01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020818017
- PURL
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren sür Nachweisungen und Osfertenannahme L5 (exck. Porto). Ertra-Betlagen (gesalzt), uur mit der Morgea-AuSgabe, ohne Postbeförderung 00.—, mit PostbesSrderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-LnSgaL«: vormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» siud stet» a» dv Expeditloa za richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag voa E. Polz iu Leipzig. 96. Jahrgang. Amtlicher Theil. Ocffcntliche Zustellung. Ter Inhaber eines ManusakturwaarengeschäftS Karl Bergmann zu Leipzig, Nordstr. 19. klagt gegen 1) die Elsa (Eska) verehcl. Auren; und 2) deren Ehemann, den Maler Ernst Auren;, beide früher in Leipzig, Waldstrabe 40. jetzt unbekannlen Aufenthalts, aus Kauf mit dem Anträge, die Beklagte zu 1) unter Auferlegung der Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des voraus gegangenen Arrestverfahrens zur Zahlung von 54 „/L 80 zu ver- nrtheilen, den Beklagten zu 2) zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Vermögen seiner Ehefrau, der Beklagten zu 1) zu ver- nrtheilcn und das Urtheil für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Kläger ladet die Beklagten zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor das Königliche Amtsgericht zu Leipzig, Peter- steinwcg 8, Zimmer 65, aus den 28. Oktober 1902, Vormittags 9 Uhr. Ter GerichtSschrcibcr des königliche» Amtsgerichts Leipzig, am 15. August 1902. Versteigerung. Donnerstag, den 21. dies. Mon., Vorn». 19 Uhr, sollen im Verstcigerungsraume des hiesigen König!. Amtsgerichts folgende Sachen versteigert werden, als: 1 große Partie verschiedene Herrenklcidcrstoffe, theilwetse zu einzelnen Anzüge» ab gemessen, darunter auch Winterpaletotstoffe, Kammgarn- stosfc u. s. w., weiter I Muftcrschncidemaschine, 1 Musikautomat (Kalliope), 1 Meyer'sches Lexikon, 1 Ladeneinrichtung, 1 Bettstelle mit Matratze, 2 Büffets, 2 Bücherschränke, 1 Actenschrank, 2 Pianinos, 2 eiserne Eeldjchränke, 4 Bänke mit Lederpolster, 1 Teigtheil- maschine, versch. Möbel, darunter Garnituren, Schreibtische m f. w. Leipzig, den 16. August 1902. Der Gerichtsvollzieher des Sgl. Amtsgerichts. Konkurs-Versteigerung. Montag, den 18. August 1902, von Vormittags 10 Uhr an sollen Leipzig, Lößniger Str. 2, im Austrage des Konkursver walters Herrn Soll,. LlllUor, die zum Konkurs Selckel gehörigen Maaren, als: Cigarren und Tabake, ferner 1 Cigarreupreffc mit Preßkasten, 120 Stück Wickel formen, 1 Brückenwaage mit Gewichten u. v. m. öffentlich gegen sofortige Baarzahlung versteigert werden. Lobuurseinlliät, Lokalrichter. In dem Konkursverfahren über das Vermögen der offenen Handelsgesellschaft unter der Firma: Peter Renk in Leipzig soll mit Genehmigung dcS Konkursgerichts die Schluszvcrthcitttug er folge». Dazu sind 5498.25 baare Kasse vorhanden, welche auf 86.94 bevorrechtigte und 85 448.-12 nicht bevorrechtigte Forderungen, nach vorherigem Abzug der Kosten, zur Ausschüttung gelangen. Leipzig, den 16. August 1902. kaul Lottsedalok, Konkursverwalter. Wilhelm Wundt. ii. NlS reine Erfahrungs-Wissenschaft hat die Psychologie nicht von allgemeinen Anschauungen über das Seelen leben auszugehen. Aber die Verarbeitung ihrer einzelnen Forschungsergebnisse führt naturgemäß zu solchen. So weit Wnndt's allgemeine Auffassung des Seelenlebens von weiterem Interesse ist, läßt sic sich vielleicht am einfachsten durch die Erläuterung einiger seiner Schlagworte kennzeichnen, die im psychologischen Streite unserer Tage immer ihre Nolle spielen: „Actuali- tät der Seele", „psychophysischer Parallelismus", „schöpfe rische Synthese in der psychischen Eausalität" und „Volun tarismus" — der geneigte Leser braucht nicht vor den ge lehrten Frcmdworten zu erschrecken, es handelt sich um verständliche Dinge. Die seelischen Thatsachen, die sich der wissenschaftlichen Beobachtung darbieten, sind innere Vorgänge; nie stößt man bei der Beobachtung des eigenen oder fremden Seelenlebens auf etwas Festes, Beharrendes. Es war ein Jrrthum, wenn man z. B. von Vorstellungen sprach, als seien es irgendwie gegenständliche Abbilder der Natur gegenstände oder sonst den Außendiugcn ähnliche, verhält- nißmäßtg beständige Dinge. „Alle psychischen Thatsachen sind Ereignisse, nicht Gegenstände,- sie verlausen, wie alle Ereignisse in der Zeit, und sind in keinem folgenden Moment die nämlichen, die sie in einem vorangegaugeueu waren", lehrt Wundt. Dem entspricht auch sein Seelen begriff. Den Inbegriff der seelischen Vorgänge iu einem Menschen nennen wir seine Seele. Die Annahme eines irgendwie substantiellen Sceleuwcsens würde für die Er klärung der beobachtbaren psychischen Geschehnisse keinerlei Gewinn bringen. Mag der Philosoph die Substantialität der Seele nicht entbehren wollen, mag sie dem religiösen Denker als Attribut der unsterblichen Menschenseele nvth- wendig erscheinen — innerhalb der Grenzen einer exakten Wissenschaft ist ein solcher Begriff überflüssig und unbrauch bar. Nicht „substantiell", sondern „actucll" sind die Thar sachen, mit denen es die Psychologie zu thun hat; etwas in der Zeit Verfließendes, Geschehendes, sich Entwickelndes ist für sie des Menschen Seele. Vom Gesetz des psychophysischen Parallelismus war ge legentlich die Nede. Es sagt, daß allen psychischen Vor gängen physivlogi-chc entsprechen, daß sich erstere aber aus letzteren ebensowenig erklären lassen, wie umgekehrt. Ja nicht einmal von einer Wechselwirkung kann man im eigentlichen Sinne reden. Denn wenn die physiologischen Vorgänge im menschlichen Körper unter dem alles uatur- hafte Geschehen beherrschenden Eausalgesetze stehen, so ist cs völlig undenkbar, daß in diese geschloffene Kette mate rieller Ursachen und Wirkungen sich ein immaterielles, psychisches Glied cinschicben könnte. Andererseits aber ist cs auch völlig aussichtslos, das Psychische aus physiolo gischen Vorgängen ableiten zu wollen. „Der Gedanke als Gchirnproduct" ist eine ebenso sinnlose Redensart, wie die „Umsetzung physischer in psychische Energie". Wie sich der Philosoph in seinem Einheitsdrange auch mit dem harten Nebeneinander der beiden selbstständigen Reihen abfinden mag — der Psychologe muß sich damit bescheiden, die Thatsache anzuerkcnnen. Daraus folgt nun auch, daß das psychische Leven seine eigene Eausalität hat. Und das ist eine Eausalität sonder licher Gesetzmäßigkeit. Tenn während im Zusammenhang des physischen Geschehens das Gesetz gilt, daß das Zu sammengesetzte überall gleich der Summe seiner Thcile, jeder Vorgang eine Summe von Elementarwirkungen ist, nimmt unter den Grundgesetzen des psychischen Geschehens die „schöpferische Synthese" eine hervorragende Stelle ein. Bei seinen Untersuchungen über Ranmvorstellungen hat Wundt sie entdeckt. Tie elementaren Thatsachen, die der Gesichtswahrnehmung eines Gegenstandes als eines räum lich ausgedehnten zn Grunde liegen, sind bestimmte Ney- haiitempfindungcn und Bcwcgnngsempfinduugcu in der Augcnmuskulatur. Und dennoch ist die Vorstellung des räumlich Ausgedehnten nicht einfach das Zusammensein jener Empfindungen, sondern etwas durchaus Neues. So gilt allgemein: ein zusammengesetztes psychisches Gebilde ist nie einfaches Aggregat der elementaren Vorgänge, in die es sich analysiren läßt, sondern ist wie eine Neu schöpfung; wenn elementare Vorgänge miteinander ver schmelzen, so zeigt ihr Ergebnis, Eigenschaften, die keinem der Grundbestandtheile eigen waren; die „Synthese" hat neue Wertste geschaffen. Das gilt durch das ganze Reich des Psychischen, von den einfachen Sinncswahrnchmungen an bis zu den genialsten Schöpfungen der Küusllcrscelc. Damit hängt dann endlich auch Wundt's „Voluntaris mus" zusammen. Nach weit verbreiteter Meinung sind das eigentlich Wesentliche im Geistesleben die Vor- stelluugen, aus deren mannigfachsten Gruppirungcn und Beziehungen dann erst die Gefühle und Strebungen erwachsen. Wundt ist Voluntarist: will man überhaupt einen Typus der psychischen Vorgänge als Grundform annchmen, so ist das Wollen als solches anzuschen. Tenn nicht nur, daß im Wolle» die Eigenart aller psychischen Thatsachen am deutlichsten hervortritt — that- sächlich durchzicstt auch das Wolle« alle psychischen Lebens vorgänge und stellt den Zusammenhang aller Einzelvor- gängc her. Man darf nie vergessen, daß die Begriffe Vor stellungen, Gefühle, Wallungen im Grunde nur Abstrak tionen sind; soweit mau aber von mner Grundform des psychischen Geschehens sprechen kann, kommt dem Wollen diese Bezeichnung zu. Ter Mensch ist nicht ein Automat, in dessen Augen- und Ostren-Schlitze die Sinnesreize hinciugcworfcn wurden, um sich drinnen in Empfindungen und Vorstellungen umzusetzen, die dann als Reflex mehr oder weniger verwickelte Handlungen auslösten und herausgäben — sondern er ist ein sollendes Wesen, ausgcstattet mit einer besonderen Energie des Bewußt seins. Das lehrt die Beobachtung des menschliche.» Geisteslebens. Der Psychologe ward zum Philosophen. Denn Philosophie muß cs geben. Zwar in den Einzel wissenschaften, in der exakten Arbeit der Erforschung des Beobachtbaren kann man sie nicht gebrauchen — kein Psycholog hat jemals der Einmischung spceulativer Ge danken in die psuchologische Forschung entschiedener widerstanden als Wundt —, aber die Ergebnisse der Einzelwissenschasten sind noch kein einheitliches Weltbild, nach dem der menschliche Geist nun doch einmal verlangt. Die Positivisten dachten einst so; sie meinten, es sei aus sichtslos, über die Grenzen des Erfahrbaren hinaus das Denken auzustrengen, alle Speculation sei wissenschaftlich werthlose Dichtung, man müsse sich damit begnügen, die erfahrbaren, erforschbaren Thatsachen festzustellen und aus den einzelnen Erscheinungen die herrschenden Gesetze abzuleiten; daun würden sich die Einzelcrgcbnisse der Wissenschaften schon zu einer einheitlichen Gesammtauf fassung der Wirklichkeit, zum richtigen Weltbilde zn- sammenschließen. Der Gedanke des Positivismus ist recht schön. Ter Erfolg der Arbeit aber hat gezeigt, daß es tstatsächlich unmöglich ist, mit den rein empirischen Daten auszukvmmcn; unwillkürlich und zmn Theil unbemerkt drängten sich auch den Positivisten un beweisbare Voraussetzungen und die Erfahrung über steigende Hypothesen in den Aufbau der Weltanschauung, und wo man wirklich ganz damit Ernst machte, sich auf die Erfahrung zu beschränken, kam man nicht über einen dürf tigen Schematismus hinaus. Wundt erkannte die Nothwendigkeit der Philosophie — nicht nur der Erkenntnißtsteoric, sondern auch der spekulativen — an. Einem „unhintcrtreiblichen" Bedürf- niß der menschlichen Vernunft entsprechend, muß der Mensch nun einmal nach einer einheitlichen Lebens- und Weltanschauung trachten. Nur daß man nicht einen falschen Weg zu solchem Ziele einschlage! Wer mit der älteren Philosophie aus vorausgesetzten Begriffen ein Weltbild entwickeln will, wer da glaubt, daß eine neue Verknüpfung von Begriffen neue Ausschlüsse über dasWesen der Welt geben könnte, dessen Speculation verfällt aller dings mit Recht der Kritik der Positivisten. Umgekehrt, von unten nach oben muß den Philosophen sein Weg fuhren. Die sichergcstelltcn Ergebnisse der Einzelwissenschaften müssen die Grundlage aller philosophischen Arbeit sein. Diese Ergebnisse, die nun in ihrer Gesammtheit erst ein sehr lückenhaftes Weltbild abgeben würden, hat der Philo soph zu verknüpfen und zu ergänzen, etwaige Widersprüche kritisch ausgleichenü, um so den gesammten Gehalt der Erkenntnis! unter höchste Begriffe zu bringen und zu einem systematischen Ganzen zu verarbeiten. Ein solches philo sophisches Weltbild wird ja nun allerdings nie mit der Sicherheit vertreten werden können, wie der beweisbare Satz einer Einzclwisscnschaft; bescheidet sich aber der Philosoph damit, seine die Erfahrung überschreitenden Sätze als die wahrscheinlichsten, mit den beobachtbaren Thatsachen in Einklang stehenden, durch die dort herrschen den Gesetze nahe gelegten Annahmen zu erweisen, so giebt Fruilleton. Almrausch und Edelweiß. Eine Vlumenlcse für Hochgebirgswanderer. Von Vr. Curt Rudolf Kreuschner (Friedenau). Nachbrutk verboten. Der cigcnthümliche Reiz, der das Hochgebirge so hundertfach über die sanftere Schönheit des Mittelgebirges und Hügellandes erhebt, haftet nicht mrr an den kühnen, zerrissenen Fclsbildungen, deren Riescnhäuptcr als die Säulen des erhabenen Naturdvmeö in des Aethcrs Blau ragen, und an der Welt des Firnschnees und Gletscher eises. Ter Wanderer, der die Welt mit offenen Augen bc- trachtet, um sich an ihren Schönheiten zu erlaben, und dem nicht touristische Klettcrkunststücke zum Selbstzweck ge- worden sind, fühlt sich in der Region deü Todes, ivo ihn nichts nmgiebt als nackter Stein und Gletschcrsirn, bei aller Großartigkeit der Hvchgcbirgsnatur bedrückt und un befriedigt durch den Mangel jeglichen Lebens, und jubelnd begrüßt er cs, wenn das starre Bild der Hochgebirge^ jsccucrie seine schönste Zier durch die Anwesenheit der flinken und gewandten Vertreter der alpinen Thicrwclt und durch die prächtige Vegetation der mit üppig-schwellen dem Grün bedeckten Alpenmattcn erhält: Der Dichter hat Recht, wenn er singt: „Von den beschneiten Gebirgen der nordischlangeu Polarnacht Bis zur erduingürtcndcn Zone des heißen Acqnators Ist kein Raum io gering iin weiten Raume der Säiöpfung, Daß er nicht nähre Geschlechter dcrLage gceignctcrPflanzen." Mas dort oben in der Höhe von 4000 bis beinahe 8000 Fuß über dem Meeresspiegel grünt und blüht, ist mit den Gewächsen der Ebene ja vielfach nahe verwandt, im Ge- sanimtcindruck jedoch gänzlich verschieden. Diese Eigcn- thümlichkcitcn der Alpenflora sind da» Product der An passung der Pflanzenwelt an die ihr im Hochgebirge ge botenen Existenzbedingungen, wo die oft nur kümmerliche Bvdcnkrumc oft 8 Monate und länger von Schnee und Eis bedeckt ist, um dann im rcgenarmcn Sommer vor Sonnenstrahlung und Trockenheit fast zu Staub zu zer fallen. Wo das Pflanzcnlcben des Hochgebirges nicht in gänzlich geschützten Winkeln Unterschlupf gefunden hat, ist cs außerdem selbst an den Sonnentagen der hochsommer lichen Vegetationsperiode den stürmischen Winden ausge setzt, und es ist kein Wunder, daß die Pflanze, die im harten Kampf um's Dasein nicht unierlieg-cn will, in ihrem Bau viele Abweichungen von ihren Schwestern in der Ebene annehmen muß. Das unausgesetzte Ringen nm die Existenz bekommt der alpinen Pflanzenwelt jedoch keineswegs schlecht. Ihr Wuchs bleibt zwar im Allgemeinen meist niedrig; denn die Pflanze hat in den kurzen 3 bis höchstens 4 Sommer monaten vollauf zu thun, um ihre Blüthen zur Entfal tung, sowie Frucht und Samen zur Ausreifung zu bringen. Auf den kurzen Stcngelgliedern der sich viel fach polsterfürmig ansbreitendcn Pflanzenbestäude ent faltet sich jedoch ein geradezu überraschender Flor von großen, in lebhaftestem Farbenschmuck prangenden, honig reichen Blüthen. Man ist versucht, zwischen ihnen und dem Mcnschcuschicksal einen Vergleich zn ziehen, der ein Beweis für die uralte Thatsache ist, daß das Leben nur im fortwährenden Kampfe seine glänzenden, vielseitigen Fähigkeiten zur Entwickelung bringt, während es dort, wo unter durchweg günstigen Bedingungen kein Ringen er forderlich ist, erschlafft und verweichlicht; denn ebenso, wie die aus dem üppigen Paradiese der indischen Menschheits wiege verstoßenen Enterbten die Stammväter der heutigen Eulturträger, der europäischen Völker der Gegenwart, wurden, ebenso bieten sich die Kinder der alpinen Flora, die in der Wüstenei der Gebirge ihr Heim ausschlagcu mußten, als etwas Edleres und Reineres dar. Verhält- nißmäßig viel mehr Arten, als in der Ebene, strömen balsamischen Wohlgeruch aus; andererseits aber entbehrt die Alpenflora fast durchweg der tückischen Gewächse, die narkotische Stoffe oder Gifte in sich bergen. Wer von Norden aus, wo dem Alpcnwalle langsam in die Gebirgsformation übergehende Hochebenen vor gelagert sind, in das Hochgebirge geht, wird sich des Wechsels der Vegetation viel weniger bewußt, als der von Süden kommende. Hier, wo das Hochgebirge wie eine Maner aus der oberitalienischen Tiefebene aufsteigt, reicht die fast subtropische Vegetation viel höher hinauf. Daun Fügt ein schmaler Gürtel von Nadelholzwaldungcn, und plötzlich beut sich ans dem ans dunklem Föhrcuwaldc her- vortrctcnden Wanderer die Eharaktcrpflanze des Hoch gebirges, die rothe Alpenrose, die Königin der Alpen blumen, die ihn nicht eher verläßt, als dort, wo Schnee und Eis den Boden umhüllen und in grausen Felslaby rinthen alles Leben erstirbt. Unter den zahllosen schlechten und wenigen guten Versen, mit denen naturbegcistcrtc Dichter ihr Lob gesungen haben, geben die rmchstchcndcn, von F. Löwe gereimten vielleicht am besten ihre Eigenart wieder: Hoch auf dein Berg iu brauncin Moose, Von Eis umgläuzt und halb verschneit» Blüht still empor die Alpenrose, Ein süß Gedicht der Einsamkeit. Der lauen FrühlingSIüfte Fächeln Küßt ihre jungen Blätter nicht; Sic steht wie ein verlorne» Lächeln Jin starren Felsinangesicht. Tie kalten Glctscherwände steigen Anthürmend mächtig, Stück für Stück, Und unbemerkt in ew'gem Schweigen Wächst sic wie ein verschwieg ne» Glück. Am schönsten prüsentirt sie sich dort, wo sie in dichten Beständen, so weit das Auge schauen kann, den Boden der Alpenmattcn bedeckt. Wenn weit und breit ihre karmin- rothen Glockensträußchen leuchten, die sich von den braunen Knosvcnzapfcn und dem buchsbaumfarbigcn Grün der Blätter wirksam abhebcn, bann steigt in dem Wanderer, der aus der Tiefebene kommt, vielleicht die Erinnerung an das Farbenbild auf, das sein heimathlichcr Wald bietet, wenn die Haide blüht und die Erika Milliarden von Vlumcnköpfchen öffnet, in denen geschäftige Bienen Nectar suchen. Unser Haidekrant ist iu Wahrheit auch ein naher Verwandter der Alpenrose, die eine Mittelstellung zwischen diesen zierlichen, winzigen Kräutern des Nordens nnd den stolzesten Vertretern der Gattung, den vaumförmigcu Alpenrosen des Himalaya, einnimmt, die mau in Europa in keinem botanischen Garten in so ausgesucht schönen Exemplaren bewundern kann, wie in den Zaubergärtcn der Villa Carlotta am Cvmerscc, der zur Vlüthezeit von tihrcu rosafarbenen, gelblichen und weißen Blumen büscheln wie übersät erscheint. Vor dem Schicksale der Ausrottung, wie cö dem Edel weiß, der Edclrauthe, dem Petcrg'stamm und noch mancher anderen Alpenpflanze durch die rücksichtslose Sammelwut!) von Touristen droht, die die kaum gepflückten Pflanzen nach wenigen Stunden achtlos wegwerfen, Ist der Alm rausch durch seine ungeheuere Verbreitung geschützt. Zum Kampfe gegen die Elemente besitzt er aber allerhand wirk same Schutzvorrichtungen. Die Wölbung der Blätter bc- sorgt den schnellen Abfluß des Rogens, und damit dieser nicht auf die Rückseiten der Blätter gelange, wo die feinen Spaltöffnungen verstopft werden könnten, die zu den Athinungsvrgancn der Pflanze fuhren, besitzen manche Arten einen dichten Sanm weißer Härchen, an denen das Regcnwasscr abtrvpst. Vor Austrocknung aber schützt sich die Pflanze durch die fleischige Natur ihrer Blätter, deren Drüsen einen harzigen Stoff absondcrn, der bei Regen guillt und bei trockener Witterung eine Schutzdcckc gegen Verdunstung dcS inneren Wassergehaltes bildet. ' Im Leben des Aclplcrs spielt die Alpenrose eine wich tige Rolle, weil sich an sie der Glaube heftet, baß man mit Ihr die Natlirkrästc meistern könne. Der Tiroler glaubt sein Hans vor unheilbringendem, zündendem Wcttcrstrahl dadurch schützen zu können, daß er an den Giebel und über die Thürcn der Wohnhäuser, Heustadcn und Ställe Sträuße von Almrvsen steckt. Der Schweizer geht von der gegcntheiligen Auffassung aus; er glaubt, daß sic den Blitz onzichen, und nimmt deswegen bei ansstcigcndcn Ge wittern die „Donncrrosc" vom Hute. Auch vergrabene Schätze soll sie anzcigen, indem sie an lolchni Stellen weiße Blinden cutfaltet, und dadurch, daß er sie mit seinem Hute bedeckt, nimurt der Alpenbcwvhncr von den urrter ihr ver grabenen Kostbarkeiten Besitz. Wö alpine Majestät ist die Almrosc von einem glänzen den Hofstaate anderer Edclblumen umgeben. Sobald der Frühling auf die Berge steigt, sprießt — oft dicht neben dem Gletscher — das zierliche Alpenglöcklein, die Solda- nclla, mit ihren zarten, gezackten, lilafarbigen Blumen kelchen hervor; daneben treibt, fast stcngcllos, der Enzian seine röhrenförmigen, tiefblauen Glocken, wett überragt wieder von seinen Vettern, den hohen, purpurnen, punc- tirtcn und gelben Gentiancn. Daneben gedeiht eine Eolvnic von Nigritcllen »BrändeN, deren braune Nehren einen intensiven Vanillcgeruch ausströmen lassen. Alpen« ranunkeln und Hochgebirgsvcilchen (nicht zu verwechseln mit dem Alpenveilchen), Zwergvergißmeinnichts, dick fleischige Scmperviven und zierliche Steinbrecharten bilden den Troß. Als Vornehmster unter Allen aber haust in stolzer Einsamkeit, vom Menschen auf schwer zugängliche Stellen zurückgedrängt, daS in silberschimmerndes Herme lingewand gehüllte Edelweiß. Dadurch, daß es beim Pressen und Eintrocknen nur wenig sc'in Aussehen ver ändert, ist es zum Liebling aller Alpenreiscnden geworden, aber in seinem Bestände auch bereits derart gefährdet, daß vielfach besondere Schutzgcsetze erlassen werden mußten, nm es vor gänzlicher Ausrottung zu bewahren. Eine ganz erhebliche Zahl Alpenpflanzen gedeiht auch in unseren deutschen Mittelgebirgen, wo man sie auch künstlich zu acclimatisireu gesucht hat. Edelweiß ist, in Töpfen gezüchtet, in besseren Gärtnereien käuflich, wie jede andere Zierpflanze; doch verliert cs hier leicht seinen schönsten Reiz, den weißen Haarpclz. Fast alle Hochgcbirgs- pflanzcu zeigen übrigens, wenn man sie in der Ebene cul- tivirt, die Neigung, zu entarten. Man muß ihnen hier nach Möglichkeit dieselben Existenzbedingungen bieten, unter denen sie an ihren natürlichen Standorten leben, vor Allein deren Bodenart und felsigen Untergrund. Alle verlangen sic nach Licht als ihrem wichtigsten Lebens element, nnd eine Anlage in einem schattigen Tbeile des Gartens ist deshalb schon von vornherein verfehlt. Be- häust man sic im Winter mit reichlichen Mengen Schnee, nm den Beginn der Vegetation im Frühjahre zu ver zögern, wozu auch häufige Begießung der Schncelage nnd Schutzwändc gegen Sonnenbcfftrahlnng zweckdienlich sind, so kann mau sich auch in der Tiefebene einen prüsentablen Alpengartcn anlegcn. Schoner gedeihen sie natürlich immer in der Hcimath. Wenig bekannt ist cS im Publicum, daß auch derjenige, -er nicht im Stande ist, alle hierher gehörigen Pflanzen an ihren oft mühselig zu erreichenden natürlichen Stand orten aufzusuchen, einen ziemlich vollständigen Ueberblick über die ganze Pracht der Alpenflora gewinnen kann, wenn er einen der in den letzten Jahren entstandenen „Alpcngärtcn" besucht. Ein solcher in vor Iavresfrist iu 1870 Meter Tceböhe ans dem Sckuvckicn, dem berühmten Ansnchtspuncte im Wetterstcingebirge bei Partenkirchcn in Oberbayern eröffnet worden. Der erste dieser bota nischen Hvchgärten entstand auf Anregung von Professor Nägcli schon 1875 bei Innsbruck auf dem ADO Meter hohen „Blaser". Ihm folgten ähnliche Anlagen auf der schweize rischen Fürstcnalp, dem Pont de Nant bei Lausanne, dem Mont Ehambrvussc bei Grenoble und dem Eol du Lautaret und als höchster in den Pyrenäen der 2055 Meter hoch ge legene Alpengartcn auf dem Pie du Midi. Dienen diese Anlagen in erster Linie auch wissenschaftlichen Zwecken, so bieten sie doch auch viel des Interessanten dem Touristen, der hier alle Pflanzen des Hochgebirges im Ztahmen einer großartigen Natur vereint findet.
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