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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-04
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030704023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-04
- Monat1903-07
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Man kann kaum eine deutsche Zeitung in die Hand nehmen, ohne auf einen Artikel zu stoßen, der sich mit dem „roten Königreiche" be schäftigt und auSeinandersetzt, was die Regierung sowohl wie dre bürgerlichen Parteien zu tun haben, um sich der sozialdemokratischen Hochflut zu erwehren. So zahlreich aber die Ratgeber sind, so unzulänglich sind sie zu allermeist; vielen scheinen sogar die elementarsten Kenntnisse der sächsischen Verhältnisse abzugehen. Auch einige recht komische Herren befinden sich unter ihnen; diese machen allen Ernste« den Vorschlag, schleunigst das allgemeine gleiche direkte «ud geheime Wahlrecht in Sachsen einzusühren, daS uach den soeben gemachten Erfahrungen jedenfalls sehr bald auch die Zweite sächsische Kammer unter die Herrschaft der „Genossen" bringen würde! Noch andere verbrämen ihre Ratschläge mit Grobheiten, die daS Helle Entzücken der sozialdemokratischen Presse erregen. So hat das Dresdener Sozialistenorgan seine besondere Freude an einem „ver nichtenden" Urteile, daS Professor HanS Delbrück in seinen „Preußischen Jahrbüchern" in einer Wahlbetrachtung fällt. Diese» Urteil gipfelt in den Worten: „Diese sächsische Wahlreform war der schwerste Akt der Un treu« am Reiche, den dieses seit seinem Bestandevoneiner Einzelreairrung erfahren hat." Professor Delbrück ist dafür bekannt, daß eS ihm im Laufe der Jahre immer schwerer fällt, seine Meinung gegenüber Andersdenkenden ohne gleichzeitige Beschimpfung der letzteren zu vertreten: Prozesse, die deshalb sowohl von einzelnen Persönlichkeiten wie von der Leitung ganzer Korporationen gegen Herrn Delbrück angestrengt wurden, haben diesen be dauerlichen Sachverbalt wiederholt erhärtet. Was jetzt die Be schimpfung der sächsischen Regierung durch Herrn Delbrück an belangt, so braucht über ihre objektive Unhaltbarkeit kein Wort verloren zu werden. Aber von dem subjektiven Stand punkte aus, den Herr Delbrück zur sächsischen Wahlreform einnimmt, muß seinem Verdikte über die sächsische Regierung ei« kurzer Kommentar gewidmet werken. Delbrück spricht eS in seiner Wahlbetrachiung selbst auS, daß „speziell günstige Verhältnisse" die Sozialdemokratie im Königreiche Sachsen unterstützt baden. Wenn er zu diesen speziell günstigen Verhällnissen neben der Finanzverwaliung aus- schließlich die Wahlrechtsänderung von 1896 zählt, so ist er hierzu nach seinen eigenen früheren Auslassungen nicht berechtigt. Zwar hat Delbrück betreffs der säch sischen WablrcchtSänderung im März 1896 in deu „Preußi schen Jahrbüchern" die Frage aufgeworfen: „Wie will man in den Volksversammlungen, die der nächsten ReichStagSwahl vorausgehen werden, bestehen?" Als aber zwei Jahre später die ReichStagSwahl statt gefunden und der Sozialdemokratie im Königreiche Sachsen nur 28 536 Stimmen mehr gebracht halte, da machte sich Professor Delbrück im Julihefte der „Preußischen Jahrbücher" von 1898 über das „lächerliche Triumphgeschrei" der Sozial demokratie lustig und schrieb wörtlich: „Im Königreich« Sachsin strhrn nebrn 4 neugrwonnrur« Sitzrn 8 verlorene, und Sachsen, wo die Regierung soeben durch die himmelschreiende Reform de» Landtag-Wahlrechte- die unteren «nd mittleren Schichten der Bevölkerung . . . aufs tiefste verletzt und beleidigt hat, hätte diesmal für dieSozialdemokraten eia ganz besonder» günstiger Bode« sei« müssen." In der vorstehenden Auslastung Delbrücks liegt daS An erkenntnis, daß das Königreich Sachsen trotz der Wahlrechts änderung von 1896 für die Sozialdemokratie nicht der günstige Boden bei der ReichStagSwahl gewesen ist, für den Delbrück Sachsen wegen der Wahlrechtsänderung gehalten hatte. Angesichts dieses Delbrückfchen Eingeständnisses fehlt dem Genannten doppelt die Berechtigung gegen die sächsische Regierung einen so schweren Vorwurf wie den oben wieder gegebenen zu schleudern; eS fehlt ihm aber auch die Berechtigung, lediglich die Wahlrechtsänderung von 1896 neben der Finanzverwaltung für das letzte Wahlergebnis verantwortlich zu machen. Daß die WahlrechtSänderung zu den sozialdemokratischen Wahlsiegen einen Teil beigetragen bat unv daß eine Aenderung des jetzt geltenden sächsischen LandtagSwahlrechtes durchaus angezeigl ist, daS brauchen wir nicht erst von Herrn Professor Delbrück zu lernen, daS wußten wir, bevor er sein Schimpslexikon ausschlug. Aber nach den Erfahrungen bei der Reichstagswohl von 1898 ist eS klar, baß in erster Reihe die Ungunst der wirtschaftlichen Ver hältnisse seit 1900 und der „Dresdner Hofikandal" oder vielmehr die nichtswürdige Ausbeutung dieses Skandals durch solche sächsische Blätter, die jetzt die Unschuldigen spielen, für den Wahlausfall in Sachsen von Einfluß gewesen sind. Nach dem Professor Delbrück selbst im Juli 1898 eingeräumt hat, wie wenig seine Vermutungen über die Rückwirkung der sächsischen Landtagswahlrefvim auf die ReichstagSwahlen begründet waren, ist eS eine Frivolität sondergleichen, wenn er jetzt nicht nur der sächsischen Wahlreform die Haupt schuld für daS Ergebnis der ReichstagSwahlen beimißt, sondern auch die sächsische Regierung der schwersten Untreue gegen bas Reich bezichtigt. Keine Zersplitterung! Unter dieser Ueberschrift richtet die „Nationalliberale Korrespondenz" folgende Mahnung au die Gesinnungs genossen im Reiche: „In mehrere« Wahlkreisen beabsichtigt die sozialdemokratische Partei dort, wo der uationallibrrale Kandidat gesiegt hat, die Wahl auzufechte». E» stehen also jene« Wahlkreisen binnen kurzem neue Kämpfe bevor. Um so dringender tritt an die Mit glieder unserer Partei die Forderung heran, keinen Augenblick in ihrer Agitation und ihrer Werbung für die nationalliberale Sache nachzulassea, sondern jetzt erst recht die größten Anstrengungen zu entwickeln. Wenn dabei, wie es im Königreich Sachsen uud im Großherzogtume Baden augenblicklich geschieht, das Element des entschiedenen Liberalismus betont wird, um so erfreulicher. Bedauerlicher aber würde es sein, wenn dies Streben für diesen oder jenen Eigenbrödler, der einen ganz besonderen und per sönlichen Liberalismus zu kultivieren wünscht, Anlaß bieten sollte, Len Versuch zu einer neuen Parteibildung zu machen, die aus seinen eigenen Leib zugeschnitten wäre. Ein derartiges Vorhaben scheint am Rheine im Gange zu sein. Vermögen wir demselben auch keine weittragende Bedeutung beizumessen, so halten wir es doch schon als Symptom für äußerst bedauerlich: jetzt, wo alle bürgerlichen Elemente, in Sonderheit aber die liberalen Parteien, es al» ihre Hauptaufgabe betrachten müssen, sich einander zu nähern, ist eS eine an Verrat der gemeinschaftlichen Sach« grenzende verderbliche Spielerei, sich mit dem Gedanken an die Bildung einer neuen liberalen Partei tragen und so die bisherigen Anhänger deS Nationalliberalismus von diesem absplittern zu wollen. Dieser Versuch wird, wie wir vorauSsetzen und hoffen, an dem festen Sinn unserer rheinischen Parteifreunde scheitern. Aber er zeigt, wie leicht eine an sich berechtigte Bewegung die Schranken durchbrechen und die Gesamtpartei schädigen kann. Die Verjüngung unserer Partei durch schärfere Betonung des liberalen Elements wird, so vertrauen wir, nicht dazu führen, eine Absplitterung hervorzubringen, sondern im Gegenteil ihr neue Anhänger zu gewinnen. Also keine Zer splitterung, mag sie auch noch so geringfügiger Natur sein, sondern inniger und fester Zusammenschluß aller unserer Partei freunde zur Erfüllung der Aufgaben eines wirklich positiv gerichteten Liberalismus!" Die^,Natlib. Korr." hätte noch weiter gehen und nicht vor Versuchen zu neuer Parteidildung, sondern auch vor vor eilig en Erk ärun gen und Proklamation en einzelner nationalliberaler Vereine warnen sollen. Solche Er klärungen müßte man überall den La ndeSver einen überlasten, deren Vorstände sich selbstverständlich beeilen sollten, Fühlung mit den Lokal-Vereinen zu suchen. Bevor diese Fühlung herge- stelll ist, kann daS Hervortrelen einzelner Lokal-Vereine nur die Zersplitterung fördern. Die Krise in Oesterreich-Ungarn. AuS ministeriellen Kreisen verlautet über die letzte Audienz Körbers beim Kaiser: Der Kaiser hatte sich, als ihm Körber am Sonntage arrkündigte, daß die Regierung möglicherweise in naher Zeit zum Rücktritt gezwungen sein werde, das Protokoll der betreffenden MinisterratSsihung vvrlegen lassen. Körber entrollte ein ausführliches Bild der innerpolitischcn Lage und wies auf Schwierigkeiten hin, welche das stetige Zurückweichen vor der ungarischen Opposition schaffe. Der ungarische Honvedminister habe wieder die sofortige Be urlaubung der Reservisten aus Rücksicht auf die Ernte durchgesetzt, während die Reservisten bei den in Oesterreich stehenden Truppen weiter dienen müßten. Das sei gewiß geeignet, das österreichische Parlament, insbesondere aber die radikalen Gruppen, zu beunruhigen und weitere, ins besondere nationale Zugeständnisse an die Ungarn in der Armeesragc würden es Körber ebenso wie jedem seiner Nachfolger unmöglich machen, im Herbste im österreichischen Mgeordnetenhause die Mehrheit für die neue Wehrvor lage zu finden. Der Ministerpräsident forderte geradezu eine Gewähr dafür, daß kein Zugeständnis in der Armeefrage mehr ohne Wissen der österreichischen Regierung erfolge. Einen ebenso breiten Raum nahm in dem Bortrage Körbers die tschechische Obstruktion ein. Der Forderung Körbers, mit Zugeständnissen in der Armeefrage Einhalt zu tun, führte eine Verzögerung der Entscheidung des Kaisers herbei. Bezüglich der tschechischen Frage wünscht der Kaiser, daß nochmals Verständigungsversuche mit den Tschechen unternommen werden; keinesfalls dürfe einer tschechischen Universität wegen (gemeint ist jene in Mähren alles auf die Spitze getrieben werden. Damit schloß die anderthalbstündige Audienz. Nach dem, was man aus dem Munde hochstehender Politiker hören konnte, erregte die abermalige Verschiebung der Entscheidung große Ueberraschung. Da der Kaiser seine Abreise nach Ischl verschoben hat und vielleicht noch eine Woche in Wien 97. Jahrgang. bleiben will, muß man auch auf eine Lösung, die gegen Körber ausfällt, gefaßt sein. Unbefangene Beobachter halten aber daran fest, daß die Vorgänge in Ungarn für das Kabinett Körber nur einen paffenden Anlaß boten, um durch Aufwerfung der Kabinettsfrage seine Stellung nach innen zu festigen. Der Feldzxg gegen den Mnllah. In der englischen Presse bezeichnet man den Einfall des Mullah in das englische Protektorat als einen Rückzug vor den abessinischen Streitkräften, die ihm bekanntlich am 30. Mai eine schwere Niederlage beigebracht haben sollen. Den Abessiniern, die dabei angeblich nur einen Mann ver loren, während der Plullah 1000 Mann einbüßte, fiel da bei der Sänger des letzteren in die Hände, der die Helden taten des Derwischheeres zu besingen uud die Derwische dadurch anzufeuern hatte. — Ueber den Kampf der Ko lonne Plunkett liegen jetzt Nachrichten von einem Teil nehmer auf Seiten des Mullah vor. Einer der Häuptlinge des Rerali-Stammes hat nämlich das Heer des Mullah verlassen und ist zu den Abessiniern übergegangen. Er erzählt, daß die Derwische auf ihrem Rückzüge vor den Abessiniern bei Gumburru auf die Engländer stießen. Der Häuptling behauptet, die auf Seiten -er Derwische Gefallenen gezählt zu haben. Bis zum Eintreffen des Mullah auf dem Kampfplatze habe sich deren Zahl auf 730 belaufen. Den größten Schaden habe das Maximfeuer angerichtet. Die Nachricht, daß englische Offiziere als Ge fangene im Lager des Mullah seien, sei unzutreffend. Als das englische Karree auseinanderbrach, habe noch ein Hauptmann gelebt, sei aber erstochen worden, da er fort fuhr, sich zu verteidigen und vier Somalis niederschoß. Ein Spezialberichterstatter des „Daily Telegraph" erfährt von dem nach Sheik zurückgekehrten englischen Major Cobbold, daß der Mullah den Mann, der den überlebenden englischen Offizier erstach, bei lebendigem Leibe schinden ließ. Der Mullah hatte nämlich gehofft, englische Offi ziere in seine Hände zu bekommen, um sie gegen Munition austauschen zu können. Der Munitionsmangel soll jetzt die Unternehmungen des Mullah lähmen. Aus Aden telegraphiert man dem „Daily «Telegraph", daß die eng lischen »nd die stalieinschen Schiffe in Beride 260 Mann und 6 Maximgeschütze landeten. Die Bevölkerung schien an fangs Widerstand leisten zu wollen, lief aber auseinander, als die Truppen an 'Land kamen. Man fand in dem Orte nur ein Gewehr, der Vorsteher gab aber zu, daß der Feind auf dem Wege über Beride große Mengen von Waffen erhalten habe. Das italienische Schiff liegt jetzt vor Beride, während das englische Schiff die Küste ab patrouilliert. Deutsches Reich. Leipzig, 4. Juli. (Die Agitation für eine Aenderung deS ReichStagSwahlrecbtS.) DaS konser vative „Vaterland" schreibt in seiner heute zur Ausgabe gelangenden Nummer, seine Redaktion habe im Redaktions bureau des „Radebeuler Tageblatte»" das BeweiSmaterial dafür eingesehen, daß Geldsendungen zur Agitation für eine Aenderung des ReichStagSwahlrecht» eingeleitet seien, und stehe nunmehr nicht an, zuzugeben, daß eine Korrespondenz zu diesem Zwecke in der Tat existiere. Diese Schrift werde aber nicht, wie verschiedene Blätter durchblicken ließen, von den Führern der konservativen Partei vertrieben, sonder« von einem Fpttilletsn. Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. v,ua>vrua verbalen. Viertes Kapitel. Wie ein Fels in der Brandung stand Hotelier Tschurtsch- berger, umwimmelt von Reisenden und Touristen; der übliche Morgenrummel spielt sich ab, Ankunft neuer Gäste, Abreise von „Einnachtfliegen", ein Chaos von Wünschen, Beschwerden, Kragen aller Art, Forderungen von Equi pagen, Retourckutschen, Einspänner, Auskünfte über billigste Beförderung in die Schweiz und dergleichen. Für heute allerdings kamen die gefürchteten Wetterfragcn dazu, denn aus Süd strich ein den Reisenden rätselhafter kalter Wind, über den Firnen thronte eine Bank von Cirrus- wolken, das Barometer kündete durch Tiefstand der Queck silbersäule Wettersturz. Für den kundigen Wirt gilt es an solchen Tagen zu halten, was aufgehalten werden kann, sonst stiebt ihm alles davon und wird ihm in wenigen Stunden das Haus leer. So tröstete Tschurtschberger die Aengstlichen durch Versicherung, daß plötzliches Sinken der Temperatur ortsüblich sei und nicht viel bedeute; der Wind schlage in den Hochalpen immer gern um und flackere im Becken von Schwarzwafser mit Vorliebe, was gar nichts beweise. Fräulein Basold stand bet Tschurtschberger, für den sie sich interessierte, und lieb sich selbst von hitzigen Reisenden nicht wegdrängen. Vor einem Eingeregnetwerden bangte es dem Fräulein persönlich nicht, Irma befürchtete ledig- lich, daß Papa die Geduld verlieren und abreisen könnte, und daS wollte sie verhindern. Aus solchem Grunde fragte Irma nun schon wiederholt, was der Herr Tschurtsch berger vom Wetter halte und wie sich speziell der kalte Wind zu hochsommerlicher Zeit erkläre. Ambros hielt geduldia Stand und erwiderte, daß der Südwind auf seiner Fahrt nach Schwarzwaffer viele Gletscher passiere, sich daher abkühle und hier nicht anders als kalt auftreten könne. „Ja, aber ein Südwind ist sonst doch immer warm?!" replizierte Irma. „Gewiß, bet uns in den Hochalpen ist jedoch alles anders tm Vergleich zum Klachlandel" Gut ein halbes Dutzend Reisende sprachen gleichzeitig auf Tschurtschberger ein, sie mußten gehört und nach Mög lichkeit befriedigt werden. Zimmer wurden angewiesen, Equipagen besorgt, der Hotelier erwies sich als Tausend künstler und blieb gelassen, vertraut mit dem Trubel. Nun aber stürzte der Oberkellner heran und meldete einen unliebsamen Vorfall, der sofortiges Eingreifen des Herrn erfordere. „Pardon, meine Herrschaften! Ich komme gleich wie der!" rief Tschurtschberger und wand sich aalglatt durch die lärmende Menschenmenge, um mit Jean im Flur zu verschwinden. In der Office stand ein Herr, der in großer Aufregung gegen die ihm überreichte Rechnung protestierte und sich energisch weigerte, eine Zeche zu bezahlen, die er nicht ge macht habe. Höflich bat Tschurtschberger um Mäßigung und sicherte koulante Erledigung zu, indem er die Buchung überprüfte. „Was haben der Herr nicht erhalten?" ,Hier steht auf der Rechnung für Nummer 17, also mein Zimmer seit gestern, eine Flasche Markobrunner zu 0 Kronen, Forellen, Holsteiner Schnitzel mit Beilagen, eine halbe Poularde, Dessert und eine Flasche Mumm! Bezahle ich nicht, weil ich nichts weiter als einen Kalbs braten und drei Krügel Münchener Bier verzehrt habe. Dies steht richtig hier, alles übrige geht mich nichts an! Sie müssen doch selbst zugeben, daß ein einzelner Herr zum Souper n cht diese Menge Speisen verzehren kann!" Tschurtschberger meinte: «Das allein beweist noch nichts, unfaßlich edoch ist mir der Irrtum seitens der Kellnerin und Buffetüamel Haben der Herr auf bezügliche An frage die Zimmernummer angegeben? „Ja!" „Bitte, wem?" „Einer Kellnerin!" „Können der Herr diese Person mir namhaft machen oder zeigen?" „Letzteres kann ich und bin dazu bereit, doch ist Eile nötig, da ich mit dem Schnellzug wegfahren will!" Tschurtschberger suchte in Begleitung des Beschwerde führers die betreffende Kellnerin und konnte die Richtig keit der Angaben konstatieren. Um den Herrn nicht länger aufzuhalten, strich der Hotelier di« rätselhafte Ueberzeche von der Ztmmerrechnung, »rnd, damit zu frieden, reiste der Herr sogleich ab. Wie zuckerhungrige Fliegen flatterten abermals Passa giere auf den Hotelier zu, der sich ihrer mühsam erwehrte und nun energisch Recherchen pflog, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Der Reihe nach, soweit das Per sonal nicht servieren mußte, wurden die Kellnerinnen vor genommen und verhört, allerdings vergeblich, denn im Trubel hatte auch nicht ein dienstbarer Geist den Besteller und die Bestellung im Gedächtnis behalten können. Sonach blieb nur die Vermutung übrig, daß ein oder mehrere Gäste absichtlich eine falsche Zimmernummer an gegeben und lustig drauflos gezecht haben. Der mit der Zeche „beglückte" Herr von Nr. 17 hat sich gewehrt, was man ihm nicht verdenken kann. Wie aber nun heraus bringen, wer die falschen Zecher waren? Tschurtschberger kontrollierte das riesige Aufschreibbuch des Buffet fräuleins, tatsächlich findet sich der Vermerk für Zimmer 17 mit der großen Zech«, das Fräulein beteuerte, genau nach Angabe der bestellenden Kellnerin den Eintrag voll führt zu haben. Da war nun nichts weiter zu wollen und nichts mehr zu tun. Das bisher erprobte Aufschreibsystem hat sich aber als unpraktisch erwiesen, es ist Schwindel und Betrug möglich, das steht fest und ist erwiesen, wie wohl Tschurtschberger dies bislang für undenkbar ge halten hat. Und jemehr er darüber nachdachte, desto mehr leuchtete ihm ein, daß nicht nur gewissenlose Hausgäste durch falsche Zimmerangabe Schwindel verüben können, das System ermöglicht bei dem üblichen Dinertrubel so gar fremden Gästen, so sie ohne Gepäck in bester Kleidung -en Saal betreten, Speisen bestellen und eine beliebig« Zimmernummer angeben, kostenlos für sich selbst zu dinie ren und anstandslos sich wieder zu entfernen. Nicht jeder reklamierte die ihm aufgehäufte fremde Zeche, aber sicher wird ein Betroffener hinterdrein das Hotel als un solid bezeichnen und über Banditenwtrtschast zetern. Tschurtschberger will diesen Schwindel unmöglich machen, aber er weiß für «den Augenblick keinen rettenden Ausweg. Die von Gästen genoffenen Speisen und Getränke gleich bar zahlen zu lassen, ist bei dem Trubel nicht durchführ bar, erweckt einen ungünstigen Eindruck und öffnet dem Personal ein Türchen zu Unterschleifen, sofern nicht trotz dem am Buffet ausgeschrieben wird. Der Schnellzug brachte Ersatz für den Teil abgereister Personen, welche dem Wetter nicht trauten; Tschurtsch- berger empfing die Gäste mit gewohnter Höflichkeit und Geduld. Besondere Liebenswürdigkeit entwickelte er einem Paare gegenüber, Vater und Tochter. Rechts anwalt I)r. Bier und Fräulein Aennchen aus Dresden, Gäste, die seit einigen Jahren allsommerlich nach Schwarz wasser kommen und in der Alpenrose drei bis vier Wochen wohnen. «Dem jungen Hotelier lachte das Herz beim Anblick deS einfachen, lieben blonden Mädchens, und innig hieß er die Gäste willkommen, zugleich aber freundschaftlich tadelnd, daß sie ohn« Aviso gekommen seien, und daher nicht die gewohnten Räume sogleich beziehen können. In unverfälschtem Dresdnerisch versicherte Vater Bier, daß dies gar nichts auf sich habe und es sich in der „Alpenrose" überall gut wohne; auch Fräulein Aennchen erwähnte, daß «die Hauptsache im Schwarzwaffer-Aufent- halt gelegen sei. „Also kommen Fräulein besonders gern in unsere Gegend?" fragte Tschurtschberger. Das allerliebste Sachsenmädel nickte und bedauerte, eS gar nicht erwarten zu können, wieder die liebgewonnenen Orte und Berge zu besuchen. „Bitte, Herr Tschurtsch berger, nicht regnen lassen, so lange wir da sind!" „Werd' ich schon machen, verehrtes Fräulein!" Aennchen kicherte: „Sie können also Wetter machen?" „Leider nicht, aber mein Möglichstes will ich tun, um den Herrschaften den Aufenthalt in« meinem Hause so an genehm als möglich zu machen. Dessen bitte ich gütigst überzeugt sein zu wollen!" versicherte Tschurtschberger und gab Anweisung für die Zimmer der Dresdner, von denen Ambros sich durch Händeschütteln für momentan verab schiedete. Fräulein Irma Basold rauschte durch den Flur heran, nicht wenig überrascht, den Hotelier einer Dame gegenüber so überaus liebenswürdig zu sehen, und entschlossen, Tschurtschberger nun energisch für sich zur Unterhaltung zu reklamieren. Ambrosens Aug«n hatten aber die lang weilig« Dame bereits erblickt, und hurtig brachte sich der Hotelier dadurch in Sicherheit, daß er die Freitreppe hinabsprang und sich im Wagenschuppen zu tun machte und den Hausknechten befahl, die Wagen zu schließen. Irma schien entschlossen, den Ausreißer Uber die Straße zu verfolgen, doch ein nun kraftvoll einsetzender Regen fall vereitelte die Absicht: im Seidenkleide wollte sich daS Fräulein doch nicht hinauswagen. Ein Weilchen ver blieb Irma beobachtend unter dem GlaSdache, das die Freitreppe schirmte; der Zugwind trieb aber auch hier- her in schrägen Strichen das himmlische Naß und ver jagte die geärgerten Hotelgäste. Eingeregnet! Die sommerliche SchreckenSbescherun« ist da. Grau das Firmament, die Fels- und Eiskoloffe eingehüllt in Nebelschwaden, die bis -um Nadelwald
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