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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040116023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-16
- Monat1904-01
- Jahr1904
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846 Gin« Etzfdnni« her Unlerlchlagnngen. Au« Vern, tä. Januar, wird uns geschrieben: In einer Woche^ vier Fälle von Unterschlagungen öffentlicher Gelder! In St. Gallen unterschlug Oberstleutnant Fenk, der zu- chcich BezirkSsörster war, 13 000 Francs, in Morge« am Genfersee der Buchhalter der Lagerhäuser des Bahn hoses, Felix Bourlod, l 12 000 Francs, in Nencnburg der Bureauchef der Handelsschule, Albert Dereat, 11757 Francs und der Ches des Telephon-Bureau in Cbaux-de-sondS, Nauny I. Weißmüller, 43 000 Francs. Bisher galt das schweizerische Beamtentum im allgemeinen gefeit gegen BertrauenSmißbrauch, obwohl hin und wieder ein Angestellter sich voloser Bergehen schuldig machte. Ader schon während ve» letzten Sommer« wurde diese Annahme durch die Berfehlungen mehrerer höherer Truppensührer erschüttert und jetzt, wo sich die Fälle der Unterschlagungen öffentlichen Gutes derart hänfen, hat sich der Bevölkerung eine Panik bemächtigt, welche gegen die Fehlbaren in demonstrativer Weise zum Ausdruck kommt. Die Schweiz hat vorwiegend Parteiwahlen. Beamte der Verwaltung, Mitglieder der Gesetzgebung, Richter aller Instanzen werden meist durchs Volt gewählt, das in erster Linie auf die politische Farbe und erst in zweiter Linie auf die Qualität der Leute siebt. Tüchtige BersammlungSredner, fleißige BereinSmeier, rührige Parteigänger haben immer die meisten Chancen, sich in die grünen Sessel hinaufzuschwingen. Den Sozialdemokraten kommt das zweifelhafte Verdienst zu, die Demokratie bis zur Fratzen hastigkeit mit popularisiert und verflacht zu haben. Richt allein Bannwarte, Hebammen, Dorswächter und Zuchtsiier- balter werden jetzt durch da» Volk gewählt, sondern auch die ReaierungS» und Landrätt, die Richter, Pfarrer, Lehrer und iu Zukunft will man sogar die Volk-Wahl de- BundeSraieS und der Offiziere auf dem Wege der Initiative anstrrben. Und all diese Wahlen erfolgen unter politischen Schlagworten und Phrasen, im angeblichen Interesse der allgemeinen Volk«- wohlfahrt und der Ehre de« Lande«, in Wirklichkeit aber zu gunsteu irgend einer Partei. Und hierbei sind alle Parteien gleich schuldig. Diese Duodezdemokratie im Taschenformat hat die Qualität des Beamtentums empfindlich herab gedrückt und zu den Kreationsorganen in em unwürdiges ValallitätsverhaltniS eingezwängt. DaS ist ja leicht begreif lich. Was nützt eS, sich in geistiger Arbeit aufzureiben und da« Pflichtbewußtsein zu schärfen, wenn Tüchtigkeit und Ge wissenhaftigkeit niedriger eingefchäytwerden alsvieParteibüffelei und der politische Kotau? Aber auch da, wo die Volkswahl noch nicht gesetzlich ist und die Berufung durch staatliche Organe erfolgt, entscheiden in der Mehrzahl der Falle politische Er wägungen. Run zeigen sich Teilfolgen: wie Korruption, BertrauenSmißbrauch, Verbrechen. Die vier ungetreuen An gestellten waren gut bezahlt, sogar in glänzenden Stellungen, aber den Aufgaben nicht gewachten und nicht erfüllt und getragen vom BerufSeifer und Pflichtbewußtsein. Die jetzigen Er fahrungen werken kaum erschöpft sein, über kur; oder lang werden neue Fälle die alten ablöfen und den Groll des Volkes verichärfen und zur Explosion bringen. Und besser wird eS erst werden, wenn das wirkliche Verdienst dem Amt einen Mann gibt und nicht die leere Pro tektion dem Manne ein Amt. Deutsches Reich. * Berlin, l6. Januar. * Der Kaiser eröffnete hente den preußischen Landtag mit folgender Thronrede: .Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Landtages! Indem Ich Sie am Beginn eines neuen Ab schnittes der parlamentarischen Arbeiten begrüße, ist eS Meinem Herzen ein Bedürfnis, zunächst Meinem tiefempfundenen Danke Ausdruck zu verleihen: dem Danke gegen die göttliche Vorsehung, die Mir eine schnelle Genesung schenkte, und dem Danke gegen Mein Volk, das in allen seinen Schichten voll inniger Teilnahme seinem Landesherrn die Treue bewährte, die in guten und bösen Tagen Preußens König und Volk un trennbar verbindet. Zahlreich und schwerwiegend sind die Aufgaben, für deren gedeihliche Lösung Ich auf Ihre einsichtsvolle Mit arbeit rechne. Die Finanzlage deS Staates hat sich nach einer kurzen Zeit des Rückganges wieder günstiger ge staltet. Ein neuer wirtschaftlicher Aufschwung zeigt sich in der Wiederbelebung des Verkehrs bei den Staats bahnen und in der Hebung der Staatseinnahmen. Die Rech nung des Jahres 1902 hat günstig abgeschlossen. Im Rech nungsjahre 1903 wird voraussichtlich der zur Verfügung ge stellte Staatskredit von 70 Millionen nicht in Anspruch ge nommen werden. Es wird sich vielmehr noch ein Ue bei t' ch u ß ergeben. Auch in dem Entwürfe des StaatShauShaltS- etatS für 1904 war eS möglich, das Gleichgewicht zwischen den Einnahmen und Ausgaben herzustellen. Ohne außerordent liche Mittel zu Hülfe zu nehmen, ist den wachsenden Anforde rungen einer fortschreitenden Kulturentwicke lung Rechnung getragen worden. Für die Ausgestaltung der Anlagen und die Vermehrung der Betriebsmittel der StaatSeisenbahnen sind reichliche Beträge vorgesehen. Der geringst besoldeten Klasse ihrer Angestellten, den Bahn wärtern, ist eine Gehaltsaufbesserung zugedacht. Zur Erweiterung de« BahnnetzeS und zur Unterstützung von Kletnbahnunter nehmungen, die der Wirt- schaftlicben Förderung de» Landes dienen, werden wieder er hebliche Mittel von Ihnen erbeten werden. Ebenso wird der bereits in den Vorjahren beschrittene Weg einer Verbesserung der W o h n u n g S v c r h ä l t n i s s e der in Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und der gering besoldeten Beamten in einer neuen Gesetzesvorlage weiter verfolgt. Zu Meiner lebhaften Befriedigung hat die vorjährige große Ausstellung der Deutschen LandwirtschafrSgrsellschaft Meine Uebcrzcugung gefestigt, daß die landwirtschaftliche Be völkerung aller Provinzen tatkräftig bestrebt ist, die Errungen schaften von Wissenschaft und Praxis zu nützen und so in hartem Kampfe die Erträge des heimatlichen Bodens zu mehren. Mit um so größerer und schmerzlicher Teilnahme erfüllte Mich die Heimsuchung mehrerer östlichen Provinzen, namentlich Schle siens, durch verheerende Hochwasser. Zur Linderung der Schäden sind Staatsmittel in erheblichem Umfange bereitgestellt worden, für deren Verwendung Ihre nachträgliche Zustimmung eingeholt wird. Den Gegenstand Meiner besonderen Fürsorge bildet das Bestreben, die Hochwassergefahren durch Ausbau der Flüsse und zweckmäßige Gestaltung ihres UeberschwemmungsgebieteS dauernd zu vermindern. Daher wird Ihnen ein Gesetzentwurf alSbald zugehen, worin für eine Verbesserung der Vorflut an der unteren Oder und Havel sowie an der Spree die Mittel gefordert werden. Ein weiterer Gesetz entwurf für die Regelung der Hochwasserverhältnisse an der oberen und mittleren Oder ist in Vorbereitung. Er wird Ihnen nach Fertigstellung vorgelegt werden. Auch eine allgemeine gesetzliche Regelung der Freihaltung des UeberschwcmmungS- gebieteS der Flüsse ist beabsichtigt. Ferner wird von Ihnen die Bewilligung der Kosten für die notwendigste Ergänzung des Netzes der Binnenwasser str a h e n beantragt werden. Im Hinblick auf die erheb lichen Staatsmittel, die der unaufschiebbare Schutz gegen die Hochwassergefahren erheischt, beschränken sich diese Forderungen auf den Ausbau der dringlichsten Wasserstraßen im Osten und im Westen der Monarchie, und zivar auf den Ausbau des GroßschiffahrtSwegeS Berlin-Stettin, die Kanali sierung der Oder von der Mündung der Glatzer Neiße bis Breslau, die Verbesserung der Oder-Weichsel- Wasserstraße einschließlich der Warthe und auf die Herstellung einer SchiffahrtSstraße vom Rhein bis nach Hannover. In der Ausführung dieser Vorlagen erblicke Ich eine der volkswirtschaftlich wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Zwei großen Staaksinteressen soll in gleichem Maße gedient wer den: dem Schutz und der Förderung, deren die Landwirt schaft bedarf, wie der Sicherung und Befestigung der Stellung, welche Handel und Industrie in rastloser Arbeit sich errungen hab»». Mit Vertrauen und Zuversicht sehe Ich dem Verlauf Ihrer Beratungen entgegen. Die beiden Häuser des Landtages wird fortan e i n Hein» vereinigen; möge der gemeinsamen Arbeit an gemeinsamer Stätte ein voller Erfolg beschicken sein." * Ueber das Verhältnis zivi'chcn de« Höfen von Berlin «nd Karlsruhe schreibt die „Natlib. Korresp.": „Mit Recht ist kn der Presse daraus, daß zum bevor stehenden Geburtstage des Kaisers der Besuch des GroßherzogS und der Großherzogin von Baben am Kaiserhofe zu erwarten steht, ge folgert worden, das hin und wieder aufgetauchte Ge rücht von Verstimmungen zwischen Berlin und Karlsruhe könne nicht wohl besonders ernst genommen werden. Wie wir zuverlässig hören, liegt vor allem keinerlei politische Verstimmung vor. Auch der unlängst erfolgte Wechsel in der Be setzung des badischen Gesandtenpostens in Ber.in hat mit der Politik nichts zu tun. Die Uebereinstimmung der Berliner und Karlsruher Regierung in Bezug auf grundlegende Fragen der Reichs- und einzelstaatlichen Entwickelung ist so weitgehend, wie nur gewünscht wer den kann. Sofern im Laufe des letzten Jahres wirklich einmal von einer Verstimmung zwischen Berlin und Karlsruhe sollte die Rede gewesen sein, würde sie mit der Politik gar nichts zu tun haben, vielmehr nurpersön- liche Beziehungen betreffen, und mit der Ankündi gung des Besuchs der großherzoglich badischen Herr schaften in Berlin zum Geburtstag de« Kaisers a l s überwunden zu betrachten sein." — Diese gewiß sehr gut gemeinte scharfe Scheidung von politischen und per sönlichen Differenzen ist leider in der Praxis nicht immer ausrecht zu halten, denn eS ist bekannt genug, daß pvli- tische Zwistigkeiten ausnahmslos auch die persönlichen Beziehungen beeinflussen, und ebenso ist das Umgekehrte bei so prominent politischen Persönlichkeiten der Fall. Jedenfalls ist eS aber lieblich, zu hören, baß -wischen den Höfen wieder Frieden geschloffen ist. * Rücktritt »eS «Hess des MilttSrkabtnettSff Daß der Chef de» Militärkabinetts, Generalleutnant Graf von Hiilsen-Häseler in den nächsten Tagen von seiner Stellung zurücklrrten werde, will daS „Kl. Iourn." erfahren haben. Meinungsverschiedenheiten über die in letzter Zeit so viel erörterten Uniform fragen hätten die Veranlassung zu diesem überraschenden Ereignis gegeben. Als Nachfolger deS Grafen Hüljrn-Häseler werde Generalmajor v. Mackensen genannt. Die Richtigkeit dieser Melcung wird jedoch in parlamentarischen Kreisen stark bezweifelt, und die „Post" kann sogar „auf Grund zuverlässigster Informationen" ver sichern, „daß diese ganze Meldung vollständig aus der Luft gegriffen ist". * Bei der Reform der Strafprozessordnung, mit welcher der Reichstag befaßt werden wird, sobald das Resultat der jetzigen Lachoerständigen-Beratungen zu gesetzgeberischen Vorschlägen gesichtet und zu verwerten ist, soll nach der Absicht der leitenden Instanzen auch be sonderer Wert gelegt werden auf die Prüfung der Frage, wie wett das Maß mancher Strafen mit den fortgeschrittenen sozialpoliti schen Anschauungen im Einklang steht. Nach dem jetzigen Strajprozeßverfahren wird bei der Ab messung der Strafen nicht selten abgesehen von der w t r t s ch a s t l i ch e n Leistungsfähigkeit der Per son, welche gestraft werden soll. Einer Rechtsprechung, welche den sozialpolitischen Anschauungen der heutigen Zeit gerecht wird, kann eS nicht einerlei sein, ob durch das Maß einer Strafe eine wirtschaftliche Existenz ver nichtet wird oder nicht. * Ter Ausschuß für PensionSversichernng, der von den Verbänden und den provinziellen Vereinigungen der Privat angestellten begründet worden ist, hält heute und morgen am Sonntag in Berlin Sitzungen ab. Heute soll eingebend das Gerippe einer zukünftigen Pensionsversicherung der Privat angestellten besprochen werden und morgen soll mit Abgeord neten der Parteiendes Reichstags, die sich der Sache freund lich gegenüber stellen, so mit den Reichstagsabgeordneten Patzig, Siltert, Richthofen u. a. die Frage durckgesprochen werden. Am Montag wird eine Abordnung im Reichsamte des Innern die Ergebnisse der zweitägigen Verhandlungen vortragen. * Tic wasserwirtschaftlichen Vorlagen werden dem preußischen Landtage nicht unmittelbar nach seiner Er öffnung zugehen können. Die Vorbereitungen dieser Vorlagen, insbesondere der Wassenstraßenvorlage und des zu deren Begründung dienenden Kartenmaterials, sind noch nicht zum Abschlüsse gebracht. Man wird nach deren Stande nicht daraus rechnen können, daß der Ent wurf vor Mitte Februar zur Vorlegung an den Landtag bereit sein wirb. Für die Beschlußfassung über den Zeitpunkt der Einbringung können vielleicht aber auch noch technische Erwägungen Bedeutung gewinnen. — Der Kaiser hat Gorbon Bennett eingeladen, während der Rennwoche in Homburg um den Gordon Bennett-PreiS sein Gast zu jein. — Zur Ausbildung der Saisersbhne schreibt Provinzial vikar Reinicke-Groß-Schwechtcn »Altmark, der früher Civil- rrzirhrr auf Schloß Plön war, dem „Altm. Jnl.-Bi." folgendes: „Zu der Notiz, daß Prinz Joachim nicht wie seine Brüder eine Kadettenaaslalt besuchen werde, gestatten Sie folgende Be merkungen: Tie noch jetzt in Plön ausgebildeten Prinzen August Wilhelm und Oskar werden nicht auf der Kadettenanstalt unter richtet. Es begeht für ihre Ausbildung eine selbständige Prinzen schule mit fünf Lehrern und einem Pfarrer, welche die Käisrrsöhne nach dem Lcbrplan des humanistischen Gymnasiums unterrichten, nicht, wie es im Kadettenhaus geschieht, nach dem deS Realgymnasiums. Ein Zusammenhang der Prinzenjchule mit dem Kadettenkorps be steht nur dadurch, daß die sechs Mitschüler der Prinzen Ka- detten sind und im Kadettenhause wohnen; auch besuche» die Prinzen zuweilen, aber verdältnismäßig selten, Len sonntäglichen Gottesdienst der Kadettenanstalt. Sonst werden ilmen die täglichen Morgenandachten und die Sonntagsgottesdienste besonders im Prinzrnhause von ihrem eigenen Seelsorger gehalten, der ebenso wie die Lehrer der Prinzcnschule mit dem Kadettenkorps i» gar keinem Zusammenhang slehr. Auch der militärische Gouverneur der Prinzen ist dem Kommandeur de- Kadettenbauses dienstlich nicht unterstellt. Man kann also nicht sagen, daß die Söhne Sr. Majestät auf einer Kadettenanstalt ausgebildet wurden." — Die Insel Pich elswerder, welche anläßlich der Erörterung des vom „Vorwärts" erfundenen Kaiferinfelprojektes viel genannt wurde, foll, wie die „Bosf. Ztg." meldet, jetzt vom Fiskus zu Bebauungszwecken verkauft werden, und zwar im Zusammendang mit dem Ban der Berlin-Tvbrritzer Heerstraße. Ein Lett der viele Millionen betragenden Brückenbaukosten für die Berlin-Töberitzcr Heerstraße, deren Bewilligung im Landtage mehr als zweifelhaft jein würde, solle au- dem Erlös des Landvcrkaufs gedeckt werden. Die Insel ist ungefähr 200 Morgen groß. — Del den Meldungen über dse LegatsonSrüt, vr. vumikker und l)r. Ztminerinana, deren Bestellung zu KolonialattachS« iu Paris bezw. London vorgestern in der Budgrtkom Mission des Reichstag- zu heftigen Debatten Veranlassung gegeben hat, wird übersehen, daß beide Herren vor ihrer Entjendung nack Paris und London zur Disposition gestellt sind; sie werden also auch, nachdem ihre Stellungen bei den Botschaften gestrichen sind, da« Gehalt der zur Disposition gestellten Beamten weiter beziehen. — Die „Freisinnige Zeitung" hält sich darüber auf, daß in den dem ReichZiage zugegangenen RechnungSergebniffen der JnvalidenversicherungSanstalten keine Angabe über die Zahl der Ende 1902 lausenden Renten gemacht ist. Wer auf sozialpolitischem Gebiete unterrichtet ist. weiß, daß viertel jährlich vom Rcichsvcrsicherung-amte die genauen Zahlen über die laufenden Renten veröffentlicht werden. Ueber die Zahl der Ende 1902 laufenden Renten wußte jeder, der sich darum kümmerte, demgemäß gerade vor einem Jahre schon ganz genau Bescheid. — Das erste Petition-Verzeichnis ist im Reichs- tage au-gegeben worden. Verschiedene Eingaben verlangen Er höhung des für ihre Wohnorte oder Gemeinden festgesetzten Woh nungsgeldzuschusses oder Versetzung der Orte in höhere ServiS- klasseu. Um Angliederung der kaufmännischen Schiedsgerichte an die Gewerbegerichte wird von verschiedenen Seiten gebeten. Eine Reihe von Handelskammern unterstützen die vom Zentralverbande deS deutschen Bank- und Bankieracwerbes eingereichte Petition, betreffend Abänderung de- Börsengewtzes und Reich-stempelgesetzeS. Der Verband der Viehhändler Deutschlands (Sitz Berlin) und Ge nossen bittet um Abänderung der Gewerbeordnung. — Tas Berliner politische Polen-TomitS wird dem nächst eine große Protestversammlung gegen die neuesten Phasen der antipolnischen Politik der Regierung einberufen. Ins besondere soll gegen da- geplante Verbot deS Gebrauches der polnischen Sprache in öffentlichen Versammlungen Einspruch erhoben werden. DaS Referat dürfte einer der neugewählten polnisch radikalen ReichSlagSabgeordnetcn übernehmen. — Tie kurzsichtigen und bedauerlichen Angriffe der „Kreuz zeitung" aus den Evangelischen Bund scheinen diesem, in Rheinland wenigstens, gut zu bekommen. In Neunkirchen bei Saarbrücken bildete sich am 10. Januar ein neuer Zweigverein, dem unter großer Begeisterung mehr als 500 Männer bei getreten sind. — Es verlautet in Kreisen der preußischen Oberlehrer, daß bei der Erteilung des Prosessortitcls nicht mehr wie seit Jahren die Zeit von der Anstellung an, sondern von der Anstellungs berechtigung an gerechnet werden foll. Ein entsprechender ininisleriller Erlaß werde in kurzer Zett erscheinen. — Ter jüdischen Lehrerbildungsanstalt ist vom Reichs kanzler die sonst lediglich den staatlichen Schullehrer-Seminarien »»stehende Befugnis ringeräumt worden, Zeugnisse über die wissen schaftliche Befähigung für den einjährig-freiwilligen Militärdienst auszustellen. — Ter große Ausschuß LeS Zentralvereins für die Hebung der deutschen Fluß- und Kanalschiffahrt nahm in einer gestern abend abgehaltenen Sitzung eine Resolution an, in der es heißt, der Zenwalverein begrüßt die be vorstehende Enqnste zur Feststellung der Arbeitszeiten kür das S ch i ff s p e r s o n a l in der Binnen schiffahrt mit Genugtuung und erkläre den von dem arbeits- ftatistifchen Beirat beschlossenen Fragebogen für nicht hinreichend klar und für unvollständig; er erwarte daher von dem Reichsamte des Innern eine nachträgliche Prüfung der Fragebogen unter Zu ziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. r. Braunschweig, 1t». Januar. (Privattelegramm) Durch Reskript des Regenten wurde der Landtag heute bis zum 25. Februar vertagt. * Dessau, 15 Januar. Ueber das gegenwärtige Be finden des Herzogs Friedrich von Anhalt-Dessau siegen neuerlich leider ungünstige Nachrichten vor. Der Herzog ist, wie bekannt, seit einigen Jahren gesundheitlich oft angegriffen und hat daher kürzlich die Staatsgeschäfte auf de» Erbprinzen übertragen. Es balle den Anschein, als wäre diese Entlastung von günstigem Einflüsse auf das Befinden des Herzogs gewesen. Leider scheint aber die Besserung nur vorübergehender Natur gewesen zu sein; denn, wie nach der „Post" zuverlässig verlautet, hat sich der Gesundheitszustand des greisen Fürsten in den letzten Tagen in bedauerlicher Weise verschlimmert. * Eschwcgc, 15. Januar. Für die im Wahlkreise Eschwege- Schmaitalvcn am l. März stattsindendeReichstagöersatz- wahl haben die Nationaiiiberaien auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, und es ist ein Kartell der Fr ri konservativen und Nationalliberalen zustande gekommen. Die Freisinnige Volkspartei hat den Volksschullehrer Otto Merten in Berlin als Kandidaten ausgestellt; er hat die Kandidatur angenommen. Merten ist Vorsitzender des Wahl vereins der Freisinnigen Volkspartei im 6. Berliner Reichs- tagSwahlkreise. Bei der Reichstagswahl hatte Merten gegen den Fürsten Bismarck im Wahllreise Jerichow kandidiert. * Elberfeld, lö.Januar. Die nationalliberale „Elberfelder Zeitung", die über lOO Jahre besteht und seit dem Jahre 1831 im Berlage von Samuel Lucas erscheint, geht am 1. April käuflich an den »Sekretär der nationalen Parteien Bacm ei st er in Essen und den Redakteur Trarbert von der „Rhein.-Westf. Zeitung" in Essen über. -7- Altenburg, 15. Januar. Die Aussperrung der Eisenberger T ö pf > r g e s e 11 e n hat ihr Ende ge- sunoen. Sämtliche Ausgesperrte konnten wieder eingestellt werden. Walde. Axtschlag und Zuruf schollen den ganze» Vor mittag durch die schweigende Stille, urit lautem Aechzcn neigten die Baumriejen ihr bezweigtes Haupt, den Boden weithin bedeckend mit den ausladenden, mächtigen Zweigen und Aesten. Bis gegen zehn Uhr vormittags halten sie geschafft, als die höher steigend« Sonne zum Aufhüren mahnte. Ein gellender Pfiff, und Axt und Beil sanken nieder; die Männer schlüpften ins Dickicht, um im belebenden kühlen Schatten sich an Speise und Trank güt lich zu tun. Mister Bvoth will in das Bvrkenhäuschen gehen, das er sich eingerichtet, da hört er Glöckchcnklang. Sein Maultiergespann ist es. mit dem leichten offenen Wagen, auf dem seine Gattin sichtbar wird. Vor Freuden außer sich, bleibt er stehen und läßt den Blick auf einem Kinderköpfchen haften, das unter dem weißen Hütchen zu ihm hinüberruft: „Pa, hier bin ich!" Eine Sekunde später Hält der Wagen. Fra» Mary schwingt sich gewandt hinaus und wirst dem Bon die Zügel zu. Ter Gaier hält sein Söhnchen im Arme und schwingt r- in die blauende Luft. „Mein Henri, mein Herzens- junge!" „Er wollte sich nicht zufrieden geben", plaudert die junge Krau zn ihrem Gatten gewendet, „als er hörte, daß Mammy Pa das Essen bringt, da mußte ich ihn mit mir nehmen, ich mochte wollen oder nicht." Er nickt ihr zärtlich zu. Ta- Bübchen strebt au- Len Armen des Baiers hinab. Er läßt ihn sanft zur Erd« gleiten. „Fall' mir nicht, Liebling, der Boden ist so schlüpfrig nach der Regenzeit." Ein zweiter Boy trägt Speise und Trank nach dem Borkenhäuschen, in das die Ehegatten ihm folgen, den Buben an -er Hand. Nach der Hitze draußen wirkt d,^ kühle Luft drinnen erquickend. Frau Mary ordnet die Speisen mit geschickter Hand aus dem einzigen Tisch« deS Hüttchens, nimmt Platz und läßt Mann und Kind sich setzen. Drei glückliche Men schen tafeln fröhlich, während draußen dir Mittag-Hitze brütet. — Längst ist die Ruhepause vorbei, wieder hallt der Axtschlag durch den Wald, ertönt warnender Rus, wenn sich ein Baumriese neigt zum Sterben. Henri hat sich hinauSgeschlichen auf den Holzplay. Den golbhaarigrn Knaben liebten alle. Da plötzlich, Mister Rooth ist eben ein wenig ein- genickt, hört er einen gräßlichen Schrei hcrüberklingen. „Henri, zurück! Um Himmelcwitteu, zurück, haltet auf!" Und abermals ein Schrei, noch lauter, noch schreck licher, Im Rn ist Bovth draußen, seinem Weid« versagen die Füße den Dienst, sie klebt am Boden. Er kommt eben noch zur rechten Zeit, um zu sehen, wie eine Rieseneichc ihre mächtigen Aeste senkt; unter sich begräbt sie ein weißes Kinderkleidchen, der letzte Zipfel lugt noch hervor. Ter Schrei, den der gequälte Vater ausstößt, hat kaum noch etwas Menschliches an sich. Mit einer Kraft, die nie mand für möglich gehalten, ist er zur Unhcilstätte geeilt und hebt dort den Riesenast von seines Knaben Leib. Der liegt, als schlafe er, ein dünner Blutstreifen sickert an seiner Schläfe hin, sonst nichts, kein Zeichen. Dem Riesen zittern die Knie, feine Augen füllen sich mit Tränen. „Er lebt!" ruf er. „Gott sei gedankt!" hebt den kleinen Körper — und läßt ihn sinken. Vom Hinterkvpfe klafft cs blutig zerschmettert, dcr kleine Schädel zerbrach — Henri ist nicht mehr. Ohnmächtig sinkt der starke Mann neben seines Sohnes Leiche. Entsetzt umstehen sie die Männer, kein Auge bleibt tränenleer. Da — ein Ruf deS Schreckens. Vom Bvrken- hüuSchen her tritt die Mutter näher, bleich wie eine Tote, doch mit ruhigem Gesicht. Die Leute weichen ihr scheu auS, ein feder fürchtet sich vor dem ParoxiSmuS des Schmerzes — allein sie schweigt, schweigt auch noch, als ihr Blick auf Henri fällt. Unter Anleitung des Aufseher- haben unter dessen vier Mann eine Bahre hergestellt. Sie bringen sie getragen und legen sanft und zart das tote Kind aus grüne Zweige. Mit Purpurblütrn decken sie sein weißes Ge- wand, dann setzen sie die Bahre nieder und mühen sich um ihren Herrn — MissiS Booth, als wäre nicht- ge schehen, nimmt an der Bahre Platz, macht mit der Hand die Bewegung des Wiegens und singt mit süßer Stimme ein deutsches Wiegenlied: „Schlnmmre m«in Prinzchen, schlaf ein". Entsetzt weicht alles zurück. „Die Arme Hal den Ver stand verloren", murmeln die Leute, und sie haben recht. Während Mister Bovth langsam zu sich und zum Bewußt sein seines Unglücks kommt, bleibt ihr da-selbc jahrelang verborgen. Sic lebt, sie vegetiert, itzt, trinkt und schläft, aber wenn der Abend kvmmt, befällt sie eine tiefe Trau rigkeit. Sie irrt dann in Hauö und Garten umher und sucht ihr verlorenes Kind, aber sie findet es nimmermehr, an seinen Tod kann sie nicht glauben. So ziehen freudenlos« Jahre über das einst so glück, liche Heim der Villa Marivn. Booth sieht mit Herzwch, ivie die Gestalt der heiß geliebten Frau verfällt, wie die Unruhe sie verzehrt, er möchte verzweifeln «n- hat nur den Trost, daß er sie bei sich behalten darf, denn bis auf die eine fixe Idee scheint sie gesund. Drei Jahre nach Henris Tode erblickt Margaret -a- Licht der Welt. Ihr Eintritt bringt Segen, denn von Stund an sucht Mary nicht mehr. Sie hat vergessen, daß sie einst einen geliebten Sohn besaß, alle ihre Sorge ge hört der Neugeborenen. Erst viele Jahre später fällt'- wie ein Schleier ab von ihrem Gemüt; sie weiß nun, wo sie den Sohn zu suchen hat. Seit sie Rudolf Wemeyer gesehen, will eS ihr scheinen, als gleiche er dem Frühverlorenen, al- müsse dieser, lebte er, nicht anders aussehen, sein und reden wie Rudolf We meyer. Und unierm Zwang dieser Gedanken öffnet sie ihm ihr Herz und läßt ihn die Tiefe ihre» Schmerze- sehen. Seitdem ist ihm Misst- Booth nur noch werter. Er be dauert fast, die lieben Menschen in Kürze nicht mehr zu sehen, denn übermorgen ankert der „Kaiser". Auch Mister Booth fühlt leises Bedauern, denkt er an Rudolfs Vorsatz. Was sucht er in New York? Für seine Branche ist dort nichts zu holen. Arbeiten will und muß der junge Mann, er selber hat's gestanden, weshalb denn nicht bei ihm? Gedacht, getan. Der Präliminarien ist'- nun genug. Am vorletzten Abend vor der Landung faßt Booth sich ein Herz und spricht Wemeyer an: „Wir sind unS nahe ge treten", beginnt er, „so nahe, wie es sonst nicht unsere Art ist. Aber wir haben nun einmal einen Narren an ihnen gefressen, lieber Wemeyer, wir alle, ich, meine Mary und daS Kind. Bon uns, unseren Verhältnissen, wissen Sie alle-. Aber —" hier machte er ein« Pause und räusperte sich, „wie stehl'- eigentlich mit Ihnen? Ich muß gestehen, da tappen wir noch immer in Dunkelheit und wüßten doch gern wo und wie." „Nein, lasten Sie nur", wehrte er, als Rudolf lebhaft auffahren wollte. „Ich bin nicht neugierig, und ich frage auch nicht mcinetwcgen. Wollen Sie uns nicht- weiter sagen, als daß Sic der Sohn deS reichen Wemeyer aus Berlin sind, der zum Pläsier die Welt bereist, mir auch recht, wollen oder mliffcn Sie gar, wie Sie einmal an- druteten, Ihr Brot selbst verdienen, obschon ich es nicht begreifen kann, dann wär'S an Ihnen, mir das zu sagen, denn vielleicht kann ich Ihnen dabei behülfllch sein." Rudolf kämpfte einen Augenblick mit sich, dann faßte er de- Niesen Hand. „Sie sind sehr gütig zn mir, Mister Booth", sagte er warm, „und Sie verdienen mein Vertrauen, nur tut eö Mir sehr weh. Fch — ich habe Unglück gehabt, mein Vater trennte sich von meiner Mutter, um ein ganz junge- Kind zu freien, das zufällig ich liebte; das ist alles." „Entsetzlich!" rief der andere teilnehmend aus. „DaS klingt ja wie ein Roman. Und ist geschehen. Seit wann — schon lange?" „Leit etiva drei Monaten ist er der Gatte dieses Mädchens." „Und das treibt Sie von Haus und Hof, Sie armer, armer Kerl? Ja, jetzt verstehe ich alles. Ich kann be greifen, daß eS Sic nicht wieder in die Heimat zieht, daS Liebesglück des alten Narren mit eigenen Augen anzu sehen. Möcht' ihm nur wünschen, dem sauberen Herrn Papa, daß ihm einmal ein x-beliebiger Jüngerer Hörner aufsetzt, so lang und groß, daß jeder ihm den Hauptschmuck ansieht." Er hält inne, als er Rudolfs Gesichtsausdruck gewahrt. „Lassen wir ihn", sagte er mit einer Handbewegung, als schiebe er jemanden ganz weit von sich ab, „beschäftigen wir uns einmal mit dem, was uns hier näher liegt, mit Ihrer Zukunft. Wie haben Sie sich die gedacht?" Wemeyer zuckte die Achseln. „Ich weiß eS nicht", sagte er verstimmt. „Ich werbe schon etwas finden, daheim war das unmöglich, weil jeder meines Baiers Namen und Firma kennt und niemand mich ernst nimmt." „Wissen Sie was, kommen Sie zu mir!" rief Booth plötzlich auS, als falle ihm die Idee erst jetzt bei. „Da wäre für uns beide das Beste", fuhr er fort. „Mir ist geholfen und Ihnen! ersxo schlagen Sie ein." Er hielt Rudolf die Hand hin, der aber schlug nicht ein. „Ich weiß nicht", sagte er zögernd, „ob ich annehemen darf. Mir lebt daheim nur noch die Mutter. Sie ist, wie Sie sich denken können, noch übler daran, als ich, denn ich bin jung und kann hoffen, daS kann sie nicht. Jst'S des halb recht, wenn ich so weit von ihr gehe?" „Ob Sie nun hundert oder zweihundert Meilen mehr oder weniger haben, das tut auch nicht viel zur Sache, im Notfall sind Sie in vierzehn Tagen da und — schlagen Sic ein, ich wette, di« Frau Mutter ist zufrieden." Rudolf wollte noch Einwendungen machen, aber plötz lich sah er sie vor sich, beide leibhaftig, als ob sie lebten: Sein Vater legte Ernas Hand auf seinen Arm. Mit dem seinen scheuchte er die Vision fort. „Ich bin der Ihrige, Mister Booth", erklärte er. Ein kräftiger Händedruck besiegelte den Bund. Wemeyer ging mit — mit nach Kalifornien. (Fortsetzung solgt^
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