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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030807014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903080701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903080701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-07
- Monat1903-08
- Jahr1903
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Bezug-«Preis der HanpterpedMou oder deren Ausgabe stelle» abgebolt: vierteljährlich S—, bet zweimaliger täglicher Zustell»«« tu« Hau» ^i S.7K. Durch die Post bezöge» fitr Deutsch land «. Oesterreich vierteljährlich 4.60, für dt« übrigen Länder laut Zeitmlg-pret-Uste. Redaktion vnd Erudition: IohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 uud WL FUi»l»vP«dttto«e» r Alfred Pah«, Buchhandlg., Univ erst tättftr.l^ L. Lisch«, Lathariueustr. 14, ». Käntg-pl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marten straß« Kerusprecher Amt 1 Str. 171L, Haupt-Filiale Lerlin: Eorl vtmcker, Herzgl. Bahr. Hosbuchhaudlg, Lützowstraße 10. Kerusprecher Ami VI Nr. 4S0L Morgen-Ausgabe. MpMcrTagMM Anzeiger. Ämtsölatt des Königlichen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und des Rolizeiamtes der Htadt Leipzig. Anzeigen'Preis die «gespaltene PetitzeUe LS Lh. Reklame« uuter dem Redaktionsstrich s4 gespalten) 75 H, vor den FamUieuuach, richten (Sgespalteu) 50 Dadellartscher und Zisfrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offerteuauuahme L5 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt)^ au» mit oer Morgeu-Ausgabe, ohne Postbeförderuu» SO.—, mit Postbesörderuug 70-—» Annahmrschluß für Anzeigen: Ab,«d«Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» sind stet« cm die Expedition zu richte«. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abeud« 7 Uhr. Druck und Verlag von i. Pol» tu Leipzig Nr. 397. Freitag den 7. August 1903. 97. Jahrgang. Das italienische Garautiegesetz. v. L. X. Das italienische Garantiegesetz, welches die Verhältnisse -wischen dem Papst und dem ,ckirchenräube- rischen" Italien regelt, hat sich bei den Ereignissen der letzten Wochen wieder vortrefflich bewährt — zum Nutzen deS Papsttums und der römischen Kirche. Italienische Karabintert und Bersaglieri haben bei den Beisetzungs feierlichkeiten Leo- XHI., des unversöhnlichsten FeindeS der italienischen Regierung, für Aufrechterhaltung der Ordnung gesorgt und den zur Feier kommenoen Kardt- nälen fürstliche Ehren erwiesen; unter dem Schutze Italien» ist das päpstliche Konklave zusammengetreten. Nichtsdestoweniger haben die Kardtnäle bald nach dem Tode LeoS XIH. die Gelegenheit benutzt, feierlich gegen den „Raub" des Kirchenstaates und die italienische Ge waltherrschaft Verwahrungen einzulegen. Da selbst den gutmütigen -outschen Lesern dies denn doch als ein starkes Stück von Undankbarkeit Vorkommen mutzte, haben sich die Preßberichte beeilt, hinzuzufügen, datz eS sich um eine bloße Formsache handle. Aber für Rom haben gerade die Formen einen großen Wert. ES hat noch nie einen seiner Ansprüche aufgegoben, und wartet nur auf die gelegene Zeit, um sie durchzusetzen. Ebensowenig kennt die römische Kurie oder der Jesuitenorden Pflichten der Dankbarkeit, und so wird eS sich denn auch im einigen Wochen die nächste Katho likenversammlung nicht nehmen lassen, über das italie nische Garantiegesetz und die päpstliche Gefangenschaft zu eifern. Bor fast 30 Jahren, im Juli und Dezember 1875, hat Heinrich v. Treitschke, besonders in Auseinandersetzungen mit dem Professor A. Vera in Neapel, Gelegenheit ge nommen, das italienische Garantiegesetz zu prüfen, und seine Ausführungen haben heute noch nicht ihren Wert verloren, sondern sind durch die Ereignisse bestätigt wor den. (Vergl. Heinrich v. Trtzitschie, „Zehn Jahre deutscher Kämpfe", 3. Auflage. Bd. H, Berlin 1897, G. 336 btS 350.) Treitschke führt aus: „Die heutige Stellung deS Papstes ist und bleibt ein rechtlicher Widersinn, der in dem gesamten Völkerrechte seines gleichen nicht findet. Wenn man entthronten Fürsten die Ehren gekrönter Häupter zu erweisen pflegt, so behält sich doch dabei jeder Staat seine Souveränität vor und weist die erlauchten Gäste ohne weiteres aus, sobald sie ihm lästig werden. — Ein Staat bleibt völkerrechtlich noch immer souverän, auch wenn ihn die Ungunst der geographischen Lage oder anderer Umstände tatsächlich verhindert, jedes ihm wider- fahren« Unrecht mit den Waffen zu strafen. Der Papst da gegen verdankt seine persönliche Unverletzlichkeit allein den Gesetzen des Königreichs Italien. Gedeckt durch die italienische Krone, tritt er das Völkerrecht unter die Füße und fordert die Untertanen fremder Mächte zur Em pörung auf. Gr führt Krieg mitten im Frieden; und dieser Krieg ist unendlich, denn der geistliche Staat der Jesuiten will selbständige weltliche Staaten nicht neben sich dulden und vermag seinen wahren Charakter nur da durch zu verhüllen, daß er den Angriff, der allen Staaten der Erbe gilt, jederzeit klüglich auf einzelne Mächte be, schränkt. Mit dem Kirchenstaate ist die weltliche Macht -es Papstes keineswegs verschwunden. — Sie besteht noch heute und verfügt noch immer über die wirksamsten alten politischen Machtmittel; sie erhebt Steuern von allen katholischen Völkern, gebietet über ein Heer von Tausen den heimatloser Priester, leitet durch ihre Diplomaten den politischen Parteikampf wider die Souveränität deS modernen Staates. Die Abwehr solcher Angriffe gleicht aber heutzutage dem Kampfe des Hundes gegen den Fisch, fett das Garantiegesetz sich schützend zwischen den Papst und seine weltlichen Gegner stellt. Dieser rechtlich un haltbare Zustand setzt daS Königreich Italien wett schwereren Gefahren aus als die fremden Mächte; denn mag die Welt noch so sicher wissen, daß der italienische Hof das törichte Dcetben deS Vatikans verwirft, irgend einmal wird doch die Forderung au-gesprochen werden: „Wenn Ihr den Papst sicherstem vor dem weltlichen Arme, so übernehmt auch die Verantwortung für sein Tun! Wir verlangen nicht, daß Ihr ihn vor Eure Gerichte ruft, sondern wir überlassen e- Euch, gleichviel durch welche Mittel, Eure friedlichen Nachbarn vor Angriffen, die von Eurem voden auSgehen, zu bewahren!" E» hat neulich Aufsehen erregt, datz der „Gtornale d'Jialia" di« Befürchtung ausgesprochen hat, tu» Falle einer Aussöhnung d«S Vatikans mit dem Ouirtnal werde „daS Papsttum auf- hören, ein« nationale italienische Institution M sein". In dieser Beziehung hat schon Treitschke bemerkt: „Ich begreife, datz die Italiener wünschen, den Papst in Rom -u behalten. DaS heutige Papsttum ist ja nicht- anderes alS die Herrschaft ber italienischen Prälaten über einen -rotzen Teil der Christenheit; kein Wunder, daß eß vielen »och immer al- kitte -ioria ttaUana -ilt. — Das Papst tum ist schon seit Jahrhunderten eine italienische Jnsti- tution geworden, und solange die große Mehrheit des Volkes an der Ansicht festhält, daß der Papst nur in der ewigen Stadt leben dürfe, kann die Regierung sich dieser nationalen Anschauung nicht entziehen." Auch gibt Treitschke zu bedenken: „Allerdings trägt nicht Italien allein die Schuld an diesen verschrobenen Verhältnissen. Als die italienische Regierung in Rom einzog, erklärte sie in dem Manifeste vom 18. Oktober 1870: „Die römische Frage geht nicht Italien allein an; sie ist eine europäische, eine allgemeine Frage." Der neue Herrscher fand eine Weltmacht vor, deren Gesinnung er nicht ändern konnte; er erhob nicht den Anspruch, das Verhältnis des Papst tums zu den weltlichen Gewalten des Auslandes neu zu gestalten, sondern begnügte sich, das für die Ordnung des eigenen Staates augenblicklich Notwendige einzurichten. Er tat unleugbar nur, was sich in jenem Moment von selbst zu verstehen schien, und fand dabei die Zustimmung aller anderen Staaten. Keine der großen Mächte, auch Deutschland nicht, hat damals vorauSgesehen, wie rück sichtslos der Papst -en Schutz Italiens mißbrauchen würde. — Jeder Eingriff in die Souveränität des Vati kan- würbe heute noch von der Mehrzahl der katholischen Völker verdammt werden als ein Versuch, den Kirchen fürsten zum Großalmosenier der italienischen Krone herabzuwürdtgen. — Wo bliebe Raum für die einfache Erkenntnis, daß alle Staatsgewalten gegenüber den Welt herrschastsplänen deS Papstes eine gemeinsame Sache zu vertreten haben?" Und gerade Italien kann dies Papst tum noch viel zu schaffen machen: „Die Pläne des Vatikans, die wohl vertagt, doch niomals aufgcgeben werden, bedrohen keinen Staat so unmittelbar, wie den Erben deS Kirchenstaates. Italien sieht sich gezwungen, den Feind an seinem Busen zu wärmen; rin so unnatür liches Verhältnis kann auf die Dauer nicht bestehen, wenn der Staat nicht mindestens die Gesittung seines eigenen Volkes von der Herrschaft jener feindseligen Macht be freit. — Die klerikale Partei ist bisher, auf Befehl des Papstes, den parlamentarischen Kämpfen deS Königreiches fern geblieben. Uc-ber kurz oder lang wird sie diese Zu rückhaltung aufgeben, viele Anzeichen deuten bereits darauf hin; ein starker Anhang unter den Wählern ist ihr sicher, mindestens in Untcritalien. Wenn sie dann auf der Rednerbühne ihr wahres Angesicht zeigt, so wird mancher Liberale, -er jetzt noch über die preti verächtlich die Achseln zuckt, mit Schrecken einsehen, was es bedeutet, die breiten Massen eines Volkes einer schlechthin staats feindlichen, anttnationalen Macht pretszugeben. Das heutige klerikale Wesen ist spanischen Ursprungs, dem Hellen, freien Weltsinne der Italiener kaum weniger fremd, als dem Gewissensernst der Deutschen. Die Natur der Dinge wird den italienischen Staat zwingen, seine Souveränität gegenüber der Kirche nachdrücklicher als bisher zu wahren. Er hat von sechs katholischen Staaten ein reiches Rüstzeug kirchenpolitischer Rechte überkommen und leider schon viele wertvolle Stücke aus dieser Erbschaft pretSgegebcn. Aber noch bleibt ihm manches wirksame Recht. Der17. ArtikcldeSGarantiegesetzes, der alle den Gesetzen und der öffentlichen Ordnung wider st reitend en Akiedergeist- lichen Gewalt für wirkungslos erklärt, kann in der Hand einer kräftigen Regierung zu einer scharf en Waffe werden." Deutsches Reich. Berlin, 6. August. (Die Verteilung der Richter und Rechtsanwälte im Reiche.) Von juristischer Seite schreibt man MiS: Nach dem neuesten Statistischen Jahrbuche kommt im Durchschnitt deS Reiches auf 6775 Einwohner ein Richter; zehn Jahre vorher traf auf 6837 Einwohner «in Richter. Die relative Besse rung ist also äußerst gering und sie verwandelt sich in das Gegenteil, wenn man daran denkt, -aß zwar nicht die Zahl der Straffäll«, wohl aber die der Civilstrettig- ketten relativ wie absolut ganz außerordentlich zuge nommen hat. Dieser stärkeren Belastung der Richter durch die Civilprozeffc entspricht die Vermehrung ihrer Zahl in keiner Weise. Dazu kommt, daß die Richter durch, aus nicht gleichmäßig über das Reichsgebiet verteilt sind. In einigen OberlaudeSgerichtSbeztrken, und zwar gerade in solchen mit lebhafter Industrie, ist die Zahl der Em- wohner, auf die ein Richter kommt, viel höher, als im Reichsdurchschnitt; so im OberlandeSgerichtSbezirk Bres lau, wo auf 7982, in Hamm, wo auf 8715, und in Köln, wo gar auf 8912 Einwohner erst 1 Richter entfällt. Gerade im OberlandeSgerichtSbezirk Köln wird fortgesetzt über die lange Dauer der CiEstreitigkeften geklagt, woran neben anderen Ursachen zweifellos auch die geringe Zahl der Richter Schuld träat. Die Verteilung der Rechts anwälte über da« Reichsgebiet ist noch s«hr viel ungleich- mäßiger, als diejenige der Richter — ganz natürlich, da ja bei der Besetzung der Rtchterstellen der Staat immerhin für ein« verhältnismäßige Gleichmäßigkeit sorgt, während es bei d«r Freizügigkeit der Anwätte au jeder Regulierung fehlt. So ist es erklärlich, daß in Bezirken mit vielen kleinen Amtsgerichten und mit ländlicher Bevölkerung di« Zahl der Anwält« sehr gering ist, «ährend in «den Groß städten eine nett über den Bedarf htnauSgehenüe Häufung der Anwälte stattftndet. So kommt im Oberlarrdcsgerichts- bezirk Hamburg auf 3860, in Berlin aus 4560 und in Frankfurt a. M. auf 5300 Einwohner «in Anwalt, in Marienwerder und Posen aber etrva auf je 11000 und in Oldenburg gar erst auf 18 000. Eine Dezentralisation, di« im Interesse sowohl der Anwälte wie der kleinen Amts gerichte lüg«, würde erst dann eintreten, wenn die an einem Amtsgerichtsorte niedergelassenen Anwälte ohne weiteres auch bei dem Landgerickt. zu dem der betreffende Amts- gerichtsort gehört, zugelassen wären. Zu den Terminen könnten sie die am Landgerichtsorte selbst wohnenden An wälte substituieren und dann mit diesen die Gebühren teilen. Solange aber der Anwalt, der am Amtsgerichte ansässig ist, nur die kleinen Mandate wahrnehmen kann und die großen abgebcn muß, werden es viele vorziehen, in Berlin oder Frankfurt sich einig« Jahre durchzuquälen, statt an einem kleinen, wenig Lebensgenüsse bietenden Orte dauernd ein mittelmäßiges Einkommen zu haben. 0. 8. Berli», 6. August. lAuSdcm anarchisti- schen Heerlager.) Wenn auch zum Glück die Mel dungen von einem beabsichtigten Attentat der Anarchisten au/f den Kaiser und die Kaiserin wohl unbegründet fein werden, so läßt sich doch nicht leugnen, daß in der internationalen anarchistischen Bewegung in der letzten Zeit viel Leben ge herrscht hat. Zunächst ist die beabsichtigte Bildung einer internattonalen anarchistischen Gruppe in London, welche den Generalstreik vorbereiten soll, nunmehr vollzogen; sie beabsichtigt, zunächst eine Zeitung „The Gcneral-Strike" herauszugeben. Der in Deutschland nicht unbekannte Anarchist Franz Szcodry ist einer der Haupt leiter dieser größeren Gruppe; vorläufig hat sie einen Auf ruf um Sammlung von Geldern erlassen. Die spani schen Anarchisten haben in den letzten Wochen eine ungemein rege Tätigkeit entfaltet, mn! den Generalstreik herboizuführen, sind jedoch mit dieser ihrer Agitation ohne Erfolg geblieben. Der anarchistische Führer Demp- wolf, «in Süddeutscher, ist angeblich spurlos ver schwunden, seit Monaten soll über ihn jede Nachricht fehlen. „Genosse" Klink, dem wiederholt sehr arge Ver fehlungen gegen die bürgerliche Moral nachgesagt wurden und der in Amsterdam ein anarchistisches Blatt, die „Frei- heit", herausgab, ist verhaftet und nach Deutschland ausgc- liefert worden. „Genosse" Grünewald, Redakteur des „Neuen Lebens", ist ebenfalls verhaftet; für feine An gehörigen und für K« des ebenfalls in Haft befindlichen Genossen Röhr soll gesammelt werden. Die anarchi stische Kolonie in Brasilien, über die die anarchisti schen Blätter Lobeshymnen veröffentlichten, hat sich bei näherer Betrachtuava als eine Kobo-me ivahrer Jammerhöhlen. in denen alles drunter und drüber geht, herausgcstellt. In abfälligster Weise haben sich die deutschen Anarchisten über dies« Kolonien ausgelassen, in anarchistischen deutschen Blättern soll deshalb nichts mehr über dieselben veröffentlicht werden. Während die A n - archisten mit der Bewegung in den roma nischen Ländern sehr zufrieden sind, sprechen sie ihren Unwillen über di« in Deutschland aus. „Genosse" Paul Pawlowitsch, der Hauptführer, erklärt: „Die an archistische Bewegung in Deutschland ist fortwährend im Abnehmcn begriffen. Quantitativ wie qualitativ hält die heutige Bewegung mit der vor 7 oder 10 Jahren keinen Vergleich aus. . . Was den deutschen Anarchisten völlig verloren gegangen ist, das ist der Trieb, sich zu betätigen. Vielleicht ist d«r Anarchismus eine Rassenfrage und die germanische Raffe nicht dazu disponiert. Die Konferenzen der deutschen Anarchisten zeichneten sich vorzugsweise dadurch aus, daß auf ihnen viel geredet, wenig beschlossen und meist nichts ausgeführt wüvde." Freilich hat diese Charakterisierung der deutschen anarchistischen Bewegung den lebhaften Widerspruch anderer Führer hervorgerufen. Das sieht jedenfalls fest, daß heute in allen anarchistischen Kassen in Deutschland die furchtbarste Ebbe herrscht, hervorragende An archisten, wie Wiefenthal, haben sich in 'das sozial demokratische Lager geflüchtet und dort eine sehr gute Anstellung als GewerkschaftSbeamie gefunden. Viel leicht erstrebt auch Paul Pawlowitsch eine solche bei den Metallarbeitern? In deren Gewerkschafts bewegung spielt er ja schon eine große Rolle. * Berli«, 6. August. (Mißbrauch derRuhe- pausen.) Gegen den Mißbrauch der 24stündigcn Ruhe pausen durch die in Gast- und Schankwirtschaften Ange stellten richtet sich eine gemeinsame Verfügung der prcutzi- schen Minister des Innern und für Handel und Gewerbe. ES ist, der „Krenzztg." zufolge, zur Kenntnisder Minister gelangt, daß in der Rhetnprovinz in fast allen größeren Städten und Orten mit lebhaftem Fremdenverkehr in den Kreisen der Beteiligten die Meinung verbreitet ist, infolge der Vorschrift Über die Gewährung der 24stündigen Ruhe zeiten seien die Angestellten während dieser Ruhezeiten auch an Anordnungen nicht mehr gebunden, die der Prinzipal für die in seine Hausgemeinschaft aufge- nommenen Gchülfen und Lehrlinge im Interesse der Hausordnung, insbesondere über daS rechtzeitige Nach- hausekommen am Abend der freien Tage, getroffen hat. Die Folge davon ist, daß die Angestellten an diesen Tagen vielfach einen Lebenswandel führen, der sie zur Arbeit am folgenden Tage unfähig macht und schließlich ihre Ent- lassung nach sich ziehen muß. D«r hierdurch veranlaßte häufige Stellenwechsel hat für beide Teile große Unzu. träglichkeiten im Gefolge. Die Minister machen deshalb darauf aufmerksam, daß die BundeSratSverordnung nur die gewerblich« Beschäftigung der Angestellten regelt, und demnach auch nur die Verpflichtung besteht, die Ange- stellten während der 24stündigen Ruhezeiten nicht zu ge werblicher Arbeit heranzuztehen; di« Befugnis de« Prinzipals, für die seiner HauSgenosserffchaft ««gehören- -en Angestellten die im Interesse der Hausordnung er- forderlichen Anordnungen zu treffen, wird daher nicht berührt, nur darf den Angestellten nicht, entgegen den Absicht«» der Verordnung, der Genuß der freien Tage dadurch unmöglich gemacht werden. Die Ortsbehvrdett «erbe« Mit enttprechender Amveisupg versehen. L. Berlin, 6. August. (Privattelegramm.) Nachdem der Minister des Innern und der Kultusminister die Neber- schwcmmungSgebtrte Schlesiens bereist baden, wird am Frei tag auch der Landwirlschaflsminister von PodbtelSkt nach Breslau kommen, um sich von dem Umfange des angerich- telen «schadens zu überzeugen. Der Minister wird unmittel bar nach seiner Ankunft eine Konferenz auf dem Oberpräsi dium abhalten. (Nat.-Zlg.) — In Ergänzung der Meldung, daß der Reichs kanzler alsbald »ach der Rückkehr des Kaisers dem Mon archen über die Hochwasserschäden in Schlesien Vor trag halten werde, erfäbrt die „Allgem. Ztg." „au» ver lässiger Quelle", daß im Anschluß daran ein Kroarat statlfinden werde. — Die „ Deutsche Tageszeitung" veröffentlicht einen Aufruf des Vorstandes deS Bundes der Landwirte an die Bundesmitglieder zur Unterstützung, besonders Naturalunkerstützung der Ueberschwemmten in Schlesien, Posen, Brandenburg und Westpreußen. — Bei der Fusion so verschiedenartiger Gruppen, wie der Nationalsozialen und der freisinnigen Ver einigung, konnte man von vornherein darauf gespannt sein, ob die auf dem entschiedensten Standpunkte stehenden Anhänger beider Richtungen diese mit dem Verzicht aufcinen Teil ihrer grund sätzlichen Anschauungen unabwendbar verbundene Wendung mit machen würden. In der Tat hat denn auch bereits einer der energischsten Agitatoren der Nationalsozialen, ihr Partei sekretär Maurenbrecher, den Entschluß kundgegeben, wie bereits vor ihm Pastor Göhre, sich den <§ozial- demokralen anzuscbließen. Sein Beispiel wird sicher auch nicht ohne Nachfolge bleiben. Ebenso wird man auch wohl damit rechnen können, daß, wie ein Teil der Nationalsozialen zu den Sozialdemokraten, so ein Teil der Freisinnigen Vereinigung je nach den übrigen politischen Momenten ihrer Anschauung abschweuken werden. Der Mangel an Soldaten, unter dem die beiden jetzt fusionierten Richtungen schon so empfindlich litten, dürfte daher durch die Vereinigung nicht nu- nicht behoben, sondera veirächtüch verstärkt werden. (B. P. N.) -— Wie der „Staatsanzeiger" meldet, ist der KammeHerr und Major a. D. Graf Karl v. S ch e e l - P l e s s e n auf Sierhagen in Holstein aus königlichem Vertrauen auf Lebens zeit in das preußische Herrenhaus berufen worden. Graf v. Scheel-Plcssen ist am 17. November 1845 geboren, er hat sich im Kriege gegen Frankreich das Eiserne Kreuz 2. Klasse erworben und wurde 1890 zum königlichen Kannnerhcrrn er nannt. Im Jahre 1895 erhielt er den Grafentitel vom König von Dänemark und im folgenden Jahre die preußische An erkennung. Sein Vater war der 1892 verstorbene bekannte ehe malige ObcrPräsident der Provinz Sci^lcswig-Holstein, der ebenfalls Mitglied des Herrenhauses war, sein jüngerer Bruder ist der Graf v. Plessen-Cronstcrn, jetzt preußischer Gesandter in Stuttgart, vorher Gesandter des Reiches in Athen. — Der Appell unterlegener ReichstagSkandidaten an den Staatsanwalt wegen verleumderischer Behauptungen der gegnerischen Parteien ist in einer Reihe von Fällen erfolglos geblieben. So hatte der ultra montane Reichstaoskandidat in Dortmund Lensiag, der gegen die Sozialdemokraten unter lag, Vie StaatSanwoltschast omgefordert, gegen die Redakteure der sozialdemokratischen „Bergarbeiter-Zeitung" wegen Beleidigung seiner Person vorzugehen. Tie Staatsanwaltschaft hat es jedoch abgelehnt, die Anklage zu erheben und mit Rücksicht darauf, daß die Aeußerungen in der Hitze Les Wahlkampfes erfolgt seien, und öffentliches Interesse für die Erhebung der Klage nicht vorliegt. Arhnlich erging eS dem Kandidaten der Freisinnigen Vereinigung l>r. Wagner in Lauenburg, über den gleichfalls verleumderische Behauptungen aufgestellt worden waren. Der erste Staatsanwalt am Landgericht Attona hat aus dessen Antrag, die Strafverfolgung von amtswegen riizuleiten, folgende- geantwortet: „Sollten Sie sich durch die von einem Unbekannten über Ihr Vorleben ge machten angeblich falschen Behauptungen beleidigt fühlen, so stelle ich Ihnen anheim, im Wege der Privatklage gegen den Be- trefseaben vorzugehen. Oefseutltches Interesse ist in diesem Falle nicht verletzt." D Eadtnen, 6.August. (Telegramm.) Die Kaiserin machte heute früh mit den Prinzen August Wilhelm und Oskar in die Umgebung eine vierstündige Dampferfahrt durch den Kraffohlkanal in die Nogatmüudung und passierte hierbei die von der Ueberschwemmung betroffenen Außen ländereien deS NiederungSgeländeS. * Pofen, 5. August. Eine polnische Versammlung in der Kreisstadt Schroda hat beschlossen, „dafür zu sorgen", daß in der dortigen Volksschule am 1. Oktober d. I. oder zu Ostern n. I. der polnisch« Schreib- und Leseunter richt wieder eingeführt werde. Der Wortlaut des Beschlusses nimmt sich eigenartig genug aus, denn nicht Sache der Fa milienväter, sondern ber Schulbehörden ist eS, für den Unterricht und die UnterrichlSgegenstände zu sorgen. Daß die Kundgebung Erfolg haben könnte, werden die Veran stalter auch selbst nicht glauben. Die Annahme des „Pos. Tazebl.", eS handle sich hier um den Beginn einer umfassen den Agitation zu Gunsten der Wiedereinführung deS polnischen Unterricht-, dürste daher zutreffend sein. * Mogilno, 5. August. In riaer der letzten Schöffengericht-- sitzungeu wurde der lliabrige polnische BrundbejitzerSsoh n Ignaz Cie-lewicz au- Schwarzbauland, welcher wegen einer Ueder- tretung angrklagl war, wegen Ungebühr vor Gericht mit einer Hasistrase von zwei Tagen belegt. Er hatte sich fortgesetzt hart näckig geweigert, sich der deutsche» Sprache zu bedienen, welcho er nachgewiesenermaßen gut versteht. * Eisenach, 5. August. Der Großherzog, der seit einer Woche m Allstedt weilt, wird am 10. August hier eiatreffeu und Schloß Wilhelm-thal beziehen. Dort trifft auch um die Mitte dieses Monat» die Großherzogin em. Gegen Ende Augull wird dann va» großherzogliche Paar feinen schon angeküadigten ersten Besuch am Kaiserhose in Berlin adstatteu. * Au» Batzern. Dir Wablkosten de- bayerischen Bauernbund«» für di« letzten Reich»tag«wah len sollen, wie dem Münchener Zentrnm-blatt, dem „Bayer. Kur.", von angeblich zuverlässiger Seite au» dem Lager de» Bauerubundr- berichtet wird, desonder» in dem altbayerischea Teil vom Vunyß dtp hk-ahü worden seuu
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