02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020807028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-07
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Schon gestern rückten sie mit einem solchen Anträge an, der neben der Zeitverschwen- dung noch den Zweck verfolgte, den Genossen im Lande Ver gnügen zu bereiten. Sie beantragten nämlich zu Position 946 (Kinderspielzeug) die Hinzufügung der Anmerkung: „Orden sind, auch wenn sie von Souveränen verliehen sind, nach Beschaffenheit des Material- ohne Rücksicht auf das Gewicht, keinesfalls unter 1000 für jedes Stück zu ver zollen." Und zwar batten sie diesen Antrag ohne Wissen deS Vorsitzenden drucken lassen, der natürlich über diese Ein- schmuggelung ebenso ungehalten war, wie die übrigen nicht socialdemokratischen CommisstonSmitglieder, in deren Namen der Abg. vr. Paasche die Eassirung der Drucksache bean tragte. Die Ungehörigkeit der Verbindung deS Antrags mit der Position „Kindersptelzeug" rügte der Staatssekretär Graf PosadowSky, der zugleich die Nichtbetheiligung der NegierungSvertreter an der etwaigen Berathung deS Antrag« ankündigte. Da nun die Antragsteller einsahen, daß ihr „Witz" keinen Anklang fand, ließen sie den Antrag durch den Abjz. Stadthagen jsurückziehen, behielten sich aber seine Wiedereinbringung be, einer anderen Position vor. Ob sie diese Absicht auSführen, ist noch fraglich. Kehrt der Antrag bei einer anderen Position wieder, so fehlt ihm die Spitze, ganz abgesehen davon, daß er schon des halb keine Aussicht auf Annahme hat, weil in diesem Falle ganz zweifellos daS Ausland den Zoll nicht trägt und selbst die der Commission angehörigen Mitglieder der „ausschlag gebenden" Partei sicherlich nicht einmal die Neigung verspüren, silr einen wohlverdienten päpstlichen Orden 1000 Zoll zu bezahlen. Aber findig, wie die Genossen des Herrn Stadthagen sind, werden sie wobl noch andere Anträge finden, die, auf geschäft-ordnungsmäßigem Wege eingebracht, bcrathen werden müssen und den Zweck der Zritverschwen» düng erfüllen. Der geschmackvolle „Witz", den sie gestern breit getreten zu sehen wünschten, hat ja seinen auf die Genossen im Lande berechneten Zweck erfüllt und wird in socialdemokratischen Conventikeln nach Gebühr gewürdigt und belacht werden. Die nächsten preussifchc» LandtagSwahlcn unmöglich zu machen, wenigstens in denjenigen Wahlkreis«, in denen die Soctaldcmokrattc stark vertreten ist, habe» socialdemokratische Blätter fchon mehrfach gedroht. Jetzt entwirst der „Vor wärts" einen förmliche» Schlachtplan, indem er auSsührt: Bei der übergroßen Zahl von Wahlmännrrn würde r» völlig au-reichen, daß eine kleine Schaar socialdemokcatischer Wahlmänner mit peinlicher Sorgfalt darauf achtet, daß dl» gesetzlichen Bor- schriften mit aller Streng» innegehalten werden; überdies werde jeder socialdemokratische Dahlmann von der Befugnlß Gebrauch machen, den Namen deS von ihm Gewählten eigenhändig in das Protokoll einzutragen. Eine weitere Verzögerung de» Wahl- geschäst» würden aber die vorzunehmendrn Stichwahlen ver ursachen, deren Zahl sich durch die Theilnahme einer neuen Partei ganz erheblich vermehren wird. Nun ist idie für die preußischen Abgeordneten vorgeschriebene Methode der Stichwahlen außer- ordentlich umständlich. Ist im ersten Wahlgang absolute Majorität nicht erreicht worden, so beginnt die Wahl von Neuem zwischen sämmtlichen bisherigen Candidatrn (mit Ausnahme derjenigen, di« etwa im ersten Wahlgang nur eine Stimme erhalten haben); ist wieder absolute Majorität nicht erreicht, so beginnt die Wahlhandlung von Neuem, indem nur derjenige Eandidat sortgelassen wird, der die wenigsten Stimmen erhielt, und so fort, bis endlich die Wahl zwischen zwei Candidatcn steht, so daß die Entscheidung fallen muß. Der „Vorwärts" erinnert daran, daß die Socialdemokraten in Altona durch ihre Wahlbetheiltgung 1898 bereit» erreicht hätten, daß der nationalliberale Abgeordnete Mohr erst nach dem vierten Wahlgange als gewählt proclamirt werden konnte. Erwäge man, daß die größeren Wahlkreise zwei oder gar drei Abgeordnete zu wählen haben und daß jeder einzelne nach dem gleichen Verfahren zu wählen ist, so könnte man sich ein Bild machen von dem, waS 1903 bevorsteht. Auf Grund der letzten Volkszählung von 1900 hat der „Vorwärts" berechnet, daß bet den nächsten Landtagswahlen von 1903 12 Wahlkreise mit 26 Abgeordneten 600 bi- 700 Wahlmänner haben werden, zehn Wahlkreise mit 24 Abgeordneten 700 bi» 800 Wahlmänner, sieben Wahlkreise mit 17 Abgeordneten 800 bis 900 Wahlmänner, 2 Wahlkreise mit 5 Abgeordneten 900—1000 Wahl männer, 17 Wahlkreise mit 44 Abgeordneten mehr als 1000 Wahl männer. Im Ganzen werden 48 Wahlkreise mit 116 Abgeordneten mehr al- 600 Wahlmänner haben. Da da- Abgeordnetenhaus 433 Mitglieder zählt, so würde di« Wahl von mehr als einem Birrtrl aller Abgeordneten mit den grüßten Schmierigkeiten ver- Kunden sein und die Wahl eine» sehr beträchtlichen ProcentsatzcS unmöglich werden. Nun ist wohl schwerlich anzunebmen, daß eine sehr erheb liche Anzahl socialbemokratischer Wähler geneigt sein werde, der Ausführung de« Plane- lediglich zum Zwecke ver Schikane einen ganzen Tag zu opfern; da und dort aber fällt die An regung des „Vorwärts" doch wohl auf fruchtbaren Boden. Und wenn dies auch nur in einem einzigen Wahlkreise ge schehen sollte, so würde der Beweis erbracht sein, daß eine Aenderung d«S preußischen Wahlsystems nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden darf. Die j u n g ts ch c ch is ch e n Blätter kehren alle bei Besprechung der Vcrständigungsfragc in Böhmen die rauhe Seite hervor und beharren auf dem Standpnncte der entschiedensten Ablehnung jeder Ausgleichung der Differenzen durch gegenseitiges Entgegenkommen. Sie bestehen darauf, das; das Unrecht, das den Tschechen an geblich durch die Aufhebung der Badenischen Verord nungen zngefügt wurde, durch Einführung der inneren tschechischen Amtssprache zunächst wieder gutgemacht werden müsse. Das Organ des Abg. Dr. Ltransky, „Li- dovc Nvviny", bezeichnet die Lösung der Sprachcnfrage nur als eines der Postulats des tschechischen Volkes; die Anfrollung der Sprachenfrage rufe gleichzeitig die Forde rung nach Erfüllung des ganzen tschechischen Programmes wach. ES handle sich um die Erfüllnng der Gleichberech tigung und der Gletchwerthigkcit der tschechischen Sprache in ihrer ganzen Ausdehnung und in jenen Grenzen, wie sie durch den Artikel 10 des Staatsgrnndgesctzes fcstgcstcllt erscheinen. Die Forderung der deutschen Staatssprache, welche die Deutschen aufstellen, sei unberechtigt, sie ziele mit ihrem Endzwecke gegen den selbstständigen öster reichischen Staat und seine Integrität. Wenn cs nicht ge lungen sei, die deutsche Staatssprache einzuführen, so lange die absolute Gewalt regierte und die tschechische Cultur noch auf niedriger Stufe stand, wie könne man es wagen, heute, wo die Völker berufen sind, über die Ge schicke des Reiches zu entscheiden und die nichtdentschen Nationen eine chöhore Eultur erreicht haben, als die Deutschen, die Einführung der deutschen Staatssprache zu verlangen? Diese Forderung sei eine Utopie. Der tschechisch klerikale „Hlas" in Brünn führt aus, der ruhige Verlauf des böhmischen Landtages habe die Ansicht ge stärkt, das; eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen im Interesse der Beendigung der Action Koer- ber's gegen Ungarn in Sicht sei. Allerdings müsse gegen die deutsche Staatssprache als Compensatio» für die innere tschechische Amtssprache protestirt werden. Es sei nicht zu bestreiten, das; die Regierung den Verlauf des diesjährigen Landtages zu ihren Gunsten auslcgcn könne. Es müsse zugegeben werden, daß diese friedlichen Verhandlungen im Landtage beweisen, dast die Zeit der Obstruction im Rcichs- rathc sowohl seitens der Jungtschechen, wie seitens der Deutschen als beendigt angesehen werden kann, wenn nicht ganz unvorhergesehene Ereignisse cintrcten. Jung tschechen und Deutschen seien zu der Vrosamenpvlitik zurück- gekehrt, da sic erkannt haben, das; die Obstruction nur Verwirrung und Gefahr bringt, aber keinerlei positives Ergebnis; hcrbciführt. Die mährisch-tschechische Volks partei wünsche die Vereinigung des deutsch-tschechischen Streites, aber sic glaube nicht an einen baldigen Erfolg, am wenigsten, wenn wieder von der deutschen Staats sprache die Rede ist, und so lange sich der Fricdcnsschluß nicht auch auf Mähren und Schlesien bezieht. Eine Kom pensation gegenüber der deutschen Staatssprache könnten höchstens der Föderalismus und das Staatsrecht bilden. Diese aber schließen ihrerseits wieder die deutsche Staats sprache aus. Das Orgau der tschechischen Realisten, der „Czaö", weist darauf hin, das; sowohl von deutscher, als vou tschechischer Seite die Herbeiführung einer Verstän digung als kaum möglich bezeichnet werde. ES sei leicht zu begreifen, das; die Rückkehr zu einer ruhigen und friedlichen Politik den Deutschen, wie den Tschechen nicht leicht ist. Auf beiden Seiten wurden die Forderungen auf nationalem Felde ohne Rücksicht airf ihre praktische Durch führung und auf den Schaden, den dieselben dem öffent lichen Leben zufügcn, inö Maßlose gesteigert. Seit sechs Jahren erhalten die jniigtschcchischcn Abgeordneten das tschechische Volk in dem Glauben, dast die wichtigste Forde rung der tschechischen Politik eine entschiedene Reform in der Sprachcnfrage bilde. Gleichzeitig wnrdc der Nation erklärt, das; das Zugeständnis nationaler Autonomie gleichbedeutend wäre mit der Zerreißung des Landes. Ein solches Vorgehen begünstige nur die parteipolitische Agi tation, aber vom nationalen Standpuncte sei dasselbe un klug. Die Jnngtschechcn haben sich auf diese Weise den einzigen Weg verrammelt, auf welchem cs möglich wäre, zur nationalen Sicherung des tschechischen Elementes zu gelangen. Aehnliche Fehler begehen die Dcntschen, wenn sic sich ein nnmögllches Ziel, die Erneuerung der deutschen Hegemonie im Reiche und die Gcrmantsirung Böhmens, setzen und Jeden für einen Vcrräther erklären, der diesen undurchführbaren Plan nicht unterstützt. Die Politik ver trage eS aber nicht, einem Ziele znzustreben, das ganz augenfällig nicht erreicht werden kann. Daß man den Fehler auf beiden Seiten bereits erkannt habe, zeigen die Schwankungen bezüglich der radtcalen Forderungen bei Tschechen und Deutschen. Es wäre daher gerecht, all mählich eine Umkehr vorzubereiten. Wegen des Rücktrittes des vielgenannten socialistischen Maires von Marseille, des Dr. FlaissiöreS, und mehrerer seiner College» mußte der ganze dortige Ge mein derath erneuert werden. Der erste Wahl gang lieferte kein endgiltigeö Resultat, aber bei der Stich wahl am Sonntag errangen die Nationalisten einen glänzenden Sieg über die Locialisten. Ihre Liste drang mit 36 000 Stimmen durch, während die Flaissiöres' es nur auf 28 000 brachte. Das Ergebnis; ist an und für sich von Bedeutung, aber man interessirt sich in Paris noch ganz besonders dafür, weil der Kammerpräsident Brisson, der im Mat seine Candidatur ans seinem angestammten Wahlkreise, dem 10. Pariser Arrondisse ment, nach Marseille verlegte und dort auch wirklich einen Abgeordnetensitz erhielt, die Liste Flaissiöres' «»empfohlen hatte. Von den Redactionen der radtcalen und socialistischen Marseiller Blätter wurden daher nach der Wahl Lchmährufe gegen Brisson mit der Aufforderung laut, dast er seine Entlassung einreichen möge. Dast die Pariser Nationalisten sich darüber freuen, ist begreiflich. Deutsches Reich. Leipzig, 6. August. Die diesjährige Jahres versammlung des Centralverbandes von Ortskrankcncasscn im deutschen Reiche findet vom 5. bis 8. Octobcr 1902 in Hamburg statt. Anträge hierzu sind von den bctheiligten Cassen bis spätestens 15. August bei der gcschäftsführcnden Vcr- baudscasse der Ortskrankencasse für Leipzig und Um gegend einzurcichen. H: Berlin, 6. August. (A r b e i t e r v e r s i ch e r u n g bei den Betriebsverwaltungen -eö Reiches.) Abgesehen von der Steigerung, welche im nächstjährigen RcichshaushaltSetat die auf den Reichs zuschuß zur Invalidenversicherung bezügliche Position er fahren wird, dürfte die Arbciterverktcherung auch in sofern in dem Etat für 1903 mit größeren Ansätzen er scheinen, als die bei den verschiedensten Verwaltungs zweigen für die Kranken-, Unsall- und Invalidenver sicherung der eigenen Angestellten ausgeworfcnen Lummen erhöht werden dürften. Anfangs der neunziger Jahre bewegten sich die betreffenden Positionen noch in engerem Nahmen. Jetzt sind in sie bei den größeren Be triebsverwaltungen des Reiches schon ganz beträchtliche Summen eingestellt. Bei der Militärverwaltung bei spielsweise werden für die Zwecke der drei staatlich ge regelten Bcrsicherungsarten jährlich nicht weniger als nahezu eine Million Mark, bet der Marinevcrwaltung über 600 000 bei der Post- und Tslegraphenverwaltung 400 000 gezahlt. Rechnet man die Ausgaben -er anderen in Betracht kommenden Verwaltungen, wie Eisenbahnverwaltung, Neichsdruckerci u. s. w., hinzu, so dürste man kaum fchlgchcn, wenn man die im nächst jährigen ReichShanshaltsetat für diese Zwecke auSzu- wcrfcnde Gesammtsmnmc auf 2^—2^ Millionen Mark schätzt. * Berlin, 6. August. Die Ge s amm tl ei stu n g e n der Reichspost im Vefürderungödienste weisen im vergangenen Kalenderjahre nach der im Reichopostamte ge fertigten Zusammenstellung wieder eine beträchtliche Steigerung gegen das Vorjahr auf. Die Gesammtstück- Feuilleton. Vas Fräulein von Saint-Sauveur. 4j Roman von Gr 6 ville. (Nachdruck verbeten.) FünfteSCapitel. Das vereinbarte Diner fand am Sonnabend bei Frau von Tourncllcs statt; im letzten Augenblicke hatte man sich entschlossen, Landry auch cinzuladen. Es war das ein Ein fall von Aolande, die der Meinung war, daß das „Mahl nicht ohne Männer ablaufen dürfe", zumal alle anderen Frauen verheirathet waren. Ihre kleine List wurde von Jehan von Olivettes sofort durchblickt, der, ehe eine Stunde verflossen war, schon wußte, woran er sich zu halten habe: Billorö machte dem Fräulein von Tournelles nicht den Hof. Er brauchte also nicht eifersüchtig zu fein. Ja, was mehr war, der junge Edelmann konnte ihm sogar von Vortheil sein. Der Dichter näherte sich also Landry und behandelte ihn mit -er gnädig herablassenden Miene eines incognito reisen den Königs, der sich zu zerstreuen und zugleich zu belehren sucht. „Sie sind ein Freund -er Musik, der wahren, der neuen Musik? Man hat mir gesagt, daß Sie nach Parts zu reisen pflegen und stets auf dem Laufenden find; wir sind daher wie geschaffen, einander zu verstehen. Das Land hier ist flach, wenig malerisch, nicht wahr?" „Der Park von Tournelles ist indessen sehr schön", be merkte Landry. „Allerdings, doch wurde er von einem Gärtner aus der alten Schule angelegt, das sieht man auf den ersten Blick." „DaS dürfte aber recht lange her sein; denn die Bäume sind sehr alt, zählen gewiß einige Jahrhunderte." „Zugegeben. Und reich ist da- Land auch. Und ist daS Leben gut hier?" „Reich? Nun ja, es giebt reiche Leute hier, ebenso, wie es auch solche giebt, die eS nicht find", erwiderte Landry treuherzig. „Ach, verstellen Sie sich doch nicht! Pflegen Sie auch Berse zu machen?" „Oh!" gab der junge Grundbesitzer ein wenig hastig zur Antwort. „Wenn ich schon Verse mache, so thue ich cs nur zu meinem Vergnügen; Ruhm oder Nutzen werde ich niemals daraus zu ziehen suchen." „Daran thun Sie Unrecht!" belehrte ihn Jehan von Olivettes. „Der Ruhm sucht nicht uns auf, sondern wir müssen den Ruhm aufsuchcn. Es muß hier im Lande viele Leute geben, die die Literatur und die Kunst lieben . . . Und wenn Sie wollten, so könnten wir in Bourges eine Bereinigung der Jungen in's Leben rufen." „Sind Sie denn nicht der Ansicht, daß wir Derartiges schon genug und übergenug in Frankreich haben?" fragte Landry. In diesem Augenblick erschien Volandc in dem Rauch zimmer, wo diese Unterredung zwischen den zwei Männern stattfand. „Meine Herren", sprach sie, „Sie werden doch hoffentlich nicht den ganzen Abend hier verbringen. Die Damen vergehen schon vor Ungeduld. Poet, Sie werden uns einige Beisse recittren." Der Unterschied zwischen dem wahren Talent und dessen Abklatsch besteht auch darin, daß sich letzterer sehr gern vernehmen läßt, während ersteres häufig in sich ver- schlossen ist. Gehorsam folgte Jehan von Olivettes der Tochter -eS Hauses, und ein paar Minuten später stand er in -er Mitte des großen Salons und rccittrtc Gedichte ohne Reim und ohne Metrum, aber leider auch ohue jeglichen Sinn. Der Oberst richtete sich unter seiner strammen Uniform empor und dachte an den Rapport, den er aus Mangel an Zeit nicht noch einmal gelesen »md nm dcssentwillen er heute Nacht zwei Stunden länger wird wachen müssen. Das Spiel war den Einsatz wahrlich nicht werth. LandoiS, der Bankier, hatte kürzlich Goldmincnacticn gekauft und legte sich jetzt voll Unruhe die Frage vor, ob er wohl die richtigen gewählt habe. Die übrigen Herren dachten auch an ihre Angelegenheiten, während sich die Damen, dem Beispiele Uolande's folgend, lässig in ihre Fauteuils znrücklehnten. Diese unzusammenhängcnden Worte, die einer Art Musik glichen, waren für sic nicht unverständlicher, als dieses oder jenes Quartett, diese oder jene Symphonie, diese oder jene moderne Oper. ES gehörte zum guten Ton, all' die- in einer gewissen Ge- scllsHakt zu bewundern, während man es unter anderen Verhältnissen verspottet hätte. Unter den Damen glänzte Dolande, wie ihr Poet ihr halblaut versicherte, gleich dem biegsamen Stamm einer jungen Weide; ja, aber wie einer Trauerweide, dachte sich Landry, -er -lese Warte vernommen Hatte, ohne zu lauschen; denn Herr Jehan wußte selbst seinen un bedeutendsten Bemerkungen -en entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Fräulein von Tournelles trug eine blaßgrüne Toilette, obwohl diese Farbe mit ihrem Gesicht durchaus nicht har- monirte. Bald schritt sie, in den Hüften sich wiegend, dahin, was recht ästhetisch sein sollte, aber um so weniger anmuthig war; bald lehnte sie in einem großen Fauteuil und heftete einen sehr aufmerksamen Blick auf den Dichter, und in diesem Blick meinte Landry mehr Schlauheit zu entdecken, als gerade nöthig gewesen wäre; allein Volande war nicht umsonst die Tochter ihrer Mutter und die eines Notars anS PoitievS. Endlich zogen sich die Gäste zurück, nachdem man ver sprochen, das; man sich zur nächsten „Gardcn-Party" ein finden werde; man war mehr oder weniger befriedigt von den Anderen, doch vollkommen entzückt von sich selbst. Als sich der Poet mit Frau und Fräulein allein sah, fühlte er sich einen Moment recht unbehaglich; er wußte nicht, waS er mit dem Abend «»fangen sollte, -er noch nicht weit vorgeschritten war. Die Dame des Hauses machte seiner Pein ein Ende, indem sie sagte: „Sie sind gewiß ermüdet, Herr von Olivettes, und so wollen wir Sie nicht länger zurückhalten." Ihre Lippen bewegten sich eine Weile, ohne daß sie ein Wort gesprochen hätten; sie spann auf diese Weise den ausgesprochenen Gedanken innerlich weiter. Dann fügte sie hinzu: „Ich stehe um sechs Uhr Morgens auf, und Du weißt, Volandc, daß unsere Mtcther morgen Jemanden her schicken werden, um allerlei Ausbesserungen von rmS zu verlangen." „Ausbesserungen?" rief die junge Dame erregt anS. „Nicht für einen rothen Heller! Sie haben das Haus ge- miethet, wie cs war, und mögen es nun so behalten. Gute Nacht, Poet", fuhr sie mit ihrem anmuthigsten Lächeln zu Jehan gewendet fort, dem keine Silbe ent- gangen war. „Ich wünsche Ihnen recht angenehme Träume von Ruhm und Ehre in Ihrem sozusagen feudalen Zimmer." -US er sich in seinem sozusagen feudalen Zimmer be fand, streckte er sich auf einer sozusagen weichen Chaise longue aus; in diesem großen, eleganten Hause war Alles sozusagen etwas, und war gar nichts, was eS eigentlich hätte sein sollen. Auch die Erwägungen und Gedanken Jchan'S waren nicht daS, was er eigentlich gehofft hatte. Ja, bas ver mögen war bedeutend; er hatte seine Erkundigungen ein gezogen und wäre gar nicht gekommen, wenn er nicht die beruhigenden Auskünfte erhalten hätte; aber abgesehen davon, daß Fran von Tournelles, der Hausdrache, wie er sic ohne jede Ehrerbietung im Stillen nannte, wett un angenehmer und niedriger war, als er in Nizza vermeint hatte, wo sie sich bescheiden zur Seite drückte, um ihre Tochter glänzen zu lassen, erschien Polande als ihre würdige Tochter, und obwohl sic sich nicht so gab, wie sie in Wirklichkeit war; denn das wäre gar zu arg gewesen, konnte er nunmehr keinen Moment daran zweifeln, das; sie niedrigdcnkend und dabei sehr anmaßend war. Jehan erhob sich, nm sein Bett zu besichtigen; unter anderen Anzeichen, die über den wahren Charakter eines Hauses nicht trügen können, ist auch das Gastbett zu er wähnen. Hier war das Ruhclager von untadelhastcr Be schaffenheit: weiche Kissen und Decken mit schneeweißen Bezügen. Die Hand deS Hausdrachens verricth sich hier, der einem anspruchsvollen und auf seine leibliche Be quemlichkeit sehr bedachten Manne viele Jahrzehnte hin durch das Hauswesen geleitet. Jehan kehrte zu seinem Fauteuil zurück und gähnte, als er sich an die Tochter des Hauses erinnerte. „Man könnte sich schließlich dazu verstehen", sagte er sich, „doch nur unter der Bedingung, daß keine Be dingungen gestellt werden. Ich muß die Gütergemein schaft durchsetzen, sonst ist die ganze Sache keinen Pfiffer ling werth. Teufel auch, ein Mädchen, wie Aolandc, kann doch nicht verlangen, daß man cs nur um seinetwillen hetrathet. syolandc fängt in ihrett ewigen grünen Toiletten an, sehr überreif zu werden; aber schließlich ist das viele Geld auch nicht zu verachten. Zumal in Parts die reichen Mädchen übermäßig imrschwärmt sind; man muß nothgcdrnngen in die Provinz kommen, um einen nennenswerthcn Fang zu machen. Freilich würde ich einer Anderen, wenn sie mir hübscher wäre, unter gleichen Umstünden den Vorzug geben." Nachdem er seine Erwägungen mit dem ihm geläufigen CyniSmus in Worte gekleidet hatte, entschloß sich Jehan, zu Bett zu geben. Und kaum hatte er sich zwischen den weichen Kissen auSgestreckt, als er auch schon in einen Schlaf verfiel, der bis zum nächsten Morgen währte. Zur selben Stunde machte Polande, die spät zu Bett zu gehen und auch spät auszustchcn pflegte, ihrer Gesell- schafterin mancherlei vertrauliche Mittheilungen. „Hübsch ist er nicht, wie?" fragte sie. Was meinen Sie?"
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