Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192304161
- PURL
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19230416
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1923
- Monat1923-04
- Tag1923-04-16
- Monat1923-04
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- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.04.1923
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»«Ust«»« wurde« »er Bahnhofsvorsteher Kartz un» der Oberschaffner Kern mit einer Frist von 48 Stunden eu» ihren Dienstwohnungen verdrängt, yrall Kern muhte in» Krankenhaus gebracht werben. An e)re»««br»ich mußten vorgestern acht Lisenbahnrrfamtlien und die Familie be» Bahnhofswirt» ihre Wohnurmen räume«. Der verhaftete Betriebsassistent Becker au» Satzvey ist a»»gewiesen worden. Die am 19. April au» Düren auSgewleirnen Beamten wurden am Abend in Blankenberg a. d. Steg au»«setzt. Beim Stellvertreter de» Oberbürgermeister».«« Dpi»- tme« erschienen zwei belgische Kriminalbeamte mit der Aust, sorberung, die Kontribniion »««Ai MiTiene» Mark»,» »ahlen. Der Stellvertreter de» Oberbürgermeister», Bei. geordneter Kind, erklärte, infolge de» Beschlüsse» der Stadt, verorbnetenversammlung nicht in der Lage zu sein, de» Betrag anzuweisen. Darauf wurde er verhaftet u«b abge- führt. Der Vorstand be» Bahnhose» DUIseldorf.Gerre»heIm, Eisenbahntnsvektor Schwei«»berg, ist gestern von den Fran zosen verhaftet und auSgewtesen worden. Seine Familie hat Innerhalb drei Lagen zu folgen. Wie die „Kölnische Volkszeitung" aus Krefeld meldet, hielt da» belgische Kriegsgericht seine dritte Sitzung ab. Die Zollbeamten Barth, Knoche, Bethge, Jacob», Fltnzenberg und Berhaag waren angeklagt, entgegen den Vorschriften brr Interalliierten Kommission ihre« Dienst fortgesetzt zu haben. Bethge würbe außerdem brr Nichtablieferung von Waffen beschuldigt. Da» Urteil lautete gegen Barth und Knoche aus je 4 Monate Gefängnis und 9 Millionen Mark Geldstrafe, gegen Bethge auf drei Monate Gefängnis «mb «ine Million Mark Geldstrafe sowie für bav Wasfentragen auf fünfzehn Lag« Gefängt» und 100 000 Mark Geld strafe, gegen Jacob», Fltnzenberg und Berhaag auf zwei Monate Gefängnis und 100000 Mark Geldstrafe, weil sie al» Vorgesetzte ihre Untergebenen zur Fortführung be» Dienstes veranlaßt hätten. — Chefredakteur Nikola Müllet von der „Westdeutschen Vanbeszeitung" in München-Glad bach erhielt Ivoooo Mark Geldstrafe wegen Veröffentlichung Le- Wortlauts der SinspruchSnote der deutschen Reich», regterung vom 11. Februar 1SS8 gegen die Verordnung Nr. 140 der Interalliierten Rheinlanbkommtssion. Der Ver leger und Redakteur Bochum der „Grevenbroicher Zeitung" in Grevenbroich erhielt 15 Tage Gefängnis und 100 000 Mark Geldstrafe wegen Veröffentlichung von Artikeln zur Ruhr frage, die der „Kölnischen Zeitung" entnommen waren. Scharfe Wendungen sollen darin gegen Sir Würllt'ber Bst setznngStruppen verstoßen haben. — Der BetriebSkliter Bohmann von der Clever Straßenbahn war wegen be leidigenden Verhaltens angeklagt. Er hatte den Befehl ge geben, einen verhafteten deutschen Zollbeamten nicht mit der Straßenbahn zu befördern. Bohmann, der aus der Unter suchungshaft vorgeführt wurde, erhielt drei Monate Ge fängnis und 100 000 Mark Geldstrafe. Mit ihm angeklagt »var der Straßenbahnwagenführer Simon van Baal aus Wyler bei Cleve, der den Transport mit dem betreffende« Zollbeamten nicht mitgenommen hatte. Er erhielt zwei Mo« nate Gefängnis und 100 000 Mark Geldstrafe. Gegen die Zahlung der Sohlensteuer an französttche «affen. Die Franzosen haben bekanntlich Ende Februar eine Verordnung über die Zahlung der Kohlensieuern an die französischen Kassen erlassen. Diese Verordnung stellt den Gipfel aller bisherigen Willkür und Verachtung des Rechts dar. Sie bestimmt, daß die nach dem 1. Oktober 1922 fällig gewordenen Kohlensteuern von den einzelnen Kohlen zechen an die französischen Kassen bezahlt werden müssen, obwohl den Franzosen genau bekannt war, daß diese Kohlen steuern restlos längst bezahlt sind und daß im Ruhrgebiet nicht die Kohlenzechen, sondern das Kohlensynüikat Steuer schuldner ist. Es wird also bewußt eine doppelte Bezahlung der Kohlensteuer, sogar für die lange vor dem Einmarsch der Franzosen liegende Z-it verlangt, und zwar von den Zechen, die die Steuern gar nicht schulden. Nicht genug damit. Wenn die Zechen sich weigern, die bereits bezahl ten Steuern nochmals zu entrichten, so wird den Aufsichts räten und den Leitern der Gesellschaften jeder Eingriff in ihr Privatvermögen und Persönliche Schuldhast, eine im modernen Recht verpönte und den mittelalterlichen Rechtsbegriffen entnommene Zwangsmaßnahme angedroht. Diese willkürlichen und rechtswidrigen Anordnungen sollten bereits am 1. April in Kraft treten. Der Termin ist von den Franzosen dann aber auf den 15. April hinaus geschoben worden. Den deutschen Kohlenindustriellen drohen daher jetzt wieder neue Gewalttaten. Sie haben sich da durch in ihrer festen Abwehrhaltung nicht beirren lassen und einmütig den Beschluß gefaßt, sich der Gewalt nicht zu beugen. Wenn die Franzosen ihre Drohungen wahr machen, werden sie nur von neuen» den Beweis erleben, daß sie mit Gewalt im Ruhrgebiet mchts erreichen können. verlangten aber, daß dieser Kampf nicht durch nationalistisch« Hetz» gestört und daß von der Regierung diesem Kampf bald «in klare» Ziel gesteckt werde. Minister Grüner weist die Angriffe de» Abg, Wulle zurück. Di« von diesem kritisierten Ding« seien Polizei- mast«abme«, für di, da« Ministerium nicht verantwortlich sei. Abg. Seibert (DVp.) klaat über ungerecht« Behandlung und Besoldung der Lokomolibfübrex. Die vom Minister für di« Laufbahn dieler Beamten «ingefübrtrn Neuerungen könnten nicht zur Steigerung der Arbeitsintensität führen. Abg. Ochnidt (Demi spricht di, Zuversicht au«, daß sich di» Beamte« an Mdei» nud Ruhr nicht von falschen Ratgebern beeinflussen lallen, di« zum bewaffneten Kampf ausfordrrn. Unser einzige« Abwebrmittel, di« passive Resisten», sei nicht von oben diktiert, sondern durch da« vaterländische Gefühl der Beamten und Arbeiter. Restlose Freigabe der verhafteten Beamten sei jetzt die erst« Forderung. Minister Grüner sagt di« wohlwollende Brüstm« der im Lauft der Debatte laut gewordenen Wünsche der Beamten und Arbeiter zu. Abg. Deermann lVBp.l bemängelt dl« Art, in der an manchen Stellen di« Entlassung der überschüssigen Arbeiter vorgenommen wurde. Da« Gestatt de» Minister» und der Etat mit de» Entschliestunge« diese« Ausschüsse« wurde angenommen. Vizepräsident Dr. Riester teilt« mit, daß ein von Abgeordneten der Rechten unterzeichneter Antrag «inge- gangen sei, der di« Aufhebung der jüngsten politisch«» Maßnahmen gegen di« DenIfchvKlkisck e Aretdettüparttt verlangt. Aba. Dr. Omaatz (DVp.) erklärte, seine Freund« wollten sich durch die an« politischer Tourtoisi« geleistkt« Unter schrift den Inhalt de» Antrag« nicht »« eigen machen. Sin Antrag, diesen Antrag auf die Tagesordnung der MoiitagSsitzung zu setzen, wurde gegen die Stimmen der Deutschvölkischen abgelehnt. Nm '/.7 Uhr vertagt sich da« Han« auf Montag 2 Uhr. Etat de« Auswärtigen Amt«. Das 14. Opfer. ttutrr großer Beteiligung von Kruppsche»» »wc,«unge hörigen, Mitgliedern be» Kruppschen Direktorium», Ver tretern der Stadtverwaltung, mehreren Stadtverordneten und der Bürgerschaft Essens wurde gestern nachmittag In Essen das vierzehnte Opser deS Ostersonnabend» zur letzten Ruhe getragen. Protest -eßen verhSitßte Mastuahme«. Der Magistrat in Bner hat an General Laignelot ein Protestschreiben gerichtet, in dem er schärfste Verwahr«!' gegen die durch nichts bewiesene, in einein Schreiben des Generals an den Magistrat enthaltene Behauptung etnlegt, daß der Bevölkerung die für die Beschädigung einer Eisen bahnbrücke in Betracht kommenden Täter bekannt seien. Der Magistrat erhebt gleichzeitig schärfsten Einspruch gegen die von Generalkonnnandanten Laignelot über Bner »er hängten Maßnahme«, durch die der Stabt u. a. eine Geld strafe von SO Millionen Mark auferlegt wird. Gegenüber der gleichfalls verhängten Straßensperre wird in dem Protestschreiben darauf aufmerksam gemacht, daß sie die voll- kommene Lahmlegung des Wirtschaftslebens der Stabt, be sonders des Bergbaus, Hervorrufe. Neubesttzirnllen, AuSweistmgeir, Berurtettimse« Die Franzosen Laben am Sonntag in Horst-Emscher die Schachtanlagen Nordstern S und 4 (Phönjx), Bereinigte Weilhein (Stinneskonzern) besetzt. Die Anlagen haben keine Kokscrzeugung. Weiter wurden in KreideweiS die gesamte« Schachtavlage« der Bonifatius-Zech« lGelsenktrchener Berg. Werksgesellschaft), deren Kokerei schon am vergangenen Sonntag besetzt worden war, besetzt. Bei der letzteren Aktion wurden von den Franzose« Tanks verwandt. Die Koks- und Brtkettslager der Zeche Bonifatius wurden von den Franzosen besonders besichtigt. Die Franzosen gehen «egen die Eisenbahner immer rück sichtsloser vor. Ein Zug mit etwa 00 Eisenbahnbeamten und -Arbeitern aus der Richtung von Griesheim hielt -wischen Weiterstadt und Darmstadt auf freiem Felde. Die Eisen bahner mußten vom Bahnkörper aus nach Darmstadt gehen. Ein zweiter Zug hielt bei Gernsheim. Die Familien -er Ausgewiesenen müssen innerhalb von vier Tagen folgen. Die Ausweisung erfolgte, weil die Eisenbahner erklärt hatten, für die Franzosen nicht arbeite» zu wollen. In Herne besetzten französische Truppen das Gewerk, schastshaus, das evangelisch« und bas katholische Verein», Haus. In Odenkirche« wurden neun Familien au» ihren Dienstwohnungen von den Franzosen entfernt. In Ehren deutschs Gcsetze und amtlich? deutsche Anordnungen per- stießen. Nachdem dis Rots dis Rbsmlandkommission nach- vrücklich ans alle die Gesaheen hingewirsen hat, die aus einem solchen unerhörten und jedem Rechtsempfinden hohn sprechenden Verlangen sich entwickeln könnten, schließt sie mit dcr Forderung, diese widerrechtliche Entscheidung um gehend wieder ausznheben. Deutscher Reichstag. w«b. Berlin, 14. Nur kl. Die »weite Beratung de« Haushalt- des verkehrSmtutsterl««» «lrd fortgesetzt. Abg. Dauer (BVp.) schließt sich dem Dank an dl« rheinischen Eisenbahner für ihre tapfer« Haltung an und kommt dann darauf zu sprechen, daß Bayern mit dem Nebergana auf da« Reich kein« guten Erfahrungen gemacht habe. Nach den feierliche» Zusicherungen der ReichSregierung sollte die Verreichlikbuna nicht dnz« führe», daß nnn alle» von Berlin aus dekretiert wird. Tatsächlich werde aber, wie rin Vertreter de« Ministerium« nnvorkicktigerweift anSgevlandert habe, die vollständige Aushebung der Zweig- stelle Bayern geplant. Da« bayerische Volk stehe in seiner Mehrheit einig zusammen in der Wahrung der bayerischen Rechte. ReichSverkehrüminister Gröner gedenkt zunächst ebenfalls mit Worten wärmster An- erkenn««» der Eisenbahner, die durch die Franzosen von Hans und Hos vertrieben find. Die Verwaltung werde alles tun, nm diesen Opfern der Gewalt Hilke »n leisten. Di« im Ausschuß erfolgte Aussprache über die Larifvolttik habe vielt Mißverständnisse ans drin Wege geräumt. Die Tarispolitit werde von dem Grundsatz der Selbstkosten- deckung diktiert. Die großen Mehrkosten infolge des Ruhr, einsalles müßten au« allgemeinen RrichSmitteln gedeckt werden, nicht etwa durch Tariftrböhnng. Die Tarispolitik muh den Bedürfnissen der Wirtschaft angepaht werden, andererseits aber die Leistungsfähigkeit de« Apparats durch Selbstkosteudrckung aufrecht erhalten bleiben, Die natürliche Periode für die Abstoßung überflüssigen Personal« siel diesmal leider mit dem Rnbreinbrnch zusammen. Deshalb mußten Rücksichten genommen werden, zumal sich bei der Eisenbahn die Grenzen zwischen dem besetzten und ««be setzten Gebiet nicht scharf ziehen lassen. Er würde e« sehr begrüßen, wenn sich seine zentralen Befugnisse auf ein möglichst geringe« Maß einschränken ließen zugunsten einer größeren Selbständigkeit der Tirrktionen. Die Dezentrali sierung könne aber nicht von der Zentrale allein eingeleitet werden, /andern jeder VerkehrSinterrsient mühte insofern daran Mitwirken, als er die Zentrale nicht mit Schreiben behellige, die dranhe» zu erledigen wären. Die Kopfzahl des Personals geh« im Jahresdurchschnitt ständig zurück. Den Wünschen auf bessere Berücksichtigung der Techniker werde nach Möglichkeit Rechnung getragen. Die Zweig- stelle Bayern wolle er keineswegs aufheben, aber sie müße mit wirklichem Leben erfüllt sein und die Zusammenarbeit mit der Zentrale müsse besser werden. Man schimpfe in Bayern dauernd über die Zentralisation, aber man habe aus alle seine Fragen auch nicht einen einzigen Fall nennen können, in dem die Berliner Zentralstelle unberechtigter Weise in die Kompetenz Bayerns »ingegriffen habe. Schliesslich habe der Münchener Staatssekretär nur einen TemperamentSanSbrnch eines der hervorragendsten Mit arbeiter des Ministers nnsühren können. Solche Tem- veramentSauSbrüche hätten sich aber auch schon gegen ihn selbst gerichtet und er freue sich über die freimütige Haltung seiner Mitarbeiter. Es sei jedoch mit dem Reichsgedanken schlecht verträglich, wenn man immer nur ein Land gegen dir anderen anSlpielrn wolle. «Beifall.) Abg. Eichborn (Komm.) beschwert sich darüber, bah bei den Entlassungen bei den Arbeitern und unteren Beamten begonnen werde, statt bei den vielen überflüssigen höheren Beamten. Die Tienstdanervorschriften seien eine glatte Beseitigung des 8-Stnndentagcö. Der Dienst wär« dadurch vielfach auf 15 Stunden ausgedehnt. Abg. Wulle (Teutschoölk.) bezeichnet die falsche Tarif politik als Ursache der grohen Teuerung. Wie sich bei den Geraer Vorgängen gezeigt habe, sei das Ministerium »um Willensvollstrecker der Sozialdemokraten geworden. Es sei ein Skandal, wenn die Erfurter Eisenbabndirettion die Durchsuchung des Gepäcks aller Reisenden angeordnet habe, die Fahrkarten nach München hätten. Auch sollten Personen, die militärisches Aussehen haben und truppweise kommen, keine Fahrkarte» ausgehändigt werde». Wolle General Groner diese Politik der Kniebeuge vor den sozialistischen Organisationen weiter sortsetzen? Abg. Brrnnig (Soz.) betont, die Eisenbahner de« besetzten Gebietes wollten den Abwehrkampf sortsetzen, Stolze Herzen. Roman von Alfred Sassen. 14. Fortsetzung. Tein Gang wurde immer beschwingter. Und saft über- aütig fragte er plötzlich! „Sag, Christiane, freust du dich oenn auch so — so ganz unbändig — so — >o kindisch, so, daß dn Hüpfen und springen möchtest?" Klüglich wiederholte tue Alte: „Lüpfen und springen! ckm Gottes willen, schweigen Sie mir davon, Herr Lehrer I Sic wissen dock' — wem Gliederreißen —" „Ach io, ach so," beschwichtigte er. Ehristianenö Gesicht strahlte jedoch gleich darauf wieder, und sie fuhr fort: „Ob ich mich freue? Sehen Sie doch nach in seiner Stube! Nirgendwo ein Stäubchen zu ent decken. Und kein Bett kann weicher und weißer sein wie seins, lind genau fünfzehn Grad Re — Re — o — mttr. Und unter dem Spiegel steht der blühende Manvelzwcig, den ich in meinem Glase für ihn gezogen habe." Lehrer Heiland streckte ihr beide Hände hin. „Hab Dank, du alte, treue Seele," sagte er. mit seiner guten, be haglich klingenden Stimme. ,In den Jahren, die meine liebe Alwine nun tot ist, hast du Heinz das Nest weich und heimisch gemacht, wenn er in den Ferien nach Hause kam. Ich danke dir's, und er wird oir's auch stets danken." Seine Blicke schweiften zu dem Bild über der Kommode hinüber. „Es ist, als ob du's ihr abgelernt hättest! Zn Alwinens Lebzeiten duftete auch schon ganze Tage vor Weihnachten das Haus noch Kuchen und Honig, nach Wachs kerzen und Tcmnengrün. Und wenn man gut horchte, war's, als kollere es aus den Ecken hervor wie von Aepfeln und Nüssen — ach, dn gesegnete Weihnachtszeit! Meinen Jungen bringst du mir, und diesmal ist er schon ein ganzer Mann!" „Ein ganzer Mann — ja!" „Aber sag, Christiane, Fräulein Lotte ist nun schon zwei Tage nicht hier gewesen —" „Du lieber Gott, die WeihnachtSvorbereitnngen —" L> „Ja, ja, du haft recht. Sie wird alle Hönde voll zu tun haben. Aber auch tue Komtesse hat sich zwei Tage nicht sehen lassen. Tonst gnckte sic vormittags und nach- mittags einmal herein nnd fragte —" „Ach die!" brummte tue alte Christiane und glättete hsftig an ihrer Schürze herum. „Christiane, du sollst nichts gegen das gnädige Frün- leiu sagen." „Ich habe auch nichts gesagt." „Aber gebrummt hast du — und brummst noch. Du weißt, du machst mich damit böse." - Christiane zerrle jetzt förmlich an ihrer .Schürze, und während sie steif in die Ofenecke blickte, brachte sie mürrisch hervor: „Komtesse Klementine ist in den letzten Fahren gegen unseren Heinz anders geworden — und das ver winde ich nicht. Selbst wenn sie eine Prinzessin wäre, könnte ich's ihr nicht verzeihen. Früher kam sie zu Weihnachten gesprungen und überreichte Heinz sein Ge schenk — und lachte dazu und schüttelte ihm die Hänve" — im Eifer faßte sie nach den Händen des Lehrers und schüt telte sie — „und lachte wieder. Aber vor pret Jahren wurde das auf einmal anders. Da brachte ein Diener die Geschenke im Namen der Gräfin. Das gnädige Fräulein kam nur einen Augenblick, um dem .Herrn Lehrer vergnügle Fe er- tage zu wünschen, aber schon am frühen Nachmittag. Al- Heinz mit dem letzten Zug einiras, war sie längst wieder über alle Berge. Und seine Weihnachtsfreude war nicht halb so groß wie in den früheren Jahren. Ich hab'S ihm angesehen. Blaß und niedergeschlagen war er —" „Ja, ja," gab der Lehrer unruhig zu. „Der arme Junge war nun einmal daran gewöhnt — und war stolz darauf. Du magst recht haben, oatz — nein, nein, du hast nicht recht. Wenn — wenn Komtesse Klementine den früheren Brauch nicht beibehalten hat, so wird sie ihre Gründe da für gehabt haben. Gewiß, gewiß! Sie ist klüger und ver nünftiger als wir alle beide!" „Aber — aber! Klüger als der Herr Lehrer! Das ist doch —" „Klüger und vernünftiger als wir alle beide! Aus Stolz und Hochmut ist sie keinesfalls eine andere geworden. Uebriaens ziemt es sich nicht, ihren Gründen nachznspüren. Und nun ist sie ja auch zurückgekommen. Seit Wochen schon spricht sie fast täglich einmal vor. Und ich bin überzeugt, sie wird diesmal am Weihnachtsabend auch selbst wieder ein Geschenk für Heinz bringen — gewiß." Hartnäckig blieb die alte Christiane dabei: „Das macht doch nicht wieder gut, daß sich unser Heinz all »ie Jahre her gekränkt hat. Jedesmal, wenn er in die Ferien kam, hab' ich ihm angemerkt, wie zerstreut und traurig er war —" „Du hast dich wohk getäuscht," suchte Lehrer Heiland zu beruhigen. „Heinz hatte wohl andere Sorgen — sein Studium ging ihm im Kopf herum — und Fräulein Klementine hat gewiß nicht beabsichtigt — und — und — und darum sollst du mir nicht'brummen." „Ich brumme auch nicht. Aber ich lobe mir Fräulein Lotte. DaS Gesicht des alten Lehrers war auf einmal wie »n Verklärung getaucht. „Da lobe ich mit! Unser Fräulein Lotte! Die ist ein Gotteslieblmg! Bon der Sonne Hal sie etwas an sich. Sie selbst ist eine.Sonne. Die Sonne. die über unserm Dorfe steht und leuchtet. — Ganz, wie einst meine gute Alwine," fügte er leise hinzu. In diesem Augenblick schellte draußen die Haustür klingel. Christiane horchte und entschied dann: „Das ist Fräulein Lotte. Das gnädige Fräulein kommt nicht jo rasch und so flink durch den Flur." Sie wendete sich nach der Tür, blieb aber aus der Schwelle stehen und fragte mit plötzlichem Einfall: „Ach, Herr Lehrer, noch eins. Wie heißt doch das Buch unseres Herrn Heinz? Es ist so schwer zu behalten — weil's lateinisch ist. Aber als Haus hälterin in einem Lebrerhause darf man sich ooch nicht blamieren, wenn die Rede darauf kommt," »Ja, ja/' lächelte der Lehrer. „Heinz wird an deinem Eifer seine Freude haben. Sein Buch heißt: „Ecce ego"." Christiane bemühte sich vergeblich, den Titel zu wieder holen. Dann meinte sie: „Schon. Es klingt so — so nach etwas. Gleich nach den Feiertagen Werve ich an das. Studium gehen," schloß sie stolz. „Bravo, Christiane! Aber willst du nun nicht nach sehen —" „Richtig! Ach Gott, Fräulein Lotte," wollte dte Alte davonhasten, „muß ibr ja aus dem Mantel helfen —" „Ist nicht mehr nötig, bin schon heraus," siel eine Helle Stimme ein. Fräulein Lotte stand auf der Schwelle, ein freundliches Lächeln auf dem frischen, frostgerötetcn Gesicht., „Recht, recht guten Tag, Fräulein Lotte. So lange nicht dagewesen. Sie haben mir reckt gefehlt." „Lange nicht dagewesen? Nun a, zwei voNe Tage. Ich hoffe, dann haben Sie mir um o mehr zu stählen. Ist ein neuer Brief von Freund He nß angekommen?" „Noch nicht —" ,Hat vielleicht die kleine Lucie schon etwas von sich hören lassen?" Lehrer Heiland machte tn seinem Lehnstuhl, in de» ihn Fräulein Lotte niedergedrückt hatte, eme erschrockene Bewegung. „Lucie! An die hab' ich die ganze Zeit her gar nicht mehr gedacht. Und Christiane auch nicht." „Dar brauchen Sie nicht," beruhigte ihn Fräulein Lotte. „Mr wollen nicht vergessen, daß va» leichtsinnige klein« Ding seit mehr als sechs Wochen nicht» von sich hat hören lassen." . „Im Grunde genommen bin ich Luete immer et» schlechter Onkel gewesen." «Ader Papa Heiland," lachte Lotte, „verliebt waren Sie tn den kleinen Kobold!" „Anfänglich wobl. Sie war ja auch immer gehorsam, heiter und willig. Aber auf einmal mochte ich sie nicht mehr, konnte mir nicht mehr so recht ein Her» zu ihr fassen. Glauben Sie mir, es ist sogar manchmal etwa» wie Wider willen in mir gewesen."
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