir nicht. Vom Zentrum möchten wir an- nehmen, daß es in Erinnerung an die ihm früher von seiten der kulturkämpserijchen Mehrheit zu teil gewordene Behandlung bei der Besetzung der Präsidentenstellen und in Konsequenz seiner bisher der sozialdemokratischen Forderung gegenüber beobachteten Haltung nicht nein sagen würde. Die Rechte und vielleicht auch die Nationalliberalen würden sich voraussichtlich sträuben. Sollte dann das Zentrum mit Hülse der Freisinnigen und Sozialdemokraten einen sozialdemokratischen Vizepräsidenten wählen? Die Beantwortung dieser Frage läßt sich nicht ohne weitere- lösen. Jedenfalls wollen wir erst abwarten, ob Herr Bernstein mit seinem Vorschläge überhaupt Anklang findet. Selbstredend würde die Mehrheit, wenn sie auf die Forderung der Sozialdemokraten «ingiuge, nicht jeden beliebigen Vizepräsi denten accrptieren. Daß z. B. Herr Singer, welcher sich im vorigen Winter so rücksichtslos über die Geschäftsordnung hinweg- gesetzt hat, angenommen würde, erscheint völlig ausgeschlossen." Und da nun, nach dem „Beil. Tagebl." zu schließen, auch die Freisinnige Bereinigung bereit ist, daS Verlangen Bernsteins zu erfüllen, Welfen und Polen aber schwerlich etwas gegen diese Erfüllung einzuwenden haben werden, so können die „Genoffen" den ersten Gizepräsidentenposten haben, wenn sie ibn haben wollen. Aber das ist eben nock die Frage. Vielleicht werden ihre Bedenken noch größer, wenn sie in der „Franks. Ztg." lesen: „Es ist eine Würde, Vizepräsident zu sein, unzweifelhaft auch eine Ehre; aber viel mehr ist es nicht. Es wird vielfach in der Presse vom Reichstagspräsidium wie von einem Dreimänne» kollegium gesprochen. Das ist es nicht. Es gibt gar kein Prä- sidium, wenn auch dieses Wort sich eingebürgert hat. Es gibt nur einen Präsidenten; der führt die Geschäfte des HauseS, nicht nur, indem er in den Plenarsitzungen präsidiert, sondern auch alle andern Geschäfte, die internen und auch die nicht un- wichtigen, die in dec Verbindung und Rücksprachen mit dem Reichs kanzler und andern Regierungsinstanzen bestehen. Die beiden Vizepräsidenten sind aber nur Vertreter des Präsidenten in der Leitung der Sitzungen, wenn er sie Lazu beruft. Andere Funktionen als die, welche der Präsident ihnen nach seinem eigenen Ermessen gelegentlich überträgt, haben diese Vize präsidenten nicht. Der Präsident braucht mit ihnen etwa nichts zu beraten und er tut es auch meistens nickt. Der Einfluß der Vizepräsidenten im Präsidium, von dem man zuweilen spricht, existiert in Wahrheit nicht. Der Vizepräsident ist ein gewöhnlicher Ab- geordneter und hat Präsidialbefugnisse nur, wenn der Präsident sie ihm überträgt. Wenn dieser will, kann er einen dieser Bizepräsi- deuten di« ganze Session über niemals präsidieren lassen. Er kann sich immer vou dem ander» vertrete» lassen. Es hat Vizepräsidenten ge- gegeben, die sehr selten auf den Präsidentenstuhl gekommen sind. ES ist ein ehrenvolles Amt, es schließt Repräsentationspflichten ein, aber es ist ein Amt ohne Einfluß. Ein Vizepräsident, dem die Mehrheit grollt, würde derEhre nicht froh werden, er käme aus den Konflikten nicht heraus. Und wahr scheinlich würde der Versuch gelegentlich dasselbe Ende nehmen, den der Vorsitz de» Herrn Singer in der Geschäftsordnung»« kommission genommen hat." Nach unserer Ansicht braucht man sich über die Frage schlechterdings nicht auszuregen. Ja, wir würden nicht einmal Einspruch gegen die Wahi deS Genossen Singer zum ersten Vizepräsidenten erheben. Es wäre ein Schauspiel nicht nur sür Götter, sondern auch sür Menschen, wenn Graf Ballestrem mit seiner Vertretung auf dem Präsidentenstuble Herrn Singer gerade dann betraute, wenn die Herren Ge noffen wieder einmal Obstruktion trieben, Herrn Stadt hagen mit unendlich langen Dauerreden beauftragten und nach berühmten Mustern die Reden bürgerlicher Abgeordneter mit Rbabarbergebrüll begleiteten. Und warum soll man der zweitstärksten Fraktion die Gelegenheit vorenthalten, ihr ganzes Können zu offenbaren? Der Reichsregierung zuliebe, die dadurch, daß sie während der Wahlbewegung die Zügel am Boden schleifen ließ, ganz wesentlich mit zum Ausfälle der Wahlen beigetragen hat? Auch für sie würde Herr Singer aus dem Posten deS ersten Vizepräsidenten eine recht heilsame Lehre sein. Der neue Reichstag «nd die Sozialpolitik. Die Aussichten der Sozialreform im neuen Reichstage werden von Professor Dr. Francke in der „Sozialen Praxis" erörtert. Davon ausgehend, daß der neue Reichs tag für eine Bekämpfung der Arbeiterbewegung durch Ausnahmegesetze und sonstige Polizeimafmahmen noch weniger als der alte Reichstag eine Mehrtzeit aufbrmgen könne, sieht Francke anch eine Mehrheit sür die positive Förderung der Sozialreform als vorhanden an. Denn die Parteien, die bis jetzt die Hauptträger der gouverne- mcntalen Sozialpolitik gewesen, hätten ihre ^stärke ziem lich ungeschwächt erhalten, und die Niederlage des einen oder anderen hervorragenden Sozialpolitikers bei der Wahl berechtige nicht dazu, auf einen Gesinnungswechsel in den reformfreundlichen Parteien zu schließen. Nur eine Gefahr erblickt Francke, und sie schließe allerdings sehr kritische Möglichkeiten in sich. Diese Gefahr liege in dem Verhalten der Sozialdemokratie. „Fährt sie", schreibt Francke wörtlich, „in ihrer Taktik fort, einen maß vollen, aber sicheren Fortschritt auf den sozialpolitischen Bahnen zu verhöhnen oder abznlehnen, weil sie weiter gehende Ansprüche stellt, so kann sie großes Unheil anrichten. Sie kann bei ihrer jetzigen Stärke zusammen mit anderen Parteien, denen immer viel zu viel an Ar beiterfürsorge verlangt wird, Bosheitsmehrheiten bilden, die manches nützliche Gesetz vernichten. Und sie kann durch ihre Opposition bewirken, daß der Arbeitseifer der bürgerlichen Sozialreformer un- der Regierung er- müdet, der Widerstand der Scharfmacher wächst und die Sozialdemokratie auf einen toten Strang fährt." — Um die Sozialdemokratie vor einer derartigen leeren De monstrationspolitik abzuschrecken, erinnert Francke an eine Auslassung v. Vollmars, der 1891 schrieb: „Eine Politik, die sagt: wenn ich nicht meinen ganzen Willen er reiche, spiele ich überhaupt nicht mehr mit — ein solches Vorgehen ist nkcht die Politik von ernsten Männern, son- dern von Kinder n!" — Sozialpolitische „Kinderpolitik" aber wird gerade heute wieder in der „Sächs. Ar- beiterztg." als die allein richtige empfohlen, und das Verhalten der Sozialdemokratie bei der Novelle zum Krankenversicherungsgesetze nötigt zu der Vermutung, daß die Vertreter der „Kinderpolitik" innerhalb der Sozial- demokratie nach wie vor den Ausschlag geben werden. Die Krisen i« Oesterreich-Ungar«. In Ungarn ist die Krone vor der Unabhängigkeits partei zurückgewichen. Die Wehrvorlage mußte von dem neuen Kabinett Khuen - Hedervary fallen gelassen werden. In einer Frage, welche Machtstellung und Lebensinteressen der Gesamtmonarchie auf das empfindlichste berührt, hat eine Partei den Sieg davongetragen, die in dem national, magyarischen Kampfe gegen die Grundlagen der öfter- reichisch-ungarischen Gemeinsamkeit ihre einzige Daseins berechtigung findet. Manche Erfolge hat die magyarische Stoßkraft im Laufe der Jahrzehnte errungen, keiner je doch war bedeutender, als der jetzige. Krone und Kriegs- Verwaltung waren bisher die natürlichen Beschützer des Bandes, das die gemeinsame Armee zusammenhält. Mehr als einmal hat der Kaiser den Leuten, welche aus der Armee Treibriemen für ihre nationalen Mühlen schneiden wollten, ein schroffes ,Hände weg!" zugerufen. DaS Ver trauen, daß die österreichisch-ungarische Armee ein unver rückbarer Fels innerhalb der politischen Brandungen bleibe, hat dem Pessimismus, der sich bet der Beurteilung der österreichisch-ungarischen Verhältnisse breit machte, das Gegengewicht gehalten. Nun ist auch diese» Ver- trauen erschüttert. Dazu kommt, daß jetzt auch in Cis- leithanien die Ministersessel ins Warcken geraten sind, und daß wiederum die andere Reichshälfte es ist, die hier den Anstoß gegeben hat. v. Körber hat die Demission des gesamten Kabinetts angeboten, weil Ungarn auf die schleunigste Erledigung desAusgleichs dringt und v.Körber wegen der zerfahrenen parlamentarischen Lage, namentlich wegen der scharfen Obstruktion der Tschechen nicht im stände ist, ihn unter Dach zu bringen. Hat doch der Kaiser schon, wie gemeldet, auf Grund des 8 14 der Verfassung, zu dem Rechte selbstherlicher Dekretterung greifen und ein sechsmonatiges Budgetprovisorium anordnen müssen, um die Staatsmaschine nur überhaupt im Gange zu halten. Nun wäre es ja kein Schade um das Beamten ministerium v. Körber, das sich auf keine feste Majorität im Parlamente stützen konnte, sondern fortwährend zwischen den Parteien lavieren mußte. Aber wa» au Stelle des abtreteuden Kabinetts kommen soll, ein Koalitions ministerium v. Körber, das Deutsche, Tschechen un- Polen vereinigt, läßt keine großen Erwartungen aufkommen. Solcher Mischmasch hat noch niemals klare Lage geschaffen und die nationalen Gegensätze überbrückt. Auf diesem Wege erlangt die Negierung schwerlich eine sichere Mehr heit, die sie nicht bloß zur Eindämmung der ffchechischenOb- struktion, sondern auch zu dem anderen Zwecke bitter nötig hat, — dem übermütigen Magyarentume zu imponieren. Krieg zwischen Bulgarien und der Türkei? Die ungünstigen Nachrichten von der Balkanhalb insel mehren sich und nehmen beunruhigenden Charakter an. Trotz halbamtlicher Dementis beharren neuere Mel dungen darauf, daß der Abbruch der bulgarisch-türkischen Beziehungen bevorstehe und mit einem Krieg zwischen beiden Mächten zu rechnen sei. Der „TimeS"-Korrespo- dent hat vor einigen Tagen in Sofia den bulgarischen Premierminister General Petrow aufgesucht, und dieser soll sich außerordentlich ernst über die Lage ausgesprochen haben. Der General erklärte, der Sultan und die bul garische Regierung seien gegen den Krieg, aber trotzdem sei die augenblickliche Lage schlimmer als jemals seit der türkischen Note im Frühjahr. Die Gefangenen in Saloniki habe man zwar entlasten, dafür aber 400 neue Verhaftungen vorgenommen. Die türkischen Grausam keiten dauerten an, und aus dem Bilajet Adrtanopel seien 2—3000 Flüchtlinge eingetroffen. Die Türken sollen die Absicht haben, die Banden auszuhungern und zu dem Zweck, ohne Rücksicht auf das Geschick der Dorfbewohner, die Ernten zu beschlagnahmen. Ihr Ziel wäre die voll ständige Vernichtung des bulgarischen Elementes in Makedonien. Der Fanatismus der mohammedanischen Bevölkerung werde geschürt, und hohe Beamte unter stützten die Kriegslust. General Petrow beschrieb be wetteren die Truppenbewegungen an der Grenze als be unruhigend. Während die Bulgaren nur 8 Bataillone an der Grenze stehen hätten, sei die Zahl der türkischen Bataillone auf 30 angewachsen. Man könne jeden Augen blick die Nachricht erwarten, daß die Türken eine bulga rische Grenzstadt, beispielsweise Küstendil, besetzt hätten. Aus diesem Grunde habe die Regierung den Beschluß ge- Feuilleton. H Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. »larlwruct verboten. „Daß dich 's Mäusle beißt!" grollte Hungerle und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn und die Fliegen von der Glatze. Und dann schimpfte der Wittiber auf gut alemannisch über die Mißwirtschaft im Hause: die Magd nicht daheim, wiewohl es Essenszeit ist, der Sohn auswärts, wahrscheinlich in einer Kneipe hockend, oder gar spazieren gehend, statt im Geschäftsinteresse bei den Wirtskunden zechend: in der Stube eine Menge Gegen stände kurz und klein geschlagen, der Vorhang zerrissen, ein Durcheinander ringsum — es fehlt die ordnende Hand einer Hausfrau. «I gang' au'!" brummte der Meister, trottete in be häbigem, selbstbewußtem Gange hinüber zur ,-Alpenrose". Wiewohl es nun dem Metzgermeister, wie allen Dorf- bewohnern wohlbekannt war, daß zur Hochsaison der Eingang zur „Schwemme" über die Freitreppe für Ein heimische nicht gestattet ist, um eine Belästigung der feinen Hotelgäste zu vermeiden, Hungerle kümmerte sich um diesen UkaS des Hoteliers gar nicht, stieg die Freitreppe breit und gemächlich hinan, drückte mit seinen Ellbogen einige luft schnappende Damen zur Seite und stampfte der Office zu, aus welcher zornig« Worte Tschurtschbergers drangen, so wie Beteuerungsrufe einer, dem Meister bekannten Stimme. Interessiert trat Hungerle völlig ein und ward Zeuge, wie der Hotelier eben Sina die Entlastung an kündigte auf Grund erwiesener Dienstvernachlässigung und erhobener Beschwerden mehrerer 'Gäste. Sina jammerte und weinte, doch der junge Hotelier blieb unerbittlich und befahl dem Hotelbuchhalter, der ent lassenen Ztmmerin den Monatslohn, sowie das Dienst buch auSzufolaen. Hungerle wollte intervenieren, doch verbat sich Tschurtschberger energisch jede unbefugte Einmischung und bedeutete dem Metzgermeifter, daß er in der Office über haupt nichts zu suchen habe. . . . „Der Eingang für Lieferanten ist tm Souterrain!" Da sich Gina hülfesuchend an Hungerle wandte und idn bat, zu bestätigen, daß sie keine Minute länger als zur Erledigung ihre» Auftrages im Kleifcherhause verweilt habe, nahm der Meister trotz der Ausweisung ritterlich die Verteidigung Sinas auf und ließ sich das Reden nicht ver wehren. Ja, er drohte mit Repressalien, im Bollbewußt- sein, daß sein Geschäft ohne Konkurrenz im Dorfe und der Hotelier auf ihn angewiesen sei. Aber bei Tschurtschberger kam der Metzgermeister an den Unrechten, das merkte Hungerle alsbald und wählte der Klugheit besseren Teil, indem er nachgab. Doch er klärte er Sina, sie könne noch am heutigen Abend eine Kammer in seinem Hause beziehen und, so es dem Maidlt recht sei, den Posten als Häuserin übernehmen. Ueber Lohn und Bedingungen werde man später reden und sicherlich einig werben. Sina nahm dies Angebot augenblicklich an und ging an das sofortige Einpacken ihrer Effekten. Triumphierend verfügte sich Hungerle heim, die so plötzlich engagierte neue Häuserin erwartend. Eine Stunde später erschien Sina lachend tm Fleischer hause und lieb sich ihre Kammer anweisen, wohin alsbald ihr Dienstbotenkoffer gebracht wurde. Dem neuen Ge bieter überreichte sie ihr Dienstbuch zur Aufbewahrung und brachte, nachdem in der Wohnstube Licht angezündet war, das Zimmer flink in Ordnung. Hungerle saß im Lederstuhle und verschlang die dralle Gestalt förmlich mit den Aug«n. So nett hat er sich die häusliche Tätigkeit des üppigen Mädchens wahrlich nicht gedacht, es ward ihm ganz behaglich und wonniglich bet dem Gedanken, daß aus dieser feschen Häuserin bald sein schmuckes Eheweib werden könnte. Aus dieser Wonne ward der Meister allerdings bald und unangenehm gerissen durch die leicht hingeworfene Bemerkung Dinas, daß der Herr Schorsch wahrscheinlich nicht wenig gucken werde ob der Anwesenheit der neuen, plötzlich angestellten Häuserin. „I, der Schorsch!" rief der Alte kläglich. An den Sohn hat er wahrlich nicht gedacht. „Der wird Augen machen!" meinte Sina und er kundigte sich, ob „der Herr", womit sie den Meister meinte, etwa einen frischen Abendtrunk wünsche. „Werd' ich gleich holen von der „Alpenrosen"!" „Noi, noi, Maidli! Zum Bierholen ist die Magd da!" wehrte Ignaz ab und fügte hinzu, daß seine Häuserin keine Magddienste verrichten dürfe, wasmaßen die Häu- serin gehalten werden solle, wie die Frau vom Hause. Außerdem gäbe es im Hotel nur überflüssiges Geschwätz wegen der plötzlichen Einstellung Sinas. „So gut will mich der Herr halten im Hause? DaS ist aber schon recht lieb und nett vom Herrn! Ich werd' aber schon alles tun, um den Herrn zufrieden zu stellen!" „Glaub' ich! Ja, ich moin', ich hän en gute Fang ge macht mit 'm Maidli!" „Wollen es hoffen, Herr! An mir solls nicht fehlen! Wann kommt er denn, der Herr Schorsch?" Hungerle gab es so etwas wie einen Stich in die Brust; es ist ihm peinlich, wenn vom Sohn die Rede ist, doppelt peinlich, so just Sina nach ihm fragt. Das peinliche Gefühl der Unsicherheit und einer ge wissen Eifersucht steigerte sich zur Angst, Furcht und Sorge, als Hungerles scharfes Ohr das Geräusch nahender Tritte wahrnahm. So marschiert festen Schrittes nur Schorsch, der Ex-Kaiserjäger. Nun begannen des Meisters Ge danken einen rasenden Kreislauf, und die Haupffrage lautete dahin: Was wird der Sohn zur unvermittelten, plötzlichen Einstellung einer Häuserin sagen, die der Alpenrosenwirt Knall und Fall entlasten hat? Und was wird es erst abfetzen, wenn Schorsch die Heiratsabsicht des Vaters merkt? So jäh riß der Bursch die Tür auf, daß Hungerle sen. erschreckend beinahe gerufen hätte: ,Helf' uns Gott der Herr!" „Grüß Gott, Vater! Hast es schon gehört? Oha!" Ver- blüfft brach Schorsch ab und guckte auf die dralle Sina, die strickend am Tische saß, so ganz als sei sie eingesessen hier seit langen Jahren, und den Sohn des Hauses ver führerisch anlachte. Bestrebt, der unvermeidlichen Er- klärung wenigstens momentan auszuweichen, fragte der Alte hastig entgegen: „Was soll ich schon gehöret hän?" Noch immer starrte Schorsch auf das ihm halbbekannte Mädel, besten Anwesenheit er sich nicht zu erklären ver- mochte. „Aber so red' doch, Bub!" drängte der Vater. Sina erhob sich, wünschte dem Sohne de« HauseS einen „guten Abend" und erkundigte sich, ob ihm vielleicht ein Imbiß gefällig sei. „Ja, wer ist denn jetzt das? Dirndl, ich mein', dein Gesicht hab' ich schon wo gesehen! Kommst mir etwa» be- kannt vor! Aber auf Besuch bist wohl nicht, weil du mich wegen der Bedienung fragst!" Schorsch richtete den fragen, den Blick auf seinen Vater, welcher der Verlegenheit nicht Herr zu werden vermochte. Sina knickste zierlich und meinte: „Mit Verlaub, auf zuwarten, ich bin seit heut' abend die neue Häuserin beim Herrn Hungerle! Hat der Herr Schorsch etwas dagegen?" „Das ist ja ganz was Neues! Und so im Handum drehen? Spaßig, das muß ich schon sagen! Hat -er Vater zu Mittag schon davon gewußt? Gesagt hat der Vater kein Sterbenswörtel!" Zögernd und unsicher erwiderte der Alte: „Jetzt hock' dich nan und sag' mir die Neuigkeit!" „Werden wir gleich haben! He, Häuserin, bring' mir ein Viertele auf den Schrecken! Wie heißt denn die Marie mit 'm Taufnamen?" „Aufzuwarten, Rosina heiß' ich, eS tut's aber für de« Hausbrauch Sina auch! Gleich soll der junge Herr -en Wein haben; ich weiß freilich nicht Bescheid im Keller, aber ich werd' das Faste! schon finden. Bitte, einen Augenblick Geduld!" Flink eilte das Mädchen hinaus. Schorsch trat auf den Vater zu und sprach: „Jetzt, Vater, sag' mir nur grab, was das zu bedeuten hat!" „Nu, nu, nicht so hitzig, Schorsch! Ich bin grab zu- fällig dazukomme, wie der Alpenrosenwirt das arme Maidli davongejagt hat, und . ." „. . . und da hat der Vater das Dirndl gleich al» Häuserin eingestellt?" klang eS vorwurfsvoll von de» Sohnes Lippen. „Aber noi! 'S Maidli ist wegen meiner entlaste wordel" „Wie denn da»?" „Nu, 'S Maidli hat eine Fleischbestellung gemacht im Auftrage des AlpenrosemvirtS, wir hänt uns ebbes ver- plaudert, und zur Straf' hat der Wirt, der Hitzkopf, 'S arme Maidlt davongejagt. Nu ist e» doch mer Pflicht gst (gewesen), fllr's Maidli zu sorge ..." „Ah so wohl! Na, mir kann's recht fein! Wenn eS nur gut tut! Hat der Vater das Dienstbuch vom Mädel durch gesehen?" „DaS kannst ja du besorge!" „Also auf'» Larve! hin ist daS Dirndl eingestellt worden?! Die Mutter selig wär' nicht so hitzig in» Zeug 'gangen!" „Laß' die alten Zite (Zeiten) in Ruhl Und jetzt sag mir die Neuigkeit!" „Ja, richtig! Heute abend hat der Tschurtschberger ei» Telegramm 'kriegt, eine für uns wichtige Nachricht: Ma növer bei un»! Saxendi, da geht ein Geschäft! Aber ich fürcht', sic werden mich einberusen!" „Ah, ah!" staunte Hungerle «n. „Ja, ich hab' auch geguckt, und das nicht wenig! Kaunt ein Jahrl los von der Militär, und schon nehmen sie unser einen wieder beim Wickel! Und ein Manöver bei un»
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