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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-02
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040602020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-02
- Monat1904-06
- Jahr1904
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Leipziger Tageblatt. Nr. 277. 98. Jahrg. Korea- verlassen japanische Frauen, Kinder und alte Leute Gens an. Einige sind bereits in Fusan eingetroffen, doch wird die Lage nicht für ernst gehalten. Japan«» in russischer Gefangenschaft. Die Hauptstatiou für HefanAene japanische Soldaten ist vor der Stadt TomSk m Äidstbirien errichtet worden. Dort sind gegenwärtig gegen 700 Japaner, die meisten- in kleinen Abteilungen gefangen genommen wurden, unlergebracht. Die russische Regierung hat den Gefangenen für ihren Unterhalt folgende Beträge angewiesen: Offizieren im Generalsrang 125 Rubel monatlich, Stabsoffizieren 57 Rubel monatlich, Frontoffizieren 50 Rubel monatlich und Gemeinen 16 Kopeken täglich. Borläufig sind die Offiziere im russischen Militärklub untergebracht, während die Mann schaften in wohnlich eingerichteten Ställen und in einem von den Insassen geräumten Kloster wohnen. Die Mann schaften legen gewöhnlich die jedem einzelnen gewährten 16 Kopeken zusammen und händigen das Gelb der Polizei verwaltung ein, die ihnen dann alles Erforderliche besorgt. Die Japaner essen nur Weißbrot und weisen das Schwarz brot der Landbevölkerung zurück. Eine in TomSk erscheinende Zeitung sagt, daß die Gefangenen alle sehr reinlich sind und beste Ordnung halten. Der zuletzt eingetroffene Gefangen- tranSport bestand aus 26 Offizieren und 180 Soldaten und Matrosen. Alle Gefangenen Haden ein Gesuch an die russischen Behörden eingereicht, worin sie bitten, man möge sie auf Parole in ihre Heimat entlassen. Ver Arie- ««- die russische Volksbildung. Die „Rußk. Wjedomosti" weisen auf die Schrift „Die allgemeine Elementarschule" von Kulomsiu, Mitglied des ReichSratS hin, und lassen durchblicken, daß man infolge der Niederlagen auf dem Kriegsschauplätze auch in den höchsten Regierungskreisen sich befonnen habe, die all» gemeine Volksbildung nicht mehr al- frommen Wunsch sondern al- dringendste Forderung betrachten zu müssen. Kulomsiu verlangt den Schulzwang, die Beschaffung von Elementarschulen im ganzen russischen Reiche und die recht mäßige Verteilung des UnterrichtSbudgetS auf alle VolkS- klaffen. Bisher, sagt er, genossen die ober» Volksschichten 90 Prozent des jährlichen Zuschusses für das Aufklärungs budget und eS blieben nur 10 Prozent für die Zwecke der Elementarbildung. Der Grund liege größtenteils darin, daß daS Volk nur sehr schwach in der Stadtver waltung vertreten sei. Jetzt dürfe Rußland die Einfüh rung der allgemeinen Elementarschule nicht länger hinaus schieben und müsse vom Januar 1905 an an diese bedeut same Aufgabe herantreten, die sich im europäischen Rußland in 15 Jahren mit der gemeinsamen Finanzkraft der Rentei und der Semstwo durchführen lasse. Nach der Meinung deö oben genannten Blatte- könne dieses Ziel am sichersten erreicht werden durch die Mitarbeit sozialer HülfSkräfte, und daher fei die Einsetzung eines gemischten Schulrats im Anschluß an das Unterrichtsministerium geboten. Schiffstaufe für Autzland. Aus Kiel wird gemeldet: Bon einer Kommission russischer Ingenieure wurde der im hiesigen Hafen liegende Bremer Seeschlepper „Unterweser 12", ein Schiff von 600 Pferde stärken Maschinenleistung, für Rußland angekauft. Die Kom mission soll den Ankauf noch weiterer Fahrzeuge beabsichtigen. LoMirae cagerrcbau. * Leipzig, 2. Juni. Ein Plebiszit für Kaiser Wilhelm. Laut Meldung der „Neuen Freien Presse" soll in St. Louis ein Goldenes Buch ausliegen, in das sich alle jene in Amerika lebenden Deutschen einschreiben sollen, die dem Kaiser ihre Sympathie zum Ausdruck bringen wollen. Tas Buch wird dem Monarchen nach der Aus- stellung überreicht werden. Wir möchten wohl wissen, wer eigentlich auf diesen Einfall gekommen ist, und was er erzielen soll. Wenn sich sehr wenig Deutsche in das Buch einschreiben, so wird dieses Ergebnis als ein Fiasko ausgelegt und gegen die Person des Kaisers ausgebeutet werden. Ist die Zahl der Personen eine sehr große, so wird die nationalistische Presse Amerikas die gut ameri kanische Gesinnung der drüben lebenden Deutschen in Zweifel ziehen und sich so stellen, als glaube sie an eine antiamerikanische Demonstration. Schließlich weiß man außerdem, wie es mit ausliegenden Büchern geht. Hun- derte und tausende schreiben sich ein aus Nachahmungs- trieb, aus Eitelkeit, aus Wichtigtuerei, und die Sympa- thien, die für den Kaiser drüben gehegt oder nicht gehegt werden, lassen sich nach der Zahl der Namen, die in dieses Buch eingetragen werden, nicht im geringsten annähernd bemessen. Die preußische Seehandlung. Ein Charakteristikum unserer Zeit, die sehr geschäftig ist, ohne wesentliches zu leisten, sind gewisse Gesetzesvor Du war'st eben schuld dran, weil du auch an mich ge dacht hattest. Morgen will ich's bester verhehlen, du brauchst nicht zu fürchten, daß ich mich wieder vergesse. Schlafe gut, Dieter, und träume schön!" Nun verklang der letzte Stimmenlaut, und es lag nichts mehr mn den Zurückgelastenen, als schweigender Glanz. Haltlos mußte er sich auf die Stufe niederictzcn, zu jählings übermächtig war's gekommen, die Erkennt nis und Benennung dessen, wofür er bisher kein Wort gehabt. Nicht auS sich hatte er's gefunden, stumm hatten die Lippen Amellas es ihm offenbart. Liebe hieß es: sie liebte ihn und er liebte sie: doch wie er geglaubt, ihr sei dies Gefühl völlig fremd, so meinte sie es in ihm nicht vorhanden, bat ihn um Verzeihung für das, was sie getan, daß ein Ueberwallcn ihre Liebe kundgcgebcn habe. Schreckvoll eilte sie davon in Furcht vor ihm, daß er sie schelten, von sich obweisen werde — vor ihr selbst fürchtete sie sich, daß ihre Liebe sich noch mehr verrate. Sie wußte nicht, deutlicher habe ihr Herz cs nicht tun können. Tas Geheimnis von Tamms Garten war gelöst, und in göttlicher Schönheit lag die lautlos gewordene Nacht welt um ihn. Doch auch in seiner Brust herrschte selt same Stille nach dem ersten sinnebctäubenden Wirbel sturm: ohne Hast und Erregung klopfte sein Herz mit starken, aber ruhevoll gleichmäßigen Schlägen. Es ward von keinem Bangen und keiner Anschuldigung mehr zu irrem Ungestüm getrieben, versank in eine tiefe, selige Bcschwichtung. Ter Liebeskuß Amellas war ein Braut kuß gewesen, unlösbar bindend für alle Lebenszeit. In feierlicher Stille fühlte Dieter feinen Herzschlag, der mit Schauern der Andacht die erste, bedeutungsvolle, höchste Stunde eines Lebens begann, das sich in unausdenkbarer Herrlichkeit vor ihm aushob. Er liebte und ward geliebt, bas war das erlösende Wort, eine Sonne, die mit einem Zaubcrlchlage alle verworrenen Nebel in blendenden Glanz verwandelt hatte, und ein zweites, ein heiliges Wort gesellte sich hinzu: Amella war seine Braut. Neben ihm auf der Stufe glimmerte etwas, ließ ihn die Hand danach auSstrecken. Achtlos der ihrigen entfallen, lag das Goldkcttchen dort, dem für sie nur der Wert eines Zeichens innegewohnt, daß er trotz seinem befremdlichen Wesen gestern nach dem Fortgehen noch ihrer gedacht habe. Doch sie hatte der Gabe selbst nicht gedacht, einzig dessen, was ihr dadurch nicht länger ver hehlbar aus der verschwiegenen HerzenStiefe herauf lagen, die anscheinend nur dazu eingebracht werden, damit die Mühle klappert. In Berlin existiert bekanntlich die sogenannte Seehandlung, eine Bank, die nicht etwa über seeische Geschäfte macht, sondern nach den Weisungen des Finanzministers für Rechnung und Gefahr der Staats- lasse als Bank arbeitet. Der Geschäftskreis dieses In stitutes, das im vorigen Jahrhundert gegründet wurde, ist immer enger geworden; jetzt aber geht der Finanz minister von Rheinbaben damit um, diesen Geschäftskreis wieder zu erweitern. Dem Abgeordnetenhause liegt ein Gesetzentwurf vor, der das Kapital der Seehandlung durch Ausgabe von Schuldverschreibungen auf 99Vs Millionen Mark erhöhen soll. In der „Breslauer Zeitung" weist nun ein Parlamentarier mit Recht darauf hin, daß die Sechandlung der Kontrolle des Parlaments nicht unter steht und daß man vor 1848 wiederholt Anleihen durch die Hintertür der Seehandlung gemacht habe, ohne die Zustimmung der Reichsstände einzuholen, well man diese Ncichsstande eben nicht einberufcn wollte. Auch gegen wärtig wäre cs nicht unmöglich, daß eine Regierung auf diesem Wege das Budgetbewilligungsrecht des Landtags illusorisch machte. Ties sei nur nebenbei bemerkt; aber inan muß vor allem fragen, was überhaupt mit dieser Kapitalserhöhung bezweckt wird. Daß eine Reihe von Banken ihr Kapital sehr erheblich erhöht hat, beweist doch nicht die Notwendigkeit, daß auch das Kapital der See- bandlung erhöht werden mußte, da ja der Milliarden kredit des Staates hinter ihr steht und es ihr auch bisher an Mitteln nicht gefehlt hat. Die Kapitalserhöhung der Seehandlung soll ferner dazu beitragen, den Kurs der Konsols zu regulieren und zu heben. Indessen erblicken wir auch hierin nur den Versuch, Symptome fortzukurieren, während das Nebel selbst darin begründet ist, daß von Seiten des Reiches Jahr für Jahr allzugroße Ansprüche an den Geldmarkt gestellt werden und infolge des Börsen gesetzes durch die Beschränkung des Terminhandels und bei der hohen Besteuerung der Kaufgeschäfte dem An gebot nicht immer eine entsprechende Nachfrage begegnet. U. A. w. g. Nach einer Meldung aus Kattowitz soll der ober schlesische Großgrundbesitzer Gras Wcngerski zwei Ritter güter im Kreise Rybnik für zwei Millionen Mark an den Oberamtmann Koschmieder in Posen verkauft und erst zu spät erfahren lwben, daß Herr Koschmieder für eine polnische Landbank gehandelt habe. Die Grafen Wen- gerski, die dem böhmischen Adel angchören, betrachten sich als Deutsche. Graf Wengerski ist früher Offizier im Breslauer Leib-Kürassier-Regiment gewesen. Wir nehmen an, daß er gelegentlich doch eine Zeitung liest und viel leicht auch, wenn er dies nicht tun sollte, die Möglichkeit gehabt bat, in Erfahrung zu bringen, daß zwischen Polen und Deutschen ein erbitterter Kvmpf ausgesochten wird, und daß es die Pflicht eines jeden Deutschen ist, die Polen in diesem Kampfe nicht zu unterstützen. Laß diese Unter stützung, wenn die obige Meldung sich bestätiaen sollte, nur aus Fahrlässigkeit und nicht in bewußter Absicht er folgt ist, macht den Vorfall selbst nicht erfreulicher. Inter- essant wäre es auch, näheres über die Persönlichkeit des Herrn Oberamtmanns zu erfahren, der den Herrn Grafen so hineingelegt hat. Oder sollte Graf Wengerski Herrn Koschmieder darüber in Zweifel gelassen haben, daß er selbstverständlich seine Güter nicht an eine polnische Hand verkaufen wolle? Man sieht, es erheben sich viele Fragen, die nicht allein persönlicher Natur sind, sondern, wenn sie Beantwortung fänden, auch interessante politische Rück- schlösse zulassen würden. Also: U. A. w. g. Tie zweijährige Dienstzeit in Frankreich. Die französische Kammer ist nunmehr in die Er- örterung über die zweijährige Dienstzeit eingetreten und will augenscheinlich diese durchgreifende Aenderung der Wehrverfassung in der gegenwärtigen Tagung vollziehen, denn natürlich ist diese Neuerung, die die Militärlasten erleichtert, außerordentlich populär. Die Auffassung ist in Frankreich ziemlich allgemein die, daß die zweijährige Dienstzeit nur eine Etappe ist und daß ihr bald die ein- jährige Dienstzeit folgen werde. Nichts wäre leichter als das, wenn Frankreich nicht zu gleicher Zeit die Armee in derselben Stärke erhalten wollte, aber die Republik, die ja gar nicht daran denken kann, ihre Weltmachtstellung aufzugeben, will der Armee ihren jetzigen numerischen Stand sichern. Sie will mit Deutschland Schritt halten, das jetzt bereits 18 Millionen Einwohner mehr hat als Frankreich. Hier liegt die Schwierigkeit, und es fragt sich nun, in welcher Weise man sie bemeistern wird. Wahr scheinlich ist es, daß man sie nicht durch Tatsachen, sondern durch die Macht der Phrase bemeistert. Man wird über den Ziffernwahnsinn spotten und wird behaupten, die Qualität des französischen Soldaten sei so ausgezeichnet. beschworen worden: Dieter hielt einen Augenblick den stummen redenden Beweis ihrer alles vergessenden Liebe in der Hand, dann bog er seinen Kopf herab und küßte in traumhafter Seligkeit das Kettchen, besten kaltes Metallgeringel ihm wieder das Gefühl zurüekbrachte, es atme ihn mit den warmen Lippen AmellaS an. * a Ein neues Leben hatte mit dem nächsten Tag für ihn begonnen, das Unverstandene und Unruhvolle der letzten Wochen war daraus abgeschwunden, alles lag in seinem Kopf und Herzen klar erhellt und geordnet. Er mußte über sich lächeln, wie blind er bis gestern in seinem eigenen Innern, wie in einem Irrgarten umhergetappt sei, trotz aller klassischen Bildung noch als ein Schul junge, ein erster Anfänger in der Wissenschaft des Lebens und der Selbstkenntnis. Zu der verhalf nicht der Geist, sondern allein das Herz, Sie Liebe: sie war die Sonne, deren Ausgang mit einem Schlage daS Dunkel in Licht fülle umwandclte, alles, wohin der Blick und Gedanke ging, mit ihrem Glanz vergoldete. Zauberisch leuchtend winkte ihm die Zukunft entgegen, das in der Kerne blinkende Haus, wohin er an herrlichstem Tage seine Braut als Frau führen werde; auf dies Ziel mußte die ganze Kraft seiner lernenden Tätigkeit unverwandt gerichtet sein. Nicht minder aber umgab ihn die Gegenwart, in strahlende Schönheit gebadet; deutlich erkannt stand in ihm, wie stnnbetäubt er gewesen, daß mit der vermeinten Abwendung Amellas von ihm seinem Gefühl auch das Uebrige, was er ge wonnen, als inhaltlos und nichtig erschienen sei. Dazu war'S zwar wohl oder wäre es herabgesunken, doch nun hatte die Wunderkraft der Liebe dies gleichfalls mit ihrem Zauberstab berührt, in seinem Wert erhellt und noch mehr erhöht, die Freundschaft, die Achtung im Kreise der Besten, die Zugehörigkeit zu ihrem Verband. Selbst die äußeren Abzeichen desselben nahmen eine reichere Bedeutung an; spaßhaft hatte Petzold einmal geäußert, er wünsche wohl mit den neuen Korpsfarben vor den Augen AmellaS zu renommieren; das traf jetzt in Wirklichkeit und doch völlig anders, zu edelstem Änne vertieft, zu. Wie glück, voll war der Borausblick auf die Stunde, in der er feine Braut mit den Zeichen überraschen werde, daß er ihrer wert, der Verbrüderung mit den Edelsten würdig bc- funben sei. Seine Braut — «ine Welt lag in dem Wort. Doch nicht daß die Massenwirkung des deutschen Heeres völlig aus geglichen werde. Bekanntlich ist die französische Eitelkeit solchen Argumenten besonders zugänglich. Deutscher Deich. * Berlin, 2. Juni. * Stuft und jetzt. Auf dem Festmahsi da- zu Ehren der Deutschen Kolonialgesellschaft in Stettin stattgefunden hat, hielt Excellenz von Maitzabn-Gülz eine Ansprache, in welcher er die kolonisierende Tätigkeit deS Mittelalters und der Neuzeit verglich. Er ermutigte dazu, sich durch schwere Rückschläge nicht abschrecken zu lassen und zu bedenken, daß für die Kolonisationsbestrebungen stets die Arbeit von mehreren Generationen nötig sei. Wir halten diele Ausführungen für durchaus zutreftend und gegenüber dem Kleinmut, der sichunsereSVolkeS in kolonialen Fragen so leicht bemächtigt, sogar für verdienstlich. Dann aber fährt Herr von Maltzahn fort: „Auch die Kräfte, die damals kolonisierend wirkten, sind dieselben, die in anderer Form auch heute zusammenwirken: der Krieger und die Mission, damals der Bischof und der Ritter. Ja, und das ist damals auch wie heute gewesen, daß vielfach der Krieger zuerst kam." Diese Sätze zeugen nicht gerade von tiefer Einsicht in das Wesen unserer Zeit und in die Art der heutigen Kolonialpolitik. DaS wesentlichste Element der Kolonialpolitik ist beute der Handel, zumal so lange unsere Regierung auf dem Standpunkte steht, daß sie alle Gebietserwerbungen, die zu Ackerbaukolonien ge eignet sein könnten, gleichgültig bei Seite schiebt. Unsere kolonisatorische Tätigkeit tragt einen ausgesprochen friedlichen Charakter. Wenn der Krieger früher zuerst kam, so ist gerade dies ein bedeutsames Unterscheidungsmerkmal zwischen einst und jetzt. In unseren Kolonien bat der Krieger keine andere Aufgabe als die Sicherung der Kultur und dre Waffe tritt erst als ultima ratio in ihr Recht. Wenn der Kauf mann aus der kolonisatorischen Tätigkeit ausgeschaltet werden sollte, so würde eS übel um unsere überseeischen Erwer bungen stehen. * Ter Gouverneur von Deutsch-Vftafrtka Graf Götzen wird im Herbst mit Urlaub in Berlin eintreffen. Daran werden nach der „Nat.-Ztg." schon jetzt Gerüchte über angeb liche Rücktrittsabsichten deS Gouverneurs geknüpft. * Ter deutsch-belgische Handelsvertrag ist nach dem „B. B.-C." bereits zum Abschluß gelangt, so daß die Paraphierung des Vertragsinstruments unmittelbar bevorsteht. ' Arbeiterklasse und Handelspolitik. Genosse Schip pet setzt in dein Chemnitzer sozialdemokratischen Organ die Darlegung seiner handelspolitischen An sichten fort. Im vierten Artikel seiner Serie betont Schippel zunächst wiederum, daß Freihandel oder Schutz zoll nicht abstrakte Prinzipien-, sondern praktische Zweck- mäßigteitsfragen find, die in Rücksicht auf Zeit, weit- und nationalwirtschaftliche Verhältnisse und die Lage der einzelnen Gewerbe verschieden ,)u beantworten sind. End- lich kündigt er dann für den nächsten Artikel die Behänd- lung des eigentlichen Themas an und stellt die Behaup tung auf: „Wer Handelsverträge will, muß unter allen Umständen auch Zölle wollen — unter besonderen Um ständen auch Agrarzölle." Ganz recht, nur ist dabei zu bemerken, daß es sehr auf die Höbe dieser Zölle an kommt. Da liegt der Hase im Pfeffer! * Tie preußischen Nationalliberalen und der Echulantrag. Mit der Beteiligung an dem reaktionären Schulantrage hat sich die nationalliberale Fraktion des preußischen LandtagS eine nette Suppe bei ihren Wählern eingebrockt. Von allen Seiten hagelt es aus den Wählerkreisen Proteste gegen die von der Fraktion neuerdings beliebte illiberale Politik in der Schulfrage. Mit besonderer Entschiedenheit und Schärfe hat namentlich die am Dienstag in Köln abgehaltene Versamm lung nationalliberaler Wähler das Verhalten der Fraktion mißbilligt und schließlich folgende Resolution angenommen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: „Die Versammlung ist der Auffassung, daß daS Verhalten der nationalliberalen Fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses beim Schulantrag den Traditionen der Partei und dem Wohle des Volkes nicht entspricht; die Versammlung erwartet be- stimmt, daß die Abgeordneten bei Verabschiedung des Schulunter. Haltungsgesetzes eine den Grundsätzen der Partei entsprechende Stellung nehmen werden, hält eS aber für unerläßlich, daß baldigst ein allgemeiner deutscher Delegierientag der national liberalen Partei zu einer Aussprache über den Schulantrag einberufen wird." Auf diesem Delegiertentag dürften den Verteidigern deS unheilvollen SchulantragS recht bittere Wahrheiten gesagt werden. -n * Hamburg, 1. Juni. Unter den Arbeitern der Deut schen Jutespinnerei und Weberei ist ein Streik ausgebrochen, an welchem 800 Köpfe von der Gesamt nur mit dem seligen Herzschlag empfunden, er war sich bewußt, daß er auch mit kühl-besonnenem Verstände ab wog, was das Wort bedeutete. Eine unzertrennliche Ge fährtin seines ganzen Lebens, eine Ergänzung und Ver doppelung seines eigenen Wesens. Das beruhte nicht auf Acußerem, und er war nicht von ihrer Schönheit und Lieb lichkeit bestochen. Im Herzen und Gemüt mutzten Mann und Frau übereinstimmcn, so wie sie beide, im Gefühl für daS Schöne und Wertvolle. Davon ward die feste Grund lage unwandelbarer Liebe gebildet; danach erst folgte das Erfordernis gleichartiger Geistesbildung. Doch konnte sich's, was diese betraf, bei einem Manne und einer Krau nicht um wirkliche Gleichheit handeln, sondern nur um eine Gleichwertigkeit; selbstverständlich erheischte ein ge lehrter Beruf in großer Anzahl Kenntnisse, die ein Mäd chen sich nicht zu erwerben vermochte und die ihm zudem im vollsten Maße zwecklos-überflüssig sein würden. Weniger als bei Männern hing jedenfalls die Bildung des weib lichen Geschlechtes vom Unterricht ab, war mehr eine an geborene Begabung zu unmittelbarem Aufsätzen und Be greifen dessen, was jene mühsam durch langdauernde methodische Schulung erlernen mußten; der Bildungs stand einer Frau gab sich der Hauptsache nach in der Art ihrer Gedanken und dem sprachlichen Ausdruck derselben kund, die hielten den geistigen Boden zum Aufgehen für jede weitere Aussaat bereitet. Unerläßlich fiel naiürlich noch in der Kindheit erworbene Fertigkeit deS Lesen« und Schreibens; das Zeugnis dafür besaß er in der Hand, be frachtete mit stet- erneutem Glücksgefühl die orthographisch fehlerlosen Zeilen und die gewandten, fast zierlichen Schriftzüge auf dem Papierblatt. Ob eS auch so gut mit dem Rechnen bei Amella bestellt sei, war ihm allerdings bisher Lurch nichts belegt worden; daran mochte es viel leicht etwas mangeln. DaS indes konnte sie ihm gleicher- weise vorhalten, denn in Betreff der Mathematik hatte eS bei seinen Zeugnissen ebenfalls stet« gehapert; ein Lachen kam ihm bei der lustigen Vorstellung an, daß sie sich ge legentlich wechselseitig in der Ausübung einer Witzenschaft unterstützen müßten, von der sie beide gleichwenig wüßten. Boll bewundernder Dankbarkeit aber empfand er, daß die Liebe nicht nur daS Herz mii veseligung durchfließe, sondern durch ihr Wunderlich» auch die Denkkvast erhelle. In wörtlichem Sinne über Nacht hatte sie ihn zu klarem Erkennen gereift, ihm kundgegeben, wovon er bisher keine Ahnung besetzen. Gestern noch war ein Mädchen ihm etwa» Unbekanntes, ein verschlagene» Buch rätselhafte« Donnerstag, 2. Juni 1904. zahl von 1200 teilnehmen. Gefordert wird eine Lohn- erhöhung von 10 Prozent, die die Verwaltung ablehnt. Letztere glaubt, daß die Differenz sich auf gütlichem Wege beilegen lassen wird. * Stettin, 1. Juni. Sämtliche Seeleute waren heute in den Ausstand getreten, weil ihnen ihre Forde- runjzen betreffs Erhöhung ver MonatSheurr und Regulierung der Arbeitszeit nicht bewilligt wurden, dock wurde der Streik noch abends im Wege eines Vergleich- gütlich beigelegt. * Eisenach, 1. Juni. Der Deutsche evangelische Kirchenausschuß stellte die Richtlinien für die kirchliche Versorgung Deutscher im Au-lande und für die Seelsorge unter deutschen Au-wanderer» und See leuten fest. Nurlana. Großbritannien. * Unterhaus. Der Unterstaatssekretär deS Aus wärtigen Earl Percy beantragt die zweite Lesung der Vorlage, betreffend die englisch- französische Konvention, und erklärt, die Vor- läge ermächtige zu einer Gebietsabtretung in Westafrika und einer Geldentschädigung bezüglich der Neufundland- fischerei. Diese Ermächtigung sei notwendig, um die Be dingungen der Konvention zu vollziehen. Er setzt die Be dingungen auseinander und verteidigt die Politik der Re- gierung in Bezug auf Marokko. Was den Suez-Kanal anbetrifft, so sei der gegenwärtigen Suezkonvention nur neue Lebenskraft gegeben worden. Diese Konvention sei, wegen des im Jahre 1885 von England gemachten Vor behalts, niemals in Kraft getreten. Wir haben, sagt Redner, jetzt unsere Annahme der Konvention wieder be stätigt und die Bedeutung unseres Vorbehaltes klar ge macht. Wir haben die Zustimmung Frankreichs zu un serer Behauptung erhalten, daß wir den im Jahre 1885 unternommenen Verpflichtungen treu bleiben, wenn wir fortfahren, gemäß den so von uns aufgestellten Grundsätzen zu handeln. Es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß andere Mächte sich weigern würden, unsere Loyalität bezüglich dieser Verpflichtungen anzu erkennen, wie Frankreich es getan hat. Während der ganzen Unterhandlungen waren die Parteien nicht von dem Bestreben geleitet, einander möglichst wenig Zu geständnisse zu machen, sondern einander so weit als möglich entgegenzukommen. Was Aegypten und Marokko anbetrifft, so haben wir nichts aufgegeben; im Gegenteil, in Marokko, wo wir bedeutende Opfer zu bringen scheinen, erzielen wir tatsächlich einen bedeuten- den Gewinn. Unsere einzigen politischen Interessen in Marokko sind strategischer Natur, und diese Interessen werden durch die Konvention noch mehr gesichert. In Aegypten hat Frankreich viel aufgegeben, und es ist kein Grund zu der Annahme, daß andere Mächte Schwierig- keiten bereiten werden. Die Regierung hat dem Hause die Konvention nicht als einen Tauschhandel, sondern als eine internationale Urkunde vorgelegt, welche den staats politischen Zweck erreichen wird, den die Führer der beiden Parteien Englands zu erreichen wünschten. DieKonvention ist ein großer Schritt nach der Richtung, in der nach dem Wunsche aller England geben soll. Die einzige sichere und vorsichtige Politik, die wir in Zukunft verfolgen können, ist eine solche der Konzentration und der Konsolidierung der Verwaltung. Es ist ein Siesi der Diplomatie, daß die Schwierigkeiten so glatt erledigt sind, und ich hoffe, daß die Zeit vorüber ist, wo der Erfolg einer Nation als notwendigerweise nachteilig für eine andere Nation er achtet wurde. Ich hoffe auch, daß die Konvention ein Muster für die Erledigung von Schwierigkeiten zwischen England und anderen Nationen sein wird. (Beifall.) Die zweite Lesung der Vorlage, betreffend die englisch-fran zösische Konvention, wurde hierauf ohne Abstim mung angenommen. Rußland. * Sin Anschlag aus den russischen Minister de« Neuster en, Grafen Lambsdorff wird aus Petersburg gemeldet. Der Täter ist ein Fürst Dolgorukow. Der Anschlag soll keinen politischen Hintergrund haben, sondern ein persönlicher Racheakt sein. Dem „B. T." wird darüber folgendes tele graphiert : Der Minister de- Aeußeren, Graf Lambsdorff, wurde am 29. Mai auf offener Straße vom Fürsten Alexej Dolgorukow, einem früheren Husarenoffizirr und gewesenen Beamten Lambsdorffs, angesallen. Fürst Dolgorukow wurde sofort verhaftet. Bei seinem Verhör erklärte er, den Grafen Lambsdorff auS persönlicher Rache angefallen zu haben, weil er seiner Beförderung hinderlich gewesen sei. Er bedauere seine Handlungsweise. Der Zar ist über den Vor fall empört und ordnete eine ärztliche Untersuchung Dolgorukows an. Falls eine Geistesstörung vorliege, soll der Fürst in einer Inhalts gewesen, doch heute lag eS offen aufgeschlagen vor seinem Verständnis da. Unbewußt war er von der Liebe an die Schwelle des Glücks geführt worden, dann jedoch hatte sie ihn auch belehrt, warum sie's getan, daß er unter ihrer Leitung nicht allein dem Drange des Herzens gefolgt sei, vielmehr gleichfalls mit einer divinatorischen Einsicht des Verstandes gehandelt, das für sein Leben Notwendige richtig bemessen habe. Mit -er Mutter konnte er von dem Geschehenen nicht sprechen, denn die hätte zweifellos damit keinen andern Gedanken verknüpft, als die Frage, ob seine Braui Ver mögen besitze; aus dieser Vorstellung ging ihm noch eine neue Erkenntnis auf, die echte Liebe bezeuge sich dadurch, daß sie von keinem Gedanken an äußere Glücksgüter be rührt werde. So war's bei Amella, die von ihm wußte, er sei drauf angewiesen, selbst sich sein künftiges Auskommen zu erwerben, und so war's seinem Herzen keinen Augen blick lang in den Sinn geraten, daß sie völlig mittellos in der Welt dastehe; jetzt nachträglich erst fühlte er klar, gerade in ihrer beiderseitigen Vermögenslosigkeit liege für sie beide die höchste Zukunstsbürgschaft, die eben einzig auf der Liebe, ohne irgendeine, ob auch unbewußte, Neben einwirkung beruhe. Gern hätte er Christian Lattvesen von seinem Glück Mitteilung gemacht, aber auch das war nicht angebracht. Der besaß keinerlei Kenntnis de- weib- lichen Geschlecht-, wußte nicht- von Liebe, wa- Lieft sei, noch worauf e- bei einem Mädchen ankomme; Dieter sah ihn im voraus den grauen Kops schütteln und hörte ihn verständnislos antworten: „Eine Braui? Laß sein." Welch' ein armseliges Leben mußte der Alte geführt haben, wozu hatte er überhaupt gelebt und tat'- noch? Unbedingt blieb's am meisten ratsam, das wundersame Besitztum als Geheimnis zu wahren, zu kein<m davon zu sprechen, der nicht ein volles Verständnis dafür in sich trug. Da- fand sich allein bei der Freundschaft, und nur ihr, dem Freunde, konnte und mußte die Ueberfülle de- Herzen- sich aus schließen. (Forts«»«»- folgt.)
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