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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-11
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030911021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-11
- Monat1903-09
- Jahr1903
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BezugS-PreiS t« der Hauptexpedltton oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung inS Hau» 3.7S. Durch die Post bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich .4i 4.50, sür di« übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Erpedition: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 133 und 222. Ftttalevprdltlone» r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitStSstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Earl Dvncker, Herzgl. Bahr. Hofbuchhandlg* Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Nmtslitatt des Königrichen Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiarntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen.Preis die 6gespaltene Petitzette 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrtch (4 gespalten) 7b vor den Familiennach- richten i6 gespalten) 50 H. 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Karl KautSky hat unlängst über den Parteitag und die Strömungen innerhalb der Sozialdemokratie einen Artikel veröffentlicht, der die vollste Beachtung ver dient, weil KautSky einer der hervorragendsten Köpfe der Sozialdemokratie ist und weil er einerseits ein Gegner des revisionistischen Flügels, anderseits aber weit ent fernt von jener Sprudeiköpfigkeit ist, die einen sonst so zielbewußten Mann wie Bebel zu häufigen Entgleisungen und Blamagen führt. Zn diesem Artikel sagt Kautsky, daß die Sozialdemokratie wohl soziale Reformen auf politischem Wege zu erringen suche, „daß sie aber trotz dieser refor mierenden Tätigkeit eine Partei der Revolution ist und jedes Paktieren mit den herrschenden Klassen zurückweist." Man wird gut tun, sich dieses Ausspruches Kautskys ge legentlich des sozialdemokratischen Parteitages zu erinnern. Aller Voraussicht nach wird dieser Tag so stürmisch verlaufen, wie nie einer zuvor, obwohl ja auch schon auf früheren sozial demokratischen Parteitagen an Zänkereien und persönlichen Verunglimpfungen Erkleckliches geleistet worden ist. Bebel war schon durch den langwährcndcn Streit über die Bize- präsidentenfrage sehr gereizt und die Nichtaufnahme seiner Erklärungen im „Vorwärts" hat seine Erbitterung aufs höchste gesteigert. Bei seinem Jähzorn wird er cs nicht an heftigen persönlichen Ausfällen fehlen lassen und die Angegriffenen werden ihrerseits nicht vor scharfen Antworten zurückschrecken. Dazu kommt die gereizte Stimmung zwischen den akademischen Führern der beiden Gruppen und die kaum noch verhehlte starke Antipathie der Nichtakademiker gegen die „Akademiker", einerlei, welcher Richtung diese angehören. Wenn neulich auf einem Berliner Parteitage ein „Genosse" gesagt hat, er hätte gar nichts da gegen, wenn die akademischen Löwen sich auf dem Parteitage gegenseitig aufzehrten, so hat er sicherlich Zehntausenden von Gesinnungsgenossen aus dem Herzen gesprochen. Es wäre aber ein Fehler, der leicht vcrbäugrnsvoU werden könnte, wenn die bürgerlichen Parteien aus der heftigen Kanonade des Dresdner Parteitages übertriebene Schlüsse zögen und auf die „Mauserung" der Sozialdemokratie oder gar auf den bal digen Zerfall der Partei spekulierten. Deshalb haben wir eben den oben erwähnten Satz Kautskys in Erinnerung ge bracht. Die Bernstein, Bollmar, Heine, Schippet und Genossen sind im Grunde von Männern wie Bebel und Singer nur dadurch unterschieden, daß ihnen ein größeres Maß von Vorsicht innewohnt und daß ihre höhere akademische bezw. gesellschaftliche Bildung sie den Wert des „kortitor in ro, suaviter in mocko" erkennen läßt. Tatsächlich sind gerade diese Männer viel gefähr lichere Feinde der bestehenden Gesellschaft, als Bebel und Singer, genau so wie der höflich lächelnde Jesuit viel gefähr licher ist als der unausgesetzt donnernde Hetzkaplan. Obwohl die Revisionisten nach außen hin entschiedene Gegner Kautskys sind, stimmen sie doch im Grunde seiner Erklärung, daß die Sozialdemokratie die Partei der Revolution sei, durchaus zu. Noch verfehlter aber als die Spekulation auf eine Mauserung dieser Partei wäre die Hoffnung auf ihren baldigen Zerfall. Zn allen bürgerlichen Par teien bestanden oder bestehen noch heute starke Gegen sätze in vielen einzelnen Fragen, ohne daß diese Par teien auseinander gefallen sind oder demnächst aus einanderfallen werden. Wir erinnern nur an die Gegensätze innerhalb der konservativen Partei gelegentlich der Bewilli gung des Zolltarifs im vorigen Winter, an die Spaltung des Zentrums in wirtschaftlichen (1893/94) und in nationalen Fragen (1898/99), an die verschiedenen Auffassungen über agrarische Forderungen innerhalb der nationalliberalen Partei u. s. w. Gewiß ist die Sozialdemokratie weniger duldsam als die erwähnten bürgerlichen Parteien, aber auf der andern Seite werden die „Genossen" zusammengehalten durch das Gefühl ge meinsamer Gegnerschaft gegen sämtlich^ bürgerliche Parteien. Von dem Gefühle dieser Gegnerschaft sind, wie beispielsweise die scharfen Ausfälle Bernsteins über die Haltung der Frei sinnigen in der preußischen Landtagswahlfrage beweisen, die Revisionisten nicht minder erfüllt, als die Anhänger Bebels. Dieses Gefühl aber wird die Sozialdemokraten auf absehbare Zeit hinaus zusammenkitten und deshalb nehme man sich davor in acht, der Dresdner Kanonade eine mehr als vor übergehende Bedeutung beizumessen. Selbst wenn ein Riß erfplgte, würden die feindlichen Brüder einander stets die Hände reichen, wenn es gälte, die bürgerlichen Parteien zu Boden zu drücken. Zur ReichStagSwahl tu Dessau. Die Parteileitung der Konservativen und des Bundes der Landwirte hat eine Erklärung veröffent licht, in der sie auseinandersetzt, daß sie nicht in der Lage sei, von Parteiwegen ihre politischen ^Gesinnungs genossen aufzufordern, bei der bevorstehenden Stichwahl ge schloffen für den freisinnigen Kandidaten, Eisenbahn direktor a. D. Schrader, einzutreten. Diese Erklärung wird u. a. damit begründet, daß die freisinnige Parteileitung des Wahlkreises auf die vor der Hauptwahl an sie gerichtete Frage, ob sie im Falle einer Stichwahl zwischen dem Konser vativen und dem sozialdemokratischen Kandidaten (die nie mals ernstlich erwartet werben konnte!) ihre Parteiangehörigen öffentlich zur Stimmabgabe sür den Konservativen aufsordern werde, eine bejahende Antwort nicht erteilt habe. Wir haben bereits zugegeben, daß allerdings Selbstverleugnung der Konservativen dazu gehöre, sür einen Kandidaten einzutreten, der seinerseits, wenn er zwischen einem Konservativen und einem Sozialdemokraten zu wählen hätte, sich nicht scheuen würde, dem letzteren zum Siege zu verhelfen. Wem aber soll man noch Selbstver leugnung Zutrauen, wenn diejenige Partei, die dieses Wort stets im Munde führt und alles nur für das Reich zu tun vor- giebt, versagt? Die „Deutsche Tageszeitung" des Herrn 1)r. Oertel freilich empfindet über die Erklärung große Genugtuung, die sie mit den Worten zum Ausdruck bringt: „Unseres Erachtens hat die konservative Parteileitung des Wahl kreises vollkommen korrekt gehandelt. Wenn sie sich wider Er warten entschlossen hätte, die Urterstützung des Kandidaten der freisinnigen Bereinigung zu empfehlen, so würden wir das leb haft bedauert haben." Um dieses Bedauern völlig würdigen zu können, muß man sich der Tatsache erinnern, daß die freisinnige Ver einigung in den letzten Zähren in allen Fragen der natio nalen Verteidigung dem Reiche gegeben hat, was des Reiches war, während die sozialdemokratische Reichstags- Fraktion das Gegenteil getan hat. Wenn trotzdem die „Deutsche Tageöztg." es lebhaft bedauert haben würde, wenn die konservatwe Parteileitung ihren Gesinnungsgenossen die Unterstützung des freisinnigen gegen den sozialdemokratischen Kandidaten empfohlen haben würde, so stellt sich das Bündler- blatt damit das Zeugnis aus, daß sein Brüsten mit Opfer willigkeit für das Reich eitel Heuchelei ist. Hebung der geistigen Macht Englands. In der vorgestern abend in Southport abgehaltenen Sitzung des Britischen Vereins für Förde rung der Wissenschaft hielt der diesjährige Vor sitzende Sir Norman Lockyer einen Vortrag, in welchem er die Inferiorität Großbritanniens in Bezug auf Universitäten hervorhebt und dringend die sofortige Bereitstellung der Mittel für die Errichtung neuer Universitäten nach deutschem Muster forderte. Er wies hin auf Preußen, das nach Jena und dem Verlust großer Gebietsteile in kurzer Zeit drei neue Universitäten gründete, „um den Verlust von Land durch geistige Macht zu ersetzen", sowie auf Japan, welches, nicht nach einem Kriege, sondern in Vorbereitung eines solchen, die größten Anstrengungen zur Entwicklung intellektueller Städte machte. Sir Norman fordert acht neue Universitäten und berechnet die Kosten für deren Er richtung mit acht Millionen Pfund: dazu kämen jährlich 400 000 Pfd. für das Personal und die Erhaltung. Durch Kapitalisierung der jährlichen Zahlungen mit 2^/2 Pro zent kommt er auf rund 24 Millionen Pfund. Auf die Frage, wie dieses Geld zu beschaffen sei, antwortete Sir Norman Lockycr „ohne Zögern": Tut dasselbe, was durch die Navy Bill von 1888/89 geschah; tut mit einem Male für die Geistesmacht das, was wir damals so erfolgreich für die Seemacht taten. Leget 24 Millionen Pfund Sterling ans dem einen Aktivum. unserm nationalen Reichtum, bei Seite, um das andere Aktivum, unsere Geistesmacht, zu mehren. Mit diesem Kapital müssen in den nächsten fünf oder zehn Jahren die neuen Universitäten errichtet und ihnen aus den Zinsen des Restes jährliche Zuwendungen gemacht werden. Serbisches Durcheinander. In Serbien wird die Lage immer haltloser und die Stellung des Königs immer prekärer. Er kann nicht zu dem energischen Versuch kommen, sich aus der Clique -er Königsmörder freizumachen,' anderseits wagt er doch kein entsprechend scharfes Vorgehen gegen die neuen „Verschwörer" im Osfizierkorps, und durch sanfte Be handlung wächst dort die Bewegung nur weiter an. Das zeigt sich in den beiden von den Verschwörern in Bel grader Blättern veröffentlichten Aufrufen und den Demonstrationen, welche diese gegen die Redaktionen der Blätter hervorgerufen haben. In den Aufrufen heißt es u. a.: „Die ganze civilisierte Mbit schauderte vor diesem Ver brechen zurück, und in den Augen der Offiziere sämtlicher Kulturvölker ist unser Waffenrock zum Gegenstände des Ekels und des Abscheus geworden." Korporativ und wie ein Mann müßten die serbischen Offiziere diese abscheulichen Verbrecher aus ihrer Mitte ausstoßen. „Dafür gibt es zweierlei Wege: 1) daß alle dieseVerbrecher an einem und demselben Tage im ganzen Lande, in allen Garnisonen, wo cs solche gibt, einfach auSgerotret werden, und 2) daß wir korporativ fordern, daß sie alle für alle Zeiten aus der Armee entffernt werden, ohne jemals wieder unseren Waffenrock anlegen zu können, und zwar innerhalb einer kurzen Frist, die wir nachher in unserer Forderung bestimmen werden. Gleichzeitig wollen wir unseren festen Entschluß kund geben, sofort nach Ablauf dieser Frist unseren eigenen Degen abzulegen und aus der Armee auszutreten, wenn unsere Forderung abgelehnt werden sollte. . . . Wenn wir jetzt in unserer heutigen Verfassung in eine äußere Aktion verwickelt würden, trügen wir selbst den Keim unserer Niederlage in uns. Kann ein Heer aktionsfähig sein, welches in zwei Lager gespalten ist, in welchem die Jüngeren den Aelteren befehlen und bei der Beförderung bloß darauf geachtet wird, wer zu den Verschwörern ge hört? Das Kommando ertönt heute im serbischen Heere von unten und nicht von oben. Die Befehle und Ukase des Königs werden mißachtet und zerrissen, der Offizierseid und der Offizierswaffenrock liegen im Schmutz und sind mit Blut befleckt." Daß derNeid bei diesen Expektorationen eine Haupt rolle spielt, hoben wir schon neulich hervor; hier wird es offen zugestanden. Wäre die Entrüstung der Verschwörer tatsächlich eine rein moralische, dann hätten die Herren dem König Peter den Eid nicht schwören dürfen; da sie es doch taten, erklärten sie sich mit der Wendung der Dinge einverstanden. Wenn ihnen nun hinterher erst ein Licht darüber aufgeht, daß sie schlecht gefahren sind, so rechtfertigt dies ihr jetziges Gebühren in keiner Weise. Uebrigens scheinen die Straßen Kundgebungen am 9. September gegen die Redakteure der beiden Zeitungen vorbereitet gewesen zu fein. Die Demon strationen waren angekündigt gewesen und hätten von der Polizei verhindert werden können, was aber nicht geschehen ist. Die Herausgeber der beiden Blätter suchten bei der russischen Gesandtschaft Schutz, da sie solchen bei den serbischen Behörden nicht fanden. Die Zeitungen verurteilen scharf das Verhalten der Polizei, die nicht entschieden genug eingeschritten sei. Die Demonstranten sollen von einem Gendarm angeführt worden sein. Die Militärpatrouille wollte sich ebenfalls der Demonstration gegen die ,Becerne Novosti" anschließen, wurde aber von dem Offizier daran gehindert. Der Chef deS serbische« Preßbureaus, Alexander Petrowitsch, wurde von den Ver schwörern bedroht und flüchtete ins Ausland. Die Vorgänge im Orient. Aus Sofia wird uns berichtet: Die hiesigen Leiter des makedonischen Revolutionscomites geben zu, -aß die Aufständischen während der vorigen Woche im Vila- jet Monastir sehr schwere Verluste erlitten haben. Nach den hiesigen Schätzungen sind in den Kämpfen um Klissura und Neveska gegen 800 Bulgaren gefallen. Eine sehr schwere Niederlage erlitten die Aufständischen auch bei Hermentichiko, einem Landstädtchen nahe bei Florina. Diesen Ort hatten 600 Bulgaren besetzt; dieselben wurden jedoch, während sie die widerstrebenden Bewohner auS- plünderten, von zwei Bataillonen Türken überrascht und bis arrf 200 Mann nicdergemacht. Seit Ende Juli be ziffern sich die Verluste der Bulgaren auf 3000 Mann. Trotzdem denken die Leiter der Bewegung noch keines wegs an eine Aufgabe des Kampfes. Sic kündigen viel mehr an, daß in den westlichen Bezirken die Ucberresta deS Freikorps sich v 0 r l ä u f t g i n die Gebirge zurück» ziehen würden, wo an verschiedenen Punkten große Vorräte an Lebensmitteln und Dynamit für den Winter aufgespeichert seien. Die türkischen Truppen würden da her auch während der Wintermonate keine Ruhe haben. Feuilleton. 8s Ingeburgs Kinder. Roman von MargareteBöhme. '-.aa nuck ertöten. „Aber so was. . ." Nun wurde sie trotzig. „Es ge hört zu meinem Metier, -aß ich mich in ungewöhnliche Situationen versetze. Wie soll ich sonst Studien machen?" „Ueberlaß es mir, dir weitere Gesichtskreise zu er- schließen. Ich werde mit Kusekoff reden." „Wer ist Kusekoff?" „Mein bester Freund. Ein liebenswürdiger Mensch und sehr gefällig. Er verkehrt in den besten Kreisen. Er ist sehr reich. Ich verdanke ihm auch meine Stellung bet Leisemann." „Ich glaubte nicht, daß du jemand etwas verdanken müßtest." Die Schärfe ihres ToneS chokierte ihn. „Du wirst es auch noch verstehen lernen, daß man mit dergleichen kleinlichen Vorurteilen nicht weiterkommt. Das moderne Leben beschwert uns Menschen ohnehin mit einem solchen Pack von ideellen und materiellen Rück sichten, daß wir froh sind, wenn eine wohlmeinende Hand einem ein wenig den Rücken stützt." Thyra schenkte sich noch eine Taffe Kaffee ein. „Und was ich dir noch sagen möchte, Thyra ... du brauchst auch nicht jedem Beliebigem zu sagen, daß du Schriftstellerin bist. Du hältst dich hier zu deiner wissen schaftlichen Ausbildung auf. Das genügt. . ." „Aber warum? Ist die Schriftstelleret eine Schande?" Das nicht. Aber du glaubst nicht, wie der Stand hier in Berlin und überhaupt im allgemeinen diskreditiert ist. Und mit Recht. Denn was sich heute nicht alles „Schriftsteller" schimpft, daS ist ja schon rein zum Lachen. Ja, wenn man erst den Namen hat. Aber wenn doch jemand fragt, wo deine Arbeiten bereits erschienen sind, und du nennst irgend welche Minkelblätter... Du lieber Gott, waS besagt das? Jedes Karnickel kann da mal ab- gedruckt werden." Thyra wußte nichts darauf zu erividern. „Willst du schon gehen, Fritz?" ,Hch muß um halb zehn in der Klinik sei». Gegen sechs Uhr komme ich wieder und hole dich ab. Du mußt jetzt ein bißchen schlafen. Adieu, Serie!.. Er klopfte ihr zärtlich die blaffen Wangen. „Du bist ja so müde, ich seh dir's an. Bis nachher." Dann war er fort. Als das Mädchen die Sachen vom Tisch getragen hatte, warf Thyra sich, halb ausgekleidet, aufs Bett; aber auch jetzt kam sie bet aller Ucbermüdung nicht zum Einschlafen. Nach einer Stunde stand sie wieder auf und machte etwas Toilette. Dann packte sie ihren großen Neisekorb aus und räumte die Sachen in Schränke und Schubfächer. Ihre Manuskripte legte sie in den Schreibtisch, der, gerade als habe das Zimmer- chen auf seine Bestimmung, ein Schreibmädel zu be herbergen, gewartet, sehr günstig an einem Fenster plaziert war. Die Stunde körperlichen AusruhenS hatte in das ChaoS ihrer durcheinander wogenden Empfindungen etwas mehr Ordnung und Klarheit gebracht. Deutlich erkannte sie, daß sie an dem verflossenen Abend, -essen bunt« Stunden wie ein kleiner Ficbertraum hinter ihr lagen, im Begriff gewesen war, etwas von ihrer Ueberzeugung dran zu geben und ein Stück ihres Selbst zu opfern. Nein, sie wird weder Kronau, noch Doktor Sonntag ihre Manuskripte schicken. Sie wollte sich niemand ver pflichten, und noch viel weniger jemand etwas verdanken. Einzig auf eigene Kraft gestützt, wollte sie weiterstreben, ihrem hochgesteckten Ziele entgegen. Und wie sie dachte, kam wieder ihr altes, stolzes Kraft gefühl zurück. Sie wollte das Schicksal zwingen, ihr zu dienen. Die größten Menschen aller Zeiten hatten mit Schwierigkeiten und allerhand Mühsalen zu kämpfen, bis sie ihr Ziel erreichten; auch sie wollte sich nicht von etwaigen Mißerfolgen Niederdrücken lassen. Einmal würde ihre Stunde kommen. Mechanisch durchblätterte sie das Rvmanmanuskript. Und je länger sie darin las, desto fröhlicher und zuver sichtlicher wurde ihre Miene. Sie war ihren eigenen Arbeiten eine strenge Kritikerin, aber so eingehend sie auch prüfte, sie fand nichts zu verbessern. Der Stil mochte noch hier und da etwas zu wünschen übrig lassen, aber die Idee war neu, originell, ihre aufgestellten Be hauptungen logisch und scharfsinnig belegt, die Hand lung fesselnd und geistreich kombiniert. Sie wollte die Arbeit jetzt nach Stuttgart schicken, an die Redaktion, die ihr damals so wohlwollend ge schrieben hatte. Bei den anderen Manuskripten hatte diese Redaktton freilich nur gedruckte Begleitschreiben gelegt, wenn sie sie zurückschickte, aber das wollte sic ihr nun nicht länger nachtragen. Gleich morgen sollte der Roman fort. Unterdessen war der Vormittag vergangen und ein Tam-Tam rief die Hausgenossen zu Tisch. Im Speise zimmer, einer sogenannten Berliner Stube, in der den ganzen Tag die Gasflammen brannten, lernte Thyra die Mitbewohner der Pension und die Hausfrau kennen. Frau Margarethe Weingarten war noch eine junge Frau. So Anfang der Dreißiger. Sie war mittel groß, hübsch gewachsen und geschmackvoll angezogen. Ihr längliches Gesicht, das die aufgelockerte Frisur des aschblonden Haares noch schmäler erscheinen ließ, bestand eigentlich nur aus Augen, mächtigen, dunkelbewimperten Augen von eigenartiger, glasheller Farbe und schimmern dem tiefen Glanze. Eine interessante, sympathische Er scheinung. Ihre dreizehnjährige Tochter Käthe war ihr Ebenbild, nur etwas ins Derbere übersetzt; das Haar der Kleinen spielte stark ins Rot; es hing ihr in zwei dicken Zöpfen über den Rücken herab und war so lang, daß sie sich bequem darauf setzen konnte. Die Pension war zur Zeit nur schwach besetzt. Außer der russischen Studentin waren da: zwei Engländerinnen, die sich nur vorübergehend in Berlin aushieltcn, ein Ehe- paar aus Ostpreußen, das seinen Besitz dort verkauft hatte und sich nun in Berlin akklimatisierte, um, wenn eS ihm zusagte, für immer dazubleiben, ein junger Musiker, der das Konservatorium besuchte, zwei junge Mädchen, die sich unter Frau Weingartens Leitung im Haushalt vervollkommneten, ein mexikanischer P-rosesior der Astronomie und eine kleine, lebhafte, schon ältere Dame, Fräulein Madclaine Dupuy, aber trotz ihres französischen Namens Vollblutberlinerin, mit echtem Spreewasier ge tauft, wie sie lachend versicherte. Fräulein Dupuy saß neben Thyra. Als sie hörte, daß diese zum ersten Male in Berlin rvar, legte sie eine zutuliche Vertraulichkeit an den Tag und gab allerlei gute Ratschläge. Dann kam sie aus sich selber zu sprechen. Sie war lange Jahre in vornehmen Familien -es In- und Auslandes Konus supßrisurs und gvvornss kinisksck gewesen. Es schwirrte nur so von Grafen, Herzoginnen, Marquisen und Myladies in ihren Reden. Seit Jahren privatisierte sic. Ihr einzigstes Ideal war, Millionärin zu werden. „Das sei wohl kein ganz ungewöhnlicher Wunsch . . . jedenfalls teile Fräulein Dupuy denselben mit ziemlich vielen Leuten", meinte Thyra lächelnd. Fräulein Madclaine lächelte geheimnisvoll. „Den Wunsch viel leicht, aber nicht den festen Willen und die Fähigkeit, aus dem Wunsche eine Tatsache zu machen." Sie aber, sie besaß diese Fähigkeit. Sie erfand Patente. Vier Patente hatte sie schon, aber es war noch keins so das rechte . . . „Das Einschlagende, wissen Sie . . ." Nun hatte sie wieder eine Erfindung gemacht. DaS Modell war jetzt gerade im Reichspatentamt. Nur ein einfacher, kleiner Gegenstand, aber praktisch, und deshalb epochemachend. „Gerade die kleinen, praktischen Gebrauchsgegenstände bringen ihrem Erfinder das meiste Geld, müssen Sie wissen." Die Millionen liegen immer noch auf der Straße, man muß sie nur zu finden wissen." Vorläufig hatte sie keine gefunden. Das kleine, bürgerlich einfache, aber gut zubereitete Mittagsmahl verlief unter allseitig heiterer Stimmung. Die anmutige, freundliche Hausfrau verstand cs, eine Atmosphäre der Behaglichkeit um ihre Gäste zu verbreiten, so daß sich jeder in ihr«m Hause und an ihrem Tische wohl fühlen mußte. Nur der Mexikaner machte eine unrühmliche Ausnahme in der heiteren Runde. Mit bitterbösem Gesicht hieb er in den Braten ein, und die Vertilgung von Kompott und Gemüse wurde mit einem Fanatismus von ihm betrieben, als repräsentierten sich in den schuldlosen Biktualien alle Uebelstände des Da seins, die er kraft seiner Ueberzeugung ausrotten mußte. Auf eine Frage, weshalb er denn heute so schweigsam sei, gab er in knurrendem Tone eine etwas konfuse Antwort. „Revolution überall: überall werfen sie ihre verrückte» Thesen hin, die verflixten Modernen, nicht einmal die ehrwürdige Majestät des Firmaments ist vor ihnen sicher. Ein neues Planetensystem wollen sie <rufstellen. Schiepa- relliS Weisheit wird zum alten Eisen g«worfen . . « diese. . . diese ..." Er brach, wohl in der Erkenntnis, profanen Ohren zu predigen, rasch ab und versank wieder in sein finster brütendes Stillschweigen. Fritz Christiensen fand seine Schwester in munterster Laune, als er sie punkt sechs Uhr abzuholen kam. Da er sich aber selber in sichtlicher Erregung befand, merkte er kaum etwas davon. Er war ganz konsterniert, da» heißt, nicht eben in schlimmem Sinne. Sein Freund Kusekoff hatte sich heute morgen mit Gustt Lcisemann verlobt. Man hatte immer schon ge- munkelt, daß etwas Derartiges in der Luft schwebte, aber Kusekoffs Freunde hatten das Gerücht fivr unbegründet gehalten. Es war so ganz überraschend gekommen. Als man am verflossenen Abend Kusekoff mit einer An-
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