Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-23
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190211237
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021123
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-23
- Monat1902-11
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1902
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Denn der englischen Telegraphenagentur und der englischen Presse tut man nicht unrecht, wenn man die Zuverlässigkeit der von ihnen in dieser Richtung gegebenen Fingerzeige be zweifelt. Worte, freundliche, kühle oder feindselige, be weisen fLr den vorliegenden Fall nicht viel, mögen sic dem Kaiser zur Begrüßung oder zum Abschiede zugerufen werben. Worauf es ankommt, das ist einmal das tat sächliche Verhalten des amtlichen Großbritanniens bei der Erledigung aller diplomatischen Aufgaben, die Deutsch land berühren, und das ist zweitens das Benehmen der englischen Presse gegenüber solchen Aufgaben und gegen über unS Deutschen im allgemeinen. Man braucht nicht Pessimist zu sein, um sich betreffs beider Faktoren vor überschwänglichen Hoffnungen sicher zu fühlen. „Sie saßen und aßen" — nicht am Theetisch, wie in Heinrich Heines Gedicht, sondern am wohlbesetzten Tiner tische des Herrn Reichstag «Präsidenten; das Thema des Tischgesprächs, viel prosaischer als bei dem genannten Lyriker, der natürlich die Liebe zur Debatte stellte, war die Verständigung über den Zolltarif. Heißblütige Rheinländer versprachen sich davon einen fröhlich-ergebnisreichen Donnerstag nach dem voraus gegangenen Buß- und Bcttage. Aber so weit sind wir noch nicht, auch nicht nach einem zweiten Verständigungs mahle beim preußischen — vornen et omen? — Handel s- mi nister. Wie weit jedoch ist man gediehen? Dar über ist zur Stunde nichts bekannt, was Anspruch ans Glaubwürdigkeit erheben dürfte. Ganz unglaubwürdig ist die Angabe, das Kompromiß werde auf Grund einer Gerstenzollerhöhung von 50 Pfg. zu stände kommen; nach allen früheren Erklärungen der Regierung erscheint diese Nachgiebigkeit als ausgeschlossen. Nicht minder un glaubwürdig ist die weitere Angabe, daß Tarifgcsctz und Tarif, nach der Erledigung des ersteren im Sinne der Regierung, von einander getrennt und der Negierung der Abschluß von Handelsverträgen auf der Basis des Tarifs empfohlen werden sollen. Bei solchem Verzicht ans die Durchberatung des Tarifs würden sich die deutschen Unterhändler den auswärtigen Mächten gegenüber in einer weit ungünstigeren Position befinden, als mit dem neuen Tarif in der Tasche: sie würden notwendig in ge wissem Sinne an Autorität verlieren, wenn sie für ihre Zollforderungen nicht das Votum der deutschen Volts vertretung hinter sich hätten. Welche Bedeutung diesem Fmpondcrabile innewohnt, geht aus der Mittwochs-Rede des ungarischen Ministerpräsidenten von Szcll klar genug hervor. Der Verzicht auf die Beratung des Tarifs wtrrde ferner von der Sozialdemokratie als ein Triumph, den sie davongetragen, ausgegebcn und auSgcbeutct wer den. Auch deshalb können weder die Regierung, noch die Mehrheit des Reichstages auf die Durchberatung des Tarifs verzichten. Ein derartiger Verzicht ist um so unwahrscheinlicher, je charakteristischere Beweise der Entschlossenheit, das Tartfwerk im positiven Sinne zu erledigen, hervortrctcn. Die nahende Krisis im Handelsvcrtragsvcrein redet in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Daran hatte kaum irgend jemand gedacht, daß selbst voll dieser Seite eine Kundgebung für die Regierungsvorlage er folgen würde! Der „junge Mann" der Sozialdemokratie, Herr vr. Barth, wird samt der ganzen Freisinnigen Bereinigung darüber nicht wenig entsetzt gewesen sein. Konnten sich doch selbst vollsparteilichc Organe, die durch die Obstruktion lange nicht so kompromittiert waren, wie die Herren von der Bereinigung, nur allmählich dazu ent schließen, an das Vorgehen der Herren Böttinger und Ge nossen zu glauben. Sind Verumtungen über die Richtung erlaubt, in der die Regierung den Wünschen -er Mehrheit entgegen kommen dürfte, so kann an gewisse Jndustrtezölle, an die Beseitigung der städtischen Octrois und an die Witwcn- und Waisenversicherung gedacht werden. Ein Weihnachtsgeschenk vor den» Feste und vor -cm — Parteitage des bayerischen Zentrums hat das Ministe rium Crailsheim den bayerischen „Patrioten" ge macht, indem cs die Errichtung einer Simultanschule in Weißenburg nicht genehmigte. Der neue Kultusminister v. Podewtls erntete hierfür Lobsprüche von denselben Klerikalen, die ihn eben noch persönlich heruntergerissen hatten. Aber da man Herrn v. Podcwils im Verdachte hatte, er werde sich nicht damit begnügen, Bonbons nach einer Seite auszntcilen, und werde demgemäß in Lachen der Würzburger Professur Ehroust der Universität und dem Liberalismus in der Weise entgegenkommen, -aß er das für Herrn Chrvust geschaffene Ordinarium unbesetzt laße, so wurden an die Lobsprüche sehr ernste Mahnungen geknüpft. Eine von ihnen in der „Pfälzer Zig", sofort vom offiziellen Münchner Zcntrumsorgan übernommen, kleidete sich in folgenden sinnigen Vergleich: „Dem Zen trum reicht man einen Wassertropfen, de» Liberalen die schäumende Sektslaschc". Und siehe, dieser sinnige Ver gleich half. Herr v. PodewilS veranlaßte nicht nnr die Ernennung Försters, sondern auch die ChroustS zum ordentlichen Profeffor. Nun wird ein tiefes Freuen im klerikalen bayerischen Lager sein; man wird dem Nachfolger des vielbeweinten Herrn v. Landmann freilich noch nicht sagen, daß er die Liberalen mit Wassertropfen abspeisc und die Sektflasche dem Zentrum reiche, aber man wird ihm zu verstehen geben, daß er so fortsahren dürfe und daß das Zentrum in angeborener Bescheidenheit sich mit Tropfen begnügen werde, sofern sie nur stetig fallen. In Raden will der von den Anhängern des Zähringcr Löwen so sehnsüchtig erwartete Tropfensall, aus dem einige Männerklöstcr emporwachscn sollen, noch immer nicht niedergehcn. Aber der Löwe schweigt, statt zu brüllen. Jedenfalls hofft sein frommes Gemüt auf „frauliche Milde"; geht doch das Gerücht, in den Bureaus des Ministers v. Brauer sei schon wiederholt eine hohe weibliche Gestalt erschienen, um Fürsprache für die Anliegen Wackers und der Seinen ein-,»legen. Drüben in Straßburg bedarf es anscheinend keines FürsprncheS mehr, nm den allzu weltlichen und wissenschaftlichen Charakter der Universität mit krumm- stäblichen Mitteln etwas ab,»dämpfen. Tie „Germania", die sich auf das Wetter versteht, schnuppert schon Früh lingsregen. Und nachdem gestern der „Kladderadatsch" verraten hat, daß Romeo-Spahn mit Julia-Bülow außer der Begegnung am Thcetische noch eine ganz heimliche Zusammenkunft gehabt hat, wird auch die ,„Köln. Voltsztg." nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß statt des prophezeiten nenen Kulturkampfes im Reiche eine Zeit des Knltnrfriedens naht, den das tolerante Zcntriinr mit flammendem Schwerte schützt und schirmt. Oie Begründung des Oentschen Keichs. III Ueberhaupt ist Lorenz über die gesamte Stimmung in Süddcntschland möglichst schlecht unterrichtet. In der bäuerischen .Kammer der Abgeordneten von 1863—1809 ivar kein Ultramvntancr, erst spät trat Fvrg, der Herausgeber der „Historisch-politischen Blätter", als Er satzmann ein, blieb aber isoliert. Tic große Majorität der Kammer war großdeutsch-liberal. Dies bot allerdings dem Minister v. d. P sordte n eine entsprechende Grund lage seiner Politik, Hand in Hand mit Oesterreich. Als aber Königgräy über den Berns der Hegemonie in Deutsch land entschieden hatte, als Oesterreich die süddeutschen Verbündeten schmachvoll im Stich ließ nnd sich nur für die territoriale Unversehrtheit Sachsens interessierte, erlosch der grvßdentsche, stets unklar gebliebene Gedanke und die gesamte II. bayerische .Kammer stellte sich aus den durch den Lieg Preußens gegebenen Roden. Sie ging auch willig auf das Projekt einer der preußischen nachgcbildcten, auf allgemeiner Wehrpflicht beruhenden Wchruersassung ein. In der für das Gesetz gebildeten Kommission der bayerischen II. Kammer ivar cs, wo Herr v. Prankh die erste Mitteilung von dem bis dahin geheim gebliebenen Bündnisvertrag gab. Von da verbreitete sich rasch die Kunde; ans die Haltung der II. Kammer aber blieb die Mitteilung ohne alle Wirkung; sic konnte schon vorher nicht bereitwilliger sein» auf die neue Gestaltung der Dinge cinzugehcn. Preußen konnte nicht darüber in Zweifel sein, daß Bayern das Schutz- und Trutzbündnis ehrlich zu erfüllen gedachte; ja cS verlangte sogar wie Württemberg nnd Baden den Eintritt in den Nord deutschen Bund. Bismarck war cs, der diesen Eintritt mit Rücksicht auf die Haltung Frankreichs ablehntc. lVgl. Sybel, Bd. V. S. .083.) Erst die Neuwahlen des Jahres 1809 brachten eine schwache ultramontane Mehrheit in die bayerische Abgeordnetenkammer, aber nicht wegen des Mißerfolges im Kriege, sondern weil ein zur Unzeit den Kammern vorgclcgtcr liberaler Schulgesetzentwurf der ultramontanen Geistlichkeit Besorgnisse für ihren Ein fluß auf die Schule einflößtc. Allein auch diese Mehrheit wurde zur Minderheit, als 1870 die Frage vorlag, ob Bayern seine Vertragspflichten erfüllen oder neutral bleiben wollte; eine Frage, die allerdings König Lud- wig II. schon vorher entschieden hatte, und zwar inner halb seiner verfassungsmäßigen Rechte, die aber mangels des nötigen Militärkrcdits dennoch zum VersassungSbruche hätte führen müssen. Die so entstandene neue Majorität blieb bestehen bis zu den Neuwahlen nnd verstärkte sich sogar bis zur notwendigen Zweidrittel-Mchrheit bei An erkennung der Versailler Verträge, aber schon die Mehr heit der vereinigten Liberalen und der zu ihr übergetrete- nrn 6 ultramontan gewählten Abgeordneten sicherte für Preußen die aufrichtige Durchführung des Gchny- und Trutzbündnisscs, zumal das weniger ziwcrlässigc Mini sterium v. d. Pfvrdtcn unmittelbar nach Abschluß des Frie dens zurückgetrcten nnd ein Ministerium Hohenlohe an die Stelle getreten war, das alle Garantien deutscher Gesinnung bot. Die Stimmung im Lande war aber bei AuSbruch des französische» Krieges eine enthusiastisch deutsche. Die Agitation der ultramontanen Geistlichkeit gegen Preußen begann erst nach Abschluß der Versailler Verträge nnd dem Eintritt Bayerns in das Deutsche Reich unter preußischer Spitze. Die Haltung Bayerns zu jener Zeit gegenüber Preußen konnte keine loyalere sein. Was Lorenz Abweichendes vorbringt, be ruht auf Klatsch oder Ueblerem. Freilich einem Manne, der auf einer Seite lT. 08) schreibt, Oesterreich habe sich durch den projektierten Südbund den Einfluß in Süddcntschland erhalten wollen, um dann zu schildern, wie Bayern, ohne das doch auch der Südbund nicht denkbar war, von Oesterreich im Stiche gelassen wurde (S. 77), kommt cs auf einen Wider spruch nicht an. Au diese» Südbund glaubte auch iu Bayer» kein vernünftiger Mensch, und Bismarck konnte Frankreich leicht das Zugeständnis machen, wußte er doch bestimmt, daß der Lüdbund nie zu staudc kommen werde, ohne deshalb einen neuen Rheinbund besorgen zu müssen. Daß Lorenz hierin lS. 91) einen machiavellistischen Hintergedanken Bismarcks erblicken will, ist mehr als naiv. Hatten doch Württemberg »nd Baden die Friedens- verhandlnngen mit der Anfrage begonnen, ob der Süd bund obligatorisch gemeint oder -en Südstaatcn frei gestellt sei. iSybcl, Baud V, S. 385.) Daß er von zwei Gliedern desselben abgelchnt werde, war also offenes Ge heimnis nnd entging wohl auch Frankreich nicht. Für dieses halte er nur die Bedeutung eines Pflasters für die öffentliche Meiunng, wenn auch daß Kaiserpaar vielleicht stille Hossiinngcn auf rhcinbündlcrische Neigungen oder doch auf eine Nentralität daran knüpfte. Aber auch hierauf wurde, wie oben schon erwähnt, deutscherseits Napoleon III. keine Hoffnung gewährt. Als ein Meisterwerk des Partiknlaristen v. Prankh, des damaligen bäuerlichen Kriegsministcrs, muß es be trachtet werden, daß er in wenig mehr als zwei Jahren die bäuerischen Armeetorps vollständig nach preußischem Muster organisierte nnd daß dieselben, mobil und ent sprechend ausgerüstet, zu gleicher Zeit mit den preußischen Armeekorps am Rhein ausmarschicrten. Dies tonnte auch dem badischen Gciväürsmannc für Lorenz nicht entgclicn; deuu die beiden bäuerischen Armeekorps mußte» durch Bade» marschieren und statten zwischen der bäue rischen Grenze uud der Rsteinpsalz ein Marschlagcr auf badischem Boden. Was das Vertrauen des preußischen Geucralstabcs zu den bäuerischen Truppen berrisst, so spricht die Tatsache, daß dieselben von Weißenburg bis Orleans und le Maus stets in erster Linie suchten, klarer, als die Verdächtigungen des Herrn Prvscisor Lorenz. Richtig ist, daß man in bäuerischen Regiernirgstreise» eine Gcl'ictsvergrößcrnng im Anschluß au den franzö sischen Krieg wünschte. Allein es ist eine gcstässige Dar stellung, diesen Wunsch als Verlangen nach Bclostnung be zeichnen zu wollen; ivar doch Bauern 1806 der einzige k rieg- sührcudc Staat, der Einbuße au Land erlitten statte, und würde doch ein Ersatz Hierfür der ultramontanen Partei eines der besten Agitationsmittel entwunden staben. Hierzu tommt, daß nach Bcendignng der napoleonischen Kriege als Prinzip galt, daß jede Dunastic die vorher besessenen Gebiete znrückcrhielt, nnr Bayer» erlitt eine Ansnastmc. Das badische Land, im Norden bis Bruchsal einschließ lich ivar altes bayerisches Gebiet; Heidelberg und Mann heim waren Residenzen der Wittelsbacher Linie, welche mittlerweile Altbauern geerbt hatte. Statt der Restitution erhielt Bayern die Zusicherung der Wiedereinsetzung nach Aussterbcn des badischen NegentenhanseS. Als dieses ein trat, erkannten die Großmächte die aus nnebenbürtiger Ehe stammenden Erben als sueeessionsfähig an. Doch genug davon. Das Gesagte wird genügen, dar zutun, mit welcher geringen Gründlichkeit, mit welcher Voreingenommenheit Herr Professor Lorenz Geschichte schrieb. Man könnte fragen, ob es erforderlich sei, ihn zu widerlegen. Allein nnr zu leicht stellt sich eine parteiische Geschichtschreibung fest, welche bann kaum ausrottbar ist, nnd gerade die deutschen Mittclstaatcn können sich hierüber beklagen. Wer bat es nicht gelesen, daß die Rheinbund staaten und sonstigen Alliierten Frankreichs zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie Sachsen, durch ihre Verbindung mit Frankreich ihre undeutsche Gesinnung an den Tag ge legt hätten! Daß Preußen durch den Baseler Frieden und tic Demarkationslinie den Süden prcisgegeben hatte, daß Oesterreich nicht ans deutscher Gesinnung seine unglück lichen Kriege mit Frankreich führte, sondern wegen seiner Verluste an Land, für die es die begehrlichen Blicke seit einem Jahrhundert auf bayerisches Gebiet warf, davon schweigt die Geschichte. Was würde man von demjenigen gesagt haben, der von Friedrich Wilhelm III. gefordert hätte, lieber Preußen vernichtet zu sehen, als dem Tilsiter Frieden sich zu unterwerfen? Die gleiche, aber noch weniger verschuldete Situation nnd das dadurch er zwungene Bündnis mit Napoleon I. wird den Mittel staaten zum Vorwurf gemacht. Deshalb war den Anfängen parteiischer Geschicht schreibung, die cs überdies versucht, die Verdienste un seres größten Staatsmannes zu schmälern, Widerspruch entgcgcnznsetzen. Deutsches Reich. Leipzig, -'2. November. sSozialdemvkratte n nd A narchis m n s.) In welchem Grade die Sozial demokratie trotz ihrer theoretischen Gegensätze zum Anarchismus die Propaganda der Tat durch ihr praktisches Verhalten im Einzelfalle begünstigt, lehrt die Kritik -er „Sächs. A r b e i t e rz tg." an der „Klassenjustiz" in Genf. Bekanntlich wurden jüngst die Anarchisten Bcrtont nnd Lteinegger nebst einem Sozialisten als Urheber des verhängnisvollen Umzuges, der Genf dem Bürgerkriege nahe brachte, zu einer Gefängnisstrafe von 12 bezw. 0 und 3 Monaten verurteilt, weil sie die polizei liche Erlaubnis für den Umzug nicht eingeholt hatten. Nachdem bekannt geworden, daß der schweizerische Bundes rat dieses Urteil im Hinblick auf die Beschwerden des Auslandes über die Anarchisten in der Schweiz begrüß» hat, schreibt die „Sächs. Arbeiterztg." unter Klagen über die Genfer „Klassenjustiz": „Wenn die Anarchisten das Ur teil . . . zur Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt mitteln benutzen, so ist das nicht verwunderlich, denn die anarchistische Gewalttat ist nur die andere Seite der kapitalistischen Ge ro a l t t a t, d i c s i ch m i ß b r ä u ch l i ch i n die Form eines Gerichtsurteils kleidet." — Wenn jetzt die Genfer Verurteilten Gewalttaten verübten, würde die „Sachs. Arbeiterztg." daran natürlich ganz unschuldig sein wollen! 8. Berlin, 22. November. (Vom Ze» trumSturme.) Die letzten Reden der ZentrumSabgeordaeten im Reichstage bekunden eine so große Siegeszuversicht bezüglich der kommen den Wahlen, daß man zur Prüfung der Berechtigung dieser Zuversicht angereizt wird. Vergleicht man daS Verhältnis eer bei den ReicbStagSwablen seit 1874 abgegebenen Stimmen, soweit eS die ZentrumSwähler im ersten Wahlgange und den Prozentsatz gegenüber allen abgegebenen gültigen Stimm'» betrifft, so findet sich folgendes: Es wurden abgegeben: Im Jahre 1874 für das Zentrum 1445 948 Stimmen, d. h. 27.86 Proz. 1877 . . - 1 341 295 - - 24^3 - 1878 . - - 1 328 073 - . 2305 - 1881 - - - 1 182 873 - - 28 20 - 1884 - - . 1282 003 . . 22,64 . 1887 . . . 1516 222 . . 20,ll . 1890 . . . 1 342113 . . 18,57 - 1893 . . - 1468 501 . . 19,14 - 1898 . - - 1 445 139 . . 18,77 . Die Anzahl der ZentrumSwähler ist also fast dieselbe ge blieben, jedoch ist der Prozentsatz gegenüber den Stimmen anderer Parteien erheblich gesunken. Daß daS Zentrum sich dabei doch nock> seines ganzen Besitzstandes erfreuen kann, verdankt eS nur seiner Taktik bei den Stichwahlen und nicht seiner eigenen Kraft. Die werbende Kraft deS Zentrums hat also nicht zu-, sondern abgenommen. ES dürfte demnacb den nichtultramontanrn Elemente» bei den nächsten Wahlen nicht schwer fallen, bei einiger maßen gutem Willen und unter Hintansetzung der kleinlichen Tifserenzen in den Zentrumsturin eine bedeutende Bresche zu legen. Die Siegeszuversicht ist nur eine erheuchelte, und deshalb wendet das Zentrum auch nach Möglichkeit alle- an, nm eine Auflösung des Reichstages zu vermeiden. Es Wil! den Zolltarif neck zu Stande bringen, da eine Wahl, dessen Mittelpunkt dieser bildet, ihm sehr schaden würde. Aber boffentlick gelingt eS trotz dieser geschickten Taktik doch, den unbeilvollen Einfluß des Ultranivntanismus im Deutschen Reiche zu brechen. Berlin, 22. November. (Bayerisches Zentrum und deutsches Kaisertum.) Für die feindselige Haltung des bayerischen Zentrums gegen daS deutsche Kaisertum ist der Vorstoß charakteristisch, den der bayerische LandtagSabgc- ordnetc OberlandeSgerichtSrat Geiger jüngst auf die ver fassungsmäßigen Gerechtsame des Kaisers in Elsaß-Lothringen gemacht hat. Herr Geiger fühlt sich dadurch beschwert, daß nur der „König von Preußen" in den ReichSlandea eine Residenz hat, obwohl nach Geigers Meinung Elsaß- Lolhringen „von sämtlichen deutschen Fürsten" regiert werden sollte ; da dies nicht der Fall, erklärt Herr Geiger die Reichs lande für eine „preußische Provinz". Gerade die letztere Be zcichnuug beweist, mit welcher Leichtfertigkeit der Klerika- liSmuS sich über die Tatsachen deS deutschen VersassungSlebens hinwegsetzt, wenn e- ihm darum zu tun ist, einen Schlag gegen das Kaisertum deS neuen Deutschen Reiche- zu führen. Eine „Provinz" kann man freilich die Reichslande nennen, auch Georg Meyer z. B. tut die- in seinem „Lehrbuch des deutschen StaatSrrchtrS"; aber nicht eine preußische Provin; ist Elsaß-Lotbringen, sondern eine Provinz des Reiche»; siebt doch dem Reiche die Staatsgewalt über Elsaß-Lothringen zu, wird doch die Perfassung des Reichslandes durch Reichsgesetze geregelt, seine Verwaltung durch Reichsbeamte geführt, seine Gesetz gebung vom Reiche auSgeübt. Erscheint demnach das Reick' alsJnhaberdrrStaatSgewaltin Elsaß-Lothringen, so ist eS nur naturgemäß, wenn die Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen dem ReichSorganj, dem Kaiser, zustebt, wie eS das NeichSgesetz über die Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reich vom 9 Juni 187t in 8 3 bestimmt. Herr Geiger will die Befugnisse deS Kaiser« in den Reichslanden zu gunsten „sämtlicher" deutscher Fürsten beseitigen. Sollen sich etwa die deutschen Fürsten als rin Kollegium konstituieren und auf gründ von MebrbeitSbeschlüssrn diestS Kollegiums die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen auSüben? Oder sollen sämtliche deutsch- Fürsten auS ihrer Mckte einen Statt- Halter der N«,ck«landt wählen und ihm die Ausübung der Staatsgewalt übertragen? Man braucht solche Fragen nur au'zuwersen, um zu erkennen, welche praktischen Konsequenzen ed.-r Versuck' einer Durchführung der Geigerschcn An- twauungcn für das deutsche VersassungSleben baden müßte. Sicherlich bängt der Angnss deS bayerischen KlerikaliSmuS
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