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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.09.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190309068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030906
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030906
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-06
- Monat1903-09
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.09.1903
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eines vielleicht überreizten VeraniwortlichkeitSgefühlS zwischen Krone und Bürgertum die Keime neuer Verstimmungen säen konnten, die im französisch-katholisch uuterwühlten Metz vielleicht nicht unbedenklich werden. Mau schaut angesichts solcher Entladungen unwillkürlich immer nach der Stelle hin, die ja nach der Verfassung zunächst verantwortlich sein muß. Und da sieht man freilich, wie sehr seit der Reichs gründung die Rollen zwischen Kaiser und Kanzler vertauscht sind. Ein unverantwortlicher Monarch, der als sein eigener Kanzler die selbst auserlegte Last der Verantwortlichkeit nur mit dem Aufgebote aller Willenskraft zu tragen vermag, und neben ihm ein „Verantwortlicher", der, gestützt auf seine kostspielige Mehrheit, eS dieser überläßt, dem Reiche und seinem Oberhaupte die Bahnen vorzuschreiben. Nur durch diese Wandlung ist eS erklärlich, daß, wahrend in Merseburg der Kaiser begeistert auf di« Luthertat hinwieS, die Gegner dieser Tat in Preußen mit freundlicher Duldung deS „Ver antwortlichen" sich mehr und mehr der Staatsleitung be mächtigen können. Ist eS da ein Wunder, daß weite Kreise des Volkes an der Bestimmung deS Reichs und de» Kaisertums irre werden, wenn sie sehen müssen, wie die Übel belohnt« Kaisertreue immer mehr durch eine verhätschelte und käufliche Kanzlertreue verdrängt wird? „Ignorieren!" hat Graf Bülow dem Leiter der preußischen Geschichtsforschung in Rom auf dessen Frage geantwortet, ob er die Veröffentlichung von Akten über den Ablaßstreit, die dem katholischen Empfinden deS Gelehrten peinlich schienen, fortsetzen solle. Dieses hübsche Gegenstück zu dem berühmten „IgnorabimuSl" ist von den preußischen Offiziösen verständnisinnig ignoriert worden, - denn offenbar könnten die ZentrumSstützeu des heutigen Systems da« Reden über so kitzliche Dinge Übel vermerken. Werde» nun auch die Konservative» der „Kreuzzeitung", die sich als Stütze der ultramontaneo Hausfrau immer trefflicher bewährt, dem Kanzler den citaten- reichen Mund verschließen, wen» er sage» soll, ob es wahr ist, daß die Breslauer Schulbehörde in einem Lesebuch« entwürfe Sätze au« der preußischen Verfassung, wie z. B. „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei" oder „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich; StandeSvorzüg« finden nicht statt" als — verfänglich gestrichen hat!? Ist Preußen unter dem päpstlich geweihten Banner der „Germania" und der ,^reuzzeituug" wirklich schon so weit, sich vor der eigenen Verfassung zu fürchten? Der nationalliberale Abg. Sattler hat auf dem Vertretertage der nationalliberalen Iugendvereine, die überhaupt mit ihren Tagungen zu Worms und Mannheim noch die hellsten Licht punkte in unserem Parteileben bilden, die Konservativen Preußens als eine wirtschaftlich-egoistische Gruppenpartei bezeichnet, deren Programm „AgrariSmuS und Orthodoxie" sei. Die „Kons. Korresp." hat sich darauf entrüstet auf ihre Schuh spitzen gestellt, an die „solche ehrverletzenden Ungezogenheiten nicht heranreichen"; aber die Charakteristik ist leider nur zu wahr, so wahr wie die Kennzeichnung 'der jesuiten freundlichen „Kreuzzeitung" durch den Pastor Gründler. CS wird in allen wahrhaft liberalen, vielleicht auch in konservativen Kreisen al« «ine Wohltat empfunden werden, daß wieder einmal deutlich gesagt worden ist, wa« den reichstreuen Parteien den Kampf gegen die Sozialdemokratie so übermenschlich erschwert, daß sie e« jetzt wieder in Dessau gegenüber dem Umsturzkandidatea nur auf eine geringe Mehr heit bringen konnten, wobei auf den konservativen Extra kandidaten kaum mehr als 3K00 Stimmen entfiele» .... Nicht das Bündni« mit reaktionären Parteien, die selbst klafsenegoistisch sind bi« in die Knoche», kann uns den Sedan tag über die inneren Feinde bringe», sonder« nur der viel leicht dornenvolle, aber sichere Weg unermüdlicher Arbeit, den die eben begründeten Organisationen »ationalliberaler Arbeiter und die ebenfalls von Arbeitern gegründete „Zentral stelle für da« evangelische Deutschland" weisen r Ueberwinduog der soziale« Revolution durch die soziale Reform. Deutsche- Reich. * Leipzig, 5. September. (Die Meinungsfreiheit bei den „Genossen".) Unerhörte« ist geschehen: Der „Vorwärt-" hat dem Abg. A. Bebel den Abdruck zweier Artikel verweigert! Das hat de, Parteipapst so gewaltig geärgert, daß er sein« Drohung von der Be endigung der Komödienspielerri in der Partei jetzt wahr macht und in der „Leipziger Volkszeitung" von heut« — der guten Freundin des „Vorwärts" auf Tod und Leben, be sonders aber auf Tod — einen prachtvollen Wutanfall auStobt. Di« Freiheit, di« A. Bebel meint, ist in Gefahr! Nein, sie ist schon verraten, und der „Vorwärts" hat e« getan! Natürlich handelt e« sich um di» „elend," Vize- präsidentenfrage, die sich zu unserer innigen Freude zu einem Kuckuck«» von riesigen Dimensionen »»«wächst. Mit ebenso großer Befriedigung lassen wir hi«, folgende» Au«zug au« den Bebelschen Anklagen folgen: Ich hielt eS darauf für angemessen, ein« abermalig« Erklärung an den „Vorwärts" zur Veröffentlichung gegen die Fürsten- »alber etnzuseudeu. Die Antwort war, baß der Redakteur EiSner an mich Sonntag, den 30. August, ein Telegramm nach Küßnacht sandte: dahin lautend, Brief über Ihre Erklärung unterwegs. In dem Brief, den ich alsdann Mens- tag, den I. September, erhielt, bat Eisner in den beweglichsten Ausdrücken, im Interesse der Parte von der Veröffentlichung der Erklärung abzusehen, und sandle die betreffende Erklärung zurück. Mittlerweile hatte ich aber eine zweite Erklärung gegen Heine dem „Vorwärts" ein gesandt auf Grund von Ausführungen, die dieser in der Partei versammlung seines Berliner Wahlkreises am 25. August gemacht hatte. . . . Eisner wandte sich jetzt um SukkurS an die beiden Vorstandsmitglieder Auer und Gertsch, und nun geschah da« Unglaubliche, daß diese au- dem gleichen Grunde wie Eisner die Nichtaufnahme beider Erklärungen billigten und daraufhin Eisner auch die zweite Erklärung mit einem Brief ähnlichen Inhalts wie der erste an mich zurückfaudte. Das Verhalten Auers tritt in diesem Bevormundungsverfahren, das den vollständigen Tod jeder Meinungsfreiheit bedeutete, wenn e« in der Partei maßgebend werden sollte, noch besonders merkwürdig .hervor. Auer hat sich in der letzten Nummer der „Sozialistischen Monatshefte" zum Kritiker über seine Kollegen im Parteivorstand aufgeworfen, die die Reso lution, betreffend die Mitarbeiterschaft an der bürgerlichen Presst, beschlossen hatten, nachdem sie die Frage in zwei Sitzungen ein gehend beraten und einstimmig Beschluß gefaßt hatten. Auer selbst war wegen Krankheit damals abwesend. Und derselbe Auer, der sich im Namen der Meinungsfreiheit gegen diese Resolution seiner Kollegen im Vorstande erklärte, faßt jetzt den Entschluß, seinem Kollegen Bebel den Abdruck zweier Erklärung -» im „Vorwärts" zu verweigern, zu denen Bebel provo ziert worden war, natürlich im Parteiinteresse. Unglück licherweise bekommt diese Motivierung einen etwas eigentüm lichen Beigeschmack dadurch, daß Auer selbst in diesen Ein sendungen Bebels sich als Revisionist persönlich getroffen fühlen kann. E« folgt dann der Abdruck der beiden, sachlich herzlich langweiligen Artikel, ans denen nur da« Eine vielleicht mit- teilrnswert ist, daß Bebel daS Erscheinen seiner versprochenen Aufsätze über den Vizepräsidentenstreit für den 7. September in der „Neuen Zein ankündigt. Dagegen sind eine Nach schrift zu den beiden Artikeln und das Schlußwort wieder famose Dokumente zur Geschichte der Bruderliebe der „Genossen": Nachschrift: Im Begriff, die vorstehende Zuschrift zur Post zu geben, wird mir aus Berlin mitgeteilt: Heine habe unter großer Entrüstung der Versammlung im dritten Wahlkreis geäußert: „Bebel sitzt in Küßnacht und schläft und weiß von nichts, um dann plötzlich zu erwachen und loszuschlagen/ Der Genosse, welcher mir diese Mitteilung macht, wohnte der Heineschen Versammlung bei. Der Bericht des „Vor wärts" über die Heinesche Versammlung enthält diese Aeußerung Heines nicht. Hat Heine die ihm unterstellte Aeußerung gemacht, so erwidere ich ihm, daß, wenn er in den zwei Monaten, seitdem ich hier sitze, auch nur annähernd so gearbeitet hat, wie ich gearbeitet habe, er sich für einen sehr fleißigen Mann halten darf. Ich gehe nicht hierher, um auf der Bärenhaut zu liegen, sondern, um neben der mir so notwendigen Erholung Arbeiten auszuführen, für die ich in Berlin nicht die nötige Ruhe finden würde. Küß nacht, den 30. August 1903. A. Bebel. Rache, fürchterliche Rache will er für alle ihm angetane Schmach. EiSner, Auer, Gerisch, Heine und alle die anderen soll in Dresden der Teufel bolen, oder, soweit sie nicht an den glauben, sollen sie seinetwegen Kommerzienräte werden. Da« Schlußwort lautet: Selbstverständlich werde ich wegen der an mir verübten Gewalttat vom Parteitag in Dresden volle Genug- tuung fordern. Und so ist denn zu den übrigen Streitpunkten, die den Dresdner Parteitag beschäftigen werden, ein »euer, höchst seltsamer, in der Partei bisher noch nicht dageweseuer hinzu gekommen. Der Humor bei der Geschichte für alle vergnügten Zu schauer liegt aber besonders in dem Umstande, daß Bebel in seinem ersten Küßnachter Erlasse die armen Sänger von Fürstenwalde am liebsten mausetot geschlagen hätte, weil sie überhaupt den Mund zu ihrem garstigen politischen Liede auf gemacht hatten — und nun muß e« Bebel, dem großen August der Partei, selbst passieren, daß man ihm die Kehle zudrücken will. Aber diese Gurgel läßt sich so leicht nicht zuschnüren: vaS werden die einander ebenso wie die Freiheit liebenden Brüder in Dresden erfahren, wo „geraaft" werden dürfte, wie auf einer obrrbayerischen Kirchweih, Berlin, v. September. (Die Zunahme der Sozialdemokratie in katholischen Gegen- d e n.) Die ,Föln. BolkSztg." lehnt sich dagegen auf, daß die Zunahme der Sozialdemokratie Ur katholischen Gegenden in Vergleich gezogen wird mit der Zunahme in den evangelischen Gebieten. Sie verweist darauf, daß nur in vier überwiegend katholischen Wahlkreisen Sozial demokraten gewählt worden seien und daß die starke Zu nahme in einer Reihe andrer katholischer Wahlkreise nichts zu bedeuten habe, weil sie nur eine relative und, die Zahl der abgegebenen sozialistischen Stturmen absolut ge- nommen, immer noch gering sei. Ss hätte keinen Zweck, hervorzuheben, daß in einem Eifelkrets«, der 1tÄ8 zwei sozialistisch« Wähler gehabt habe, diesmal deren 14 habe, daß die Sozialdemokratie diesmal um 700 Prozent zuge nommen habe; mit solchen kleinlichen BerhältniSziffern solle man nicht spielen. Gewiß hat eS nicht viel zu sagen, ob irgendwo 2 oder 14 sozialdemokratische Stimmen abge geben werden, aber in vielen Wahlkreisen handelt cs sich eben um ganz andere Ltiunnen-ifsern. Liner Zusammen, tzellung deS „Vorwärts" entnehmen wir das Folgende: »In den durchweg katholischen Regierungsbezirken Köln, Koblenz, Aachen und Trier stieg die sozialdemokratische Stimmenzahl seit 1898 von vi 860 ans vö 220, was einer Attnstzm« »o« 7S sleichtommt. Im Wahlkreise Köln-Land stieg die Stimmenzahl von 6980 auf 18 428, in Bonn-Rheinbach von 479 auf 1610, in Aachen- Land von 1335 auf 2381, in Düren-Jülich von 657 auf 1308, in Koblenz-St. Goar von 777 aus 2007, in Trier von 284 auf 808. Die Zunahme in Düsseldorf beträgt nahezu 10 000 Stimmen, nämlich von 10 700 aus 20 800, in Krefeld von 4441 auf 7298, in München-Gladbach von 2071 auf 3773, in Neuß von 884 auf 1590, in Kempen von 1240 auf 2379, in Mors von 214 auf 1496. In der ge samten Rheinprovinz stieg die sozialdemokra tische Stimmenziffer von 111956 aus 205 036." Es handelt sich hier also doch nicht um einen beliebig Herausge griffenen kleinen Wahlbezirk, sondern« um diejenige preußische Provinz, die an Umfang gleich hinter Schlesien kommt, an Bolkszahl überhaupt an der Spitze aller preußischen Provinzen steht. Zugleich ist die Rheinprovinz diejenige preußische Provinz, die nicht nur absolut, sondern auch relativ an, stärksten ist. In diesem großen und zu nahezu drei Vierteln katholischen Gebiete also hat die Sozialdemokratie nahezu eine Verdoppelung ihrer Stimmenzahl seit den vorigen Wahlen aufzmveisen. In einzelnen der hier aufgeführten Wahlkreise ist ja gewiß die Stimmenzahl der Sozialdemokratie, absolut ge nommen, noch immer nicht groß, aber es würde uns nicht schwer fallen, eine ganze Anzahl evangelischer Wahl kreise anzuführen, in denen vor 15 Jahren die sozial- demokratische Stimmenziffer auch nicht größer war, und die heute sozialistisch vertreten sind. In Liesen Wahl- kreisen begann die erste starke Zunahme der sozialdemo kratischen Ziffern bei den Wahlen von 1890, bei den ange- führten katholischen Wahlkreisen begann, sie bei -en dies jährigen Wahlen. Wenn es so fortgeht, so wird der Unter, schied eben nur darin bestehen, daß der persönliche Ein fluß der katholischen Geistlichkeit mrf die Wählerschaft das Anheimfallen der Wahlkreise an die Sozialdemokratie um ein halbes Jahr länger hinaußgeschoben hat, als es in evangelischen Wahlkreisen, der Kall gewesen ist. Wenn der Abgeordnete Trimborn auf dem doch sonst so hoch, gemuten Katholikentage geklagt hat, daß der katho. lische Arbeiter st and nicht mehr gegen die sozialdemokratische Verführung gefeit sei, so war dies, wie die obigen Ziffern beweisen, alle» eher als eine hohle Phrase. 6. U. Berlin, 5. September. Die „Sachsengängrrei" hat in der letzten Zeil die Medizinalbehörden lebhaft be schäftigt, denn eS laßt sich leider nicht bestreiten, daß diese Bevölkerungsbewegung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die öffentliche Gesundheit in sich schließt. .Aus den ost- lichen Bezirken zieht bekanntlich jährlich eine erhebliche Zahl arbeitskräftiger Personen, Männer und Frauen, bisweilen mit halberwachsenen Kindern, nach dem Westen und in die Mitte Preußens, wo große landwirtschaftliche Betriebe und industrielle Anlagen lohnendere Beschäftigung bieten, als die Heimat. Von den Einheimischen sind es besonders Polen, Westprcußen und Teile der Bevölkerung um LandSberg a. W-, die jene Wanderung in jedem Frühjahr antreten. Dafür kommen auS den russischen und den österreichischen Grenzgebieten zahlreiche Landarbeiter in die verlassenen Bezirke. Doch werden auch unmittelbar russische, galizische, ungarische, böhmische, italienische, schweizerische, belgische und andere ausländische Arbeiter durch Agenten auf die gauze Monarchie verteilt. Aus dem Regierungsbezirke Posen wan- derten 1901 zur Arbeit 32 349 Personen, nämlich 20 311 männliche und 12 038 weibliche, aus, während 6873, näm- lich 4011 männliche und 2862 weibliche, einwanderten; im Kreise Jerichow I (Regierungsbezirk Magdeburg) waren 1901 allein 1068 russisch-polnische und galizische Arbeiter beschäftigt und im Regierungsbezirk Merseburg gegen 8000 fremde Arbeiter, von denen 49 Prozent aus Russisch - Polen stammten. Trotz der angeordneten ärztlichen Untersuchung und Schutzimpfung verschleppen nun diese Einwanderer leider zahlreiche Krankheiten über das ganze Reich. So tritt jetzt im Westen vielfach Granulöse auf, tue dort früher gar nicht bekannt war. Die Einschleppung der Pocken aus Rußland, Oesterreich und Belgien hat neuerdings zugenommeu, wenn auch infolge der wirksamen Handhabung der sanitätspolizeilichen Vorschriften die Weiterverdreitung der^Seuche verhütet werden konnte. Auch andere Krank- beiten, so Typhus und Ruhr, sind auf diese Weise eiuge- schleppt worden. Wen» auch die fremden Arbeiter in be- sonderen, meist nach Raum, Lüftuug und Beleuchtung aus- reichend eingerichteten Räumen und Gebäuden untergebracht und wenigsten» in den erste» 4 — 6 Wochen getrennt von den einheimischen Arbeitern beschäftigt werden, so ist doch ihr intimer Verkehr mit den einheimischen Arbeitern nicht zu vermeiden. Infolge dessen wurden auch Uebertragungen von Krätze beobachtet. Die Sachsengängrrei ist aber «in notwendiges Uebel, das nicht beseitigt werden kann; e» soll daher, um die auS der Sachsrogängerei für die öffentlich« Gesundheit erwachsenden Gefahren abzuwenden, die ärztliche Untersuchung noch strenger gehandhabt werden. DaS wird sich um so leichter vollziehen lassen, als die Reformen auf dem Gebiete der Mediziualverwaltung (Kreisärzte) über- all durchgeführt sind und sich gut bewährt haben. ä Berlin, 5. September. (Wasserversorgung.) Der Metzer Fall hat die Frage der Wasserversorgung der Städte und deS platten Lande« wieder in den Vordergrund des Interesse« gerückt. Die Erkenntnis von dem hoben gesund, beitlichen Werte reinen, einwandfreien Trinkwafser» bricht sich immer weiter Bah». De» Belehrungen in den öffentlichen Blättern anläßlich deS Auftreten» der Cholera zu Anfang der neunziger Jahre, dem zielbewussten Vor- gehen in den größeren Städten und dem Drängen der Medizinalb,amten und Aerzt, ist »S zu bauten, daß der WaflerversorgungSfrage allenthalben ein größeres Ber- ständni» «ntgeaengedracht wird. Seit Errichtung de« Gesund- beit«rat« ,m Re.chSgesundheitSamte dehnt sich die Fürsorge auf das ganze Reich au». Ja Preußen gab e« hi« in die Mitte d.« vorige» Jahrzehnt» nur eine klein. Anzahl von Städten mit zentraler Wasserversorgung. Inzwischen >at sich dies, Ziffer nicht unbedeutend gehoben. Manche Städte haben artesische Brunnen erbohrt, ander« suchen h« yortzernig »ach ,«i>e» Lriudvasser VezugS-Preis t» der Hauptexpedition oder deren Ausgabe- stell« abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land n. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für dt« übrige« Länder laut Zeituug«preisüste. Redaktion und Expedition: JohanntSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. KUtvt-vpovM»««, r Alfred Hahn, vnchhandlg., UniversttätSstr.S, L. Lösch«, Kathartneustr. 14, u. KüuigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraß« 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Hanpt-Filiale Berlin: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hofbuchhandlg„ Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603, ripMtr. TaMalt Anzeiger. ÄmtsAatl des königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Volizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Nr. 453. Sonntag den 6. September 1903. Aus -er Woche. Hätten wir Deutschen keinen römisch-gregorianischen Kalender voll begriffloser Namenfossiiien, sondern einen deutsch-christ lichen Kalender, in dem der IahreSkreiSlauf neben der schein baren Sonnenbahn und der Gestalt des Erlöser« auch den Werde gang unsere« Volke« wiedrrspiegelte, so müßt« der GeburtS- tag Bismarcks (1. April) den Frühling und Morgen, der Sonuwendtag (21. Juni) den Sommer und Mittag, der Srdaatag (1. September) Herbsternte und Abend al« Hochfeier lage unserer Nation bezeichnen und die Weihnacht (24. Dezem ber) mit dem am 18. Januar folgenden Tage der Reich-grün- dung alS die Denktage der nationalen Wiedergeburt in Christen- tum und Volkstum den IahreSkreiSlauf wieder eröffnen. Daß trotz deS Fehlens eines solchen deutsch-christlichen Kalenders einzelne der genannten Nationalfesttage volkstümlich gefeiert werden, ist ein Beweis dafür, daß der Volksgeist den Wert solcher Erbauungstage, mit denen z. B. die römische Kirche ihre Gläubigen von der Wiege bis zum Grabe im Banne hält, für die nationale Erziehung richtig einschätzt. Wenn nun trotzdem unter diesen GedächtoiStagen gerade der Tag von Sedan, der mit seinem berühmten Kaiserworte „Welche Wendung durch Gottes Fügung" auch im beste» Sinne religiös zu stimmen vermag, im Bewußtsein der jüngeren Generation etwas verblaßt ist, so mögen diejenigen, denen die Schuld an dieser unerfreulichen Erscheinung zu fällt, dafür sorgen, daß sie nicht fortdauere. Wir wünschen unserer Jugend kein Versinken in der Rückschau; neue Zeiten haben neue Aufgaben, aber diese werden nur dann recht er faßt und gelöst, wenn die Lehren der Vergangenheit recht verstanden und befolgt werden. Eine Rundschau von dem erhöhten Standpunkte deS NationalgedankeaS über die Sedanwoche 1903 zeigt tatsäch lich, wie wenig Grund wir zu stiller Selbstgenüg samkeit haben und wie wahr daS Wort ist „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um eS zu besitzen!" Ehre den Männern, die an dem großen Erntefeste der Nation dem Reichserbauer durch Errichtung von Bismarckdenkmälern und -Türmen begeistert huldigten: im sächsischen Dresden wie im bayerischen Ansbach, im niederdeutschen Lübeck wie im ostmärkischen Kattowitz! Aber keinen echten BiSmärcker wird der Glanz der Gedächtnisse»» soweit blenden, daß er nicht auch die gespenstischen Schatten sähe, die gerade an solche« Tagen, aus ihren Winkeln aufge scheucht, über da« 33jährige Reich hiaweghuschen. Am Reichs horizonte droht ja freilich, soweit sterbliche Augen sehen können, keine Wolke, auS der ein Revancheblitz in den Reichs frieden «iederfahren könnte. Aber mitten unter un« ist nicht alles richtig, und während die nationalen Parteien mit ihren Parteiinieressen, die sie natürlich samt und sonders als „vitale Reichsioterefsen" auSgeben, vollauf beschäftigt sind, spüren sie kaum, wie zu ihren Füßen die unter irdische Wühlarbeit der Internationale uaer- ermüdlich am Werke ist. DaS schleicht alles unter der Maske einer äußerst harmlosen Symbolik merkwürdigerweise immer an den Grenzen des Reiches herum und darüber hiuau»: das so überaus patriotische Zentrum beschenkt den wälschen Kardinal Ferrari zum Danke für seine Mitwirkung am „deutschen" Katholikentage mit einem bisher ängstlich gehüteten Reiiquienschatze und sein kölnisches Organ mißt dieser Rückgabe guter deutscher Kriegsbeute auS den „SchreckenStagen" vom Jahre 1162 au die Mailänder Papst partei eine geheimniSvoll-frohe Bedeutung bei. Gleichzeitigretten auch die edlen Polen ihren Nationalschatz zur Vorbereitung der polnischen Revolution auS der Unsicherheit von RapperSwyl „unbekannt wohin" und sick> selbst retten di« polnischen Sokoln Oberschlesiens, di« unter ihren „Turnübungen" eigentümliche „Hebungen mit der Lanze" pflegen, vor dem preußischen Verbote über di« Grenz« nach dem österreichischen Szczakowa. In Schles wig umschmeicheln die internationalen Roten den Nationalis mus der „120 000 Dänen, die daS Unglück haben, Preußen zu sein" mit einem „Selbstbestimmungsrechte", da» bei der eigenen Nation „Hurrapatriotismus" heißt, und gleichzeitig entlockt di« Auslastung de« Kaiser« über seine Verantwort lichkeit für 58 Millionen Deutsche einem solche« roten Wichte nur da« freche Wort: „Wenn die letzte Krone wie GlaS zer bricht, wird auch der Monarch von seiner Bürde erlößt sein." DaS sind Stimmen »ud Stimmungen auS der Sedan woche, in der auch noch andere größere Schatten auftauchte»: die Bekanntgabe des Re ichSdefijit» und des Kaiser« WaruungSruf vor der TyphuSgefahr in Metz. Die deutsche Grenzsestung liegt nicht weit von Sedan, und der oberste Krieg-Herr, dem e« natürlich fern liegt, in die Selbst verwaltung de« Metzer Bürgertum» einzugrrifen, hat zweifel los nur ha» Wohl seiner Armee und damit die Reich«stcher- heit iA Lug» grhaht, «l« er in feiner impulsiven Art auf die Möglichkeiten einer Seuche im Kriegsfälle HinwieS. Aber e» wäre vielleicht such «ine Aufgabe de» in Dresden tagenden drvlschtn Städtetag« gewesen, sich mit so wunden Punkten der Hygiene deutscher Grenzstädte zu beschäftige«, rheLadelSwortr Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem RrdaktionSstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offettenamrahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt^ nur mit der Morgen-Ausgabe, ohue Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.-^. Anvahmeschluß für Anzeigen: Abeud-An-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Mvrgeu-AllSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet» au die Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag« «nu«terbrochtu geöffnet vo« früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 87. Jahrgang.
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