Delete Search...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040601010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-01
- Monat1904-06
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Nr. 274. 98. Jahrg. Leipziger Tageblatt. Mittwoch, I. Jl»ni 1904. 1500 Mark Belohnung. An der «acht zum 2V. Mat 1v«t find aus einer Rauch» warrnhandlung in -em Grundstück Brühl Rr. 42 028 Ltück russische Zobelfelle und 1045 Ltück bolivianische Obinchillafelle im Gesamtwerte von etwa 100 000 Marl mittelst Einbruchs gestohlen worden. Lte riebe haben sich ver» mutltch etnschliesten lassen und find dann vom Hose au», nachdem sie eine Fensterscheibe eingedrückt hatten, tn dte Niederlage gelangt, au» der sie nur dte wertvollsten und leichtesten Zelle entwendet haben. Tcmnach ist anznnehmen, vast sie sowohl den Wert der Waren als auch dte Geschästslokale genau gekannt haben. Am Tatorte haben die Einbrecher zurückgelassen: 1) ein rotes, weist- uud schwarzbedrucktes Taschentuch mit bunter Kante, gez. U. V. in einer Ecke, 2) eine S4V, ow lange eiserne Brechstange mit gebogenem Ansatz, 8) ein eiserne» Instrument in Form eine» Zleischer- stahl» mit Hol,griff (beide Instrumente etngewickelt in ein alte» schmutzige» weihe», mit Blumen be druckte» Tuch), 4) eine Partie Schmierseife, etngewickelt in eine Nummer de» Leipziger Tageblattes vom 1«. Mai 1901, und 5) ein Stück graublaues Packpapier mit einem Stück vtndfadeu, anscheinend Zuckerschnur. Auf die Wiedererlangung der gestohlenen Waren ist von den Geschädigten eine Belohnung von iso« Mark ausgesetzt worden. Für den Fall, datz mehrere Personen auf die Belohnung Anspruch erlangen sollten, bleibt die Verteilung Sem Ermesse» der Geschädigten Vorbehalten. Es wird ersucht, jede auf diesen Tiebstahl bezügliche Wahrnehmung schleunigst der Krtmtnalabteilung des unter» zeichneten Polizeiamt» mttzuteilen. Leipzig, den 31. Mai 1904. DaS Polizeiamt der Stadt Leipzig. Vretschnetder. Aufgebot. 1) Ter Bankier Paul Hausse, Inhaber der Firma Wilhelm Hausse in Eilenburg, 2) der Generalagent Earl GottSmann in Leipzig — vertreten durch Rechtsanwalt Or. Landmann daselbst — haben das Aufgebot folgender Urkunden beantragt: zu 1) a. des am 23. Dezember 1903 von W. Schachert in Eilenburg ausgestellten, von Paul Brendel in Leipzig angenommenen, mit den Girovermerken W. Schachert und Wilhelm Hausse versehenen, am 25. April 1904 fälligen Wechsels über 126 .6, d. des am 1. März 1904 von I. Hartmann Wwe. in Eilenburg ausgestellten, von R. simon in Leipzig angenommenen, mit den Girovermerken I. Hart mann Wwe. und Wilhelm Hausse versehenen, am 11. Juni 1904 fälligen Wechsels über 167 .6, e. des am 2. März 1904 von Heinrich Müller in Eilen burg ausgestellten, von M. Biesenthal in Leipzig an- genommenen, mit den Girovermerken Heinrich Müller und Wilhelm Hausse versehenen, am 15. Juni 1904 fälligen Wechsels über 250 ci des am 27. Februar 1904 von Franz Lichtenberger in Eilenburg ausgestellten, von E. Panster in Leipzig. Plagwitz angenommenen, mit den Girovermerken Franz Lichtenberger und Wilhelm Hausse versehenen, am 15. Juni 1904 fälligen Wechsels über 140 .6, o. des am 25. Januar 1904 von Wilhelm Dorn in Leipzig ausgestellten, von Ernst Reichenbach in Leipzig. Gohlis angenommenen, mit den Girovermerken Wil helm Dorn, Rob. Zieger und Wtlhem Hausse versehenen, am 25. April 1904 fälligen Wechsels über 140 .6, t. de» am 25. Februar 1904 von Theodor Schatt, in Leipzig ausgestellten, von Robert Lange in Leipzig angenommenen, mit den Girovermrrkrn Theodor Schatte, Aug. EggerS, Josef Buhr uud Wilhelm Hausse versehenen, am 30. April 1904 fälligen Wechsels über 94 g. drS am 24. Februar 1904 von Hermann Fontius in Leipzig-GohIiS ausgestellten, von Hermann Wrißgerber ebenda angenommenen, mit den Girovermerken Her- manu Fontius, I. Hartmann Wwe. uud Wilhelm Hauste versehenen, am 12. Juni 1904 fälligen Wechsels über 276 .6 33 h. des am 20. Februar 1904 von Bertha Lorenz in Leipzig ausgestellten, von Rob. Neuaebauer in Leipzig angenommenen, mit den Girovermrrkeu Bertha Lorenz und Wilhelm Hauste versehenen, am 12. Juni 1904 fälligen Wechsels über 60 .6, i. des am 13. Februar 1904 von Hermann Fontius in Leipzig - Gohlis ausgestellten, von Oskar Grahl in Leipzig angenommenen, mit den Girovermerken Her mann Fontius, I. Hartmann Wwe. und Wilhelm Hauste versehenen, am 14. Juni 1904 fälligen Wechsels über 200 X zu 2) des am 20. Dezember 1903 ausgestellten, mit dem Namen dG Ausstellers nicht versehenen, von Elise verw. Peters in Leipzig angenommenen, am 20. März 1904 fällig gewesenen Wechsels über 250 .6 Die Inhaber der Urkunden werden aufgefordert, ibre Rechte spätestens in dem auf Freitag, den 16. Dezember 1904, mittag» 12 Uhr vor dem unterzeichneten Amtsgerichte, Nebenstelle Johannisgasse 5, anberaumten Aufgebotstermine anzumelden und die Urkunden vor- zuleaen, widrigenfalls deren Kraftloserklärung erfolgen wird. Leipzig, den 20. April 1904. Königliche» Amtsgericht, Abt. II Bekanntmachung. In dem Konkursverfahren über daS Vermögen der Dampf buchbinderei-Aktiengesellschaft vorm. A. A. Barthel in Leipzig- Neudnitz soll die schlußverteilung vorgenommen werden. Zu berücksichtigen sind nichtbevorrechtigte Forderungen von zu sammen 265 420 .M 79 50°/, wurden auf sie bereits auS- gezahlt, der j^t zur Verteilung verfügbare Massebeständ beträgt Leipzig, den 30. Mai 1904. Rechtsanwalt ' Konkursverwalter. Nachlaß-Versteigerung. Freitag, den 3. Juni, von vormittags 10 Uhr an, sollen in L.-Reudnitz, Josephinenstraße Nr. 8, die zum Nachlasse der Frau Ktöelilgt gehörigen Nußbaum-Möbel, Bettstellen mit Matratze, Betten, 2 Sopda, 2 Lehnstühle, 1 Chaiselongue, 1 Schreibtisch, Berticow, Schränke, Tische, Stühle, Vorhänge, Wäsche, sowie versch. Haus- und Wirtschaftsgegenstände öffentlich gegen bare Zahlung ver steigert werden. Lokalrtchter. Leipziger Volksbank. ?L. HÄ»«. Halnstr. 5, Leipzig, Fleischergasse 8, Annahmevon Spareinlagen zu ÄVs—ckVsVo. Kafseilstundeu 9—1 Uhr, 8—5 Uhr. Sparkasse Liebertwolkwitz. Unter Garantie der Gemeinde. Einlegerguthaben: 13114464 x 58 -H. Reserven: 656 000 Sparverkehr vom 1. Januar bis 3l. Mai 1904: 6679 Einzahlungen im Betrage von 1153 719 X 32 /H. 4764 Rückzahlungen im Betrage von 790598 87 -H. Verzinsung der Einlagen mit 3'/,°/,. Expeditionszeit. Jeden Wochentag auszer Sonnabend», vorm. von 8—12 uud nachm. von 2—4 Uhr. Expeditionszeit der Zweiggeschäftsstellen: Ltlzschau, Montags und Donnerstags, vormittags von 9—12 Uhr und nachmittags von 3—6 Uhr, Markkleeberg (10 Minuten von der Endstation der elektrischen Straßenbahn in Dölitz entfernt) jeden Tag, Probstheida, 2 Minuten von der Endstation der elektrischen Straßen- bahn, Dienstags und Donnerstags, nachm. 4—6 Uhr. Die Sparkassenverwaltung. Obst-Verpachtung in Schönau. Montag, den 6. Juni, nachm. 6 Uhr, soll im Alten Gasthof Schönau die zum Rittergut gehörige diesjährige Kirsch nutzung des Kirschbergrs an der Lützener Straße (ca. 700 Bäume) und die Obslnutzung des Angers und des Leutzschrr Kommunikations weges (ca. 600 Bäume) unter de» im Termin bekannt zu gebenden Bedingungen bei sofortiger Anzahlung der Hälfte des Pachtgeldes meistbietend verpachtet werden. Leipziger Westend-Vaugesellschaft L-Lindenau. Leipriger Ungelegenbriten. * Leipzig, 1. Juni. Dte Vonnenallee. Im Januar suchte ich mit meiner Frau eine Woh nung. Im Südviertel gibt es eine schöne alleeartige Straße mit einem breiten Fußgäugerweg in der Mitte, daraus die Passanten sich behaglich ausweichen können. Die Wohnungen sind dort teurer als drinnen in der Stadt. Aber dafür ist die Luft reiner, der Spektakel ge ringer, der Verkehr ruhiger. Die Häuser sind neu und komfortabel eingerichtet. Tas Bedürfnis, einige Stunden am Lage dem entnerbenden Hasten und Lärmen der Innenstadt fern zu sein, bewog mich, zu mieten, obwohl die Höhe des Mietzinses meinen Etat überschritt. Schließ lich war es nicht das erste Mal, daß die Dinge sich stärker erwiesen als das arme Ich. So saß ich denn im Winter manchen Nachmittag am Fenster und guckte melancholisch in den Schnee. Die Straße lag einsam. Die wenigen Menschen, die mein Haus passierten, drückten sich an den Häusern entlang. Mitten in der Allee stapfte keiner. Tauwetter kam. Wir lebten einige Tage ani See. Recht wie die feinen Leute, die im Winter nach dem Gardasee oder dem Lago Maggiore fahren. Nur war unser See nicht blau, sondern schmutzig-grau. Auch konnte man nicht gerade drin er trinken. Aber das erschien mir nicht als Fehler. Der Mai kam. Und die Bäume schlugen aus, genau wie es der Dichter im Lied behauptet. Frisches Grün sproßte. Es war ein eigener Genuß, die langsam er wachende Natur in stillen Stunden zu belauschen. Es wäre einer gewesen. Aber es kam anders. In einer Parallelstraße wohnen brave Arbeiter und Handwerker. Vielleicht ist es die kinderreichste Straße Leipzigs. Die Häuser dort sind dumpf und schmutzig, die Insassen gehen nicht mit der neuesten Mode und die Kinder laufen, wenn die Stiefelsohlen versagen, auch barfuß. Ein Wagengerassel ohne gleichen lärmt auf dem holperigen Pflaster. Die Kinder fühlen sich beengt. Aber sie wissen sich zu helfen: sie wandern aus. Und wer eine Bonne oder ein Fräulein hat, der bringt sie mit. Sie kommen alle in unsere schöne Allee herüber und tollen und jagen rudelweise auf und ab, werfen mit Steinen, klingeln an den Häusern, machen hinter jeder Katze her und zeigen mit Geheul und Geschrei an, daß sie sich ihres einfachen Daseins freuen. Stellenweise gleicht die Allee einem Kinderspielplatz. Es sind zumeist arme Kinder mit derben Lungen und gewöhnlicher Aussprache, die dort spielen. Sie spielen schwarzer Mann und Nachlauf und schreien in Rudeln, wie sie in Nudeln spielen. Mitten auf dem breiten Fußgängerweg aber, da kommst du dir vor wie Parsifal unter den Blumen mädchen. Da lachen und scherzen die Kindermädchen und schieben zu zweit und zu dritt die süße Last vor sich her. Man könnte meinen, die Dienstmädchen von ganz Leipzig hätten dort ein Rendezvous. Die Bewohner der Allee weichen der Uebermacht. Sie schleichen an den Häusern entlang. Die Mitte gehört den Mädchen, auf den Seiten sucht sich die Herrschaft einen Ausweg. Die Promenaden- bänke sind von Kindern und Mädchen besetzt und die ganze Straße erhält ihre Physiognomie durch sie. So kommt ein eigentümlicher Widerstreit zu stände. Es ist, wie wenn einer, der im Gehrock spazieren geht, sich eine Ballonmütze aufsetzt und Holzpantoffel anzieht. Die Mädchen halten den Platz. Und wehe der Herr- schast, die sich da breit maclien wollte! Sie muß der Uebermacht weichen. Die Straße trägt den Namen eines erlauchten Herrn. Er paßt schlecht zu dem Leben und Treiben auf ihr. Man sollte sie die Bonnenallee nennen. Die frischen Rotbacken sehe ich sonst sehr gern und auch ein adrettes Kindermädchen. Warum denn nicht? Aber so viele auf einmal! Mein soziales Herz wird von den Nerven besiegt und ich denke nicht mehr daran, daß brave Mütter sich härmen, um diese Mäuler zu stopfen, die da so weit und laut klaffen. Für schnödes Gold erkauft' ich mir Ruhe. Meine Ruh' ist hin. Ich finde sie dort nie und nimmermehr. Ich ziehe aus. Olms Lsckeiücsn. * * TaS Einkommensteuer - RachzahtungSverfah» en wurde im vergangenen Jahre in unserer Stadt in 787 Fällen ein geleitet; darunter waren 68 Fälle, in denen die Erben von verstorbenen Beitragspflichtigen zur Nachzahlung für ihren Erblasser ausgefordert worden sind. Die nachgeforderten Beträge beliefen sich bei der Staatseinkommensteuer auf 153 689,41 „6, bei der städtischen Einkommensteuer auf 180 007,35 und bei der evangelisch-lutherischen Kirchen anlage auf 1696,34 das sind zusammen 335 393,10 --2 Hinterziehungsstrafen wurden verhangen in 154Fällen mit 275 686,93 Davon entfielen 121 305,53 „6 aus die Staatseinkommensteuer und 152 794,20.6 auf die Gemeinde einkommensteuer. Ferner kamen aus die Hundesteuer 698,80-6 und auf die Wandergewerbesteuer 220 -6 Ordnungs strafen wurden verhangen in 1203 Fällen mit 3894,50 -6 * Erweiterung -cs städtischen Museums. Der Rat ge nehmigte jüngst unter Vorbehalt der Zustimmung der Stadt verordneten das Projekt für einen Anbau a» bas städtische Museum zur Aufstellung von Klingers „Beethoven". * Die Handwerker-Vereinigung beschäftigte sich in ihrer letzten Sitzung mit der Besprechung von g c- lv erblichen Fragen. Zunächst erstatteten die Herren O. Fuchs und F. Bollerhof Bericht über die letzte Plenarversammlung des Jnnungsausschusses. Zu erwähnen ist, daß die seit vorigem Jahre bestehende sogenannte Ba u k o m m i s s i o n, die sich mit der Rege lung des S u b m i s s i o n s wes e n s zu befassen hat, bisher nur sehr wenig hat hervortreten können, da die Unterlagen bei in Frage kommenden Fällen nur schwer von den betreffenden Submittenten zu erlangen waren. Das Einzige, was die Kommission bis jetzt erreicht hat, ist die Eröffnung der Gebote imBeiseinderSub- mitt ent en. Die Versuche, den Zuschlag nicht dem billigsten Angebote mehr zu erteilen, sind bisher erfolg los geblieben. Besprochen wurde die Vergebung der Arbeiten beim Rathausbau; die Bedingungen haben nicht den Beifall der Lieferanten gefunden. — Bei den Be hörden soll beantragt werden, die Fleischlieferungcn für städtische Anstalten in kleineren Losen zu vergeben wie jetzt. Mit dem Beitritt der Vereinigung zu dem neu begründeten Deutschen Handwerkerbund beschloß die Versammlung, vorläufig noch zu warten. * Garnisonnachrichten. Der kommandierende General des XIX. Armeekorps, General der Infanterie Graf Vitzthum vonEckstädt, Excellenz, hat sich heute früh nach Wurzen begeben, um den Batterie-Besichti- gungen des 78. Feldartillerie-Regiments auf dem dor tigen Garnison-Excerzicrplatze beizuwohnen. Donners- tag den 2. Juni, wird Seine Excellenz bei den Batterie- Besichtigungen des 77. Feldartillerie-Regiments auf dem Excerzierplatz bei Lindenthal anwesend sein und am Frei tag, dem 3. Juni, in Zeithain der Besichtigung der 88. Infanterie-Brigade auf dem dortigen Truppen übungsplätze .beiwohnen. Am Montag, dem 6. Juni, werden in Gegenwart Sr. Excellenz die Kompagnie-Be- Feuilleton. Nachtbesuch. Eine Humoreske von Edwin Bormann. Nachdruck verboten. Wir saßen im Gastzimmer der „Schmücke" auf der Höhe des Thüringer Waldes. Mittenwegs aus meiner Fußwanderung von Ilmenau herauf hatte mich das Un wetter gepackt; ebenso war es denen ergangen, die voll der anderen Seite, von Lambach und Oberhof, herauf gestiegen waren. Draußen heulte der Sturm, und Regen mit Graupeln gemischt knatterte an die Scheiben. Wir aber — süß ist's dem Elenden stets, im Unglück Genossen zu haben -- hatten uns alle, sechs oder sieben Herren und zwei Damen, an dem großen runden Mitteltische zusammen- gesunden, unterhielten uns von dem und jenem und waren auch auf Hotelerlebnisse gekommen. „Hören Sie, was einem meiner Freunde vor einigen Wochen in Würzburg passiert ist", begann ein behäbiger Herr, der seine süddeutsche Abkunft nicht verleugnen konnte. „Mein Freund also kommt eines abends im Gasthau.se an, setzt sich an den einzig freien Lisch im Wirtszimmer und bestellt sich ein Nachtessen. Bald dar auf betritt ein junges Ehepaar das Zimmer und bittet, da alles andere besetzt ist, an seinem Tische Platz nehmen zu dürfen. Sie kommen bald ins Gespräch und unter halten sich vortrefflich. Eines nur fällt meinem Freunde auf. Alle fünf bis zehn Minuten schreckt der Fremde plötzlich zusammen und stiert einige Augenblicke vor sich hin, um dann ruhig im Erzählen oder Fragen fortzu fahren, wo er eben stehen geblieben, als wäre nichts ge schehen. Gegen zwölf Uhr brechen alle drei gemeinsam auf, und es stellt sich heraus, daß das Zimmer des Ehe paares dicht neben dem meines Freundes liegt. Mein Freund öffnet den Koffer, schließt das Schreibpult auf und legt die Brieftasche hinein, löst die Kette und legt sie nebst der Uhr auf das Nachttischchen und will nun be ginnen, sich zu entkleiden, als er nebenan ganz eigentüm liche Töne vernimmt. Es ist zwar die Stimme seines Nachbars, mit dem er unten am Tische gesessen, aber es sind unartikulierte tierische Laute, die hervorgestoßen werden. Dazwischen vernimmt er die besänftigende Stimme der Frau. Jetzt wird ein Stuhl umgeworfen, und jetzt — war das nicht das Knacken eines Revolvers? Er lauscht, und zum zweiten Male knackt cs. Dann drüben ein leiser Aufschrei, das Zuschlägen einer Türe, und im nächsten Augenblicke öffiret sich die seine — die junge Frau ist cs, die hcreinstürzt. „Um Hiinnicls willen, retten Sie mich, mein Herr! Geben Sic mir eine kurze Zuflucht?" „Ja, gnädige Frau, wäre cs denn nicht besser, unter diesen Umständen (denn ich habe ungefähr gehört, was vor sich ging), einen Arzt oder die Polizei zu beordern?" „O. nein, nur das nicht!" ruft die junge Frau schluch zend Haben Sie Gnade mit mir! Es ist einer von 'einen Nrnällcu. Als ei beim Abendessen wiederholt zu- >ammenzucktc. ahnte mir schon nichts Gukes; das sind immer die Vorboten, und nun ist es ausgebrochen. Aber, mein Herr, fürchten Sie nicht, daß ich Sie die ganze Nacht belästigen wollte. Eine halbe Stunde ist das längste, daß ein solcher Anfall dauert. Gönnen Sie mir nur dreißig, vielleicht nur zwanzig Minuten! Wenn er allein ist, beruhigt er sich, und dann gehe ich wieder hin über. Er liegt dann sicher im Bette und schläft, ohne sich zu rühren, bis morgen Mittag." Dabei springt die junge Frau auf und nähert sich mit dem Ohre der Tür neben dem Bette. „Hören Sie wohl, daS Loben läßt schon nach!" Und sie lauschten aufmerksam beide. „So, und nun geben Sie mir noch einen Schluck Wasser. Meine Kehle ist vom Schreck wie ausgedörrt, und ich zittere am ganzen Körper." Mein Freund ichenkt ein und reicht ihr das Glas. Sie nimmt es, will es an die Lippen führen, aber es ent fällt ihr und unglücklicherweise gerade auf das Licht, daß die Kerze verlischt. „O, ich Ungeschickte! Verzeihen Sie tausendmal!" Dabei läuft sie wieder an die Türe und lauscht. „So. Jetzt ist alles still. Leben Sie wohl, und herzlichen Tank!" Ein leiser Händedruck, und sie ist hinaus. Der Docht des Lichts war so durchweicht, daß mein Freund es nicht wieder anzuzünden vermochte. Aber was tat's. Er schloß die Türe nach dem Vorsaal ab und begab sich im Finstern zur Ruhe. Am andern Morgen war das Ehepaar verschwunden, seine Uhr und Kette aber auch. " „O, da möchte mau sich ja fürchten, als einzelnstehende Frau allein im Hotel zu übernachten", lispelte eine junge dunkel gekleidete Dame. „Es ist das erste Mal, daß ich mich seit dem Tode meines Mannes entschlossen habe, eine kleine Erholungsreise anzutreten, und nun wird sie mir durch Ihre Erzählung förmlich verbittert. Hu, mich gruselt!" Damit erhob sie sich und wollte hinaufgehen. „Gnädige Frau", warf ich ein, „nicht immer enden derartige Geschichten so tragisch wie diese. Bleiben Sie noch ein kleines Weilchen und hören Sic eine ganz ähn liche Geschichte, die meinem Bruder voriges Jahr pas siert ist. Aber eine, die sich — ich bemerke es im Voraus — in Wohlgefallen auflöste." Die junge Witwe, die noch immer etwas schneller atmete, nahm wieder Platz, und ich begann. „Mein Bruder war auf der Heimreise von Italien und wollte sich noch einige Tage in Wien aufhalten. Die Situation war, wie schon gesagt, bis auf einen gewissen Punkt ganz die gleiche, wie in der Geschichte meines ge ehrten Herrn Vorredners. Mein Bruder speist mit einem jungen Ehepaare an demselben Tische zu Nacht, nur daß es hier die Dame ist, die den ganzen Abend hindurch beständig vor sich hinsticrt. Mein Bruder hat auch das Zimmer neben den: Ehepaare, und während er den Rock ablegen will, öffnet sich auch bei ihm die Türe, und die junge Nachbarin tritt kreidebleich herein. „Mein Herr", beginnt sie fast tonlos, „raten Sie mir! helfen Sie mir! Ich habe ein grenzenloses Ver trauen zu Ihnen. Aus jedem Ihrer Worte hörte ich den Gentleman heraus. Ach, ich Unglückliche! Ich Unglück liche!" „Aber gnädige Frau", sagt mein Bruder, „so fassen Sie sich doch und lassen Sie hören, um was es sich handelt!" „Ach, mein Mann, mein Mann! Wer hätte es denken sollen?" „Aber bitte, wenn Sie mir nicht sagen, was vorge- gangen ist, kann ich Ihnen doch nicht raten und Helsen." „Also hören Sie. Ich lernte meinen Mann, einen Schauspieler, einen angeblichen Schauspieler aus Graz, wie sich nun herausstellt, vor jetzt vier Wochen in der Sommerfrische kennen. Wir liebten uns vom ersten Augenblicke an, und drei Tage darauf erklärte ec sich. Er war die Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit selbst und wußte mir seine Lage so darzustellen, daß ich endlich darein willigte^frei und selbständig wie ich war, noch vor Ablauf seines Sommerurlaubs die Seine zu werden. Vor drei Tagen sind wir in einem einsamen Dorfkirchlein ge traut worden. Eine Woche in Wien sollte als Hoch zeitsreise gelten, und dann wollte mein Mann, wie er sagte, seine Tätigkeit in Graz wieder aufnehmen. Und nun denken Sie, was ich gestern in einem Kunstladeu- ^haufen^ter am Kärnthner-Ring erblickte! Dieses Hier bricht die junge Frau in einen Strom von Tränen aus. „Nun", sagt mein Bruder, indem er die Photographie in die Hand nimmt, „was ist da weiter Ueberraschendes? Es ist das Bild Ihres Mannes. Ihr Mann ist ein be rühmter Schauspieler, ein schöner, interessanter Kopf überdies, warum sollte man ihn nicht zur Ausschmückung eines Wiener Kunstladens verwenden?" „Aber die Unterschrift! Tie Unterschrift!" „Ich sehe keine, gnädige Frau." „Ach cs hing ein ganz kleines Schild in Rundschrift drunter und darauf stand ..." „Nun?" „Darauf stand: Der Mädchenräuber und Raubmörder Krapotny." „Wie?" ruft mein Bruder, „von dem vor einigen Mo naten alle Zeitungen voll waren?!" „Ganz recht. Ter junge hübsche Mädchen an sich zu locken versteht und sie dann plötzlich verschwinden läßt. Sein Bild hat man, seiner Person aber konnte man nie habhaft werden." „Und wo", stammelt mein Bruder, „wo ist Ihr Herr Gemahl — wo ist der — der Herr Raubmörder augen blicklich?" „Er ist nochmals ausgegangen, wie er sagt, einen not- wendigen Brief in den Hauptpostkasten zu stecken. Hoffent- lich auf Nimmerwiedersehen fort! Denn ich glaube fest, er weiß seit heute nachmittag, daß ich ihn durchschaut habe. Aber, was tun, was tun?" „Lassen Sie uns zunächst, gnädige Frau, die Sache mit dem Wirt besprechen." Bald darauf saß der Wirt gleichfalls im Zimmer, und die beiden trugen ihm die Angelegenheit in aller Kürze vor. , „Und die Photographie, wo ist die", fragte der Wirt. „Hier", schluchzte die junge Frau, während sie das Bild wieder aus der Tasche zieht und verschämt auf den Tisch legt. . „Tas der Krapotny? Ei, meine Herrschaften, keine Spur!" ruft der Wirt lachend. „Der hat ja einen martia- lichsn Schnauz- und Kinnbart, ist auch mindestens einen Kopf kürzer al» der hier und wird nächsten» noch um einen kürzer gemacht werden, denn gestern abend ist das Früchtchen in Nußdorf eingefangen worden." „Tas wäre ja herrlich!" ruft die junge Frau mit weit- ausgerissenen Augen. „Aber die Unterschrift!" „Na, da wird der Kunsthandlungslehrling halt einen Schnitzer gemacht und die Schilder verwechselt haben. So 'was kann schon Vorkommen." Damit verließ der Wirt die beiden mit höflicher Ver beugung. Bald darauf war auch die unter Glück und Scham lächelnde und schluchzende junge Frau mit einem Hände druck aus dem Zimmer geschlüpft. Mein Bruder lauschte und hörte, wie nicht lange nach her auch der Mann zurllckkehrte. Wenn sie es klug an sing, brauchte der also gar nichts von ihrem schwarzen Verdachte zu ahnen. " „So weit", sagte ich, „die Geschichte meines Bruders. — Mir aber, der ich von allen Seiten um hellere Geschieht- chen gedrängt werde, bot sich ein brillanter Stoff für eine kleine Humoreske. Sie liegt schon fertig in meinem Pulte, und sobald ich nach Hause zurückgekehrt bin, wandert sie an eine Anzahl größerer Zeitungen." Es war spät geworden uud lachend brachen wir, jeder nach seinem Kämmerlein, aus. Die junge Witwe, die ich durch nieine Erzählung ausheitern wollte, war eher noch ernsthafter geworden. Als sie mir die Hand reichte, fühlte ich sie zittern. Uud eben hatte ich, auf meinem Zimmerchen an gelangt, die Kerze in Brand gesteckt, als ich meine Tür öffnen und das Rauschen eines Fraucnrockes hörte. Ich drehte mich um, es war die junge Witwe. „Entschuldigen Sie mein Eindringen. Aber ich habe eine innige Bitte. Und da ich gehört zu haben glaube, daß Sie morgen früh ganz zeitig aufbrechen wollen, bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Bitte noch heute vorzutragen." „Wenn die Erfüllung irgend in meiner Macht steht . . . „Sie steht in Ihrer Macht, mein Herr. Tun Sie mir den Gefallen, das Erlebnis Ihren Herrn Bruders nicht, oder wenigstens nicht so, wie es sich wirklich zugetragen bat, zu veröffentlichen; denn ich bin die Witwe des großen Grazer Tragöden, die als jungverheiratete Frau einige Stunden lang so töricht sein konnte, den edelsten aller Sterblichen für einen gemeinen Raubmörder zu halten. Und nun erzählte sie mir, wie innig ihr Glück gewesen sei, wie sie ihr Mann auf den Händen getragen habe, und wie gräßlich er ums Leben gekommen sei. Absturz in den Tiroler Alpen! Dicht neben mir! Achthundert Meter in die Tiefe! OHHHI ... Es war selbstverständlich, daß ich versprach, ihre Bitte zu erfüllen. Die Humoreske sollte unveröffentlicht in meinem Pulte liegen bleiben. Wir schieden als gute Freunde, und sie versprach, mir, wenn sie nach Graz zurückgekehrt sei, zu schreiben. Als ich am andern Morgen nach Uhr und .Kette greifen wollte, waren beide verschwunden. Dafür lag aber ein Zettel aus dem Tische mit den Worten: „Besten Dank! Ich war die andere!" Die Schreiberin dieser Zeilen war leider noch eher aufgebrochen al» ich.
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview