02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021028026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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- Tag1902-10-28
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend hoher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung ./L 60.—, mit Postbesörderung ./t 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Nb end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr- Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Str. 55«. Dienstag den 28. Oktober 1902. Sk. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Oktober. Als der Präsident die gestrige Sitzung des Reichstags eröffnete, waren ungefähr 30 Abgeordnete anwesend und während der Debatte stieg die Frequenz kaum über hundert. Zu einer Abstimmung durfte man es also nicht kommen lassen und mußle sich darauf beschränken, für und wider die Bieh zolle schon ost Gesagtes zu wiederholen. Heute wird es voraussichtlich ebenso geben und erst am Mittwoch dürfte es — sofern eö gelingt, die nötige Zahl von Ab geordneten heranzuzieden — zur Abstimmung über die Schlachtvieh- und Fleischzölle kommen. Dann werden die freisinnigen Parteien und die Sozialdemokratie gemeinsam den Antrag auf Aussetzung der Zolltarifberatung bis nach Erledigung des Etats stellen. Die Antragsteller gehen von der Ansicht aus, daß die Weiterberatung nutzlos sei, so lange Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Mehrheitsparteien bestehen. Man nimmt aber als sicher an, daß der Antrag bei der Mehrheit keinen An klang finden werde. Bestätigt sich diese Annahme, so wird man annehmen müssen, daß die Mehrheit bei irgend einer Tarifposition von Seiten der Regierungs vertreter ein Entgegenkommen erwartet, das ihr in Bezug aus die Mindestzöllc ein gleiches Entgegenkommen ermöglicht. Denn darüber kann man sich nicht täuschen, daß es der sog. Komproniißmebrheit trotz ikrcr wiederholten Siege recht un behaglich zu Mute ist. Ein Berliner Korrespondent der „Allgem. Ztg." trifft sicherlich das Rechte, wenn er annimmt, der Mehrheit sei noch viel mehr als die absolut unzwei deutige UuannehmbarlcitSerllärung, die sie im Ernste kaum anders erwarten konnte, ein anderes Wort des Reichskanzlers in die Glieder gefahren. Der Berfasser begründet diese Ansicht folgendermaßen: „Der Zentrumsagrarier Herold, dem überhaupt verschiedene Offenherzigkeiten zu verdanken sind, hat zum ersten Male enthüllt, wohin die Hoffnungen der Kompromißmehrheit eigentlich zielen. „Wenn die Kompromißvorschläge", sagte er, „an dem Widerstande der jetzigen Regierung scheitern sollten, so ist doch die Hoffnung vorhanden, daß sie einer anderen Regierung gegenüber Lurchgesetzt werden. Wenn eine geschlossene Majorität vorhanden ist, so bedeutet das einen gesetzgebenden Faktor, der entschlossen ist, dafür einzutrelen." Die Diktion ist nicht ganz klar, aber man hört Loch zur Genüge heraus, die kierikal-konservativ-bünLlcr sche Majorität hat sich zum parla mentarischen Regime bekehrt: verharrt die Negierung in ihrem Widerstande gegen Kompromißbejchlüsse, obgleich für diese eine ge schloffene Mehrheit vorhanden ist, so muß sie ab tret en, und es kommt eine neue, welche den Willen der Mehrheit aussührt. Herr Herold hat noch nicht gesagt, daß das so jein muß, aber er hat doch die Hoffnung, daß es jo fein wird .... Wie ein greller Blitzstrahl ist nun in den ungewissen Nebel Lieser Zukunftstränme die Herrn Herold vom Grafen Bülow zuteil gewordene Erwiderung gefahren: „Es wird lange dauern, bis wieder ein Reichskanzler für die Landwirtjchast tut, was ich mich bestrebt habe, mit der Einbringuug dieser Tarifvorlage für die Landwirtschaft zu tun". Mit anderen Worten: käme es nach dem Scheitern dieser Vorlage wirklich zu einem Regierungswechsel, so wird auf unabsehbare Dauer von einer künftigen Regie rung nie wieder der Landwirtschaft ein Maß von Zollschutz geboten werden, wie es ihr in der gegenwärtigen Vorlage entgegengebracht wird. Das ist den Agrariern von nüchternen Stimmen in der Presse, die es mit der Landwirtschaft wohl meinen, tausendmal gesagt worden. Man hat sie überschrien. Mit dem ernsten Worte des Reichskanzlers bringt man das nicht fertig. Es hat die breite Oeffentlichkeit über die wahre Lage aufgeklärt, und es ist unausbleiblich, daß auch in die Kreise der urteilsfähigen Land wirte die Erkenntnis eindringt, daß, was jetzt nicht für die Land wirtschaft gewonnen wird, unwiederbringlich verloren ist. Dadurch gerät die Kompromißmehrheit in eine höchst mißliche Lage. Sie hat sich mit ihrem „Siege" in eine Position verrannt, die ihr das Nachgeben in der dritten Lesung nur um so schwerer macht. Auf der anderen Seite ist ihr dadurch, daß die Hoffnung auf einen ihr günstigen Regierungswechsel so unumwunden und wirksam zerstört worden ist, vor ihren landwirtschaftlichen Wählern die einzige plausible Entschuldigung entzogen, weshalb sie nicht genommen hat, was sie bekommen konnte." Ist, wie wir nicht bezweifeln, im Vorstehenden die Stimmung im Lager der Mebrheitsparteien richtig geschildert, so ist es begreiflich, daß diese Parteien von einer Aussetzung der zweiten Beratung des Zolltarifs bis nach der Erledigung Les Etats nichts wissen wollen und bei der Weiterberatung auf einen Moment harren, der ihnen gestattet, den Fehler iu der bisherigen Rechnung auözutilgen. Die Finanzlage des Reiches, die von Monat zu Monat ein immer trüberes Bild darbietet, wird in den Einzelstaalen mit wachsender Besorgnis be rachtet. Namentlich aber erscheint für Sachsen angesichts der schon an sich drückenden Finanz lage des Landes die Situation bitter ernst. Ist dock offiziös zugestanden worden, daß der durch Ueberweisungen nickt gedeckte Bedarf an M a t r i k u l a r - B e i l r ä g e n die Höbe von rund 150 Millionen Mark erreicht, wovon auf Sachsen über 10 Millionen entfallen würden. Nun war aber bei der Ausstellung des sächsischen Etats für 1902/03 durch den letzten ordentlichen Landtag an genommen worben, daß der Matrikularbeitrag den Anteil Sachsenö an den Ueberweisungen an Zöllen uuv Verbrauchs steuern in jedem der beiden Jahre um mindestens 1 500 000 übersteigen werde. Zur vollständigen oder teilweisen Deckung des vermutlichen Ausfalles sollte dieser Be trag dem UeberweisungSsteuerfonds, der in besseren Tagen aufgespart wurde, entnommen werden. Dieser Fonds beträgt aber nur 4 307 937,11 und würde somit nicht annähernd hinreichen, die Mehrbedürsniffe auch nur eines Jahres zu decken. Außerdem war, um etwaige Mehrzablungen an das Reich leisten zu können, der Reservefonds für außerordentliche, im voraus nicht näher zu bestimmende Ausgaben vorsichtiger Weise reichlicher als in früheren Jahren, nämlich mit 811 265.< dotiert worden; doch ist dieser Fonds infolge der Nachpostulate bei Kap. 22 und 23 des Etats (Zivilliste und Apanagen) auf 370 490 ermäßigt worden. Es sind also zur Deckung der durch Ueberweisungen nicht gedeckten Anforderungen des Reicks für die Jabre 1902 und 1903 zusammen 5 048 917,11 im sächsischen Etat vorhanden. Man kann sich daher noch gar kein rechtes Bild von der Verwirrung machen, in welche der sächsische Staatshaushalt geraten muß, wenn das Reich in einem Jahre allein über 10 Millionen für seine Zwecke beansprucht. Die peinlichste Sparsamkeit kann soviel niemals herauSwirtsckaften. Deshalb muß die sächsische Negierung besonderen Wert darauf legen, daß dem Reiche schleunigst neue Einnahmequellen erschlossen werden, und zwar vertritt sie die Ansicht, daß der Weg der indirekten Besteuerung, (z. B. Biersteuer und erhöhte Tabalsteuer) der direkten Besteuerung des Einkommens und des Vermögens vorzuziehen sei. Die klerikale „Köln. Volksztg." bekennt, ein wie „lebhaftes Unbehagen" in katholischen Kreisen Deutschlands der Hinweis bcrvorrust, daß cs mit de» sittliche» und sozialen Zuständen in Belgien nichts weniger als glänzend bestellt ist, obwohl Belgien bas katholische Land pur oxoollouoo sei. Nack dem führenden Zenlrumsorgau ist es aber nur ein „Feckterstück", zur Täuichung des Gegners bestimmt, wenn „dank der falschen Angaben unserer Schulbücher und unserer Konversations lexika" von Belgien als einem katholischen Lande pur oxeolloueo gesprochen wird. Bei dieser Behauptung hat daS rheinische Zentrumsblatt vergessen, das katholische „Kirchen lexikon" und das katholische „Staatslexikon" nach zuschlagen, zwei Werke, die Weber unter die Schulbücher noch unter die Konversationslexika gehören. Das „Staatölexikon" (vom Jahre 1901) schreibt über die Bevölkerung Belgiens: „Fast die ganze Bevölkerung bekennt sich zur katholischen Kirche mit Ausnabine von etwa 15 000 Protestanten unb 3000 Juden." Das „Kirchenlexikon" läßt den Artikel „Belgien" — um nur eine Stelle zu cilieren — in eine Klage darüber ausklingen, daß durch das belgische Schulgesetz von 1879 alle von Geistlichen geleiteten Schulen aufgehoben wurden, „in einem Lande, wo die Nichtkatboliken nicht 1 Prozent der Bevölkerung ansmachen". Ganz ähnlich klagt das „Kirchenlexikon" darüber, daß die „religionslose Schule" er richtet wurde „in einem Lande, wo die Nichtkatholikcn kaum 1 Proz. der Bevölkerung ausmachen." Mau sieht also: zur Agitation für die klerikale Schulpolitik berufen sich sie kleiikalen Sinnnisührer auf den kalhokischeu Ebarakter de: belgischen Bevölkerung; bei der Abwehr woblbegründeter Vorballungen aber stellen sie den katholischen Charakter der belgischen Bevölkerung in Abrede! Um ihre Behaup tungen glaubhaft zu macken, erzählt die „Köln. Volksztg.", daß Belgien sich zwar erfolgreich gegen das Eindringen des Protestantismus deutscher Herkunft verteidigt habe, daß ihm jedoch der „Protestantismus französischen Gepräges" verhängnis voll geworden sei. Gemeint sind damit die französischen Encpklopädisten mit dem von ihnen entwickelten Deismus. „Dieser letztere ist es in der Tat", versichert die „Köln. Volksztg.", „der in Belgien, seitdem dasselbe selbständig seine eignen Geichicke lenkt, mit dem Katholizismus im ununter brochenen Kampfe ringt und die Aktion der Kirche auf allen Gebieten behindert". Die Encyklopädisten als „Protestantismus französischen Gepräges" hinzustellen, ist eine Irreführung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Die zweite Irreführung indessen, die Aktion der katholischen Kirche in Belgien sei durch den „DeiSmuS" seil dem Bestehen eines selbständigen belgischen Staates auf allen Gebieten behindert worden, darf nicht ohne schlagende Wider legung bleiben. Enthalten ist diese Widerlegung in den schon oben erwähnten katholischen Handbüchern. Das „Staats lexikon" schreibt wörtlich: „Durch die Konstitution vom 7. Februar 1831 wurde der katholischen Kirche in Belgien eine Freiheit gewährt, wie sie bis dahin in Europa nicht bestand . . . Auf Grund dieser weitgehenden Freiheiten entwickelte sich in der Kirche Belgiens bei Klerus und Laien bald ein reges religiöses Leben." Charakteristische Einzelheiten für die Entwickelung des kuchlichen Lebens in Belgien führt das „Kirchenlexikon" an, indem eS schreibt: In wenigen Jahren bedeckte sich nun das Land mit klösterlichen Genossenschaften. Von Oesterreick her kamen die Redemptoristen, auS Spanien, Frankreich, der Schweiz unb Italien die Jesuiten und eröffneten Kollegien. Franziskaner, Trappisten, Schulbrüder und zahlreiche weib liche Genossenschaften siedelten sich im Lande an. Auf den höheren Unterricht richtete der Episkopat sein besonderes Augenmerk. .. Diese Blüte der Kirche rief indes eine große Reaktion der kirchenfeindlichen Ele mente hervor, welche in Belgien zahlreich vorhanden waren. — Aus den vorstehenden Darlegungen der vom katholischen Standpunkte aus maßgebenden Werke geht klar hervor, wie wenig behindert die Aktion der katholischen Kircke in Belgien nach der Begründung deS belgischen Staates ge wesen ist. Trotzdem haben sich die soziale» und die sittlichen Zustände in der bekannten Weise entwickelt. Es ist ein Akt der „Verzweiflung", wenn ein deutsches klerikales Blatt an gesichts der belgischen Verhältnisse den Versuch macht, den beinahe vollständig katholischen Charakter der belgischen Be völkerung auö der Welt zu schaffen. Uebcr französische Verstimmungen gegen Korea wird uns aus Söul, 15. September, geschrieben: Bei der Feier des GeburlStagS des hiesigen Souveräns am 28. v. M. bat sich ter fran zösisck e Ministerresident nachher Audienz vor dem im Anschluß daran vom Hausminister im Palast ver anstalteten Frühstück mit seinem Personal in osten tativer Weise entfernt. Auch zu einer im Mini sterium deS Acußern am selben Abend abgehaltenen Svirve erschien die französische Gesandtschaft nicht. Anscheinend hat der Ministerresident dadurch den Koreanern gegenüber sein Mißfallen über deren unbefriedigende Art der Behandlung der Quelpart-Angrlegenheit zum Aus druck bringen wollen. Es handelt fick dabei, abgesehen von der immer noch nickt bezahlten Entschädigung von 5160 )))en, vor allem um die Frage der Bestrafung der Anstifter und Anführer der Christenversolgung vom April vorigen Jahres. Von denselben waren im Oktober vorigen Jahres durch den Obersten Gerichtshof in Söul drei zum Tode und acht zu Zuchthaus von 10 bis 15 Jahren verurteilt worden, während der Prozeß gegen einen nach Angabe der französischen Priester am hervorragendsten beteiligten Be zirks-Magistrat namens Cbai Kui Soek trotz dringenden Strafantrags des französischen Vertreters verschleppt wurde. Die erwähnte» Todesstrafen wurden zwar alsbald vollstreckt, bezüglich der übrigen Schuldigen wurde dagegen am 18. v. M. ein Dekret publiziert, nach welchem vier derselben begnadigt sind und der erwähnte Chai Kui Soek — mit der Angabe, daß er sich um den Schutz der französischen Priester bemüht habe — außer Verfolgung gesetzt wurde. Schriftliche Vor stellungen des französischen Vertreters an den interimistischen Minister deS Aeußern sind unbeantwortet geblieben. Feuilleton. EoniMma Elmdor. 24s Noman von W o l d em a r Ur b a n. NaLlcuck verboten. Achtzehntes Kapitel. Zum ersten Male seit vielen Jahren feierte man an diesem Tage im Hanse des Rechtsanwalts Habicht wieder Weihnachten, und zwar wie niemals vorher. Zum ersten Riale zog die eigentliche Weihe des Tages, die mit allen Unvollkommenheiten und allem Ungemach der Welt ver söhnende Innerlichkeit und Gefühlswärme, in das Hans ein, wie ein warmer Sonnenstrahl im Winter des Lebens. Die dreihnndertvierundscchzig übrigen Tage des Jahres wurden vergessen und verdrängt von diesem einzigen. Run enthüllten sich auch die Heimlichkeiten der Fran Gertrud. Die Zimmer, welche früher ihr Sohn bewohnt, wurden aufgeschlossen, und in dem Salon bot sich den über raschten Blicken des alten Habicht hinter dem strahlenden und angenehm wärmenden und duftenden Lichterbaum sein altes, bequemes Schlafsofa dar, das er so schmerzlich vermißt und auch jetzt noch entbehren mußte, denn sein Sohn nahm darauf Platz. Frau Gertrud hatte sich un gemein angestrengt. Die ganze Ausstattung ihrer Tochter sag sir und fertig in duftender Frische da, und auch für Hauptmann von Wehlen legte der Rechtsanwalt ein kleines Evnvcrt, das er mit noch einem anderen aus seinem Zimmer holte, auf den Tisch. Es enthielt einen Depot schein über hundertundsünzigtausend Mark, als Mitgift seiner Tochter. „Da ist noch ein Brief", sagte Habicht I bann, „der ist für dich, Lorenz. Einen schönen Gruß von Simon Söhne ...!" Damit gab er seinem Sohn das Eouvcrt, und als dieser cs öffnete, fand er darin eine Quittung von Simon Söhne über scchzchntausend Mark. „Papa, du hast den Gaunern doch nicht etwa auch die Zinsen bezahlt?" fragte sein Sohn rasch. „Laß nur!" beschwichtigte Habicht I ihn mit einem un behaglichen Gefühl. „Die Sache ist geordnet und damit gut. Es bleibt weiter nichts zu wünschen, als daß du in Zukunft dich direkt an mich wendest, wenn du Geld brauchst." Sein Sohn sah ihn rasch und mit einem etwas er staunten Blick an. Dann spielte ein vergnügliches Schmunzeln nm seine Lippen, er sagte aber nichts mehr. Erst, als sein Vater nach einer längeren Pause wieder zu ihm sagte: „Wie denkst du das dir überhaupt nun, in der Zukunft?" legte er die Hand in die seines Vaters und erwiderte etwas leiser, aber mit tiefem Ernst: „Nur keine Sorge mehr, Vater. Ich dächte, wir Hütten davon genug gehabt. Du glaubst nicht, zu was so ein Stich in die Lunge alles gut ist, und was darin für eine Bered samkeit liegt. Er öffnet einem nicht nur die Brust, sondern auch die Augen. Wenn man, wie ich, tage- und wochen lang am Rande des Grabes geschwebt, so hat man Zeit genug, sich das Ding genau zu besehen. Es ist eine Pferde kur, aber sie hilft, Papa." „Es gibt noch andere, die nicht minder kräftig sind", seufzte sein Vater mit einem verstohlenen Blick auf Frau Gertrud, die ahuuugslos mit ihrer Tochter uud Herrn von Wehlen plauderte. „Aber ich meinte eigentlich etwas Anderes." „Was denn?" fragte sein Sohn. „Wenn du wieder aus EanneS zurückkomnrst — du wirst doch nicht ewig dort bleiben?" „Nur so lange, als unbedingt nötig. Der Doktor sagt, nicht weniger als drei Monate." „Nun gnt. Also wenn du dann wieder zurück kommst — — Siehst du, Lorenz, ich bin alt und müde, in letzter Zeit mehr, als je. Ich kann nicht mehr alles übersehen. Ich vergesse alles. Mein Gedächtnis hat schrecklich gelitten. Kurz, ich möchte mich nach und nach zurückziehen, und rechnete dabei auf dich." „Wie viel willst du für deine Praxis haben, Papa?" fragte sein Sohn rasch. „Wir werden schon einig! Das ist eine Sache, die mehr deine Mutter, wenn sic mich überlebt, und deine Schwester angcht, als mich selbst. Also das wollen wir schon machen. Die Hauptsache ist jedoch, ob du die Praxis übernehmen willst und kannst." „Wie meinst du das?" „Du mußt heiraten, Lorenz, eine ordentliche, tüchtige Frau —" „Papa „Nein. Ich mische mich in nichts. Ich will nur " „Höre doch zu, Papa. Was würdest du sagen, wenn ich Elise heiraten würde?" „Elise? Was ist denn nun das wieder?" fragte sein Vater, etwas niedergeschlagen und ängstlich. „Du kennst Elise nicht? Die Tochter vom alten Ewald?" „Ach, du meinst Fräulein Ewald?" „Natürlich. Wir kennen uns schon aus meinen Stu- dentenjahrcn her." „Der alte Ewald sitzt warm, und sie ist, so viel ich weiß, seine einzige Tochter." „Das ist Nebensache, Papa. Die Hauptsache ist, daß Elise eine treue Seele ist, einfach und gut. Sie hat mich gern. Ich weiß cs. Aber ob sie mir traut, nach all den Seitcnsprüngen, — da liegt eben der Haken." „Ich werde mit dem alten Ewald reden. Das wollen wir schon machen, Lorenz!" „Ncii^ncin! Das besorge ich selbst, Papa. Das laß nur. Jetzt bin ich natürlich noch krank. Ich kann doch nicht heiraten, wenn ich kaum laufen kann. Aber — man weiß nicht. Manchmal hat man mit den Franen am meisten Glück, wenn sie einen recht bemuttern und bemit leiden können. Elise wenigstens ist so. Ich werde sehen, wie sich's machen kann. Sic bat mir versprochen, noch Adieu zu sagen, bevor ich abreise. Vielleicht kvnrmt sic zum Essen." Wie auf der Bühne, wo auch immer die Person auftritt, wenn sie gerade gebraucht wird, steckte Fräulein Elise den Kopf durch die Tür. „Wo ist denn mein Pflegling?" fragte sie munter, indem sie vollends eintrat. „Ach Gott, wie blaß er noch aus sieht! Ist denn alles gut gegangen, unterwegs? Mein Gott, habe ich eine Angst ausgcstandcn! Wenn der Wagen holperte, oder die Pferde scheuten oder beim Ausstcigcn ein Fehltritt! Guten Abend, gnädige Frau! Oh, Herr Hauptmann! Nun kann man doch wenigstens ordentlich gratulieren." Die Herrschaften begrüßten und beglückwünschten sich. Auch der alte Herr Ewald, der mit seiner Tochter gekommen war, trat ins Zimmer. Habicht son. war ungewöhnlich lebhaft und begrüßte seine Gäste mit großer Herzlichkeit, betonte, wie sehr er ihnen für die aufopfernde Pflege seines Sohnes verbunden sei und freute sich, daß sie gerade kämen, als sic zu Tische gehen wollten. „Wollen Sie mir nicht auch guten Abend sagen und die Hand geben, Fräulein Elise?" rief Habicht zun. von seinem Sofa her. „Oh natürlich, Herr Doktor", antwortete sie, näher tretend, „deshalb bin ich ja gekommen." Sie gab ihm die Hand und er — behielt sie. „Setzen Sie sich doch, Elise. Da steht ja eln Stuhl. Sonst muß ich aufstehen, und das macht allemal schreckliche Umstände. Das wissen Sie doch." „Wollen Sie nicht so gnt sein und wenigstens meine Hand wieder loslassen?" fragte sie drollig lachend. Sie sah gerade heute abend ganz allerliebst aus. „Nein!" erwiderte er, „weshalb denn? Wohl, damit Sic wieder davonlaufcu und mich auf meinem Marter lager allein lassen? Sic Hartherzige! Haben Sic denn gar kein Mitleid mit einem armen Kranken?" Sic sah ihm etwas überrascht in die Augen. „Tic scheinen mir wieder bedenklich gesund zu werden", sagte sie etwas erstaunt und wollte sich wieder von dem Stuhle erheben. Er hielt sic aber bei der Hand fest und zwang sic wieder zum Sitzen. „Und das verscheucht Tic von mir", fuhr er etwas leiser fort. „Sie sähen es wohl lieber, wenn ich ewig mit durch stoßcner Brust im Fieberdelirium vor Ihnen läge?" „Oh! Versündigen Sie sich nicht. Sie wissen nicht, was ich ansgcstanden habe, wie Sic so krank waren." „Und das soll ich nun büßen?" „Aber lassen Sic doch los", bat sie leise und sah sich um. Eben ging Frau Gertrud mit dem Brautpaare zur Tür hinaus und ihr Vater im tiefen Gespräch mit Habicht «en. machte Miene, ihnen zu folgen. „Elise !" „Mein Gott, was wollen Sie denn? Man geht zu Tisch, kommen Sie. Ich helfe Ihnen beim Aufstehen." „Bleiben Sie noch einen Augenblick. Ich habe Ihnen ja meinen neuesten Traum noch nicht erzählt", flüsterte er, und zog sic immer näher zu sich. Acngstlich sah sie sich um. Sie waren jetzt allein im Zimmer. Nur Hedwig lies noch ab und zu, mit dem Weg packen ihrer Geschenke beschäftigt. „Nein, nein, Sie träumen zu tolle Sachen", bat sic, tief errötend, „kommen Sie!" „Diesmal ist es wirklich nnd wahrhaftig ernst. Hören Sie nur zu, Elise. Ich träumte " „Ich will nichts davon wissen!" „Ich träumte, Sic wären meine Frau " „Oh! Oh!" rief sie, „was sind Sie für ein schlimmer Mann!" „Sagen Sie, ich war's, Elise", bat er innig und sah ihr tief in die Augen. „Oder glauben Sie, daß man von einer so schweren Krankheit — Sic wissen ja am allerbesten, wie schwer sic war — aufstcht, um Allotria zu treiben? Glaub«»
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