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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-19
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020919028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-19
- Monat1902-09
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Tagan, Paasche. Rettich, Spahn «nd Stadt- dagen, hat sich wie schon gemeldet worden ist, die Arbeit ziem lich leicht gemacht und ihre Besprechung in kurzer Zeit be endet. Es drehte sich dabei um die geschäftliche Behandlung de- Tarifs und des Tarisgesctzes in zweiter Lesung. Die Unter- ceinmission wird auf Grund der Ergebnisse ihrer heutigen Be sprechung Vorschlägen, nicht über jede Position in zweiter Lesung zu discutiren, sondern erst generell über jeden Abschnitt und bei wichtigen Artikeln auch über dessen Unterabschnitte zu di-eutireu. Neber Getreide, Gemüse und Pich soll noch beson ders dcbattirt werden. Für die Spccialdcbatte sind folgende Positionen, deren Annahme in der ersten Lesung nur eine uveifelbafte Mehrheit erzielte, zur nochmaligen Erörterung vorgeschlagcn: 10 und 101 (Reist, 20 (Kartoffeln), 00 und :!l (Hopfen), 47 (Pflanzen), 46 (Obst), 5.3 (Mandeln u.s.w.), ui bis 03 (Gerbstoffe, Ouebrachoholz), t>0 bis 107 (Rieh und Fleisch), 114 (Heringe), 131 (Milch», 338 (Bleistifte), 302 und 303 (Seide), 406 (Gaze u. s. w. ) 438 bis 442 (Baum wollengarne), 444 (dichte Gewebe), 644 (Waaren aus Papier), 600 (Waaren aus Eement), 710 (Thonröhren), 782 und 783 i nicht schmiedbarer Guß), 786 bis 700 (Blech), 798 und 799 schmiedbar) und 891 (Läutewerke u. s. lv.) Selbstverständlich wird sich die Zolltarifcommission nicht durchgehends an diese Vorschläge gebunden erachten; deshalb stehen noch zahlreiche Anträge zu erwarten, über andere, hier nicht aufgefiihrte Posi tionen ebenfalls zu discutiren. Insonderheit wird sich Abg. S t a d thagen das Vergnügen bereiten, zu jeder einzelnen Position, die im Regierungsentwurf nicht als zollfrei bezeichnet ist, eine Debatte hervorzurufen. Dadurch werden die Vor schläge der Uutercommisüon ziemlich illusorisch gemacht, und so kann sich die zweite Lesung immerhin recht ausgedehnt gc- üalten. Andererseits hören wir, daß über eine Anzahl von D iffercnzpunctcn, Ivie über die Frage des Quebrachoholzes, des -(olles auf. Pflastersteine und die auseinandcrgehcnden An sichten zwischen den „Spinnern und Webern" eine Verständi gung, welche die Debatten wesentlich abkürzen würde, sich un schwer erzielen lasse. — Zu den Vorschlägen der Uutercommis- üon behielt sich der Handelsminister Möller eine Erklärung der Regierung bis Montag, wo die Zolltarifcommission wieder usammentrilt, vor. — Wie schon früher erwähnt, beginnt die zweite Lesung mit dem Tarif und läßt nach Erledigung desselben das Tarifgesch folgen. Marine. * Euxhaven, 18. September. Beim Auslaufen der Torpedo- l ootSflotille collidirte in der Hafeneinfahrt das Torpedoboot „8. 76" mit dem Boot „v. 9". Ersteres erhielt ein großes Leck. Der Pumpdampscr „Seeadler" ist thätig, um das verletzte Schiff hier Wasser zu halten und aus den Strand zu schieben. (B. L.-A.) T BrunSbüttclkoog, 19. September. (Telegramm.) Von der Ucbung in der Nordsee kommend passirte das Geschwader heute Nacht den Kaiser Wilhelm-Canal. Prinz Heinrich befand uch an Bord des Panzerschiffes „Kaiser Friedrich III." G Berlin, 18. September. S. M. S. „Panther" ist am 17. September in Port au Prince eingetroffen. S. M. S. „Stein" ist am 17. September in Tanger eingetrosfen und geht am 22. Sep tember von dort nach Barcelona in See. S. M. S. „Tiger" ist am 18. September von Paqoda Anchorage nach Amon in See gegangen. Poststatio» für das Commando des I. Geschwaders, S. M. SS. „Kaiser Friedrich III.", „Kaiser Wilhelm II." „Wil helm der Große", „Barbarossa", „Prinz Heinrich", vom 19. Sep tember bis auf Weiteres Kiel; für die übrigen Schisse des Ge- ichwaders sowie für S. M. Tpd.-Div.-Boot „Alice Rooievelt" bis auf Weiteres Wilhelmshaven. S. M. S. „Hyäne" ist am 17. September von Borkum in See gegangen. Krankentransport- Dampfer der Uebungsslotte „Hansa" ist am 17. September in Wilhelmshaven eingetroffen und an demselben Tage wieder in See gegangen. S. M. S. „Rhein" ist am 17. September in Bruns- büttclkoog angekommen und geht am 19. September nach Kiel weiter. Locialdcmokralischer Parteitag. Vierter Sitzungstag. 8. u. II. München, 18. September. Die Antialkoholiker, welche auf dem vorjährigen Parteitage in Lübeck mit ihrem Anträge, hier in München auch die Alkohvlfrage zu behandeln, in der Minderheit geblieben waren, entfalten auch in diesen« Jahre eine geradezu stannenswerthe Thülig- teit, nm diesmal mit ihrer Forderung auf Behandlung dieser für die Arbeiterschaft so wichtigen, aber bisher von der Majorität mit Hohn und Spott behandelten Angelegen heit durchzudringen. Nicht nur, daß die Delegirten in jeder Sitzung mit Anträgen der „mäßigen" und „absti nenten" Genossen geradezu überschüttet werden, sind sie auch noch zu eiuer Antialkoholversammlung ringelnder«, in der der hiesige Specialarzt Dr. Hirt über das Thema: „Alkohol und Wissenschaft" und der „Genosse" Oberrichter Lang, Zürich, über „T rinksitten .« n d Elassenkampf" sprechen wird. Immerhin erscheint es auch diesmal, nicht zum Wenigste«« mit Rücksicht aus den xeniu8 looi, fraglich, ob die Alkoholfrage auf der Tages ordnung des nächstjährigen Parteitages erscheinen wird. Zunächst wird heute die Debatte über die Th Ölig keit der Reich stagsfraction fortgesetzt. Len - «ert, Apolda, nahm die Fraktion gegen die gestrigen An griffe des Redacteurs Eichhorn, Mannheim, in Schutz, der von -er Fraktion verlangt hatte, daß sie mehr Initiativ anträge cinbringe und ihre Macht als Fraktion «««ehr als bisher, z. B. auch im Seniorenkonvent, geltend machen solle. Er müsse auf das Entschiedenste bestreiten, daß es die Fraktion an allgemeiner Schärfe und planmäßigem Vorgehen habe fehlen lassen. Eichhorn solle sich doch nicht einbilden, daß die Fractton entsprechend ihrer Stärke von der Mehrheit gefürchtet werde. Geradezu grotesk sei cs aber, anzunehmen, daß man ihren auf den« Gebiete des Ar- beiterschuhcü liegenden Initiativanträgen durch vermehrte Ansetzung von Schwerinstagcu cutgcgenkvmmcn würde. Es könne sich jetzt für die Fraktion nur nm die Durch führung des Kampfes gegen den Zolltarif handeln, nnd man sollte ihr deshalb nicht mit Aufstellung von Forde rungen, deren Ersüllung nicht so dringend sei, das Leben schwer machen. Fran Zictz, Hamburg: Keiner der Antragsteller habe daran gedacht, der Fraktion einen Tadel ausznspz.cchen, als er seinen Antrag stellte oder begründete. (Beifall.) Entscheidend für die Einbringung der Anträge seien ledig lich bestimmte Vorgänge iin wirthschaftlichen Leben ge wesen, die dazu drängten, die Forderung auf den weiteren Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebuug .zu erheben. Diese Frage sei ihres Erachtens mindestens ebenso wichtig, wie der Kampf gegen den Zolltarif. «Beifall.> Zu erster Linie müsse ein verstärkter Schutz der Frauenarbeit gefordert werden. Auch der Achtstundentag sollte immer wieder ange regt werden, umso mehr, als in Jena nnd anderwärts durch Versuche aller Art erwiesen sei, daß die Verkürzung der Arbeitszeit dem Betriebe nicht schade, sondern im Gegen- theil nur förderlich sei. Auch eine ganze Reihe Groß industrieller habe dies schon zugegeben. Sie unterstütze daher den Antrag Eichhorn, weil damit zugleich der Agi tation wieder eine kräftige Unterstützung geleistet werde. lBeifall.) Leber, Jena, und Frau K übler, Hamburg, befürworteten die Anträge in Sachen der Heimarbeit. Klara Zetkin, Stuttgart: Sie müsse den Antrag Eichhorn in Bezug auf den Achtstundentag unterstützen und verstehe nicht, wie inan darin ein Mißtrauensvotum gegen die Fraktion erblicke«« könne. Es scheine an manchen Stellen eine Uebcrschätzung dessen, was die parlamenta rische Aktion leisten könne, und eine Unterschätzung dessen, was die außerparlamentarische Actio» des Proletariats leisten «Nüsse, vorhanden zu sein. Die parlamentarische Fraktion, so unentbehrlich sie auch sei, könne noch so viel mit Menschen- nnd Engelszugcn reden, sie werde die bürgerliche Elasse nicht überzeugen, wenn nicht von außen her ein kenntnißreiches, geschultes Proletariat mit drücken helfe. (Beifall.) Indem die Fraktion ihre Anträge ans dem Gebiete der Sveialreform einbringc, gebe sie den Ge nossen im Lande zugleich ein gutes Agitationsinittel in die Hand, und erst mit solchen« Ägitationsmalerial versehe-«, werde die außerparlamentarische Action neue Kräste und damit neue Siege zu erringen suchen. Mar« sollte deshalb die Anßenarbeit des Proletariats noch besser wertsten lernen. (Beifall.) Dem Einwand, daß die Fraktion mit der Arbeit gegen den Zolltarif überlastet sei, stalte sie entgegen, daß das Eentrun«, als der grimmigste Feind der Svcialdemokratie, gerade den Kampf um der« Zolltarif dazu benutzt habe, um Reformen auf dein Gebiete des Ar- beiterschutzes von der Regierung zu fordern. Freilich sei das Eentrum dabei nur von der Erkenntniß geleitet, daß mit der Unterlassung solcher Forderungen in« gegenwär tigen Augenblicke es den letzten Rest des Scheines seiner angeblichen Arbciiersreundlichkeit verlieren und bei den tvmn»enden Wahlen kläglich abschneiden würde. Aber ob so oder so, werde die Soeialdeinokratie die Früchte der Handlungsweise des Eentrnms ernten, sei es durch einen weiteren Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebuug, sei cs durch Unterlassung derselben, die eine Discredilirung des Eentrums bis auf die Knochen bedeuten würde. (Beifall.) Mai« sollte um so mehr auch für andere Dinge als den Zoll tarif etwas übrig haben, weil ja die nächsten Wahlen doli mit einem großen Siege der Socialdemvkratie enden würden, ohne daß es noch großer Vorarbeit bedürf. (Heiterkeit und Beifall) T i m m , München, sprach sich für die Anträge auf Ver sicherung der Heimarbeiter aus. Le «) endeck e r, Frankfurt a. M., empfahl die Heraus gabe eines Flugblattes, in dem die wichtigsten Abschnitte des Thütigkeitsberichtes der Reichstagsfractivu enthalten sein sollten, um damit aus die Massen zu wirken. Abg. Fischer, Sachsen: Der Genosse Eichhorn hat hier behauptet, daß wir Abgeordnete in« Reichstage zn viel schkvatzten und zu wenig leisteten. (ZurufEichhorn's:Das ist mir nicht eingefallen!) Na, Du hast aber davor« gesprochen, daß die Bourgeoisie von einem „Schwatzparlamcnt" rede rind sich über die Unsruchtbarkeic der Verhandlungen lustig mache. Wenn der Genosse Eichhorn «m nächsten Jahre in den Reichstag gewählt werden sollte, so möge er alsbald eine Abänderung der Geschäftsordnung nach der Richtung hin beantragen, daß die Initiativanträge der Socialdemo- Iratcn an die erste Stelle gesetzt und auch au erster Stelle an besonderen Schwerinstagen behandelt werden. (Heiter keit.) Auch die Abgeordneten H v st), Hanau, uud Zubeil, Berlin, vertheiöigteu die Haltung der Fraktion und er suchten, dieselbe im gegenwärtiger« Augenblick, «vo sie mitten in« Brodwucherkampse stehe, nicht mit allerlei An trägen zu bepacken nnd sich ihrer Arbeit damit gewisser maßen hindernd in -en Weg zn stellen. Man solle der Fraktion die Anträge einfach zur Berücksichtigung über weisen. lBeifall und Widerspruch.) Eichhorn, Mannheim: Es ist mir nicht eingefallen, den Genoffen im Parlament -en Vorwurf der Schwatz haftigkeit zu mache«. (Lehr richtig!« Ich habe vielmehr nur von den bürgerlichen Abgeordneten gesprochen und die Genossen ersucht, deren Redefluß beim Etat und ande ren Gelegenheiten einzuschrünken zu suchen. Es stehen dann noch Rosa Luxemburg und Abg. Heine auf der Rednerliste. Braun, Nürnberg, beantragt in diesem Augenblick den Schluß der Debatte. «Heiterkeit.) Die Abstimmung crgiebt, daß »ic Majorität für den Schluß ist. (Erucute Heiterkeit.« In seinem Schlußwort bemerkte der Abg. R o s c n v w, Ehemnitz, der Wille des Partcitages sei zwar das oberste Gesetz, allein er bitte doch, die Anträge einfach der Fractivu zur Berücksichtigung zu überweisen und nicht darüber zn beschließen, da die Fraktion zur Zeit tstatsächlich mit Ar beiten überlastet sei. Er könne versichern, daß einer der nächsten Initiativanträge nach Erledigung des Zolltarifs den Achtstundentag zum Gegenstand haben werde. (Leb hafter Beifall.« Nachdem die Anträge in Sachen des Achtstundentages und der Arbeiterschutzgesetzgebuug der Fraktion zur Be rücksichtigung überwiesen worden waren, gelaugien fol gende zur Annahme: 1« Antrag der Genossen des ersten württembergischen Wahlkreises: „Die socialdemotratische Fraktion wird beauftragt, bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß dieselbe ihr Versprechen, dem Reichstag eine Acnderung und Verbesserung des K r a n k e n v e r s i ch e r «l >« g s - Gesetzes in Vorlage zu bringen, endlich erfüllt. Ferner «volle die Fraktion da hin wirken, daß bei der vorzunehmenden Acnderung des Krankenversicherungs-Gesetzes eine Vereinheitlichung und Erweiterung der Krankenversicherung stattsindet uud eiuc Ausdehnung der Krankenversicherungspslicht auf alle Lohn arbeiter einschließlich der Hausgewerbetreibenden, sowie der land- uud sorstwirthschaftlichen Arbeiter nnd der Dienstboten erfolgt." 2) Antrag der Kreiskonferenz des 7. schleswig-holsteinischen Wahlkreises: „Die soeialdcmo- kratische Fraktion des Reichstages wird beauftragt, bei der Berathung des Marine-Etats die Reichsregierung über die von ihr geübte Auslegung des 8 616 des B. G.-B. in den Reichs - W c r f t b e t r i e b e n zu interpelliren und die Durchführung der betr. Bestimmungen des 8 616 zu fordern." 3) Der Antrag Kowrld: „Die svcialdemolratische Rcichstagsfraction wird ersucht, dahin zu wirken, daß alle Heimarbeiter, die n u r gegen Lohn beschäftigt werden, die selben Vortsteile der Geiverbenovelle wie die Fabrik arbeiter genießen." Hierauf sollte eigentlich das Referat Bebel' L über die bevorstehenden R e i ch s t a g sw a h l e n folgen. Du dieser aber aus gesundheitlichen Gründen erst morgen zu sprechen wünscht, beschäftigte sich der Parteitag statt dessen mit der K r a u k e u v e rs i ch e ru n g. Der Referent, Reichs- tagsabg. Molkenbuhr, Hamburg, legte hierzu fol gende Resolution zur Annahme vor, in der die in seinen Ausführungen enthaltenen Forderungen nieder gelegt sind: „Die Versicherungsgesetze des Deutschcu Reiches, die hauptsächlich erlassen wurden, die Armenkassen vor Ileber- lastuug und die Unternehmer vor Schadencrscvz zu be wahren, entsprechen in keiner Beziehung den Anforde rungen der Arbeiterklasse. Jedoch ist durch die Erjahrulig der Beweis erbracht, daß mit der Versicherung allgemeine Uebelstände bekämpft und deren schlimmste wirthschaftliche Folgen gemildert werden könne». Deshalb fordert der Parteitag: 1) Ausdehnung der Versicherung aus alle Ar beiter und diesen wirthschastlich gleichstehende Personen; 2/ Vereinheitlichung der Versicherung; 3) volle Selbstver waltung durch die Versicherten; 4) Heranziehung aller Elassen zur Tragung der Kosten; 5) Bekämpf' ng von Vvlkstrankheitcn dnrch die Krankenversicherung; 6) weite rer Ausbcm der Unfallverhütungsvorschristen und der Vor schriften zur Verhütung von Bernsstrankhcitcn, sowie voller Schadenersatz der Verletzten und deren Hinterbliebe nen; 7) Einführung der Arbeitslosenversicherung: 8) Ein führung der Wittwen- nnd Waisenversorgung." Es trat dann die Mittagspause ein. Die Ilm-wirthschaMiche Versuchsstation Möckern. Tie landwirthschastliche Versuchsstation Möckern, be kanntlich die erste unter de«« öffentlichen Forschungs stätten, in denen sich die Naturwissenschaften und die Ehemie ii« den Dienst des altehrwürdigen Gewerbes der Landwirthschaft stellten, begeht am 20. d. M. in einem größeren Kreise die Feier i h r e s 50 j ü h r i g e n Be - ste h ens. Ihre Wurzel«« gehen in die Zeit zurück, in welcher Iustus von Liebig gezeigt hatte, daß die Grundlagen für den technischen Betrieb des Ackerbaues nur mit Hilfe der Naturwissenschaften, insbesondere der Ehemie, klargelcgt und die Kräste der Natur nur auf diesen« Wege den« Menschen wirksam unterthan gemacht werde«« können. Zwar hatte es schon „Vater Tüaer" zu Anfang des verflossenen Jahrhunderts ausgesprochen, daß „sich die Gewalt über die materielle Welt vorzüglich aus die Kunst, Versuche anzustellen, gründe, nnd daß cs Sache deS Staates wäre, diesem Geschäfte gewachsene Männer in die Lage zu versetzen, ihre Zeit und Talente ganz bei Erforschung der Natur zum Veste«« der Landivirthschaf« uud -cs allgemeinen Wohlstandes zn widmen." Es war jedoch erst Liebig, welcher diesen Gedanken in seinem Buche „Die Ehemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur rind Physiologie" zündende Kraft gab und in den Kreisen der gebildeten Landwirtbc ein mächtiges Verlangen nach Bethätignug der Naturwissenschaften auf den« Gebiete -cs Ackerbaues uud der Viehzucht hcrvvrrief. Im Königreiche Sachsen sielen die Licbig'schen Ideen aus einen besonders fruchtbaren Boden, der durch die hervorragende Thätigkcit des „chemischen Fcldpredigers" Adolf Stöckhardt weiter vorbereitet wurde zur Aufnahme der Saat, die durch das Licbig'sche Buch ansgestreut wor den ivar. Ein weiter nicht minder thatkräftiger und über- zcugungstreucr Mann, der damalige Geschäftsführer des landwirthschaftlichen Hauptvereins, Theodor Reuning, ein glühender Verehrer Liebigs, wirkte dafür, daß diese Saat erstarkte und unbeschädigt blieb; und eil« Dritter iu« Bunde, Wilhelm Erusius auf Sahlis und Rüdigsdorf, Vorsitzender jenes Hauptvereins und der Leipziger ökono mischen Societüt, sorgte in opferwilligster Weise für die Bergung und Unterkunft der ersten Frucht des Liebig'schen Werkes. Unterstützt und getragen aber wurde dcks gemein same Streben dieser Männer dnrch eine erleuchtete Regie rung, welche niemals zurückstand, «vo cs galt, berechtigte und klar erwogene Interessen der Praxis nnd der Wissen-- schafteu in Lachsen zur Geltung zu bringen. Nach Verhandlungen, welche Reuning auf Veran lassung der Regierung mit Erusius geführt hatte, war es am 19. Oktober 1850, als der Letztere in der Haupt versammlung der Leipziger ökonomischen Societät die Mitthcilung machte, daß es ihm gelungen sei, in der Person des Ur. Emil Wolff, bis dahin Lehrers an der landwirth- schaftlichcn Lehranstalt in Brösa bei Bautzen, „einen ge eigneten und tüchtigen Vertreter einer der wichtigsten Hilfswissenschaften für das laudwirthschaftlichc Gewerbe zu gewinnen". Die Versammlung beschloß denn auch ein stimmig, daß, insofern die Staatsregierung darauf ein gehen würde, die erforderlichen Mittel zu genehmigen, die Societät nicht abgeneigt sein, dein Ur. Wolff auf ihrer« Gute in Möckern freie Wohnung zu gewähren und auch die Kosten für die erste Einrichtung eines Laboratoriums zu übernehmen. Damit war die Begründung der ersten landwirthschastliche«« Versuchs-Station in die Wege ge leitet. Einer Aufforderung Erusius' folgend, trat Wolff mit dem Januar 1851 in Möckern sein neues Amt an. Es vergingen jedoch 1^ Jahre, bis die Regierung für die Anstalt, welche bis dahin in der Hauptsache von Erusius ans besser« eigenen Mitteln erhalten wurde, eine Subvention bewilligte, und es währte bis zum 28. De- cember 1852, bevor die definitive Eonstituirung der Anstalt erfolgte. An diesen« Tage hatten sich O«-. Erusius als Ver trctcr der ökonomischen Societät, Anger auf Eythra als Vertreter des landwirthschastliche«« Kreisvereins Leipzig, O«-. Einil Wvlsf und Ivh. Gottlieb Bähr für die Anstalt nnd Reuning iin Auftrage des königl. Ministeriums des Iuneru in Leipzig eiugesunden — wie cs im Protokoll über ihre Verhandlungen lautet, — zum Zweck „der definitiven Begründung der landwirthschaftlichcnVersuchs station zn Möckern". Es wurden hier zunächst die Mittet einigermaßen sicher gestellt, deren die Anstalt zn ihren« Betriebe bedurfte und ein Starnt entworfen, welches ihre Verwaltung regelte und ihr Arbeitsgebiet feststellte. „Sv betritt", sagte Reuning in dem Schreiben, durch welches er die erfolgte Eonstituirung der Versuchsstation an das Ministerium meldete,.„Sachsen zuerst einen Weg zur Förderung dez- Wissenschaft nnd der Praxis der Landwirthschaft, welcher von den intelligenteren Land- wirthen Deutschlands ohne Widerrede als der am sichersten zum Ziele führende anerkannt nnd welcher nach mehrfachen, desfalls vernommenen Mittyeilungen in mehrercu Staaten bald Nachahmung finden wird." Die Hoffnung Reuning'S, welche sich in diesen Worten ansspricht, ging in der Thal in nngeahntem Umfange in Erfüllung. Dem Beispiele, das mit der Errichtung der Versnchsstation Möckern gegeben worden war, folgten nicht nur die angrenzenden deutschen Staaten nach, sondern in allen Ländern der Erde, die sich einer geordneten Ver waltung erfreuen, hat sich nach und nach ein Netz von nahezn 300 solcher Versnchsstationen gebildet, ein Be weis dafür, daß die Nothwendigkeit und Nützlichkeit dieser Anstalten überall erkannt nnd anerkannt worden ist. Mit dem dauernd wachsenden Interesse, dessen sich die Arbeiten der Fvrschungsslülte in Möckern erfreuten, nnd mit der wachsenden Bethätignug des öffentlichen Eharakters, den die Anstalt von Anfang an trug, steht es im Zusammenhänge, daß dieselbe im Jahre 1879 vom königlichen Ministerium des Innern als Staatsanstalt übernommen wurde. Gleichzeitig mit dieser für ihr Wirken hochbedeutsameu Veränderung ihrer Lage erhielt die Versuchsstation, welche bis dahin in einem wenig zweckentsprechenden Gebäude der Leipziger ökonomischen Gesellschaft untcrgebracht war, ein neues Hein« auf einen« ihren« bisherigen Domicil benachbarte«« Grundstücke, daS zn einer Stiftung gehört, durch welche de«- hier oft genannte I)«-. Wilhelm Erusius sein Interesse für die Anstalt be thätigt hatte. Einem Anträge des sächsische«« Landes- culturrathcs entsprechend, wurde mit diesen« Neubau die mäßigem Athmen — das einzige Geräusch in der Stille, die in dein kleinen Räume herrschte. Draußen am Firmament schoben sich die hellgrauen Wolkengebilde unruhig hin und her — als wäre Eines dahinter, das sie vertreiben wolle. Ein Weilchen später schimmerte es goldig hindurch, nnd immer Heller und lench- «ender wurde der Schimmer, bis die hi«« und her hastender« Wolken plötzlich eine breite Lücke gewährten, in der der wunderbare Svnncnball wie gleißendes, fluthendes Gold erschien und blendendes Licht niedersandte. Vinzenz' Hände fielen voin Gesicht ab und sein Blick glitt dem warmen, verheißenden Lichte entgegen. In seiner starren Miene zuckte cs. Was hatte die Sonne hier zu suchen? Ob sie leuchtete oder nicht, er fand seine«« Weg auch ohne sie — diesen Weg, der nur in sein Elend führen würde! Wenn des Thalmüllers Tochter dahier als Bäuerin Hausen sollte, dann konnte sie, die Sonne, draußen bleiben. Ihn lachte sie dann ja doch nimmermehr an; -aS war blos, als ob sie ihn verlachen, verhöhnen wolle! Sein Blick glitt mit zornigem Aufleuchten dem goldene«« Strahl nach, bis «vo derselbe endete, auf einem weißen Papier, das dort auf dem Tisch lag, der knapp an der Wand stand: das Testament, das Papier, auf welchem der Vater mit ein paar Zeilen alle Lebensfreude seines Sohnes ver nichtet hatte. Vinzenz stand auf und ging znm Tisch. Er nahm daS Papier in die Hand nnd senkte den Blick darauf. „Sieben- tausend Gulden." So viel machte die Summe aus, die er der Stiefschwester schuldete — wie der Vater hier aus drücklich bekannt gegeben. Dazu kam noch die Hypothek in der Höhe von dreitausend Gulden, die auf dem Gute lag. Und mehr wie zwölstauscnd Gulden war sein Hof nicht «verth, der Hochgstettnerhof, der nun ihm zufiel. Wo er nun der Rauer war! Ein Bauer, den man schier jeden Tag verjagen konnte! Mit zehntausend Gulden Schulden last vermochte er sich nicht zu behaupten, >bci den jetzigen Zeiten nicht. Der Vater hatte Recht gehabt! Da mußte die reiche Thalmüllcrstochtcr als Bäuerin hier einziehen. Nimmer die Franzi, sein herzliches Dirndl. Nimmer die. Er «nachte keine Bewegung bei dem Gedanken. Er starrte nur immer aus das Papier in seiner Hand nieder. Sein Herz lag ihm plötzlich schwer und kalt in der Brust. „Als wäre cs gestorben, wie dem alten Manne dort seines" — so dachte er einmal. Und dann fuhr cs ihm weiter durch den Sinn, daß e» wohl gut wäre für ihn, wenn er tobt wäre, wie sein Vater dort. Dann wüßte er nichts von dem traurigen Leben, das Seiner jetzt wartete. Jäh schreckte er aus seinem Sinnen auf, — es ivar ihm plötzlich eingefallen, daß er noch immer mit dem Todtcn allein war, er hatte noch Niemand von den Leuten ver ständigt davon, daß sein Vater verstorben wäre. Er legte das Papier in seinen Händen nicht ans den vorigen Platz zurück; langsam faltete er es zusammen, wie mechanisch, als wüßte er nichts hiervon; und während er sich uMwandte nnd der Thüre zuging, steckte er cs in die Brusttasche seines Rockes. Er ließ die Thüre hinter sich offen stehen, da er in den Flur hinanstrat. Und die Sonne schoß plötzlich vom Tische hinweg, fuhr zum Fenster hinaus, kam jedoch in der nächsten Sccundc wieder; aber sie glitt jetzt mit langem Strahl zur Thüre hin, färbte die abgenützten Ziegelsteine im Flur draußen hochroth, und verschwand dann aufs Neue aus der Kammer. Draußen wanderten Wolken ihren Weg weiter und fragten nichts darnach, -aß die Sonne sie versengen wollte, ans Groll darüber, weil sie neugierig in das kleine Kämmerlein schauen wollte ubid es nun nicht mehr konnte. Zweites Eapitel. Es war Abend geworden. Im Hochgsiettncrhofe stellten sie eben in -er großen Wohnstube Bänke un- Stühle zurecht für die Leute, welche über eine Stunde baherkommen würden, um Nachtwache zu halten und für die abgeschiedene Seele des Tobten ver einigt zu beten. Tann holten die Knechte in großen Krügen goldig klaren Aepselmost auS dem Keller, — und die Dirnen reinigten Gläser, weil doch die Wcibsleute gerne ein wenig zimperlich thaten nnd ans den großen Krügen nicht gerne mit den Mannsleuten zusammen tranken. Der Großknecht, der Simon, sah die „mittcrc" Tiru schalkhaft an, da er an ihr, die eine Anzahl Gläser in der Rechten hielt, vorüber mußte. „Na, Nani, wo trinkst denn Dn? Halt'st cS mit uns Manncrlcut' oder steckst Dich zu die,„Kleinschlnckcrinnen"?" „Daß cs evpa da noch eine Frag' gäb !" versetzte ziem lich schnippisch die Dirne. „Meinst 'leicht, i will mir ein weit'ö Mänl holen bei Euere Krüg'?" Der Knecht lachte. „Mich ziemt, Dir gcht'S auch netta, wie der Stieglbän rin, die sich beim Trinken mit uns vor'«« weiten Mäut fürcht't; beim Schwatze» »nd Leut' aus richten aber sürcht't sie sich net vor'm weiten Mäul, da braucht sie'S dazu! Sonst brächt' sie net so viel zuweg' und hätten z' viel Lent' eine Ruh' vor ihr!" Mit rothem Gesicht und zornig funkelnden Augen stand die Dirne vor ihm. „So, und da meinst 'leicht, i bin auch eine solche? Ha!" „Na, das net! Grad' so ein weit's Mäul wie sie wirst net haben, aber guating so scharf ist's auch!" Und der Knecht flüchtete. Die Dirne war eine Ungestüme, und jetzt sah sic auö, als möchte sie auf ihn losstürzen. Draußen «m Flur erscholl ein gedämpftes, spottendes Auflachcn von seinen Livpen; nun war er so weit weg von ihr, daß sic ihm nicht schaden konnte. Die Nani aber fuhr sich mit beiden Händen übers heiße, rothe Gesicht. Wenn der Simon sie ärgern konnte, that ers! Nein, mit den« Knechte wars nicht znm Aus halten, mit dem that sie nicht gut zusammen. An« besten ivar es, sie ging mit nächstem aus dem Hofe! Und «nit unwilliger Miene nickte die Nani für sich hin. Da trat die Wirthschafterin, eine dralle Person mit einem gar ernsthaftigen Gesichte, in die Stube. Sie trug eine mächtige Flasche mit Kirschengeist im Arme. Als sie die dastehende Dirne erblickte, schüttelte sie den Kopf. „Na, jetzt da stehst, Nani, und schaust! Derweil sich unser eins abschlcppt! Trag' doch ein paar Laib Brod herein und schneid' Slückl ab. D' Lent' werden kommen uud wollcn's Beten auheben, nnd wir sind mit dem Znsammen- ricbten net fertig!" Die Nani hörte das Ende der strengen Rede nicht mehr an, sie verlieb hurtig die Stube. Im Flur rannte sie an die Kleindirn an, die mit kleinen SchnapSglüschen daherkam. Da ärgerte sich die Nani anss Neue. „Einer Jeden ist man im Weg heut' — der Einen, wenn man wo steht, -er Andern, wenn man wo rennt! Alsdann istS am g'schcitcrn, inan macht sich ganz aus'm Hof!" Osfencn MnndcS starrte die Kleindirn der Nani nach. So ärgerlich, wie die eben gewesen, hatte sie dieselbe noch nie gesehen. Und heute war doch ein Tag, wo man sich still gehabcn und friedlich sein sollte! Vor einer halben Stunde schon war der Vinzenz lnn- anSgeschrittcn ans dem Hause nnd ivar den' etwas steilen Weg hinuntcrgegangen, der rückwärts von« Hoch- gstettnergchvftc gegen das Thal hinlief. Kann« zehn Minuten schritt der Vinzenz eilig dahin, da zweigte ein schmales Wcglein ab von dem breiteren Weg und führte gegen ein niederes, altes BaucrnhäuSchen zu. Diesen schmalen Weg schlug der Vinzenz ein. Er schritt aber am Hanse vorüber. Ein Hund kläffte drinnen im Hofraum auf. Er wandte das Gesicht nicht hinüber; unentwegt starrte er geradcaüs mit weit offenen Augen, in denen der Schmerz stand, ein brennender, schier nicht zn zwingender Schmerz. Am Hause war er vorüber, nun gelangte er an den großen Garten, der sich hinten anschlvß. Bis zur Hälste desselben wanderte er daran vorbei. Dann stand dicht am Lattenzann eine roh gezimmerte Bank, schier morsch vor Alter. Auf diese setzte er sich mit schwerfälliger Be wegung, wie müde. Den Kopf seitwärts wendend, schaute er hinüber nach dem Walde, der ein kleines Stück entfernt lag. Bläulich dunkel lag derselbe da; zwischen die hohen, stolzen Stämme zwang sich kein Licht von« Dämmcrschcin mehr hinein. Dort waren sie manchmal bei Tage lange Zeit hin und her gewandert — er und die Franzi —, da sie «ich« wollten, daß sie eins zusammen sähe. Ain Abend, beim Dunkelwerden, hatten sie hier zusammen gesessen, auf dieser Bank. Und die lange oder kurze Weile, die er von daheim ohne Aufsehen fortbleibcn konnte, die batte ibn« jedesmal die ganze Zeit über, «vo er sie, die er so gern hatte, nicht sehen konnte, das Herz froh und freudig ge macht. Immer und immer wieder hatten sie zusammen von ihrer Liebe geredet, nnd wie cs einmal werden würde, wenn sic ans dem Hvchgstcttnerhvse mitsammen Hausen dürften. Hatte die Franzi auch inanchmal Angst, cs würde nichts ans ihrer Liebe, weil wohl der Hoch- gstettncr die Sache nie zugcbcir würde — das blutarme Dirndl und der Erb' von so eincin Hof, cs war ja kein Gedanken! — er, Vinzenz, redete ihr immer wieder diese Angst auS, redete ihr so lange und so viel von der schönen Zukunft vor, bis sic wieder darauf hoffte. Heute — beute konnte er ihr nichts mehr von der schönen Zukunft vorreden! Denn er hatte selber keinen Glauben mehr daran. Ein heiserer Lachlaut entquoll den Lippen des Ein samen; Hohn und tiefe Qual lag in dem einzigen Laut. Dann saß er schweigsam. (Fortsetzung folgt.)
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