02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021128027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-28
- Monat1902-11
- Jahr1902
-
-
-
8258
-
8259
-
8260
-
8261
-
8262
-
8263
-
8264
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Vezug-.Pret- i» der HmlptexpedUio« oder dm Im Stadt- bezirk und de» Vororte« errichteten Aus gabestelle» abgeholt: vtertrljShrltch 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« S.KO. Durch die Post bezogen für Deutschland u Oesterreich vierteljährlich6, für die übrigen Länder laut ZeitungspretSliste. Nedakttoa und Ervedition: IohanntSgaffe 8. Ferusprecher lSS and SSL. FUtatovpodttt-rro«» Alfred Hahn, Buchhmrdlg., üniversitätSstr.S, L. Lösch«, Kathartneastr. «. KönigSpl. 7. Haupt-FMalr Dresden: Strehleaer Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 17LS. Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzer Straß» IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. SS9S. Abend-Ausgabe. KiWM TllgMM Anzeiger. Ämtsvlatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und -es Volizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich («gespalten) 75 vor den Famtliennach- richten (6 gespalten) SV H. Tabellarischer und Zisfrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördrrung 80.—, mit Postbesörderung 7V-—* Ä.nnastmeschlub sSr Irrigen: Abeod-AuSgab-' Vormittags lv llhr. Marge::-Ausgabe: Nachmittag« 4 llhr. Anzeige« sind stet« an di« Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags unuuterbrocheu geöffnet von früh 8 bi« abeud« 7 llhr- Druck und Verlag von E. Pol- tu Leipzig, SK. 606. Freitag den 28. November 1902. 86. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. November. Der „Staatsstreich" in der Zollfrage. Die hinter den Kulissen betriebene Verständigung der MehrbeiiSparteien des Reichstags unler einander und mit der Reichsregierung ist nach kurzer Stockung mit überraschender Schnelligkeit zu stände gekommen. Auch die Konservativen Haden sich angescdlofsen, nachdem ihnen nicht nur berüglich der Braugerste da« bekannte Zugeständnis gemacht, sondern obendrein die Herabietzung einiger Zollsätze auf Jndustrieerzeugniffe bewilligt worden war. Das vereinbarte FriedeoSinstrument lautet, wie eS heißt, folgender maßen: Die Regierung besteht auf den Mindestsätzen ihrer Vor lage für di« Getreidearten außer Braugerste, für die der Satz von 4 Mark platzgreist, während für Futtergerste der Mindestsatz wegfällt, ferner aus dem Wegfall der Mindest sätze für Vieh und Fleisch; dagegen ist sie einverstanden mit den in der Kommission und in zweiter Lesung vom Reichstag an genommen höheren autonomen Sätzen für dir Getreide, arten, sowie für Vieh und Fleisch, indem sie gleichzeitig dadurch die bei letzterem vom Reichstage beschlossenen Giund- lage«: durchweg Gewicht statt Stückzahl, gutheißt. Außer- dem werden die Jadustriezölle für landwirtschaftliche Maschinen und für gewisse Jndustrieerzeugnisse, deren die Landwirtschaft bedarf, herabgesetzt. Schließlich erklärt sich die Regierung mit dem Verwendungszweck (Witwen- und Waisenversicherung) nach Antrag Trimborn und mit dem Wegfall der städtischen Octroi« nach dem 1. April 19l0, An- trag von Kardorff, einverstanden. Die von ihr geforderte frei« kaiserliche Verfügung, im Einverständnis mit dem BundeSrate, über de« Zeitpunkt, zu dem der Zolltarif in Kraft treten soll, hat der Reichstag bereit« durch Beschluß zugestanden. Und noch mehr! Auch über das Verfahren behufs geschäst - licher Durchsetzung der Verständigung wurde eine Ver einbarung getroffen, dre gestern im Reichstage in Gestalt eine« Antrag« v. Kardorff zur Geschäftsordnung sich enthüllte und Scenen hervorrief, wie sie das deutsche Parlament noch nie erlebt. Das Geheimnis des von der Mehrheit entworfenen Schlachtplane« zur Bezwingung der Obstruktion und Durch- brückung deS Zolltarifs ohne Durchberatung desselben war so sorgfältig gehütet worden, daß man bei Beginn der Sitzung noch nicht- Sichere« darüber erfahren konnte. Als dann das Hau« nach einem längeren Berichte de« Abg. Herold über Pe titionen in die Beratung de« Tarif« selbst eintreten wollte, kündigte Abg. v. Kardorff zur GefchäftSordnuug an, daß die Mehrheit de« Hauses zum § l des ZolliarifgesetzcS eine» Antrag eingebracht habe, der die ou dloo-Annahme des Zolltarif« bezwecke. In diesem Augenblicke lag der An trag noch nicht gedruckt vor. Der Präsident verlas nun nach dem Manuskripte den Antrag, der hier wiede>holt iei, weck er in unserem Parlamentsberichte nicht ganz richtig mttgeteilt ist: Der Reichstag wolle beschließen: für den Fall der Anuahme deS 8 1 Abj. 1 de« Entwurf« eines Zolltarisgesetzes denselben zu fassen wie folgt: Bei der Einfuhr von Waren in das deutsche Zollgebiet werden, soweit nicht für die Einfuhr au» bestimmten Ländern andere Vorschriften gelten, Zölle nach Maßgabe der dem Reichstag am 6. Oktober 19V2 vorgelegten endgültigen Beschlüsse der XVI. Kommiision über den Zolliarif erhoben Jedoch werden in Abweichung von dielen Be- fchlüssen die Zollsätze der Nr. 808 auf 4,50 der Nr. 809 aus 7,50 der Nr. 810 auf 12 .6, der Nr. 816 aus 8 und 12 der Nr. 825 auf 8 X, der Nr. 905 auf 4 und der Nr. 906 auf 15, 12, 10, 9. 7, 5,50, 4,50 und 3 -« festgesetzt. Der Präsident fügte hinzu, daß er selbst große Bedenken gegen ibn habe, und eröffnete die GeickäfiSoidnungSvebaite über dirZuläsngkeit des Antrages. Er ichloß mil der Mahnung an alle Parteien, die Würde deS Hauses ;u wahren. Die Würde wäre vermutlich auch gewabrt worden, wenn die MehiheitSparteien nunmehr geschickt operiert hätten. Redne, der Linken beantragien zunächst dre AuSletzung der Beiaiung, damit sie zu dem neuen Anträge Stellung nehmen tonnten. Dieser Vertagungsantrag entsprach durchaus den Gepflogen heiten des Reichstages. Es ist sebr ost vorgekommen, daß infolge wichtiger Eiklärungen der Negierung oder infolge be deutsamer Vorschläge auö dem Hause die Vertagung beschlossen wurde, damit die Fraktionen Stellung nehmen könnten. Aber die Redner der Rechten und des Z ntrnms sprachen sich sofort gegen die Vertagung aus. Abg. Basser mann wollte sich nur mit Vertagung aus eine Stunde einverstanden erklären. Die Linke legte Viele Weigerung der Rechten, auf ihre Wüniche ernzugehen, dahin aus, daß die MehrbeiiSparteien beabsichtig ten, sofort die zweite Beratung des tz 1 des ZolltarifgeieyeS wieder aufrunebmen und den neuesten Komproniißantrag, de, die ou dloo-Annabme deS Zolltarifs in diesen Paragraphen hineinschrerbt, noch gestern zur Annahme zu bringen. E> erhob sich nunmehr auf der äußersten Linken ein fürchter licher Spektakel, auf dessen Schilderung wir nickt nochmals eingeben wollen. Es genügt, darauf hrnzuweisen, daß die Scenen den Präsidenten zwangen, ferne Macht mittel als erscköpft zu bezeichnen. Die Medrkeit gelangte durch diese Vorgänge zu der Erkenntnis, daß sie einen Fehler begangen batte, als sie rem VertagungS- antrage ver Linken nicht sofort zustimmte. Abg. Or. Spahn, der vorhin gegen die Vertagung geipiochen batte, erklärte jetzt, daß die Mehrheit durchaus nicht grundsätzlich gegen die Aus setzung der Beratung auf 24 Stunden wäre; sie vätie nur den eben eingebrackten Kompiomißanlrag auch gleich begründen wollen, um der Linken die Stellungnahme zu diesem Anträge ru erleichtern. Denselben Gedanken spann Abg.B a ch e m weiter aus. Er erkannte die Berechtigung deS VcrtagungcantrageS durchaus an, betonte aber, daß die Mehrheit auch jetzt noch — eö war mittlerweile 5 llhr geworden — den Kompromißanlrag sofort zu begründen und im kontradiktorischen Verfahren da>über zu verhandeln gewillt sei. Diese Erklärung ent fesselte wieder ungeheure EulrüstungSstürme der Sozialdemo kraten, die dahinter tofort wieder die Absicht der Mehrheit witterten, die cm dloc-Annahme des Zolltarifs in zweiter Lesung sogleich rn das Zolllarngesetz binelnzuschreiben. Bis 7 llhr Abends dauerte die Schlackt, die dann abgebrochen wurde und heute um 2 Uhr sortgejctzl werden soll. Sie wird wohl nickt minder heiß werden, als sie gestern gewesen ist. Die Mehrheit scheint jetzt, nachdem sie mit so schweren Mühen zu einer Einigung gekommen ist, zu allem entschlossen zu sein; sie wirb, um die Obstruktion totruicklagen, auch vor weiteren Abänderungen der Geschäftsordnung nicht zurück- schlecken, und der nächste Schutt auf diesem Wege dürfte vorauesicktlick die Einführung einer Bestimmung sein, wonach auch der Geschästsorbnungsdedatten Schlußanträge zuläisig sind. Die Sozialdemokraten selbst dürste» fick beute tlar darüber geworden sein, daß nur durch ihre Obstruklion diese Gewali- stimmung der Mehrheit entstanden rst. Dazu kommt, daß die Mehrheit sich nicht verhehlt, daß sie trotz alledem und alledem ihre Mannen nickt lange beisammen zu kalten ver mag, daß also jetzt, wo die Mehrheit an sich beschlußfähig ist, mit Hochdruck gearbeitet werden muß, um womöglich in einigen Tagen, vielleicht in einer Woche, die Verab chiebung des Tar'sS zu erzwingen, eventuell mit Zuhilfenahme von Nackisitzungen. Leicht wird die Aufgabe trotzdem nickt zu löien sein, denn die äußerste Linke wird, um die Pläne der Mehrheit zu vereiteln, zu den verzweifeltsten Mitteln ihre Zuflucht nehmen. — Die „Nat-Lib. Corr." begründet die Zustimmung der nationalliberalen Fraktion ru dem sach lichen und geschäftlichen Abkommen der beiden konservativen Fraktionen und des Zentrums folgendermaßen: „Die nationalliberale Partei hat sich mit den beiden Gruppen der Konservativen und mit dem Zentrum zu einem Antraqe ver- emigt, der aus ou dloo-Annahme des Zolltarifs nach den Belchlülsen der Kommission hinanSläust, nachdem vorher in materiellen Besprechungen ihr Standpunkt in Betreff der Mindest zölle von der bisherigen Mehrheit als berechtigt anerkannt worden ist. Dieser Entschluß ist unzweifelhaft sehr wichtig und auch ver antwortungsvoll, und wir bezweifeln nicht, daß jedem Mit glieds der Partei seine Bedeutung und die infolgedessen kommen, den Angriffe bewußt sein werden. Der Antrag bedeutet urnweifel- haft die Erkenntnis), daß der Reichstag sich außer Stande sieht, den umfangreichen Zolltarif in gewöhnlicher Form der Beratung zn Ende zu bringen. Aber der Reichstag würde auch sonst dazu nicht in der Lage gewesen sein, da ein Kampf, der Monate hin- durch gedauert haben würde, an der Beschlußunsähigkeit des Reichstages gescheitert wäre. Tie verschiedenen Gründe, welche die nationalliberale Partei zu ihrer Stellungnahme bewogrn haben be- Neben einmal in der Unsicherheit für Industrie und Handel, welche durch den Ablauf der Handelsverträge hervorgeruien wird, deren Erneuerung in einer für Deut chiand günstigen Form ohne das Zustandekommen LeS Zolltarifs sehr fraglich erscheint. Die Stellung der Regierung bei der Verhandlung über neue Handelsverträge müßte anßelvraentlich ungünstig sein, da ihr ein» geeignete Grund lage und gute Waffen fehlen würden. Der Uebermut der Sozial- demokratie würde außerordentlich gesteigert werden, wenn es ihr gelänge, ein für die deutsche Entw ckiung notwendiges Werk zu hindern. Die Wirksamkeit des Parlaments endlich müßte dauernd lahmgelegt werden, wenn, wce in anderen Ländern, die Obstruktion eine Waffe würde, welche die Minorität nach ihrem Belieben ver wenden könnte, um ihr unbequeme Geseve zu hindern. Aus dielen Gründen hat fick die nationalliberale Partei genötigt ge'ehen, diesen schwerwiegenden Einfluß zu fassen, und wird ihn getrost dem Lande gegenüber vertreien." Gerstcnzoll und Regierungen. Wie unS ein Telegramm aus München berichtet, meldet die „Allgcm. Ztg.": „Er wird hier ver bayerischen Regierung »ackgefagt, daß sie der Verständigung im Reichstage, insbesondere dem Minimalsatze für Gerste, mit nichts weniger als freundlichen Augen gegenüber stehe. Wie uns von absolut zuverläisiger Seile mitgeceill wird, ist festrustelle», daß auch Bayern nichts gegen die gedachte Er höhung des Ri in» malzolles für Brauerei gerste einzuwenden bat, wofern es durch vieles Zugeständnis möglich wird, aus dem Boden der Tarif vorlage eine große Mehrheit ves Reichstages zu vereinigen unv das für vie Zukunst deS Deuilchen Reiches so enorm wichtige Gesetz zustande zu bringen." — Diese Meldung ist ja erfreulich, wenigstens für diejenigen, die eS tief bedauert bätien, wenn wegen der Zollsragen Differenzen zw scaen den Regierungen ver deutschen Einzelstaaten entstanden wären. Aber die Zustimmung Bayerns zu der Erhöhung des Minimalwlles >ür Gerste legt doch auch die Frage nabe, warum die verbündeten Reaierungen so lange gezögert kab n, bezüalich veS MmuualzolleS für Gerste von dem „uoiz possumus" abzugeben, das bezüglich ver Mrnimalsätze über haupt so oft unv so nachdrücklich ausgesprochen worden war. Es verlautete schon vor einem Monate, daß die Gerste e« wäre, bezüglich deren die Negierungen „umfallen" würden. Und jedenfalls war man in NegierungSkreisen schon damals entschlossen, in diesem Punkte nachzugeben. Hätte man das damals getban und schon damals mit den Führern der Mehrheit eine Verständigung berbeizufübren gejuckt, so wäre viel Zeit, viel Unruhe und mancke des deutschen ReickSiagS nicht würdige Scene erspart worden. Mit erböbtem Ansehen gebt jetzt die Reicksregierung aus ver dem Anscheine nach nun mehr zu Ende gebenden Campagne nicht hervor. Sie bat anfangs obne Nol etwas für unannehmbar erklärt, was sie am crnde roch zugestehen mußte, und bat dieses Zugeständnis weit mehr verzögert, als nölig gewesen wäre. Und an diesem Fehler bat auch Herr v. Riedel seinen Anteil, ver mutlich ven größten. Flottendemoustration gegen Venezuela. Die Geduld der deutschen Regierung mit Venezuela scheint erschöpft zu sein. Tie längst angedrohten Zwaugs- matzrcgelu kommen wohl in nächster Zeit zur Anwendung. Von der obersten Marinebehörde rst, wie schon tele graphisch gemeldet wurde, in Kiel der Befehl eingegangen, die drei kleinen Kreuzer „Niobe", „Art ad ne" und „Amazone" gegen Venezuela iu Kriegsbereit schaft zu versetzen. Eine erhebliche Verstärkung der gegenwärtig vor Venezuela versammelten deutschen Kriegsschiffe steht also bevor. Der Befehl zur Ausrüstung der Schiffe ist übrigens schon seit einigen Tagen erwartet morden, denn an unterrichteter Stelle wußte man ganz genau von der Erfolglosigkeit der bisherigen Schritte gegen Venezuela Bescheid. Die Schisse haben schon un längst Landungsgeschütze an Bord genommen, und sich auch schon mit anderen Ausrüstungsgegenftänden ver- sechen. Heute nehmen sie noch an den Hebungen im Gcschwadervcrbande teil. Inzwischen ist von der Werft die Ausrüstung vorbereitet, so daß die Schiffe in kurzer Zeit seeklar sein und die Ausreise antreten können. Von den gegenwärtig an der amerikanischen Küste kreu zenden Schiffen befinden sich „Bineta" und „Gazelle" auf der Reise nach Puerto Cabello, „Falke" liegt vor Willenr- stad, „Panther" vor Cura?ao, wo vorgestern auch das Schulschiff „Stosch", letzteres auf seiner Wintcrreisc be griffen, anlangte. „Stosch" soll bis in den Januar nächsten Jahres hinein in Weskiudien kreuzen, könnte also, wenn es nötig werden sollte, ebenfalls herangczogen werden. Die drei auSzurüskcnden Kreuzer sind Schwcsterschiffe der „Gazelle". „Niobe" und „Ariadne" sind auf der Weser werst in Bremen, „Amazone" ist auf der Germania werft in Kiel erbaut worden. Sie sind vollständig modern und verfügen über eine stattliche Artillerie. Die fünf gegenwärtig dort stationierten Schiffe haben eine Be satzung von 1451 Mann,' dazu kommen die drei neuen Kreuzer mit 747 Mann, so daß insgesamt 2198 Mann vorhanden sein werden, eine Zahl, die vollkommen aus reicht, einige Häfen zu besetzen und sich der Zvlleinnahmcn Feuilleton. H Isotta Larbenghi. Ein Erlebnis. Nachdruck verboten. Und wenn Du dann zuweilen hcrausgefahren kamst nach San Oreste mit den feucrfarbenen Kutschern, die wie roter Mohn aus dem Staub der Landstraße glühten — wenn Du von dem Postamente Deines großen Namens, Deiner großen Stellung gnädig ans mich hernicdersahst, auf den Grashalm am Wege — Was war ich Dir? ein armer Verwandter, der Verse machte — ein Verehrer, einer mehr unter den Hun derten . . . Was aber nützt solche Kunst einem Geschorenen — zwar Kirchenlieder könnte ich dichten — doch Du weißt ja auch, wo meine Talente liegen! Meine Muse warst Du, aber eine grausame! Um meiner Poesie neue Flügel zn geben, hast Du mich in diese Berge verschicken lassen — denn die Sensation ist größer für Dich, wenn meine armen Lieder aus weiter Ferne kounnen mit gedoppelter Sehnsucht! Unter der blauen Traubenhülle dieses wilden TalL schreite ich wie ein Seelenloser hin, denn meine Seele ist bei Dir — Du aber lächelst über mich hinweg — ich fühle es in der Ferne —Du kannst mich entbehren —denn ein tönig war ich Dir geworden mit meiner immer gleichen Liebe. Du liebst Abwechselung und grausam warst Du stets — Ich denke doch, Ihr müßt alte, feinziseliertc Dolche in Euren Kamilienschätzen haben — Dolche aus Cellinis Werkstatt, an denen verjährtes Blut klebt. Man hat doch stets so viel gemordet in Eurer Familie — es war doch zu Zeiten Sitte in Eurem Hacn'e! Lolch einen Dolch hättest Du nehmen und ihn mir zum Abschied ins Hers stoßen sollen — wohler wäre mir dann als jetzt! Das Heimweh jagt wie ein Dämon hinter mir bei Tag und Nacht und der Schmerz, daß Dn mich verbannt hast — denn Du allciu bist s gewesen —" An solcher Stelle etwa brach der Brief ab. Ein L. stand darunter und eine Oclbaumblüte lag zwischen den Seiten, Seren süßer strenger Dnft geheimnisvoll über die Verse seht«. Dreimal laL ich sie — und die Gestalt de« tupgen Prete, dem ich so oft begegnet war auf den steinigen Pfaden des Val Soldo, reckte sich in meiner Phantasie empor wie eine tragische Erscheinung. Es schauderte mich. So hoch steht menschliches Schicksal über literarischen Grübeleien. Natürlich erwies ich Pater Silvio den letzten Dienst, zu dem mir ein Zufall die Möglichkeit gegeben: ich warf den Brief in den Briefkasten des nächsten Dampfers. Sie begreifen, daß seit diesem Tage meine Stimmnng für San Mamette hin war. Ich beschloß, abzureisen. An dem Morgen, als ich sortfuhr, begrub mau Pater- Silvio auf dem klciueu Kirchhof, ueben der weißen runden Kapelle, die steil über dem See hängt. Ich sah den Zug aus der Ferne, v»m Bug des Dampfers aus. Durch die Neben trugen sie ihn. Ein langes Geleit war's und eine Fülle von Bluman «nd Kränzen. Es leuchtete aus der Höhe, als hätten sie Rvbbiasche Frucht gewinde zusammengebundcn — seltsam dunkel und ernst er schienen dazwischen die Gestalten der Priester »nd Mönche, die dem toten Genoffen das Geleite gaben. Wie ein Gcisterreigcn ging der Zug dahin, unter einem Himmelsblau, so klar und resn, wie nur der südliche Ok tober es haben kann. Ich fuhr schnell entschlossen südwärts. Es war von jeher mein Plan gewesen, einmal auf Goetheschen Spuren durch Umbrien zu wandern — ich könnte mich romantisch drapieren und behaupten, ich hätte eS einzig jener Brief adresse wegen getan. Auch sie verlockte mich, aber erst in zweiter Linie; denn ich war, trotz allen Studiums litera rischer Frauengestalten, damals lebendiger Weiblichkeit gegenüber noch sehr scheu und besangen. Sie kennen ja Perngia. Es geht ein beständiger Wind über jene Höhe, auf der die Stadt liegt, eine Nachahmung von Seewind, die eS so geeignet zum Sommeraufenthalt macht. Nachdem ich glücklich auf der langen Serpentinen straße, die von der Station zur Stadt hinaufführt, im Hotelomnibus emporgerollt war, die ackst Beine des Hotelpersonals, da« ans dem Wagendach thronte, als einzige Aussicht, wehte mir jener Wind so erquickend ent gegen. Er warf den Teppich, der vor der Pforte deS Hotels hing, weit hinaus wie ein geblähtes Segel. Er trieb den gelben Sand der wetten Piazza hin und her um die Hellen Mauern der Präfektur. Wie Wüstenstaub «MMtrbelt« er die vergeöhöh«, und ich fühlte Mich an geheimelt — denn ich kannte diesen Staubgeruch der Peruginostadt bereits, der sein Kennzeichen ist. Ucbrigens ging doch mein erster Weg zum Fremden buch; dann fragte ich das Stubenmädchen aus. Ja, sic war noch da, Isotta Barberighi, mit ihren drei Kindern, ihrer Kammerfrau, ihren Gouvernanten und Haus lehrern, einem ganzen Arsenal von Gefolge. Und beim späten Tiner erblickte ich sie. Sie speiste im selben Zimmer wie die gemeine Menschheit, nur beiseite, am Ncbcntisch. In ihrem spinnwebfarbenen Kleide saß sic vor der weißen Wand als gute Familienmuttcr zwischen all den kleinen Barberighis. Ja, sogar Hauslehrer und Bonne behandelte sie gut. Für alle hatte sie jenes leise, müde Lächeln, das ihren Mund erst dann verließ, als sie nach dem Essen die Kinder zn Bett geschickt und unter den Palmen der Hotelhalle sich einsam in einen Korbstuhl ge setzt hatte. Ich war aufaugs enttäuscht gcmeseu; ich hatte ein grobes Essektstück erwartet, so etwas wie die Judith des Allori oder eine Catalina Cornaro — nichts von dem, das seine, etwas verschleierte Pastell hatte beinahe schwer mütig fromme Züge. Jetzt aber, nun sie allein war, verschwand alles Fromme und alle Schwermut. Sie drehte sich eine Cigarette. Sie schien scharf nachzudenken. Ihre feinen Nasenflügel zitterten; ihre Lippen murmelten Worte in den blairgranen Rauch; immer häufiger schweiften ihre Augen — graue, uustät blickende Augen — nach dem Ein gang des Hotels, wo der schwere Teppich hing, den der Abendwind beständig bewegte, schwer und gleichmäßig — bis mit einem Mal eine rasche Hand ihn zur Seite schob und ein junger Offizier über die Schwelle trat. Dieser Moment zündete Lichter in ihren Augen an, elektrisierte sic — und als sie aus ihrer müden Apathie auffuhr und mit einem Strahl der Befriedigung den fporenklirrenden jungen Elegant begrüßte, da war sie mit einem Schlage wie verwandelt. Eine so seltsame Art herrischer Leidenschaftlichkeit hatte von ihlr Besitz er griffen, daß man dem armen toten jungen Dichter von San Mamette gern glaubte, daß sie ein Abkömmling jener Frauen war, von denen es einst hieß, daß sic ge wohnt waren, „Kaiser zu besiegen und Päpste knien zu sehen zn ihren Füßen". Sie wissen, was der italienische Offizier sein kann: ein bißchen Theater, etn Schuß Romeo, Kavalier in Voll endung, malerisch von Kopf zu Fuß — dieser hier war eine vollendete Ausgabe dieser Gattung. Nun begann unter den Pacmen des Hotel Brufari der passionierteste Flirt, den ich je gesehen! Finden Sie, daß dieser weltliche Anblick mich hätte stören müssen — ans dem Hintergrund der türmereichen, erinncrungsvvllen Bergstadt, deren Glocken so fromm gen Himmel läuteten — über Kirchen, in die einst eine junge, herrliche Knust ihre ersten Meisterwerke geschaffen'? Ich weiß nicht; mich störte er gar nicht. Er war mir nur wie ein Bild, wie ein modernes, nach und neben so vielen alten. Aber etwas anderes störte und berührte mich bei diesem Anblick um so tiefer und unerträglicher. Vor zwei Tagen etwa mußte sie jene letzten Verse ihres toten Vetters, vielleicht etwas vorher schon seinen Tod erfahren haben! Und nun scherzte und rauchte sie mit dem jungen Capitano — und übermütig und silbern klang ihr Lachen aus der Halle der Lampen in die blaue sinkende Nacht hinaus. Pater Silvio hatte richtig geahnt — sie hatte über ihn und sein Schicksal hinweg gelächelt. Sie wurde mir unhcimiich und beinahe verhaßt, diese Barberighi, und ich Hütte um keinen Preis auf die selt same Beziehung des Briefes hin in ihre Kreise treten mögen. Aber sozusagen „historisch" interessierte sie mich leiden schaftlich! Solche berühmte Namen geben so großen Nimbus. Und die der römischen Fcudalgcschlcchter in besonderem Maße. Barberighi — Burgen der Campagna sicht man — be siegte Päpste, ermordete Colonna. — Solch ein Name er öffnet historische Rückblicke von berauschender Art dem, der so empfindet. Dein Capitano zwar erschien das Historische durchaus nebensächlich. Er schien ganz versenkt in die Gegenwart ihrer schönen Augen. Nachdem ich drei Tage lang morgens die umbrischcn Täler durchstreift und abends über „Tribuna" nnd „Figaro" hinweg die beiden Meister des Flirts mit plato nischem Interesse beobachtet hatte, rief mich ein lang ersehntes Ereignis plötzlich nach Norden. Der bewußte „Ruf" hatte mich endlich über die Berg« hinweg ereilt. Ich reiste in di« Heimat.
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- No fulltext in gridpage mode.
- Show single page
- Rotate Left Rotate Right Reset Rotation
- Zoom In Zoom Out Fullscreen Mode