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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-13
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030813017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-13
- Monat1903-08
- Jahr1903
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Bezugs-PreiS 1« der Hanpterpedttion oder deren Ausgabe- stelle« obgebolt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 8.7ö. Durch die Post bezogen für Deutsch, land ». Oesterreich vierteljährlich >tl 4.50, für di» übrige» Länder laut Zeitungtpreisliste. Nedaktion «nd Lrpedition: Johannibgassr 8. Fernsprecher 153 und SSL Alfred Hahn, Buchhandlg., UntversstStSstr.3, L. Lösche, Latharinenstr. 14, u. Künig-pl. 7. chtllpi-Filiale vresde«: Marien straße «4. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serltn: Lari vnncker, Herzgl. vayr. Hosbuchhandlg, Lützowstraße 1V. Terusprecher VI Nr. 4303. Morgen-Ausgabe. MpMtrTaMaü Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nn- -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates un- -es Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Nr. M Donnerstag den 13. August 1903. Anzeigen-PreiS die «gespaltene Petitzeile LS Neklamau unter dem Redaktion-strich (»gespalten) 7b vor den Familtennach» richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für ^tachweisungen und Offrrtenannahme 85 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nnr mit »er Morgen-Ausgabe, ohne Postbesbrderun, SO.—, mit Postdesärderung 70.—» Xunahmeschluß flr Anzeigen: Ab»«d»A«-gabe: Bornüttag« 10 Uhr. Morge«-A»sga-«r Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« au di« Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Nbr. Druck und Verlag von E. Volz i» Leipzig. 97. Jahrgang. Klerikale Umtriebe ausdem Gebiete derSchule. Zum Thema der klerikalen Umtriebe auf dem Gebiete der Schule wird uns geschrieben: Die neueste Enthüllung in Bezug auf den Trierer Schulstreit ist die Mitteilung der „Tägl. Rundschau", daß die höhere Töchterschule in Trier, welche die preußische Regierung jetzt auf Bischof Korums Heraus forderungen hin den Klerikalen in die Hände spielen hilft eine von der evangelischen Gemeinde ge ¬ gründete, ursprünglich rein p r o t e st a n ri sch e Schule ist, deren erste Vorsteher evangelische Pastoren, darunter auch der Vorkämpfer des Protestantismus, Pro fessor Beyschlag, gewesen sind, und deren Unterrichts räume im evangelischen Pfarrhaus unterge bracht waren! — Und heute läßt sich die preußische Regie- rpng rühmen, baß sie die Einsetzung eines Jesuiten- schülers als Neligionslehrer an dieser ehedem rein pro- testantischen Schule durchgesetzt!! So gewaltig haben sich die Zetten im Lande Preußen geändert, seitdem Zentrum Trumph ist! Es sind aber keineswegs nur als Weiß sporne" betrachtete römische Bischöfe, wie Korum, die gegen das bewährte jetzige Schulwesen anzustürmen die Zett für gekommen erachten. Auch die feinen, d. h. die römischen Bischöfe, welche bei Hofe am besten gelitten sind, wissen glanz genan, was sic wollen, und erreichen, wenn auch in weniger geräuschvoller Weise, ihr Ziel so sicher wie Korum. Das kann man vor allem im Herr schaftsgebiete des Fürstbischofs Kopp — in Schlesien — beobachten. Ganz in der Stille, aber planmäßig, wird dort, insbesondere in BreSlau, an der Klerikalisicrung des Unterrichtes gearbeitet. Auf höheren Befehl forderten die katholischen Pfarrämter, wie man jetzt erfährt, auch hier in diesem Frühjahr von den Eltern derjenigen Mäd chen, die nach Ostern in den Beichtunterricht ausge nommen werben sollten nnd biS dahin eine evangelische, bczw. paritätische höhere Töchterschule be sucht hatten, ihre Töchter auS jenen Schulen herauszunehmen und sie in katholische Töchterschulen überzuführen. Widrigenfalls würden dieselben mit den D o l k S s ch ü l er i n n e n und nicht mit den andern höheren Töchtern unterrichtet. Auch müßten sie dann zur Ergänzung des bisher in ihrer höheren Töchterschule erhaltenen katholischen Religions unterrichtes wöchentlich eine Stunde beson deren Religionsunterricht besuchen. In einer Reihe von Fällen haben die Priester ihren Zweck auch schon erreicht. Es handelte sich bei der Korumschen Herausforderung also keineswegs bloß, wie gewisse Be schwichtigungsräte glauben machen wollten, um Ungeschick lichkeiten eines besonders fanatischen Bischofs, sondern um einen auf der ganzen Linie gegen unsere Töchterschulen planmäßig begonnenen klerikalen Vorstoß, die Einleitung des großenKampfes um die Schule, der mit aller Kraft durchgeführt werben soll, sobald erst die Zulassung der Jesuiten erlangt worden ist. Ein besonderes Mittel, evangelisch« Mädchen der katho lischen Kirch« zu befreunden und sie htnüberzuziehen, sind in BreSlan auch die Handarbeits-Unterricht S- stunden, die wohl in allen Stadtteilen von den Ordenssch Western erteilt werden. Unter 100 Mäd chen, die dort ben staatlichen Prüfungen für Handarbeits lehrerinnen sich unterzogen, waren wohl 40 katholisch, die nachher in das Kloster eintraten, um später die erwähnten Handarbeitsstunden zu geben. Dieser Unterricht wird er teilt an schulpflichtige und schulentlassene Mädchen, und es ist für letztere bereits eine Art Ditte geworden, zu den Nonnen in diesen Unterricht zu gehen. Mit dem Unter richt sind Andachten verbunden, denen die evangelischen Mädchen am Anfang oder Schluß betwohnen. Einzelne Uebertritte infolge dieses Unterrichts wurden bereits fest gestellt. In BreSlau befindet sich ferner ein königliches katho lisches Gymnasium. Früher wurde eS auch von einzelnen evangelischen Schülern besucht, die damals evan gelischen Religionsunterricht erhielten. Letzterer ist seit einer Reihe von Jahren abgeschafft und, wie eS heißt, werden evangelische Schüler nicht mehr ausgenommen. In dieser Weise leat man aber den Titel „katholische Stif tungen" aus. Bet protestantischen Stiftungen ist das natürlich etwas ganz anderes. Diese werden wie in Trier zwar möglichst unvermerkt und allmählich, aber dafür um so gründlicher römisch gemacht! Kein evangelischer Geist soll, so will es Korum wie auch Kopp, an die Schüler heran kommen. Die katholischen Studentenverbindungen sorgen dabei für römisch gesinnte Lehrer. Der biedere preußische Staat un- zumal die Protestanten, die ja . doch den Löwenanteil der Steuern auffzubringen haben, bezahlen dieselben dann schon. Es geht also im Reiche nun bereits ganz so, wie in ben deutschen Kolonien, wo z. B. am Viktoria-Nyanza die katholischen Missionare darüber jubeln, daß die deutsche Regierung die Lehrer für die Schulen, die sie dort aus Staats- also hauptsächlich aus protestantischen Mitteln errichtet, aus ihren Zög lingen nehmen will! v. L. L. Deutsches Reich. r. Leipzig, 12. August. (Zur Begnadigung der „ Löbtauer ".) Wird ein Sozialdemokrat wegen einer Strafsache mit politischem Beigeschmack gerichtlich ver urteilt, so verbietet ihm seine politische Standesehre, ein Gnadengesuch einzureichen: bei etwa noch nicht genügend entwickelten, „genossenschaftlichen Bewußtsein wird ihm das Nötige schon klar gemacht werden. Wird der Mann nun nicht begnadigt, so bleibt er eben ein Märtyrer, Opfer der Klassenjustiz oder etwas Aehnliches, denn alle Sozialdemokraten sind edel und werden prinzipiell un schuldig verurteilt, nur ausnahmsweise nicht, aber dann wenigstens viel zu hart. Wird der Verurteilte aber be gnadigt, so nimmt er diese Wohltat an, jedoch nur unter Protest gegen das Begnadigungsrecht im allgemeinen und — gegen dessen zu späte Anwendung im besonderen. Wird nicht begnadigt, so ist das eine unentschuldbare Härte; wird begnadigt, so ist das eine Schwäche. Und wer diesen Gedankengang nicht versteht, der muß ben vor wärts" vom 11. August in die Hand nehmen, dann kann er folgendes lesen: Späte Befreiung. Aus Anlaß des Geburtstages des sächsischen Königs sind 70 Strafgefangene begnadigt worden. Darunter befinden sich drei Opfer des Zuchthausprozesses gegen die Löbtauer Bauarbeiter. . . Die Begnadigung, die nun allzu spät erst geübt wird, ist eine Wohltat vor allem für die sächsische Justiz, die befreit wird von einem kleinen Teile schwerer sozialer Verschuldung, sowie für die sächsische Regierung, die so lange diese Ver schuldung unbeglichen duldete. So sehr es zu begrüßen, daß diese Art der Rechtsherstellung vollzogen wird, so ist es um so bedauerlicher, daß nicht endlich dieses Unrecht gänzlich aus der Welt geschafft wird, daß noch immer zwei Menschen, deren Schuld, so weit sie solche auf sich luden, seit Jahren gesühnt ist, hinter Zuchthausmauern schmachten müssen. Nicht allein um dieser Bedauernswerten willen, als um der Achtung vor den sächsischen Rechtszu ständen willen müßten auch diese beiden der Freiheit wiedergegeben werden. Die Krone und die beteiligten Amtsstellen wegen der ,^Wohltaten", die sie sich angeblich selbst erwiesen haben, in Schutz zu nehmen, halten wir dem „Vorwärts" gegen über für überflüssig, wie uns auch dessen Sorge um die „Achtung vor den sächsischen Rechtszuständen" nicht im geringsten imponiert; dagegen wollen wir doch auf die liebevolle Tendenz -es Artikels aufmerksam machen. Es gehört nämlich eine ganz ungewöhnliche Energie in der Abstreifung menschlicher Empfindlichkeit für die an gerempelten Personen dazu, wenn sie sich als ganz un beeinflußbar durch solche Auslegung ihrer Handlungen zeige». Wir haben zwar dieses Zutrauen; bei dem „Vorwärts" aber ist eine solch hohe Einschätzung sicher nicht vorhanden, woraus hervorgcht, daß es ihm um das Wohl der nicht begnadigten „Löbtauer" nicht zu tun ist, sondern um die Verhinderung einer von ihm befürchteten Beruhigung in den Kreisen der Verurteilten — positiv ausgedrückt: um Verhetzung. Berlin, 12. August. (Intoleranz?) Der Be schwerde darüber, daß in einer katholischen Ge meinde Württembergs der Versuch gemacht worden sei, sich des dortigen Arztes zu entledigen, weil er den sonn täglichen Gottesdienst nicht besuchte, wird die Behauptung entgegengesetzt, daß hinsichtlich derartiger Intoleranz die Protestanten den Katholiken nichts vor zuwerfen hätten. Als schlagender Beweis für diese Behauptung wird folgende Anzeige angeführt: „Lang jährige Praxis im Städtchen Schlesiens mit ca. 10 ÜOO jährlicher Einnahme an evangelischen Kollegen (Reserveoffizier) zum September abzugeben." Es gehört eine große Oberflächlichkeit dazu, diese Annonce als Vergleich heranzuzichen. Man könnte doch nur dann von Intoleranz sprechen, wenn etwa der Magistrat des be treffenden Ortes eine Annonce erließe, in der er die «vangelische Konfession und den Charakter als Reserve offizier zur Bedingung machte. Wenn aber ein an dem betreffenden Orte praktizierender Arzt eine ein reichliches Einkommen gewährende Praxis an einen Kollegen ab geben will, so ist es doch seine Sache, welche Qualitäten er von einem solchen Kollegen verlangt. Aber es braucht auch nicht einmal eine persönliche Intoleranz oder eine persön liche Militärvorliebe darin zu liegen, sondern der Arzt kann sehr wohl damit ausdrücken wollen, daß mit Rücksicht auf die in den: Orte vorwiegende Konfession oder auf be stimmte Kategorien der Bevölkerung (es sind vielleicht viel pensionierte Offiziere ortsansässig) die Höhe des Ein kommens am besten durch die erwähnten Qualitäten ga rantiert wird. Das ist doch wohl etwas ganz anderes, als wenn «in Arzt wegen schlechten Kirchenbesuches „fort gegrault" werden soll. In dem letzter« Falle liegt ein durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in seine persön lichen Ueberzcugungen vor. * Berlin, 12. Angust. lieber das Verhältnis der vermögensrechtlichen Streitigkeiten zur Bevölkerungszahl enthält der neueste Band der amtlichen Justizstatistik folgende Angaben: Die Zahl der auf die Gerichtseingesessenen entfallenden Prozesse ist i n st e t e m S t e i g e n. Auf je 10 000 Personen entfielen im Deutschen Reiche im Durchschnitt der Jahre 1881 bis 1885 jährlich 261 ordentliche Prozesse, Wechselprozesse und andere Urkundenprozesse, im Durchschnitte 1886 bis 1800 275, 1891 bis 1895 388, 1896 bis 1900 353, und 1901 413. Bei Würdigung der Ziffer von 1901 ist allerdings zu berück sichtigen, daß die VerhältniSzabl nach den Ergebnissen der Volks zählung von 1900 berechnet ist, während bei den fünfjährigen Zahlen der Durchschnitt der vor den Anfang und an das Ende der Periode fallenden Volkszählungen zu Grunde gelegt ist. Die einzelnen Oberlande Sgerichtsbezirke zeigen in der Zahl der auf die Gerichtseingesessenen entfallenden Prozesse sehr große Verschiedenheiten. Weitaus am größten war im Jahre 1901 die Zahl in den Oberlandesgerichtsbezirken Hamburg mit 771 (1881 bis 1885 470) und Berlin mit 694 (422). Die hervorragende Rolle, die der Handel in diesen beiden Bezirken spielt, macht die hoben Ziffern erklärlich. Dann folgen die Bezirke Dresden mit 549 (298), Frankfurt a. M. mit 496 (378), Braunschweig mit 438 (226), Köln mit 434 (266), Hamm mit 430 (275) und Oldenburg mit 427 (280). Die übrigen Bezirke stehen unter dem Reichsdurchschnitt in folgender Reihe: Karlsruhe 404 (250), Marienwerder 398 (319), Königsberg 393 (370), Posen 388 (298), Zweibrücken 383 (178), München 377 (174), Darmstadt 375 (246), Kiel 372 (190), Breslau 366 (244), Naumburg 355 (250), Kassel 352 (368), Zelle 347 (208), Jena 337 (230), Stettin 306 (236), Nürnberg 289 (158), Rostock 280 (167), Kolmar 25S (223), Bamberg 221 (184), Stuttgart 207 (118) und Augs burg 190 (119). Die bäuerischen Oberlandesgerichlsbczirke zeichnen sich also trotz einer starken Steigerung im allgemeinen noch durch eine geringe Zahl von Prozessen auS. Beim Ober- landesgerichtSbezirk Stuttgart ist ebenso wie bei Karlsruhe zu berücksichtigen, daß zahlreiche kleine Prozesse durch die Gc- meindegerichte erledigt werden. Unter ihrer Hinzurechnung würde die Zahl in Stuttgart sich auf 242 (166), in Karlsruhe auf 496 (300) erhöhen. Die Verhältniszahl weist in allen Bezirken außer Kassel seit 1881/85 eine Steige rung auf. In den Bezirken Braunschweig, Dresden. Kiel und Nürnberg ist die Zahl nahezu auf das Doppelte gestiegen, und in den Bezirken München und Zweibrücken hat sic sich sogar mehr als verdoppelt. Die Mahnsachen sind bei der vorstehenden Berechnung nicht berücksichtigt. Ihre Zahl hat bis 1900 wesent lich abgenommcn. Auf 10 000 Personen kamen 1881/85 442, 1886/90 407, 1891,V5 404, 1896/1900 353 und 1901 38S Mahnsachen. * Berlin, 12. August, (v. Levetzow -f.) Nach langem Leiden ist der ebemalige langjäbrige Präsident deS deutschen Reichstags Excellenz vr. v. Levetzow auf seinem Gute Gossow in der Neumark diese Nacht um l Uhr verschieden. Die „Nat.-Ztg." charakterisiert den Verstorbenen folgender maßen: Mit Levetzow scheidet eine der sympathischsten Per sönlichkeiten der alten konselvativen Partei aus dem Leben, ein Mann, der sich auch bei seinen politischen Gegnern all gemeiner Achtung erfreute. DaS Vertrauen, das ihm Feuilleton. Heimliche Sünder. Humoreske von Max Wundtke. v:a<rcru«t verboten. In Herrn Fröhlichs jungem Eheleben gab es Angen blicke, in denen er sich die Frage vorlegte, ob er sein ange betetes Julchen nicht doch zu teuer erkauft habe. DaS war schlecht von ihm, aber welcher Ehemann hat nicht zuweilen solche schwachen Momente! Und zu Herrn Fröhlichs Ehren rettung muß konstatiert werden, daß diese Augenblicke bei ihm höchst selten vorkamen — jede Woche nur zweimal, nämlich Mittwochs und Sonnabends nachmittags eine halbe Stunde vor 6 Uhr, wenn er trübselig sein Vollblut- Stahlroß, Marke „Geölter Blitz" Fahrradwerke Flitz hausen, in den Stall eines in einer Nebenstraße wohnen, ben Freunde» schob und dann in dessen verschwiegener Wohnung aus dem feschen Radelwadclkvstüm in die pro saische Tracht eine» ganz gewöhnlichen Philisters schlüpfte . ... ein lustiger, leichter Falter, der sich in eine unan sehnliche Raupe verwandelte. Da wurde ihm dann so zu Mute, und, dann kamen ihm solche abscheuliche Gedanken. Die Sache ivar nämlich die: Er hatte sein Julchen tatsächlich mit einem sehr großen Opfer erkauft. Sein Julchen war ein allerliebstes Kind, hübsch, lustig, dabet nicht leichtsinnig, aber dafür ein wenig eigensinnig. Sie war die verkörperte Konsequenz und liebte e», ihre Autorität unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Sic achtete ängstlich daraus, sich keine Blöße zu geben und sich vor allem keiner Inkonsequenz schuldig zu machen, denn bas hätte ihrer ehelichen Hegemonie viel- leicht doch geschadet. Fröhlich hatte bas alles vorher ge wußt und trotzdem hatte er sic um ihre Hand gebeten. Zur eigentlichen Tyrannin würbe sie ja nie werben; dazu war Julchen viel zu vernünftig, zu gut und — zu geschmackvoll. Und . . . Geld hatte sie auch! Aber einen großen Kehler besaß sie «nd da» belümmerte Herr» Fröhlich sehr tief: Sie konnte das Radeln nicht leiden. Sie sprach nur von der „albernen Radelei". Das kränkte ihn; denn er war eine Radelratte erster Güte! Ihr Mann dürfte nicht radeln, sagte Julchen, und Julchen war eine konsequente Natur. Jetzt hatte Fröhlich nur zu wählen, zwischen dem Rad und ihrer Hand. DaS war bitter; aber Herr Fröhlich hatte sich Julchen nun einmal in den Kopf gesetzt und so verflieg er sich denn zu -em feierlichen Gelübde in Julchens Hand, der sündhaften Radelei ein für allemal zu entsagen. So wars Julchen zufrieden und nannte sich bald darauf Frau Fröhlich. Eine Zeit lang ging'-; aber was ist das Menschenherz! Fröhlich knickte jedeSmal zusammen, wenn er auf der Straße einem rollenden Rade begegnete. Jeder Radfahrer rief die süßen Erinnerungen an seine eigene radltche Zeit in ihm wach, und er fing an, seinen jetzigen radlosen Zu stand mit seinen: früheren Glück zu vergleichen, und da kam ihm zum erstenmale der miserable Gedanke: Solltest du dein Julchen nicht doch zu teuer erkauft haben? Ebenso wenig, wie eine Katze das Mausen läßt, ebenso wenig ein Radler baS Radeln. Immer sehnlicher blickte er drein, wenn jemand an dem Fenster vorüberradelte r immer heißer und ungestüiner stieg das Verlangen in ihm empor, mttzutun wie einst. Einst! Ach, bas war eine köst liche Zeit! Scheu und schüchtern klopfte er zuweilen bet seinem Julchen auf den Busch. Vielleicht war sie doch ein wenig anderer Meinung geworden! Aber da kam er schön an. Wenn er jemals wieder mit solchem dummen Zeuge käme, dann wären sie geschiedene Leute. Sie hätte sich einen Mann geheiratet und keinen Affen in Faschinastracht, der seinen ganzen Lebenszweck darin fände, alte Frauen un kleine Kinder über den Haufen zu rennen und Erwachsene mit dem gräßlichen Gebimmel nervös zu machen. So, da hatte er JulchenS Meinung, und baS konnte sich schließlich auch ein Idiot klar machen, daß sic wenig Liebe für die Radelet übrig hatte. Schließlich bekam Fröhlichs erste Liebe wieder so viel Gewalt über ihn, daß er seinen heiligen Schwur vergaß und ein heimlicher Radler wurde. Lr konnte sich nicht mehr helfen; er wußte sich keinen andern Rat al» -aS Rad. Julchen ging Mittwochs und Sonnabends zwischen 8 und 6 Uhr zu einer Freundin, wo für guten Kaffee und ein solennes Klätschchen gesorgt war. Ahnungslose Seele! Während sie dort über alle hohen und tiefen Kragen der Wirtschaft und Kohlenteuerung konferierte, fröhnte ihr Mann heimlich einem von ihr so verabscheuten Laster! Er hatte einen guten Freund, der nicht weit von ihm in einer Nebenstraße wohnte, in sein Vertrauen gezogen. Jeden Mittwoch und Sonnabend nach 3 Uhr, wenn er sein Julchen beim Kaffeeklatsch geborgen wußte, schlich er sich wie ein Dieb zu seinem Freunde, zog seine Pumphosen an, seinen Sweater, seine forschen Wadelstrümpfe, un- dann, die Sportmütze tief in das Gesicht gedrückt, ging's los. Aber das Herz klopfte ibm jedesmal hörbar, wenn er mit scheinheiliger Gelassenheit zu dem heimischen Herde zurückkchrte. Wehe, wenn Julchen einmal etwas merkte, wenn der schöne Wahn entzweiriß, in den sein heuchleri. sches Gelübde sie bisher gewiegt! Gewiß wären dabei noch ganz andere Dinge entzweigeriffen. Und heute stieg Herr Fröhlich mit einem Herzen die Treppen zu seiner ehelichen Wohnung empor, daS nun schon ganz und gar L 1» ßai^o zu spekulieren schien. Es war ihm nämlich etwas passiert, waS ihm bis dato noch nicht passiert war. Er batte jemand umgevadelt. Und eine Dame noch dazu! Gott sei Dank, es war alles ohne schlimme Folgen abgegangen, denn es war im Park draußen; aber die Sache konnte für ihn doch noch ein recht fatales Nachspiel haben! Zwar hatte er sich mit einer Fixigkeit auS dem Staube gemacht, die ihm eine Stelle als Champion unter den Fliegern gewährleistet hätte . . . . schmachvoll genug! Aber die Angst, entdeckt zu werden, daß womöglich die ganze Geschichte noch seinem Julchen zu Ohren kam, hatte jede edlere Regung in ihm erstickt. Julchen war, Gott sei Dank, noch nicht zu Hause; aber als sie kam, wollte es seinem bösen ltzewissen scheinen, als sei sie in einer unheildrohenden Stimmung. Und es war auch so. „Da sieht man'S wieder!" begann sie nach einer unheim. lichen Stille vor dem Sturm, „da sieht man'S! Diese ver- dämmt« Radelei!" Dem Eheherr« stockt« ber Atem. Um Gotte-willrn! Hatte sie etwa . . . .? Sein böses Gewissen nahm ihm für einen Augenblick alle Klarheit des Denkens. Es dauerte ziemlich lange, ehe er sich so weit ermannte, eine ganz harmlose Frage zu stellen: „Was hast du denn, Julchen?" „Was ich habe? Ueberradelt haben sie mich! Mich, -eine Frau! Hörst du, Fröhlich? Man hat deine Frau überradelt!" Fröhlich war blaß geworden bis in die Ohrläppchen hinein, nur durfte man im Zweifel sein, ob aus Angst um seine teure Ehehälfte oder aus Furcht, sein heimliches Fahren ausgedeckt zu sehen, und ebenso zweifelhaft war der Sinn seines stotternd-stöhnenden Ausrufs: „Nm Gottes willen, das ist ja schrecklich!" Das fiel der Frau Fröhlich jetzt auch erst schwer auf die Seele, wie schrecklich es war, sie brach deshalb in Tränen aus und rief: „Fröhlich, du wirst deiner Frau Genugtuung ver- schaffen!" Ihm lief es ganz eiskalt über den Rücken. Da schien er tatsächlich seine eigene Frau überradelt zu haben, sein eigenes Julchen, der er daS Radeln so hoch und lyülig ab geschworen hatte! Und nun sollte er gar noch sich selber zur Rechenschaft ziehen? DaS konnte ja gut werden. Mit gebrochener Stimme ächzte er ein: „Jawohl, mein Herz!" „Du wirst gegen den abscheulichen Menschen Straf antrag stellen!" Fröhlich zitterte wie Espenlaub. „Ja, Herz . . . aber . . . hast . . . du . . . denn . . . hast. . . du denn den . . . Radler. . . erkannt?" „Das ist eS ja eben, der Kerl jagte davon, als wäre der Teufel in seine Pedale gefahren." Fröhlich atmete auf und warf sich in die Brust. Sic batte ihn nicht erkannt und sein Rad! Gott sei Dank. Noch war er nicht verloren. Jetzt hieß es nur, recht sicher auftreten. „Das soll er büßen! Jawohl, wir werden ihn schon be langen!" „ES wird ja nicht schwer werden, ihn zu finden. Er war kur- vorher in einer Billa und da stand sein Fahrrad
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